Rede:
ID1217100500

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 7
    1. Als: 1
    2. nächster: 1
    3. spricht: 1
    4. der: 1
    5. Kollege: 1
    6. Adolf: 1
    7. Roth.\n: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/171 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 171. Sitzung Bonn, Dienstag, den 7. September 1993 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abgeordneten Rolf Koltzsch und Dr. Hans Stercken 14683 A Verzicht der Abgeordneten Dr. Harald Schreiber, Wolfgang Roth und Gerhard O. Pfeffermann auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 14683 B Eintritt der Abgeordneten Walter Schell, Kurt Palis, Christa Lörcher und Wolfgang Erler (Waldbrunn) in den Deutschen Bundestag 14683 B Benennung des Abgeordneten Dr. Uwe Jens als ordentliches Mitglied im Infrastrukturrat beim Bundesminister für Post und Telekommunikation 14683 B Benennung des Abgeordneten Dietrich Austermann zum Mitglied im Verwaltungsrat der Deutschen Ausgleichsbank . . 14683 C Erweiterung der Tagesordnung 14683 D Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1994 (Haushaltsgesetz 1994) (Drucksache 12/5500) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1993 bis 1997 (Drucksache 12/5501) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms — 1. SKWPG — (Drucksache 12/5502) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms — 2. SKWPG — (Drucksache 12/5510) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz) (Drucksache 12/5630) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 14684 B Ingrid Matthäus-Maier SPD 14694 D Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 14702 A Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 14707 B Ingrid Matthäus-Maier SPD . 14708A, 14718B Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14708C, 14720B Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . . 14712B Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14715 A II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. September 1993 Hans Peter Schmitz (Baesweiler) CDU/ CSU 14716D Joachim Poß SPD 14721 A Hans H. Gattermann F.D.P. . 14722C, 14728 D Hermann Rind F.D.P. 14724 A Joachim Poß SPD 14724B, 14726C Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU 14726 A Detlev von Larcher SPD 14726D Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14730B Georg Gallus F.D P 14730 D Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 14731 B Nächste Sitzung 14732 C Berichtigung 14732 Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 14733* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. September 1993 14683 171. Sitzung Bonn, den 7. September 1993 Beginn: 14.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 167. Sitzung, Seite III, linke Spalte: Bei Anlage 2 ist hinter dem Namen „Bodo Seidenthal" der Name „Dr. Fritz Gautier" sowie „SPD" einzufügen. Auf Seite 14416D ist in Zeile 1 hinter dem Namen „Bodo Seidenthal" der Name „Dr. Fritz Gautier" sowie in der Klammer zusätzlich das Wort „beide" einzufügen. Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bartsch, Holger SPD 7. 9. 93 Becker (Nienberge), SPD 7. 9. 93 Helmuth Dr. Blunk (Lübeck), F.D.P. 7. 9. 93 Michaela Börnsen (Bönstrup), CDU/CSU 7. 9. 93 Wolfgang Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 7. 9. 93* Clemens, Joachim CDU/CSU 7. 9. 93 Ebert, Eike SPD 7. 9. 93 Dr. Fischer, Ursula PDS/LL 7. 9. 93 Fischer (Hamburg), Dirk CDU/CSU 7. 9. 93 Dr. Gautier, Fritz SPD 7. 9. 93 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 7. 9. 93 Jaunich, Horst SPD 7. 9. 93 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Koschnick, Hans SPD 7. 9. 93 Kretkowski, Volkmar SPD 7. 9. 93 Dr. Lieberoth, Immo CDU/CSU 7. 9. 93 Michels, Meinolf CDU/CSU 7. 9. 93* Dr. Müller, Günther CDU/CSU 7. 9. 93* Opel, Manfred SPD 7. 9. 93** Pfuhl, Albert SPD 7. 9. 93 Reuschenbach, Peter W. SPD 7. 9. 93 Dr. Riedl (München), CDU/CSU 7. 9. 93 Erich Dr. Scheer, Hermann SPD 7. 9. 93* Seiler-Albring, Ursula F.D.P. 7. 9. 93 Stachowa, Angela PDS/LL 7. 9. 93 Weisskirchen (Wiesloch), SPD 7. 9. 93 Gert Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 7. 9. 93 *für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates **für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Herr


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Wenn Sie nur einen Bruchteil der Führungsqualitäten, der nüchternen Offenheit, des Verantwortungsbewußtseins für das Gemeinwohl, wenn Sie vor allem nur einen Bruchteil der wirtschaftspolitischen Kompetenz von Helmut Schmidt hätten, dann würden wir heute mit den Problemen dieses Landes besser fertig.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Deshalb habt ihr den gestürzt!)

    Die Finanzkrise des Staates hat bedrohliche Ausmaße angenommen. Ein öffentlicher Schuldenberg von insgesamt 1,8 Billionen DM, eine Neuverschuldung allein in diesem Jahr von 224 Milliarden DM und Zinsausgaben allein in diesem Jahr von 134 Milliarden DM — das ist das Ergebnis einer unverantwortlichen Finanzpolitik. Die Bundesrepublik Deutschland erfüllt damit im Moment nicht einmal die Stabilitätsvoraussetzungen der Europäischen Währungsunion.
    Obwohl der Staat in jeder Minute 1,4 Millionen Mark Steuern einnimmt, macht er zusätzlich in jeder Minute 426 000 Mark neue Schulden und zahlt für Schulden in jeder Minute 255 000 Mark Zinsen. Jede Minute neue Staatsschulden in Höhe eines Eigenheims! Dieser Finanzminister hat in den vier Jahren seiner Amtszeit mehr Schulden gemacht als alle seiner 13 Vorgänger in 40 Jahren zusammen. Auch wenn Sie das nicht gerne hören: Schuldenmachen ist zum Markenzeichen dieser Bundesregierung geworden.

    (Beifall bei der SPD)

    In der Finanzpolitik herrscht das blanke Chaos. Alle wesentlichen Finanzzahlen dieser Bundesregierung haben sich als falsch und meilenweit entfernt von der Wirklichkeit erwiesen. Ein ganzes Jahr lang haben Sie Stein und Bein geschworen, daß 1993 die Ausgaben höchstens um 21/2% steigen. Und das Ergebnis: Statt 21/2% sind es jetzt 7,2 %, also fast dreimal soviel. Und die Neuverschuldung für 1993? Bei seiner Einbringungsrede hier vor einem Jahr sprach der Finanzminister noch von 38 Milliarden DM. Im November sprach er dann von 43 Milliarden; im Januar waren es 48 Milliarden, im April 53 Milliarden, im Juli schließlich 67,5 Milliarden DM. Und aus dem Finanzministerium ist zu hören, daß es auch noch mehr werden könnten.
    Ich sage Ihnen: Wer als Finanzminister mit seinen Zahlen so danebenliegt, der kann entweder nicht rechnen, oder er hat ganz bewußt Parlament und Öffentlichkeit getäuscht. Ich fürchte, Herr Waigel, bei Ihnen kommt beides zusammen, und das eine ist so schlimm wie das andere!

    (Beifall bei der SPD)

    Die Folge dieser Schuldenexplosion sind explodierende Zinsbelastungen. Schon heute zahlt der Staat auf die Staatsschulden 134 Milliarden DM Zinsen. 1997 werden es nach Ihren eigenen Zahlen über 180 Milliarden DM sein.

    (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Und Oskar ist auch dabei!)

    Jede fünfte Steuermark wird dann allein für das Bezahlen von Zinsen draufgehen. Wer so maßlos den Weg in die Staatsverschuldung geht, handelt unverantwortlich gegenüber unseren Kindern und Enkeln.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aufhören!)

    Was durch Zinszahlungen aufgefressen wird, fehlt für andere notwendige Staatsaufgaben: Es fehlen fünf Millionen Arbeitsplätze in Deutschland — Sie aber kürzen die Mittel für die Arbeitsmarktpolitik in Ihrer Finanzplanung um 57 %. Es herrscht Wohnungsnot in Deutschland — Sie aber kürzen den Verpflichtungsrahmen für den sozialen Wohnungsbau um 30 %. Immer mehr Menschen können die steigenden Mieten nicht mehr bezahlen — Sie aber kürzen das Wohngeld um 26 %. Wir haben einen Pflegenotstand
    — Sie aber kürzen die Mittel für den Zivildienst um 20 %. Unsere Hochschulen platzen aus allen Nähten
    — Sie aber kürzen die Mittel für den Hochschulbau um 17 %. Wir müssen Energie einsparen — Sie aber kürzen die Mittel für erneuerbare Energien und rationelle Energieverwendung um insgesamt 8,5 %.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wollen Sie nun sparen oder nicht?)

    Wir brauchen mehr Investitionen — die Investitionsausgaben des Bundes aber gehen bis 1997 zurück. Schließlich, meine Damen und Herren: Wir waren uns beim Asylkompromiß doch einig, daß die Bekämpfung der Fluchtursachen mindestens genauso wichtig



    Ingrid Matthäus-Maier
    ist, um die Zuwanderung zu begrenzen. Da können Sie doch jetzt nicht die Entwicklungshilfe einfrieren!

    (Beifall bei der SPD)

    Auch wirtschaftspolitisch hat die Schuldenpolitik der Bundesregierung unseren Staat handlungsunfähig gemacht. Angesichts von fünf Millionen Arbeitsplatzsuchenden wäre ein Gegensteuern durch zusätzliche kreditfinanzierte Ausgaben ja durchaus erwägenswert.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Also mehr Schulden!)

    Aber wer so etwas jetzt fordert, der übersieht, daß die öffentliche Hand sich 1993 ohnehin schon in Höhe von 224 Milliarden DM verschuldet und damit schon fast die gesamte private Ersparnis in Anspruch nimmt. —

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was wollen Sie, mehr oder weniger?)

    Dies ist bereits ein Super-Keynes, leider im überwiegenden Maß für Konsum und nicht für Investitionen ausgegeben. —

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Der übersieht leider auch, daß die Bundesregierung in der guten Weltkonjunktur der 80er Jahre trotz über 100 Milliarden DM Bundesbankgewinne die Staatsverschuldung dramatisch weiter erhöht und keine Vorsorge für schlechte Zeiten getroffen hat. Deutschland sitzt in einer hausgemachten Schuldenfalle, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)

    Was 1974, nach der ersten Ölpreiskrise, unter Bundeskanzler Helmut Schmidt bei einem Stand der gesamten öffentlichen Verschuldung von — hören Sie bitte zu! — 212 Milliarden DM, inklusive Bahn und Post, noch möglich war, ist jetzt bei einem fast zehnmal so hohen Schuldenstand von beinahe 2 Billionen DM verbaut. Diese Regierung steht vor dem finanz- und wirtschaftspolitischen Offenbarungseid.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Wer die konjunkturpolitische Handlungsfähigkeit des Staates wiederherstellen will, muß jetzt endlich mit der Konsolidierung beginnen.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was heißt das?)

    Die Mentalität „Sparen erst im nächsten Jahr, vielleicht auch erst in zwei Jahren, auf jeden Fall erst nach der nächsten Wahl, am besten überlassen wir das Sparen unseren Kindern" muß durchbrochen werden. Es kann nicht länger nach dem Motto gehandelt werden: Wenn Geld da ist, wird es ausgegeben; wenn keines da ist, werden eben Schulden gemacht. — Nur wer bereit ist, den handlungsunfähigen Staat in Kauf zu nehmen, oder wer ihn sogar will, kann die Schuldenlawine unbegrenzt weiterlaufen lassen.
    Übrigens, mit ihrer Schuldenpolitik ist die Bundesregierung auch zum Problemverstärker Nummer eins geworden. Das gilt für die Inflation, die sich hartnäkkig über 4 % hält und bei der wir innerhalb der
    Europäischen Gemeinschaft längst auf die Hinterbank gerutscht sind. Das gilt auch für die hohen Leitzinsen der Bundesbank und die faktische Aussetzung des Europäischen Währungssystems. „Schuld an der Krise des EWS sind die Schulden, die Theo Waigel macht", schrieb die „Süddeutsche Zeitung". Damit hat sie den Nagel auf den Kopf getroffen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)

    Konjunkturpolitisch dringend geboten wäre eine weitere Leitzinssenkung durch die Bundesbank. Diese sieht sich aber durch die hohe Inflationsrate und die Schuldenpolitik der Bundesregierung daran gehindert. Daß hier ein Dauerkonflikt zwischen Bundesregierung und Bundesbank auf dem Rücken von Bürgern und Wirtschaft ausgetragen wird, darf so nicht weitergehen, meine Damen und Herren.
    Deshalb: Sparen muß sein. Aber auch Sparen muß man mit Sinn und Verstand. Sie sparen leider am falschen Ende. Ihr Kürzungspaket ist sozial ungerecht und ökonomisch unvernünftig.

    (Beifall bei der SPD)

    „Den Schwachen ans Leder, die Starken geschont", sagte ein Kommentator. Und der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse hat es sogar einen „Brandsatz für den sozialen Frieden" genannt.
    Herr Finanzminister, Sie versuchen immer wieder, zu widerlegen, daß auch Ihr neues Kürzungspaket sozial ungerecht ist. Damit gehen Sie aber auf Dummenfang. Wie sind die Zahlen? Sie sagen z. B. in der „Süddeutschen Zeitung":
    Die 25 % der sogenannten Besserverdienenden unter den Steuerzahlern finanzieren über 50 % dessen, was geleistet werden muß.
    Sie verschweigen allerdings dabei, daß diese oberen 25 % auch mehr als 50 % aller Einkommen beziehen. Diese vollständigen Zahlen bestätigen die Gerechtigkeitslücke und widerlegen Sie, Herr Waigel.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Außerdem, Herr Waigel, unterschlagen Sie, daß Ihre Steuer- und Abgabenerhöhungen bei der Mineralölsteuer, der Heizölsteuer, der Erdgassteuer, der Tabaksteuer, der Telefonsteuer, der Versicherungssteuer, der Mehrwertsteuer, den Arbeitslosenversicherungsbeiträgen und nächstes Jahr bei den Rentenversicherungsbeiträgen die niedrigen Einkommen relativ viel stärker treffen als die hohen — übrigens alles Steuer- und Abgabenerhöhungen, von denen Sie vor der Wahl behauptet haben, sie würden nie und nimmer stattfinden, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Wie Sie Ihre Zahlen auch drehen und wenden, Herr Waigel, der ganz normale, gesunde Menschenverstand sagt einem doch: Ein Kürzungspaket, zu dem jemand wie der Bundeskanzler, der Finanzminister oder auch ich selbst mit meinem Einkommen nicht eine einzige Mark beisteuern muß, das aber Arbeitslose, Familien mit Kindern und Sozialhilfeempfänger



    Ingrid Matthäus-Maier
    zur Kasse bittet, kann doch nicht sozial gerecht sein.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste])

    Völlig unverständlich ist auch, daß diese Regierung angesichts einer Arbeitslosigkeit von Millionen Menschen so tut, als sei hier ein Heer von Faulpelzen, das man durch Leistungskürzungen zur Arbeit treiben müsse. 5 Millionen Arbeitssuchende bei nur 290 000 gemeldeten offenen Stellen — an diesen beiden Zahlen zeigt sich doch in aller Deutlichkeit, wie abwegig Ihre Unterstellung ist. Alle diejenigen, die — oft verzweifelt — Arbeit suchen und keine finden können, durch Kürzung des Arbeitslosengeldes zu bestrafen, für das sie ja schließlich Beiträge gezahlt haben, ist wirklich blanker Zynismus, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste])

    Mißbrauch muß selbstverständlich verhindert werden, auch im sozialen Bereich. Darauf haben die ehrlichen Steuer- und Abgabenzahler ein Recht.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und nichts anderes tun wir!)

    Aber sie haben ebenso ein Recht darauf, meine Damen und Herren, daß diese Bundesregierung endlich entschlossen gegen Steuerhinterzieher und Subventionsbetrüger vorgeht, zumal die Summen, um die es da geht, eine Vielfaches der Summen beim sozialen Mißbrauch ausmachen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Nicht zu übersehen ist auch, daß dieses Kürzungspaket überwiegend zu Lasten der Frauen geht; denn sie sind es, die ganz besonders von Arbeitslosigkeit betroffen und am stärksten auf Sozialhilfe angewiesen sind, vor allem in Ostdeutschland. Dort stellen Frauen fast zwei Drittel der Arbeitslosen und rund 60 % der Sozialhilfeempfänger. Nein, meine Damen und Herren, nach der Klage der CDU/CSU in Karlsruhe gegen die Fristenregelung beim § 218 und gegen die Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen jetzt auch das noch! Ich sage Ihnen: So lassen die Frauen nicht länger mit sich umspringen!

    (Beifall bei der SPD)

    Ihr Kürzungspaket ist nicht nur sozial ungerecht, es ist auch ökonomisch unvernünftig. Die Arbeitslosenunterstützung muß doch in den meisten Fällen vollständig für den Lebensunterhalt ausgegeben werden. Das Arbeitslosengeld im Westen beträgt im Durchschnitt 1 362 DM im Monat; Sie kürzen es um 80 DM. Im Osten liegt es bei 884 DM; Sie kürzen es um 52 DM. Wenn ein Arbeitsloser beim Kaufmann um die Ecke für 50 oder 80 DM weniger einkaufen kann, dann fehlt das an konjunkturwirksamer Nachfrage. Das summiert sich zu Milliarden. „Gift für die Konjunktur" hat der Einzelhandelsverband Ihr Paket genannt. Die Einzelhändler haben recht! Ihr Kürzungspaket ist auch wirtschaftspolitisch ein Rohrkrepierer!

    (Beifall bei der SPD)

    Das gleiche gilt für die Sozialhilfe. Bei einer Inflationsrate von über 4 % und einem durchschnittlichen Regelsatz von 515 DM im Monat bedeuten die Kürzungsmaßnahmen bei der Sozialhilfe einen Realeinkommensverlust von 12 DM in diesem Jahr und noch einmal 22 DM im nächsten Jahr. Da möchte ich die Kollegen von der Union an ein Schreiben des Kollegen Geißler vom Januar dieses Jahres erinnern, in dem er sagte:
    Einer alten Frau, die zusätzlich zu ihrer kleinen Rente noch einen Sozialhilfeanspruch hat, 15 oder 20 DM wegzunehmen, das wäre eine Schande.
    Meine Damen und Herren, Herr Geißler hat recht. Und deswegen fordern wir Sozialdemokraten ausdrücklich zusammen mit Herrn Scharping die unionsgeführten Länder auf, Ihrem unsozialen Kürzungspaket eben nicht zuzustimmen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ist Ihnen überhaupt bewußt, daß auch rund 800 000 Kinder von der Sozialhilfe leben müssen, in Großstädten bereits jedes elfte Kind? Kennen Sie denn nicht die Fälle, daß Kinder nicht an der Klassenfahrt teilnehmen können, weil dafür die Sozialhilfe nicht reicht? Wir wissen doch alle von dem Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit und Armut der Eltern und späterer Armut und Arbeitslosigkeit der Kinder. Diesen Kindern den Start ins Leben nun noch schwerer zu machen, das ist doch wirklich eine erbärmliche Politik.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Können Sie endlich aufhören, zu verallgemeinern?)

    Sie begründen die Kürzungen der Sozialhilfe mit dem sogenannten Abstandsgebot zwischen Arbeitseinkommen und Sozialhilfe. Aber der Grund dafür ist doch nicht, daß die Sozialhilfe verschwenderisch üppig ist. Der Grund liegt zum einen darin, daß in diesem Land teilweise noch beschämend niedrige Löhne und Gehälter gezahlt werden, zum anderen aber darin, daß die Bundesregierung durch den nach wie vor zu niedrigen Grundfreibetrag bei der Steuer von nicht einmal 1 000 DM im Monat den Menschen auch noch das Existenzminimum wegsteuert. Dreimal hat das Bundesverfassungsgericht Ihnen mittlerweile bescheinigt, daß Sie die Bürger und dabei vor allem die Familien mit Kindern verfassungswidrig zu hoch besteuern. Ich sage Ihnen: Eine Bundesregierung, die Arbeitseinkommen so sehr mit Steuern und Abgaben belastet, daß diese bis nahe an die Sozialhilfe heranrutschen, hat wirklich kein Recht, den geringen Abstand zwischen Sozialhilfe und niedrigen Löhnen zu beklagen. Das ist doch pure Heuchelei!

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste])

    Warum fordern wir denn immer die ökologische Steuerreform, mit der die Arbeitseinkommen steuerlich entlastet würden und der Energieverbrauch höher belastet würde?

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sie sind doch gegen Steuersenkungen! So ein erbärmliches Zeug!)




    Ingrid Matthäus-Maier
    Wären Sie unseren Vorschlägen gefolgt, dann wären die Nettolöhne höher

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Noch höher? Wo wollen Sie denn hin?)

    und gäbe es dieses Problem des fehlenden Abstands zur Sozialhilfe nicht.
    Statt dessen haben Sie uns jahrelang beschimpft, gleichzeitig aber die Mineralölsteuer um sage und schreibe 55 Pfennig je Liter erhöht, ohne damit die Lohn- und Einkommensteuer zu senken, wie wir es vorhatten. Das ist doch keine sinnvolle Reformpolitik; das ist Abkassieren zum Stopfen von Haushaltslöchern!

    (Beifall bei der SPD)

    Jetzt haben nicht nur die Umweltverbände, sondern auch der Bundesverband Junger Unternehmer eine ökologische Steuerreform gefordert. Ich finde das gut. Und wenn Sie heute hundertmal nein sagen — die ökologische Steuerreform wird kommen; denn sie ist notwendig.
    Der häufig geringe Abstand zwischen Sozialhilfe und niedrigen Arbeitseinkommen ist vor allem ein Problem von Familien mit Kindern, in denen oft das Arbeitseinkommen nicht ausreicht, um die Familie zu ernähren. Es ist schlimm genug, daß bei uns viele Familien dadurch in Armut geraten, daß sie Kinder bekommen. Aber geradezu aberwitzig ist es doch, deshalb dann auch noch den anderen Familien mit Kindern die Sozialhilfe zu kürzen. Daß bei uns Familien mit jedem Kind ärmer werden, ist doch nicht zuletzt das Ergebnis des kinderfeindlichen Familienlastenausgleichs, den diese Bundesregierung zu verantworten hat.

    (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wie sieht es denn in der übrigen Welt aus?)

    Wer kann denn eigentlich verstehen, daß über den steuerlichen Kinderfreibetrag hinaus Eltern mit niedrigen Einkommen für ihr Kind nur eine Entlastung von 65 DM im Monat erhalten, Eltern mit Spitzeneinkommen dagegen eine Entlastung von 181 DM im Monat, also fast dreimal soviel? Spitzenverdiener erhalten also für ihr Kind im Monat 116 DM mehr Entlastung als Niedrigverdiener. Dieser Unterschied soll nach den Plänen von Herrn Waigel, die er hier soeben vorgetragen hat, sogar auf mehr als 200 DM steigen.

    (Zuruf von der SPD: Unerhört!)

    200 DM mehr im Monat als Niedrigverdiener würde der Spitzenverdiener für sein Kind als Entlastung erhalten. So treiben Sie doch die Ungerechtigkeit wirklich auf die Spitze.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste])

    Sie weisen darauf hin, daß Sie bei Höherverdienenden jetzt das Kindergeld kürzen wollen. Das ist doch ein Ablenkungsmanöver. Denn an die eigentliche soziale Ungerechtigkeit, nämlich die ungerechten Kinderfreibeträge, gehen Sie nicht heran, weil Sie hoffen, daß die Menschen die Ungerechtigkeit hinter dem komplizierten Steuerwirrwarr nicht erkennen. Ihre Kürzungen setzen statt dessen bei den kinderreichen Familien an, während kinderlose Familien mit Bleichhohen Einkommen ungeschoren bleiben.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Verfassungsgerichtsurteil lesen!)

    Jetzt wollen Sie den kinderreichen Familien auch noch die Ermäßigung bei der Bundesbahn streichen, den sogenannten Wuermeling-Paß. Der Bundeskanzler rudert ja schon gerade zurück. Aber ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wo sind eigentlich Ihre Familien- und Ihre Jugendministerinnen? Die müßten sich doch schon längst schützend vor die Familien mit Kindern gestellt haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Unser Vorschlag lautet — ich wiederhole ihn —: 250 DM Kindergeld im Monat vom ersten Kind an für jedes Kind. Das ist ohne zusätzliche finanzielle Belastung für die Haushalte zu finanzieren, wenn der ungerechte steuerliche Kinderfreibetrag ersetzt und außerdem das Ehegattensplittung für hohe Einkommen begrenzt wird.
    Da das Ihnen so weh tut, wiederhole ich es. Sie wissen doch, daß ein Spitzenverdienerehepaar, auch wenn es keine Kinder hat, einen Splittingvorteil von bis zu 22 842 DM im Jahr hat, daß aber eine Niedrigverdienerfamilie mit einem Kind 14 Jahre braucht, um über Kinderfreibetrag und Kindergeld diese 22 842 DM zu erhalten, die das Spitzenverdienerehepaar ohne Kinder Jahr für Jahr für Jahr erhält. Das können wir doch wirklich nicht rechtfertigen. Ändern Sie das doch mit uns!

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste])

    Auch beim Wohnungsbau sind Reformen möglich, die nicht an knappen Kassen scheitern müssen, z. B. die steuerliche Förderung des Eigenheimbaus, bei der Bezieher höherer Einkommen, die doch eigentlich auf die Förderung gar nicht angewiesen sind, weil sie ohnehin bauen würden,

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wieso würden die ohnehin bauen?)

    ungefähr doppelt so viel an Förderung erhalten als Otto Normalverbraucher, der die Förderung doch ganz besonders braucht. Das ist wohnungspolitisch der blanke Unsinn.
    Werfen Sie endlich Ihre ideologischen Blockaden über Bord und greifen Sie unseren Vorschlag eines einheitlichen Förderbetrags für alle Häuslebauer auf! Die kleinen und mittleren würden dann mehr bekommen, und die großen würden weniger erhalten. Das alles läßt sich ohne zusätzliches Geld aufkommensneutral finanzieren. Das ist nicht nur gerechter, sondern es würden zusätzlich Zehntausende von Wohnungen gebaut, die dieses Land ja wohl dringend braucht.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    An Umschichten und Sparen kommt keiner vorbei. Wenn der Finanzminister aber jetzt bei seinem Kürzungspaket sagt, man müsse beim größten Ausgabenblock ansetzen, und das sei nun einmal der Sozialetat



    Ingrid Matthäus-Maier
    mit insgesamt 1 Billion DM, dann macht er es sich wirklich zu einfach. Das meiste davon ist doch durch eigene Beiträge finanziert. Da ist die gesamte Krankenversicherung drin. Und der größte Posten sind die Renten.
    Wenn Sie den Eindruck erwecken, als wäre da ein frei verfügbares Sozialvolumen von 1 Billion DM, dann fragt man sich: Haben Sie es vielleicht doch auf die Renten abgesehen? Sie leugnen das zwar jetzt. Aber wer so viele Steuerlügen hinter sich hat, der bricht auch andere Versprechen.

    (Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sie sind die bundesweit anerkannte Inkarnation der Wahrheit!)

    Wie wäre es, wenn Sie beim Sparen endlich vernünftig vorgingen? Greifen Sie doch unsere Vorschläge auf!
    Herr Waigel, Sie haben Herrn Wieczorek schlicht und einfach falsch zitiert.

    (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

    Herr Wiezorek hat gesagt, 20 bis 30 Milliarden DM könnte man auf der Ausgabenseite des Haushalts nicht sparen. Das ist selbstverständlich. Deswegen haben wir Ihnen ein Paket mit einer Mischung von Ausgabenkürzung, Abbau von Steuersubventionen und Bekämpfung der Steuerhinterziehung vorgelegt.
    Sie sagen, Sie hätten kein Geld. Aber Sie geben doch Geld für alles mögliche aus, was nicht sein muß. Sie haben Geld für 55 Staatssekretäre. Sie haben Geld in Höhe von 500 Millionen DM für Öffentlichkeitsarbeit und neue Hochglanzbroschüren. Sie haben Geld für die Raumfahrt: 122 Millionen DM mehr, als der Forschungsminister selbst beantragt hat. Sie haben Geld für Tierversuche. Sie haben Geld für den Kauf neuer Munition in Höhe von 1,3 Milliarden DM allein im nächsten Jahr. Sie haben Geld für den Bau neuer Kampfhubschrauber, obwohl die von der NVA übernommenen völlig ausreichen. Sie haben Milliarden für Steuersubventionen, für die Absetzbarkeit von Bewirtungsspesen, von Luxus-Pkw und, sage und schreibe, von Schmiergeldern. Sie haben Geld für milliardenschwere neue Vermögensteuersubventionen. Und Sie haben Geld in Höhe von mehreren Millionen Mark für die steuerliche Absetzbarkeit von Hausgehilfinnen für wohlhabende Familien mit zwei Kindern unter zehn Jahren, obwohl Otto Normalverbraucher nicht einmal seine mittlerweile hohen Kindergartenbeiträge von der Steuer absetzen kann.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    Und dann haben Sie auch noch so viel Geld, daß Sie den Solidaritätszuschlag für höhere Einkommen haben auslaufen lassen. Allein dadurch fehlen 30 bis 40 Milliarden DM. Milliarden für den Jäger 90, den Sie doch bestellen wollen, wollen Sie auch noch geben.
    Für all das haben Sie Geld. Wie können Sie es dann wagen, zu sagen, das Geld sei so knapp, daß Sie
    Arbeitslosen, Familien mit Kindern und Sozialhilfeempfängern in die Tasche greifen müssen?

    (Beifall bei der SPD)

    Außerdem: Was der Finanzminister Sparen nennt, ist zum erheblichen Teil wieder nur ein Verschiebebahnhof.

    (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Sehr richtig!)

    Sie sparen nicht nur zu Lasten der Schwachen, sondern auch auf Kosten der Kommunen. Sie schieben doch durch die Kürzungen beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe mindestens 4 Milliarden DM Belastungen einfach aus dem Bundeshaushalt auf die Städte und Gemeinden. Erst recht wird nicht gespart, wenn der Finanzminister das Schlechtwettergeld streicht

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist wahr!)

    und dann das Doppelte davon als Arbeitslosengeld an arbeitslose Bauarbeiter zahlen muß.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    Wer so handelt, bekommt die Arbeitslosigkeit nicht in den Griff, setzt den sozialen Frieden aufs Spiel und erweist dem Wirtschaftsstandort Deutschland einen Bärendienst.
    Nach dem neuesten Standortbericht der Bundesregierung muß der Wirtschaftsstandort Deutschland ja in einem schlimmen Zustand sein. Da muß ich doch einmal fragen: Wer hat denn dieses Land seit elf Jahren regiert und wirtschafts- und finanzpolitisch in diese schwere Krise geführt? Das ist doch Ihr Offenbarungseid.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU und der F.D.P.)

    Leider hat die Bundesregierung in ihrem Standortbericht wieder eine Chance vertan. Was Sie hier vorlegen, ist eher ein Warenhauskatalog, bei dem die Arbeitgeber alles bestellen können und die Arbeitnehmer alles bezahlen müssen. Können Sie uns z. B. erklären, wie Sie die dort angekündigten milliardenschweren Steuersenkungen zugunsten von Unternehmen angesichts einer Staatsschuld von 1,8 Billionen DM finanzieren wollen, ganz abgesehen von der sozialen Schlagseite?
    Man wird das Gefühl nicht los, daß die Bundesregierung die Rezession als Vorwand benutzt, um Umverteilung von unten nach oben zu betreiben und Arbeitnehmerrechte zu beschneiden.

    (Beifall bei der SPD)

    Wie kann man denn sonst auf die Schnapsidee kommen, bei der Pflegeversicherung die Kranken durch Karenztage für die pflegebedürftigen alten Menschen zahlen zu lassen? Wir Sozialdemokraten wollen eine Pflegeversicherung. Wir werden darüber mit Ihnen aber erst dann verhandeln, wenn Ihr unsozialer Vorschlag der Einführung von Karenztagen vom Tisch ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Weil Sie beim Stichwort Standort so gern auf Japan verweisen: Nachdem in Deutschland viele Manager-



    Ingrid Matthäus-Maier
    Behälter im Vorjahr zum Teil kräftig angehoben worden sind, schreibt „Die Zeit":
    Kein japanisches Unternehmen würde auch nur erwägen, die Vorstandsgehälter ( . . .) um zweistellige Prozentsätze zu erhöhen, wenn das Unternehmen gleichzeitig Mitarbeiter entlassen muß.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Wie lange müssen wir eigentlich noch warten, bis diese Bundesregierung nicht immer nur einseitig die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften zum Maßhalten auffordert, sondern endlich auch einmal die deutschen Manager?

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] — Zurufe von der CDU/CSU: Neue Heimat! — Lappas!)

    Wir brauchen endlich eine Bundesregierung, die die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, den Aufbau im Osten und die Zukunftssicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland in den Mittelpunkt ihrer Politik stellt:
    Erstens. Die GATT-Verhandlungen zur Sicherung eines freien Welthandels müssen erfolgreich abgeschlossen werden. Ich warne die Bundesregierung aber davor, den Franzosen jetzt neue Gelder zu versprechen, um damit deren Zustimmung zum GATT-Abschluß zu erkaufen. Das können wir uns bei aller Freundschaft mit Frankreich nicht leisten.

    (Beifall bei der SPD)

    Zweitens. Wir brauchen für unsere exportorientierte Wirtschaft wieder ein stabiles europäisches Währungssytem, wie es von Helmut Schmidt und Giscard d'Estaing geschaffen worden ist. Hören Sie endlich auf, mit Ihrer Schuldenpolitik der Störenfried in Europa zu sein, und machen Sie das EWS rasch wieder funktionsfähig!

    (Beifall bei der SPD)

    Drittens. Wir brauchen ein Zukunftsinvestitionsprogramm für den Aufbau der Infrastruktur in Ostdeutschland, und zwar schon ab 1994, versehen mit einer kommunalen Investitionspauschale, die sich in der Vergangenheit, wie wir wissen, bewährt hat.
    Wir brauchen, viertens, endlich das längst überfällige Entschädigungsgesetz. Die unselige Eigentumsregelung ist schon das Investitionshindernis Nummer eins in Ostdeutschland. Es darf nicht sein, daß durch die Unfähigkeit der Bundesregierung, sich auf eine Entschädigungsregelung zu einigen, auf die falsche Eigentumsregelung ein zusätzliches Investitionshindernis draufgepackt wird.
    Fünftens. Wir brauchen endlich den klaren Sanierungsauftrag für die Treuhandanstalt.

    (Beifall des Abg. Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD])

    Die im Solidarpakt vereinbarten 10,5 Milliarden DM ab 1995 zum Erhalt der industriellen Kerne in Ostdeutschland müssen wirklich bereitgestellt werden. In Ihrer Finanzplanung fehlen dazu aber bisher noch 3 Milliarden DM, Herr Waigel. Wenn es um Aufträge für die bayerische Rüstungs- und Raumfahrtindustrie
    geht, legen Sie immer noch Geld drauf. Die Menschen im Osten kommen sich da zu Recht verlassen und verschaukelt vor.

    (Beifall bei der SPD — Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Eine Unverschämtheit!)

    Wir Sozialdemokraten haben gestern beschlossen, die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses „Treuhandanstalt" zu beantragen.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Gegen alle Absprachen! Verantwortungslos bis zum Gehtnichtmehr!)

    Dieser Untersuchungsausschuß soll prüfen, ob und inwieweit durch Fehler der Bundesregierung oder der Treuhandanstalt Arbeitsplätze in Ostdeutschland vernichtet worden sind, obwohl sie hätten gerettet werden können. Meine Damen und Herren, was haben Sie eigentlich dagegen? Wenn Sie so sicher sind, daß nichts war, dann müßten Sie mit uns zusammen für diesen Untersuchungsausschuß sein.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Verantwortungslos bis zum Gehtnichtmehr!)

    Außerdem: Kümmern Sie sich weiter um den Waggonbau in Ammendorf! Wie Sie das notwendige Finanzierungsinstrument nennen, ist mir egal. Aber daß wir für die nach Aussage der Treuhandanstalt modernste Waggonfabrik Europas Zeit kaufen müssen, bis sie auf eigenen Beinen stehen kann, muß doch selbstverständlich sein.

    (Beifall bei der SPD)

    Überhaupt scheint es der Bundesregierung ganz recht zu sein, wenn die Treuhand Blitzableiter für die Fehler der Bundesregierung ist.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: So ist es!)

    Nehmen Sie doch nur Bischofferode: Wenn es Herr Waigel als Fach- und Rechtsaufsicht der Treuhand nur gewollt hätte, könnte doch der Kali-Fusionsvertrag mit seiner umstrittenen Konkurrenzausschlußklausel längst dem Treuhandausschuß offengelegt worden sein. Wer das nicht tut, der sät Mißtrauen. Wir Sozialdemokraten haben deshalb eine Sondersitzung des Treuhandausschusses beantragt. Wir werden da nicht lockerlassen.

    (Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sie reden wie die Gewerkschaft! Sie machen hier eine Kundgebung!)

    Sechstens. Wir müssen in Bildung und Ausbildung mehr investieren. Einer unserer wichtigsten Standortfaktoren ist die Qualifikation und Motivation unserer Menschen. Dazu gehört, daß alle Jugendlichen in Ostdeutschland einen Ausbildungsplatz erhalten. Herr Bundeskanzler, Sie stehen da im Wort. Wir werden nicht lockerlassen. Es darf nicht sein, daß die erste Erfahrung von Jugendlichen mit der Arbeitswelt die Arbeitslosigkeit ist.

    (Beifall bei der SPD)




    Ingrid Matthäus-Maier
    Notwendig ist auch, daß junge Menschen wieder verstärkt in Handwerksberufen eine Chance sehen. Damit läßt sich aber nicht vereinbaren, daß diese Bundesregierung die Aufstiegsfortbildung im Handwerk streicht.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Siebtens. Wir brauchen mehr Investitionen in Zukunftstechnologien und eine grundlegende Modernisierung unserer Wirtschaft.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir müssen deutlich mehr für Forschung und Technologie tun, z. B. für neue Umwelttechniken, für Energieeinsparung und erneuerbare Energien, für Informations- und Kommunikationstechnologien und für neue Werkstoffe.

    (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Und wie macht ihr das?)

    Es ist deshalb ein Fehler, daß die Bundesregierung den Forschungshaushalt kürzt.
    Wenn Sie schon nicht auf uns hören, dann hören Sie wenigstens auf den Ministerpräsidenten von BadenWürttemberg, der Ihre Politik wörtlich als forschungspolitische Bankrotterklärung bezeichnet hat. Wo Herr Teufel recht hat, da hat er recht.

    (Beifall bei der SPD)

    Achtens. Die Debatte über die Länge der Arbeitszeit muß endlich vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Angesichts von fünf Millionen Arbeitsuchenden ist es doch völlig abwegig, eine allgemeine Verlängerung der Wochenarbeitszeit zu fordern. Die Arbeitslosigkeit würde doch nur noch steigen.
    Was wir statt dessen brauchen, sind längere Maschinenlaufzeiten, damit sich kapitalintensive Investitionen besser rentieren. Ich frage mich allerdings, warum die Unternehmen die kurzen Maschinenlaufzeiten beklagen, wenn sie gleichzeitig die vorhandenen tarifvertraglichen Flexibilisierungsmöglichkeiten nicht ausreichend nutzen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Das ist der entscheidende Punkt!)

    Neuntens. Wir müssen es endlich fertigbringen, daß Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, die an einer Stelle überflüssig geworden sind, nach Umschulung und entsprechender Qualifizierung an anderer Stelle weiterbeschäftigt werden.
    Es fehlen Zehntausende von Menschen bei der Polizei, bei der Finanzverwaltung, bei den sozialen Diensten und bei der Jugendarbeit. Da ist es doch absurd, in immer neuen Wellen öffentlich Bedienstete auf Kosten der Steuerzahler, vielleicht noch mit einem „goldenen Handschlag", wie Sie es bei der Bundeswehr gemacht haben, in den vorzeitigen Ruhestand zu schicken.

    (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Was hätten Sie denn anders gemacht? — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Heiße Luft!)

    — Wir können gerne darüber sprechen. Stellen Sie eine Zwischenfrage!
    Zehntens. Wir müssen Arbeitslosigkeit und dürfen nicht die Arbeitslosen bekämpfen. Dazu brauchen wir für längere Zeit einen zweiten Arbeitsmarkt.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Kürzen Sie daher nicht ständig bei den Maßnahmen für Arbeitsbeschaffung, Qualifizierung und Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Trostlos!)

    Es ist doch ein Treppenwitz unserer Industriegesellschaft, daß Millionen Menschen arbeitslos sind und gleichzeitig Arbeit in Fülle unerledigt bleibt.
    Dabei wird oft vergessen: Sinnvolle Arbeit kostet kaum mehr als Arbeitslosigkeit. Nimmt man hinzu, daß vor allem Langzeitarbeitslosigkeit ein schweres persönliches Schicksal ist und daß Massenarbeitslosigkeit nicht zuletzt ein gefährlicher Nährboden für Rechtsradikalismus, wachsende Gewaltbereitschaft und Ausländerfeindlichkeit ist, dann wird klar: Das Finanzieren von Massenarbeitslosigkeit statt sinnvoller Arbeit ist doch die gefährlichste und unsinnigste volkswirtschaftliche Verschwendung, die man sich überhaupt vorstellen kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Elftens. Wir brauchen wieder Wachstumsraten in der Wirtschaft statt Wachstumsraten bei der Kriminalität.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir müssen endlich die öffentliche Sicherheit in Deutschland wiederherstellen, die während Ihrer Regierungszeit, Herr Bundeskanzler, verlorengegangen ist. Der Bundesinnenminister selbst hat doch erst neulich vor einer Gefährdung des Wirtschaftsstandortes Deutschland durch Kriminalität und Extremismus gewarnt.
    Wir müssen dafür sorgen, daß die organisierte Kriminalität unser Gemeinwesen nicht korrumpiert. Im Moment ist die Bundesrepublik Deutschland der Hauptanziehungspunkt für internationales Drogengeld, weil die Bundesregierung die längst überfällige Umsetzung der EG-Richtlinie gegen Geldwäsche verschleppt. Es muß Schluß damit sein, daß dieser Bundesregierung die Geschäftsinteressen von Banken und Anwälten wichtiger sind als der Schutz unserer Kinder vor der Drogenmafia.

    (Beifall bei der SPD)

    Zwölftens. Wir müssen den sozialen Frieden in unserem Lande bewahren. Er war stets ein entscheidender Standortvorteil Deutschlands. Die einseitige Belastung der kleinen Leute bei der Finanzierung der deutschen Einheit, die Kürzung bei der Arbeitslosenunterstützung, die Verarmung von Familien mit Kindern, Ihr ständiges Fummeln an Karenztagen und beitragsbezogener Rente, das alles verhärtet das soziale Klima nicht nur in der Politik, sondern bis in die Gesellschaft und in die Betriebe hinein.
    Herr Bundeskanzler, Sie sollten doch der Bundeskanzler aller Bürger und nicht einzelner Interessengruppen sein!



    Ingrid Matthäus-Maier
    In der Politik der Bundesregierung muß endlich sichtbar werden, was der Ausdruck der friedlichen Revolution vom Herbst 1989 war: Wir sind ein Volk! Bei uns wird nicht der eine gegen den anderen ausgespielt, sondern wir alle zusammen versuchen, solidarisch gemeinsam die Krise zu überwinden.

    (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Ausgerechnet Sie müssen das sagen!)

    Dann werden wir auch die Politikverdrossenheit überwinden.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber nicht mit Ihnen!)

    Gewiß kann die Politik nicht alles. Aber sie kann mehr, als diese Bundesregierung bringt.
    Deswegen brauchen wir einen Neuanfang.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD — Beifall des Abg. Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] — Zuruf von der CDU/ CSU: Das war eine Zumutung!)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächster spricht der Kollege Adolf Roth.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Jetzt beginnt die Aussprache über den Bundeshaushalt!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Adolf Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht; ich jedenfalls hatte den Eindruck, der Bundesfinanzminister hätte eine fundiertere und bessere Antwort auf seine bemerkenswerte Einbringungsrede verdient

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])

    als das, was die Kollegin Matthäus-Maier hier abgeliefert hat.

    (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Heiße Luft war das alles!)

    Sie haben zwölf Punkte in einem gemischten Katalog mit Ihrer bekannten Verve agitatorisch hier vorgebracht. Worauf wir alle gewartet hatten — denn wir haben heute früh die Zeitung gelesen —, das waren die 17 Thesen der SPD für die Konjunktur, das neue Wirtschaftskonzept der SPD, der Abschied vom Kurs der siebziger Jahre. Darauf sind Sie uns jede Antwort schuldig geblieben. Wir haben nur Wiederholungen gehört.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die alte Leier!)

    Wir würden Ihnen ja abnehmen, Frau Kollegin Matthäus-Maier, daß Sie vieles politisch geändert wissen wollen. Sie müßten uns bloß sagen, wie Sie das machen wollen, mit welcher Zielrichtung, mit welchem Gesamtkonzept, und mit welchem Geld das Ganze bezahlt werden soll.
    Ich bin sehr gespannt darauf, was die Haushaltfachpolitiker Ihrer Fraktion hier im Plenum an Anregungen in dieser Generalaussprache vorzutragen haben. Sie haben ja kaum zum Bundeshaushalt geredet.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es! Sie hat ihn gar nicht gelesen! — Ingrid MatthäusMaier [SPD]: Doch!)

    Ich bin sehr gespannt, ob sich die Fachpolitiker ihrer Fraktionen — und Kollege Wieczorek wurde ja aus höchstem Munde hier lobend hervorgehoben — in dieser vorgegebenen politischen Linie überhaupt, und sei es nur in Rudimenten, wiederfinden können. Das wäre doch zumindest der Ansatzpunkt für eine konstruktive Aussprache gewesen.
    Dies war mit Blick auf die Rede von Theo Waigel der klassische Fall einer politischen Unterforderung. Er hat Ihnen die Antwort gegeben, bevor Sie überhaupt geredet hatten. Ich denke, damit ist auch aus unserer Sicht

    (Detlev von Larcher [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

    wiederum die Linie politisch eindeutig begradigt.
    Die Zeiten haben sich geändert. Sie werden bei aller Schwierigkeit der Probleme den Bundesfinanzminister mit dem, was Sie hier vorzubringen haben, nicht aus der Fassung bringen und ihn erst recht nicht politisch aus dem Amt treiben. Sie sind vielleicht darüber frustriert, daß Sie nicht hier oben auf der Regierungsbank sitzen dürfen, aber ich bin nicht ganz sicher, ob Sie überhaupt von Ihrer eigenen Partei dazu eine Chance bekommen werden.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Mach dir doch nicht unsere Sorgen!)

    Die Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik in Deutschland befindet sich derzeit in ihrer kritischsten Phase seit langem. Eine Gemengelage von Rezession, vereinigungsbedingtem Finanzbedarf und strukturellen Belastungen und Herausforderungen des Standorts Deutschland zwingt uns alle — und das ist eine parlamentarische Gesamtverantwortung — zur durchgreifenden Entscheidung bis November.

    (Vorsitz : Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)

    Der Bundeshaushalt 1994 ist dabei der Kern eines weitreichenden, in sich schlüssigen, aufeinander abgestimmten Gesetzgebungspakets, das die klare Handschrift des Bundesfinanzministers Theo Waigel trägt, aber auch den klaren politischen Willen zeigt, gemeinsam in den Koalitionsfraktionen und den beteiligten Gruppen den Weg zu einer konjunkturpolitischen Wende, zu einer Politik für mehr Aufschwung und mehr Wachstum in Deutschland einzuschlagen. Dies ist ein Haushaltswerk der stabilitätspolitischen Verantwortung und ein Spar- und Konsolidierungsprogramm für Wachstum und Arbeitsplätze.
    Der eingeschlagene Weg ist sicher nicht bequem, aber es gibt zu ihm keine vernünftige Alternative. Deshalb unterstützen wir ihn.
    Mit seinem eng begrenzten Ausgabenanstieg auf 478 Milliarden DM und der ehrgeizigen Eindämmung der strukturellen Haushaltsdefizite um über 21 Milliarden DM stärkt der Bundeshaushalt 1994 den durch



    Adolf Roth (Gießen)

    alle fundierten Prognosen gestützten realen Wachstumsspielraum von 1 bis 2 % im nächsten Jahr. Dies ist das eigentliche Kernanliegen unserer Politik. Wir wollen durch Konsolidierung und über strikte Ausgabenbegrenzung Vertrauen festigen und neue Leistung mobilisieren. Das beste Konjunkturprogramm — das sollte eigentlich auch die SPD mittlerweile begriffen haben —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das begreift sie nie!)

    ist politische Verläßlichkeit, ist marktwirtschaftliche Zuverlässigkeit und ist Zielklarheit in der Politik. Dem dient dieses Gesamtpaket, das heute hier zur Diskussion steht.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Die Reduzierung von Staatsdefiziten behindert nicht wirtschaftliches Wachstum, sondern im Gegenteil: Diese Reduzierung von Defiziten fördert den wirtschaftlichen Aufschwung.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

    Wir haben dies auch in den 80er Jahren nachhaltig empirisch unter Beweis gestellt.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Die Konsolidierungspolitik verstärkt nicht die Nachfrageschwäche der Wirtschaft, sondern sie führt ganz im Gegenteil zu positiven Vertrauenseffekten. Die Deutsche Bundesbank argumentiert wiederholt in diesem Jahr genau in diese Richtung, und ich denke, sie liegt mit dieser Einschätzung in der Sache auch richtig. Nachfrageschwäche ist vor allem eine Folge von Unsicherheit. Der Aufschwung beginnt im Kopf der wirtschaftlichen Akteure, und er hat sehr viel mit stabilen wirtschaftlichen Erwartungen zu tun. Diese Erwartungen zu stärken ist Ziel einer soliden Haushaltspolitik.

    (Detlev von Larcher [SPD]: So, wie Sie sie machen?)

    — Ja, genau in diese Richtung. Ich bedanke mich für die freundliche Bestätigung.

    (Detlev von Larcher [SPD]: Deswegen ist die Situation so schlecht!)

    Die jüngst ausgesprochene Mahnung der Deutschen Bundesbank, nun auch in den Beratungswochen im Deutschen Bundestag den Einsparschwerpunkt auf der Ausgabenseite des Bundeshaushalts nicht aufzuweichen, muß ernstgenommen werden. Es hat ja im Frühjahr einige Kritik daran gegeben, daß wir 10 Milliarden DM eingespart haben, aber mit Blick auf 1995 und die Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs auch gezwungen waren, Einnahmeverbesserungen in Form von Steuererhöhungen zu beschließen. Dies war kein Konjunkturimpuls im klassischen Sinne. Um so wichtiger ist es, daß jetzt durch dieses Spar- und Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm eine wichtige und notwendige Ergänzung erfolgt. Es gibt keinen anderen Weg. Höhere Steuern und eine noch stärkere Verschuldung würden uns in die Sackgasse führen.
    Die Entwicklung an den internationalen Devisenmärkten unterstreicht im übrigen das grundlegende Vertrauen in die Deutsche Mark und die deutsche Finanzpolitik. Die Anleger trauen Deutschland einen konjunkturellen Aufschwung bei sinkenden Preissteigerungsraten zu. Dieses Vertrauen ist auch wichtig für eine weitere Absenkung der nationalen Zinsen, und demzufolge brauchen wir die aufeinander abgestimmte Geld- und Finanzpolitik, denn sie eröffnet der Bundesbank die Zinssenkungsspielräume, die sie seit Juli auch mit Erfolg nutzt.
    An die Haushaltspolitiker des Parlaments richten sich in dieser Situation naturgemäß große Erwartungen. Die wichtigste ist, ob es uns gelingt, den Ausgabenanstieg von 1994 bis 1997 auf durchschnittlich 3 zu begrenzen, weil wir nur so unser ehrgeiziges Ziel erreichen können, das Finanzierungsdefizit des Bundeshaushalts wieder auf die angestrebte Zielmarke unter 40 Milliarden DM — das ist dann, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, 1 % — herunterzudrücken.
    Meine Damen und Herren, es ist der politische Wille von CDU/CSU und F.D.P., diese Politik zum Erfolg zu bringen, und deshalb unterstützen wir das Spar- und Wachstumsprogramm. Wir werden es über die parlamentarischen Hürden bringen. Qualitative Verbesserungen im Einzelfall sind möglich. Sie unterliegen der parlamentarischen Beratung und Beschlußfassung. Es darf aber nicht zu irgendeiner quantitativen Einschränkung dieses Pakets kommen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir werden darüber hinaus im Haushaltsverfahren sämtliche Ansätze überprüfen und jeden sich bietenden Spielraum für zusätzliche Einsparungen bei den Ressorts selbstverständlich nutzen, wie dies unser Auftrag als Parlament ist. Das mag im Einzelfall weh tun; wir wissen das. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erwarten aber mit Recht, daß in Zeiten der um sich greifenden Finanzknappheit der Staatsverbrauch im engeren Sinne besonders scharf unter die Lupe genommen wird.
    Daß dies kein leeres Wort ist, beweist schon der Regierungsentwurf; denn das Kapitel Verwaltungsausgaben weist für 1994 keinerlei Steigerungsraten auf. Ganz im Gegenteil: Sein Anteil am Gesamthaushalt sinkt sogar deutlich auf 5,9 %. Dies ist vor allem die logische Konsequenz einer strikten Politik begrenzter Personalausgabensteigerungen. Hierzu gehört die angekündigte Besoldungs-Nullrunde für den öffentlichen Dienst und natürlich auch die wiederum 1 %ige Absenkung des Personalbestandes des Bundes, so wie wir uns im Solidarpakt gegenüber den anderen Gebietskörperschaften politisch festgelegt haben. Wir werden in den drei Jahren 1994, 1995 und 1996 über 11 000 Stellen im Bundeshaushalt einsparen. Wir fordern die Länder und die Gemeinden dazu auf, eine gleichwertige Einsparung durch angemessene personalwirtschaftliche Maßnahmen herbeizuführen, wie das vom Bund vorexerziert wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, nicht nur herumzujammern!)




    Adolf Roth (Gießen)

    Dazu haben sich Länder und Gemeinden auch verpflichtet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Diese Zusage muß natürlich in Besonderheit auch in den neuen Bundesländern eingehalten werden. Denn es kann nicht hingenommen werden, daß die Personaldichte der neuen Bundesländer im Vergleich zu den westlichen Bundesländern heute weit überproportional ist. Wir müssen dort zu einer deutlichen Reduzierung kommen. Andernfalls können die Anpassungsgeschwindigkeiten in der Einkommens- und Besoldungspolitik in den neuen Bundesländern und ihren Gemeinden so nicht eingehalten werden.
    Meine Damen und Herren, die Rotstiftpolitik des Bundes bringt 1993 über globale Sperren und Kürzungen neben den anderen beschlossenen Sparmaßnahmen eine Zusatzeinsparung von 1,8 Milliarden DM. Wir wollen in den Ausschußberatungen die Möglichkeiten ausschöpfen, auch für 1994 ein entsprechendes Sparresultat zu erzielen, und zwar durch gezielte Einzelkürzungen, weil diese allemal sinnvoller sind als globale Sparmaßnahmen über Haushaltssperren. Sämtliche Ausgabepositionen müssen demgemäß scharf unter die Lupe genommen und überprüft werden.
    Unsere Konsolidierungsmaßnahmen dienen dem Ziel, den Staatsaufwand soweit abzuspecken, daß sich die rezessionsbedingten überhöhten Staatsdefizite nicht in der Phase der gesamtwirtschaftlichen Wiederbelebung verfestigen können.
    Wir wissen, daß vor allem die Sozialeinsparungen beim Bund und bei der Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von immerhin 16 Milliarden DM — verglichen mit dem heute noch geltenden Recht — am schwierigsten durchzusetzen sind. Sie stehen im Zentrum der innenpolitischen Diskussion. Ich habe mich über Ihre oberflächliche Betrachtungsweise gewundert, Frau Kollegin Matthäus-Maier;

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die ist immer so!)

    Sie telefonieren jetzt auch wieder. Denn, meine Damen und Herren von der Opposition, das war 1982 beim 13-Milliarden-Sparpaket der SPD-Regierung von Helmut Schmidt, den Sie so hervorgehoben haben,

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Den hätten Sie auch gern!)

    überhaupt nicht anders. 13 Milliarden DM Einsparung, davon 7 Milliarden DM allein bei der Bundesanstalt für Arbeit, Absenkung des Unterhalts- und Übergangsgeldes bei der beruflichen Bildung, Einschränkung der ABM-Förderung, Kürzung des Kindergeldes ohne Berücksichtigung von Einkommensgrenzen, Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Ich könnte die Liste fortsetzen. 35 Einzelmaßnahmen für insgesamt 13 Milliarden DM Ausgabensenkungen und 3 Milliarden DM Einnahmeverbesserungen! Ich frage mich bei Ihren Reden ernsthaft, ob Ihnen das alles eigentlich noch bewußt und in Erinnerung ist.
    Im Finanzbericht 1982 von Finanzminister Hans Matthöfer hieß es damals lapidar zur Begründung:
    Ziel dieser Maßnahmen ist es, in Zeiten einer ungünstigen Entwicklung des Arbeitsmarktes die Arbeitsförderung funktionsfähig zu erhalten, sie auf die besonderen arbeitsmarktpolitischen Bedürfnisse auszurichten und den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit besondere Rechnung zu tragen.
    Und an anderer Stelle:
    Bei dieser Operation sind Eingriffe in Leistungsgesetze unvermeidbar.
    Das war 1982, Helmut Schmidt und Hans Matthöfer.
    Ich fordere Sie ernstlich auf, Ihre Argumentationslinie wirklich im Sinne politischer Glaubwürdigkeit zu überprüfen

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das wollen sie doch gar nicht!)

    und sich mit Sachverstand in die Diskussion, in die Ausschußberatungen der nächsten Wochen einzuschalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Was damals möglich war, geschah lange vor der Wiedervereinigung. Wir müssen über den Bundeshaushalt im nächsten Jahr 119 Milliarden DM für die Finanzierung in den neuen Bundesländern aufwenden. Wir stehen als Koalition zu den Sparbeschlüssen, so schmerzlich sie sind, weil eine nachhaltige Haushaltsentlastung ohne Ausgabekürzungen im wachstumsdynamischsten Bereich — das sind nun einmal die sozialen Transferleistungen — in der Sache nicht möglich ist.
    Trotz dieser Eingriffe behalten die Sozialausgaben im Bundeshaushalt 1994 ihre traditionelle Spitzenposition, wo sie mit einem Anstieg auf 168 Milliarden DM — immerhin eine Gesamtquote von rund 35 % — die absolute Spitzenstellung einnehmen.
    Bezogen auf das Jahr 1982 hat sich das deutsche Sozialbudget auf mittlerweile über 1 000 Milliarden DM mehr als verdoppelt. Dies ist eine Spitzenstellung in der gesamten Welt, 1,5 % davon beträgt nun das Gesamtausmaß der leistungsgesetzlichen Einschränkungen. Ich sage das nicht zum Schönreden und Schönrechnen, sondern einfach, um die Proportionen richtigzustellen.
    Ich möchte an dieser Stelle einmal Gerhard Hennemann von der „Süddeutschen Zeitung" zitieren, der am 12. August dieses Jahres treffend kommentiert hat:
    Wer ... behauptet, daß mit den im internationalen Vergleich relativ geringfügigen Abstrichen an verschiedenen Lohnersatzleistungen bereits für große Gruppen der Gesellschaft der Weg in ein menschenunwürdiges Dasein eingeschlagen werde, der ist ein Sozialromantiker und legt keinen Wert darauf, auch als Finanzpolitiker ernst genommen zu werden.
    Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich möchte die sozialdemokratischen Kollegen Frau Matthäus-Maier und Joachim Poß bei ihrer aktuellen



    Adolf Roth (Gießen)

    Oppositionspolemik eigentlich darum bitten, dies einmal mit in Betracht zu ziehen, denn vor genau drei Monaten, am 8. Juni, haben sie in einer Presseerklärung noch verlangt:
    Wer die konjunkturpolitische Handlungsfähigkeit des Staates wiederherstellen will, muß jetzt mit der Konsolidierung beginnen.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sage ich doch!)

    Es ist klar, daß es bei der Haushaltssanierung keine Tabus geben darf.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ist doch gut!)

    Wenn Sie solche wohlklingenden Botschaften und Ankündigungen bringen, dann hätte ich erwartet, daß Sie heute auch einen strikten Katalog Ihrer eigenen Vorstellungen dem Hohen Haus vorgelegt hätten.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Joachim Hörster [CDU/CSU]: Sie hat gerade telefoniert! — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Den habe ich doch vorgelegt!)

    Bei dem propagandistischen Tremolo Ihrer Agitation haben Sie heute zum allererstenmal seit zehn Jahren den Jäger 90 weggelassen.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nein, der war drin!)

    — Der war drin? Ich habe nur die Hubschrauber und die Munitionsbeschaffung aufgenommen.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie beleidigen mich!)

    Ich sage Ihnen: Mit dieser Argumentationslinie überzeugen Sie nicht einmal mehr Ihre eigenen Kollegen und Fachpolitiker in der Fraktion.

    (Zuruf von der SPD: Doch, doch!)

    Denn der Verteidigungshaushalt wird 1994 deutlich auf 48,6 Milliarden DM nach 52,2 Milliarden im Jahr 1992 abgesenkt.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: 1,6 Milliarden!)

    Sie wissen, daß er in Ihrer Regierungszeit knapp 20 % des Haushalts ausgemacht hat. Im nächsten Jahr werden es genau 10 % des Bundeshaushalts sein. Das ist schon ein sichtbarer Unterschied.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Ingrid MatthäusMaier [SPD]: Da war der Kalte Krieg!)

    Im übrigen ist der Haushaltsobmann der SPD angemessen gewürdigt worden. Wir loben uns untereinander immer, wenn sich irgendeine Möglichkeit dazu bietet, und das kommt auch vor.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Es lobt Sie ja sonst niemand!)

    Da gibt es für uns auch keine Schranke zur Opposition.
    Ich wünschte, wir könnten Sie bei Ihren Vorschlägen
    auch einmal für etwas mehr Vernunft in der deutschen Finanzpolitik loben.

    (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das versteht keiner!)

    Weil der Minister aus der „Frankfurter Rundschau" zitiert hat, sollte ich Ihnen nicht vorenthalten, wie die Überschrift dieses schönen Artikels gewesen ist: „Wenn Lafontaine mit dem Hut die Sparideen der SPD einsammelt" . Im Text heißt es dann sehr knapp: „Die Ausbeute war leider mager. " Um so mehr warten wir nun gespannt auf das Feuerwerk von Ideen, das morgen der neue Parteivorsitzende der SPD, der sich ja eine angemessene Redezeit hat reservieren lassen, vor dem Hohen Haus ausbreitet. Ich hoffe, es werden nicht nur schön verglühende Raketen sein, sondern ernsthafte, tragfähige Ideen, mit denen wir etwas anfangen können.

    (Detlev von Larcher [SPD]: Es liegen Ihnen doch schriftlich Vorschläge vor!)

    Meine Damen und Herren, auch beim Stichwort Subventionsabbau argumentiert die Opposition an den Tatsachen vorbei. Die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes wird durch den deutlichen Subventionsabbau — im Westen immerhin 11 % in diesem Jahr — und durch zusätzliche Ausgaben, allerdings für die neuen Bundesländer, geprägt. 1994 geht die Hälfte der Finanzhilfen in die neuen Länder, während es bisher nur 38 % — oder immerhin 38 % gewesen sind.
    Ohne den zusätzlichen Bundesanteil von 2,35 Milliarden DM für die Wohnungsbaualtschulden wären 1994 die öffentlichen Finanzhilfen des Bundes um 1 Milliarde DM zurückgegangen. Diesen Sonderfaktor muß man sehen und sollte ihn nicht verschweigen.
    Mittelfristig sieht der Finanzplan bis 1997 einen deutlichen Abbau der Finanzhilfen vor. Wir wollen im Westen die Subventionen auf 8,4 Milliarden DM abbauen. Wenn die notwendige Umstrukturierung der ostdeutschen Wirtschaft abgeschlossen sein wird, müssen auch dort die hohen Übergangssubventionen zurückgeführt werden.
    Subventionsabbau bleibt gerade für diese Koalition eine politische Daueraufgabe. Sie ist nicht vorrangig am Ziel der kurzfristigen Haushaltsentlastung orientiert, sondern hat ordnungspolitisch qualitativ eine ganz andere Dimension.
    Das gleiche gilt natürlich auch für die Steuervergünstigungen des Bundes. Wir haben immer gesagt: Lieber niedrige Steuertarife ohne viele Ausnahmetatbestände als überhöhte Steuertarife mit vielen Schlupflöchern! 38 Milliarden DM sind seit 1990 bereits im steuerlichen Subventionsabbau eingespart worden. Durch Eindämmung von Mißbräuchen, durch die Einführung von Einkommensgrenzen für bestimmte Sozialtransfers — ich nenne das Kindergeld und das Erziehungsgeld — werden wir auf diesem politischen Weg auch konsequent fortfahren.
    Das Konsolidierungspaket beschränkt sich nicht auf die Haushaltssicherung. Daneben ist beschlossen, eine ganze Reihe von Maßnahmen dem Ziel eines



    Adolf Roth (Gießen)

    verstärkten Wachstums und einer Beschäftigungsförderung zuzuordnen.

    (Detlev von Larcher [SPD]: Ich denke, das soll erst beschlossen werden!)

    Neben dem Standortsicherungsgesetz und dem neuen Arbeitszeitgesetz mit seinen neuen Flexibilisierungsmöglichkeiten möchte ich hier nur beispielhaft erwähnen, daß der Bund seine produktiven Investitionen in wichtigen Bereichen im kommenden Jahr verstärken wird. Auch hier geht der Löwenanteil von etwa 50 % in die neuen Bundesländer. Darüber hinaus werden die Investitionsausgaben des Bundes 1994 auch bewußt auf die erste Jahreshälfte vorgezogen. Wir werden die Planungsverfahren beschleunigen, und wir werden den Weg freimachen für eine Erleichterung der Aufbauinvestitionen in Deutschland.
    Wir fordern, daß aber auch die Gebietskörperschaften diesem Beispiel des Bundes Rechnung tragen und in ihren Verantwortungsbereichen Gleiches tun.

    (Detlev von Larcher [SPD]: Ich hoffe, besser als die Bundesregierung!)

    Meine Damen und Herren, ohne zu handeln hätten wir beim Bund bald Defizite im dreistelligen Milliardenbereich. Nach den bereits beschlossenen Steuererhöhungen von immerhin, auf 1995 gerechnet, 65 Milliarden DM seit 1990 und den absehbaren zusätzlichen Abgabebelastungen von etwa 50 Milliarden DM wird alles zusammen 1995 zu einer dramatisch hohen staatlichen Abgabequote von 44,5 % führen.
    Neben diesen Maßnahmen muß deshalb der eindeutige Schwerpunkt unserer Politik jetzt und in den kommenden Haushaltsjahren eindeutig bei den Ausgabekürzungen liegen. Sie machen im vorliegenden Haushaltsentwurf einschließlich des Spar- und Wachstumspaketes vom 13. Juli 1993 bereits 90 % aus. Sie entlasten damit die öffentlichen Haushalte in den Jahren bis 1996 um rund 100 Milliarden DM.
    Dieser Sparkurs manifestiert sich auch in der Entwicklung der Einzelpläne der Ministerien. Die meisten von Ihnen — der Finanzminister hat darauf hingewiesen — haben im kommenden Jahr real eine negative Steigerungsrate. Andere wichtige Einzelpläne schrumpfen sogar nominal.
    Wo es dennoch bestimmte Steigerungsraten gibt, die ins Gewicht fallen, stecken dahinter ausschließlich Sonderfaktoren. Ich nenne die Bahnreform mit 8,5 Milliarden DM, die den Plafonds des Verkehrshaushaltes ausweitet. Ich nenne die Altschuldenhilfe für den Wohnungsbau Ost, die sich im Etat des Wohnungsbauministers niederschlägt.
    Größter Einzelplan bleibt mit 122 Milliarden DM und einer neuerlichen Steigerung von fast 2 % aber der Haushalt des Arbeits- und Sozialministers. Ich denke, damit werden wir gerade in dieser schwierigen Situation unserer sozialpolitischen Verantwortung gerecht, insbesondere auch im Zusammenhang mit den hohen gesetzlichen Rentenzuschüssen, die aus dem Bundeshaushalt erbracht werden müssen.
    Der Aufwuchs des Gesamthaushaltes ist knapp genug: 2,6 % netto, 4,4 %, wenn die Bahnreform mit eingerechnet wird. Dahinter — das muß man offen ansprechen — verbergen sich keinerlei operative Möglichkeiten für neue politische Maßnahmen. Wir müssen mit Minizuwachsraten zurechtkommen, insbesondere weil wir im nächsten Jahr die 11 Milliarden DM höhere Zuweisung an den Fonds Deutsche Einheit und den gestiegenen Zinsaufwand verkraften müssen.
    Meine Damen und Herren, trotz dieser ehrgeizigen Sparpolitik bleibt die Nettokreditaufnahme des Bundes im kommenden Jahr auf der für uns nach wie vor zu hohen Marke von rund 67,5 Milliarden DM stehen. Das heißt, wir werden in etwa auf dem Niveau des laufenden Jahres verharren. Niemand kann schon heute verbindlich voraussagen, ob nicht weitere konjunkturelle Risiken dieses Bild im Ergebnis noch beeinflussen werden. Allerdings werden konjunkturbedingte Mehreinnahmen nicht für zusätzliche Ausgaben angesetzt, sondern sie dienen der Reduzierung der Bundeskreditaufnahme.

    (Detlev von Larcher [SPD]: Na, das werden wir dann sehen!)

    Soweit die Kredite über die Linie der Investitionsausgaben hinausgreifen — dies ist ein Betrag von zur Zeit 2,7 Milliarden DM —, bedeutet dies aber keine Verletzung des Art. 115 des Grundgesetzes. Eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts läßt sich nicht bestreiten. Die erhöhte Nettokreditaufnahme ist in dieser schwierigen wirtschaftlichen Situation nicht nur ökonomisch, sondern auch verfassungsrechtlich in Ordnung und zu rechtfertigen.

    (Detlev von Larcher [SPD]: Aber zu der Störung gehört auch die Arbeitslosigkeit!)

    Unbeschadet dessen ist es unsere erklärte Absicht, durch strikte Ausgabenkontrolle die Nettokreditaufnahme des Bundes so niedrig wie möglich zu halten, auch im kommenden Jahr. Das von der Koalition und vom Bundeskabinett beschlossene Ausgabenmoratorium behält weiter seine unbefristete Gültigkeit. Eine Ausweitung der Nettokreditaufnahme durch parlamentarische Ausgabenbeschlüsse darf es demzufolge 1994 nicht geben.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, ich bin sicher, daß wir bei einer beharrlichen Umsetzung unserer politischen Beschlüsse die richtigen Signale setzen. Seit dem Kabinettsbeschluß im Juli hat die Bundesbank die Leitzinsen gesenkt. Von Schwäche der D-Mark redet niemand mehr. Ganz im Gegenteil: Die Deutsche Mark gehört jetzt wieder zu den stärksten Währungen weltweit.
    Mittlerweile gibt es sogar erste Anzeichen dafür, daß die Konjunktur nicht mehr weiter zurückgeht. Das Geschäftsklima bessert sich. Der Auftragseingang und die Produktion beginnen sich in vielen Bereichen zu stabilisieren. Wir haben durchaus die Chance, wieder an die Beschäftigungs- und Wachstumsdynamik der 80er Jahre heranzukommen, wenn wir uns politisch durch Selbstbeschränkung und Disziplin aus dieser Talsohle schrittweise herausarbeiten.



    Adolf Roth (Gießen)

    Dann allerdings — hier unterstütze ich nachdrücklich das, was der Bundesfinanzminister gesagt hat —werden die Absenkungen der staatlichen Neuverschuldung, der Staatsquote am Bruttoinlandsprodukt und der Abgabenquote wieder mit gleicher Dringlichkeit auf der politischen Tagesordnung stehen wie in den Jahren zwischen 1983 und 1989. Das vor der Wiedervereinigung erreichte Niveau von 45 % der Staatsquote am Bruttosozialprodukt wird dabei neuerlich unsere politische Richtschnur sein.
    Mit diesem Konzept der finanzpolitischen Solidität und monetären Stabilität werden wir das vereinigte Deutschland voranbringen

    (Detlev von Larcher [SPD]: Das höre ich seit drei Jahren!)

    und allen Bürgerinnen und Bürgern in unserer Gesellschaft Chancen für einen erfolgreichen Zukunftsentwurf liefern.

    (Detelv von Larcher [SPD]: Seit drei Jahren höre ich das!)

    Wir als Koalition von CDU/CSU und F.D.P. wissen um unsere gemeinsame politische Erfolgshaftung. Der Bundeshaushalt 1994 und alle dazugehörigen Begleitgesetze sind für diese Koalition ein wichtiger politischer Prüfstein. Ich denke, wir können es pakken.
    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)