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    Plenarprotokoll 12/103 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 103. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Inhalt: Begrüßung einer Delegation des ungarischen Parlaments 8785 D Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltspians fur das Haushaltsjahr 1993 (Haushaltsgesetz 1993) (Drucksache 12/3000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1992 bis 1996 (Drucksache 12/3100) Hans-Ulrich Klose SPD 8713B, 8761D Dr. Wolfgang Bötsch CDU/CSU 8721B Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . 8725B, 8754 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 8729 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 8730C Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8733 D Dr. Helmut Kohl Bundeskanzler BK 8736A, 8745C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8745 A Björn Engholm, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein . . . . . 8746A, 8755B Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . 8750 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU 8755C, 8762B Franz Müntefering SPD 8759 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA 8762 D Hans-Ulrich Klose SPD 8765 A Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 8766 A Ulrich Irmer F D P. 8767 D Volker Rühe, Bundesminister BMVg . . 8769 D Walter Kolbow SPD 8773 B Paul Breuer CDU/CSU 8775 A Dr. Klaus Rose CDU/CSU 8776 C Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . 8778 B Dr. Sigrid Hoth F D P 8781 B Dr. Karl-Heinz Hornhues . . . . 8782C, 8798B Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 8784 B Hans-Gerd Strube CDU/CSU 8786A Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 8787 B Carl-Ludwig Thiele F D P 8788 B Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 8790 A Dr. Ingomar Hauchler SPD 8792 A Hans-Peter Repnik CDU/CSU 8793 D Werner Zywietz F.D.P. . . . . . . . . 8794 D Dr. Ingomar Hauchler SPD 8795 B Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8796 B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8799 B Ortwin Lowack fraktionslos 8800 C Ulrich Briefs fraktionslos 8802 B Rudolf Seiters, Bundesminister BMI . . 8804 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . 8806A, 8815C Gerd Wartenberg (Berlin) SPD 8809C Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . 8813D Gerd Wartenberg (Berlin) SPD . . . 8817C Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 8818C Ina Albowitz F D P 8820 B Freimut Duve SPD 8822A, 8826 B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8822D, 8841 C Freimut Duve SPD 8823 C Karl Deres CDU/CSU 8824 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . 8826 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 8829 A Dr. Hans de With SPD 8831 B Norbert Geis CDU/CSU 8834 B Dr. Hans de With SPD 8834 D Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 8836 A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 8836D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 8838 C Dr. Michael Luther CDU/CSU 8840B Dr. Norbert Geis CDU/CSU 8842 D Tagesordnungspunkt 4: a) Fortsetzung der Beratung (Abstimmung) der Entschließungsanträge der Fraktion der SPD zum Nachtragshaushaltsgesetz 1992 (Drucksachen 12/2910, 12/2911) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu den dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 1/92 und 2 BvE 2/92 (Drucksache 12/3195) Ortwin Lowack fraktionslos (Erklärung nach § 31 GO) 8804 A Nächste Sitzung 8843 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 8845* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1993) Michael von Schmude CDU/CSU . . . . 8845* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 8713 103. Sitzung Bonn, den 9. September 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 09. 09. 92*** Antretter, Robert SPD 09. 09. 92* Dr. Blank, CDU/CSU 09. 09. 92** Joseph-Theodor Blunck, Lieselott SPD 09. 09. 92* Böhm (Melsungen), CDU/CSU 09. 09. 92* Wilfried Brandt, Willy SPD 09. 09. 92 Clemens, Joachim CDU/CSU 09. 09. 92 van Essen, Jörg F.D.P. 09. 09. 92*** Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 09. 09. 92*** Friedrich, Horst F.D.P. 09. 09. 92 Dr. Fuchs, Ruth PDS/LL 09. 09. 92 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 09. 09. 92*** Gattermann, Hans H. F.D.P. 09. 09. 92 Haschke CDU/CSU 09.09.92 (Großhennersdorf), Gottfried Dr. Holtz, Uwe SPD 09. 09. 92*** Jaunich, Horst SPD 09. 09. 92 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 09. 09. 92 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 09. 09. 92*** Oesinghaus, Günther SPD 09. 09. 92 Opel, Manfred SPD 09. 09. 92** Pfuhl, Albert SPD 09. 09. 92 Poß, Joachim SPD 09. 09. 92 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 09. 09. 92* Reddemann, Gerhard CDU/CSU 09. 09. 92* Regenspurger, Otto CDU/CSU 09. 09. 92 Rempe, Walter SPD 09. 09. 92 Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 09. 09. 92** Helmut Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 09. 09. 92 Scharrenbroich, Heribert CDU/CSU 09. 09. 92*** Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 09. 09. 92 Schulte (Hameln), SPD 09. 09. 92** Brigitte Schuster, Hans F.D.P. 09. 09. 92 Dr. Stercken, Hans CDU/CSU 09. 09. 92*** Weyel, Gudrun SPD 09. 09. 92*** Dr. Wieczorek, Norbert SPD 09. 09. 92 Dr. Wieczorek CDU/CSU 09. 09. 92 (Auerbach), Bertram Wittmann (Tännesberg), CDU/CSU 09. 09. 92 Simon Zierer, Benno CDU/CSU 09. 09. 92* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates **für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung *** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1993) Michael von Schmude (CDU/CSU): Der einigungsbedingte Mehraufwand im Justizetat 1993 unterstreicht erneut den festen Willen von Regierung und Parlament, den Aufbau des Rechtsstaates weiter voranzutreiben und zu konsolidieren. Bei der Haushaltsdebatte 1991 wurde sehr zu Recht die schleppende Abwicklung von Gerichtsverfahren, die totale Überlastung der Grundbuch- und Katasterämter beklagt. Inzwischen hat sich trotz noch immer vorhandener Mängel auch vieles überaus positiv entwickelt. Wer hätte gedacht, daß nach den ersten Erfahrungen-wir mußten ja nach der Säuberung der alten DDR-Justiz in den meisten Bereichen bei Null anfangen - eine derart große Zahl von Juristen für die neuen Bundesländer gewonnen werden könnte. Erinnern wir uns: Es gab dort zur Zeit der Wende 1989 ganze 600 Rechtsanwälte, heute sind es immerhin schon 3 200. Das von der Bundesregierung initiierte Modell „Aufbau des Rechtsstaates" leistet nunmehr einen entscheidenden Beitrag zur Personalausstattung der Gerichte und Grundbuchämter in den neuen Ländern. War es 1991 noch ein Etatansatz von 117,4 Millionen DM, der nur mit 53,5 Millionen ausgenutzt werden konnte, so mußten wir bereits in diesem Jahr den vorgesehenen Betrag von 104,5 Millionen DM noch um Haushaltsreste aus 1991 von rund 19 Millionen DM für EDV-Maßnahmen aufstocken. Damit sind die Zielvorgaben per heute wie folgt verwirklicht worden: i. 1 000 Richter und Staatsanwälte, davon 820 tätig, 500 Rechtspfleger, davon 500 tätig. 2. Der Einsatz von pensionierten Richtern, Staatsanwälten, Rechtspflegern und Urkundsbeamten zeigt leider immer noch ein unbefriedigendes Ergebnis, obwohl bürokratische Hemmnisse beseitigt wurden. Statt der angestrebten Zahl von 500 sind es jetzt erst ganze 68. Man sollte also mehr für ein Seniorenmodell werben. 3. Die Bundesförderung für die Neueinstellung von Richtern, Rechtsanwälten, Rechtspflegern - insgesamt sollen es 300 sein -, wird von den neuen Ländern voll in Anspruch genommen. Diese Gesamtförderung wird 1993 mit 107,5 Millionen DM fortgesetzt, wobei wir die Unterstützung bei der EDV-Ausstattung der Grundbuchämter erneut mit einschließen. Natürlich besteht auch darüber hinaus für die Folgejahre noch Handlungsbedarf. Ich möchte aber heute auch allen danken, die in den neuen Bundesländern auf Dauer oder vorübergehend beim schwierigen Aufbau des Rechtsstaates mitwirken. Sie tragen entscheidend dazu bei, das Vertrauen in unseren Staat zu stärken. Für ganz Deutschland gilt gleiches Recht, und damit muß auch die gleiche Rechtswirklichkeit einhergehen. Allerdings müssen wir in diesem Zusammenhang auch einige selbstkritische Fragen stellen: - Was bremst und blockiert eigentlich den Wiederaufbau im 8846* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Osten? — Sind es nicht vielfach bürokratische Hemmnisse, ist es nicht vor allem unser Gesetzesperfektionismus, der schon den Wirtschaftsstandort Westdeutschland mehr als genug belastet? Insoweit muß dringend geprüft werden, ob und wie Maßnahmegesetze zur Beschleunigung — so wie im Verkehrsbereich — auch im Umwelt- und Baubereich für eine begrenzte Zeit einzuführen sind. Die Ungeduld und Unzufriedenheit vieler Landsleute mit bestimmten Verwaltungsabläufen ist verständlicherweise groß. Wir als Gesetzgeber sind darüber hinaus gefordert, bei der Aufarbeitung des DDR-Unrechts zügig fortzufahren. In den letzten 12 Monaten sind wir bereits ein gutes Stück vorangekommen. Ich nenne hier das 1. SED-Unrechts-Bereinigungsgesetz sowie das 2. Vermögensrechts-Änderungsgesetz. Es sind noch gesetzliche Regelungen zur Wiedergutmachung von Berufs- und Verwaltungsunrecht zu beschließen und vor allem das in Kürze vorliegende Entschädigungsgesetz. Die Erwartung aller Betroffenen ist in diesem Bereich besonders groß. Die Höhe der Entschädigung bei Unmöglichkeit der Rückgabe — gleich aus welchen Gründen — muß sich leider auch an den finanziellen Möglichkeiten orientieren. Dasselbe gilt für die Ausgleichsleistungen für besatzungsrechtliche Enteignungen in der Zeit von 1945 bis 1949. Die Anerkennung der Bodenreform auf Grund der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen und _des Einigungsvertrages stellen für den betroffenen Personenkreis eine besondere Härte dar. Die Rückgabe des oft unter unvorstellbaren Bedingungen enteigneten Besitzes wurde ausgeschlossen, obwohl gerade im Bereich der Land- und Forstwirtschaft oft noch wesentliche Teile des Altbesitzes für eine Rückübertragung verfügbar wären. Es ist deshalb dringend geboten, den Anspruch von Alteigentümern auf das geplante Wiedereinrichtermodell ausdrücklich festzuschreiben. Für die nach 1949 Enteigneten sollte noch einmal überprüft werden, ob das bisher geltende Wahlrecht: Rückgabe oder Entschädigung nicht auch künftig beizubehalten ist, da bereits Fälle bekannt wurden, wo Anspruchsberechtigte im Vertrauen auf das geltende Vermögensgesetz freiwillig auf ihren Besitz verzichtet haben, um kommunale Planungen zu ermöglichen. Wichtig ist auch, daß Vertriebene vor allem jenseits von Oder und Neiße, die nach 1945 ihren ständigen Aufenthalt in der früheren DDR genommen haben, eine einmalige Zuwendung von 4 000 DM erhalten sollen, da sie von der in Westdeutschland durchgeführten Lastenausgleichsregelung nicht begünstigt wurden. Zur sozialen Gerechtigkeit gehört selbstverständlich, daß mit dem geplanten Entschädigungsgesetz bei Rückgabe von Vermögenswerten auch der gezahlte Lastenausgleich zurückzuzahlen ist und daß darüber hinaus wegen des Ungleichgewichts zwischen Sachwert bei Rückgabe und Entschädigung eine Vermögensabgabe erhoben werden soll. Zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts gehört ferner, daß die Verfolgung von Regierungskriminalität zügig vorangetrieben wird. Bund und Länder hatten vereinbart, 60 Staatsanwälte zum Kammergericht nach Berlin zu delegieren. Als einziges Bundesland hat das Saarland sich bisher geweigert, seinen Anteil, der sowieso nur aus einem Staatsanwalt besteht, zu leisten. Ein vergleichbar unwürdiges Verhalten konnte man übrigens auch bei anderen SPD-regierten Ländern in der Vergangenheit bereits feststellen, wenn es um die Finanzierung der zentralen Dokumentationsstelle Salzgitter ging. Die Mitarbeiter dieser Einrichtung haben in vorbildlicher Weise Unrechtstatbestände ermittelt und die dafür Verantwortlichen festgestellt. Großen Unmut in der Bevölkerung gibt es verständlicherweise über Fälle von Bereicherung in der früheren DDR, die bis heute nicht rückgängig gemacht wurden. Einige Beispiele dafür hat BILD am Sonntag gerade in der letzten Ausgabe dargestellt. Da wird Herr Diestel ebenso erwähnt wie sein damaliger Stellvertreter Müller, aber auch eine Reihe von Generälen der NVA, u. a. der Chef der DDR-Grenztruppen sowie der frühere Polizeipräsident von Berlin. Bei beiden stellt sich übrigens nicht nur die Frage der Überprüfung der Grundstücksgeschäfte, sondern auch nach deren strafrechtlicher Verantwortung auf Grund ihrer früheren Tätigkeit. Die Reformaufgaben der Justiz werden — wenn auch nicht im gleichen Tempo wie in den vergangenen Jahren — fortgeführt. Dabei steht volumenmäßig die Überprüfung des Nichtehelichenrechts im Vordergrund. Das Justizministerium muß aber jetzt mit besonderer Priorität Änderungen im Ausländer- und Asylrecht vorbereiten. Die Erfahrungen der letzten Monate, insbesondere der letzten Wochen, zeigen, mit welcher Dringlichkeit auch eine Grundgesetzänderung zum Schutz des Asylrechts und gegen den ungezügelten Mißbrauch durch Wirtschaftsflüchtlinge erfolgen muß. Abschließend möchte ich mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesjustizministerium bedanken, die auch in diesem Jahr in besonderer Weise Mehrarbeit für den Aufbau des Rechtsstaats in den neuen Bundesländern zu leisten hatten.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Johannes Gerster


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wartenberg, Sie haben 20 Minuten lang in der Asylfrage Gott und der Welt Vorwürfe gemacht, dem früheren Bundesinnenminister Schäuble, dem Bundesamt, dem Bundesinnenminister Seiters und vielen anderen. Es haben gewissermaßen nur noch der Papst und der Präsident von Amerika gefehlt.

    (Zurufe von der SPD)

    Anschließend stellen Sie sich hin und sagen, es müsse Schluß sein mit den ständigen Schuldzuweisungen.

    (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das war doch geschickt!)




    Johannes Gerster (Mainz)

    Am Schluß stellen Sie sich hin und sagen, die Parteien sollten sich nicht gegenseitig die Schuld zuweisen. Herr Wartenberg, das sind Mätzchen, das ist es, was die Leute aufregt, gerade von einem Mann wie Ihnen, von dem ja bekannt ist, daß er eine Grundgesetzergänzung im Asylrecht für notwendig hält. Sie verwenden sieben Achtel Ihrer Rede so, als würden Sie ganz woandershin reden.

    (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Kommen Sie zur Sache!)

    Ich bitte Sie, kommen Sie zur Sachlichkeit zurück, am besten schon morgen früh um acht Uhr.

    (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Um acht Uhr? — Unruhe bei der SPD)

    Meine Damen, meine Herren, diese Rede war durch einen bemerkenswerten Realitätsverlust gekennzeichnet. Was glauben Sie, was 80, 85 oder 90 % der deutschen Bevölkerung denken, wenn sie diese Rede hören? Ich sage Ihnen, das sind keine Ausländerfeinde, das sind keine Leute, die gegen ausländische Mitbürger etwas einzuwenden haben, die etwas gegen Europa haben. Das sind Leute, die viel näher an der Basis stehen und sehen, was schief läuft, als Ihre Vorstellung heute verraten läßt.

    (Beifall eines Abgeordneten der CDU/CSU)

    — Vielen Dank für den Beifall eines einzelnen. Meine Fraktion wird hoffentlich noch ein bißchen lebendiger, auch die SPD, so hoffe ich.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich sagen, was eigentlich Sache ist.

    (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Warm kommen Sie endlich dazu?)

    — Ich wollte ganz anders anfangen, aber der Kollege Wartenberg hat mich veranlaßt, dieses Thema vorzuziehen.
    Sache ist, daß in diesem Jahr annähernd 500 000 Asylbewerber zu uns kommen. Tatsache ist, meine Damen, meine Herren, daß beim derzeitigen Verfahren, wo wir nach der Ankunft im Verwaltungsverfahren, im Gerichtsverfahren jeweils mindestens einen Dolmetscher brauchen, bei 500 000 Asylbewerbern 1,5 Millionen Dolmetschereinsätze in 50, 60 oder gar 70 Sprachen notwendig wären. Glauben Sie denn, daß diese Dolmetscher überhaupt zur Verfügung stehen? Nein, dies ist überhaupt nicht zu bewältigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist auch mit Verfassungsänderung nicht zu bewältigen!)

    Es ist die Wahrheit — und darüber sollten Sie sich auch einmal unterhalten —, daß im letzten Jahr die Koalitionsfraktionen mit der SPD im Bundeskanzleramt zusammensaßen. Die Wahrheit ist, daß wir in diesen Gesprächen immer wieder eine Grundgesetzergänzung für unverzichtbar gehalten haben, daß aber unser Koalitionspartner F.D.P. und Sie nicht bereit waren, darüber zu reden und daß wir nur deshalb dem Asylverfahrens- und -beschleunigungsgesetz zugestimmt haben, dabei deutlich erklärend, daß das nicht die Lösung sein kann. Die Wahrheit ist auch, daß bereits in diesen Gesprächen die Frage eine entscheidende Rolle spielte, wie für die Erstverfahren, wenn der Bund zuständig wird, das Personalproblem gelöst werden kann. Die Wahrheit ist, daß Ihr Parteivorsitzender Engholm damals u. a. zugestimmt hat, daß 500 Einzelentscheide von den Ländern dem Bund zur Verfügung gestellt werden. Er hat. gesagt: Ich mache mich dafür stark, daß diese Vereinbarung und auch dieser Teil davon funktioniert.
    Ich finde es unredlich, unglaubwürdig und unverschämt, wenn die Länder, die damals wie heute von der SPD regiert sind, über ihre Parteispitze Zusagen machen, die bis heute nicht erfüllt worden sind,

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das ist unwahr!)

    und dann hingehen und dem Bundesinnenminister Vorwürfe machen. — Dies ist nicht unwahr. Ich war Zeuge.

    (Zurufe von der SPD)

    Ich war Teilnehmer dieser Gespräche. Genau so ist dies gelaufen.
    Meine Damen, meine Herren, natürlich waren wir damals der Meinung, wir brauchen das Beschleunigungsgesetz und eine Ergänzung des Grundgesetzes. Dem damaligen Innenminister Schäuble ist vorgeworfen worden, er hätte keine Formulierung für eine Grundgesetzergänzung.

    (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Bis heute nicht!)

    Er hat sie damals einen Tag später vorgelegt. Sie liegt seit dem 20. Februar als Initiative aus unserer Fraktion hier im Bundestag. Deswegen können Sie nicht sagen, es gäbe sie nicht. Sie müssen die Bundestagsdrucksachen wenigstens zur Kenntnis nehmen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Tatsache ist, daß wir damals in der Tat glaubten, daß das Beschleunigungsgesetz und die von uns damals vorgeschlagene Ergänzung des Grundgesetzes — auf der Basis von etwa 200 000 bis 250 000 Asylbewerbern — funktionieren könnte.
    Meine Damen, meine Herren, wenn wir schon wegen 250 000 Asylbewerbern ein über Monate ausgehandeltes Beschleunigungsgesetz umsetzen und schon damals gesagt haben, daß dazu eine Ergänzung erforderlich ist, dann ist es doch eine Frage der einfachen Mengenlehre, daß bei 500 000 Asylbewerbern das Beschleunigungsgesetz allein gar nicht reichen kann. Wir sind jedoch so offen und ehrlich, zu sagen, daß heute selbst dieses Beschleunigungsgesetz und unsere damals vorgeschlagene Grundgesetzänderung nicht ausreichen würden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD: Das haben Sie niemals so gesagt!)

    Wir brauchen also eine Lösung, weil die Zeit weiterläuft.

    (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das heißt, Ihr Vorschlag muß schon neu gemacht werden!)

    Wir haben nicht nur ein weltweites Flüchtlingsproblem, sondern wir haben auch ein europainternes Flüchtlingsproblem. Wenn Sie bedenken, daß derzeit die Asylverfahren in Dänemark, in Frankreich und in Spanien — trotz der Probleme in Nordafrika —, aber



    Johannes Gerster (Mainz)

    auch in den kleineren Staaten rückläufig sind, dann muß man doch fragen, warum dies so ist. Frankreich rechnet in diesem Jahr — ich war mit dem Kollegen Bernrath in Paris; er kann das bestätigen — —

    (Heiterkeit — Erwin Marschewski [CDU/ CSU]: Johannes in Paris!)

    — Nicht was Sie denken! Wir haben schön gearbeitet und uns im Ergebnis sehr übereinstimmend geäußert.

    (Zuruf von der F.D.P.: Was habt ihr da gemacht?)

    Tatsache ist, daß in Frankreich auf Grund eines neuen Asylverfahrens nach den derzeitigen Zahlen in diesem Jahr weniger als 30 000 Asylbewerber in das übliche Verfahren kommen werden. Ich sage Ihnen, warum dort u. a. die Asylverfahren zurückgehen. Sie gehen zurück, weil Dänemark, Frankreich, die Schweiz und andere Staaten inzwischen dazu übergegangen sind, Asylbewerber, die z. B. aus Deutschland nach Frankreich gelangen, postwendend nach Deutschland zurückzuschicken.
    Es ist doch realitätsfern, zu glauben, daß, wenn elf europäische Staaten auf der Basis der Genfer Flüchtlingskonvention ihre Asylprobleme lösen, wir nicht ebenso verfahren können. Dabei ist nach den entsprechenden Vereinbarungen, die ratifiziert sind, klar, daß Menschen, die Schutz vor Verfolgung in einem anderen Rechtsstaat gefunden haben, nicht in einem weiteren Rechtsstaat um Asyl bitten dürfen.

    (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Aber das stimmt doch gar nicht! Die kommen doch alle über die östlichen Länder!)

    — Herr Kollege Hirsch, Sie werden doch nicht wirklich glauben, daß die höheren Asylbewerberzahlen — bei uns ca. 500 000, in Frankreich 30 000 — etwas mit einer Entfernung von 300, 400 oder 500 Kilometern zu tun haben. Die Wahrheit ist doch, daß bei dem in Deutschland anerkannt höheren Lebensstandard und einem Asylverfahren, das wegen der Vielzahl von Verfahren kaum zu Entscheidungen führt, die Wahrscheinlichkeit, hier bleiben zu können, viel höher ist als in Frankreich.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deswegen können wir uns drehen und wenden, wie wir wollen; gemeinsam, getrennt oder in welchem Saal auch immer. Ich habe vor einem Jahr in der gleichen Debatte hier gesagt: So sicher wie das Amen in der Messe wird sich auch die SPD einer Ergänzung des Grundgesetzes nicht verschließen können. Natürlich hat Ihr Parteivorsitzender das inzwischen verstanden. Das gilt auch für Ihren Fraktionsvorsitzenden. Wenn ich es richtig sehe, dann hat es auch Herr Schily schon verstanden.

    (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wo Sie recht haben, haben Sie recht, Herr Gerster!)

    Herr Wartenberg hat es auch verstanden.

    (Gerd Wartenberg [Berlin] [SPD]: Aber nicht, weil Sie es gesagt haben! — Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Jetzt meldet sich ein junger Mann, der es noch nicht verstanden hat!)

    Herr Wartenberg praktiziert hier aber einen Spagat. Einerseits hält er eine Ergänzung des Grundgesetzes für notwendig, andererseits geht er aber hin und beschimpft andere — nach dem Motto: Der Dieb auf der Flucht —, weil Sie der gleichen Meinung sind.

    (Freimut Duve [SPD]: Es geht ihm nur um dieses Thema!)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Abgeordneter Duve, da Herr Gerster eine Zwischenfrage zugelassen hat, kann nun der Abgeordnete Hirsch diese stellen.

(Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Vorsichtig, Herr Dr. Hirsch, sonst lese ich einen Brief vor!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Lieber Herr Kollege Gerster!

    (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Drohung!)

    — Nein, das war keine Drohung. Das war eine Anrede.
    Lieber Kollege Gerster, wenn Sie so über das französische Asylrecht sprechen, dann müssen Sie doch auch sagen, daß Frankreich gerade bei den Flüchtlingen, die wir fast vollständig als Mißbrauchs-fälle betrachten — also Flüchtlinge aus Rumänien und Bulgarien —, Anerkennungsquoten hat, die bei über 20 % liegen. In diesem Zusammenhang müssen Sie doch auch gleichzeitig einräumen, daß die Zuwanderung von Flüchtlingen in die Bundesrepublik fast ausschließlich über unsere östlichen Grenzen erfolgt und unsere westlichen Nachbarn uns mit diesen Folgen der offenen Grenzen allein lassen. Das ist doch die Wahrheit.