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    Plenarprotokoll 12/103 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 103. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Inhalt: Begrüßung einer Delegation des ungarischen Parlaments 8785 D Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltspians fur das Haushaltsjahr 1993 (Haushaltsgesetz 1993) (Drucksache 12/3000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1992 bis 1996 (Drucksache 12/3100) Hans-Ulrich Klose SPD 8713B, 8761D Dr. Wolfgang Bötsch CDU/CSU 8721B Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . 8725B, 8754 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 8729 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 8730C Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8733 D Dr. Helmut Kohl Bundeskanzler BK 8736A, 8745C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8745 A Björn Engholm, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein . . . . . 8746A, 8755B Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . 8750 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU 8755C, 8762B Franz Müntefering SPD 8759 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA 8762 D Hans-Ulrich Klose SPD 8765 A Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 8766 A Ulrich Irmer F D P. 8767 D Volker Rühe, Bundesminister BMVg . . 8769 D Walter Kolbow SPD 8773 B Paul Breuer CDU/CSU 8775 A Dr. Klaus Rose CDU/CSU 8776 C Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . 8778 B Dr. Sigrid Hoth F D P 8781 B Dr. Karl-Heinz Hornhues . . . . 8782C, 8798B Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 8784 B Hans-Gerd Strube CDU/CSU 8786A Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 8787 B Carl-Ludwig Thiele F D P 8788 B Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 8790 A Dr. Ingomar Hauchler SPD 8792 A Hans-Peter Repnik CDU/CSU 8793 D Werner Zywietz F.D.P. . . . . . . . . 8794 D Dr. Ingomar Hauchler SPD 8795 B Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8796 B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8799 B Ortwin Lowack fraktionslos 8800 C Ulrich Briefs fraktionslos 8802 B Rudolf Seiters, Bundesminister BMI . . 8804 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . 8806A, 8815C Gerd Wartenberg (Berlin) SPD 8809C Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . 8813D Gerd Wartenberg (Berlin) SPD . . . 8817C Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 8818C Ina Albowitz F D P 8820 B Freimut Duve SPD 8822A, 8826 B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8822D, 8841 C Freimut Duve SPD 8823 C Karl Deres CDU/CSU 8824 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . 8826 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 8829 A Dr. Hans de With SPD 8831 B Norbert Geis CDU/CSU 8834 B Dr. Hans de With SPD 8834 D Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 8836 A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 8836D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 8838 C Dr. Michael Luther CDU/CSU 8840B Dr. Norbert Geis CDU/CSU 8842 D Tagesordnungspunkt 4: a) Fortsetzung der Beratung (Abstimmung) der Entschließungsanträge der Fraktion der SPD zum Nachtragshaushaltsgesetz 1992 (Drucksachen 12/2910, 12/2911) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu den dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 1/92 und 2 BvE 2/92 (Drucksache 12/3195) Ortwin Lowack fraktionslos (Erklärung nach § 31 GO) 8804 A Nächste Sitzung 8843 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 8845* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1993) Michael von Schmude CDU/CSU . . . . 8845* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 8713 103. Sitzung Bonn, den 9. September 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 09. 09. 92*** Antretter, Robert SPD 09. 09. 92* Dr. Blank, CDU/CSU 09. 09. 92** Joseph-Theodor Blunck, Lieselott SPD 09. 09. 92* Böhm (Melsungen), CDU/CSU 09. 09. 92* Wilfried Brandt, Willy SPD 09. 09. 92 Clemens, Joachim CDU/CSU 09. 09. 92 van Essen, Jörg F.D.P. 09. 09. 92*** Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 09. 09. 92*** Friedrich, Horst F.D.P. 09. 09. 92 Dr. Fuchs, Ruth PDS/LL 09. 09. 92 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 09. 09. 92*** Gattermann, Hans H. F.D.P. 09. 09. 92 Haschke CDU/CSU 09.09.92 (Großhennersdorf), Gottfried Dr. Holtz, Uwe SPD 09. 09. 92*** Jaunich, Horst SPD 09. 09. 92 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 09. 09. 92 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 09. 09. 92*** Oesinghaus, Günther SPD 09. 09. 92 Opel, Manfred SPD 09. 09. 92** Pfuhl, Albert SPD 09. 09. 92 Poß, Joachim SPD 09. 09. 92 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 09. 09. 92* Reddemann, Gerhard CDU/CSU 09. 09. 92* Regenspurger, Otto CDU/CSU 09. 09. 92 Rempe, Walter SPD 09. 09. 92 Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 09. 09. 92** Helmut Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 09. 09. 92 Scharrenbroich, Heribert CDU/CSU 09. 09. 92*** Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 09. 09. 92 Schulte (Hameln), SPD 09. 09. 92** Brigitte Schuster, Hans F.D.P. 09. 09. 92 Dr. Stercken, Hans CDU/CSU 09. 09. 92*** Weyel, Gudrun SPD 09. 09. 92*** Dr. Wieczorek, Norbert SPD 09. 09. 92 Dr. Wieczorek CDU/CSU 09. 09. 92 (Auerbach), Bertram Wittmann (Tännesberg), CDU/CSU 09. 09. 92 Simon Zierer, Benno CDU/CSU 09. 09. 92* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates **für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung *** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1993) Michael von Schmude (CDU/CSU): Der einigungsbedingte Mehraufwand im Justizetat 1993 unterstreicht erneut den festen Willen von Regierung und Parlament, den Aufbau des Rechtsstaates weiter voranzutreiben und zu konsolidieren. Bei der Haushaltsdebatte 1991 wurde sehr zu Recht die schleppende Abwicklung von Gerichtsverfahren, die totale Überlastung der Grundbuch- und Katasterämter beklagt. Inzwischen hat sich trotz noch immer vorhandener Mängel auch vieles überaus positiv entwickelt. Wer hätte gedacht, daß nach den ersten Erfahrungen-wir mußten ja nach der Säuberung der alten DDR-Justiz in den meisten Bereichen bei Null anfangen - eine derart große Zahl von Juristen für die neuen Bundesländer gewonnen werden könnte. Erinnern wir uns: Es gab dort zur Zeit der Wende 1989 ganze 600 Rechtsanwälte, heute sind es immerhin schon 3 200. Das von der Bundesregierung initiierte Modell „Aufbau des Rechtsstaates" leistet nunmehr einen entscheidenden Beitrag zur Personalausstattung der Gerichte und Grundbuchämter in den neuen Ländern. War es 1991 noch ein Etatansatz von 117,4 Millionen DM, der nur mit 53,5 Millionen ausgenutzt werden konnte, so mußten wir bereits in diesem Jahr den vorgesehenen Betrag von 104,5 Millionen DM noch um Haushaltsreste aus 1991 von rund 19 Millionen DM für EDV-Maßnahmen aufstocken. Damit sind die Zielvorgaben per heute wie folgt verwirklicht worden: i. 1 000 Richter und Staatsanwälte, davon 820 tätig, 500 Rechtspfleger, davon 500 tätig. 2. Der Einsatz von pensionierten Richtern, Staatsanwälten, Rechtspflegern und Urkundsbeamten zeigt leider immer noch ein unbefriedigendes Ergebnis, obwohl bürokratische Hemmnisse beseitigt wurden. Statt der angestrebten Zahl von 500 sind es jetzt erst ganze 68. Man sollte also mehr für ein Seniorenmodell werben. 3. Die Bundesförderung für die Neueinstellung von Richtern, Rechtsanwälten, Rechtspflegern - insgesamt sollen es 300 sein -, wird von den neuen Ländern voll in Anspruch genommen. Diese Gesamtförderung wird 1993 mit 107,5 Millionen DM fortgesetzt, wobei wir die Unterstützung bei der EDV-Ausstattung der Grundbuchämter erneut mit einschließen. Natürlich besteht auch darüber hinaus für die Folgejahre noch Handlungsbedarf. Ich möchte aber heute auch allen danken, die in den neuen Bundesländern auf Dauer oder vorübergehend beim schwierigen Aufbau des Rechtsstaates mitwirken. Sie tragen entscheidend dazu bei, das Vertrauen in unseren Staat zu stärken. Für ganz Deutschland gilt gleiches Recht, und damit muß auch die gleiche Rechtswirklichkeit einhergehen. Allerdings müssen wir in diesem Zusammenhang auch einige selbstkritische Fragen stellen: - Was bremst und blockiert eigentlich den Wiederaufbau im 8846* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Osten? — Sind es nicht vielfach bürokratische Hemmnisse, ist es nicht vor allem unser Gesetzesperfektionismus, der schon den Wirtschaftsstandort Westdeutschland mehr als genug belastet? Insoweit muß dringend geprüft werden, ob und wie Maßnahmegesetze zur Beschleunigung — so wie im Verkehrsbereich — auch im Umwelt- und Baubereich für eine begrenzte Zeit einzuführen sind. Die Ungeduld und Unzufriedenheit vieler Landsleute mit bestimmten Verwaltungsabläufen ist verständlicherweise groß. Wir als Gesetzgeber sind darüber hinaus gefordert, bei der Aufarbeitung des DDR-Unrechts zügig fortzufahren. In den letzten 12 Monaten sind wir bereits ein gutes Stück vorangekommen. Ich nenne hier das 1. SED-Unrechts-Bereinigungsgesetz sowie das 2. Vermögensrechts-Änderungsgesetz. Es sind noch gesetzliche Regelungen zur Wiedergutmachung von Berufs- und Verwaltungsunrecht zu beschließen und vor allem das in Kürze vorliegende Entschädigungsgesetz. Die Erwartung aller Betroffenen ist in diesem Bereich besonders groß. Die Höhe der Entschädigung bei Unmöglichkeit der Rückgabe — gleich aus welchen Gründen — muß sich leider auch an den finanziellen Möglichkeiten orientieren. Dasselbe gilt für die Ausgleichsleistungen für besatzungsrechtliche Enteignungen in der Zeit von 1945 bis 1949. Die Anerkennung der Bodenreform auf Grund der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen und _des Einigungsvertrages stellen für den betroffenen Personenkreis eine besondere Härte dar. Die Rückgabe des oft unter unvorstellbaren Bedingungen enteigneten Besitzes wurde ausgeschlossen, obwohl gerade im Bereich der Land- und Forstwirtschaft oft noch wesentliche Teile des Altbesitzes für eine Rückübertragung verfügbar wären. Es ist deshalb dringend geboten, den Anspruch von Alteigentümern auf das geplante Wiedereinrichtermodell ausdrücklich festzuschreiben. Für die nach 1949 Enteigneten sollte noch einmal überprüft werden, ob das bisher geltende Wahlrecht: Rückgabe oder Entschädigung nicht auch künftig beizubehalten ist, da bereits Fälle bekannt wurden, wo Anspruchsberechtigte im Vertrauen auf das geltende Vermögensgesetz freiwillig auf ihren Besitz verzichtet haben, um kommunale Planungen zu ermöglichen. Wichtig ist auch, daß Vertriebene vor allem jenseits von Oder und Neiße, die nach 1945 ihren ständigen Aufenthalt in der früheren DDR genommen haben, eine einmalige Zuwendung von 4 000 DM erhalten sollen, da sie von der in Westdeutschland durchgeführten Lastenausgleichsregelung nicht begünstigt wurden. Zur sozialen Gerechtigkeit gehört selbstverständlich, daß mit dem geplanten Entschädigungsgesetz bei Rückgabe von Vermögenswerten auch der gezahlte Lastenausgleich zurückzuzahlen ist und daß darüber hinaus wegen des Ungleichgewichts zwischen Sachwert bei Rückgabe und Entschädigung eine Vermögensabgabe erhoben werden soll. Zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts gehört ferner, daß die Verfolgung von Regierungskriminalität zügig vorangetrieben wird. Bund und Länder hatten vereinbart, 60 Staatsanwälte zum Kammergericht nach Berlin zu delegieren. Als einziges Bundesland hat das Saarland sich bisher geweigert, seinen Anteil, der sowieso nur aus einem Staatsanwalt besteht, zu leisten. Ein vergleichbar unwürdiges Verhalten konnte man übrigens auch bei anderen SPD-regierten Ländern in der Vergangenheit bereits feststellen, wenn es um die Finanzierung der zentralen Dokumentationsstelle Salzgitter ging. Die Mitarbeiter dieser Einrichtung haben in vorbildlicher Weise Unrechtstatbestände ermittelt und die dafür Verantwortlichen festgestellt. Großen Unmut in der Bevölkerung gibt es verständlicherweise über Fälle von Bereicherung in der früheren DDR, die bis heute nicht rückgängig gemacht wurden. Einige Beispiele dafür hat BILD am Sonntag gerade in der letzten Ausgabe dargestellt. Da wird Herr Diestel ebenso erwähnt wie sein damaliger Stellvertreter Müller, aber auch eine Reihe von Generälen der NVA, u. a. der Chef der DDR-Grenztruppen sowie der frühere Polizeipräsident von Berlin. Bei beiden stellt sich übrigens nicht nur die Frage der Überprüfung der Grundstücksgeschäfte, sondern auch nach deren strafrechtlicher Verantwortung auf Grund ihrer früheren Tätigkeit. Die Reformaufgaben der Justiz werden — wenn auch nicht im gleichen Tempo wie in den vergangenen Jahren — fortgeführt. Dabei steht volumenmäßig die Überprüfung des Nichtehelichenrechts im Vordergrund. Das Justizministerium muß aber jetzt mit besonderer Priorität Änderungen im Ausländer- und Asylrecht vorbereiten. Die Erfahrungen der letzten Monate, insbesondere der letzten Wochen, zeigen, mit welcher Dringlichkeit auch eine Grundgesetzänderung zum Schutz des Asylrechts und gegen den ungezügelten Mißbrauch durch Wirtschaftsflüchtlinge erfolgen muß. Abschließend möchte ich mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesjustizministerium bedanken, die auch in diesem Jahr in besonderer Weise Mehrarbeit für den Aufbau des Rechtsstaats in den neuen Bundesländern zu leisten hatten.
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    Rede von Carl-Dieter Spranger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn sich Mitglieder der Nachfolgepartei der SED so wie Frau Fischer zur Entwicklungspolitik äußern, dann ist das nicht nur amüsant, sondern in der dargebrachten Art auch eine Zumutung. Frau Fischer: Ideologie, Staatssicherheit und Rüstung waren im wesentlichen die Exportartikel der SED-Entwicklungspolitik. Nach intensiver Überprüfung konnten wir, sehr modifiziert, noch 64 Projekte mit einem Gesamtvolumen von 120 Millionen DM übernehmen. Ich empfehle Ihnen, das Thema Entwicklungspolitik erst einmal im Rahmen der Geschichte der SED aufzuarbeiten, bevor Sie Bundesregierung oder Bundestag wegen der Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland kritisieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Unmittelbarkeit und die Dimension der weltpolitischen Probleme stellt die Entwicklungspolitik vor neue Herausforderungen. Sie reichen von neuen Hungersnöten in Afrika über die Flüchtlingsströme in unser Land, von dem wirtschaftlichen und ökologischen Chaos in den ehemaligen Ostblockländern bis zu den weltweiten Bedrohungen durch die zunehmende Umweltzerstörung.
    Dem Zusammenwachsen unseres Vaterlandes gilt zuallererst unsere Sorge. Dennoch dürfen wir demgegenüber die Probleme in den Entwicklungsländern nicht als zweitrangig abtun. Die gewachsene Verantwortung, die Deutschland in der Staatengemeinschaft zukommt, läßt dies nicht zu.
    Der Flüchtlingsansturm und die zunehmende Verbreitung von Drogen z. B. beweisen, daß die aus Entwicklungsländern importierten Probleme auch das Leben der Menschen hierzulande betreffen. An die Entwicklungspolitik werden daher gestiegene Erwartungen gestellt. Sie muß sich dieser neuen Herausforderung nicht nur annehmen, um nur zu reparieren, sondern um zukunftsorientiert zu gestalten. Diese Einsicht erhöht auch den Stellenwert der Entwicklungspolitik.
    Oft wird das Aufgabenfeld der Entwicklungszusammenarbeit aber noch mißverstanden. Dies zeigt das Beispiel Somalia. Soforthilfe in Notsituationen ist ein Gebot der Menschlichkeit. Die Bundesregierung stellt sich dieser Aufgabe. Humanitäre Hilfe ersetzt jedoch nicht uns ere langfristig angelegte Entwicklungszusammenarbeit.

    (Zuruf von der SPD: Richtig!)

    Beides wird noch immer verwechselt. Manche übersehen auch, daß Krieg, Chaos und Rechtlosigkeit Hilfe von außen nahezu unmöglich machen. Die Mittel für derartige humanitäre Hilfe, für das Kurieren an Symptomen, würden eigentlich gebraucht, um die Ursachen für weitere Notfälle zu beseitigen.
    Wir haben dennoch in diesem Jahr über unser Budget Nahrungsmittelhilfe für Afrika in Höhe von rund 180 Millionen DM bereitgestellt. Auf Somalia entfallen davon 22 Millionen DM. Zusammen mit der sonstigen humanitären Hilfe von 20 Millionen DM und unserem Anteil an der EG-Nahrungsmittelhilfe von weiteren 23 Millionen DM sind dies insgesamt 65 Millionen DM. Dies kann sich wirklich sehen lassen.
    Die Europäische Gemeinschaft leistet insgesamt für Afrika Nahrungsmittelhilfe in Höhe von 770 Millionen DM. Bei einem deutschen Finanzierungsanteil von knapp 29 % werden davon ca. 220 Millionen DM vom deutschen Steuerzahler finanziert. Es ist wichtig, daß auch diese über die EG erbrachten beträchtlichen Leistungen stärker in das Bewußtsein derer dringen, die behaupten, wir täten zuwenig für Afrika. Allerdings: Es erfüllt uns mit Sorge, daß Bürgerkriege und Naturkatastrophen der Entwicklungspolitik zunehmend die Rolle eines Reparaturbetriebes zur kurzfristigen Schadensbeseitigung aufzwingen.
    Unser Ansatz in der Entwicklungspolitik bleibt es daher, die Lebensbedingungen der Menschen in den Entwicklungsländern auf Dauer zu verbessern. Wir wollen dort auf die Verbesserung der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Strukturen hinwirken. Dies beinhaltet in erster Linie den Kampf gegen die Armut; denn die Beseitigung der Armut und ihrer strukturellen Ursachen ist die Voraussetzung für eine sozial gerechte und damit stabile und friedliche Entwicklung.
    Ohne Investitionen in den Menschen und ohne Angebote auch zu besseren Ausbildungsmöglichkeiten wird selbstbestimmte Entwicklung aus eigener Kraft nur bescheidene Fortschritte machen. Deshalb haben wir im Bildungssektor einen weiteren Schwerpunkt gesetzt und für die Rahmenplanung 1993 etwa 10,4 % des Etats in der Größenordnung von ca. 400 Millionen DM vorgesehen.
    Inzwischen wurden nicht nur für die Förderschwerpunkte Grundbildung und berufliche Bildung, sondern des weiteren für die Bevölkerungspolitik, den Tropenwaldschutz, die Berücksichtigung soziokultureller Kriterien in der Entwicklungszusammenarbeit und für Afrika spezifische Konzepte erarbeitet, die bereits in der entwicklungspolitischen Praxis umgesetzt werden. Für Afrika sind 1992 40 % des bilateralen Etats mit einer Größenordnung von 1,431 Milliarden DM und für die Rahmenplanung 1993 41,5 % vorgesehen, das sind etwa 1,53 Milliarden DM, eine beträchtliche Steigerung.
    Das neue Konzept des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Armutsbekämpfung



    Bundesminister Carl-Dieter Spranger
    werde ich Ihnen am 7. Oktober 1992 im Bundestagsausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit — es ist auch der Wunsch des Ausschusses gewesen, über dieses Thema zu diskutieren — vorstellen.
    Meine Damen und Herren, zu den zentralen und globalen Herausforderungen der Zukunft gehören der Schutz und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Nicht erst seit der Konferenz in Rio wissen wir um die Wechselbeziehungen von Armut und Umweltzerstörung. Der Erdgipfel hat der Entwicklungspolitik das Mandat erteilt, die Agenda 21 umzusetzen. Viele Empfehlungen der Agenda greifen unsere entwicklungspolitischen Zielsetzungen auf. Die weltweite Entschlossenheit zu konsequenter Umsetzung stellt eine neue Qualität internationaler Partnerschaft dar. Die Beschlüsse von Rio zu verwirklichen gibt daher auch uns neue Impulse und neue Verantwortung.
    Die Schwerpunkte Armutsbekämpfung, Bildung und Umwelt ziehen sich deutlich durch die Rahmenplanung der bilateralen finanziellen und technischen Zusammenarbeit der letzten beiden Jahre und werden in zahlreichen Ländern bereits durch konkrete Maßnahmen ausgefüllt.

    (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Na!)

    Es ist mir daher schwer verständlich, daß Kollegen — auch Sie, Herr Toetemeyer und Herr Hauchler — einerseits verlangen, die genannten Schwerpunkte zu fördern, andererseits im gleichen Atemzug aber öffentlich eine grundlegende Wende in der Entwicklungspolitik einfordern, dann wiederum begrüßen, daß wir die vom BMZ gesetzten sektoralen Schwerpunkte und die Kriterien, die Sie als richtig bestätigen, nun anwenden.
    Wir müssen die Verantwortlichen in den jeweiligen Regierungen überzeugen, daß der Weg der ideologischen Fixierung, dem viele Entwicklungsländer viel zu lange gefolgt sind, in eine politische und wirtschaftliche Sackgasse geführt hat oder führt. Der Zusammenbruch der kommunistischen Systeme in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion hat dem größten Teil der Menschheit zu klaren Einsichten verholfen. Deshalb hat sich eine große Zahl von Entwicklungsländern von sozialistisch-dirigistischen Konzepten abgewandt.
    Unsere Entwicklungszusammenarbeit unterstützt diese Reformprozesse. Die Vergabe unserer Hilfe richtet sich nach Kriterien, die eine nachhaltige und effiziente Zusammenarbeit mit den Partnerländern gewährleisten sollen.
    Unsere Ihnen bekannten Kriterien, die mittlerweile auch breite internationale Anerkennung und Zustimmung erfahren haben, sollen reformwilligen Ländern durch unsere Unterstützung positive Anreize zum Aufbau demokratischer, rechtsstaatlicher und marktwirtschaftlicher Strukturen geben. Das BMZ und die Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit verfügen über die Erfahrung, die Instrumente und das Fachpersonal, um den Regierungen in den Entwicklungsländern, aber auch den Regierungen in Osteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion die geeignete Beratung und Hilfe zukommen zu lassen. Geld allein ist nämlich nicht das einzige Mittel für erfolgreiche Hilfe zur Selbsthilfe.
    In vielen Gebieten der ehemaligen Sowjetunion sowie Mittel- und Osteuropas herrschen zur Zeit Verhältnisse, die denen der klassischen Entwicklungsländer in Afrika, Asien oder Lateinamerika nicht nachstehen. Das betrifft zum einen die strukturelladministrativen Bedingungen, zum anderen aber auch den Grad der ökonomischen und ökologischen Zerstörung. Wir müssen auch dort helfen.
    Meine Damen und Herren, Entwicklungspartnerschaft bedeutet eine wechselseitige Übernahme von Verpflichtungen. Dazu stehen wir. Wir haben uns deshalb dafür eingesetzt, daß auch die Industrieländer das Ihrige tun, um Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer durch günstige externe Rahmenbedingungen zum Durchbruch zu verhelfen.
    Die Bundesregierung hat auf dem Weltwirtschaftsgipfel in München bekräftigt, daß sie sich für eine verantwortungsvolle Zinspolitik und weitere Schuldenerleichterungen einsetzen will. Sie hat in den vergangenen Jahren bereits Schulden aus Kapitalhilfe in einer Größenordnung von über 9 Milliarden DM erlassen. Wir werden diesen Weg auch weiterhin beschreiten. So wird im Haushalt 1993 erstmals vorgeschlagen, Schulden von bis zu 50 Millionen DM gegen konkrete Maßnahmen des Umwelt- und Ressourcenschutzes zu erlassen.
    Die Zahl der Flüchtlinge wird weltweit auf etwa 100 Millionen geschätzt. Diese Zahlen müssen wir als Appell verstehen, mit unseren Anstrengungen in der Entwicklungszusammenarbeit nicht nachzulassen, sondern sie zu verstärken. Die meisten dieser Menschen aus den Entwicklungsländern fliehen, weil sie das drückende Elend nicht mehr ertragen können. Sie fliehen, weil sie Hunger haben. Sie fliehen, weil sie in ihrer Armut ihre eigene Umwelt zerstört haben. Sie verlassen aber auch ihr Land, weil Bürgerkriege ihre Heimat verwüsten und sie dort keine Zukunftsperspektive mehr sehen und weil sie in den westlichen Industrieländern ein besseres Leben erwarten, auch wenn dies zum vielfachen Mißbrauch unseres Asylrechtes führt.
    Die Probleme sind groß, und die Mittel sind begrenzt. Wir begrüßen die geplante Aufstockung des Entwicklungsetats. Ehrlicherweise müssen wir aber auch gestehen, daß es unsicher ist, ob die Mittelzuwächse des BMZ-Haushaltes und seine personelle Ausstattung auch künftig mit den gewachsenen und weiter wachsenden Herausforderungen Schritt halten können.
    Wir sind dankbar, daß eine Vielzahl von Bürgern unsere Bemühungen durch private Initiativen und Spenden unterstützt. Das zeigt nicht nur, daß die Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit in breiten Kreisen der deutschen Bevölkerung erkannt ist. Das zeigt nicht nur, daß auch Kirchen und nichtstaatliche Institutionen bereit sind, sich weiter und mit großem Einsatz, mit viel Idealismus und Zuversicht für die Bekämpfung des Elends in der Welt einzusetzen. Es zeigt vor allem, daß die jüngsten Ausbrüche von Fremdenfeindlichkeit Ausnahmeerscheinungen sind und in der breiten Öffentlichkeit keinen Rückhalt



    Bundesminister Carl-Dieter Spranger
    finden. Daß die öffentliche und veröffentlichte Meinung auf unserer Seite steht, ist für uns Bestätigung und Ermutigung zugleich.
    Wir müssen verhindern, daß unser Zeitalter von Hunger, Armut, Flüchtlingselend und kriegerischen Konflikten beherrscht wird. Das schaffen wir nur, wenn wir weiterhin auf einen nationalen Konsens bauen können, der in der Entwicklungszusammenarbeit die notwendige Strategie zur Zukunftssicherung erkennt. Ich bitte in diesem Sinne um weitere Unterstützung durch den Deutschen Bundestag.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat jetzt Professor Dr. Ingomar Hauchler.

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    Rede von Prof. Dr. Ingomar Hauchler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Strom der Menschen, die vor Krieg und Unterdrückung, Hunger und Hoffnungslosigkeit fliehen, ist in den 80er Jahren stetig angeschwollen. Die Flut wird in den 90er Jahren weiter steigen. Das ist gewiß. Sie wird, da sich die Zahl der Menschen, und zwar der armen Menschen, in den armen Weltzonen binnen einer einzigen Generation nahezu verdoppelt, zur Springflut werden, wenn es heute nicht gelingt, die Kriege, den Terror und das Elend von morgen zu verhindern.
    Natürlich müssen wir endlich die Probleme im eigenen Lande besser lösen. Aber allein davon zu reden wäre fatal. Denn uns stehen noch weit größere Belastungen ins Haus, wenn wir nicht rechtzeitiger als bisher die Ursachen bekämpfen, die immer mehr Menschen veranlassen, im Süden und Osten ihre Heimat zu verlassen.
    Die Sünden von gestern sind die Übel von heute,

    (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Sehr wahr!)

    und die Unterlassungen von heute sind die Katastrophen von morgen.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Wir dürfen nicht wieder und wieder nur an den Symptomen herumkurieren und dabei wieder versäumen, die eigentlichen Krankheiten zu heilen. Es gibt sonst ein schreckliches Erwachen, vor dem keine Mauer, kein Gewehr und kein Gesetz schützen können.
    Der Osten und Süden tragen selbst ein gerüttelt Maß an Verantwortung für Flucht, Gewalt und Not. Menschenrechte werden verletzt, Kriege angezettelt, Ressourcen schlecht genutzt. Land, Brot und Chancen werden oft von Eliten skandalös verteilt oder eben nicht verteilt.
    Das alles spricht uns aber im Westen natürlich nicht frei, Herr Bundesminister Spranger. Es geht auch nicht um eine abstrakte kollektive Schuld des Westens, von der ich rede, sondern es geht um eine ganz konkrete Politik ganz bestimmter Parteien, die seit den 80er Jahren regieren. Die eigentlich Schuldigen im Westen sind die konservativen Regierungen der großen Industriestaaten.

    (Beifall bei der SPD)

    Reagan und Bush, Thatcher und Major, Nakasone und Miyazawa, aber auch Kohl, Genscher und Lambsdorff haben den Todeshändlern nicht die deutschen Waffen aus der Hand genommen, mit denen oft gekämpft wird. Sie haben nicht den Protektionisten das Handwerk gelegt.

    (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Was war mit Helmut Schmidt und Willy Brandt?)

    Sie haben weggesehen, wie Afrika zum verlorenen Kontinent wurde. Sie haben mit Hilfe gewartet, bis die Sowjetunion zerbrach und Jugoslawien in ethnische Gewaltkonflikte zersplitterte. Sie haben die öffentliche Entwicklungs- und Armutshilfe zurückgefahren. Sie haben immer mehr einer brutalen Wirtschaftspolitik im Süden und jetzt im Osten das Wort geredet.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wer ist „sie"?)

    — Das sind Sie, die Sie fragen.
    Seit zehn Jahren haben der Bundeskanzler und die Regierungskoalition die Warnungen der SPD, endlich auch die Fluchtursachen zu bekämpfen, in den Wind geschlagen.

    (Alois Graf von Waldburg-Zeil [CDU/CSU]: Halt! Das waren wir!)

    Deshalb muß ich heute trotz der guten und schönen Worte von Minister Spranger das Sündenregister von CDU/CSU und F.D.P. verlesen, das ausweist, wieviel die Koalition unterlassen hat, um Fluchtursachen zu bekämpfen, und wie sehr sie dabei ist, die gleichen Fehler jetzt im Osten zu wiederholen.
    Erstens. Die Koalition hat die Entwicklungshilfe an den Süden von 0,48 % des Bruttosozialprodukts auf einen Tiefstand von 0,38 % im vorliegenden Haushalt 1993 zurückgefahren, in einer Zeit, in der die Weltbevölkerung um über 500 Millionen Menschen gewachsen ist. Und sie ist hauptsächlich um arme Menschen gewachsen.
    Der Bundeskanzler hat das gestern bestritten und dabei trickreich die Hilfe für den Süden mit der Summe der Hilfe für den Süden und den Osten vergleichen wollen.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Der ist schon bei der Wahrheit geblieben!)

    Das war der bekannte Buchhaltertrick. Es sollte — der Herr Bundeskanzler ist nicht da; ich darf ihn aber trotzdem ansprechen — unter Ihrer Würde sein, mit solchen Methoden dem Parlament die Wahrheit zu vernebeln.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Anteil der Hilfe am Sozialprodukt, der für die Dritte Welt im Haushalt 1993 vorgesehen ist, sinkt. Wir lassen uns nicht verschaukeln.
    Zweitens. Sie haben nicht die mögliche Vorsorge für alte und neue Notstandgebiete getroffen. So fliehen vor allem aus dem Osten und Südosten, aber auch aus Afrika und dem Nahen Osten immer mehr Menschen vor dem Hungertod.
    Drittens. Sie haben die knappen Mittel der Entwicklungshilfe weiter in Subventionen für Großprojekte deutscher Konzerne gesteckt, in einer Zeit, in der



    Dr. Ingomar Hauchler
    Deutschland ohnehin Weltmeister im Export war. Dieses Geld fehlte für Gesundheit, Bildung, Umweltschutz und Ernährung, also für den Kampf gegen Hunger und Hoffnungslosigkeit. Und Hoffnungslosigkeit ist die stärkste Triebfeder für Flucht.
    Viertens. Sie haben in wenigen Monaten 17 Milliarden DM für einen Krieg am Golf ausgegeben, der nach den neuesten Schätzungen dem Nahen Osten mehrere Hundert Milliarden Dollar kosten wird.

    (Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein)

    Wenn dort neue Armut zur alten Not kommt, ist das nicht verwunderlich.
    Fünftens. Sie haben entgegen unseren ständigen Vorhaltungen Exporte von Waffen in die Dritte Welt zugelassen und auch verbotene Waffenexporte in Krisengebiete höchst lax kontrolliert. Nun töten und terrorisieren auch deutsche Waffen und treiben zur Flucht. Eine Schande ist das!

    (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Sechstens. Sie haben nicht verhindert, daß deutscher Giftmüll in die Dritte Welt exportiert wird. Auch ein Skandal! Wer würde nicht ein Land des Südens oder des Ostens verlassen wollen, das dem Norden zunehmend als Müllkippe dient?
    Siebtens. Sie haben es unterlassen, wirksame Initiativen zu ergreifen, um die Schuldenkrise zu lösen, und rühmen sich noch, weil Sie ganze 15 bis 20 % der öffentlichen Kredite an die Dritte Welt erlassen haben, Kredite, die überhaupt nicht mehr einbringlich waren. Auch ein Buchhaltertrick!
    Achtens. Sie haben dabei mitgewirkt, den Agrarexport aus der DrittenWelt in die EG, der für viele arme Entwicklungsländer vital ist, zu bremsen.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist falsch, wider besseres Wissen!)

    Neuntens. Sie beschlossen im IWF, der Dritten Welt Strukturanpassungen aufzuerlegen, die grausame soziale und ökologische Folgen hatten.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Davon verstehen Sie wahrscheinlich gar nichts!)

    Zehntens. Sie vertiefen die Finanzfalle, in der Entwicklungsländer gefangen sind; denn die Hochzins-politik, die zuerst die Amerikaner und jetzt die deutsche Bundesregierung wegen skandalöser innerer Schuldenpolitik zu verantworten haben, verhindert Investitionen im Osten und Süden und läßt den Schuldendienst immer höher steigen.
    Das sind die Fakten. - Nicht zuletzt aber hat die Koalition fortlaufend falsche Signale in die Welt gesandt über das „Modell Deutschland" als das Paradies, in dem offenbar alle Deutschen leben. Sie produzieren nicht nur Steuerlügen, sondern zunehmend auch eine Wohlstandslüge, und diese wird zum Sog für viele Menschen in der Welt, die zu uns kommen. Sie leugnen seit Jahren die Armut, in die schon vor der deutschen Einheit immer mehr Deutsche geraten sind.
    Dieses Sündenregister benennt die Fehlleistungen der Parteien, die in Deutschland seit zehn Jahren regieren und es unterlassen haben, das Mögliche zu tun, um die Fluchtursachen zu bekämpfen.

    (Michaela Geiger [CDU/CSU]: Am Elend der Dritten Welt sind also die Deutschen schuld?)

    — Meine Damen und Herren, ich sage nicht, daß Sie allein schuld sind,

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Doch, das sagen Sie die ganze Zeit!)

    aber Sie haben auch über IWF und viele Maßnahmen und Unterlassungen zur Not in der Welt mit beigetragen. Spätestens seit der Konferenz in Rio sollten wir um den engen Zusammenhang zwischen Armut, Umweltzerstörung, Bevölkerungswachstum und falscher Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik wissen.