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ID1210316000

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    Plenarprotokoll 12/103 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 103. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Inhalt: Begrüßung einer Delegation des ungarischen Parlaments 8785 D Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltspians fur das Haushaltsjahr 1993 (Haushaltsgesetz 1993) (Drucksache 12/3000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1992 bis 1996 (Drucksache 12/3100) Hans-Ulrich Klose SPD 8713B, 8761D Dr. Wolfgang Bötsch CDU/CSU 8721B Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . 8725B, 8754 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 8729 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 8730C Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8733 D Dr. Helmut Kohl Bundeskanzler BK 8736A, 8745C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8745 A Björn Engholm, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein . . . . . 8746A, 8755B Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . 8750 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU 8755C, 8762B Franz Müntefering SPD 8759 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA 8762 D Hans-Ulrich Klose SPD 8765 A Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 8766 A Ulrich Irmer F D P. 8767 D Volker Rühe, Bundesminister BMVg . . 8769 D Walter Kolbow SPD 8773 B Paul Breuer CDU/CSU 8775 A Dr. Klaus Rose CDU/CSU 8776 C Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . 8778 B Dr. Sigrid Hoth F D P 8781 B Dr. Karl-Heinz Hornhues . . . . 8782C, 8798B Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 8784 B Hans-Gerd Strube CDU/CSU 8786A Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 8787 B Carl-Ludwig Thiele F D P 8788 B Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 8790 A Dr. Ingomar Hauchler SPD 8792 A Hans-Peter Repnik CDU/CSU 8793 D Werner Zywietz F.D.P. . . . . . . . . 8794 D Dr. Ingomar Hauchler SPD 8795 B Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8796 B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8799 B Ortwin Lowack fraktionslos 8800 C Ulrich Briefs fraktionslos 8802 B Rudolf Seiters, Bundesminister BMI . . 8804 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . 8806A, 8815C Gerd Wartenberg (Berlin) SPD 8809C Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . 8813D Gerd Wartenberg (Berlin) SPD . . . 8817C Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 8818C Ina Albowitz F D P 8820 B Freimut Duve SPD 8822A, 8826 B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8822D, 8841 C Freimut Duve SPD 8823 C Karl Deres CDU/CSU 8824 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . 8826 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 8829 A Dr. Hans de With SPD 8831 B Norbert Geis CDU/CSU 8834 B Dr. Hans de With SPD 8834 D Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 8836 A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 8836D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 8838 C Dr. Michael Luther CDU/CSU 8840B Dr. Norbert Geis CDU/CSU 8842 D Tagesordnungspunkt 4: a) Fortsetzung der Beratung (Abstimmung) der Entschließungsanträge der Fraktion der SPD zum Nachtragshaushaltsgesetz 1992 (Drucksachen 12/2910, 12/2911) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu den dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 1/92 und 2 BvE 2/92 (Drucksache 12/3195) Ortwin Lowack fraktionslos (Erklärung nach § 31 GO) 8804 A Nächste Sitzung 8843 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 8845* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1993) Michael von Schmude CDU/CSU . . . . 8845* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 8713 103. Sitzung Bonn, den 9. September 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 09. 09. 92*** Antretter, Robert SPD 09. 09. 92* Dr. Blank, CDU/CSU 09. 09. 92** Joseph-Theodor Blunck, Lieselott SPD 09. 09. 92* Böhm (Melsungen), CDU/CSU 09. 09. 92* Wilfried Brandt, Willy SPD 09. 09. 92 Clemens, Joachim CDU/CSU 09. 09. 92 van Essen, Jörg F.D.P. 09. 09. 92*** Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 09. 09. 92*** Friedrich, Horst F.D.P. 09. 09. 92 Dr. Fuchs, Ruth PDS/LL 09. 09. 92 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 09. 09. 92*** Gattermann, Hans H. F.D.P. 09. 09. 92 Haschke CDU/CSU 09.09.92 (Großhennersdorf), Gottfried Dr. Holtz, Uwe SPD 09. 09. 92*** Jaunich, Horst SPD 09. 09. 92 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 09. 09. 92 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 09. 09. 92*** Oesinghaus, Günther SPD 09. 09. 92 Opel, Manfred SPD 09. 09. 92** Pfuhl, Albert SPD 09. 09. 92 Poß, Joachim SPD 09. 09. 92 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 09. 09. 92* Reddemann, Gerhard CDU/CSU 09. 09. 92* Regenspurger, Otto CDU/CSU 09. 09. 92 Rempe, Walter SPD 09. 09. 92 Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 09. 09. 92** Helmut Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 09. 09. 92 Scharrenbroich, Heribert CDU/CSU 09. 09. 92*** Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 09. 09. 92 Schulte (Hameln), SPD 09. 09. 92** Brigitte Schuster, Hans F.D.P. 09. 09. 92 Dr. Stercken, Hans CDU/CSU 09. 09. 92*** Weyel, Gudrun SPD 09. 09. 92*** Dr. Wieczorek, Norbert SPD 09. 09. 92 Dr. Wieczorek CDU/CSU 09. 09. 92 (Auerbach), Bertram Wittmann (Tännesberg), CDU/CSU 09. 09. 92 Simon Zierer, Benno CDU/CSU 09. 09. 92* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates **für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung *** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1993) Michael von Schmude (CDU/CSU): Der einigungsbedingte Mehraufwand im Justizetat 1993 unterstreicht erneut den festen Willen von Regierung und Parlament, den Aufbau des Rechtsstaates weiter voranzutreiben und zu konsolidieren. Bei der Haushaltsdebatte 1991 wurde sehr zu Recht die schleppende Abwicklung von Gerichtsverfahren, die totale Überlastung der Grundbuch- und Katasterämter beklagt. Inzwischen hat sich trotz noch immer vorhandener Mängel auch vieles überaus positiv entwickelt. Wer hätte gedacht, daß nach den ersten Erfahrungen-wir mußten ja nach der Säuberung der alten DDR-Justiz in den meisten Bereichen bei Null anfangen - eine derart große Zahl von Juristen für die neuen Bundesländer gewonnen werden könnte. Erinnern wir uns: Es gab dort zur Zeit der Wende 1989 ganze 600 Rechtsanwälte, heute sind es immerhin schon 3 200. Das von der Bundesregierung initiierte Modell „Aufbau des Rechtsstaates" leistet nunmehr einen entscheidenden Beitrag zur Personalausstattung der Gerichte und Grundbuchämter in den neuen Ländern. War es 1991 noch ein Etatansatz von 117,4 Millionen DM, der nur mit 53,5 Millionen ausgenutzt werden konnte, so mußten wir bereits in diesem Jahr den vorgesehenen Betrag von 104,5 Millionen DM noch um Haushaltsreste aus 1991 von rund 19 Millionen DM für EDV-Maßnahmen aufstocken. Damit sind die Zielvorgaben per heute wie folgt verwirklicht worden: i. 1 000 Richter und Staatsanwälte, davon 820 tätig, 500 Rechtspfleger, davon 500 tätig. 2. Der Einsatz von pensionierten Richtern, Staatsanwälten, Rechtspflegern und Urkundsbeamten zeigt leider immer noch ein unbefriedigendes Ergebnis, obwohl bürokratische Hemmnisse beseitigt wurden. Statt der angestrebten Zahl von 500 sind es jetzt erst ganze 68. Man sollte also mehr für ein Seniorenmodell werben. 3. Die Bundesförderung für die Neueinstellung von Richtern, Rechtsanwälten, Rechtspflegern - insgesamt sollen es 300 sein -, wird von den neuen Ländern voll in Anspruch genommen. Diese Gesamtförderung wird 1993 mit 107,5 Millionen DM fortgesetzt, wobei wir die Unterstützung bei der EDV-Ausstattung der Grundbuchämter erneut mit einschließen. Natürlich besteht auch darüber hinaus für die Folgejahre noch Handlungsbedarf. Ich möchte aber heute auch allen danken, die in den neuen Bundesländern auf Dauer oder vorübergehend beim schwierigen Aufbau des Rechtsstaates mitwirken. Sie tragen entscheidend dazu bei, das Vertrauen in unseren Staat zu stärken. Für ganz Deutschland gilt gleiches Recht, und damit muß auch die gleiche Rechtswirklichkeit einhergehen. Allerdings müssen wir in diesem Zusammenhang auch einige selbstkritische Fragen stellen: - Was bremst und blockiert eigentlich den Wiederaufbau im 8846* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Osten? — Sind es nicht vielfach bürokratische Hemmnisse, ist es nicht vor allem unser Gesetzesperfektionismus, der schon den Wirtschaftsstandort Westdeutschland mehr als genug belastet? Insoweit muß dringend geprüft werden, ob und wie Maßnahmegesetze zur Beschleunigung — so wie im Verkehrsbereich — auch im Umwelt- und Baubereich für eine begrenzte Zeit einzuführen sind. Die Ungeduld und Unzufriedenheit vieler Landsleute mit bestimmten Verwaltungsabläufen ist verständlicherweise groß. Wir als Gesetzgeber sind darüber hinaus gefordert, bei der Aufarbeitung des DDR-Unrechts zügig fortzufahren. In den letzten 12 Monaten sind wir bereits ein gutes Stück vorangekommen. Ich nenne hier das 1. SED-Unrechts-Bereinigungsgesetz sowie das 2. Vermögensrechts-Änderungsgesetz. Es sind noch gesetzliche Regelungen zur Wiedergutmachung von Berufs- und Verwaltungsunrecht zu beschließen und vor allem das in Kürze vorliegende Entschädigungsgesetz. Die Erwartung aller Betroffenen ist in diesem Bereich besonders groß. Die Höhe der Entschädigung bei Unmöglichkeit der Rückgabe — gleich aus welchen Gründen — muß sich leider auch an den finanziellen Möglichkeiten orientieren. Dasselbe gilt für die Ausgleichsleistungen für besatzungsrechtliche Enteignungen in der Zeit von 1945 bis 1949. Die Anerkennung der Bodenreform auf Grund der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen und _des Einigungsvertrages stellen für den betroffenen Personenkreis eine besondere Härte dar. Die Rückgabe des oft unter unvorstellbaren Bedingungen enteigneten Besitzes wurde ausgeschlossen, obwohl gerade im Bereich der Land- und Forstwirtschaft oft noch wesentliche Teile des Altbesitzes für eine Rückübertragung verfügbar wären. Es ist deshalb dringend geboten, den Anspruch von Alteigentümern auf das geplante Wiedereinrichtermodell ausdrücklich festzuschreiben. Für die nach 1949 Enteigneten sollte noch einmal überprüft werden, ob das bisher geltende Wahlrecht: Rückgabe oder Entschädigung nicht auch künftig beizubehalten ist, da bereits Fälle bekannt wurden, wo Anspruchsberechtigte im Vertrauen auf das geltende Vermögensgesetz freiwillig auf ihren Besitz verzichtet haben, um kommunale Planungen zu ermöglichen. Wichtig ist auch, daß Vertriebene vor allem jenseits von Oder und Neiße, die nach 1945 ihren ständigen Aufenthalt in der früheren DDR genommen haben, eine einmalige Zuwendung von 4 000 DM erhalten sollen, da sie von der in Westdeutschland durchgeführten Lastenausgleichsregelung nicht begünstigt wurden. Zur sozialen Gerechtigkeit gehört selbstverständlich, daß mit dem geplanten Entschädigungsgesetz bei Rückgabe von Vermögenswerten auch der gezahlte Lastenausgleich zurückzuzahlen ist und daß darüber hinaus wegen des Ungleichgewichts zwischen Sachwert bei Rückgabe und Entschädigung eine Vermögensabgabe erhoben werden soll. Zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts gehört ferner, daß die Verfolgung von Regierungskriminalität zügig vorangetrieben wird. Bund und Länder hatten vereinbart, 60 Staatsanwälte zum Kammergericht nach Berlin zu delegieren. Als einziges Bundesland hat das Saarland sich bisher geweigert, seinen Anteil, der sowieso nur aus einem Staatsanwalt besteht, zu leisten. Ein vergleichbar unwürdiges Verhalten konnte man übrigens auch bei anderen SPD-regierten Ländern in der Vergangenheit bereits feststellen, wenn es um die Finanzierung der zentralen Dokumentationsstelle Salzgitter ging. Die Mitarbeiter dieser Einrichtung haben in vorbildlicher Weise Unrechtstatbestände ermittelt und die dafür Verantwortlichen festgestellt. Großen Unmut in der Bevölkerung gibt es verständlicherweise über Fälle von Bereicherung in der früheren DDR, die bis heute nicht rückgängig gemacht wurden. Einige Beispiele dafür hat BILD am Sonntag gerade in der letzten Ausgabe dargestellt. Da wird Herr Diestel ebenso erwähnt wie sein damaliger Stellvertreter Müller, aber auch eine Reihe von Generälen der NVA, u. a. der Chef der DDR-Grenztruppen sowie der frühere Polizeipräsident von Berlin. Bei beiden stellt sich übrigens nicht nur die Frage der Überprüfung der Grundstücksgeschäfte, sondern auch nach deren strafrechtlicher Verantwortung auf Grund ihrer früheren Tätigkeit. Die Reformaufgaben der Justiz werden — wenn auch nicht im gleichen Tempo wie in den vergangenen Jahren — fortgeführt. Dabei steht volumenmäßig die Überprüfung des Nichtehelichenrechts im Vordergrund. Das Justizministerium muß aber jetzt mit besonderer Priorität Änderungen im Ausländer- und Asylrecht vorbereiten. Die Erfahrungen der letzten Monate, insbesondere der letzten Wochen, zeigen, mit welcher Dringlichkeit auch eine Grundgesetzänderung zum Schutz des Asylrechts und gegen den ungezügelten Mißbrauch durch Wirtschaftsflüchtlinge erfolgen muß. Abschließend möchte ich mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesjustizministerium bedanken, die auch in diesem Jahr in besonderer Weise Mehrarbeit für den Aufbau des Rechtsstaats in den neuen Bundesländern zu leisten hatten.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Ullmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Innenpolitik heute spielt sich ab in einem Innen, das immer wieder weiter reicht, als unser Bewußtsein es fassen kann.
    Im Frühjahr 1945 wurden wir als halbwüchsige Schüler auf die Dresdner Bahnsteige befohlen, die überquollen von flüchtenden Frauen und Kindern. Wir sollten nicht mit ihnen über individuelles Asylrecht diskutieren, sondern ihnen die viel zu schweren Koffer tragen, dorthin, wo sie untergebracht wurden. Da war auch uns Halbwüchsigen klar: Der Weltkrieg fand nicht irgendwo in der Welt draußen statt, sondern mitten in unserer eigenen Welt.

    (Beifall bei der SPD)

    Als die Flüchtlinge schon 20 Jahre in Deutschland lebten, machte eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland darauf aufmerksam, daß der Friede auch die Heimat der Flüchtlinge umfassen



    Dr. Wolfgang Ullmann
    muß, daß, wenn der Weltkrieg mitten unter uns durch einen wirklichen Frieden abgeschlossen werden soll, dies nicht nur ein Friede mit dem Westen, sondern auch mit dem Osten Europas sein muß.
    1989 waren abermals Flüchtlinge mit Sack und Pack auf den Grenzwegen in Ungarn, an den Zäunen der bundesdeutschen Botschaft in Prag. Die unüberwindlich scheinenden Systemgrenzen fielen und ließen einen bis heute kaum absehbaren Innenraum in Erscheinung treten.
    Und wieder fliehen heute Leute von Osten nach Westen. Diesmal sind es nicht die Deutschen, sondern die, denen in Rumänien und Jugoslawien der Nationalitätenstreit das Leben zerstört.
    Wir stehen vor der Frage: Muß man diese Menschen nicht genauso unterbringen wie damals die Deutschen? — Aber da bricht auf einmal Panik aus: in Hoyerswerda, in Rostock, in Greifswald, Cottbus und anderswo. Es ist die Panik derer, die die Fassung verlieren, weil sie meinen, da breche lauter Fremdes in ihr Innen, und zwar in die innersten Kreise, ein.
    Panikstimmung ist es denn auch, die ihnen den verzweifelten Gedanken der ethnischen Säuberung eingibt; denn die ethnische Säuberung ist um nichts besser als die ideologischen Säuberungen Stalins und die rassistischen Hitlers.

    (Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD])

    Die Ergebnisse solcher Säuberungen sind bekannt. Und müssen sie nicht so sein, wie wir sie kennen? Können Menschen noch wie Menschen leben, wenn sie versuchen — jedes Volk —, in einem eigenen abgegrenzten Käfig ihrer Identität zu leben? Darum: Nicht ethnische Säuberung, „Deutschland den Deutschen!", sondern ethische Säuberung, Reinigung und Aufklärung der Herzen und des Bewußtseins muß heute die Hauptlosung der Innenpolitik sein, nicht der „Multikultimüllhaufen", sondern die Kommunikation der Kulturen auf der Ebene der Demokratie, die vielsprachige Kommunikation. Erreicht werden kann sie aber nur aus der Kraft zur Unterscheidung der verschiedenen Rechte derer, die in diesem erweiterten Innen miteinander umgehen sollen. Nichts verwirrt und verdirbt unsere Innenpolitik mehr als die Unfähigkeit, zwischen Asylrecht und Flüchtlingsrecht zu unterscheiden.
    Dabei liegt der Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seit Monaten auf dem Tisch, der mittels eines dreifachen Flüchtlingsbegriffes Wege zu einem Verfahren weist, wie die Rechte der Flüchtlinge mit den Rechten der Aufnehmenden vernünftig abgestimmt werden können.
    Asylsuchende sind einzelne, deren Leben mit einem bestimmten Milieu nicht mehr in Einklang gebracht werden kann, wie jene Christen, jene Mediziner, Künstler, denen auch ohne äußere Verfolgung das Leben in der DDR unmöglich wurde.
    Herr Gerster, das ist mit Genf eben nicht gedeckt! Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sind alle, denen ein lebensfeindliches Milieu die physische und die humane Existenz bedroht. Flüchtlinge sind schließlich auch alle, die im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen in unser Land kommen und aufgenommen werden müssen.
    Zu solcher Unterscheidung bedarf es nun freilich auch neuer zweckmäßiger und kompetenter Institutionen eines Bundesflüchtlingsamtes, einer Flüchtlingskommission und eines Anerkennungsausschusses. Es sind Rundtischstrukturen, die bürokratische Weltfremdheit durch unmittelbare Erfahrung und Kontaktermöglichung überwinden, so wie es im Freistaat Sachsen auf Anregung von Innenminister Eggert schon vielfach erprobt wurde: zeitgemäße Innenpolitik in einer entgrenzten Gesellschaft.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Freimut Duve.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Freimut Duve


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Ullmann, ich fand den Einstieg außerordentlich bewegend, die Erinnerung an unsere Jugend oder Kindheit, als wir mit Flüchtlingen konfrontiert waren, zusammengelebt haben. Aber eines hat sich inzwischen grundsätzlich geändert — und ich glaube, wir entdecken das erst langsam — : Wir haben seither die Obdachgewährung in einem sehr komplizierten System völlig an die öffentliche Hand, an den Staat abgegeben. Wir leisten das nicht als Bürger, sondern ausschließlich als Steuerzahler. Und wir müssen die humanitäre, die ethische Frage der Übertragung dieser Aufgabe, der Obdachgewährung, an den Staat, die wir gefühlsmäßig, traditionsmäßig und auch als Christen noch in uns empfinden, sehr ernst nehmen. Es sind seinerzeit Menschen aus dem Osten in unseren Wohnungen gewesen. Es war eine Militärregierung, die das angeordnet und organisiert hat, und es war sehr schwierig.
    Ich will jetzt nicht zu diesem Thema sprechen, aber ich fand es interessant, daß Sie das hier noch einmal so eindringlich in Erinnerung gerufen haben.
    Ich möchte nun auf das eingehen, was der Herr Innenminister, der Herr Bundeskanzler wie auch die verehrte Kollegin Berichterstatterin der Freien Demokraten heute im Laufe der Debatte angedeutet haben, nämlich daß es wohl doch möglich sein werde, jedenfalls im Haushalt 1993, die Mittel für den Bereich Kultur in den fünf neuen Ländern und Berlin besser auszugestalten, als es im Entwurf bisher vorgesehen ist. Ich halte das für eine ganz wichtige Chance. Deshalb will ich auch gar nicht schimpfen und kritisch sein. Wenn es uns gelänge, dieses lebenswichtige Element Kultur in einer Welt zu erhalten, in der die Menschen in einigen Regionen bis zu 40 % Arbeitslosigkeit erleben, in einer Welt, in der sie Rostock zum Teil sogar mitgetragen haben, dann wären wir ein ganzes Stück weiter.
    Es ist schlechterdings nicht vorstellbar, daß unsere Städte in den fünf neuen Ländern mit dem Haushalt 1993 gesagt bekommen, daß alle Bundesmittel 1994 „kw" sein sollen.

    (Beifall bei der SPD)

    Man muß sich bitte vorstellen, was das bedeutet. Bitte,
    liebe Wessis, denken Sie daran, was es bedeutet, daß



    Freimut Duve
    wichtige öffentliche Begegnungseinrichtungen in Ihren Städten, in Ihren Wahlkreisen ab 1994 mit etwa 30 bis 40 %, in einigen Einrichtungen bis zu 50 oder 60 % „kw" gestellt werden, d. h. auf Null gebracht werden sollen. Die eigentliche Aufgabe jetzt ist es, 1993 mehr zu leisten, aber nicht jetzt schon das Signal zu geben: Ab 1994 ist Schluß. Das können die Gemeinden nicht verkraften, das können die fünf neuen Länder nicht verkraften. Das wäre für die Zukunft eine Katastrophe.
    Nun komme ich noch einmal auf das Konzept: Es ist eine große Leistung auch der Mitarbeiter des Innenministeriums — weniger Leute, die nicht nur ein Konzept entwickelt, sondern auch in der Sache etwas getan haben, was man noch nie getan hat —, eine zentralistische Kulturadministration, für die es die neue Trägerschaft überhaupt noch nicht gab, hinüberzuretten mit dem, was wir seinerzeit das „Kaufen von Zeit" mit Bundesmitteln genannt haben, und das hat der Einigungsvertrag versucht.
    Wir rechnen uns als SPD-Fraktion mit an, sehr früh auf diese Entwicklung hingewiesen und in diesem Haus gesagt zu haben: Es geht da etwas kaputt, was nicht kaputtgehen darf. Aber, meine Damen und Herren, es sind schon sehr viele Einrichtungen kaputt: Es gibt schon eine Halbierung der Zahl der Kinos, es gibt schon 40 % weniger Jugend- und Kulturbegegnungsstätten. Wenn im Jahre 1994 auf Null gegangen wird, dann bedeutet das möglicherweise eine Fehlinvestition dieser 2 Milliarden DM, von denen der Minister und auch Sie geredet haben. Das heißt, dann war das Ganze umsonst; denn dann bricht auch das zusammen, was an Neuem jetzt noch da ist.
    Ich war dabei, als die Stadträte in einigen Gemeinden über Kultur gesprochen haben. Die großen und die kleineren Gemeinden in den neuen Bundesländern haben sich da große Mühe gegeben und auch etwas zustande gebracht. Obwohl es Verwaltungen der Art, wie wir sie jetzt haben, vor zwei Jahren noch gar nicht gab, haben sie es geschafft, einen ganz erheblichen Anteil der Mittel für Theater, für Bildungszentren usw. einzusetzen. Wir dürfen uns hier als Bund nicht zurückziehen.
    Ich muß kritisch sein, auch mit den Westländern. Sie haben sich zwar in Einzelfällen, wie etwa meine Stadt Hamburg für Dresden, sehr engagiert, sich aber insgesamt dieser Aufgabe doch ein bißchen entzogen. Wir müssen überlegen, wie wir dann, wenn sich der Bund tatsächlich langsam zurückzieht — auch unsere Meinung ist, daß er sich hier nicht auf ewig engagieren kann —, dort zu einer neuen solidarischen Form kommen. Wir werden eine andere Länderfinanzregelung bekommen. Aber in der Zwischenzeit, in diesen zwei Jahren, dürfen diese Institutionen nicht zum Tode verurteilt werden.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Ich meine, daß die Kultur in den fünf neuen Bundesländern auf keinen Fall nur als Ornament gesehen werden darf. Sie ist ein Wesenskern einer Gesellschaft, die jetzt eine große Perspektivlosigkeit erfährt, in der die Menschen nicht wissen, wohin es geht, wenn nicht wenigstens kulturelle Begegnungsstätten aller Art, auch neuer Formen, vorhanden sind, in denen man miteinander reden kann.
    Die Journalisten, die jetzt hinübergefahren sind, haben berichtet, wie wenig Möglichkeiten der Begegnung es für die jungen Leute dort gibt. Und es ist sicher richtig: Das Sterben der Begegnungsstätten für die jungen Menschen ist fast das Dramatischste überhaupt. Vor der Wende haben sich die Betriebe darum gekümmert. In der Marktwirtschaft wurde ihnen zu Recht gesagt: Ihr könnt das nicht mehr machen; es ist betriebswirtschaftlich völlig falsch, wie ihr das gemacht habt. Dann mußte der Bund es machen, und er muß es nach meiner und unserer Meinung — wir haben es auch in mehreren Anträgen gesagt — mindestens bis Mitte der 90er Jahre, d. h. bis zum Haushalt 1995 tun. Ich bitte hier sehr um Unterstützung der Haushälter.
    Sie wissen, ich bin eigentlich viel lieber kritisch und gegen die Regierung feuernd; das ist ja auch meine Aufgabe.

    (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Die Rolle steht Ihnen ganz gut!)

    Aber in diesem Fall habe ich mich von Anfang an bemüht, etwas Gemeinsames hinzukriegen — unabhängig davon, wie der Kanzler heißt, obwohl ich weiß, wie er heißt —, weil es hier wirklich um die Sache geht, die nur gemeinsam gemacht werden kann. Vielleicht kann das auch Modellcharakter haben: nicht einer Koalition, sondern als Möglichkeit parlamentarischer Zusammenarbeit da, wo es brennt und wo es Sinn macht, wo man sehen kann, daß auch die Bundesregierung — in diesem Fall die dafür zuständige Abteilung des Innenministeriums — Anregungen des Parlaments aufnimmt. Das hat sie in hervorragender Weise getan. Niemand hat mehr Besorgnis und Furcht davor, daß ab 1994 Schluß ist, als eben die Kulturabteilung des Innenministeriums, die immer wieder Notsignale gibt.

    (Beifall des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD]) Aber auch die Ministerpräsidenten wie Biedenkopf, und alle anderen, die sich in ähnlicher Weise engagieren, sind hier natürlich zu nennen.

    Ich habe hier jetzt ausschließlich zu diesem Bereich gesprochen. Und ich sehe an Ihren — mir gegenüber sonst nicht immer so freundlichen — Gesichtern,

    (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Eindeutig Selbstzufriedenheit! — Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist eine völlig falsche Interpretation unseres Gesichtsausdrucks!)

    daß wir hier zu einem Konsens kommen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Es ist nicht das Mittel, aber eines der Mittel, mit denen wir die Perspektivlosigkeit, über die wir hier in dieser Haushaltsdebatte im wesentlichen gesprochen haben, vielleicht ein bißchen mildern können.
    Ich danke für Ihre freundliche Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der SPD)