Rede:
ID1210505200

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 10
    1. Herr: 1
    2. Minister,: 1
    3. gestatten: 1
    4. Sie: 1
    5. eine: 1
    6. Zwischenfrage: 1
    7. des: 1
    8. Herrn: 1
    9. Kollegen: 1
    10. Reimann?: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/105 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 105. Sitzung Bonn, Freitag, den 11. September 1992 Inhalt: Bestimmung des Abgeordneten Hans-Ulrich Klose als ordentliches Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses an Stelle des ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Hans-Jochen Vogel . . . . . . . . . . . . . 8987 A Bestimmung des Abgeordneten Hans Gottfried Bernrath als stellvertretendes Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses an Stelle des aus dem Deutschen Bundestag ausgeschiedenen Abgeordneten Harald B. Schäfer (Offenburg) 8987 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung . . 8987 B Tagesordnungspunkt 2: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheits-Strukturgesetz 1993) (Drucksache 12/3209) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksache 12/3210) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Reform des Gesundheitswesens (Drucksache 12/3226) Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 8987 D Rudolf Dreßler SPD . . . . . . . 8995 D Dr. Dieter Thomae F.D.P. . . . . . . . . 9000 C Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste 9003A, 9019D Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU 9004 D Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9008 A Dr. Klaus Gollert, Minister des Landes Mecklenburg-Vorpommern 9009 D Klaus Kirschner SPD 9010D Dr. Bruno Menzel F.D.P. 9012 D Gudrun Schaich-Walch SPD 9015 A Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . 9016B Dr. Hans-Hinrich Knaape SPD 9018 C Dr. Hans-Joachim Sopart CDU/CSU . 9021 D Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . 9023 D Dr. Martin Pfaff SPD 9025 C Bernhard Jagoda CDU/CSU 9026 B Wolfgang Zöller CDU/CSU . 9027C, 9027 D Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Fördervoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen (Drucksache 12/3211) b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (Drucksache 12/3008) II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. September 1992 Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 9029A Manfred Reimann SPD 9032 B Adolf Ostertag SPD . . . . . . . . . 9033 C Dr. Gisela Babel F.D.P. 9035 B Petra Bläss PDS/Linke Liste 9037 C Heinz Schemken CDU/CSU 9038 D Manfred Reimann SPD . . . . . 9040B Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . 9040 D Ulrike Mascher SPD 9042 A Julius Louven CDU/CSU 9043 C Regina Kolbe SPD 9044 B Tagesordnungspunkt 4 c: c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der anderweitigen Verwendung von Berufssoldaten und Beamten des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Verteidigung (Verwendungsförderungsgesetz) (Drucksache 12/3159) 9045 C Nächste Sitzung 9045 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9047* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 9048* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. September 1992 8987 105. Sitzung Bonn, den 11. September 1992 Beginn: 8.30 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 11. 09. 92*** Bachmaier, Hermann SPD 11. 09. 92 Dr. Blank, CDU/CSU 11. 09. 92** Joseph-Theodor Blunck (Uetersen), SPD 11. 09. 92 Liselott Böhm (Melsungen), CDU/CSU 11. 09. 92* Wilfried Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 11. 09. 92 Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 11. 09. 92 Brandt, Willy SPD 11. 09. 92 Büchler (Hof), Hans SPD 11. 09. 92* Clemens, Joachim CDU/CSU 11. 09. 92 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 11. 09. 92 Herta Doss, Hansjürgen CDU/CSU 11. 09. 92 Feilcke, Jochen CDU/CSU 11. 09. 92 Dr. Fell, Karl H. CDU/CSU 11. 09. 92 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 11. 09. 92*** Friedrich, Horst F.D.P. 11. 09. 92 Fuchs (Köln), Anke SPD 11. 09. 92 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 11. 09. 92*** Gattermann, Hans H. F.D.P. 11. 09. 92 Dr. Gautier, Fritz SPD 11. 09. 92 Genscher, Hans-Dietrich F.D.P. 11. 09. 92 Göttsching, Martin CDU/CSU 11. 09. 92 Gres, Joachim CDU/CSU 11. 09. 92 Hämmerle, Gerlinde SPD 11. 09. 92 Haschke CDU/CSU 11.09.92 (Großhennersdorf), Gottfried Haungs, Rainer CDU/CSU 11. 09. 92 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 11. 09. 92 Hollerith, Josef CDU/CSU 11. 09. 92 Dr. Holtz, Uwe SPD 11. 09. 92*** Huonker, Gunter SPD 11. 09. 92 Janz, Ilse SPD 11. 09. 92 Jaunich, Horst SPD 11. 09. 92 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 11. 09. 92 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 11. 09. 92 Koppelin, Jürgen F.D.P. 11. 09. 92 Koschnick, Hans SPD 11. 09. 92 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 11. 09. 92 Günther Kretkowski, Volkmar SPD 11. 09. 92 Dr. Leonhard-Schmid, SPD 11. 09. 92 Elke Lohmann (Witten), Klaus SPD 11. 09. 92 Lühr, Uwe F.D.P. 11. 09. 92 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lummer, Heinrich CDU/CSU 11. 09. 92* Dr. Meseke, Hedda CDU/CSU 11. 09. 92 Michels, Meinolf CDU/CSU 11. 09. 92 Dr. Mildner, CDU/CSU 11. 09. 92 Klaus Gerhard Müller (Wadern), CDU/CSU 11. 09. 92 Hans-Werner Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 11. 09. 92 Neumann (Bramsche), SPD 11. 09. 92 Volker Oesinghaus, Günther SPD 11. 09. 92 Opel, Manfred SPD 11. 09. 92** Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 11. 09. 92 Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU 11. 09. 92 Dr. Pinger, Winfried CDU/CSU 11. 09. 92 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 11. 09. 92* Regenspurger, Otto CDU/CSU 11. 09. 92 Reichenbach, Klaus CDU/CSU 11. 09. 92 Rempe, Walter SPD 11. 09. 92 Reuschenbach, Peter W. SPD 11. 09. 92 Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 11. 09. 92** Helmut Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 11. 09. 92 Scheffler, Siegfried Willy SPD 11. 09. 92 Dr. Schmude, Jürgen SPD 11. 09. 92 Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 11. 09. 92 Dr. Schreiber, Harald CDU/CSU 11. 09. 92 Schulte (Hameln), SPD 11. 09. 92** Brigitte Schuster, Hans Paul F.D.P. 11. 09. 92 Hermann Sehn, Marita F.D.P. 11. 09. 92 Dr. Sperling, Dietrich SPD 11. 09. 92 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 11. 09. 92 Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 11. 09. 92 Vosen, Josef SPD 11. 09. 92 Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 11. 09. 92 Welt, Jochen SPD 11. 09. 92 Weyel, Gudrun SPD 11. 09. 92*** Dr. Wieczorek, Norbert SPD 11. 09. 92 Wieczorek (Duisburg), SPD 11. 09. 92 Helmut Wittmann (Tännesberg), CDU/CSU 11. 09. 92 Simon Zurheide, Burkhard F.D.P. 11. 09. 92 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung *** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union 9048* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. September 1992 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Karin Jeltsch, Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Herbert Werner (Ulm) und weiterer Abgeordneter zum Bundesverkehrswegeplan, Drucksache 12/2679, ist zurückgezogen worden. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 12/2101 Nm. 3.7, 3.9, 3.10, 3.14-3.19, 3.21, 3.22, 3.24, 3.25 Drucksache 12/2257 Nrn. 3.8-3.10, 3.13, 3.14, 3.16-3.18, 3.20, 3.22, 3.23, 3.25, 3.26 Drucksache 12/2315 Nr. 2.3 Drucksache 12/2520 Nrn. 3.5, 3.7 Drucksache 12/2582 Nrn. 2.2, 2.5-2.13 Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Drucksache 12/269 Nr. 2.38 Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 12/2774 Nr. 2.37
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Daß es bisher nicht zu einer sozialen Explosion im Osten gekommen ist, haben wir vor allem der Arbeitsmarktpolitik zu verdanken." — Dieser Satz steht in nicht im Bulletin der Bundesregierung, sondern in der Pressemitteilung der stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Frau Ursula Engelen-Kefer. Ich bin froh darüber, daß Konsens herrscht über die wichtige Rolle und den Erfolg unserer Arbeitsmarktpolitik. Ich versichere Ihnen: Wir werden diesen erfolgreichen Weg fortsetzen.

    (Ottmar Schreiner [SPD]: Herkules!)

    Unsere produktive Arbeitsmarktpolitik trägt seit dem 1. Juli 1990, dem Tag der Einführung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, die Hauptlast, den Beschäftigungseinbruch abzudämmen. Sie ist ein Damm gegen die Hoffnungslosigkeit. Allein in diesem Jahr gibt die Bundesanstalt für Arbeit etwa 43 Milliarden DM in den neuen Ländern aus. 43 Milliarden DM entsprechen etwa 18 % des ostdeutschen Bruttoinlandprodukts.
    In den neuen Ländern gaben wir für aktive Arbeitsmarktpolitik — ohne Kurzarbeit — 1991 19 Milliarden DM und geben wir 1992 35,8 Milliarden DM und 1993 34 Milliarden DM aus. Mit diesem Geld bewahren wir seit 1991 im Durchschnitt fast 2 Millionen Menschen vor Arbeitslosigkeit.
    Allen, die die Frage der Arbeitsmarktpolitik so abstrakt angehen, sei gesagt. Man müßte sie nur einmal wegdenken. Dann zeigte sich, welches Tal der Hoffnungslosigkeit ohne die Leistungen der Arbeitsmarktpolitik vorzufinden wäre.
    1991 haben wir aus dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost Mittel in Höhe von 5,6 Milliarden DM für ABM ausgegeben.

    (Gerd Andres [SPD]: Deswegen ist die Kürzung ganz logisch!)

    — Sie werden gleich feststellen, daß wir insgesamt, auch durch die Einführung neuer Instrumente, versuchen, das erreichte Niveau zu halten, es allerdings besser zu justieren.

    (Dr. Uwe Küster [SPD]: Feinjustage!)

    1992 geben wir 10,3 Milliarden DM und 1993 7,7 Milliarden DM für ABM aus.
    Die Ausgaben für Fortbildung und Umschulung: 19914,7 Milliarden DM, 1992 9,3 Milliarden DM; nach unseren Überlegungen sollen es im Jahre 1993 unter Berücksichtigung der jetzt zu beratenden AFG-Änderungen 8,2 Milliarden DM sein.
    Seit Oktober 1990 haben 1,5 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Weiterbildungsmaßnahme begonnen. Das heißt: Rund ein Sechstel der ehemals 9 Millionen Beschäftigten in der ehemaligen DDR hat bereits einmal an von der Bundesanstalt
    geförderten Bildungsmaßnahmen teilgenommen. Man kann den Erfolg von Fortbildung und Umschulung sensationell nennen, denn 80 % der Absolventen sind kurze Zeit nach Abschluß der Ausbildung nicht mehr auf Bezüge aus den Arbeitsämtern angewiesen.
    Um den Verdacht zu widerlegen, die Arbeitsmarktpolitik sei auf dem Rückzug, will ich auch die weiteren Gelder nennen. Altersübergangsgeld: 1991 2,7 Milliarden DM, 1992 8,6 Milliarden DM und 1993 — neben 400 Millionen DM aus dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit — 10,1 Milliarden DM. Das bedeutet eine kräftige Steigerung des Altersübergangsgeldes.
    Ich verteidige es auch, denn ich denke, es ist besser, einem 55jährigen Altersübergangsgeld zu geben als einem 20jährigen Arbeitslosengeld. Dennoch sollten wir einen Augenblick innehalten. Insgesamt darf sich nicht auf Dauer die Richtung festsetzen, daß 55jährige im Erwerbsleben schon nicht mehr gebraucht werden. Das gilt überall, auch im westlichen Teil Deutschlands. Das ist aus meiner Sicht ein unmenschlicher Zug, der sich da einschleicht. Das ist eine Jugendfixierung, die den Platz der Älteren in der Gesellschaft in Frage stellt. Altersübergangsgeld ist eine ungewöhnliche Maßnahme, aber es kann keine Dauereinrichtung sein.
    Für das kommende Jahr stellen wir aus dem Etat des Bundesministers für Arbeit 4,4 Milliarden DM für den Vorruhestand zur Verfügung. Das betrifft 205 000 Leistungsempfänger. Insgesamt kommen rund 800 000 Personen in den Genuß von Altersübergangsgeld und Vorruhestand. Hätten wir die beiden Instrumente nicht, hätten wir 800 000 Arbeitslose mehr.
    Das zeigt: Es gibt bei den Transferzahlungen auch 1993 keinen Abbau, sondern Umstellungen. Die qualitative Veränderung der Arbeitsmarktpolitik läßt sich auch an Hand von Zahlen belegen. Während wir 1982 für aktive Arbeitsmarktpolitik 18 % des Haushalts der Bundesanstalt für Arbeit mobilisiert haben, sind es jetzt rund 50 %. Es zeigt sich, daß aus der ehemaligen Arbeitslosenversicherung mehr als nur eine Arbeitslosenversicherung geworden ist; sie ist ein Instrument moderner arbeitsmarktpolitischer Dienstleistungen.
    Ich möchte hier auch die Gelegenheit nutzen, den Mitarbeitern der Arbeitsverwaltung für das ungeheure Engagement in Sachen deutsche Einheit zu danken. Daß wir innerhalb von wenigen Wochen eine Arbeitsverwaltung fast aus dem Boden gestampft haben, daß sie nicht nur in der Lage war, Arbeitslosengeld, sondern auch das Kindergeld gleich mit auszuzahlen, daß sie 400 000 AB-Maßnahmen und 890 000 Eintritte in Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen organisiert hat, ist aus meiner Sicht eine Superleistung. Wenn alle politischen Bereiche so effizient und so solidarisch gewesen wären wie die Sozialversicherung, dann sähe es in Deutschland anders aus.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich meine, da kommt noch etwas zum Vorschein: 100 Jahre Sozialversicherung; es ist doch ein Fundus an Solidarität gewachsen, der auch in Krisenzeiten zu



    Bundesminister Dr. Norbert Blüm
    mobilisieren ist und der nicht in allen Teilen unserer Gesellschaft zu finden ist.
    Nun zum Thema Fortbildung und Umschulung. Ich glaube, daß wir jetzt stärker die Qualitätsfrage stellen müssen. Es war ganz selbstverständlich, daß beim ersten Dammbau nicht jede Maßnahme unter exakten Qualitätskontrollen stand. Wenn jemand am Ertrinken ist, braucht er einen Rettungsring und keine theoretische Anleitung zum Schwimmen. So war es auch mit den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten. Jetzt müssen wir allerdings schon darauf achten, daß nicht ins Blaue hinein ausgebildet wird, sondern daß Bildung auf Verwertbarkeit hin ausgerichtet ist.
    Es muß überprüft werden, ob die Träger von Bildungsmaßnahmen auch wirklich ein Angebot vorweisen, das den Arbeitnehmern zur Qualifizierung verhilft, oder ob sie nur Geld mitnehmen. Daß in einem derart immensen Aufbau solche Fehlleistungen enthalten sind — wer sie hätte verhindern wollen, hätte gar nichts machen dürfen —, ist ganz selbstverständlich. Nur, das rechtfertigt es nicht, sich jetzt sozusagen in Fehlsteuerungen häuslich einzurichten.
    Ich glaube, es ist auch für die Motivation der Teilnehmer wichtig, daß ihre berufliche Qualifikation, daß ihre Anstrengungen bei der Umschulung auch auf sinnvolle Ziele gelenkt werden.
    Bei den Anbietern von Weiterbildungsmaßnahmen muß die Spreu vom Weizen getrennt werden. Gut 1 900 Bildungsträger gibt es derzeit im sächsischen Raum, etwa 300 von ihnen allein in Chemnitz. Zum Vergleich: In München sind es 52. Da ist schon die Frage erlaubt, ob alle Bildungsträger, die sich dort niedergelassen haben, in der Tat über ein qualitativ befriedigendes Angebot verfügen.
    Diese Frage stellt sich freilich auch im Westen. Wir wollen die Überprüfung einer Bildungsmaßnahme auf ihre Förderungswürdigkeit schon vor Beginn der Förderung leisten, nicht erst, wenn sie schon läuft. Durch die Verankerung einer Beratungspflicht vor Eintritt in die Bildungsmaßnahme wird die Anwerbung von Teilnehmern durch schwarze Schafe unter den Bildungsträgern unterbunden. Auch die Möglichkeit der Mehrfachfortbildung, bei der man sich sozusagen dauernd in Fortbildung befindet, soll eingeschränkt werden. Ich glaube, daß diese Maßnahmen sinnvoll sind und nicht einfach als Sparmaßnahme abgeheftet werden können, sondern auch einer qualitativen Verbesserung dienen, denn auch unter qualitativen Gesichtspunkten haben Quantitäten ihre Grenzen.
    Ich sprach vorhin — von manchen etwas mitleidig belächelt — von neuen Instrumenten, einer Neujustierung unserer Arbeitsmarktpolitik. Ich will gleich für ein Instrument werben, von dem ich weiß, daß es auf allen Seiten unseres Hauses auf Zustimmung trifft: Arbeitsförderung zur Umweltsanierung. Es hat einen doppelten Zweck. Es soll helfen, die Umwelt in den neuen Bundesländern zu sanieren, und neue Beschäftigungsmöglichkeiten in Umwelt- und Gewässerschutz schaffen. Wir werden sie dort einsetzen, wo in Großprojekten die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Sanierung und zur Beseitigung von Umweltschäden auslaufen. Die industriellen Altlasten aus der
    ehemaligen DDR und die vorhandenen Umweltschäden sind ja auch ein Hemmnis für Industrieansiedlungen. Also, mehrere Ziele sollen mit diesem neuen Instrument erreicht werden.
    Die Umweltsanierungsarbeiten müssen grundsätzlich durch ein Wirtschaftsunternehmen durchgeführt werden. Der Sanierungsträger begründet mit dem Arbeitslosen ein normales Arbeitsverhältnis. Die Höhe des Zuschusses orientiert sich an den durchschnittlichen Aufwendungen für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe in den neuen Bundesländern. Um es weniger kompliziert zu sagen: Die Firma bekommt das Geld, das der Arbeitnehmer erhalten würde, wenn er arbeitslos wäre. Denn ich finde, wenn wir schon Geld ausgeben, ist es sinnvoller, wir geben es für Arbeit aus als für Arbeitslosigkeit.

    (Horst Sielaff [SPD]: Sozialdemokratische Vorschläge!)

    Das Geld, das wir dem Arbeitslosen zahlen würden, wenn er keine Arbeit hätte, geben wir der Firma, wenn sie einen Arbeitslosen einstellt, um auf diese Weise Umwelt zu sanieren.

    (Zuruf von der SPD: Sozialdemokratische Argumentation!)

    — Selbst wenn es sozialdemokratisch wäre, auch von den Sozialdemokraten sind manchmal — wir wollen nicht übertreiben, damit der Hochmut nicht steigt — gute Vorschläge gekommen. Aber Patentschutz machen wir ja nicht. Was den Menschen hilft, das machen wir.

    (Horst Sielaff [SPD]: Das habe ich nicht verstanden! — Ottmar Schreiner [SPD]: Ihr macht es gerade nicht!)

    — Ich lasse mich wieder durch Ihre Zwischenrufe ablenken. Aber wenn Sie Zwischenrufe machen, seien Sie vorsichtig: Ich gebe Antworten. Bleiben wir doch lieber bei dem, was wir gemeinsam schaffen müssen!

    (Zuruf von der SPD: Unbefriedigende Antworten!)

    Nun, meine Damen und Herren, was Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen anbelangt, geht es darum, daß wir sie fortführen.

    (Horst Sielaff [SPD]: Aber nicht in der Regierung!)

    Wir werden nicht einfach in die Vollen gehen können: immer mehr Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen anstelle der alten Planwirtschaft, um dann plötzlich eine Arbeitsbeschaffungswirtschaft zu haben. Man muß auch darauf achten, daß die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht dem normalen Arbeitsmarkt Konkurrenz machen.
    In Zukunft wird in den neuen Ländern ein über 75 % hinausgehender Zuschuß zu den Personalkosten einer ABM nur dann gewährt werden können, wenn die geförderte Arbeitszeit auf 80 % der normalen Vollarbeitszeit begrenzt wird oder — das werden wir im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch vorschlagen; ich bitte Sie um Ihre Prüfung — wenn für die zugewiesenen Arbeitnehmer Entgelte vereinbart werden, die angemessen niedriger sind. Dazu braucht



    Bundesminister Dr. Norbert Blüm
    man die Tarifpartner; ich bin nicht dafür, daß der Gesetzgeber das macht. Ich bin dafür, daß man in freier Vereinbarung solche schwierigen Probleme löst.
    Es muß ein Anreiz bestehen bleiben, aus den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den normalen Arbeitsmarkt überzuwechseln. Dabei weiß ich, daß man eine so theoretische Alternative auch verbinden muß mit dem praktischen Angebot auf dem normalen Arbeitsmarkt. Bei der heutigen Beschäftigungsnot ist das so nicht vorhanden.
    Insgesamt möchte ich doch die Vorstellung abwehren, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sei eine Art Hängematte. Ich möchte alle die verteidigen, die dort arbeiten, und vor allem diejenigen, die solche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen organisieren. Im übrigen beweisen Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarktforschung, daß der Bruttomonatslohn in ABM lediglich 88 % des durchschnittlichen Monatslohnes in Ostdeutschland entspricht, daß sie also schon faktisch unter den normalen Arbeitsentgelten liegen.
    Ich bleibe auch aus Anlaß dieser schwierigen Problematik bei dem ausdrücklichen Bekenntnis zur Tarifautonomie. Die Tarifvertragsparteien haben eine hohe ordnungs- und friedensstiftende Funktion. Wer sie außer Kraft setzt oder beschädigt, wird sich wundern, was dann entsteht. Bei allem, was an Kritik und Vorschlägen geäußert wird, haben wir es doch mit einer Tarifautonomie mit hoher Verantwortung zu tun, die auf Einsichten beruht.

    (Ottmar Schreiner [SPD]: Was ist denn mit den Karenztagen? Das hat doch etwas mit Tarifautonomie zu tun!)

    — Jetzt sprechen wir doch über Arbeitsförderung. Ich spreche zu jeder Zeit über alles. Ja, ich rede über Tarifautonomie und rede über die Kooperation der Tarifpartner mit dem Staat, die wir an allen Stellen brauchen.
    Wo die Tarifautonomie nicht funktioniert, muß der Staat eingreifen. Er macht es nicht besser. Dort, wo keine Tarifautonomie ist, muß der Staat Mindestlöhne festsetzen. Das ist nie erfolgreich.

    (Ottmar Schreiner [SPD]: Was ist denn mit den Karenztagen?)

    — Herr Schreiner, Sie sind heute bei der falschen Tagesordnung. Vielleicht haben Sie heute Nacht schlecht geschlafen. Wir sprechen jetzt über das Arbeitsförderungsgesetz. Bewahren Sie sich doch selber vor der Blamage, die Tagesordnung des Bundestages nicht zu kennen!
    Ich will noch einmal über die Flexibilität der Tarifverträge, auch im Osten, sprechen. Ab 1. Januar 1992 waren für 1 500 der insgesamt 2 400 beschlossenen Vereinbarungen Firmentarifverträge abgeschlossen. Das ist gar nicht so ein Eisblock. Der entsprechende Anteil im Altbundesgebiet liegt bei 27 %. Es wird viel über die Unbeweglichkeit der Tarifpartner gesprochen.
    Ohne Spektakel — das ist ja auch kein Fall für Spektakel —

    (Ottmar Schreiner [SPD]: Das Spektakel ist der Blüm-Zustand!)

    gibt es Lösungen mit hoher Verantwortung. Beispielsweise ist zwischen dem Handelsverband Sachsen, der DAG und der HBV ein Tarifvertrag für den Einzelhandel abgeschlossen worden. Dieser Tarifvertrag enthält eine Mittelstandsklausel, die es gestattet, daß kleine Unternehmen bis 20 Beschäftigte vom 1. April bis 30. September 1992 um 12,5 % und vom 1. Oktober bis 30. April 1993 um 10 % niedrigere Entgelte vereinbaren können. Mancherorts wird der Eindruck entwikkelt, wir hätten es mit Dinosauriern zu tun, die sich nicht bewegen können. Die Verantwortung der Tarifpartner ist noch immer sehr hoch und sie verdient auch, vom Parlament anerkannt zu werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ihr Geschäft ist ja nicht gerade leicht.

    Bessere Arbeitsinstrumente brauchen wir auch, um ungerechtfertigte Inanspruchnahme abzuschneiden. Ich denke, daß der § 128 Arbeitsförderungsgesetz so, wie er heute ist, nicht bleiben kann. Der Kollege Urbaniak kennt das Problem. Die Großbetriebe lösen ihre betrieblichen Personalprobleme häufig auf Kosten der Solidarkassen. Da immer von Mitnahme der Arbeitnehmer gesprochen wird, wollen wir auch noch von der Mitnahme der Firmen reden.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ein kleiner Mittelständler kann das nicht. Schon der Zulieferer zu den Großbetrieben kann nicht durch einen großen Sozialplan den Unterschied zwischen letztem Nettoverdienst und Arbeitslosengeld ausgleichen, so daß der Arbeitnehmer drei oder fünf Jahre früher in der Rente ist, als er ohne diese Lösung wäre. Bezahlen tun das die Arbeitnehmer in Betrieben, die sich solche Lösungen nicht leisten können. Was ist daran solidarisch? Was ist daran gerecht? Es ist eine Lösung, die sich nur die großen Betriebe der deutschen Industrie erlauben können. Dort scheiden immerhin 100 000 Arbeitnehmer mit 58 statt mit 63 Jahren aus dem Beruf aus. Das kostet die Arbeitslosenversicherung jährlich 2,7 Milliarden DM, 0,2 Beitragspunkte. Wir müssen aber sehr sparsam sein mit den Beitragspunkten, um das Notwendige zu finanzieren und die Personalzusatzkosten nicht ausufern zu lassen.
    Über die Möglichkeiten der neuen Zusammenarbeit zwischen Arbeitsförderung, Bundesanstalt und Rentenversicherung werden sicher aus dem Parlament noch entsprechende Vorschläge zu machen sein.

    (Ottmar Schreiner [SPD]: Die sind doch schon alle eingeschlafen!)

    — Nein, sie sind nur dem Thema entsprechend aufmerksam. Das entspricht auch der Thematik.

    (Gerd Andres [SPD]: Erzählen Sie den Witz noch einmal, Herr Minister!)

    — Sie dürfen nicht von sich auf andere schließen.
    Im Bereich der beruflichen Rehabilitation wollen wir eine Überlegung in die Beratung zum Arbeitsför-



    Bundesminister Dr. Norbert Blüm
    derungsgesetz einbringen, die schon seit längerem diskutiert wird. In der Sache geht es um eine begrenzte Ausweitung der Rentenversicherung im Bereich der berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation. Anlaß dazu sind Kontinuitätsbrüche, die sich daraus ergeben, daß die Rentenversicherung bei jüngeren Versicherten mit weniger als 180 Monaten Beitragszeit zwar für die medizinische Rehabilitation zuständig ist, nicht aber für die berufsfördernde Rehabilitation. Wir schlagen vor, daß auch bei diesen jüngeren Versicherten die Rentenversicherung für die berufsfördernden Leistungen zuständig sein soll. Das ist im übrigen auch ein Anliegen der Rentenversicherung selber, damit die Betroffenen von einem Träger betreut werden und nicht zwischen verschiedenen Trägern wechseln müssen.
    Ein weiterer Punkt: Die Eingliederungskosten für Aussiedler werden auf mehrere Schultern verteilt. Es war auch hier im Parlament schon häufig die berechtigte Frage gestellt worden, wieso die Beitragszahler die Eingliederungsbeihilfen der Aussiedler bezahlen. Das betrifft die generelle Frage, die wir in der Sozialversicherung stellen müssen: Was gehört zur Solidaritätspflicht der Beitragszahler, und was ist Aufgabe der staatlichen Gesamtgemeinschaft? Wer diese Trennung nicht akzeptiert, der führt uns zu großen Verteilungsungerechtigkeiten. Warum? — Es zahlen nicht alle Beitrag, und diejenigen, die Beitrag zahlen, zahlen auch nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze.
    Wenn wir soziale Aufgaben, für die eigentlich die Allgemeinheit zuständig ist, über die Leistungen der Beitragszahler finanzieren, dann entlasten wir die Steuerzahler und schieben über die Sozialversicherung alles den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern zu. Deshalb muß es eine Neuordnung der Leistungen für die Aussiedler geben.


Rede von Helmuth Becker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Reimann?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Bitte sehr.