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    Plenarprotokoll 12/105 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 105. Sitzung Bonn, Freitag, den 11. September 1992 Inhalt: Bestimmung des Abgeordneten Hans-Ulrich Klose als ordentliches Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses an Stelle des ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Hans-Jochen Vogel . . . . . . . . . . . . . 8987 A Bestimmung des Abgeordneten Hans Gottfried Bernrath als stellvertretendes Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses an Stelle des aus dem Deutschen Bundestag ausgeschiedenen Abgeordneten Harald B. Schäfer (Offenburg) 8987 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung . . 8987 B Tagesordnungspunkt 2: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheits-Strukturgesetz 1993) (Drucksache 12/3209) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksache 12/3210) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Reform des Gesundheitswesens (Drucksache 12/3226) Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 8987 D Rudolf Dreßler SPD . . . . . . . 8995 D Dr. Dieter Thomae F.D.P. . . . . . . . . 9000 C Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste 9003A, 9019D Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU 9004 D Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9008 A Dr. Klaus Gollert, Minister des Landes Mecklenburg-Vorpommern 9009 D Klaus Kirschner SPD 9010D Dr. Bruno Menzel F.D.P. 9012 D Gudrun Schaich-Walch SPD 9015 A Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . 9016B Dr. Hans-Hinrich Knaape SPD 9018 C Dr. Hans-Joachim Sopart CDU/CSU . 9021 D Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . 9023 D Dr. Martin Pfaff SPD 9025 C Bernhard Jagoda CDU/CSU 9026 B Wolfgang Zöller CDU/CSU . 9027C, 9027 D Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Fördervoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen (Drucksache 12/3211) b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (Drucksache 12/3008) II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. September 1992 Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 9029A Manfred Reimann SPD 9032 B Adolf Ostertag SPD . . . . . . . . . 9033 C Dr. Gisela Babel F.D.P. 9035 B Petra Bläss PDS/Linke Liste 9037 C Heinz Schemken CDU/CSU 9038 D Manfred Reimann SPD . . . . . 9040B Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . 9040 D Ulrike Mascher SPD 9042 A Julius Louven CDU/CSU 9043 C Regina Kolbe SPD 9044 B Tagesordnungspunkt 4 c: c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der anderweitigen Verwendung von Berufssoldaten und Beamten des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Verteidigung (Verwendungsförderungsgesetz) (Drucksache 12/3159) 9045 C Nächste Sitzung 9045 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9047* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 9048* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. September 1992 8987 105. Sitzung Bonn, den 11. September 1992 Beginn: 8.30 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 11. 09. 92*** Bachmaier, Hermann SPD 11. 09. 92 Dr. Blank, CDU/CSU 11. 09. 92** Joseph-Theodor Blunck (Uetersen), SPD 11. 09. 92 Liselott Böhm (Melsungen), CDU/CSU 11. 09. 92* Wilfried Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 11. 09. 92 Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 11. 09. 92 Brandt, Willy SPD 11. 09. 92 Büchler (Hof), Hans SPD 11. 09. 92* Clemens, Joachim CDU/CSU 11. 09. 92 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 11. 09. 92 Herta Doss, Hansjürgen CDU/CSU 11. 09. 92 Feilcke, Jochen CDU/CSU 11. 09. 92 Dr. Fell, Karl H. CDU/CSU 11. 09. 92 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 11. 09. 92*** Friedrich, Horst F.D.P. 11. 09. 92 Fuchs (Köln), Anke SPD 11. 09. 92 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 11. 09. 92*** Gattermann, Hans H. F.D.P. 11. 09. 92 Dr. Gautier, Fritz SPD 11. 09. 92 Genscher, Hans-Dietrich F.D.P. 11. 09. 92 Göttsching, Martin CDU/CSU 11. 09. 92 Gres, Joachim CDU/CSU 11. 09. 92 Hämmerle, Gerlinde SPD 11. 09. 92 Haschke CDU/CSU 11.09.92 (Großhennersdorf), Gottfried Haungs, Rainer CDU/CSU 11. 09. 92 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 11. 09. 92 Hollerith, Josef CDU/CSU 11. 09. 92 Dr. Holtz, Uwe SPD 11. 09. 92*** Huonker, Gunter SPD 11. 09. 92 Janz, Ilse SPD 11. 09. 92 Jaunich, Horst SPD 11. 09. 92 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 11. 09. 92 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 11. 09. 92 Koppelin, Jürgen F.D.P. 11. 09. 92 Koschnick, Hans SPD 11. 09. 92 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 11. 09. 92 Günther Kretkowski, Volkmar SPD 11. 09. 92 Dr. Leonhard-Schmid, SPD 11. 09. 92 Elke Lohmann (Witten), Klaus SPD 11. 09. 92 Lühr, Uwe F.D.P. 11. 09. 92 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lummer, Heinrich CDU/CSU 11. 09. 92* Dr. Meseke, Hedda CDU/CSU 11. 09. 92 Michels, Meinolf CDU/CSU 11. 09. 92 Dr. Mildner, CDU/CSU 11. 09. 92 Klaus Gerhard Müller (Wadern), CDU/CSU 11. 09. 92 Hans-Werner Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 11. 09. 92 Neumann (Bramsche), SPD 11. 09. 92 Volker Oesinghaus, Günther SPD 11. 09. 92 Opel, Manfred SPD 11. 09. 92** Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 11. 09. 92 Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU 11. 09. 92 Dr. Pinger, Winfried CDU/CSU 11. 09. 92 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 11. 09. 92* Regenspurger, Otto CDU/CSU 11. 09. 92 Reichenbach, Klaus CDU/CSU 11. 09. 92 Rempe, Walter SPD 11. 09. 92 Reuschenbach, Peter W. SPD 11. 09. 92 Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 11. 09. 92** Helmut Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 11. 09. 92 Scheffler, Siegfried Willy SPD 11. 09. 92 Dr. Schmude, Jürgen SPD 11. 09. 92 Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 11. 09. 92 Dr. Schreiber, Harald CDU/CSU 11. 09. 92 Schulte (Hameln), SPD 11. 09. 92** Brigitte Schuster, Hans Paul F.D.P. 11. 09. 92 Hermann Sehn, Marita F.D.P. 11. 09. 92 Dr. Sperling, Dietrich SPD 11. 09. 92 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 11. 09. 92 Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 11. 09. 92 Vosen, Josef SPD 11. 09. 92 Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 11. 09. 92 Welt, Jochen SPD 11. 09. 92 Weyel, Gudrun SPD 11. 09. 92*** Dr. Wieczorek, Norbert SPD 11. 09. 92 Wieczorek (Duisburg), SPD 11. 09. 92 Helmut Wittmann (Tännesberg), CDU/CSU 11. 09. 92 Simon Zurheide, Burkhard F.D.P. 11. 09. 92 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung *** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union 9048* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. September 1992 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Karin Jeltsch, Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Herbert Werner (Ulm) und weiterer Abgeordneter zum Bundesverkehrswegeplan, Drucksache 12/2679, ist zurückgezogen worden. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 12/2101 Nm. 3.7, 3.9, 3.10, 3.14-3.19, 3.21, 3.22, 3.24, 3.25 Drucksache 12/2257 Nrn. 3.8-3.10, 3.13, 3.14, 3.16-3.18, 3.20, 3.22, 3.23, 3.25, 3.26 Drucksache 12/2315 Nr. 2.3 Drucksache 12/2520 Nrn. 3.5, 3.7 Drucksache 12/2582 Nrn. 2.2, 2.5-2.13 Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Drucksache 12/269 Nr. 2.38 Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 12/2774 Nr. 2.37
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Horst Seehofer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gesundheit ist für die Menschen ein hohes, ich meine, vielleicht sogar das höchste Gut. Bei keinem anderen Thema werden die Gefühle der Menschen so stark berührt wie bei der Sorge um die eigene Gesundheit. Deshalb heißt das erste Gebot Sachlichkeit. Wir dürfen die Auseinandersetzung um den richtigen Weg bei der Gesundheitsreform nicht durch völlig unbegründete Ängste, die in diesen Tagen geschürt wurden, auf dem Rücken der Kranken und Hilfsbedürftigen austragen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Qualität unserer Gesundheitsversorgung steht weltweit an der Spitze. Ich sage damit nicht, daß alles perfekt ist. Aber, meine Damen und Herren, es ist an der Zeit, auch einmal darauf hinzuweisen, daß unser Niveau der Gesundheitsversorgung in der deutschen Sozialgeschichte einmalig ist. Wir stehen im weltweiten Vergleich ganz oben. Dies hat viele Gründe.
    Ich möchte auf einen Grund besonders hinweisen. Wir verdanken dieses Versorgungsniveau, die Qualität der gesundheitlichen Versorgung der Qualifikation und dem Einsatz der Männer und Frauen, die tagtäglich in der Sprechstunde, am Krankenbett, im Rettungsdienst, in vielen der Gesundheit dienenden Einrichtungen als Angehörige vieler Gesundheitsberufe oft rund um die Uhr unter Einsatz aller Kräfte im



    Bundesminister Horst Seehofer
    wahrsten Sinne des Wortes Dienst am Menschen leisten.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Woche oft darüber diskutiert, was alles in den neuen Bundesländern noch nicht funktioniert, noch nicht erfüllt ist. Deshalb liegt mir zu Beginn dieser Diskussion daran, gerade beim Gesundheitswesen darauf hinzuweisen, was seit dem Fall der Mauer in der Gesundheitsversorgung in den neuen Bundesländern geschehen ist. Es ist in atemberaubender Schnelle und überall funktionierend ein flächendeckendes System der gesetzlichen Krankenversicherung, der gegliederten Krankenversicherung aufgebaut worden. Wir haben eine flächendeckende ambulante medizinische Versorgung. Die Qualität der Apparatemedizin wurde erheblich verbessert. Die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in den neuen Bundesländern war zu keiner Minute gefährdet. Ich denke, daß sich das, was in ein, zwei Jahren dort sehr rasch geschehen ist, sehen lassen kann. Alle Beteiligten, insbesondere die Selbstverwaltung, haben eine Pionierarbeit geleistet, die in die Geschichte der deutschen Gesundheitspolitik eingehen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es sind heute weniger die Qualität der Versorgung und weniger das Versorgungsniveau, sondern es sind die Finanzen, die uns heute beschäftigen. Meine Damen und Herren, die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung steigen seit zwei Jahren doppelt so schnell wie die Einnahmen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist schlecht!)

    Wir werden Ende dieses Jahres einen Beitragssatz von durchschnittlich über 13 % haben. Er ist noch höher, als er im Mai/Juni dieses Jahres prognostiziert wurde. Trotz dieses Rekordbeitragssatzes in der Geschichte der deutschen Krankenversicherung werden wir gleichwohl ein Defizit von über 10 Milliarden DM haben. Das ist eine Rekordhöhe. Trotz hundertjähriger Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung war die finanzielle Situation nie zuvor so ernst wie heute. Wir befinden uns in einer dramatischen Situation. Es stimmt, daß dies eine Entwicklung ist, die nicht auf die deutsche Einheit zurückzuführen ist. Davon haben wir noch vor wenigen Wochen gesprochen. Aber die Prognose, daß wir noch in diesem Jahr in den neuen Bundesländern schwarze Zahlen schreiben werden, scheint sich nicht zu bewahrheiten. Die Allgemeinen Ortskrankenkassen in den neuen Bundesländern beginnen bereits, rote Zahlen zu schreiben, obwohl im letzten Jahr der Überschuß in den neuen Bundesländern 2,8 Milliarden DM betrug.
    Rekordbeitragssätze in den alten Bundesländern, Rekorddefizite in der Geschichte der deutschen Sozialversicherung in der Gesundheitspolitik, rote Zahlen in den neuen Bundesländern — darauf kann es nur eine Antwort geben: So kann es nicht weitergehen. Hier helfen uns keine roten Karten, hier helfen uns keine bunten Plakate, hier helfen uns keine lauten
    Kongresse. Hier hilft uns nur die Kraft zum Handeln. Diesen Mut hat die Koalition.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, wenn wir jetzt, in dieser dramatischen Situation, nicht handeln, werden wir an der Schnittstelle 1994/95 einen durchschnittlichen Beitragssatz von über 15 % haben. Dies bedeutet für einzelne Regionen in der Bundesrepublik Deutschland einen Spitzenbeitragssatz von etwa 20 %. Wir hätten diesen durchschnittlichen Beitragssatz von 15 % bereits jetzt, wenn diese Koalition nicht 1988 die erste Gesundheitsreform durchgeführt hätte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf von der SPD)

    Der Erfolg der ersten Gesundheitsreform läßt sich in Mark und Pfennig nachweisen. Durch diese Gesundheitsreform ist von 1989 bis heute eine Beitragsentlastung von 50 Milliarden DM entstanden. Ich denke, der Erfolg des Gesundheits-Reformgesetzes kann sich sehen lassen. Wir haben bei der Verabschiedung der ersten Gesundheitsreform immer gesagt, daß eine zweite Stufe notwendig ist. Diese zweite Stufe der Gesundheitsreform leiten wir jetzt ein.
    Lieber Norbert Blüm, es gibt kein größeres Anerkenntnis des Erfolges dieser ersten Gesundheitsreform als die Äußerung von Herrn Bourmer in der sehr hitzigen Diskussion in der letzten Woche, die lautete: „Wir Ärzte wollen unseren Norbert Blüm wiederhaben! "

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zurufe von der SPD: Die Patienten nicht!)

    — Durch Horst Seehofer wird Norbert Blüm erst richtig schön für die Ärzte.
    Meine Damen und Herren, die einzigen Reaktionen, die von uns bisher in den letzten zwei Jahren auf diese dramatische Entwicklung erfolgt sind, waren Beitragserhöhungen, und diese einfache Antwort können wir uns nicht mehr länger leisten. Beitragserhöhungen sind gesundheitspolitisch falsch. Sie sind ökonomisch gefährlich, und sie sind auch sozial ungerecht.
    Sie sind, meine Damen und Herren, gesundheitspolitisch falsch, weil wir mit den derzeitigen Beitragserhöhungen nicht ein Mehr an Gesundheit finanzieren, sondern Unwirtschaftlichkeiten und Verschwendung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn wir ein Wundermittel gegen Krebs oder Aids finden würden, würden wir mit gutem Recht über Beitragserhöhungen diskutieren können. Aber das ist ja nicht der Fall. Wir finanzieren ja nicht mehr Gesundheit durch den aktuellen Kostenschub.
    Es wird immer als Begründung angegeben: Das ist ja ganz natürlich, daß die Kosten, die Ausgaben explodieren, weil die Lebenserwartung steigt und der medizintechnische Fortschritt voranschreitet. Meine Damen und Herren, dieses Argument ist mittel- und



    Bundesminister Horst Seehofer
    langfristig nicht zu bestreiten, aber es ist keine Erklärung für die aktuellen Kostenschübe.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn die Ausgaben für den Zahnersatz im ersten Quartal 1992 um über 17 % gestiegen sind, kann das doch niemand damit erklären, daß im gleichen Jahr etwa die Lebenserwartung um 17 % gestiegen sei. Die gleichen Steigerungsraten haben wir — annähernd — bei Heilmitteln, bei Arzneimitteln.

    (Unruhe bei der SPD)

    Nein, meine Damen und Herren, da gibt es eine ganze Menge von Unwirtschaftlichkeiten und unnötigen Mengenausweitungen. Wir haben die zweithöchste Arztdichte in ganz Europa. Allein in den letzten zehn Jahren kamen 17 000 Kassenärzte — das sind 25 % — hinzu. Und niemand wird bestreiten wollen, daß zwischen steigenden Arztzahlen und steigenden Ausgaben ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.

    (Rudolf Dreßler [SPD]: Das habt ihr immer bestritten!)

    Wir sind Weltmeister im Schlucken von Pillen und Tröpfchen. Eine hoher Anteil von verschriebenen Arzneimitteln wird angebrochen, aber nicht aufgebraucht und landet auf dem Arzneimüll. Kein Patient oder kaum ein Patient verläßt die Arztpraxis ohne ein Rezept.
    Meine Damen und Herren, niemand bestreitet, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland zu viele Krankenhausbetten haben, daß wir im Krankenhaus ein hohes Maß an Fehlbelegungen haben, daß wir in Deutschland viel zuviel stationäre und viel zuwenig ambulante Behandlung durchführen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Niemand wird ernstlich in Frage stellen können, daß wir in der teuren Apparatemedizin z. B. einen Anteil von 30 % überflüssigen Röntgen- oder Laborleistungen haben. Jeder kennt doch die Probleme mit den Mehrfachuntersuchungen, mit den großen Arzneimittelpackungen. Hier liegen große Wirtschaftlichkeitsreserven für das Einsparen.

    (Zuruf von der SPD: Richtig!)

    Deshalb ist es gesundheitspolitisch falsch, mit steigenden Beiträgen Verschwendung und unerwünschte Mengenausweitung zu finanzieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Steigende Beiträge sind auch ökonomisch gefährlich. Das hat uns diese ganze Woche begleitet. Steigende Beiträge belasten die Arbeitskosten, gefährden Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Man muß sich einmal vorstellen, was es bedeutet, wenn in Regionen wie Dortmund oder Hamburg bei Nichthandeln der Politik ein Beitragssatz von annähernd 20 % erreicht wird. Wenn ich 18 oder 19 % Rentenversicherungsbeitrag und über 6 % Arbeitslosenversicherungsbeitrag dazuzähle, wären manche Arbeitnehmer in den unteren Lohngruppen besser beraten, sie ließen sich die
    Abzüge auszahlen statt der Nettolöhne. Auch so kann es nicht weitergehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Höhere Beiträge sind auch sozial ungerecht. Ich gebe zu, daß dies in der Öffentlichkeit in der Konkurrenzsituation zur Selbstbeteiligung und Zuzahlung nicht einfach darzustellen ist. Es ist viel einfacher zu sagen: Selbstbeteiligung ist Abkassieren. Nur, meine Damen und Herren, die Stabilität der Beiträge liegt insbesondere auch im Interesse der Menschen, die über einen schmalen Geldbeutel verfügen, im Interesse von Menschen mit normalem Einkommen und insbesondere auch im Interesse von Rentnern.

    (Zurufe von der SPD)

    Was entsteht denn, wenn die Ausgaben stärker als die Einnahmen steigen? Dann entsteht ein Defizit, und ein Defizit von heute ist die Beitragserhöhung von morgen. Und eine Beitragserhöhung bedeutet, daß in jedem Falle der Krankenversicherungsbeitrag für die Rentner steigt, daß die Arbeitgeberbelastung beim Lohn steigt, und zwar mit dem Arbeitnehmerbeitrag. Die Menschen kommen noch von einer zweiten Seite in die Zange, weil der Arbeitgeberbeitrag, wo immer es möglich ist, in die Preise einfließt. Das heißt, im Kern finanziert der Beitragszahler ein Defizit.
    Was hat denn ein Rentner von einer 3%igen Rentenerhöhung, wenn auf der einen Seite die Preise über 3 % hinaus steigen, auf der anderen Seite auch der Krankenversicherungsbeitrag? Dann hat der Rentner unter dem Strich nach einer Rentenerhöhung weniger als vorher. Deshalb müssen wir handeln.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zurufe von der SPD)

    Die Finanzierung eines Defizits in der gesetzlichen Krankenversicherung trifft den Beitragszahler, die Rentner, die Menschen mit schmalem Geldbeutel stärker als die Belastungen durch dieses Reformwerk. Deshalb liegt die Beitragsstabilität auch im Interesse der Beitragszahler und Patienten. Jeder Patient, meine Damen und Herren — dies wird oft vergessen —, ist auch Beitragszahler.

    (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)

    Deshalb steht für diese Koalition eindeutig fest: Beitragssatzerhöhungen sind die denkbar schlechteste Antwort auf die Kostenexplosion. Beitragserhöhungen sind die unsozialste Form der Lösung dieses Problems. Keines der dringenden Probleme wird damit gelöst. Deshalb wollen wir mit aller Entschlossenheit dieser Automatik, diesem Teufelskreis von steigenden Ausgaben und steigenden Beiträgen mit dieser Reform entgegentreten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden bei dieser Reform natürlicherweise zuallererst über das Geld. Aber ich möchte hier einmal als Zwischenbemerkung einschieben, daß es uns nicht nur um Sozialtechnik und materielle Betrachtungsweisen dieses Problems gehen darf. Ich halte ein Gesundheitswesen für ungerecht, wenn wir auf der einen Seite Milliarden für Unwirtschaftlichkeiten und unerwünschte Mengenausweitungen aufwenden und wenn auf der ande-



    Bundesminister Horst Seehofer
    ren Seite nicht die notwendigen Mittel für große sozialpolitische Herausforderungen zur Verfügung stehen.
    Ich halte es geradezu für eine ethische Verpflichtung der Politik, die Mittel von der Verschwendung, von der unerwünschten Mengenausweitung wegzuziehen und dorthin zu lenken, wo die Menschen wirklich Hilfe brauchen. Da haben wir auch noch Aufgaben, wenn ich an die Pflegebedürftigen denke. Das sind Menschen, die gefüttert und gewickelt werden müssen, die rund um die Uhr betreut werden müssen, die ohne fremde Hilfe überhaupt nicht leben können. Es ist ein ethisches Gebot, Mittel von der Verschwendung wegzunehmen und zugunsten der Pflegebedürftigen in unserer Gesellschaft einzusetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zurufe von der SPD)

    Meine Damen und Herren, wenn man ein so schwieriges und gewaltiges Reformwerk angeht, muß man auch das Ziel kennen, damit man den richtigen Weg einschlagen kann. Eine Zeitung hat in der letzten Woche geschrieben — ich weiß nicht, ob es ein Tadel oder eine Auszeichnung ist —, ich sei der erste Sozialist am Kabinettstisch von Helmut KohL

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt müßte Beifall von links kommen! — Lachen bei der SPD)

    — Ich vermisse Beifall von der linken Seite dieses Hauses. „Sozialist" scheint kein moderner, kein fortschrittlicher Begriff mehr zu sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: „Sozialdemokrat" ist besser!)

    Wir müssen hier deutlich machen, welches Ziel wir als Koalition wirklich verfolgen. Da gibt es nicht die geringsten Zweifel zwischen CDU/CSU und F.D.P.

    (Zuruf von der SPD: Haha!)

    Wir wollen ein freiheitliches Gesundheitswesen, wir wollen ein pluralistisches Gesundheitswesen, und wir wollen ein solidarisches Gesundheitswesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zurufe von der SPD)

    Zur Freiheitlichkeit des Gesundheitswesens zählt die Freiberuflichkeit, zählt die Therapiefreiheit des Arztes, zählt die freie Arztwahl, zählt auch die Pluralität des Angebots gerade in der Krankenhauslandschaft, und dazu gehören auch freigemeinnützige, private und kirchliche von jeder Konfession. Meine Damen und Herren, zur Freiheitlichkeit des Gesundheitswesens gehört auch die Selbstverwaltung — trotz aller Mängel, die es da und dort gibt. Deshalb treten wir für die Vorfahrt der Selbstverwaltung in diesem Gesetzgebungsverfahren ein, obwohl in der Öffentlichkeit genau das Gegenteil behauptet wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Selbstverwaltung heißt auch Selbstverantwortung, meine Damen und Herren.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Wer für die Selbstverwaltung eintritt, muß die Aufträge, die die Selbstverwaltung hat, auch erfüllen.
    Vielleicht würden wir heute hier nicht diskutieren, wenn die Selbstverwaltung in den letzten Jahren die Aufträge, die sie durch die erste Gesundheitsreform 1989 bekommen hat, fristgerecht erledigt hätte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf von der SPD: Vorsicht!)

    Wenn die Verantwortung durch andere nicht wahrgenommen wird, dann müssen wir als Politiker dafür sorgen, daß richtige Maßnahmen in der Praxis durch Ersatzvornahmen umgesetzt werden. Das darf man uns nicht zum Vorwurf machen.
    Wir haben nun folgende Situation: Drei Jahre standen bisher zur Verfügung für die Einführung von Richtgrößen, Wirtschaftlichkeitsprüfungen, Qualitätsprüfungen und für mehr Transparenz im Gesundheitswesen. Wir geben jetzt der Selbstverwaltung für die Verwirklichung dieser Aufträge noch einmal Zeit bis Ende 1994, weil wir akzeptieren, daß im Zusammenhang mit der deutschen Einheit Probleme in bezug auf die Arbeitsbelastung in der Selbstverwaltung bestanden. Bis Ende 1994 sind dann insgesamt sechs Jahre seit der erstmaligen Auftragserteilung vergangen. Wenn die dafür zuständigen Stellen in dieser Zeit ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, können der Gesundheitsminister und die Aufsichtsbehörden handeln. Wenn die staatlichen Verwaltungen dann handeln, kann jedoch ein nachträgliches Handeln der Selbstverwaltung das staatliche Handeln wieder außer Kraft setzen.
    Meine Damen und Herren, mehr Vorrang für die Selbstverwaltung als die soeben angesprochenen sechs Jahre mit der zusätzlichen Möglichkeit der Aushebelung staatlicher Ersatzvornahme durch eigenes Handeln der Selbstverwaltung ist kaum vorstellbar.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich sage: Wir wollen eine solidarische Krankenversicherung. Das heißt, daß diese Krankenversicherung auch in Zukunft das solidarisch abdecken muß, was der einzelne und seine Familie nicht leisten können. Ich füge hinzu: Die gleichen finanziellen Probleme, die die gesetzliche Krankenversicherung begleiten, hat in gleichem Umfang — in Teilbereichen sogar noch stärker — die private Krankenversicherung. Dies macht deutlich, daß es weniger um eine Systemfrage, sondern mehr um Strukturfragen geht.
    Wir wollen eine solidarische Krankenversicherung. Das heißt, daß wir den Segen des medizinischen Fortschritts allen Menschen in diesem Lande zugute kommen lassen wollen, und zwar unabhängig vom Alter, unabhängig vom sozialen Stand und auch unabhängig vom persönlichen Einkommen. Wir wollen keine Auslese bei der medizinischen Versorgung nach Lebensalter, wie dies in manchen europäischen Ländern geschieht, und wir wollen vor allem auch kein Gesundheitssystem wie in den Vereinigten Staaten, wo 40 Millionen Menschen überhaupt keine Absicherung im Krankheitsfall haben, weil sie es sich entweder nicht leisten können oder von den Versicherungen aus Risikogründen nicht aufgenommen wer-



    Bundesminister Horst Seehof er
    den. Eine solche Krankenversicherung wollen wir nicht, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Unser Konzept setzt drei Schwerpunkte.

    Erstens. Wir haben nicht zuwenig Einnahmen, sondern zuviel Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung. Deshalb ist die erste und wichtigste Antwort ein rigoroser Sparkurs, eine Sofortbremsung, die verhindert, daß sich ab 1993 die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen weiter auseinanderentwickelt. Dies heißt konkret, daß wir zeitlich befristet — nicht, wie oft behauptet wird, unbefristet — im Gesetz dafür sorgen, daß sich die Pflegesätze im Krankenhaus und die Arzthonorare 1993, 1994 und 1995 nicht stärker als die Löhne und Gehälter der Beschäftigten nach oben entwickeln können.
    Ich denke, das ist das mildeste Mittel, das denkbar ist. Das ist eine zumutbare Lösung für die Ärzte, für die Zahnärzte und auch für die Krankenhäuser, um in dieser schwierigen Situation der gesetzlichen Krankenversicherung in den Sparbeitrag einbezogen zu werden.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Es geht um die Begrenzung der Zuwächse — zeitlich befristet. Meine Damen und Herren, ich kann gar nicht verstehen, daß dies als Sozialismus oder Planwirtschaft eingestuft wird. Ich halte nichts davon, daß man auf Dauer budgetiert. Auf längere Sicht muß man andere strukturelle Maßnahmen haben. Aber eine zeitlich befristete Budgetierung in dieser dramatischen Situation — das halte ich für selbstverständlich; denn keine Familie, kein Handwerksbetrieb und kein mittelständischer Betrieb können auf Dauer mehr ausgeben, als sie einnehmen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Meine Damen und Herren, das ist ein Prinzip der Marktwirtschaft. Das hat nicht das geringste mit Sozialismus oder Planwirtschaft zu tun. Deshalb stehe ich voll hinter dieser Maßnahme. Das Prinzip, daß man auf Dauer nicht mehr ausgeben kann, als man einnimmt, ist eine Grundregel der Betriebs- und der Volkswirtschaft. Ich bin dafür, daß wir dies zeitlich befristet auch in der gesetzlichen Krankenversicherung verwirklichen. Das ist die erste Sofortmaßnahme, die wir ergreifen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber wir beschränken uns nicht auf diese Sofortbremsung. Wir gehen auch an die Wurzeln der Entwicklung heran,

    (Rudolf Dreßler [SPD]: Wir sind schwer beeindruckt!)

    indem wir strukturelle Maßnahmen einleiten. Ich sage Ihnen: Tiefgreifende Strukturveränderungen müssen her.
    Graf Lambsdorff, der sicher aus begründetem Anlaß abwesend ist, sage ich über das Mikrofon: Dieses Reformwerk ist weit mehr als ein Reparaturgesetz. Ich muß alle Experten der Koalition, von CDU, CSU und F.D.P., vor dem Vorwurf,

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Loben!)

    wir hätten nur ein Flickwerk, ein Reparaturgesetz gemacht, in Schutz nehmen.

    (Rudolf Dreßler [SPD]: So, so! Ist das nötig?)

    Wir leiten tiefgreifende Strukturänderungen ein, z. B. im Krankenhaus, bei den Arztzahlen, beim Zahnersatz durch eine Regelwahlleistung und dadurch, daß wir bei den freiwillig Versicherten die Möglichkeit der Kostenerstattung auf freiwilliger Basis einführen. Wir verwirklichen die Richtgrößen und Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Erstaunlicherweise sind jetzt die Richtgrößen, die von den Ärzten drei Jahre lang bekämpft wurden, als Alternative zu diesem Gesetzentwurf von den Ärzten vorgeschlagen worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Und was in der öffentlichen Diskussion häufig übersehen wird: Wir verbinden trotz dieses großen Sparprogramms damit auch einen Umbau des Sozialstaats. Auch das ist eine strukturelle Veränderung. Wir verabschieden ebenfalls neue Personalanhaltszahlen für die Krankenhäuser, die gewährleisten, daß wir in den nächsten vier Jahren in den deutschen Krankenhäusern insgesamt 26 000 Stellen mehr haben.

    (Lachen bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten Jahren alle miteinander den Dienst an der Maschine und den Dienst am Schreibtisch höher bewertet als den Dienst für den Menschen. Hier müssen wir umsteuern. Da helfen keine schönen Sätze, daß man den Pflegeberuf ideell und materiell aufwerten muß. Nein, da müssen wir auch handeln, indem wir mehr Stellen für die hochbelasteten Pflegekräfte in den Krankenhäusern zur Verfügung stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

    Wenn wir 11,4 Milliarden DM einsparen und einen Teil davon dazu verwenden, die Pflegefachberufe, z. B. die Schwestern, zu unterstützen, dann ist das ein Umbau des Sozialstaats. Ich setze alles daran, daß ich meine Zusage auf einer sehr vergnügungssteuerpflichtigen Massendemonstration auf dem Münsterplatz, die ich den Schwestern und Pflegern gegeben habe, auch einhalte. Ich hoffe, daß mich die SPD an der Verwirklichung der Glaubwürdigkeit — gerade in diesem Punkt — nicht hindern wird.

    (Lachen bei der SPD — Dr. Peter Struck [SPD]: Erst einmal abwarten!)

    Ich hoffe, daß die SPD ein solches Verhalten nicht vertreten kann.
    Meine Damen und Herren, ein weiteres Strukturelement ist die Einführung der Transparenz. Es wird höchste Zeit, daß die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung durch einen Kontoauszug erfahren, was im Falle der ärztlichen Behandlung im konkreten Fall verschrieben und in Rechnung gestellt wird. Das führen wir durch dieses Gesetz ein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Bundesminister Horst Seehofer
    Das sind tiefgreifende strukturelle Maßnahmen.
    Meine Damen und Herren, es steht auch fest, daß wir das Gehäuse unserer gesetzlichen Krankenversicherung langfristig neu zimmern müssen. Das ist heute keine aktuelle Aufgabe in diesem Reformwerk. Aber ich sage dies mit Absicht an dieser Stelle so deutlich. Lieber Norbert Blüm, wir haben diesen Punkt 1988, nämlich daß eine zweite Stufe notwendig ist, gemeinsam nicht ausreichend in die Köpfe der Menschen gebracht. Jetzt wird die zweite Stufe als Antwort auf das Scheitern der ersten Stufe eingestuft. Aber sie war genau so geplant.
    Wir brauchen etwa Mitte dieses Jahrzehnts eine dritte Stufe, in der das Verhältnis zwischen Solidarität und Eigenverantwortung neu definiert wird. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir mit der Krankenversicherung von heute, mit dem Leistungskatalog von heute die gewaltigen Herausforderungen der Demographie, des medizinischen Fortschritts im nächsten Jahrhundert nicht bewältigen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Da können wir nicht erst handeln, wenn die Situation uns wieder dazu zwingt. Ich plädiere sehr dafür, daß wir das präventiv machen. Wir müssen eine Antwort darauf finden, was solidarisch, gemeinschaftlich in einer Zwangsversicherung, nämlich der gesetzlichen Krankenversicherung, abgesichert werden muß und kann und was wir der Eigenverantwortung der Menschen übertragen können und müssen.
    Diese Antwort sollte nicht in diesem Gesetz gegeben werden, weil es eine sehr schwierige Antwort ist. Da dürfen wir keine Flickschusterei betreiben. Deshalb haben wir uns darauf verständigt, daß wir den Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion mit einem Sondergutachten beauftragen, damit er uns Vorschläge macht, nach welchen Regeln und Kriterien diese Neuabgrenzung zwischen Solidarität und Eigenverantwortung stattfinden kann.
    Dazu möchte ich nicht nur den Sachverständigenrat der Konzertierten Aktion einladen, sondern es sind alle eingeladen. Ich lade die Ärzte ausdrücklich ein, sich in den nächsten ein, zwei Jahren rechtzeitig Gedanken über diese Neukonstruktion zu machen, damit die Situation dieser Woche vermieden wird, gewissermaßen zwölf Stunden vor der Beratung eines Gesetzentwurfes mit Sonderärztetagen eine Alternative auf den Tisch legen zu müssen. Vielleicht hätten wir die Alternative nie bekommen, wenn wir in den letzten Wochen und Monaten nicht so standhaft geblieben wären.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Es reicht nicht aus, gegen Macht zu sein. Vielmehr brauchen wir bei den Standesvertretungen, bei den Verbänden Gestaltungsmacht. Deshalb lade ich alle Ärzte und alle anderen Gruppen des Gesundheitswesens ein, die nächste Zeit zu nutzen, hier Konzepte zu entwickeln, damit wir diese dritte Stufe bewältigen können. In dieser dritten Stufe müssen wir auch über die jetzt durch Datenerhebung eingeleitete Krankenkassenreform endgültig entscheiden.
    Meine Damen und Herren, wir können nicht auf unabsehbare Zeit den Arbeitern in der gesetzlichen Krankenversicherung ein freies Kassenwahlrecht vorenthalten, und wir können nicht auf unabsehbare Zeit die Augen vor den unterschiedlichen Risikostrukturen in den Kassenarten verschließen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Rudolf Dreßler [SPD]: Davon steht im Gesetz nichts, kein Wort! Was soll der Käse?)

    Das sind unsere drei Schwerpunkte: Sofortbremsung, Einleitung struktureller Maßnahmen auf vielen Gebieten

    (Rudolf Dreßler [SPD]: Was der für ein Zeug erzählt!)

    und Vorbereitung einer langfristigen Neuordnung der gesetzlichen Krankenversicherung in punkto Leistungskatalog und Krankenkassenreform. Diese drei Maßnahmen zusammen werden 1993 zu einem Einsparvolumen von 11,4 Milliarden DM führen, sozial gerecht verteilt: 8,2 Milliarden DM bei den Leistungserbringern, also Krankenhausärzten, Apothekern, Pharmabereich, Zahntechnikern, Zahnärzten, und 3,2 Milliarden DM bei den Versicherten.
    Meine Damen und Herren, über 70 % des Sparbeitrages tragen die Leistungserbringer und unter 30 % die Versicherten. Ich denke, man kann mit Fug und Recht von einer gerechten Verteilung der Sparlasten sprechen.

    (Rudolf Dreßler [SPD]: Hast du gemerkt, kein Beifall!)

    Ein Thema hat in den letzten Tagen eine besondere Rolle gespielt, nämlich das sogenannte Arzneimittelbudget. Wir bekommen ja mit diesem Gesetz, auch wenn viele es nicht glauben, einen Solidarbeitrag der Pharmahersteller durch eine gesetzliche Absenkung der Preise 1993 und 1994. Das wird 1993 und 1994 insgesamt ein Solidarbeitrag von über 3 Milliarden DM sein. Die Koalition ist fest entschlossen, diesen Solidarbeitrag auch durchzusetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Dieser Solidarbeitrag ist notwendig, weil wir auf der anderen Seite eine verstärkte Selbstbeteiligung der Versicherten bei den Arzneimitteln bekommen.
    Meine Damen und Herren, ich muß einmal darauf hinweisen, daß diese Selbstbeteiligung, die jetzt gefunden worden ist, eine große Ungerechtigkeit, die im nächsten Jahr eintreten würde, verhindert, nämlich daß sich die im Gesetz bereits enthaltene 15 %Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln vorwiegend auf die Arzneimittel konzentrieren würde, die innovativ neu auf den Markt kommen, auf die Arzneimittel, die typischerweise bei schweren Erkrankungen verschrieben werden, während gleichzeitig Arzneimittel, die bei Bagatellerkrankungen verschrieben werden, dann zuzahlungsfrei wären. Es könnte auf Dauer nicht so bleiben, daß bei schweren Erkrankungen Zuzahlungen zu leisten wären und bei Bagatellerkrankungen Zuzahlungsfreiheit bestünde. Deshalb meine ich, daß wir hier jetzt ein Stück soziale Gerechtigkeit verwirklichen.



    Bundesminister Horst Seehofer
    Ich möchte der Öffentlichkeit sehr sehr deutlich sagen, daß die Härtefallregelung bei Arzneimitteln nach wie vor bestehen bleibt, ja, daß wir uns im Gesetzgebungsverfahren darum bemühen werden, die Härtefallregelung noch transparenter und verständlicher zu machen, damit auch wir Politiker, die wir manchmal nachlesen müssen, was alles in der Härtefallregelung steht, sie verstehen. Darauf werden wir noch etwas Gehirnschmalz verwenden müssen. Es bleibt bei der Härtefallregelung, wonach Menschen, die ein bestimmtes Einkommen nicht überschreiten, von Zuzahlungen völlig befreit sind, und bei der Überforderungsklausel, wonach Patienten nur mit einem bestimmten Anteil ihres Einkommens Zuzahlungen leisten müssen, nämlich 2 % und Höherverdienende 4 %. Darüber hinaus kann niemand zu Zuzahlungen herangezogen werden.
    Es bleibt also bei dieser Härtefallregelung. Das ist der soziale Ausgleich bei den Zuzahlungsregelungen, und dieser soziale Ausgleich ist, wie wir wissen, in der Praxis treffsicher, weil er die Menschen, die wirtschaftlich nicht so leistungsfähig sind, vor Überforderung schützt. Dabei bleibt es!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Nun machen wir das Arzneimittelbudget, und zwar nicht deshalb, weil wir etwa große Anhänger von Budgetierungen sind. Auch das Arzneimittelbudget ist zeitlich befristet. Ich möchte hier noch einmal den wesentlichen Grund für dieses Budget sagen: Wenn wir 1993 und 1994 die Preise gesetzlich um 5 % senken, dann müssen wir dafür Sorge tragen, daß diese Preissenkung nicht durch Strukturkomponenten und Mengenentwicklung unterlaufen wird.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist der entscheidende Grund.

    Nun könnte man sagen: Dafür haben wir doch die Selbstbeteiligung. Aber wir wissen seit 1989, daß die Selbstbeteiligung, für sich allein betrachtet, nicht die Steuerungswirkung auslöst, die sich viele von ihr versprochen haben. Wir haben seit 1989 in den Bereichen, in denen wir die höchste Selbstbeteiligung haben, auch die größte Mengenentwicklung, den größten Mengenzuwachs. Deshalb können wir nicht allein auf die Steuerungswirkung der Selbstbeteiligung vertrauen. Wir würden uns ja geradezu der Lächerlichkeit preisgeben, wenn wir den Solidarbeitrag der Pharmahersteller, den sie übrigens — mit Ausnahme einzelner Firmen — sehr klug begleiten, jetzt als großes Sparopfer der Pharmaindustrie darstellten und diese Preissenkung dann im Herbst 1993 durch Mengenentwicklung vielleicht überholt würde, Das darf nicht passieren. Deshalb müssen wir Sorge dafür tragen, daß die Mengen nicht explodieren. Nur darum geht es, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir stellen für 1993 — und es geht, um das noch einmal deutlich zu sagen, um ein einziges Jahr; anschließend ist dies Sache der Selbstverwaltung — gesetzlich ein Arzneimittelvolumen zur Verfügung, das in seiner Höhe in der Bundesrepublik Deutschland bisher erst einmal verbraucht wurde, nämlich über 24 Milliarden DM. Das ist der Spitzenwert für den Medikamentenverbrauch in der Bundesrepublik
    Deutschland. Den kürzen wir nicht, sondern stellen ihn 1993 zur Verfügung. Deshalb ist die Mär, chronisch Kranke, Allergiker, Diabetiker, Herzkranke, Rheumatiker, würden nicht mehr die notwendigen Mittel erhalten, absolut falsch. Ich garantiere, meine Damen und Herren: Auch nach dieser Reform bekommt jeder Kranke sein medizinisch notwendiges Medikament!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich sage in diesem Zusammenhang noch einmal: Wir reduzieren nicht die Qualität, wir reduzieren nicht das Versorgungsniveau, sondern das einzige, was wir tun, ist, Verschwendung und Unwirtschaftlichkeit wegzunehmen. Und die gleichen Standesvertreter und Ärzte, die sagen, das Arzneimittelbudget könne zu einer Beeinträchtigung der Therapiefreiheit führen, sagen in ihren Beschlußpapieren: Grenzt doch unwirksame Arzneimittel aus, die es in Milliardenhöhe gibt. Man kann doch nicht auf der einen Seite sagen: „Wir können nicht mehr genug verordnen" und auf der anderen Seite zugeben, daß es in diesem Leistungskatalog unwirksame Arzneimittel in Milliardenhöhe gibt, die wir ausgrenzen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Gleichwohl sage ich: Das Einsparvolumen gerade in diesem Punkt muß erreicht werden. Doch hinsichtlich des Instruments sind wir, ist die Koalition natürlich gesprächsbereit.

    (Rudolf Dreßler [SPD]: Aha!)

    Aber es darf nicht die Illusion entstehen, daß wir das Sparvolumen dann aufgeben. Es muß bei der gerechten Lastenverteilung bleiben; über Instrumente kann man reden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Steigende Zahl der Kassenärzte: Ich sagte schon, es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen steigenden Arztzahlen und steigenden Ausgaben. Deshalb müssen wir eine Antwort auf dieses Thema finden. Unser Vorschlag ist, wie Sie wissen, die Bedarfszulassung. Ich weiß, daß dies eine verfassungsrechtliche Frage von hohem Rang ist. Aber wir sind überzeugt, daß wir dieses Problem nicht anders lösen können. Wenn wir die Antwort in diesem Gesetzgebungsverfahren darauf nicht finden, dann sind staatliche Dauerinterventionen unvermeidbar.
    Viele Verfassungsjuristen schlagen uns vor, die Dauerintervention der Honorardeckelung zu machen. Das wäre der weitaus schärfere Eingriff, weil er an die Qualität und an die Existenz der bestehenden Praxen geht. Die Auswirkungen dieses auf den ersten Blick sehr verführerischen Vorschlags beginnen doch schon beim Medizinstudium. Ich habe dagegen unter dem Gesichtspunkt der Qualität der Medizinerausbildung überhaupt nichts einzuwenden; anders könnten wir da verfassungsrechtlich ohnehin nicht ran. Die ganzen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Föderalismus lasse ich jetzt einmal beiseite; das Ganze ist ja Kulturhoheit.
    Aber unabhängig vom Verfassungsrecht und unabhängig davon, daß es unter Qualitätsgesichtspunkten Sinn machen würde, beim Zugang und bei der Praxis-



    Bundesminister Horst Seehofer
    bezogenheit etwas am Medizinstudium zu ändern, muß man darauf hinweisen, daß dies die Bedarfsfrage, nämlich die ständig steigende Kassenarztzahl, in keiner Weise steuert oder löst. Denn die Europäische Gemeinschaft ermöglicht es, daß jeder, der in Europa Medizin studiert, in Deutschland als Arzt zugelassen werden muß. Jeder deutsche Medizinstudent, der im Ausland studiert, muß in Deutschland ebenfalls zugelassen werden. Wenn wir das Medizinstudium für deutsche Studenten jetzt unter Bedarfsgesichtspunkten — das wäre rechtlich gar nicht zulässig — verschärfen würden, dann würden wir bezüglich der zusätzlichen Kassenzulassungen in der Bundesrepublik Deutschland wegen der Freizügigkeit in Europa nichts erreichen. Das wäre eine Maßnahme, die sich allein gegen die deutschen Medizinstudenten richtet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Krankenhaus — ein Kernpunkt unseres Strukturkonzeptes. Ich sage auch hier noch einmal: Ohne Einbeziehung des Krankenhauses gibt es keine Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Wir alle kennen doch die Fälle — sie werden uns jetzt täglich in Briefen geschildert —, daß die Patienten ausgerechnet am Montag oder Dienstag entlassen werden.

    (Rudolf Dreßler [SPD]: Das geht nicht mehr! Jetzt mittwochs!)

    Warum wird immer mehr stationär behandelt? Warum steigt die Häufigkeit der Krankenhausaufenthalte in den letzten zehn Jahren um fast 50 %? Sind denn die Menschen um so viel kränker geworden?
    Meine Damen und Herren, das Krankenhaus ist eine Stätte der Hochleistungsmedizin. Ich bin sehr dafür, daß es auch so bleibt. Aber dies heißt doch nicht, daß es nicht auch dort Wirtschaftlichkeitsreserven gibt, die wir nutzen müssen. Wir müssen beispielsweise das Vergütungssystem, das Selbstkostendekkungssystem im Krankenhaus durch leistungsorientierte Vergütungen wie Sonderentgelte und Fallpauschalen ablösen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir müssen dafür sorgen, daß wir mehr ambulant — im niedergelassenen Bereich und möglicherweise auch im Krankenhaus — und weniger stationär behandeln. Auch dazu sieht der Gesetzentwurf Ansatzpunkte vor; man kann sie vielleicht noch verstärken.
    Was die 11 DM Zuzahlung im Krankenhaus betrifft: Wir wollen die Hochleistungsmedizin für die Menschen gerade im Krankenhaus; das kostet Geld. Wir wollen die optimale pflegerische Betreuung. Aber wenn wir das wollen — was wir auch finanzieren können müssen —, dann müssen wir mit der Bevölkerung eine Diskussion führen, ob sie nicht bereit ist, sich wenigstens an der Verpflegung im Krankenhaus zu beteiligen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich bin sehr dafür, daß wir diese Diskussion führen;
    denn wenn wir das nicht tun, dann müßten wir die
    Qualität zurückführen. Das wäre der weitaus größere Eingriff für die Menschen.
    Natürlich müssen wir uns die Extremfälle, die uns genannt wurden, anschauen und im Gesetzgebungsverfahren überlegen, ob wir im Sinne einer Härtefallregelung hier sozial etwas abfedern können.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Krankenhäuser — da bin ich sicher — bleiben auch in Zukunft der Ort der Hochleistungsmedizin. Es gibt keinen Grund zur Sorge, daß die Trägervielfalt im Krankenhausbereich durch dieses Gesetz gefährdet sein könnte. Das wollen wir nicht.
    Meine Damen und Herren, nach der Entwicklung der letzten Tage möchte ich zum Stil der Auseinandersetzung nur zwei Bemerkungen machen. Ich denke, es ist legitim, ja sogar notwendig, daß Verbände und Standesvertretungen in der Bundesrepublik Deutschland bei einem Reformwerk ihre Interessen mit allem Nachdruck vertreten; das müssen sie. Ein Politiker, der dies nicht aushält, wäre falsch am Platz. Nur, auch diese Auseinandersetzung muß sich innerhalb der demokratischen Spielregeln abspielen. Ich sagte eingangs, sie darf vor allem nicht auf dem Rücken der Kranken und der Hilfebedürftigen ausgetragen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

    Ich möchte Ihnen jetzt nicht jedes persönliche Erlebnis, das ich im Zusammenhang mit diesem Reformwerk hatte, vortragen. Aber wenn man mir persönlich vorwirft, ich würde mit diesem Reformwerk ein verkapptes Euthanasieprogramm und die Hinrichtung von Menschen verfolgen,

    (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Unverschämtheit! — Michael Glos [CDU/CSU]: Schweinisch!)

    wenn man in Zeitungsanzeigen veröffentlicht „Wer früher stirbt, ist billiger für die Krankenversicherung" — dies stammt von einer Aktionsgemeinschaft der Kassenärzte —,

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Unglaublich so etwas!)

    dann bitte ich um Verständnis, wenn ich sage: Hier ist die Schallmauer der Geschmacklosigkeit durchbrochen.

    (Beifall im ganzen Hause)

    Ich konnte nicht anders, als durch die Nichtteilnahme an den Ärztetagen ein deutliches Signal in der Öffentlichkeit zu setzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Ich respektiere und vermerke mit Dank, daß sich die Spitzenvertreter der deutschen Ärzteschaft an diesen beiden Tagen distanziert haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich möchte dem Ersten Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Ulrich Oesingmann,



    Bundesminister Horst Seehofer
    ausdrücklich danken. Wir haben uns in den letzten Tagen und Wochen beide nichts geschenkt; aber ich habe mit großem Respekt begleitet, wie er mit der Spitze der KBV den Kurswechsel, nämlich hin zu Dialogbereitschaft und zur Alternative, in dieser Woche eingeleitet hat. Wer die Verhältnisse in der Ärzteschaft bis zu diesem Tage kannte, weiß, daß dazu eine gehörige Portion Mut gehört hat. Deshalb möchte ich ihm hier vor aller Öffentlichkeit danken, daß er den Faden in die Gesprächsspule wieder eingeführt hat. Es gibt nicht nur eine medizinische Verantwortung der Ärzte, sondern es gibt bei so einem Reformwerk auch eine soziale Verantwortung der Ärzte.
    Meine Damen und Herren, ich bedanke mich auch bei den Krankenkassen, die dieses Reformwerk ohne Ausnahme verantwortungsvoll begleitet haben, obwohl die Versicherten davon betroffen sind. Sie haben mir immer wieder gesagt: Wir sind bereit, Verantwortung zu tragen, wenn die Lasten gerecht verteilt werden.
    Ich sage für die ganze Koalition: Wir bleiben in den nächsten Wochen und Monaten dialogbereit, nicht nur mit den Ärzten, sondern auch mit den Kassenzahnärzten, mit der Krankenhausgesellschaft, den Zahntechnikern, den Apothekern und den Krankenkassen. Dialogbereitschaft heißt: Wenn gute Argumente auf den Tisch kommen, muß man auch bereit sein, etwas zu ändern. Da fällt niemandem ein Zacken aus der Krone, da geht es nicht um Eitelkeiten. Aber um Illusionen von vornherein vorzubeugen: Es muß gewährleistet bleiben, daß das Sparvolumen nicht verwässert wird und daß die Lastenverteilung gerecht bleibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz, dieses Reformwerk ist ein Prüfstein für die Umbaufähigkeit des Sozialstaates. Gefragt ist die Kraft zu Reformen anstelle des Klammerns an Besitzstände. Gefragt ist Mitmenschlichkeit, das Denken an das Gemeinwohl statt Egoismus. Gefragt sind jetzt rasche, eindeutige und nach Möglichkeit auch richtige Entscheidungen. So wie die Koalition in den letzten Wochen in höchstem Maß vertrauensvoll zusammengearbeitet hat, werden wir auch in den nächsten Wochen zusammenarbeiten.
    Meine Damen und Herren, da wir die Zustimmung zu diesem Gesetz brauchen und da es um ein komplexes und ernstes Thema geht, möchte ich hier der SPD und den Bundesländern im Namen der Koalition das Angebot zu Gesprächen und zur Zusammenarbeit machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich bitte, in dieses Angebot nichts Falsches hineinzuinterpretieren. Dahinter stecken weder koalitionspolitische, taktische Fragen, noch hat irgend jemand die Absicht, Partner gegeneinander auszuspielen. Ich denke, es ist, wenn man die Zustimmung braucht, ein Gebot der Vernunft, das Gespräch frühestmöglich zu suchen — aber nicht nur wegen der Zustimmung.
    Nachdem das Arbeitsförderungsrecht in einer großen, parteiübergreifenden Koalition konzipiert, die
    Rentenreform parteiübergreifend durchgeführt und auch die Rentenüberleitung auf die fünf neuen Länder parteiübergreifend „gezimmert" worden ist, wäre es gut, wenn wir auch auf dem schwierigen Feld des Gesundheitswesens und der gesetzlichen Krankenversicherung zu einem großen Konsens kommen würden. Ich lade alle Beteiligten dazu ein.
    Wenn wir das schaffen — ich bin sicher, daß wir es schaffen —, haben wir nicht nur einen gewaltigen Schritt zur Lösung der aktuellen Probleme getan, sondern auch einen Riesenschritt zur sozialen Zukunftsvorsorge, auf daß allen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland der Segen des medizinischen Fortschritts zu finanzierbaren Beiträgen zugute kommt.
    Ich bitte Sie auf diesem Weg um Ihre Unterstützung. Zeigen Sie Gelassenheit, Lebensfreude! Dazu möchte ich auch die Bevölkerung ermuntern. Denn beides ist neben dem, was wir heute diskutieren, immer noch die beste Medizin.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

    Ich habe mich dieser Medizin, der Gelassenheit und der Lebensfreude, in den letzten Wochen bedient. Ich habe festgestellt, sie ist hochwirksam.

    (Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächster spricht der Abgeordnete Rudolf Dreßler.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ein Abfall im Niveau!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Rudolf Dreßler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 1988, im November, stand an diesem Pult der Vorgänger von Herrn Seehofer, der damalige Gesundheitsminister Blüm. Sein Parlamentarischer Staatssekretär Seehofer saß hinter ihm. Herr Blüm erzählte uns: „Wir stimmen heute über eine Jahrhundertreform ab." Gelächter auf der Seite der Opposition, Ovationen auf der Seite der CDU/CSU und F.D.P. Ich stelle heute fest: Das CDU/CSU-F.D.P.-Jahrhundert dauert drei Jahre. Das ist Ihre Mengenlehre.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Wer die Einbringungsrede zu den beiden Gesetzentwürfen der Koalitionsfraktionen hier verfolgt hat, wer die darin aufgelisteten Probleme in unserem Gesundheitswesen registriert, der muß daran erinnert werden: Wir schreiben eben nicht das Jahr 1988, sondern das Jahr 1992. Bei der heute zur Beratung anstehenden Vorlage handelt es sich nicht um die damalige sogenannte Gesundheitsreform. Auf frappierende Weise gleichen sich nämlich die Problembeschreibungen damals und heute. Das beweist: Wir sind seither keinen Schritt weitergekommen.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr! — Zuruf von der CDU/CSU: Wir schon!)

    Die Mängel im Gesundheitswesen bestehen nach wie vor. Noch so kunstvolle rhetorische Umschreibungsversuche können nicht verdecken, was offenkundig Tatsache ist. Das sogenannte Gesundheits-Reformge-



    Rudolf Dreßler
    setz von 1989 ist gescheitert, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

    Eindrucksvoller könnte der Beweis nicht ausfallen: Nach nur drei Jahren wird unser Gesundheitswesen abermals von einer schweren Kostenkrise heimgesucht. Bestürzender könnte die Bilanz für die Beitragszahler wie für die Patienten wohl nicht ausfallen. Trotz erheblicher zusätzlicher Lasten in Form von Selbstbeteiligungen und Leistungskürzungen von 7 Milliarden DM Jahr für Jahr streben die Beitragssätze der Krankenkassen auf ein nie gekanntes Rekordniveau zu. Die großen Ersatzkassen sehen sich zu Beitragssatzerhöhungen von über einem Prozentpunkt gezwungen. Mehrere große Ortskrankenkassen erreichen mit ihren Beitragssätzen mittlerweile die 16-%-Marke oder liegen gar noch darüber. Im laufenden Jahr müssen wir mit einem Defizit in der Krankenversicherung von 10 bis 12 Milliarden DM rechnen.
    Jeder muß wissen: Die politische Verantwortung für diese Entwicklung trägt die Koalition, tragen die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. Ihre Unfähigkeit, die Kraft zu einer wirklichen Reform des Gesundheitswesens aufzubringen, wirkt sich für die Patienten und Beitragszahler so verhängnisvoll aus wie beschrieben, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich will es mir an dieser Stelle versagen, meine Reden vom Herbst 1988 zu wiederholen, in denen ich für die SPD exakt jene Entwicklung prognostiziert habe, die nunmehr eingetreten ist.

    (Zuruf von der SPD: Das ist wahr!)

    Ich will statt dessen die Frage problematisieren, ob CDU/CSU und F.D.P. wenigstens nunmehr begriffen haben, daß derartige Gesetzesoperationen nicht weiterhelfen.
    Die uns heute präsentierten Vorlagen machen mich allerdings skeptisch. Die Gesetzentwürfe greifen abermals zu kurz, werden den Problemen erneut nicht gerecht. Wenn die beiden Gesundheitsgesetze in der heute vorliegenden Form verabschiedet würden, wäre die nächste Kostendämpfungsoperation im Gesundheitswesen schon für 1995 vorprogrammiert. Sie sind deshalb für die SPD-Fraktion nicht zustimmungsfähig.

    (Beifall bei der SPD)

    Unser Gesundheitswesen muß durchgreifend umgestaltet werden. Die Tatsachen liegen auf der Hand. Der ungünstige demographische Aufbau unserer Gesellschaft, das wachsende Gesundheitsbewußtsein der Menschen, die gestiegene und weiter ansteigende Lebenserwartung der Bürgerinnen und Bürger und der unaufhaltsame medizinische Fortschritt lassen eine ständig steigende Inanspruchnahme von Leistungen des Gesundheitswesens erwarten. Diese vier säkularen Trends, die wir größtenteils alle gemeinsam begrüßen, können aber nicht verändert werden. Angesichts dieser Entwicklung käme es einer Illusion gleich, würde man annehmen, einen 10%igen Sektor unserer Volkswirtschaft, wie das Gesundheitswesen
    ihn darstellt, aus der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung dauerhaft ausblenden zu können. Das geht nicht!
    Es bedeutete einen großen Erfolg, wenn es gelänge, den gesundheitsbezogenen Anteil unseres Bruttosozialprodukts für absehbare Zeit bei etwa 10 % stabil zu halten. Aber mit Ihren Gesetzentwürfen gelingt dies nicht. CDU/CSU und F.D.P. lügen sich in die Tasche, wenn sie so tun, als könnte durch einen noch weitergehenden Ausbau der Selbstbeteiligungsleistungen für die Versicherten etwa eine Stabilisierung gelingen. Dieses Instrument kann bestenfalls die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung absenken. Die Gesundheitsausgaben insgesamt wird es jedoch überhaupt nicht beeinflussen. Hier wird lediglich eine Finanzierungsquelle durch eine andere ersetzt. Denn das, was in den Haushalten der Krankenversicherungen gespart wird, führt zu kompensatorischen Erhöhungen der Ausgaben von Privaten für Gesundheit. Der Gesundheitsanteil des Bruttosozialprodukts wird nicht verändert. Die Verteilung der finanziellen Lasten auf die einzelnen Glieder unserer Gesellschaft wird allerdings grundlegend umgestaltet. Die solidarische Finanzierung von Gesundheitsleistungen wird zugunsten einer privaten Finanzierung ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Folgen zurückgedrängt. Das wissen CDU, CSU und F.D.P. Sie wissen es aber nicht nur. Sie wollen das. Sie sind in dieser Frage ideologisch fixiert.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Sie wollen unser Gesundheitswesen durch Einführung der Selbstbeteiligung auf breiter Front auf den Weg der Privatisierung von Risiken bringen: Jahr für Jahr 7 Milliarden DM Selbstbeteiligung seit 1989 durch die sogenannte Gesundheitsreform und jetzt noch einmal über 3 Milliarden DM mehr ab Januar 1993.
    Den Weg der Privatisierung gesundheitlicher Risiken darf es nicht geben. Er wäre sozial nicht zu verantworten. Der weitere Ausbau des Instrumentariums von Selbstbeteiligungsleistungen ist daher mit der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion nicht zu verwirklichen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Die Qualität des deutschen Gesundheitswesens steht und fällt mit der Anwendung des Grundsatzes der solidarischen Finanzierung. In kaum einem anderen vergleichbaren System steht die moderne Medizin allen Gruppen der Bevölkerung, und zwar unabhängig von ihrem Einkommen, gleichermaßen zur Verfügung wie in Deutschland. In keinem anderen System kommt der medizinische Fortschritt in dieser umfassenden Breite und so schnell für alle Menschen zur Anwendung wie in Deutschland.
    Das muß so bleiben und darf nicht gefährdet werden. Gesundheitsleistungen dürfen nicht über den Umweg der Selbstbeteiligung künftig von der Größe



    Rudolf Dreßler
    der persönlichen Geldbörse abhängig gemacht werden.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Von einigen wird argumentiert, gerade die solidarische Finanzierung fördere durch die nicht personengebundene Zuordnung von Beitragslast und Leistungsnutzen den Mißbrauch.
    Damit kein Mißverständnis aufkommt: Niemand kann mißbräuchliche Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen bestreiten; sie ist offenkundig. Mißbrauch gibt es im übrigen nicht nur auf der Seite der Versicherten — wie allzu Einäugige manchmal voreilig feststellen möchten —. Es gibt ihn auch auf der Seite der Leistungserbringer.
    Aber dieser Mißbrauch ist nicht auf die solidarische Grundausrichtung des Systems zurückzuführen. Er ist vielmehr darin begründet, daß allzu viele der sich im System Bewegenden die ihnen übertragenen Auf gaben, die Pflichten und die Rechte nicht ernst nehmen.
    Die Klage, bei den Patienten habe sich eine Art Selbstbedienungsmentalität breitgemacht, ist für mich nicht sonderlich überzeugend. So ist z. B. der vielfach überzogene Arzneimittelverbrauch — wer wollte den eigentlich bestreiten? — nur vordergründig in den Wünschen der Patienten begründet. Seine tatsächliche Ursache findet er darin, daß andere es den Patienten erst ermöglichen, diese Wünsche zu realisieren.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)

    Tatsache ist doch, daß jede, auch die mißbräuchliche, Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen erst durch die Unterschrift des Arztes auf dem Rezeptblock möglich wird.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Der Arzt allein entscheidet; er allein hat den Gewährleistungsauftrag; er allein stellt die Indikation; und er allein entscheidet über die Verordnungen, die für die Genesung des Patienten notwendig sind.
    Das muß so bleiben; etwas anderes ist nicht denkbar. Aber der Arzt muß den daraus folgenden Verpflichtungen nachkommen und kann ihnen nicht dadurch ausweichen, daß er mittels Selbstbeteiligung den Patienten indirekt daran beteiligt. Nicht die Selbstbeteiligung, sondern das Nein des behandelnden Arztes löst das Problem des Mißbrauchs.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Sie sind blauäugig!)

    Haben Sie sich eigentlich die Folgen Ihrer neuen Selbstbeteiligungsregelungen im einzelnen einmal überlegt, etwa im Krankenhaus oder beim Zahnersatz?
    Sie wollen, daß Patienten bei Krankenhausaufenthalt künftig 11 DM je Tag ohne zeitliche Begrenzung bezahlen. Wissen Sie, was das etwa für einen Unfallpatienten bedeutet? Bei einem halbjährigen Krankenhausaufenthalt mit anschließender dreimonatiger Rehabilitationskur heißt das, daß er 274 mal 11 DM zu bezahlen hat. Das sind 3 014 DM. In Ostdeutschland,
    wo Sie statt 11 DM 8 DM von den Patienten abkassieren wollen, bedeutet dies 2 192 DM.
    Ein Herzinfarktpatient mit sechswöchigem Auf enthalt im Krankenhaus und vierwöchiger Reha-Kur ist im Westen mit 770 DM und im Osten mit 560 DM dabei. Für den normalen Beinbruch bei vier Wochen Krankenhausaufenthalt kassieren Sie im Westen 308 DM und im Osten 224 DM.
    All dies wird fällig ohne jede Einschränkung. Selbst der ärmste der Armen soll zahlen. Können Sie mir einmal sagen, was das eigentlich mit sozialer Gerechtigkeit zu tun hat?

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Ich frage Sie: Was hat es eigentlich mit Solidarität zu tun, wenn von dieser Regelung die Wirkung ausgeht, daß derjenige, der am schwersten krank ist, am meisten an Selbstbeteiligung aufzubringen hat? Dies alles ist weder solidarisch noch gerecht. Dies ist die Fortsetzung der 1989 mit dem Gesundheits-Reformgesetz begonnenen Abkassiererei.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Damen und Herren von der Freien Demokratischen Partei beweisen dabei besondere Einfühlsamkeit.

    (Klaus Kirschner [SPD]: Wie öfters!)

    Unangemessene Härten und übermäßige Einkommensreduzierungen müssen jedoch vermieden werden, meint Herr Solms, der Vorsitzende der F.D.P.-Fraktion, im Zusammenhang mit diesem Gesetz. Aber dies meint er nicht etwa an die Rentnerin mit 1 500 DM Einkommen pro Monat gerichtet, nein; dies sagt er Zahnärzten mit 20 000 DM vor Steuern im Monat ganz ungeniert und öffentlich in einer Pressemitteilung der F.D.P.

    (Zurufe von der SPD: Unerhört!)

    Selbst wenn man sich in dieser unverhohlenen Form als Zahnärztepartei profilieren will: das ganze Parlament ist auf die Bundesrepublik Deutschland als Sozialstaat verpflichtet, auch die F.D.P. Ich frage Sie: Können Sie derartige Äußerungen Ihres Fraktionsvorsitzenden eigentlich mit Ihrem Gewissen vereinbaren?

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich frage, ob CDU/CSU und F.D.P. sich die Folgewirkungen ihrer Neuregelungen im Zahnersatzbereich hinreichend deutlich vor Augen geführt haben. Da soll künftig zwischen Wahlleistungen und Regelleistungen unterschieden werden. Um nicht mißverstanden zu werden: Es geht nicht darum, künftig Luxusversorgung beim Zahnersatz zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu ermöglichen. Luxusversorgung gab es schon bisher nicht. Es geht ausschließlich um eine funktionell vernünftige und auch ästhetisch angemessene Versorgung mit Zahnersatz.
    Was ist denn nun Regelleistung, und was soll Wahlleistung sein? Hier sind der definitorischen Willkür Tür und Tor geöffnet. Genau das wollen Sie. Sie wollen ein Einfallstor schaffen, um die Versorgung der



    Rudolf Dreßler
    Versicherten mit Zahnersatz künftig noch weiter zu privatisieren.
    Bei der Verabschiedung des sogenannten Gesundheits-Reformgesetzes haben Sie sich 1989 mit dem Festbetragskonzept gebrüstet und haben versprochen, daß künftig Festbetragsmedikamente von jeder Zuzahlung frei seien. Das soll nun auf einmal nicht mehr wahr sein. Wer in Ihr neues Gesetz hineinschaut, wird feststellen, daß künftig auch für Festbetragspräparate Selbstbeteiligungen bezahlt werden sollen, aber nicht — wie bisher bei den anderen Medikamenten üblich — 3 DM je Präparat, sondern mindestens 3 DM, höchstens 10 DM, und in dieser Spanne in jedem Falle 10 % des Preises. Hier werden das Motto „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?" zur politischen Losung und der Wortbruch zum politischen Programm.

    (Beifall bei der SPD)

    Deshalb nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß ich für die SPD-Fraktion feststelle: Es gibt keine Stimme der Sozialdemokraten für eine weitere Erhöhung der Selbstbeteiligung, weder im Bundestag noch im Bundesrat.
    Sie versuchen derzeit, durch allerlei Nebelwerferei den Eindruck zu erwecken, als sei die abermalige Belastung der kranken Menschen nicht so schlimm. In dieser Woche trat der Bundesgesundheitsminister im ZDF auf und verkündete die These, das Unsozialste überhaupt sei die Beitragserhöhung in der Krankenversicherung. Das hört sich zwar gut an. Aber es ist die Unwahrheit; es ist die Verdrehung von Tatsachen.
    Sie versuchen nämlich mit diesem Argument, Herr Seehofer, zu verwischen, daß in Wahrheit die Selbstbeteiligung auch eine spezielle Form der Beitragserhöhung ist, und zwar eine Beitragserhöhung, die nicht alle Versicherten, wohl aber die besonders Benachteiligten unter ihnen, nämlich die Kranken, trifft. Gibt es eigentlich etwas Unsozialeres als ein solches Instrument?

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

    Ich hoffe, es ist Ihnen klar, daß Sie mit solchen Argumenten die Beitragszahler gegeneinander aufbringen. Sie versuchen das berechtigte Interesse der Beitragszahler an niedrigen Beitragssätzen als Instrument gegen die Kranken und ihr Interesse an niedriger Selbstbeteiligung einzusetzen. Ich nenne das ein schlimmes Verfahren.
    Die Koalition vertritt seit geraumer Zeit in der ihre Gesetzgebung begleitenden öffentlichen Diskussion eine merkwürdige Behauptung. Ich meine die These von der gerechten Verteilung der Belastungen auf Zahnärzte, Ärzte, Pharmaindustrie auf der einen Seite und Versicherte und Kranke auf der anderen Seite.
    Auch daran stimmt übrigens nichts. Mit dem Gesundheits-Reformgesetz von 1989 wollten Sie 14 Milliarden DM einsparen. 7 Milliarden DM sollten die Leistungserbringer aufbringen und 7 Milliarden DM die Versicherten und Patienten. Tatsächlich eingespart wurden 7 Milliarden DM, und die haben ausschließlich die Versicherten und Kranken aufgebracht. Der 7-Milliarden-DM-Beitrag der Leistungserbringer steht noch aus.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)

    Jetzt sollen es 11 Milliarden DM sein, die gespart werden, diesmal 8 Milliarden DM für die Leistungserbringer und 3 Milliarden DM für die Patienten. Die 8 Milliarden DM für Ärzte, Zahnärzte und Pharmaindustrie — sollten sie je wirklich eingespart werden — sind doch nichts anderes als das, was bereits vor drei Jahren fällig gewesen wäre. Damit wird doch lediglich die Bezahlung der Zeche von vor drei Jahren nachgeholt. Gleichwohl verlangen Sie von den Versicherten zusätzlich zu den 7 Milliarden DM pro Jahr seit 1989 nun weitere 3,2 Milliarden DM. Was ist daran eigentlich sozial ausgewogen?

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Gar nichts!)

    Sie schreiben doch lediglich die soziale Unausgewogenheit des damaligen Gesetzes in die Zukunft der 90er Jahre fort.

    (Beifall bei der SPD)

    Noch eines fällt ins Auge, wenn man Ihre Behauptung von der sozialen Ausgewogenheit des Pakets nachprüft. Den Patienten und Versicherten werden 11 Milliarden DM im Jahr durch Leistungskürzungen und zusätzliche Selbstbeteiligungen direkt abgeknöpft.
    Bei Ärzten gehen Sie ganz anders vor. Sie kürzen nicht, sondern Sie begrenzen die Einkommenszuwächse. Bei Ärzten gibt es also immer noch ein Mehr; das Mehr wird nur nicht so groß sein wie bisher. Und auch das soll sozial ausgewogen sein?
    CDU/CSU und F.D.P. geben sich seit je als die ordnungspolitischen Gralshüter der Sozialen Marktwirtschaft aus. Haben Sie sich eigentlich die ordnungspolitische Wirkung Ihrer Instrumente, die Sie in diesem Gesetz anwenden wollen, wirklich vor Augen geführt?
    Herr Seehofer sprach heute morgen von tiefgreifenden Strukturveränderungen. Im Gesetz ist zu lesen: staatlicher Stopp der Einkommenszuwächse bei Ärzten und Zahnärzten, staatlicher Stopp der Entgelte für die Krankenhäuser, staatliche Preisabsenkung in der Arzneimittelversorgung. Wo man hinschaut: Preisstopps. Statt mehr Marktwirtschaft im Gesundheitswesen da, wo es möglich wäre, gibt es mehr staatliche Intervention. Das ist die CDU/CSU-F.D.P.-Devise: In Sonntagsreden sich selbst als Erben von Ludwig Erhard feiern, aber in der praktischen Politik die Nachlaßverwalter von Günther Mittag sein! Das ist eine schöne Gesellschaft.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch und Zurufe von der CDU/CSU — Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Helau! Helau!)

    — Helau.
    Natürlich müssen Ärzte, Zahnärzte und Pharmaindustrie Sparbeiträge erbringen. Es geht um kostengünstige Honorarformen, andere Krankenhauspflegesätze, endlich Preisverhandlungen zwischen Krankenkassen und Pharmaindustrie.



    Rudolf Dreßler
    Die hinter dem Gesetzespaket von CDU/CSU und F.D.P. stehende Philosophie ist in einem wichtigen Aspekt die gleiche wie die des sogenannten Gesundheits-Reformgesetzes von 1989. Es wird eine politisch motivierte, rein willkürliche Einsparsumme vorgegeben, die dann entsprechend realisiert werden muß. Man könnte fragen: Wieso eigentlich 11 Milliarden, warum nicht 9 oder 14 oder 20? Woher wird eigentlich eine solche Zahl genommen? Da machen sich ministerielle Einsammler auf den Weg nach dem Motto „Ein bißchen von diesem, ein bißchen von jenem", und dann gehen sie zusammen ans Werk. Welch eine Überraschung: Sie kommen dann zu dem gewünschten Einsparergebnis.
    Das alles hat weder etwas mit gesundheitspolitischer Orientierung oder gar Strategie und noch gar mit den gesundheitspolitischen Notwendigkeiten für die Versicherten zu tun. Dies ist eine ins Fiskalische gewandelte Gesundheitspolitik.
    Ich glaube, an dieser Stelle sind einige klare Worte in Richtung Ärzte und Zahnärzte geboten. Man kann zu den Gesetzesvorschlägen der Koalition und zur Gesundheitspolitik von Herrn Seehofer stehen, wie man will — auch die Opposition kritisiert viele von deren Aspekten —; aber es ist unerträglich, wenn von Interessengruppen der Ärzte und Zahnärzte versucht wird, Politik unter Druck zu setzen, wie das in den vergangenen Wochen versucht wurde.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS/Linke Liste)

    Ich denke, es ist Aufgabe des ganzen Hauses, unabhängig davon, ob Koalition oder Opposition, deutlich zu machen: Der Deutsche Bundestag läßt sich nicht unter Druck setzen, und nötigen läßt er sich schon gar nicht.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS/Linke Liste)

    Er weist die anschließende Begleitmusik einiger ärztlicher Standesfunktionäre mt Entschiedenheit zurück. Zudem: Wer sich seine eigene Propaganda gegen parlamentarische Vorhaben von pharmazeutischen Unternehmen finanzieren läßt, wie etwa der Hartmannbund, bringt seine Glaubwürdigkeit ins Zwielicht und scheidet als seriöser Gesprächspartner aus. Er schafft unerträgliche Zustände. Das muß deshalb vom Tisch.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Kassenärzte wehren sich besonders gegen die Budgetierung der Arzneimittelausgaben, insbesondere aber gegen die Regelung, Überschreitungen des Budgets auf die eigenen Honorare angerechnet zu bekommen. Über den Sinn einer solchen Regelung mag man streiten. Aber es ist nicht glaubwürdig, den Patienten einzureden, dadurch könnten sie künftig nicht mehr ordentlich mit Arzneimitteln versorgt werden. Gleichzeitig höre ich, daß Krankenkassen — Krankenkassen! — und Kassenärzte hinter verschlossenen Türen um eine Regelung kungeln, nach der die Kassenärzte, sollten sie die Arzneimittelbudgets
    unterschreiten, die unterschrittene Summe ihrem Honorar gutgeschrieben erhalten.

    (Heiterkeit bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)

    Budgetierungen also, bei denen die Ärzte im Zweifelsfall zuzahlen müssen, sollen die Arzneimittelversorgung der Patienten gefährden, und viel strengere Budgetierungen, bei denen die Ärzte noch verdienen, sind ein lohnenswertes Unterfangen und gefährden plötzlich die Versorgung nicht. Hier wird doch deutlich, um was es in Wahrheit geht: nicht um die Arzneimittelversorgung, nicht um die Patienten, sondern nur ums Geld. Das ist ein schlimmer Verfall der sozialen Sitten.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Seehofer hat heute im Namen der Bundesregierung ein Gesprächsangebot unterbreitet. Er trägt damit den Tatsachen Rechnung, weil er weiß, daß jede Strukturreformmaßnahme im Gesundheitswesen, also auch die Pläne der Koalition zu einem Gesundheitsstrukturgesetz, der Zustimmung des Bundesrates, also der SPD, bedarf. Ich begrüße dieses Angebot auch deswegen, weil es zeitgerecht kommt, der Klärungsprozeß zwischen Koalition und Opposition also nicht auf die letzte Sekunde — und das wäre der Vermittlungsausschuß — vertagt wird.
    Herr Seehofer, die Sozialdemokraten nehmen Ihr Gesprächsangebot an. Wir sind bereit, mitzuarbeiten, eine breite parlamentarische Mehrheit für eine wirkliche Reform des Gesundheitswesens zustande zu bringen. Sie wissen, die Mitarbeit der SPD ist politisch nicht kostenlos.

    (Zuruf von der SPD: Herr Seehofer hört gar nicht zu!)

    — Wenn ihn die Antwort der Opposition auf sein Angebot nicht mehr interessiert, dann kann er das sagen.

    (Zuruf des Bundesministers Horst Seehofer)

    — Der interessiert in diesem Zusammenhang überhaupt nicht, Herr Seehofer.
    Sie wissen, Herr Seehofer, die Mitarbeit der SPD ist politisch nicht kostenlos. Unsere Vorstellungen kennen Sie. Damit Sie sie nicht vergessen, stehen sie heute in Form eines Antrages ebenfalls zur Diskussion.
    Allerdings sage ich Ihnen: Irritierend sind seit gestern Presseberichte, nach denen die Koalition parallel zu Gesprächen mit der SPD in Arbeitsgruppen mit Verbänden des Gesundheitswesens über Veränderungen an ihren Gesetzentwürfen verhandeln will. Herr Seehofer, ich sage Ihnen: Reden Sie mit wem Sie wollen. Aber wenn Sie ernsthaft an einer tragfähigen Gesetzeslösung mit der SPD interessiert sind, wird dieses Verfahren nicht möglich sein. Die SPD spricht nicht über Gesetzentwürfe, die in Hinterzimmern und Kungelrunden mit Verbänden schon längst zur Makulatur geworden sind.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich gehe davon aus, daß Sie für ihre Vorhaben eine Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat haben



    Rudolf Dreßler
    wollen. Deshalb frage ich Sie: Wie viele Stimmen haben eigentlich Ärzteverbände und Pharmaindustrie im Bundesrat, und wie viele Sitze haben sie eigentlich im Bundestag? Gespräche müssen dort geführt werden, wo die Mehrheit für Gesetze zu erlangen ist: zwischen den Fraktionen des Bundestages, den Ländern und der Regierung.

    (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Unglaubliche Arroganz! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Etwas anderes wird die Sozialdemokratische Partei Deutschlands jedenfalls nicht akzeptieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Wer Gespräche führen will, sollte eine eindeutige Geschäftsgrundlage haben. Sie müssen sich also über folgendes klar sein:
    Erstens. Die SPD wird weder im Bundestag noch im Bundesrat einen Gesetzentwurf mittragen, der die abermalige Erhöhung der Selbstbeteiligung der Versicherten vorsieht.
    Zweitens. Wer eine Reform des Gesundheitswesens will, die trägt, darf nicht bei den Vorschlägen, die Sie in Ihrem zweiten Gesetzentwurf, dem Gesundheitsstrukturgesetz, gemacht haben, stehenbleiben. Dieser Gesetzentwurf ist unzureichend. Hier muß kräftig korrigiert werden. Ohne eine Organisationsreform der gesetzlichen Krankenversicherung wird unser Gesundheitswesen auch weiter von einer Krise in die andere taumeln.

    (Beifall bei der SPD)

    Drittens. Nur unter der Bedingung einer echten Strukturreform ist die SPD zu einem Vorschaltgesetz bereit, in das kurzfristige Maßnahmen aufgenommen werden, die übergangsweise wirken, bis die eigentliche Reform trägt.
    Das Rentenreformgesetz und unser gemeinsames Vorgehen dort zeigen: Wer eine gemeinsame Lösung will, braucht eine gemeinsame Vorlage. Für die sozialdemokratische Fraktion erkläre ich, daß wir bereit sind, unseren Antrag zur Reform des Gesundheitswesens in einen gemeinsamen Gesetzentwurf der drei Fraktionen eingehen zu lassen. Wir erwarten von der Koalition das gleiche.
    Bei möglichen Konsensgesprächen müssen sich im Ergebnis alle Beteiligten wiederfinden. Aber dabei darf der Sinn für parlamentarisch-politische Proportionen nicht verlorengehen. Die Union vertritt 45 % des Parlaments, die SPD 35 % und die F.D.P. 10 %. Ein mögliches Konsensergebnis kann das nicht auf den Kopf stellen.
    Wir sind bereit, in diesem Sinn die Gespräche mit der Koalition und die dann folgenden parlamentarischen Beratungen zu führen.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD — Beifall bei der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)