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    Plenarprotokoll 12/144 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 144. Sitzung Bonn, Freitag, den 5. März 1993 Inhalt: Dank an den Abgeordneten Wolfgang Roth für seine langjährige Mitarbeit im Deutschen Bundestag 12411A Tagesordnungspunkt 10: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 1993 der Bundesregierung (Drucksache 12/4330) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresgutachten 1992/93 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache 12/3774) c) Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Beteiligung der Betroffenen am Konzept zum Erhalt industrieller Kerne (Drucksache 12/4429) d) Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Vorlage des Konzepts zum Erhalt industrieller Kerne (Drucksache 12/4430) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Roth, Hans Berger, Dr. Ulrich Böhme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Eine sich selbst verstärkende Rezession durch kompetente Wirtschaftspolitik abwenden (Drucksache 12/4453) Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 12373D Dr. Uwe Jens SPD 12374C, 12415A Oskar Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 12378B Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU . . . 12380A Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . 12380 C Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 12384 B Peter W. Reuschenbach SPD . . . . . 12386 C Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . . 12387 B Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident des Freistaates Sachsen . 12390A Wolfgang Roth SPD 12390D Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. 12393B, 12408 B Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 12398D Rainer Haungs CDU/CSU 12400 C Wolfgang Roth SPD . . . . . . . . . . 12403 D Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 12408 C Bernd Heim PDS/Linke Liste 12411 A Josef Grünbeck F.D.P. . . . . 12412A, 12413C Ingrid Matthäus-Maier SPD 12413 B Friedhelm Ost CDU/CSU 12414A Christian Müller (Zittau) SPD 12415 C Dr. Hermann Pohler CDU/CSU 12418B Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 12419A Ortwin Lowack fraktionslos 12420 C II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. März 1993 Tagesordnungspunkt 11: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Jung (Düsseldorf), Holger Bartsch, Hans Berger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ein gemeinsamer Europäischer Binnenmarkt braucht eine ökologisch verantwortbare Energieversorgung (Drucksache 12/3767) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Jung (Düsseldorf), Gerd Andres, Holger Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Übertragung der örtlichen Energieversorgungseinrichtungen an die ostdeutschen Kommunen (Drucksachen 12/3624, 12/4259) Volker Jung (Düsseldorf) SPD 12422 C Heinrich Seesing CDU/CSU 12424A Klaus Beckmann F.D.P. 12425C Dr. Fritz Gautier SPD . . 12427A, 12437A Bernd Heim PDS/Linke Liste 12427 C Holger Bartsch SPD 12429A Ulrich Klinkert CDU/CSU . . . . . . . 12430B Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär BMWi 12432B Dr. Fritz Gautier SPD 12433 B Ulrich Klinkert CDU/CSU 12434 B Dr. Bernd Protzner CDU/CSU 12436 B Nächste Sitzung 12437 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 12439* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 11 (a — Antrag: Ein gemeinsamer Europäischer Binnenmarkt braucht eine ökologisch verantwortbare Energieversorgung; b — Antrag: Übertragung der örtlichen Energieversorgungseinrichtungen an die ostdeutschen Kommunen) Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12440* A Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 12441* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. März 1993 12373 144. Sitzung Bonn, den 5. März 1993 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 5. 3. 93 Bachmaier, Hermann SPD 5. 3. 93 Baum, Gerhart Rudolf F.D.P. 5. 3. 93 Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 5. 3. 93 ** Bock, Thea SPD 5. 3. 93 Böhm (Melsungen), CDU/CSU 5. 3. 93 * Wilfried Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 5. 3. 93 Büchler (Hof), Hans SPD 5. 3. 93 * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 5. 3. 93 * Bulmahn, Edelgard SPD 5. 3. 93 Clemens, Joachim CDU/CSU 5. 3. 93 Cronenberg (Arnsberg), F.D.P. 5. 3. 93 Dieter-Julius Dempwolf, Gertrud CDU/CSU 5. 3. 93 Fuchs (Verl), Katrin SPD 5. 3. 93 Gansel, Norbert SPD 5. 3. 93 Gattermann, Hans H. F.D.P. 5. 3. 93 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 5. 3. 93 Genscher, Hans Dietrich F.D.P. 5. 3. 93 Gerster (Mainz), CDU/CSU 5. 3. 93 Johannes Gleicke, Iris SPD 5. 3. 93 Gres, Joachim CDU/CSU 5. 3. 93 Gries, Ekkehard F.D.P. 5. 3. 93 Harries, Klaus CDU/CSU 5. 3. 93 Hasenfratz, Klaus SPD 5. 3. 93 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 5. 3. 93 Hilsberg, Stephan SPD 5. 3. 93 Horn, Erwin SPD 5. 3. 93 ** Dr. Hoth, Sigrid F.D.P. 5. 3. 93 Huonker, Gunter SPD 5. 3. 93 Ibrügger, Lothar SPD 5. 3. 93 Klappert, Marianne SPD 5. 3. 93 Klemmer, Siegrun SPD 5. 3. 93 Kolbe, Manfred CDU/CSU 5. 3. 93 Kolbow, Walter SPD 5. 3. 93 ** Koschyk, Hartmut CDU/CSU 5. 3. 93 Kretkowski, Volkmar SPD 5. 3. 93 Lenzer, Christian CDU/CSU 5. 3. 93* Dr. Lieberoth, Immo CDU/CSU 5. 3. 93 Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 5. 3. 93 Dr. Matterne, Dietmar SPD 5. 3. 93 Michels, Meinolf CDU/CSU 5. 3. 93 * Mischnick, Wolfgang F.D.P. 5. 3. 93 Müller (Pleisweiler), SPD 5. 3. 93 Albrecht Müller (Wadern), CDU/CSU 5. 3. 93 Hans-Werner Nelle, Engelbert CDU/CSU 5. 3. 93 Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 5. 3. 93 Oesinghaus, Günther SPD 5. 3. 93 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Otto (Frankfurt), F.D.P. 5. 3. 93 Hans-Joachim Pfeffermann, Gerhart O. CDU/CSU 5. 3. 93 Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU 5. 3. 93 Pfuhl, Albert SPD 5. 3. 93 Priebus, Rosemarie CDU/CSU 5. 3. 93 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 5. 3. 93 * Rahardt-Vahldieck, CDU/CSU 5. 3. 93 Susanne Rempe, Walter SPD 5. 3. 93 Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 5. 3. 93 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 5. 3. 93 Ingrid Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 5. 3. 93 Helmut Schaich-Walch, Gudrun SPD 5. 3. 93 Dr. Scheer, Hermann SPD 5. 3. 93 * Scheffler, Siegfried Willy SPD 5. 3. 93 Schmidbauer (Nürnberg), SPD 5. 3. 93 Horst Schmidt (Dresden), Arno F.D.P. 5. 3. 93 Schröter, Karl-Heinz SPD 5. 3. 93 Schulte (Hameln),Brigitte SPD 5. 3. 93 ** Dr. Schulte (Schwäbisch CDU/CSU 5. 3. 93 Gmünd), Dieter Schwanitz, Rolf SPD 5. 3. 93 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 5. 3. 93 Christian Seibel, Wilfried CDU/CSU 5. 3. 93 Seuster, Lisa SPD 5. 3. 93 Stachowa, Angela PDS/LL 5. 3. 93 Dr. Starnick, Jürgen F.D.P. 5. 3. 93 Steinbach-Hermann, CDU/CSU 5. 3. 93 Erika Stiegler, Ludwig SPD 5. 3. 93 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 5. 3. 93 Thierse, Wolfgang SPD 5. 3. 93 Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter CDU/CSU 5. 3. 93 Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 5. 3. 93 Vosen, Josef SPD 5. 3. 93 Graf von Waldburg-Zeil, CDU/CSU 5. 3. 93 Alois Waltemathe, Ernst SPD 5. 3. 93 Welt, Jochen SPD 5. 3. 93 Wester, Hildegard SPD 5. 3. 93 Westrich, Lydia SPD 5. 3. 93 Wieczorek-Zeul, SPD 5.3.93 Heidemarie Wiefelspütz, Dieter SPD 5. 3. 93 Wittmann (Tännesberg), CDU/CSU 5. 3. 93 Simon Wohlleben, Verena SPD 5. 3. 93 Ingeburg Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 5. 3. 93 Zierer, Benno CDU/CSU 5. 3. 93 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung 12440* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. März 1993 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 11 (a-Antrag: Ein gemeinsamer Europäischer Binnenmarkt braucht eine ökologisch verantwortbare Energieversorgung; b-Antrag: Übertragung der örtlichen Energieversorgungseinrichtungen an die ostdeutschen Kommunen) Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Energiepolitik bleibt viel zu tun. Nach wie vor wird der Alltag der Industriegesellschaften von einem exzessiven, verschwenderischen Energieverbrauch bestimmt, an dem unsere Mitwelt unausweichlich zugrunde geht. Die unverminderte Ausbeutung, Zerstörung und Vergiftung der natürlichen Ressourcen und der ökologischen Kreisläufe, die mit der überholten Wachstumsideologie unseres Industriezeitalters einhergehen, lassen — nicht ohne Grund — viele Menschen zweifeln, ob überhaupt noch eine Wende möglich ist. Es ist heute ein Gemeinplatz, daß eine energiepolitische Zeitenwende zur Lösung der gewaltigen Herausforderungen, welche die Umweltkrise an uns richtet, dringend notwendig ist. Die offizielle Energiepolitik aber, die der Bundesregierung, die der Energiekonzerne und nicht zuletzt die der EG-Kommission, schreckt vor dieser Jahrhundertaufgabe zurück. Gerade die Protagonisten des Status quo in der Bundesrepublik, allen voran die Bundesregierung, geben ein trauriges Bild ab. Unter dem Eindruck einer hervorragenden Arbeit der Klimaenquete verkündete die Bundesregierung im Jahre 1990 ein ehrgeiziges umweltpolitisches Ziel: 25 bis 30 % Minderung der Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahre 2005. Gut anderthalb Jahre später ging die Bundesregierung darüber noch weit hinaus und unterzeichnete auf der UNCED-Konferenz in Rio sogar ein Abkommen, das eine Stabilisierung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre als Ziel vorsieht. Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als daß die Bundesrepublik Deutschland bis Mitte nächsten Jahrhunderts vollständig aus der Nutzung fossiler Brennstoffe aussteigen muß. Diesen richtungsweisenden oder besser modellhaften Zielen folgten aber bis heute keine nennenswerten Taten, im Gegenteil. Mit dem unbeirrten Festhalten an der Kernenergie demonstriert die Bundesregierung eindrücklich ihren Unwillen, an den hochgradig verschwenderischen Strukturen unseres Energiesystems Grundsätzliches zu ändern. Die Bundesregierung ist eine Innovationsbremse. Energiepolitik läßt sich natürlich nicht nur auf Klimapolitik reduzieren. Aber es ist gerade der drohende Klimaschock, in dem sowohl die Fehlentwicklungen des bisherigen Wirtschaftens der Industriegesellschaften deutlich werden, als auch die Größenordnung des erforderlichen Wandels zur Bewältigung der Probleme. Die Bundesregierung jedenfalls kann oder will ihren Beitrag zur Lösung der globalen Klimaprobleme nicht leisten. Sollte man deswegen, um die Hoffnung auf Veränderung nicht aufgeben zu müssen, auf die nächsthöhere Organisationsstufe setzen? Sollte man von der EG erwarten, was die Bundesregierung zu leisten nicht in der Lage ist? Auch das scheint vergeblich. Die energiepolitischen Vorstellungen der EG-Kommission wirken angesichts der Problemlage geradezu anachronistisch, und das, obwohl der Ansatz auf den ersten Blick plausibel zu sein scheint. Wettbewerb im Gas- und Strombereich, Aufbrechen regionaler und nationaler Monopole, Öffnung der Leitungen für Dritte — das klingt passabel. Aber das eigentliche Ziel dieser Liberalisierungspolitik, nämlich die erwünschten Preissenkungen, geht ohne neue Rahmenbedingungen in eine völlig falsche Richtung. Die angestrebten Preissenkungen schreiben die Energieverschwendung fest, unter der die Umwelt und die Gesundheit vieler Menschen heute leiden. Aber auch markt- und wettbewerbspolitisch ist diese Politik fehlgeleitet. Sollten die EG-Richtlinien Wirklichkeit werden, würde eine Entwicklung eingeleitet, die statt zu mehr Wettbewerb zu einer Konzentration der Energieversorgung auf wenige Großunternehmen in Europa hinausläuft. Die Energiekonzerne könnten mit ihren oftmals schon abgeschriebenen Großanlagen schnell den Markt beherrschen und Stellungen festschreiben. Dadurch würde nicht zuletzt auch der anstehende Vergleich zum Stromvertrag zwischen den ostdeutschen Kommunen und den westdeutschen Stromkonzernen wieder ausgehebelt. Die innovativen Impulse, die von der Rekommunalisierung der Energiewirtschaft Ostdeutschlands für ganz Deutschland und Europa ausgehen könnten, würden durch den Einstieg in den europäischen Energiemarkt in den Sand gesetzt. Völlig unterschiedliche Umweltstandards, Sicherheitsvorschriften sowie Steuern und Subventionen innerhalb Europas führen für die Energieunternehmen zu sehr divergierenden Startbedingungen. So käme eine Öffnung des Energiemarktes zu den heutigen Bedingungen in erster Linie den französischen Atomstromlieferanten zugute. Es darf nicht wahr sein, daß in Deutschland der Konsens für einen Ausstieg aus der Atomwirtschaft gesucht wird, um dann französischen Atomstrom zu importieren. Die EG-Kommission beschränkt sich mit ihren Vorschlägen zunächst auf den Einstieg mit industriellen Großkunden. Die erhalten dann allerdings Vorteile auf Kosten von Kleinverbrauchern und mittelständischen Gewerbetreibenden. Gleichzeitig läßt sich absehen, daß die EG-Richtlinien zu einem gewaltigen Hemmschuh für alle innovativen Bemühungen zugunsten einer dezentralen, effizienten Energieversorgungsstruktur werden. Unter gegenwärtigen Bedingungen wird der gemeinsame Energiemarkt die Kommunalisierung der Energieversorgung und damit vor allem die zukunftsweisende Kraft-Wärme-Kopplung, aber auch die Eigenerzeugung von Strom in Industrieunternehmen und Haushalten behindern oder sogar unterbinden. Das wäre, das wäre meine Damen und Herren, nicht nur umweltpolitisch fatal. Damit wäre auch eine der nicht eben zahlreichen Chancen zur Schaffung neuer, zukunftssicherer Arbeitsplätze in Ostdeutschland vertan. Und die Beschäftigungswirkungen einer kleinräumigen Energiestruktur sind gar nicht hoch genug einzuschätzen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. März 1993 12441* Zukunftsorientierte Energiepolitik, die Entwicklung von Energiesystemen, kann nicht länger ohne die Umwelt gedacht und konzipiert werden. Die langjährige Ökologiedebatte hat vor allem eins gezeigt: Aus ökonomischer Sicht wurde die Umweltkrise durch ein Grundübel verursacht: Viel zu niedrige Preise für den Energie- und Ressourcenumsatz. Dieser ökonomische Selbstbetrug hinterläßt heute einen Berg ökologischer Schulden gegenüber zukünftigen Generationen, der Natur, der sogenannten Dritten Welt und der eigenen Gesundheit. Deshalb ist es endlich an der Zeit, die entstehenden externen Kosten Zug um Zug den Verursachern aufzubürden. Die EG-Kommission favorisiert hierfür bekanntlich eine Lösung, die als eine Komponente die Einführung einer CO2-Steuer vorsieht. Ein solcher Vorschlag birgt die Gefahr, daß doch wieder die nachsorgenden Umweltschutzmaßnahmen in den Vordergrund treten, die technische Rückhaltung schädlicher Emissionen — letztlich trügerische Alternativen zum grundsätzlichen Wandel des Energiesystems. Im Gegensatz zu den Vorschlägen der EG-Kommission hält die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine allgemeine Energiesteuer oder besser Primärenergiesteuer für die umweltpolitisch sinnvollere Lösung. Damit werden außer der Klimagefährdung auch die anderen ökologischen Kosten und Schäden der Energieträger vom Abbau über die Nutzung bis zur Lagerung der Reststoffe einbezogen. Nachdem nun auch die USA willens scheinen, in die Richtung eines grundsätzlichen Wandels des Energiesystems zu gehen, fallen die bisherigen Ausreden von EG und auch Bundesregierung weg. So sollte die Bundesregierung mit einer eigenen wirkungsvollen Primärenergiesteuer Zeichen und Impulse auch für die EG setzen. Obwohl die Bundesregierung seit über zwei Jahren ihre Energiepolitik auf Sparflamme kocht, ist jetzt auch in der Bundesrepublik wieder die energiepolitische Debatte in Gang gesetzt worden. Der Energiekonsens ist in aller Munde. Rückgrat eines solchen Konsenses müßte auf jeden Fall eine spürbare und stufenweise wachsende Primärenergiesteuer sein. Diese ist die effizienteste staatliche Maßnahme, um den tiefgreifenden Wandel der Energiestrukturen langfristig anzubahnen. Bei den Konsensgesprächen dreht sich bislang alles um die weitere Nutzung von Atomkraftwerken in der Bundesrepublik. Kein Tag vergeht ohne schweren Schaden, der von der Nutzung der Atomenergie ausgeht. Ich erinnere nur an die fortwirkenden Folgen der Katastrophe von Tschernobyl. Täglich werden Regionen, Nahrungsketten und Menschen weltweit bei Abbau, Verarbeitung und Nutzung des Urans schleichend vergiftet. Allein aus diesen Gründen ist es geboten, in den Konsensgesprächen schnellstmöglich den Ausstieg aus der Atomenergienutzung vorzubereiten. Der Ausstieg aus der Atomenergie mit den damit verbundenen Großkraftwerken und Verbundstrukturen beseitigt zugleich die grundlegenden Strukturhemmnisse auf dem Weg zu einer dezentralisierten, ökologisch angepaßten Energieversorgung. Die Konsensgespräche lassen eines deutlich werden: Die Atomindustrie und ihre Lobby stehen vor dem Aus. Die mit der Atomenergie verbundenen Probleme sind weder technisch noch gesellschaftlich gelöst. Die Energiekonzerne brauchen den Energiekonsens, um nicht in eine auch für sie bedrohliche, unkalkulierbare Situation hineinzuschliddern. Der einzige Konsens, der in dieser Situation erreichbar und vertretbar ist, liegt im kontrollierten, gemeinsam verantworteten Ausstieg aus der unheilvollen Nutzung der Atomenergie. Diese Richtungsentscheidung ist überfällig. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 12. Februar 1993 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen oder einen Einspruch gem. Art. 77 Abs. 3 GG nicht einzulegen. Fünfzehntes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Wehrsoldgesetzes Gesetz zur Gewährleistung der Geheimhaltung der dem Statistischen Amt der europäischen Gemeinschaften übermittelten vertraulichen Daten — SAEG-Übermittlungsschutzgesetz — Gesetz über das Ruhen der Verjährung bei SED-Unrechtstaten (VerjährungsG) Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Bundesbauverwaltung Gesetz über gebäude- und wohnungsstatistische Erhebungen (Wohnungsstatistikgesetz — WoStatG) Gesetz zu dem Protokoll vom 9. Dezember 1991 zu der Vereinbarung vom 8. Oktober 1990 über die Internationale Kommission zum Schutz der Elbe Gesetz zu dem Abkommen vom 18. Juni 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Bahrain über den Luftverkehr Gesetz zu dem Abkommen vom 22. Oktober 1991 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Rumänien fiber die Schiffahrt und den Binnenwasserstraßen Gesetz zu dem Abkommen vom 8. November 1991 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die Binnenschiffahrt Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und lindern In Angelegenheiten der Europäischen Union Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 12/1365 Drucksache 12/2791 Drucksache 12/3232 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 12/4131 Nm. 3.8-3.12 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 12/2144 Nr. 2.14
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    Rede von Rainer Haungs


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf die Argumente und Vorwürfe einiger Oppositionsredner, wir ständen vor dem Ergebnis einer verfehlten Wirtschaftspolitik, braucht man angesichts der Zahlen, der Schaffung von über 3 Millionen neuen Arbeitsplätzen, der Tatsache, daß wir mit 29,5 Millionen Arbeitnehmern den höchsten Stand der Nachkriegszeit in den alten Bundesländern erreicht haben, eigentlich gar nicht einzugehen. Nur so — dies wurde von meinen Vorrednern gesagt — waren wir in der Lage, die bisherigen Herausforderungen, die durch die deutsche Einheit ökonomisch erwachsen sind, zu bewältigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Heute, im März 1993, ist die Ausgangslage, ökonomisch gesehen, unstrittig. Wir befinden uns in einem Konjunkturtal, die Wirtschaft schrumpft und Arbeitsplätze gehen verloren. Deshalb ist die Wirtschaftspolitik gefordert, sich auf ein Hauptziel zu konzentrieren und nicht alle Möglichkeiten darzulegen und die Investoren und die Konsumenten zu verwirren. Deshalb sage ich klar und deutlich und will dies in meinen Ausführungen auch an Beispielen belegen, daß alle Maßnahmen, die zur Stärkung der Investitionskraft beitragen, schnell umgesetzt werden müssen und alle vermeidbaren Belastungen, die Arbeitsplätze gefährden — davon bringt die Opposition einen ganzen bunten Strauß — jetzt nicht diskutiert werden dürfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deshalb ist auch die wiederholt vorgetragene Forderung nach einer Beseitigung der sozialen Schieflage oder nach der Beseitigung der Gerechtigkeitslücke zum heutigen Zeitpunkt noch törichter als früher. Ich kann nur voll und ganz dem Titel des Sachverständigenratsgutachtens zustimmen: Eine Wirtschaftspolitik „für Wachstumsorientierung — gegen lähmenden Verteilungsstreit" — wie es darin klar und deutlich heißt — gibt uns alle Chancen, aus dem jetzigen Konjunkturtal herauszukommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deshalb betone auch ich, wie dies schon einige Vorredner zu Recht getan haben, daß wir heute, in einem föderalen Bundesstaat, mit unabhängiger Bundesbank, mit Tarifautonomie, die großen Aufgaben



    Rainer Haungs
    nur gemeinsam lösen können. Ich appelliere an alle, sich nicht aus egoistischen Motiven einer schnellen Einigung zu verschließen. Niemand sollte aus der Verlängerung der ökonomischen Krise politisches Kapital schlagen. Alle, auch die Opposition, auch die Bundesländer, sollten sich ihrer Verantwortung bewußt sein. Je schneller wir das Föderale Konsolidierungsprogramm beschließen und somit allen Bürgern Klarheit über Einsparungen und Belastungen verschaffen, um so besser für die wirtschaftliche Erholung!
    Die Wirtschaft, meine Damen und Herren, verträgt viel. Die Ungewißheit über die Rahmenbedingungen ist aber lähmend. Sichere Planungsgrundlagen — da dürften Sie von der Opposition mir sicherlich auch zustimmen — sind für Investoren unverzichtbar.

    (Beifall bei der CDU/CSU und des Abg. Manfred Richter [Bremerhaven] [F.D.P.])

    Es steht viel auf dem Spiel — so sagen die Sachverständigen —, weil der Konjunkturabschwung wahrscheinlich länger dauern wird und tiefer gehen wird, als sie bei der Abfassung ihres Gutachtens im vergangenen Jahr angenommen haben. Deshalb sollten wir uns bei der Schaffung neuer wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze am Wirtschaftsstandort Deutschland über drei Dinge klar sein:
    Erstens. Die Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf die mit Gewerbesteuer vorbelasteten Ertragsbestandteile im Standortsicherungsgesetz ist unbedingt notwendig und darf nicht verschoben werden,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dies ist das erhoffte und erwartete Signal an alle Investoren.
    Ich stimme dem SPD-Wirtschaftsminister Spöri zu — wo er recht hat, da soll er recht haben —:

    (Gerlinde Hämmerle [SPD]: Bravo!)

    Wenn man noch mehr senken könnte, wäre es noch besser; aber hier etwas zu zerreden und zu verschieben wäre falsch. — Die einmalige prohibitive, weltweit einmalig hohe Unternehmensbesteuerung zu senken ist das Gebot der Stunde. Wenn hier Oppositionsredner auf Beispiele der USA hinweisen, dann kann ich nur noch einmal wiederholen: Glücklich wäre die deutsche Wirtschaft, wenn sie die Steuerbelastung hätte, die in unserem Wettbewerbsland USA herrscht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Zweitens. Die öffentlichen Ausgaben sind strikt zu begrenzen. — Da haben die Sozialdemokraten sehr wenig gelernt; Sie hoffen oder glauben immer noch, daß eine Dynamik in einer marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaft durch eine Erhöhung der Staatsquote zu erreichen ist. Wir haben eine Erhöhung, vereinigungsbedingt und unabweisbar; aber jetzt ist die Zeit gekommen, diese Ausgabenerhöhungen wieder zurückzuführen.
    Ich scheue mich nicht zu sagen, daß auch Kürzungen im sozialen Bereich kein Tabu sein dürfen. Der Finanzminister hat schon darauf hingewiesen, daß sich in allen vergleichbaren europäischen Nachbarländern, ganz gleich, wie die politischen Mehrheiten dort sind, die ökonomische Vernunft durchgesetzt hat und das Überforderungsproblem bei den Sozialleistungen in den öffentlichen Haushalten gesehen worden ist. Wir müssen verhindern, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß das Leben auf Staatskosten lohnender wird als die Suche nach einem Arbeitsplatz; denn dann wird Sozialpolitik in einem Sozialstaat keine Wohltat, sondern eine Plage.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Drittens. Eine konsequente Privatisierungspolitik, von der Deutschen Eisenbahn AG bis zu allen möglichen Infrastrukturprojekten, darunter auch das deutsche Autobahnnetz, bringt unternehmerische Dynamik in die Wirtschaft und stärkt die Nachfrage, und zwar wesentlich kräftiger, wesentlich besser, als dies jegliches staatliche Programm kann.
    Leider können wir von der SPD-Opposition hier nichts erwarten, wenn die finanzpolitische Sprecherin zum Thema Privatisierung am Beispiel Autobahn nichts anderes zu bemerken hatte als — ich zitiere aus einem Fernsehinterview —: Wenn es Private machen, wird es tendenziell teurer; denn bei einer Privatisierung will immer einer Gewinn machen. — Meine Damen und Herren, eine seltsame Auffassung von Marktwirtschaft!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Der Bund hat in der Vergangenheit große Bundesunternehmen privatisiert und soll auf diesem Weg energisch weitergehen. Bei den Ländern und Gemeinden — das will ich anfügen — fehlt anscheinend noch jegliche Neigung, sich von ihren mannigfaltigen Beteiligungen zu trennen. Dabei verfügen gerade die alten Bundesländer und Gemeinden über Tausende von Wirtschaftsbetrieben, die mindestens so gut und im Regelfall sogar kostengünstiger von privaten Unternehmen geführt werden können; denn eines ist sicher: Unter dem Strich ist eine staatliche oder kommunale Betätigung in der Wirtschaft eine finanzielle Belastung für die öffentlichen Haushalte, die in der Vergangenheit vielleicht hingenommen werden konnte, heute aber nicht mehr zur Lösung der Probleme beiträgt.
    In den letzten zehn Jahren wirtschaftlichen Wachstums — das muß man selbstkritisch sehen — hat die deutsche Wirtschaft auch an einigen Stellen etwas Fett angesetzt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

    Nun, in der derzeitigen Krise, ist der richtige Zeitpunkt zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gekommen. Die vorhandenen strukturellen Schwächen — sie wurden schon in vielfältiger Weise angesprochen — müssen bei einer immer stärkeren internationalen Arbeitsteilung durch schlanke Produktion abgestellt werden. Nur wenn wir die heutige Krise als Chance begreifen und aus ihr lernen, werden wir in der Bundesrepublik Deutschland gestärkt daraus hervorgehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sicher: Schwieriger und unbequemer, als auf die flaue Konjunktur zu verweisen und auf einen Aufschwung zu hoffen, ist es, ausgetretene Pfade zu



    Rainer Haungs
    verlassen, Mängel im Unternehmen zu erkennen und zu beseitigen. Dies ist möglich, und dies ist der richtige Zeitpunkt dazu. Mit Pessimismus jedoch kann man keinen Konjunkturaufschwung bewirken.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deshalb bin ich fest davon überzeugt, daß wir den Strukturwandel nur schaffen, wenn wir mit einem dynamischen Wettbewerb die Marktkräfte stärken.
    Dies gilt auch in der heutigen kritischen Situation für den Arbeitsmarkt, der ja kaum mehr den Namen „Markt" verdient. Die derzeitige Konjunkturabschwächung hat auch in diesem Punkt die Schwächen des Standorts Deutschland deutlich gemacht. Extrem hohe Arbeitskosten auf der einen und kurze Arbeitszeiten auf der anderen Seite haben eben dazu geführt, daß viele Unternehmen mit den Problemen in einem härter gewordenen weltwirtschaftlichen Wettbewerb nicht mehr fertig werden.
    Dies sagt auch der Jahreswirtschaftsbericht und führt hierzu aus, daß die Lösung der Arbeitsmarktprobleme in West- wie in Ostdeutschland die Rückkehr zu einer verantwortungsbewußten Tarifpolitik verlangen. Es gibt im jetzigen Augenblick positive Beispiele — auch sie wurden genannt —, es gibt aber auch viel Rechthaberei, bei der tradierte Verhaltensweisen der letzten Jahrzehnte fortgeschrieben werden.
    Wer mehr neue Arbeitsplätze in Deutschland will, muß, auch wenn es einem nicht gefällt, Lohnzuwächse unterhalb des Produktivitätsfortschrittes vereinbaren, bis der von allen gewünschte Beschäftigungsstand erreicht ist. Niemand, meine Damen und Herren, erweist unseren Arbeitern und Angestellten einen guten Dienst, wenn er bei Tarifverhandlungen Verbesserungen verspricht oder fordert, die ohne volkswirtschaftliche Schäden kein Betrieb, eine öffentliche Hand schon gar nicht, bezahlen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, die Probleme von heute sind nicht mehr mit dem rituellen Verhalten von gestern zu lösen. Nehmen wir, bei voller Wahrung der Tarifautonomie, doch endlich Abschied von den Verteilungskampfmustern, die nichts anderes als politische Augenwischerei darstellen! Es gibt im Augenblick nichts zu teilen und zu verteilen — darauf hat Graf Lambsdorff hingewiesen —, sondern es geht darum, mehr zu produzieren. Mit einer halb karitativen Samariterhaltung können Sie in Familien und kleinen Kreisen, auch bei Kirchen sehr wohl Erfolge erreichen; eine dynamische Volkswirtschaft kann die Probleme nicht lösen, wenn sie in den Vordergrund der Politik stellt, Vorhandenes zu verteilen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ein Detail dazu. — Die Arbeitsvermittlung muß auch durch die Zulassung privater Arbeitsvermittler zusätzlich und im Wettbewerb zu den Arbeitsämtern, die ja tatsächlich keine optimalen Leistungen erbringen, ihren Beitrag liefern.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

    Ich bin froh darüber, daß uns dies nach der Kündigung
    des ILO-Abkommens möglich ist. Ich fordere alle
    Regierungsmitglieder auf, daran mitzuwirken, daß
    wir auch diese Komponente der Verbesserung des Arbeitsmarkts in die Tat umsetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn wir diese Debatte zum Anlaß nehmen, über den Tag hinaus zu denken, können wir unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit, über die wir uns zu Recht Sorge machen, nur durch einige Maßnahmen verändern, die ich kurz darlegen will. Dabei ist die wirtschaftliche Entwicklung in beiden Teilen Deutschlands eng miteinander verknüpft. Wir müssen auch im ökonomischen jetzt gemeinsam denken, nachdem wir die politische Wiedervereinigung erreicht haben. Denn viele Unternehmen in Ost wie in West stehen vor den gleichen Problemen.
    Keine Lösung, um dies am Anfang zu sagen, darf es auch in Zukunft sein, sich abzuschotten oder auf bequeme Art auf Einfuhrbeschränkungen zu hoffen. Für ein Land, das wie die Bundesrepublik Deutschland vom Export lebt und durch den Export Arbeitsplätze sichert und zu Wohlstand gekommen ist, dürfen wir nicht den einfachen, bequemen Weg nehmen. Genausowenig kann es eine Lösung sein, und auch dies gilt für Ost wie für West, alte Produktionsanlagen mit Subventionen der Steuerzahler zu erhalten. Hierbei müssen wir doch klar sehen: Jede Mark, die jetzt und in Zukunft für alte Strukturen ausgegeben wird, wird uns bei der Entwicklung neuer, zukunftsträchtiger Strukturen fehlen. Die Krise vieler Branchen zeigt es doch deutlich: Der Preis und die Beschaffenheit mancher Produkte — so einfach ist dies — sind auf dem internationalen Markt kaum noch wettbewerbsfähig. Dabei fließen in den Preis viele Komponenten ein, doch ein wichtiger — und man kann nicht darüber hinwegsehen — sind die Personalkosten, und da sind wir Spitze. Bei Spitzenprodukten stellt sich dieses Problem nicht, wohl aber bei der Vielzahl von Allerweltsprodukten, die bei uns nicht mehr produzierbar, weil nicht mehr kalkulierbar sind. Unsere Unternehmen sagen doch klipp und klar, warum sie im Ausland investieren. Bei der Globalisierung der Märkte ist dies zwar auch ein Zeichen von Marktstrategie, aber täuschen wir uns doch darüber nicht, es sind vor allem, gerade für viele mittelständische Unternehmen, die Kosten, die die deutschen Unternehmen ins Ausland abwandern und dort investieren lassen.
    So läßt — ein gutes Beispiel — eine große deutsche Autofirma ihre Motoren in Steyr (Österreich) produzieren anstatt in München, da dort die Steuern um 20 Prozentpunkte niedriger liegen. Ich frage Sie: Wo wird denn in Zukunft dann eine Erweiterung deutscher Unternehmen stattfinden? Ich glaube, dies liegt auf der Hand. Wenn die Produktion in dem neuen BMW-Werk — ich mache keine Werbung — in den USA um ein Drittel preiswerter ist, als sie in Deutschland durchgeführt werden kann, was wollen wir denn dann mit den Arbeitnehmern machen, die durch Auslandsinvestitionen freigesetzt werden? Da sind Sie schnell am Ende mit Ihrem Latein, Herr Lafontaine — er ist nicht mehr da —, wenn Sie von einer offensiven Arbeitsmarktpolitik sprechen. Sie glauben doch im Ernst nicht daran, daß wir mit den ABM- Mitteln, die gewachsen und nicht geschrumpft sind, selbst wenn wir 10 Milliarden DM investieren, eine Möglichkeit haben, dauerhafte Arbeitsplätze zu



    Rainer Haungs
    schaffen. Dies ist es selbstverständlich nicht, sondern es ist eine sozialpolitische Flankierung, eine arbeitsmarktpolitische Aktion, die dringend notwendig ist. Wir müssen sie aber in ihrer politischen Bedeutung richtig sehen.
    Die Schaffung von Rahmenbedingungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland, die es den Unternehmen erlauben, bei uns zu investieren und trotzdem auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu sein, das ist die Aufgabe der Stunde, das sind die besten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Uns haben doch die Ereignisse der letzten Tage, sei es die Stahlkrise in Nordrhein-Westfalen oder in Brandenburg oder die Kündigung der Tarifverträge in den neuen Bundesländern bei Metall, deutlich vor Augen geführt, wie anfällig der Standort Deutschland in einer Zeit ist, in der eine immer größer werdende Abhängigkeit zwischen den Märkten auftritt. Es darf nicht sein, daß die deutsche Wirtschaft gezwungen ist — und viele Unternehmen sind dazu gezwungen —, ihre betriebswirtschaftlichen Probleme zu Lasten der Volkswirtschaft zu lösen.
    Unbestreitbar hat der Standort Deutschland nach wie vor viele Vorteile, aber wir sollten diese Dinge, die ich kurz angesprochen habe, ändern, damit nicht am Ende die Summe der Nachteile die Summe der Vorteile übersteigt.
    Ich fasse zusammen. Wir stehen heute vor der dreifachen Herausforderung:
    erstens, in den neuen Bundesländern auf allen Gebieten den Aufbau zu schaffen,
    zweitens, den konjunkturellen Abschwung zu überwinden,
    drittens, die Strukturschwäche zu beseitigen, um bei besserer Weltkonjunktur mit mehr konkurrenzfähigen Produkten voll im Wettbewerb dabeizusein.
    Dabei behaupte ich, daß unser Konzept schlüssig ist und auch die Strategie nachvollziehbar. Was die Opposition anbietet, ist widersprüchlich. Ich brauche es nicht zu wiederholen, es wird dadurch nicht besser. Es führt zu mehr Abgaben und zu Steuererhöhungen. Somit ist der SPD wieder einmal nicht mehr eingefallen als eine Steuererhöhung für einen Teil der Bürger, und — ich will es noch einmal wiederholen, weil es von so primitiver ökonomischer Logik ist — man glaubt, wenn man nur den besserverdienenden Teil der Mitbürger mit einer Ergänzungsabgabe belegt, was man mit dem primitiven Argument verbindet, dadurch ändere sich nur die Sparquote und sonst nichts, daß man dadurch einen Beitrag zur Lösung des Hauptproblems, mehr Investitionen, liefert. Wenn in den USA das Hauptproblem gerade darin besteht, daß die Sparquote wesentlich zu gering ist, dann sollten wir zumindest auf dem Gebiet, auf dem wir noch gute Zahlen vorweisen können, nicht auch noch einen Fehler machen zu all den Fehlern, die die SPD bei ihren anderen Vorschlägen bringt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ministerpräsident Lafontaine war so gewissenhaft, zu überprüfen, was alles verfassungsmäßig ist von
    dem, was von uns vorgeschlagen wird. Er hatte dann aber überhaupt keine Probleme, eine Arbeitsmarktabgabe vorzuschlagen, die mit Sicherheit verfassungsmäßige Probleme mit sich bringt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich bin aber auch aus einem ganz anderen Grund dagegen. Denn zum heutigen Zeitpunkt eine Arbeitsmarktabgabe von Selbständigen zu fordern, soll dies die Selbständigen, von denen wir jetzt mehr Dynamik, mehr Risiko und mehr Engagement erwarten, ermutigen, neue Risiken einzugehen? Soll gerade diese Gruppe der Gesellschaft, die Arbeitsplätze schafft, eine Bestrafungsabgabe bezahlen? Das kann doch wohl nicht wahr sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn wir noch ökonomisch sinnvolle Maßnahmen, die doch der Motivation der Entscheidungsträger dienen, durchführen, dann dürfen wir doch nicht diese Leistungsträger als maßgebliche Träger der Konjunktur mit einer Steuer bestrafen, von der sie überhaupt nichts haben und für die es überhaupt keine sachliche Logik gibt. Denn das Arbeitsplatzrisiko des Selbständigen, gerade des kleinen Selbständigen, ist nicht versicherbar. Es läßt sich nicht versichern, es soll auch nicht versichert werden. Es ist der Kern der Wettbewerbswirtschaft bei uns in der Marktwirtschaft.
    Lassen Sie mich abschließend einen Gedanken äußern, der für mich noch wesentlich zentraler ist als die Defizite in den Haushalten. Wir haben nicht nur Haushaltsdefizite, die können wir durch energisches Handeln, durch Kürzung von Ansprüchen an den Staat beheben. Wir haben leider in unserer Gesellschaft eine sehr empfindliche Unternehmerlücke. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten brauchen wir mehr Menschen, die bereit sind, gegen den Strom zu schwimmen, mehr zu arbeiten, mehr zu riskieren, kurz gesagt: unternehmerisch tätig zu sein. Diesen Personenkreis mit unbegründeten Abgaben zu belasten bedeutet, ihn in die Flucht zu schlagen, bedeutet, mit ihm Arbeitsplätze auswandern zu lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dies jedoch kann nicht unser Ziel sein, sondern unser Ziel soll sein — und damit darf ich schließen — ein klares Bekenntnis zu Wohlstand, zu Sicherheit und zu wirtschaftlichem Wachstum im vereinten Deutschland.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Helmuth Becker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Wolfgang Roth.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte mich gern mit den Argumenten der beiden Ministerpräsidenten auseinandergesetzt, die heute früh das verfassungsmäßig begründete Recht wahrgenommen haben, hier im Deutschen Bundestag zu reden, Herr Biedenkopf und Herr Lafontaine. Aber ich muß feststellen, daß sie jetzt dringendere Aufgaben haben, als dem Wirschaftssprecher der CDU/CSU-Fraktion und dem Wirt-



    Wolfgang Roth
    schaftssprecher der SPD-Fraktion zuzuhören. Ich bin der Auffassung, Herr Präsident — Sie werden das zu würdigen wissen —, daß das auch wenigstens eine Diskussion im Ältestenrat wert wäre, daß diese Art von Verhaltensweisen von uns jedenfalls nicht akzeptiert wird.

    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])

    — Dieser Zwischenruf, Herr Hinsken, sie würden nichts versäumen, ist eine Charakterisierung der Rede meines Vorredners, die er nicht verdient hat. Ich fand sie ganz bemerkenswert.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja, Herr Hinsken, da sind Sie fix und fertig!)

    Die Bundesrepublik Deutschland ist; wie Sie alle wissen, unvermittelt in die tiefste Wirtschaftskrise der Bundesrepublik seit dem Zweiten Weltkrieg gerutscht. Die Rezession ist tiefer und ausgeprägter als diejenige der Jahre 1973 bis 75 bzw. der Jahre 1980 bis 82. Ich habe schon in der Haushaltsdebatte auf die beginnende Rezession hingewiesen, was mit Zwischenrufen von Ihnen begleitet wurde. Sie haben damals gesagt, das sei Schwarzmalerei. Ich muß nun gestehen, daß ich in jener Rede den Rückschlag unterschätzt habe. Ich habe da nämlich das Wort Rezession nicht benutzt, sondern gesagt, wir sind in der Gefahr, daß dem nicht erfolgten Aufschwung im Osten nun ein Abschwung im Westen folgen würde. Ich konnte da gar nicht ausreden.
    Inzwischen hat sich herausgestellt, daß die Rezession sehr viel tiefer ist. Ich muß mich also korrigieren. Allerdings habe ich eine Begründung für die Notwendigkeit meiner Korrektur. Ich habe mir nicht vorstellen können, wieviel wirtschaftspolitische Fehler seit September 1992 in der Bundesrepublik durch die Bundesregierung gemacht würden.

    (Beifall bei der SPD)

    Fehler Nr. 1: Da wird die Solidaritätsabgabe abgeschafft und gleichzeitig die Mehrwertsteuer erhöht. Das heißt, man führt eine Steuer ein, die preistreibend ist, und schafft eine ab, die in der Wirkung auf die Volkswirtschaft relativ gemildert ist.
    Das Ergebnis ist — das ist der zweite wirtschaftspolitische Fehler —, daß wir eine Steigerung der Inflation von 3,5 % im Dezember auf 4,4 % im Januar hatten.
    Der dritte Fehler, der damit verbunden ist, ist folgender: Jetzt reagiert die Bundesbank nicht, wie es in der Rezession notwendig gewesen wäre, mit schneller Zinssenkung, sondern sie versucht erneut, diese Inflation zu bekämpfen und verschärft damit die Rezession. Diese Fehler, die in wenigen Wochen gemacht wurden, sind meines Erachtens völlig indiskutabel.

    (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Das ist doch ein Märchen!)

    Der vierte Fehler, Herr Faltlhauser — da nehme ich Bezug auf den gestrigen Abend —, ist folgender: Seit Monaten gibt es in der Bundesrepublik eine Steuerdiskussion. Es geht hin und her und zurück, und es
    kommt wieder ein neuer Vorschlag und wieder eine Aufhebung. Dadurch wird die Wirtschaft verunsichert. Die Wirtschaft hat hinsichtlich der Investitionstätigkeit auf Abwarten gestellt. Das ist der vierte entscheidende Fehler, den Sie zu verantworten haben.

    (Beifall bei der SPD — Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Da müssen Sie auch Ihre Kollegen einbeziehen!)

    Ich sage ja nicht, daß diese Rezession völlig vermeidbar war. In den USA haben wir sie seit zweieinhalb Jahren, und es war logisch, daß sie auch bei uns kam. Aber der entscheidende Punkt ist doch, daß die Bundesregierung die Rezession seit Monaten ständig verschärft, statt sie zu bekämpfen und wirklich anzugehen. Das ist der entscheidende Punkt.

    (Beifall bei der SPD — Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Das ist unseriös!)

    — Herr Hinsken, wenn Sie die Papiere zur Anhörung zum Standortsicherungsgesetz im Finanzausschuß nachlesen, merken Sie, daß mitten in der Rezession ein weiterer Fehler gemacht wird. Sie verschlechtern die Abschreibungsbedingungen. Sie verschlechtern die Situation derjenigen Unternehmen, die investitionswillig sind, und machen pauschale Steuersenkungen, die im Schnitt gerade denen am meisten helfen, die nicht Unternehmer sind, die nicht investieren und die nicht aktiv sind.

    (Beifall bei der SPD)

    Lesen Sie beispielsweise den Text des DIW nach, der heute veröffentlicht worden ist. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung weist an Hand von Beispielrechnungen schlagend nach, daß gerade die Unternehmen geschädigt werden, die Investitionspläne haben, die nach vorn wollen, die also die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit im Vordergrund sehen.

    (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Genau so ist es doch, Herr Roth!)

    Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einige Worte zum Jahreswirtschaftsbericht und zur Funktion des Bundeswirtschaftsministeriums sagen. Ich bin auch da, wie ich glaube, gerecht. Seit 1949 hatte es das Wirtschaftsministerium schon immer schwer — heute wird das immer verklärt mit den Namen Erhard und Schiller —, seine Position gegen andere Ressorts zu vertreten und das wirtschaftlich Vernünftige auch wirklich umzusetzen. Aber ich habe, solange ich im Bundestag bin — das sind jetzt 17 Jahre —, noch keine Situation erlebt, in der das Bundeswirtschaftsministerium einen derartigen Funktionsverlust erlitten hat. Daß Sie beispielsweise diese chaotische verkehrspolitische Diskussion in den letzten Tagen ohne öffentlichen Kommentar zugelassen haben, bedeutet einen weiteren Funktionsverlust für das Wirtschaftsministerium. Das nimmt keiner mehr ernst.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    An Sie gerichtet möchte ich sagen: Jetzt waren Sie wenigstens ein Trippelschrittchen in Richtung einer ökologischen Steuerreform gegangen. Ich halte es



    Wolfgang Roth
    insgesamt für eine richtige Orientierung, zu sagen: Wir kommen um eine Mineralölsteuererhöhung nicht herum; das ist auch im Hinblick auf Einsparungen und angesichts der Verkehrssituation das Richtige. — Das gilt dann zwei Tage, aber nach zwei Tagen fängt in der CDU/CSU-Fraktion die Lastwagendiskussion an, und jetzt gilt für mehrere Wochen wieder gar nichts mehr. Es werden die Minister nach Brüssel geschickt, sie sollen doch bitte schön die Holländer überzeugen, daß sie beim Thema Lastwagen einmal vernünftig werden. Das hätten wir doch schon in den letzten zehn Jahren machen können, wenn das so einfach gewesen wäre.

    (Beifall bei der SPD — Rainer Haungs [CDU/ CSU]: Das ist gar nicht wahr!)

    Lassen Sie mich nur noch einige Worte, weil ich da eine Zwischenfrage an Herrn Biedenkopf gestellt habe, zur Prognose sagen. Sie sagen: plus minus null. Das ist eine Jahresprojektion. Ich sage, es wird bedeutend kritischer. Meine Bitte an Sie wäre, jetzt einfach den Text Ihres eigenen Berichts zu vergessen und sich mit wirtschaftspolitischen Instrumenten und Entscheidungen auf minus zwei einzustellen und auf einen Zuwachs der Arbeitslosigkeit um mindestens 500 000, vielleicht sogar 600 000.
    Wenn Sie die Zahlen von heute betrachten, die gerade in Nürnberg veröffentlicht worden sind, dann sehen Sie bereits im Jahresvergleich einen Zuwachs von über 400 000. Das ist eine bedrohliche, eine dramatische Entwicklung. Ich glaube, wir alle haben Grund — ich schaue auch in die Richtung — zu überlegen, welche wirtschaftspolitischen Instrumente jetzt richtig sind. Ich würde Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister Rexrodt, empfehlen — das haben wir in der Vergangenheit schon einmal praktiziert —, daß Sie einen Auftrag an den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Situation geben. Er soll in wenigen Wochen — er hat das einmal in 14 Tagen gemacht — ein Gutachten zur Wirtschaftsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland erstellen. Warum dränge ich zur Eile, Graf Lambsdorff? Die Überlegung ist, daß wir mit einem seriösen neuen Gutachten des Sachverständigenrats — Sie selbst haben ja gesagt, die Zahlen sind auf Grund der gegenwärtigen Situation veraltet — die Chance haben, vielleicht auch die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern und beiden großen Parteien unter Einschluß der F.D.P. als Partner der anderen großen Fraktionsgemeinschaft beeinflussen können.
    Meine Meinung ist, daß wir uns alle noch nicht bewußt sind, wie stark der Rückschlag in der Konjunktur ist. In einer derartigen Situation mag das Wachstums- und Stabilitätsgesetz, wie Professor Biedenkopf gesagt hat, in Details durchaus überholt sein. In dieser Frage aber ist es überhaupt nicht überholt; denn wir haben im Wachstums- und Stabilitätsgesetz das Instrument der Begutachtung als Schnellgutachten durchaus vorgesehen, und es könnte jetzt sehr hilfreich sein. Vielleicht könnte es die Folge haben, daß manche aus den Schützengräben herauskommen, in die sie sich jetzt bei den Verhandlungen, was den Solidaritätspakt betrifft, bewegt haben.
    Als Beispiel nenne ich die Arbeitsmarktpolitik. Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß die Bundesregierung in einer Situation, in der die Arbeitslosigkeit explodiert, weiterhin Arbeitsmarktpolitik einschränkt. Das kann doch nicht wahr sein!

    (Beifall bei der SPD)

    Sie müssen sich von seiten der CDU/CSU in dieser Frage korrigieren.

    (Zuruf von der F.D.P.: Falsch! — Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Schränken Sie es doch nicht ein!)

    — Entschuldigen Sie, wenn ich einen Zulauf von 600 000 mehr Arbeitslosen im Laufe des Jahres habe, wie wir jetzt gemeinsam vermuten — dazu haben Sie ja nichts dazwischengerufen, Herr Faltlhauser —, ist doch diese geringe Steigerungsrate der Ausgaben, die Sie da künstlich errechnen, faktisch eine Abnahme der aktiven Arbeitsmarktpolitik, eine Verschlechterung der Situation der Arbeitslosen. Das ist doch schlichte Logik, meine Damen und Herren.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Es ist doch nicht schlimm, wenn man Fehler korrigiert. Schlimm ist, wenn man mit Fehlern dauernd vor dieselbe Wand läuft.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich möchte ein Wort zur Geldpolitik in Deutschland sagen. Dabei bin ich in einem gewissen Dilemma, ob ich es überhaupt tun sollte, aber ich möchte es doch tun. Das Dilemma besteht darin, daß ich dabei die Kritik ein Stück von der Bundesregierung ablenke.
    Ich habe bis Januar, Februar, März letzten Jahres die Geldpolitik der Deutschen Bundesbank insgesamt für richtig gehalten. Ich war auch der Auffassung, daß ihre Mahnungen im Hinblick auf die Defizitpolitik der Bundesregierung richtig waren. Und ich glaube, es war auch manches Wort im Hinblick auf die Tarifpartner richtig. Aber seit dem Juli 1992 kann ich diese Geldpolitik nicht mehr akzeptieren. Ich halte sie für einen schweren Fehler. Mitten in einer kritischen Situation des europäischen Währungssystems erhöht man im Juli 1992 bei sich abschwächender Konjunktur noch einmal die Zinsen. Man muß sich dann schon im September in einem Schritt korrigieren. Und das geht jetzt so weiter, aber ohne klares Zinssignal, wie es die Japaner gemacht haben, ohne klares Zinssignal, wie es vor zweieinhalb Jahren Herr Greenspan gemacht hat, der drastisch und sofort auf die Abschwächung der Konjunktur reagiert hat
    Wir alle wissen, daß hohe Zinsen auch am kurzen Ende eine verheerende Wirkung auf die Wirtschaft haben können. Die Behauptung — übrigens von Keynesianern genauso wie von den Chicagoboys —, die Zinsen am kurzen Ende seien eigentlich völlig irrelevant, übersehen doch einen Mechanismus, den man heute in den Bilanzen und in der Finanzstrategie der großen Konzerne beobachten kann. In der Alternative, Geld zu halten oder real zu investieren, werden große Unternehmen in der rezessiven Phase sofort auf Vorsicht schalten und Geld halten, vor allem dann, wenn die Zinsen am kurzen Ende so extrem hoch sind.



    Wolfgang Roth
    Wir wissen, daß die deutsche Wirtschaft — das ist nicht meine Zahl, sondern die der Bundesbank — 600 Milliarden DM Liquidität hat; ich wiederhole: 600 Milliarden DM Liquidität, und zwar erhebliche Teile davon kurzfristig angelegt. Wir erzielen heute für höhere Summen immer noch nahezu 8 % Rendite. Meine Damen und Herren, können Sie sich irgendein Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland in der industriellen Wirtschaft oder, noch drastischer zugespitzt, in der Industrie in Ostdeutschland vorstellen, das vergleichbare Renditen erwirtschaften würde? Das heißt, das Stottern, das Trippelschrittchenmachen der Bundesbank, ist natürlich eine Aktivität, die zum Abwarten und Geldhalten führen wird. Und das wird weiter so sein.
    Ich kann — dazu habe ich auch die Unbefangenheit — die Bundesbank nur dringend bitten — das hat nichts mit Autonomie zu tun —, einen Kurswechsel vorzunehmen. Und ich kann Herrn Schlesinger nur dringend bitten, z. B. mit dem Chef der Zentralbank in Japan oder mit Herrn Greenspan zu diskutieren, ob diese Argumente nicht zutreffen. Ich glaube, auch für die gesamte europäische Entwicklung wird das immer mehr zur Schlüsselfrage.

    (Beifall des Abg. Dr. Uwe Jens [SPD])

    In dem Zusammenhang, meine Damen und Herren, noch ein Wort zu Europa. Wenn wir eine derartige Abschwächung der Konjunktur in Deutschland haben, ziehen wir natürlich alle unsere Nachbarn in die Rezession noch tiefer und tiefer hinein. Das bedeutet dann chaotische Situationen des europäischen Währungssystems. Ich befürchte sogar, daß wir Maastricht vergessen können, wenn die Rezession in der Bundesrepublik lange anhält und gleichzeitig die Hochzinspolitik stattfindet. Wer will das eigentlich durchhalten in Frankreich? Wer will das durchhalten in anderen Ländern, die sich ja bisher ungewöhnlich loyal verhalten haben, was die Finanzierung der deutschen Einheit anbetrifft? Die Deutschen könnten sich an der Stelle ein bißchen bedanken. Ich habe oft den Eindruck gehabt, unsere europäischen Nachbarn haben mehr für die seriöse Finanzierung der deutschen Einheit getan als die Bundesregierung selbst.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch absurd!)

    Aber, meine Damen und Herren, wir müssen jetzt eine Konjunkturpolitik betreiben, die auch unseren Nachbarn hilft, damit wir uns selber helfen.
    Wo ist das eigentliche Problem? Es liegt darin, daß die Nachbarn unruhig werden, was deutsche Exporte anbetrifft. Was wir in den drei Wochen durch öffentliche Äußerungen der französischen Regierung erlebt haben — ich hätte mir gewünscht, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister dazu etwas gesagt hätte —, ist ja ein schlimmer Vorbote für falsche Handelspolitik.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die Regierung wird nicht mehr lange da sein!)

    — Meine Damen und Herren, da ruft einer: Die Regierung wird nicht mehr lange da sein.

    (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: In Frankreich!)

    — Ja, Vorsicht! Hier auch; aber das ist eine andere Sache.

    (Beifall bei der SPD)

    Der entscheidende Punkt, Sie kühner Hoffer auf Wandlung in Frankreich, ist doch der, daß die Gaullisten keine offenere Handelspolitik betreiben werden, sondern noch enger beispielsweise mit den Interessen der französischen Agrarindustrie verflochten sind.

    (Zuruf von der SPD: Richtig! — Zuruf von der CDU/CSU: Aha, so einfach ist das!)

    Ich habe die große Befürchtung, daß wir dann, wenn wir nicht bald etwas für die europäische Konjunktur tun, Reaktionen von den Partnern bekommen werden. Daß in Amerika, was diese Frage anbetrifft, auch nicht nur Heilige sitzen, hat die Rede von Präsident Clinton in Seattle gezeigt. Also ich dachte, wir hätten die Geschichte mit dem Airbus endgültig verhandelt und geklärt — jedenfalls hatten wir das so vereinbart —, aber plötzlich kommen 27 Jahre Subventionsgeschichte für den Airbus hoch, um die handelspolitische Diskussion neu zu beleben. Was der Handelsrepräsentant Kantor in einer anderen Rede — nahezu am selben Tag — gesagt hat, war auch nicht gerade verheißend.
    Das heißt, für den Weltwirtschaftsgipfel im Sommer in Japan und für die gesamte Handelsdiskussion in der Welt ist ganz entscheidend, wie schnell die Bundesrepublik Deutschland als „Lokomotivland" in Europa diese Wirtschaftskrise überwinden wird. Das ist die entscheidende Frage und Aufgabe. Da hilft es nichts schönzufärben, da hilft es nichts, nur zu sagen, so schlimm sei das alles nicht. Ich bin der Auffassung, man muß sehr realistisch an das Problem herangehen und sich z. B. überlegen, daß wir beginnen, im Hinblick auf mehr Investitionen im Haushalt erneut umzuschichten. Wir brauchen mehr Investitionsanstöße vom staatlichen Bereich.
    Aber da wird heute gesagt, dieses Gerede sei nun I wieder alter staatswirtschaftlicher Käse. Schauen Sie doch einmal, was jetzt in Amerika gemacht wird. Herr Clinton reagiert mit einem Programm, das wirklich direkt aus dem Sofortprogramm von unserem Parteitag im letzten Herbst entnommen sein könnte.

    (Widerspruch und Zurufe von der CDU/ CSU)

    Es ist in vielen Aspekten fast wortgleich.

    (Lachen und weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    — Mit einer Ausnahme, da haben Sie recht: Beim freien Handel sind wir weiter als Präsident Clinton.
    Ich will noch ein Wort zu der aktuellen Privatisierungsdiskussion sagen, weil ich glaube, daß da auch aus wirtschaftspolitischer Sicht eine Klarstellung notwendig ist. Daß wir in Bereichen privatisieren, in denen Unternehmen beim Staat geblieben sind, die aber im Wettbewerb stehen, halte ich für pragmatisch und vernünftig. Warum soll man sich damit belasten?
    Ich konnte mich nicht erregen, als Salzgitter damals privatisiert worden ist, weil eine privatisierte Stahlun-



    Wolfgang Roth
    ternehmung — das ist ja jetzt mit der Integration bei Preussag weitergegangen — vielleicht eine bessere Zukunft für die Arbeitnehmer bietet, als wenn sie der Staat behält. Dort funktioniert Wettbewerb.
    Aber, meine Damen und Herren, es ist weiß Gott ein Stück aus dem Tollhaus, wenn der Verkehrsminister der Bundesrepublik Deutschland vorschlägt, vom Steuerzahler finanzierte Autobahnen zu privatisieren, Privaten zu übereignen. Ich kann Ihnen schon sagen, wer sich bewirbt.

    (Dr. Uwe Jens [SPD]: Ich kaufe das Kamener Kreuz!)

    — Herr Jens hat schon eine Option auf das Kamener Kreuz. Ich weiß nicht, ob der Herr Jens die entsprechende Masse hat, um es zu bezahlen. Das ist eine andere Frage.
    Aber es ist doch völlig klar, daß die großen Kapitalsammelstellen in der Wirtschaft — von der Allianz bis zu unseren Energieversorgern, die ja auf Grund i serer Rückstellungsgesetze Kapitalsammelstellen geworden sind — in dieses Monopolgeschäft einsteigen.

    (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Ja und?)

    Das heißt: Es wird dann so sein, daß Monopolisten auf ihren Märkten ein neues Monopol, und zwar ein natürliches Monopol, erwerben. Ich könnte auch sagen: Wir können ja gleich ins Gesetz schreiben, daß Private, daß Allianz und RWE das Recht bekommen, Geld zu drucken. Darm bräuchte man nicht den Umweg der Privatisierung der Autobahn zu gehen.

    (Beifall bei der SPD — Rainer Haungs [CDU/ CSU]: Man kann Ihre Argumentation nicht nachvollziehen!)

    Seit hundert Jahren weiß jeder, daß es natürlich Monopole gibt, die keinerlei Konkurrenz haben, außer Konkurrenz, die völlig schädlich ist, nämlich die Bundesstraßen und die Stadtstraßen. Darauf würde man ausweichen, wenn das die einzige Konkurrenz wäre. Ein derartiger Vorschlag wird im Wirtschaftsministerium nicht unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten diskutiert. Ich habe das mit großem Staunen verfolgt und bin der Auffassung, daß Sie sich endlich mit diesem Thema beschäftigen müßten.
    Lassen Sie mich zum Schluß ein paar Bemerkungen zur wirtschaftlichen Situation in Ostdeutschland machen. Ich mache das sehr kurz vor dem Hintergrund der Tatsache, daß anschließend Christian Müller, der in einer der schwierigsten Regionen Ostdeutschlands, im Raum Zittau-Görlitz, Abgeordneter ist, ebenfalls zu diesem Thema Stellung nehmen wird.
    Ich habe vor zwei Jahren, unmittelbar nach der Währungsunion, die ich heute — im Unterschied zu anderen Rednern — unterstützt habe,

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    gesagt, diese Aufwertung bedeute für die ostdeutsche Industrie, daß in kurzer Zeit Deindustrialisierung, Entindustrialisierung die Folge sein werde, wenn man nicht andere Maßnahmen — quasi als Wechselkursersatz — trifft. Dann haben Sie immer dazwischengerufen: „Kassandra!" Ich habe mir das inzwischen mehrfach überlegt: Der Zwischenruf „Kassandra!" war natürlich richtig, denn die Kassandra hatte ja leider recht, was die Geschichte in Troja anbetraf. Aber, meine Damen und Herren, die Entindustrialisierung ist jetzt so weit fortgeschritten, daß wir gerade noch 800 000 gewerbliche Arbeitsplätze im Osten haben und daß wir am Ende des Jahres vielleicht nur noch 600 000 Arbeitsplätze haben werden. — Schütteln Sie nicht das Haupt; bei einem Minister muß ich ja „Haupt" und nicht „Kopf" sagen. Meine Prognosen waren, was Ostdeutschland anbetrifft, nicht so schlecht.
    Einen theoretischen Streit darüber anzufangen, ob man die Industrie im Kern erhalten soll oder nicht, ist doch absurd. Der eigentlich notwendige Streit liegt auf einer ganz anderen Ebene. Das Wort „im Kern erhalten" nehme ich sehr ungern in den Mund, denn damit tut man so, als könnte man von Heckert bis Sket, vom Waggonbau bis zu den Werften, alles so erhalten, wie es einmal war. Das ist natürlich grober Unfug. Was wir machen müssen, ist, diese Kerne zu modernisieren, zu erneuern. Genau an der Stelle haben die Bundesregierung und die Treuhand seit Jahren versagt.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Ich rede nicht als Theoretiker. Ich war zwar nicht so weit oben in der Treuhand wie Sie; ich war als Aufsichtsrat in zwei Maschinenbauunternehmen mehr Opfer. Unsere Situation war immer dieselbe: Wir haben Geld bekommen zum Überleben, zum Durchhalten, gerade so viel, daß Nase und Mund über Wasser waren. Aber wir haben kein Geld für Neuinvestitionen und zur Erschließung neuer Märkte bekommen.
    Ich glaube, jetzt gibt es eine leichte Veränderung der Politik. Sie müssen jetzt auch Frau Breuel zwingen. Sie haben ja die Kompetenz. Sie müssen zwar immer noch ein bißchen mit den Bayern reden, aber Sie haben eine Kompetenz, um zu erreichen, daß jetzt dem verbliebenen Rest der ostdeutschen Industrieunternehmen grünes Licht für Neuinvestitionen, für die Erschließung neuer Märkte gegeben wird. Das ist nach meiner Überzeugung die beste Arbeitsmarktpolitik im Osten.
    Dem könnte man noch eine ökologische Dimension hinzufügen, indem man in einem gewissen Sinne überholt, ohne einzuholen. Das wäre möglich. Nur, diese Vorgaben und Hilfen brauchen wir.
    Sie hatten früher ja engere Verbindungen zum Herrn Bundeskanzler, der jetzt keine Zeit hat. Sagen Sie ihm, er sollte nicht immer davon reden: „im Kern erhalten" ! Sagen Sie ihm, es gelte, den Kern, der noch verblieben ist, schnell mit Investitionsmitteln, mit Innovationsmitteln zu erneuern.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Dazu gehört übrigens auch das Thema der Forschungspotentiale in den Industriebetrieben Ostdeutschlands. Es ist ein Gerücht, wenn behauptet wird, sie seien so schlecht gewesen, sie seien technologisch am Ende gewesen. Sie waren vielmehr durch



    Wolfgang Roth
    eine verrückte Politik der SED am Ende, die das Entstehen von Investitions- und Innovationspotentialen systematisch zugunsten einer opportunistischen Politik verhindert hat, die darauf hinauslief, den Konsumstandard hochzuziehen, ohne daß die Investitionen gefördert wurden. Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck — seien Sie mir nicht böse —, daß Sie aus dieser Lektüre nicht genügend gelernt haben. Wir müssen umsteuern, wir müssen unsere Förderung auf die Industrie, auf gewerbliche Arbeitsplätze konzentrieren.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die brauchen Märkte und Rentabilität!)

    Wir müssen meines Erachtens aufhören, in der Breite zu subventionieren. Es war Quatsch, daß die Deutsche Bank, wenn sie in Erfurt ein Bankgebäude baut, 60 % der Kosten vom Staat bekommt oder daß auch Aldi, wenn es das x-te Zentrum baut, eine derartige Subvention erhält. Das wäre automatisch gekommen. Aber diese verrotteten Industrien in Ostdeutschland zu modernisieren, dazu wären Subventionen notwendig gewesen.
    Ich sage Ihnen eines — damit will ich enden —: Wir haben in Ostdeutschland qualifizierte Arbeitskräfte. Wir haben qualifizierte Ingenieure. Wir hatten in unseren Bereichen dauernd Abwerbungen von guten Leuten, was auch eine ziemlich schnöde Geschichte ist, und zwar bis in die jüngsten Tage hinein.
    Auf dieser Basis kann man eine neue Industrie aufbauen, wenn man ihr unternehmerischen Raum läßt. Auch die Manager drüben, die jetzt übriggeblieben sind — da ist ja ausgesiebt worden —, sind keine Schwachmatiker, die dauernd Belehrungen aus dem Westen verlangen. Meine Meinung ist: Wir haben hier eine Chance. Wir sollten sie ergreifen.
    Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für das Zuhören. Es tut mir leid, daß es für Sie das letzte Mal ist. Ich hätte Ihnen das noch öfters gegönnt.
    Vielen Dank.

    (Beifall im ganzen Hause)