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    Plenarprotokoll 12/144 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 144. Sitzung Bonn, Freitag, den 5. März 1993 Inhalt: Dank an den Abgeordneten Wolfgang Roth für seine langjährige Mitarbeit im Deutschen Bundestag 12411A Tagesordnungspunkt 10: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 1993 der Bundesregierung (Drucksache 12/4330) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresgutachten 1992/93 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache 12/3774) c) Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Beteiligung der Betroffenen am Konzept zum Erhalt industrieller Kerne (Drucksache 12/4429) d) Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Vorlage des Konzepts zum Erhalt industrieller Kerne (Drucksache 12/4430) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Roth, Hans Berger, Dr. Ulrich Böhme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Eine sich selbst verstärkende Rezession durch kompetente Wirtschaftspolitik abwenden (Drucksache 12/4453) Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 12373D Dr. Uwe Jens SPD 12374C, 12415A Oskar Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 12378B Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU . . . 12380A Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . 12380 C Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 12384 B Peter W. Reuschenbach SPD . . . . . 12386 C Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . . 12387 B Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident des Freistaates Sachsen . 12390A Wolfgang Roth SPD 12390D Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. 12393B, 12408 B Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 12398D Rainer Haungs CDU/CSU 12400 C Wolfgang Roth SPD . . . . . . . . . . 12403 D Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 12408 C Bernd Heim PDS/Linke Liste 12411 A Josef Grünbeck F.D.P. . . . . 12412A, 12413C Ingrid Matthäus-Maier SPD 12413 B Friedhelm Ost CDU/CSU 12414A Christian Müller (Zittau) SPD 12415 C Dr. Hermann Pohler CDU/CSU 12418B Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 12419A Ortwin Lowack fraktionslos 12420 C II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. März 1993 Tagesordnungspunkt 11: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Jung (Düsseldorf), Holger Bartsch, Hans Berger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ein gemeinsamer Europäischer Binnenmarkt braucht eine ökologisch verantwortbare Energieversorgung (Drucksache 12/3767) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Jung (Düsseldorf), Gerd Andres, Holger Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Übertragung der örtlichen Energieversorgungseinrichtungen an die ostdeutschen Kommunen (Drucksachen 12/3624, 12/4259) Volker Jung (Düsseldorf) SPD 12422 C Heinrich Seesing CDU/CSU 12424A Klaus Beckmann F.D.P. 12425C Dr. Fritz Gautier SPD . . 12427A, 12437A Bernd Heim PDS/Linke Liste 12427 C Holger Bartsch SPD 12429A Ulrich Klinkert CDU/CSU . . . . . . . 12430B Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär BMWi 12432B Dr. Fritz Gautier SPD 12433 B Ulrich Klinkert CDU/CSU 12434 B Dr. Bernd Protzner CDU/CSU 12436 B Nächste Sitzung 12437 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 12439* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 11 (a — Antrag: Ein gemeinsamer Europäischer Binnenmarkt braucht eine ökologisch verantwortbare Energieversorgung; b — Antrag: Übertragung der örtlichen Energieversorgungseinrichtungen an die ostdeutschen Kommunen) Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12440* A Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 12441* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. März 1993 12373 144. Sitzung Bonn, den 5. März 1993 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 5. 3. 93 Bachmaier, Hermann SPD 5. 3. 93 Baum, Gerhart Rudolf F.D.P. 5. 3. 93 Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 5. 3. 93 ** Bock, Thea SPD 5. 3. 93 Böhm (Melsungen), CDU/CSU 5. 3. 93 * Wilfried Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 5. 3. 93 Büchler (Hof), Hans SPD 5. 3. 93 * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 5. 3. 93 * Bulmahn, Edelgard SPD 5. 3. 93 Clemens, Joachim CDU/CSU 5. 3. 93 Cronenberg (Arnsberg), F.D.P. 5. 3. 93 Dieter-Julius Dempwolf, Gertrud CDU/CSU 5. 3. 93 Fuchs (Verl), Katrin SPD 5. 3. 93 Gansel, Norbert SPD 5. 3. 93 Gattermann, Hans H. F.D.P. 5. 3. 93 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 5. 3. 93 Genscher, Hans Dietrich F.D.P. 5. 3. 93 Gerster (Mainz), CDU/CSU 5. 3. 93 Johannes Gleicke, Iris SPD 5. 3. 93 Gres, Joachim CDU/CSU 5. 3. 93 Gries, Ekkehard F.D.P. 5. 3. 93 Harries, Klaus CDU/CSU 5. 3. 93 Hasenfratz, Klaus SPD 5. 3. 93 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 5. 3. 93 Hilsberg, Stephan SPD 5. 3. 93 Horn, Erwin SPD 5. 3. 93 ** Dr. Hoth, Sigrid F.D.P. 5. 3. 93 Huonker, Gunter SPD 5. 3. 93 Ibrügger, Lothar SPD 5. 3. 93 Klappert, Marianne SPD 5. 3. 93 Klemmer, Siegrun SPD 5. 3. 93 Kolbe, Manfred CDU/CSU 5. 3. 93 Kolbow, Walter SPD 5. 3. 93 ** Koschyk, Hartmut CDU/CSU 5. 3. 93 Kretkowski, Volkmar SPD 5. 3. 93 Lenzer, Christian CDU/CSU 5. 3. 93* Dr. Lieberoth, Immo CDU/CSU 5. 3. 93 Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 5. 3. 93 Dr. Matterne, Dietmar SPD 5. 3. 93 Michels, Meinolf CDU/CSU 5. 3. 93 * Mischnick, Wolfgang F.D.P. 5. 3. 93 Müller (Pleisweiler), SPD 5. 3. 93 Albrecht Müller (Wadern), CDU/CSU 5. 3. 93 Hans-Werner Nelle, Engelbert CDU/CSU 5. 3. 93 Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 5. 3. 93 Oesinghaus, Günther SPD 5. 3. 93 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Otto (Frankfurt), F.D.P. 5. 3. 93 Hans-Joachim Pfeffermann, Gerhart O. CDU/CSU 5. 3. 93 Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU 5. 3. 93 Pfuhl, Albert SPD 5. 3. 93 Priebus, Rosemarie CDU/CSU 5. 3. 93 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 5. 3. 93 * Rahardt-Vahldieck, CDU/CSU 5. 3. 93 Susanne Rempe, Walter SPD 5. 3. 93 Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 5. 3. 93 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 5. 3. 93 Ingrid Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 5. 3. 93 Helmut Schaich-Walch, Gudrun SPD 5. 3. 93 Dr. Scheer, Hermann SPD 5. 3. 93 * Scheffler, Siegfried Willy SPD 5. 3. 93 Schmidbauer (Nürnberg), SPD 5. 3. 93 Horst Schmidt (Dresden), Arno F.D.P. 5. 3. 93 Schröter, Karl-Heinz SPD 5. 3. 93 Schulte (Hameln),Brigitte SPD 5. 3. 93 ** Dr. Schulte (Schwäbisch CDU/CSU 5. 3. 93 Gmünd), Dieter Schwanitz, Rolf SPD 5. 3. 93 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 5. 3. 93 Christian Seibel, Wilfried CDU/CSU 5. 3. 93 Seuster, Lisa SPD 5. 3. 93 Stachowa, Angela PDS/LL 5. 3. 93 Dr. Starnick, Jürgen F.D.P. 5. 3. 93 Steinbach-Hermann, CDU/CSU 5. 3. 93 Erika Stiegler, Ludwig SPD 5. 3. 93 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 5. 3. 93 Thierse, Wolfgang SPD 5. 3. 93 Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter CDU/CSU 5. 3. 93 Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 5. 3. 93 Vosen, Josef SPD 5. 3. 93 Graf von Waldburg-Zeil, CDU/CSU 5. 3. 93 Alois Waltemathe, Ernst SPD 5. 3. 93 Welt, Jochen SPD 5. 3. 93 Wester, Hildegard SPD 5. 3. 93 Westrich, Lydia SPD 5. 3. 93 Wieczorek-Zeul, SPD 5.3.93 Heidemarie Wiefelspütz, Dieter SPD 5. 3. 93 Wittmann (Tännesberg), CDU/CSU 5. 3. 93 Simon Wohlleben, Verena SPD 5. 3. 93 Ingeburg Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 5. 3. 93 Zierer, Benno CDU/CSU 5. 3. 93 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung 12440* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. März 1993 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 11 (a-Antrag: Ein gemeinsamer Europäischer Binnenmarkt braucht eine ökologisch verantwortbare Energieversorgung; b-Antrag: Übertragung der örtlichen Energieversorgungseinrichtungen an die ostdeutschen Kommunen) Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Energiepolitik bleibt viel zu tun. Nach wie vor wird der Alltag der Industriegesellschaften von einem exzessiven, verschwenderischen Energieverbrauch bestimmt, an dem unsere Mitwelt unausweichlich zugrunde geht. Die unverminderte Ausbeutung, Zerstörung und Vergiftung der natürlichen Ressourcen und der ökologischen Kreisläufe, die mit der überholten Wachstumsideologie unseres Industriezeitalters einhergehen, lassen — nicht ohne Grund — viele Menschen zweifeln, ob überhaupt noch eine Wende möglich ist. Es ist heute ein Gemeinplatz, daß eine energiepolitische Zeitenwende zur Lösung der gewaltigen Herausforderungen, welche die Umweltkrise an uns richtet, dringend notwendig ist. Die offizielle Energiepolitik aber, die der Bundesregierung, die der Energiekonzerne und nicht zuletzt die der EG-Kommission, schreckt vor dieser Jahrhundertaufgabe zurück. Gerade die Protagonisten des Status quo in der Bundesrepublik, allen voran die Bundesregierung, geben ein trauriges Bild ab. Unter dem Eindruck einer hervorragenden Arbeit der Klimaenquete verkündete die Bundesregierung im Jahre 1990 ein ehrgeiziges umweltpolitisches Ziel: 25 bis 30 % Minderung der Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahre 2005. Gut anderthalb Jahre später ging die Bundesregierung darüber noch weit hinaus und unterzeichnete auf der UNCED-Konferenz in Rio sogar ein Abkommen, das eine Stabilisierung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre als Ziel vorsieht. Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als daß die Bundesrepublik Deutschland bis Mitte nächsten Jahrhunderts vollständig aus der Nutzung fossiler Brennstoffe aussteigen muß. Diesen richtungsweisenden oder besser modellhaften Zielen folgten aber bis heute keine nennenswerten Taten, im Gegenteil. Mit dem unbeirrten Festhalten an der Kernenergie demonstriert die Bundesregierung eindrücklich ihren Unwillen, an den hochgradig verschwenderischen Strukturen unseres Energiesystems Grundsätzliches zu ändern. Die Bundesregierung ist eine Innovationsbremse. Energiepolitik läßt sich natürlich nicht nur auf Klimapolitik reduzieren. Aber es ist gerade der drohende Klimaschock, in dem sowohl die Fehlentwicklungen des bisherigen Wirtschaftens der Industriegesellschaften deutlich werden, als auch die Größenordnung des erforderlichen Wandels zur Bewältigung der Probleme. Die Bundesregierung jedenfalls kann oder will ihren Beitrag zur Lösung der globalen Klimaprobleme nicht leisten. Sollte man deswegen, um die Hoffnung auf Veränderung nicht aufgeben zu müssen, auf die nächsthöhere Organisationsstufe setzen? Sollte man von der EG erwarten, was die Bundesregierung zu leisten nicht in der Lage ist? Auch das scheint vergeblich. Die energiepolitischen Vorstellungen der EG-Kommission wirken angesichts der Problemlage geradezu anachronistisch, und das, obwohl der Ansatz auf den ersten Blick plausibel zu sein scheint. Wettbewerb im Gas- und Strombereich, Aufbrechen regionaler und nationaler Monopole, Öffnung der Leitungen für Dritte — das klingt passabel. Aber das eigentliche Ziel dieser Liberalisierungspolitik, nämlich die erwünschten Preissenkungen, geht ohne neue Rahmenbedingungen in eine völlig falsche Richtung. Die angestrebten Preissenkungen schreiben die Energieverschwendung fest, unter der die Umwelt und die Gesundheit vieler Menschen heute leiden. Aber auch markt- und wettbewerbspolitisch ist diese Politik fehlgeleitet. Sollten die EG-Richtlinien Wirklichkeit werden, würde eine Entwicklung eingeleitet, die statt zu mehr Wettbewerb zu einer Konzentration der Energieversorgung auf wenige Großunternehmen in Europa hinausläuft. Die Energiekonzerne könnten mit ihren oftmals schon abgeschriebenen Großanlagen schnell den Markt beherrschen und Stellungen festschreiben. Dadurch würde nicht zuletzt auch der anstehende Vergleich zum Stromvertrag zwischen den ostdeutschen Kommunen und den westdeutschen Stromkonzernen wieder ausgehebelt. Die innovativen Impulse, die von der Rekommunalisierung der Energiewirtschaft Ostdeutschlands für ganz Deutschland und Europa ausgehen könnten, würden durch den Einstieg in den europäischen Energiemarkt in den Sand gesetzt. Völlig unterschiedliche Umweltstandards, Sicherheitsvorschriften sowie Steuern und Subventionen innerhalb Europas führen für die Energieunternehmen zu sehr divergierenden Startbedingungen. So käme eine Öffnung des Energiemarktes zu den heutigen Bedingungen in erster Linie den französischen Atomstromlieferanten zugute. Es darf nicht wahr sein, daß in Deutschland der Konsens für einen Ausstieg aus der Atomwirtschaft gesucht wird, um dann französischen Atomstrom zu importieren. Die EG-Kommission beschränkt sich mit ihren Vorschlägen zunächst auf den Einstieg mit industriellen Großkunden. Die erhalten dann allerdings Vorteile auf Kosten von Kleinverbrauchern und mittelständischen Gewerbetreibenden. Gleichzeitig läßt sich absehen, daß die EG-Richtlinien zu einem gewaltigen Hemmschuh für alle innovativen Bemühungen zugunsten einer dezentralen, effizienten Energieversorgungsstruktur werden. Unter gegenwärtigen Bedingungen wird der gemeinsame Energiemarkt die Kommunalisierung der Energieversorgung und damit vor allem die zukunftsweisende Kraft-Wärme-Kopplung, aber auch die Eigenerzeugung von Strom in Industrieunternehmen und Haushalten behindern oder sogar unterbinden. Das wäre, das wäre meine Damen und Herren, nicht nur umweltpolitisch fatal. Damit wäre auch eine der nicht eben zahlreichen Chancen zur Schaffung neuer, zukunftssicherer Arbeitsplätze in Ostdeutschland vertan. Und die Beschäftigungswirkungen einer kleinräumigen Energiestruktur sind gar nicht hoch genug einzuschätzen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. März 1993 12441* Zukunftsorientierte Energiepolitik, die Entwicklung von Energiesystemen, kann nicht länger ohne die Umwelt gedacht und konzipiert werden. Die langjährige Ökologiedebatte hat vor allem eins gezeigt: Aus ökonomischer Sicht wurde die Umweltkrise durch ein Grundübel verursacht: Viel zu niedrige Preise für den Energie- und Ressourcenumsatz. Dieser ökonomische Selbstbetrug hinterläßt heute einen Berg ökologischer Schulden gegenüber zukünftigen Generationen, der Natur, der sogenannten Dritten Welt und der eigenen Gesundheit. Deshalb ist es endlich an der Zeit, die entstehenden externen Kosten Zug um Zug den Verursachern aufzubürden. Die EG-Kommission favorisiert hierfür bekanntlich eine Lösung, die als eine Komponente die Einführung einer CO2-Steuer vorsieht. Ein solcher Vorschlag birgt die Gefahr, daß doch wieder die nachsorgenden Umweltschutzmaßnahmen in den Vordergrund treten, die technische Rückhaltung schädlicher Emissionen — letztlich trügerische Alternativen zum grundsätzlichen Wandel des Energiesystems. Im Gegensatz zu den Vorschlägen der EG-Kommission hält die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine allgemeine Energiesteuer oder besser Primärenergiesteuer für die umweltpolitisch sinnvollere Lösung. Damit werden außer der Klimagefährdung auch die anderen ökologischen Kosten und Schäden der Energieträger vom Abbau über die Nutzung bis zur Lagerung der Reststoffe einbezogen. Nachdem nun auch die USA willens scheinen, in die Richtung eines grundsätzlichen Wandels des Energiesystems zu gehen, fallen die bisherigen Ausreden von EG und auch Bundesregierung weg. So sollte die Bundesregierung mit einer eigenen wirkungsvollen Primärenergiesteuer Zeichen und Impulse auch für die EG setzen. Obwohl die Bundesregierung seit über zwei Jahren ihre Energiepolitik auf Sparflamme kocht, ist jetzt auch in der Bundesrepublik wieder die energiepolitische Debatte in Gang gesetzt worden. Der Energiekonsens ist in aller Munde. Rückgrat eines solchen Konsenses müßte auf jeden Fall eine spürbare und stufenweise wachsende Primärenergiesteuer sein. Diese ist die effizienteste staatliche Maßnahme, um den tiefgreifenden Wandel der Energiestrukturen langfristig anzubahnen. Bei den Konsensgesprächen dreht sich bislang alles um die weitere Nutzung von Atomkraftwerken in der Bundesrepublik. Kein Tag vergeht ohne schweren Schaden, der von der Nutzung der Atomenergie ausgeht. Ich erinnere nur an die fortwirkenden Folgen der Katastrophe von Tschernobyl. Täglich werden Regionen, Nahrungsketten und Menschen weltweit bei Abbau, Verarbeitung und Nutzung des Urans schleichend vergiftet. Allein aus diesen Gründen ist es geboten, in den Konsensgesprächen schnellstmöglich den Ausstieg aus der Atomenergienutzung vorzubereiten. Der Ausstieg aus der Atomenergie mit den damit verbundenen Großkraftwerken und Verbundstrukturen beseitigt zugleich die grundlegenden Strukturhemmnisse auf dem Weg zu einer dezentralisierten, ökologisch angepaßten Energieversorgung. Die Konsensgespräche lassen eines deutlich werden: Die Atomindustrie und ihre Lobby stehen vor dem Aus. Die mit der Atomenergie verbundenen Probleme sind weder technisch noch gesellschaftlich gelöst. Die Energiekonzerne brauchen den Energiekonsens, um nicht in eine auch für sie bedrohliche, unkalkulierbare Situation hineinzuschliddern. Der einzige Konsens, der in dieser Situation erreichbar und vertretbar ist, liegt im kontrollierten, gemeinsam verantworteten Ausstieg aus der unheilvollen Nutzung der Atomenergie. Diese Richtungsentscheidung ist überfällig. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 12. Februar 1993 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen oder einen Einspruch gem. Art. 77 Abs. 3 GG nicht einzulegen. Fünfzehntes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Wehrsoldgesetzes Gesetz zur Gewährleistung der Geheimhaltung der dem Statistischen Amt der europäischen Gemeinschaften übermittelten vertraulichen Daten — SAEG-Übermittlungsschutzgesetz — Gesetz über das Ruhen der Verjährung bei SED-Unrechtstaten (VerjährungsG) Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Bundesbauverwaltung Gesetz über gebäude- und wohnungsstatistische Erhebungen (Wohnungsstatistikgesetz — WoStatG) Gesetz zu dem Protokoll vom 9. Dezember 1991 zu der Vereinbarung vom 8. Oktober 1990 über die Internationale Kommission zum Schutz der Elbe Gesetz zu dem Abkommen vom 18. Juni 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Bahrain über den Luftverkehr Gesetz zu dem Abkommen vom 22. Oktober 1991 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Rumänien fiber die Schiffahrt und den Binnenwasserstraßen Gesetz zu dem Abkommen vom 8. November 1991 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die Binnenschiffahrt Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und lindern In Angelegenheiten der Europäischen Union Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 12/1365 Drucksache 12/2791 Drucksache 12/3232 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 12/4131 Nm. 3.8-3.12 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 12/2144 Nr. 2.14
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    Rede von Christian Müller


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den treffenden Ausführungen meines Kollegen Wolfgang Roth zu Wirtschaftslage, Konjunktur- und Handelspolitik will ich noch einige Anmerkungen hinzufügen, die für mich — wen wird's wundern? — besonders mit dem ostdeutschen Aspekt der wirtschaftlichen Entwicklung verbunden sind.
    Übrigens sehe ich auch keine Alternative dazu, dies ein wenig emotionaler anzugehen; denn jeder von uns weiß ja schließlich aus eigener Erfahrung, welche Rolle Emotionen in unserem Leben spielen. Zum Beispiel kann man mit Hilfe von passenden Emotionen, wenn sie denn einmal die Massen ergriffen haben, Wahlen gewinnen. Das, meine Damen und Herren, haben wir 1990 schließlich alle miterlebt, und daran ist auch grundsätzlich nichts zu mäkeln, es sei denn, es stellte sich nach kurzer Zeit heraus, daß dies vielleicht die einzige Zielstellung war, die damit verbunden war. Aber genau dies scheint mir doch geschehen zu sein, und es ist ein Jammer, daß die Aufbruchstimmung des Jahres 1990 allein für diesen Zweck verbraten wurde.
    Inzwischen hat diese Regierung wohl ihre letzten Chancen vertan, allen Deutschen reinen Wein zur entstandenen gesellschaftlichen Situation einzuschenken. Die Betonung auf „gesellschaftlich" ist mir deswegen wichtig, weil es nicht allein die rein wirtschaftlichen Auswirkungen sind, die wir alle als Bürger unseres Landes täglich erleben und die unsere Zukunftsaussichten relativieren.
    Dabei wäre es unendlich wichtig, wenn Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, uns allen laut sagten, wie Sie sich heute einen Prozeß geistiger und politischer Erneuerung vorstellen, der nach meiner festen Überzeugung die Grundvoraussetzung dafür ist, die größte Herausforderung dieses Jahrhunderts für uns Deutsche auch wirtschaftlich erfolgreich bewältigen zu können. Dies zu wissen und die Lage der Nation vom Bundeskanzler ohne Beschönigungen klar umrissen vor sich zu haben, ist doch die eigentliche Voraussetzung dafür, um den Menschen die notwendigen Opfer abverlangen zu können.
    In diesen Tagen wird sehr oft und völlig zu Recht hoffnungsvoll nach Amerika geschaut, weil dort die entstandene Chance zum Wandel von Clinton und seiner Mannschaft genutzt wird. Ich sehe dies mit einem gewissen Neid, weil ich mir wünschte, daß auch wir wieder ein Stück dieser Aufbruchstimmung bei



    Christian Müller (Zittau)

    uns hätten. Aber ich glaube, ohne eine andere Regierung wird dies wohl nichts werden.
    Eine der unerläßlichen Voraussetzungen dafür ist vor allem auch der längst fällige wirtschaftspolitische Kurswechsel für Ostdeutschland. Das gilt auch dann noch ohne Einschränkung, wenn aus sehr nachvollziehbaren Gründen der wirtschaftlichen Lage im Westen unseres Landes und in den anderen Industrienationen zu Recht die größte Aufmerksamkeit gebührt; denn die wirtschaftliche Vereinigung Deutschlands droht inzwischen zu einem Trauma für Ost und West zu werden.
    Das ist eigentlich auch kein Wunder; denn von Anfang an fehlte der Wirtschaftspolitik eine Konzeption ebenso wie eine Zielvorstellung für die ökonomische Entwicklung in den neuen Bundesländern.

    (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das kann man wirklich so nicht sagen!)

    — Ich bin schon dieser Meinung.
    Dazu gehört auch, daß bis zum heutigen Tage die Finanzierung des wirtschaftlichen Aufbaus im Osten Deutschlands systematisch und einseitig vor allen Dingen den Beschäftigten, den Beitragszahlern auferlegt wurde. Jedenfalls: Je stärker die Folgen der beginnenden Wirtschaftskrise, in der wir eigentlich schon mittendrin sind, auch auf Ostdeutschland durchschlagen, desto mehr nähert sich die Wirtschaft Ostdeutschlands einer wirklichen Katastrophe.
    Hoffentlich besteht wenigstens darin Konsens, daß ein Ostdeutschland ohne Industrie die allergrößte Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland wäre.

    (Ortwin Lowack [fraktionslos]: Voll einverstanden!)

    Denn bis heute sind dort mindestens 40 % aller Arbeitsplätze verlorengegangen, und in der Industrie sind es sogar über 70 %. Die Zahl von 3,5 Millionen Menschen, die arbeitslos sind oder von der Bundesanstalt für Arbeit leben müssen, ist bekannt. Weitere Entlassungen stehen vor der Tür, und viele Arbeitslose werden in den kommenden Monaten zu Sozialhilfeempfängern.
    Ich fürchte, nüchterne Worte, gesprochen in diesem Saal, reichen wohl nicht aus, um die Lage der Betroffenen wirklich zu erfassen. Genau dies muß man aber versuchen, um zu verstehen, was es heißt, die Neuauflage von AB-Maßnahmen auszusetzen. Ich finde jedenfalls, daß dies ein Akt sozialer Kälte ist.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Die ostdeutsche Bevölkerung hat in den letzten zwei Jahren Belastungen hingenommen, über deren Ausmaß im Westen nach wie vor — so glaube ich — äußerst unklare Vorstellungen existieren. Trotzdem war da immer noch der Glaube an den überlegenen Westen, nachdrücklichst befördert durch die im Jahre 1990 vom Kanzler persönlich erzeugten Illusionen.
    Jetzt sehen die Menschen, daß auch im Westen nur mit Wasser gekocht wird. Der deutschen Exportnation bläst auf einmal der Wind des internationalen Wettbewerbs ins Gesicht. Die Renommierbranchen Automobilbau, Maschinenbau und Chemie steuern auf eine Strukturkrise zu. Fast schon ungläubig stellen die Ostdeutschen fest, daß andere Länder wie z. B. Japan auf wichtigen Zukunftsmärkten überlegen sind.
    Ich jedenfalls denke, die Menschen in den neuen Bundesländern sind dabei, eine andere Denkrichtung einzuschlagen. Sie werden nicht mehr bereit sein, die jetzige Wirtschaftspolitik weiter hinzunehmen, und gleiches dürfte wohl angesichts der jüngsten Entwicklung auch für die Menschen in den alten Ländern gelten. Auf jeden Fall ergibt es aus meiner Sicht hinsichtlich der ostdeutschen Lage keinen Sinn, weiter über dieses bekannte Erblastsyndrom zu meditieren.
    Meine Damen und Herren, die ostdeutsche Wirtschaft hat Anspruch auf eine faire Chance — denn sie hat bisher nichts dergleichen geboten bekommen —, um sich in einem vertretbaren Zeitraum modernisieren und in der Marktwirtschaft neu orientieren zu können. Unter den seit drei Jahren geltenden Bedingungen wäre auch die alte Bundesrepublik kein starkes Industrieland geworden.
    Vergessen wir doch nicht, daß praktisch über Nacht die ostdeutschen Binnenmärkte an die überlegene westdeutsche Konkurrenz verlorengegangen sind. Das waren immerhin 85 % der Produktion. Dies ist für die heutige Lage also ebenso bedeutsam wie der Zusammenbruch der Ostmärkte.
    Hinzu kommt, daß durch die überhastete Privatisierungspolitik in den letzten zwei Jahren zusätzlich viele gewachsene wirtschaftliche Beziehungen auseinandergerissen worden sind. Dies müsse hingenommen werden, so sagt der Jahreswirtschaftsbericht. Vertraut auf die Wachstumskräfte, die wir freisetzen, so sagt auch die Regierung. Wo sind denn diese Wachstumskräfte? Ist denn nicht auch die westdeutsche Industrie in einer immer noch zunehmenden Wachstumskrise, und dies nach zehn Jahren Wirtschaftspolitik der jetzigen Regierung? Selbst in den besseren Zeiten der letzten 20 Jahre sind doch wohl im Durchschnitt nur 10 % der Arbeitsplätze in Westdeutschland durch Neuansiedlung von Betrieben entstanden.

    (Friedhelm Ost [CDU/CSU]: 3,5 Millionen neue Arbeitsplätze!)

    Woher also sollten dann eigentlich die vielen Investoren für den Osten kommen?
    Über das Thema Entindustrialisierung fielen heute schon diverse Sätze. Sie ist inzwischen jedoch so weit fortgeschritten, daß die ganze Diskussion um die sogenannten industriellen Kerne am Ende dieses Jahres ziemlich überflüssig sein wird, wenn nicht in letzter Minute ein radikaler Kurswechsel erfolgt. Die Regierung schiebt permanent die Verantwortung auf die angeblich zu hohen Löhne, auf die unrentablen Produkte, auf fehlende neue Märkte. Aber sie selbst hat die Produktivitätskrise in Ostdeutschland auch maßgeblich mitverursacht.

    (Friedhelm Ost [CDU/CSU]: So ein Unsinn!)




    Christian Müller (Zittau)

    — Doch; denn wissenschaftliche Einrichtungen wurden abgewickelt, Wissenschaftler auf die Straße geschickt, Forschungsabteilungen wurden aus Unternehmen ausgegliedert, wodurch die Produktinnovation der Grundlage entbehren muß.

    (Josef Grünbeck [F.D.P.]: Warum denn?)

    Die Treuhand gab und gibt Liquidationshilfen, statt die Restrukturierung der Unternehmen zu finanzieren. Systematisch wurde so der ostdeutschen Wirtschaft die Grundlage für eine Umstrukturierung aus eigener Kraft entzogen oder auch vorenthalten.

    (Josef Grünbeck [F.D.P.]: Das glauben Sie doch selber nicht, was Sie da sagen!)

    — Ich denke schon, daß daran etwas ist, Herr Grünbeck.
    Der Wiederaufbau in Ostdeutschland ist daher nicht in erster Linie nur eine Frage des Geldes oder des Solidarpaktes, der bei weniger Lohn und steigenden Steuern und Preisen lediglich ein Konzept zur Entvölkerung Ostdeutschlands wäre; er ist vielmehr eine Frage von abgestimmter Politik.
    Daraus folgen aus meiner Sicht vier miteinander im Zusammenhang stehende Ansätze, die umgehend verwirklicht werden müssen, um Schlimmeres zu vermeiden.
    Erstens. Zur Überwindung der Strukturkrise im Osten brauchen wir dringend eine neue Art von Regionalpolitik, in der alle Politikbereiche, von Wirtschaft und Finanzen über Verkehr, Arbeitsmarkt, Technologie und Bildung bis hin zur Infrastrukturpolitik, miteinander koordiniert werden, um Verzögerungen und Fehlentwicklungen, beispielsweise neue Ballungsräume und entvölkerte Regionen, zu vermeiden. Dies ist eine Aufgabe, die mit der Richtlinienkompetenz des Kanzlers zu lösen wäre.
    Zweitens. Ostdeutschland muß in die Lage versetzt werden, sich auf die eigenen Kräfte zu besinnen. Dazu ist ein Nachteilsausgleich erforderlich, um die Auswirkungen der verfehlten Wirtschaftspolitik der letzten zwei Jahre und die Nachteile der fehlenden Infrastruktur kompensieren zu können. Dies muß mit einer zeitlich begrenzten Wettbewerbshilfe geschehen, um neue Märkte erschließen und alte halten zu können.
    Diese Forderung resultiert aus der Tatsache, daß besonders bereits privatisierte Unternehmen schwer um ihre Existenz kämpfen müssen. Es muß verhindert werden, daß diese Unternehmen in den Konkurs geraten. Die Hilfe sollte nach unserer Auffassung aus einem degressiv gestalteten Überbrückungs- und Modernisierungsdarlehen in Form eines zinsverbilligten Kreditprogramms für die Jahre 1993 bis 1995 mit einer Laufzeit von zehn Jahren bestehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Noch ein Programm!)

    Vor allem aber muß Zeit zur Verfügung gestellt werden, um endlich die sogenannten industriellen Kerne umzustrukturieren und zu modernisieren.
    Der notwendige Wiederaufbau der Industrie in Ostdeutschland darf sich nicht in einer minimalen Sanierung von Treuhandunternehmen erschöpfen. Zu
    einem solchen Wiederaufbau gehören auch die Erschließung neuer Geschäftsfelder, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Einbeziehung der Unternehmen in die regionale Entwicklung.
    Drittens. Daher muß die Hängepartie zwischen Sanierung und Privatisierung für die restlichen Treuhandunternehmen schnellstens ein Ende haben.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Betriebsnotwendige Belegschaften müssen in ihrem Bestand gesichert werden. Ich fordere deshalb bis zum Sommer folgende Not- und Übergangsmaßnahmen: eine Bestätigung der vorhandenen Sanierungskonzepte und eine Mittelzusage von der Treuhandanstalt, um mit der Umsetzung dieser Konzepte beginnen zu können.
    Ich fordere, daß Privatisierungen und Liquidationen nur unter dem Vorbehalt besonderer Prüfung und mit Zustimmung des Bundestagssonderausschusses erfolgen dürfen und daß die Wiedereingliederung bzw. der Neuaufbau von Forschungsabteilungen in den ostdeutschen Unternehmen vorgesehen wird.
    Weiterhin fordere ich den Stopp des Personalabbaus, gegebenenfalls die Aufnahme von Personal in unternehmensinterne Qualifizierungsgesellschaften.
    Spätestens 1994 sind diese Unternehmen in eine Dachgesellschaft zu überführen, die in erster Linie die Funktionen der Finanzierung und Kontrolle übernimmt. Eigentümer dieser Dachgesellschaft sollen der Bund, die Länder und letztendlich auch Volksaktionäre werden, damit die Privatisierung der Mehrheit dieser Unternehmen schnell ermöglicht werden kann.
    Arbeitnehmerbeteiligungsmodelle und Kapitalbeteiligung des Managements könnten sinnvolle Ergänzungen sein.
    Die Restrukturierung der Tochterunternehmen soll von deren Management eigenverantwortlich und selbständig für eine Zeit von fünf Jahren geleitet werden. Danach wäre über die Zukunft des Unternehmens zu entscheiden.
    Nur ein einziges Jahr — wie das schon anklang — wäre für diese notwendige Umstrukturierung viel zuwenig. Die geforderten fünf Jahre sind dafür wohl ein Minimum. Die Verbesserung bestehender und die Entwicklung neuer Produkte sowie die Erschließung neuer Märkte benötigen Zeit. Diese Anpassungszeit muß der ostdeutschen Wirtschaft wohl endlich zugestanden werden.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Viertens. Dies schließt nach meiner Überzeugung letztendlich auch neue Formen für den Osthandel ein. Nicht nur für den Übergangszeitraum dieser fünf Jahre ist dies zur Unterstützung der Umstrukturierung notwendig. Wer die osteuropäischen Märkte aufgibt, wird eines Tages feststellen müssen, daß diese inzwischen von China bedient werden. Wir haben dazu bekanntlich als einen ersten Ansatz vorgeschlagen, privatwirtschaftlich organisierte Handelsentwick-



    Christian Müller (Zittau)

    lungsgesellschaften zu bilden, um den Osthandel über die Runden zu bringen.
    Es gibt weiterhin keine Alternative dazu, diese vorgeschlagenen Maßnahmen in eine Offensive des Staates für Investitionen in die Infrastruktur einzubinden, bei der der Schwerpunkt im Osten liegen muß. Was aber Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, offenbar weiterhin tun wollen, ist, so glaube ich, nicht gut zumutbar: Sie stellen der ostdeutschen Wirtschaft Forderungen und verweigern die Mittel zu deren Erfüllung.
    Der Jahreswirtschaftsbericht zeigt, daß das ganze Gerede von Sanierung an sich nur ein Lippenbekenntnis ist. Hinzu kommt, daß offenbar die Belastung vorzugsweise der unteren Einkommensgruppen noch weiter extensiviert werden soll. Gerade dann, wenn viele individuelle Sanierungsansätze verfolgt werden sollen, sind übergeordnete Koordination und sozial gerechtere Finanzierung der entstehenden Lasten wohl unumgänglich.
    Deshalb darf sich der Bund nicht länger aus seiner Verantwortung als Eigentümer heraushalten. Der Wiederaufbau der Industrie in Ostdeutschland fordert von den Treuhandunternehmen und ihren Eigentümern mehr als nur betriebswirtschaftliches Denken. Hier muß ein Stück gesamtwirtschaftlicher Verantwortung übernommen werden, wenn das Schlagwort von der Hilfe zur Selbsthilfe für Ostdeutschland einen Sinn behalten soll.
    Alles, was wir fordern, ist eine faire Chance, uns selbst helfen zu können. Dazu hat meine Fraktion ein geschlossenes Paket von Maßnahmen in die Solidarpaktverhandlungen eingebracht. Wir alle werden sehen, ob diese Regierung noch zu dem erforderlichen Kurswechsel bereit und in der Lage ist.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Hermann Pohler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hermann Pohler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube — das kam gerade auch bei meinem Vorredner zum Ausdruck —, wir sind uns alle darüber einig, daß eine Industriebrache im Osten Deutschlands nur durch eine verstärkte und gezielte Sanierung vermieden werden kann. Dabei kann es allerdings nicht um Dauersubventionen gehen. Bei der Beurteilung der Sanierungstauglichkeit ist allerdings nicht von der derzeitigen konjunkturellen Lage auszugehen; es kommt vielmehr auf die strukturellen Aussichten an.
    Der Schwerpunkt der Sanierung muß daher in Zukunft nicht nur auf die Rationalisierung sowie die Verbesserung und Neuentwicklung von Produkten und Produktionsverfahren, sondern verstärkt auch auf das Erschließen neuer Märkte gelegt werden.
    Unter diesem Gesichtspunkt kommt natürlich einem Investor, der neben Geld und Management vor allem auch Marktanteile mitbringt, eine besondere Bedeutung zu. Es ist jedoch nicht ausreichend, auf diese Hilfe von außen zu warten oder auf Manager zu
    vertrauen, die einfach nur einen Job ausüben. Es gilt vielmehr, ein bodenständiges Unternehmertum zu entwickeln.
    Ich bin nicht nur davon überzeugt, sondern ich weiß es auch, daß es im Osten Deutschlands eine Anzahl Leute gibt, die durchaus bereit und auch in der Lage sind, mehr Verantwortung zu übernehmen, als es z. B. das doch sehr enge Korsett, in das der Geschäftsführer eines Treuhandbetriebes gesteckt ist, zuläßt.
    Da nach Aussagen der Präsidentin der Treuhandanstalt, Frau Breuel, bei sanierungsfähigen Unternehmen die Umsetzung des vereinbarten Konzeptes nicht an der Finanzierung scheitern wird und die Betriebe die dazu notwendige Zeit erhalten werden, sehe ich durchaus eine Chance der Entwicklung eines bodenständigen Unternehmertums. Wenn sich dabei die Treuhandanstalt die Möglichkeit offenläßt, bei gravierenden Änderungen der inner- und außerbetrieblichen Rahmenbedingungen odèr bei schwerwiegenden Fehlern im Management einzugreifen, ist in meinen Augen eine Schadensbegrenzung jederzeit möglich.
    Dieser Weg wird jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn ein derartiger Neuunternehmer nicht nur gefördert, sondern auch gefordert wird. Das heißt, in vertretbarem Umfang ist er sowohl am Erfolg als auch am Mißerfolg des Treuhandbetriebes zu beteiligen. Gleichzeitig muß man ihm, wenn sich das Sanierungsprogramm als tragbar erwiesen hat, die Chance einräumen, in Form eines MBO oder MBI den Betrieb zu übernehmen. Die Form des Mietkaufes, der Mietpacht oder der Kaufpreisstundung wäre für zukünftige ostdeutsche Unternehmer, die als Existenzgründer nicht über das ausreichende Kapital verfügen, eine durchaus denkbare Lösung.
    In diesem Zusammenhang sollte man auch nochmals über die Formen der Beteiligung der Arbeitnehmer nachdenken. Mir ist bekannt, daß viele mit ihrem Betrieb so verbunden sind, daß die Bereitschaft dazu besteht. Es ist, glaube ich, aber auch selbstverständlich, daß der Arbeitnehmer eine Sicherheit dafür erhalten muß, daß seine Anteile bei negativem Ausgang nicht verlorengehen.

    (Zuruf von der F.D.P.: Alles gesetzlich geregelt!)

    Gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen zur Lohnpolitik, die ich mit einem Beispiel verbinde. In einem Thüringer Treuhandbetrieb der Landmaschinenindustrie wird eine Arbeitsproduktivität von 50 % zum Westniveau ausgewiesen. Die Löhne liegen bei 65 % des Westniveaus. Dabei liegen die Lohnstückkosten in einem Bereich, der zur Sicherung des Absatzes keine Steigerung zuläßt. Würde man hier der Forderung der Gewerkschaft folgen und die Löhne um 26 % erhöhen, dann würden wir bei einem Lohnniveau von 90 % stehen, die roten Zahlen würden wieder Realität, und die angestrebte Privatisierung des Betriebes wäre in weite Ferne gerückt, es sei denn, Arbeitsplätze würden in größerem Umfang abgebaut; denn kein Unternehmer kann bei so einer Diskrepanz erfolgreich arbeiten.
    Die Auffassung, die Treuhand werde schon zahlen, erinnert doch stark an die Mentalität in den ehemali-



    Dr. Hermann Pohler
    gen volkseigenen Betrieben, bei denen der Staat im Endeffekt für alles aufkam.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

    Interessant ist übrigens die Feststellung, daß der Zusammenhang zwischen Lohnkosten und Arbeitsplatzerhaltung in den neuen Bundesländern durchaus bekannt ist und trotz allem verständlichen Bestreben nach höheren Löhnen auch weitestgehend akzeptiert wird. Andere Diskussionen werden in der Regel von außen in die Betriebe getragen. Auch die Gewerkschaften werden aber einsehen müssen: Ohne vernünftige Lohnanpassung, d. h. Lohnanpassung im Rahmen der Produktivitätssteigerung, werden alle Mittel der Förderungen und Hilfen für die ostdeutsche Wirtschaft nicht im erforderlichen Maße greifen.
    Danke schön.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)