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    Plenarprotokoll 12/103 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 103. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Inhalt: Begrüßung einer Delegation des ungarischen Parlaments 8785 D Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltspians fur das Haushaltsjahr 1993 (Haushaltsgesetz 1993) (Drucksache 12/3000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1992 bis 1996 (Drucksache 12/3100) Hans-Ulrich Klose SPD 8713B, 8761D Dr. Wolfgang Bötsch CDU/CSU 8721B Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . 8725B, 8754 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 8729 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 8730C Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8733 D Dr. Helmut Kohl Bundeskanzler BK 8736A, 8745C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8745 A Björn Engholm, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein . . . . . 8746A, 8755B Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . 8750 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU 8755C, 8762B Franz Müntefering SPD 8759 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA 8762 D Hans-Ulrich Klose SPD 8765 A Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 8766 A Ulrich Irmer F D P. 8767 D Volker Rühe, Bundesminister BMVg . . 8769 D Walter Kolbow SPD 8773 B Paul Breuer CDU/CSU 8775 A Dr. Klaus Rose CDU/CSU 8776 C Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . 8778 B Dr. Sigrid Hoth F D P 8781 B Dr. Karl-Heinz Hornhues . . . . 8782C, 8798B Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 8784 B Hans-Gerd Strube CDU/CSU 8786A Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 8787 B Carl-Ludwig Thiele F D P 8788 B Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 8790 A Dr. Ingomar Hauchler SPD 8792 A Hans-Peter Repnik CDU/CSU 8793 D Werner Zywietz F.D.P. . . . . . . . . 8794 D Dr. Ingomar Hauchler SPD 8795 B Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8796 B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8799 B Ortwin Lowack fraktionslos 8800 C Ulrich Briefs fraktionslos 8802 B Rudolf Seiters, Bundesminister BMI . . 8804 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . 8806A, 8815C Gerd Wartenberg (Berlin) SPD 8809C Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . 8813D Gerd Wartenberg (Berlin) SPD . . . 8817C Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 8818C Ina Albowitz F D P 8820 B Freimut Duve SPD 8822A, 8826 B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8822D, 8841 C Freimut Duve SPD 8823 C Karl Deres CDU/CSU 8824 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . 8826 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 8829 A Dr. Hans de With SPD 8831 B Norbert Geis CDU/CSU 8834 B Dr. Hans de With SPD 8834 D Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 8836 A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 8836D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 8838 C Dr. Michael Luther CDU/CSU 8840B Dr. Norbert Geis CDU/CSU 8842 D Tagesordnungspunkt 4: a) Fortsetzung der Beratung (Abstimmung) der Entschließungsanträge der Fraktion der SPD zum Nachtragshaushaltsgesetz 1992 (Drucksachen 12/2910, 12/2911) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu den dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 1/92 und 2 BvE 2/92 (Drucksache 12/3195) Ortwin Lowack fraktionslos (Erklärung nach § 31 GO) 8804 A Nächste Sitzung 8843 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 8845* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1993) Michael von Schmude CDU/CSU . . . . 8845* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 8713 103. Sitzung Bonn, den 9. September 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 09. 09. 92*** Antretter, Robert SPD 09. 09. 92* Dr. Blank, CDU/CSU 09. 09. 92** Joseph-Theodor Blunck, Lieselott SPD 09. 09. 92* Böhm (Melsungen), CDU/CSU 09. 09. 92* Wilfried Brandt, Willy SPD 09. 09. 92 Clemens, Joachim CDU/CSU 09. 09. 92 van Essen, Jörg F.D.P. 09. 09. 92*** Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 09. 09. 92*** Friedrich, Horst F.D.P. 09. 09. 92 Dr. Fuchs, Ruth PDS/LL 09. 09. 92 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 09. 09. 92*** Gattermann, Hans H. F.D.P. 09. 09. 92 Haschke CDU/CSU 09.09.92 (Großhennersdorf), Gottfried Dr. Holtz, Uwe SPD 09. 09. 92*** Jaunich, Horst SPD 09. 09. 92 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 09. 09. 92 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 09. 09. 92*** Oesinghaus, Günther SPD 09. 09. 92 Opel, Manfred SPD 09. 09. 92** Pfuhl, Albert SPD 09. 09. 92 Poß, Joachim SPD 09. 09. 92 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 09. 09. 92* Reddemann, Gerhard CDU/CSU 09. 09. 92* Regenspurger, Otto CDU/CSU 09. 09. 92 Rempe, Walter SPD 09. 09. 92 Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 09. 09. 92** Helmut Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 09. 09. 92 Scharrenbroich, Heribert CDU/CSU 09. 09. 92*** Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 09. 09. 92 Schulte (Hameln), SPD 09. 09. 92** Brigitte Schuster, Hans F.D.P. 09. 09. 92 Dr. Stercken, Hans CDU/CSU 09. 09. 92*** Weyel, Gudrun SPD 09. 09. 92*** Dr. Wieczorek, Norbert SPD 09. 09. 92 Dr. Wieczorek CDU/CSU 09. 09. 92 (Auerbach), Bertram Wittmann (Tännesberg), CDU/CSU 09. 09. 92 Simon Zierer, Benno CDU/CSU 09. 09. 92* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates **für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung *** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1993) Michael von Schmude (CDU/CSU): Der einigungsbedingte Mehraufwand im Justizetat 1993 unterstreicht erneut den festen Willen von Regierung und Parlament, den Aufbau des Rechtsstaates weiter voranzutreiben und zu konsolidieren. Bei der Haushaltsdebatte 1991 wurde sehr zu Recht die schleppende Abwicklung von Gerichtsverfahren, die totale Überlastung der Grundbuch- und Katasterämter beklagt. Inzwischen hat sich trotz noch immer vorhandener Mängel auch vieles überaus positiv entwickelt. Wer hätte gedacht, daß nach den ersten Erfahrungen-wir mußten ja nach der Säuberung der alten DDR-Justiz in den meisten Bereichen bei Null anfangen - eine derart große Zahl von Juristen für die neuen Bundesländer gewonnen werden könnte. Erinnern wir uns: Es gab dort zur Zeit der Wende 1989 ganze 600 Rechtsanwälte, heute sind es immerhin schon 3 200. Das von der Bundesregierung initiierte Modell „Aufbau des Rechtsstaates" leistet nunmehr einen entscheidenden Beitrag zur Personalausstattung der Gerichte und Grundbuchämter in den neuen Ländern. War es 1991 noch ein Etatansatz von 117,4 Millionen DM, der nur mit 53,5 Millionen ausgenutzt werden konnte, so mußten wir bereits in diesem Jahr den vorgesehenen Betrag von 104,5 Millionen DM noch um Haushaltsreste aus 1991 von rund 19 Millionen DM für EDV-Maßnahmen aufstocken. Damit sind die Zielvorgaben per heute wie folgt verwirklicht worden: i. 1 000 Richter und Staatsanwälte, davon 820 tätig, 500 Rechtspfleger, davon 500 tätig. 2. Der Einsatz von pensionierten Richtern, Staatsanwälten, Rechtspflegern und Urkundsbeamten zeigt leider immer noch ein unbefriedigendes Ergebnis, obwohl bürokratische Hemmnisse beseitigt wurden. Statt der angestrebten Zahl von 500 sind es jetzt erst ganze 68. Man sollte also mehr für ein Seniorenmodell werben. 3. Die Bundesförderung für die Neueinstellung von Richtern, Rechtsanwälten, Rechtspflegern - insgesamt sollen es 300 sein -, wird von den neuen Ländern voll in Anspruch genommen. Diese Gesamtförderung wird 1993 mit 107,5 Millionen DM fortgesetzt, wobei wir die Unterstützung bei der EDV-Ausstattung der Grundbuchämter erneut mit einschließen. Natürlich besteht auch darüber hinaus für die Folgejahre noch Handlungsbedarf. Ich möchte aber heute auch allen danken, die in den neuen Bundesländern auf Dauer oder vorübergehend beim schwierigen Aufbau des Rechtsstaates mitwirken. Sie tragen entscheidend dazu bei, das Vertrauen in unseren Staat zu stärken. Für ganz Deutschland gilt gleiches Recht, und damit muß auch die gleiche Rechtswirklichkeit einhergehen. Allerdings müssen wir in diesem Zusammenhang auch einige selbstkritische Fragen stellen: - Was bremst und blockiert eigentlich den Wiederaufbau im 8846* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Osten? — Sind es nicht vielfach bürokratische Hemmnisse, ist es nicht vor allem unser Gesetzesperfektionismus, der schon den Wirtschaftsstandort Westdeutschland mehr als genug belastet? Insoweit muß dringend geprüft werden, ob und wie Maßnahmegesetze zur Beschleunigung — so wie im Verkehrsbereich — auch im Umwelt- und Baubereich für eine begrenzte Zeit einzuführen sind. Die Ungeduld und Unzufriedenheit vieler Landsleute mit bestimmten Verwaltungsabläufen ist verständlicherweise groß. Wir als Gesetzgeber sind darüber hinaus gefordert, bei der Aufarbeitung des DDR-Unrechts zügig fortzufahren. In den letzten 12 Monaten sind wir bereits ein gutes Stück vorangekommen. Ich nenne hier das 1. SED-Unrechts-Bereinigungsgesetz sowie das 2. Vermögensrechts-Änderungsgesetz. Es sind noch gesetzliche Regelungen zur Wiedergutmachung von Berufs- und Verwaltungsunrecht zu beschließen und vor allem das in Kürze vorliegende Entschädigungsgesetz. Die Erwartung aller Betroffenen ist in diesem Bereich besonders groß. Die Höhe der Entschädigung bei Unmöglichkeit der Rückgabe — gleich aus welchen Gründen — muß sich leider auch an den finanziellen Möglichkeiten orientieren. Dasselbe gilt für die Ausgleichsleistungen für besatzungsrechtliche Enteignungen in der Zeit von 1945 bis 1949. Die Anerkennung der Bodenreform auf Grund der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen und _des Einigungsvertrages stellen für den betroffenen Personenkreis eine besondere Härte dar. Die Rückgabe des oft unter unvorstellbaren Bedingungen enteigneten Besitzes wurde ausgeschlossen, obwohl gerade im Bereich der Land- und Forstwirtschaft oft noch wesentliche Teile des Altbesitzes für eine Rückübertragung verfügbar wären. Es ist deshalb dringend geboten, den Anspruch von Alteigentümern auf das geplante Wiedereinrichtermodell ausdrücklich festzuschreiben. Für die nach 1949 Enteigneten sollte noch einmal überprüft werden, ob das bisher geltende Wahlrecht: Rückgabe oder Entschädigung nicht auch künftig beizubehalten ist, da bereits Fälle bekannt wurden, wo Anspruchsberechtigte im Vertrauen auf das geltende Vermögensgesetz freiwillig auf ihren Besitz verzichtet haben, um kommunale Planungen zu ermöglichen. Wichtig ist auch, daß Vertriebene vor allem jenseits von Oder und Neiße, die nach 1945 ihren ständigen Aufenthalt in der früheren DDR genommen haben, eine einmalige Zuwendung von 4 000 DM erhalten sollen, da sie von der in Westdeutschland durchgeführten Lastenausgleichsregelung nicht begünstigt wurden. Zur sozialen Gerechtigkeit gehört selbstverständlich, daß mit dem geplanten Entschädigungsgesetz bei Rückgabe von Vermögenswerten auch der gezahlte Lastenausgleich zurückzuzahlen ist und daß darüber hinaus wegen des Ungleichgewichts zwischen Sachwert bei Rückgabe und Entschädigung eine Vermögensabgabe erhoben werden soll. Zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts gehört ferner, daß die Verfolgung von Regierungskriminalität zügig vorangetrieben wird. Bund und Länder hatten vereinbart, 60 Staatsanwälte zum Kammergericht nach Berlin zu delegieren. Als einziges Bundesland hat das Saarland sich bisher geweigert, seinen Anteil, der sowieso nur aus einem Staatsanwalt besteht, zu leisten. Ein vergleichbar unwürdiges Verhalten konnte man übrigens auch bei anderen SPD-regierten Ländern in der Vergangenheit bereits feststellen, wenn es um die Finanzierung der zentralen Dokumentationsstelle Salzgitter ging. Die Mitarbeiter dieser Einrichtung haben in vorbildlicher Weise Unrechtstatbestände ermittelt und die dafür Verantwortlichen festgestellt. Großen Unmut in der Bevölkerung gibt es verständlicherweise über Fälle von Bereicherung in der früheren DDR, die bis heute nicht rückgängig gemacht wurden. Einige Beispiele dafür hat BILD am Sonntag gerade in der letzten Ausgabe dargestellt. Da wird Herr Diestel ebenso erwähnt wie sein damaliger Stellvertreter Müller, aber auch eine Reihe von Generälen der NVA, u. a. der Chef der DDR-Grenztruppen sowie der frühere Polizeipräsident von Berlin. Bei beiden stellt sich übrigens nicht nur die Frage der Überprüfung der Grundstücksgeschäfte, sondern auch nach deren strafrechtlicher Verantwortung auf Grund ihrer früheren Tätigkeit. Die Reformaufgaben der Justiz werden — wenn auch nicht im gleichen Tempo wie in den vergangenen Jahren — fortgeführt. Dabei steht volumenmäßig die Überprüfung des Nichtehelichenrechts im Vordergrund. Das Justizministerium muß aber jetzt mit besonderer Priorität Änderungen im Ausländer- und Asylrecht vorbereiten. Die Erfahrungen der letzten Monate, insbesondere der letzten Wochen, zeigen, mit welcher Dringlichkeit auch eine Grundgesetzänderung zum Schutz des Asylrechts und gegen den ungezügelten Mißbrauch durch Wirtschaftsflüchtlinge erfolgen muß. Abschließend möchte ich mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesjustizministerium bedanken, die auch in diesem Jahr in besonderer Weise Mehrarbeit für den Aufbau des Rechtsstaats in den neuen Bundesländern zu leisten hatten.
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    Rede von Volker Rühe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die revolutionären Veränderungen der letzten drei Jahre haben uns historische Chancen eröffnet. Was wir jetzt brauchen, ist Mut zu gestaltendem Handeln, zugleich aber auch Umsicht und Vorsicht.
    Es gibt eine Fülle sozialer, politischer, ökonomischer, auch strategischer Herausforderungen neuer Qualität. Aber die krisenträchtigen Entwicklungen, von denen hier zu Recht die Rede gewesen ist, dürfen uns nicht den Blick dafür verstellen, wie dramatisch sich unsere eigene Sicherheitslage in Deutschland verbessert hat. Zu häufig wird in unserem Land



    Bundesminister Volker Rühe
    übersehen, daß gerade wir Deutschen vom Umbruch der jüngsten Vergangenheit, was die Sicherheitslage angeht, am meisten profitieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Denn in Zentraleuropa gibt es die grundlegendsten Veränderungen. Daraus ergibt sich im übrigen auch die Verpflichtung, auf die neuen Herausforderungen einzugehen.
    Letztendlich haben wir heute die historische Chance, gemeinsam mit unseren Nachbarn im Westen, im Osten, im Norden und Süden Europas eine europäische Freiheitsperspektive zu verwirklichen, die zugleich soziale Sicherheit und wirtschaftlichen Fortschritt ermöglicht. Unsere Nachbarn im Osten suchen die Sicherheit im westeuropäisch-atlantischen Sicherheitsverbund. Neutrale Staaten wie Schweden und Österreich sind bereit, an der friedlichen Neuordnung Europas vorbehaltlos mitzuwirken und sich einzufügen.
    Wenn ich bei manchen eine stille Sehnsucht nach der zwar feindlichen, aber doch wohlgeordneten bipolaren Welt der Vergangenheit, der Ost-West-Konfrontation, spüre, dann muß ich uns alle doch ermahnen, nie zu vergessen, welch ungeheure Chancen wir haben, welche enorme Vergeudung der Ressourcen es in der Vergangenheit gegeben hat. Deswegen sollten wir auch nicht allzu düster sehen, was die neuen Instabilitäten angeht. Zunächst einmal gibt es für Deutschland eine grundlegende Verbesserung der sicherheitspolitischen Lage.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Völlig richtig!)

    Der Rüstungswettlauf hat sich in sein Gegenteil verkehrt. Lieber Karsten Voigt, wir haben uns über zehn Jahre bemüht, immer wieder minimale Fortschritte zu erreichen. Die konventionellen Streitkräfte in Europa werden um rund 40 % vermindert, und Deutschland geht voran. Alle bodengestützten Nuklearwaffen sind aus Mitteleuropa bereits abgezogen. Die strategischen Nuklearwaffen werden in den nächsten Jahren um etwa 70 % reduziert. Die Gefahren eines Nuklearkriegs sind weit in den Hintergrund getreten.
    Das deutsche Sicherheitsdilemma der Nachkriegszeit, der Widerspruch zwischen der schützenden Abschreckung und der Gefahr, selbst nukleares Schlachtfeld zu werden, hat sich aufgelöst.
    Ich habe manche Diskussionen auch im Bereich westlicher Konferenzen noch nicht vergessen, wo uns im Hinblick auf dieses deutsche Sicherheitsdilemma gesagt wurde: Die DDR, das ist der Warschauer Pakt. Das war von den Bündnissen her richtig. Wir haben versucht, auf dieses besondere deutsche Sicherheitsdilemma einzugehen. Daß das aufgelöst worden ist, muß man doch immer wieder an den Anfang stellen, um deutlich zu machen, in welcher Situation wir uns befinden.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

    Zugenommen haben allerdings die Gefahr regionaler Krisen und Konflikte — das ist hier von vielen gesagt worden — sowie neuer und alter Nationalismus. Unterdrückte Spannungen, die unter dem Ost-West-Gegensatz verborgen waren, sind an die Oberfläche gekommen. Wir haben die bedrückende Situation, daß in Westeuropa die Einheiten immer größer werden, der Nationalstaat überwunden ist, die Integration bei allen Problemen voranschreitet, während in Osteuropa die Einheiten immer kleiner werden und wir eher einen Desintegrationsprozeß erleben. Doch bleibt die Aufgabe, diese beiden Teile Europas zusammenzufügen.
    In dieser Situation brauchen wir ein flexibles Instrumentarium internationaler Politik, um globale und regionale Probleme zu meistern. Die Bundesregierung bemüht sich mit Nachdruck um einen wirksamen Verbund aller Möglichkeiten, der UNO, der KSZE, der NATO und der WEU. Keine dieser Institutionen kann und soll die andere ersetzen. Aber sie ergänzen sich und können so ihre Kräfte zur Wirkung bringen.
    Unsere Möglichkeiten, in den euroatlantischen Institutionen gestaltend Einfluß zu nehmen, hängen ganz wesentlich von der Substanz unseres jeweiligen Beitrags ab, von der wirtschaftlichen Kraft Deutschlands, von seinem militärischen Beitrag, aber auch von der Glaubwürdigkeit, unserer Loyalität und Solidarität als stabile handlungsfähige Demokratie.
    Unsere Bürger erwarten zu Recht, an diesem Prozeß der Neuorientierung beteiligt zu werden. Für jede Entscheidung, die Parlament und Regierung treffen, müssen gute Gründe ins Feld geführt werden. Nur so kann der dringend benötigte Konsens wachsen, den gerade unsere Außen- und Sicherheitspolitik braucht.
    Es liegt im objektiven Interesse aller Deutschen, daß Auftrag und Rolle unserer Streitkräfte möglichst unumstritten sind. Nur so können unsere Soldaten leisten, was von ihnen erwartet wird. Nur so kann verantwortliche Politik ihnen abverlangen, für unsere Sicherheit notfalls mit ihrem Leben einzustehen.
    Ich möchte darauf hinweisen: Mein Bemühen vom ersten Tag an als Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland, in einer schwierigen Zeit des Übergangs den Konsens zu suchen und auch zu erstreiten, wo immer das möglich ist, wird von dem Kollegen Kinkel und der F.D.P. und natürlich erst recht von den Kollegen in der eigenen Fraktion voll unterstützt. Das hat überhaupt nichts mit anderen Zusammenhängen zu tun, in deren Nähe das gelegentlich gerückt wird.
    Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß das die Aufgabe des Verteidigungsministers gerade in dieser Übergangszeit ist. Die Soldaten würden wir schlecht ausstatten, wenn wir ihnen nur eine Uniform und Sold geben und ansonsten im Bundestag munter weitergestritten würde. Das ist zuwenig. Wir schulden den Soldaten mehr, gerade jetzt, wo es konkrete Situationen gibt, in denen sie im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland ihr Leben verlieren können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir brauchen ein neues Sicherheitsdenken, Sicherheitsvorsorge für die Zukunft muß gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Entwicklungen einbeziehen, und Konfliktursachen präventiv entgegenwir-



    Bundesminister Volker Rühe
    ken. Wo Frieden und Recht gebrochen, wo Konflikte mit Gewalt ausgetragen werden und wichtige deutsche Interessen gefährdet sind, müssen wir auch bereit sein, auf Anforderung der Völkergemeinschaft unseren militärischen Beitrag zur Friedenserhaltung zu leisten.
    Ich begrüße es, daß sich die SPD in dieser wichtigen Frage auf uns zubewegt, allerdings noch nicht ausreichend. Aber es ist gut, daß es, was die Beteiligung der Bundeswehr an Blauhelmoperationen unter dem Dach der Vereinten Nationen angeht, hier eine breite Zustimmung gibt.

    (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Da müssen Sie sich auf uns zubewegen!)

    — Wer sich auf wen zubewegt, das ist, glaube ich, so eindeutig, daß wir darüber nicht streiten müssen. Mich interessiert auch nur das Ergebnis. Ich sage Ihnen: Deutschland kann es sich nicht leisten, hier weiter international im Abseits zu stehen. Wir müssen unsere Verantwortung als wiedervereinigtes Deutschland übernehmen. Ich bitte um die Unterstützung des Bundestages.
    Die bei uns gewachsene Kultur der Zurückhaltung ist über die Jahre zum Merkmal deutscher Berechenbarkeit geworden. Wenn nun aber internationale Solidarität gefordert wird, muß der eingeleitete Prozeß eines Mentalitätswandels behutsam und mit Geduld vorangetrieben werden.
    Aber es ist klar: Wir können uns auf Dauer auch weitergehenden Forderungen der Völkergemeinschaft nicht verschließen. Wir brauchen auch in der Verfassung die Öffnung für friedensschaffende Maßnahmen auf der Grundlage der Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen. Wer Deutschland — da möchte ich die Formulierung des Außenministers wiederholen — in diesem Zusammenhang in eine Sonderrolle drängt, der macht es auf Dauer politisch handlungsunfähig, bündnisunfähig und europaunfähig.
    In diesen Tagen sind wieder französische und italienische Soldaten in Jugoslawien gestorben. Das hat deutlich gemacht, welches Risiko auch die deutschen Soldaten auf sich nehmen, die die Flüge nach Sarajevo durchführen. Ich darf hier sagen, daß wir in dem Moment, in dem es wieder möglich ist zu fliegen, alle Anstrengungen unternehmen werden, gemeinsam mit anderen zu fliegen und daß wir auch Vorkehrungen zum Schutz unserer Flugzeuge und Piloten treffen.
    Nur, was muß man eigentlich von den Deutschen halten, was Solidarität angeht, was auch Risikoteilung angeht, wenn in einer solchen Situation ein SPD-Abgeordneter mich dafür kritisiert, daß ich einen deutschen Berufssoldaten in den Irak kommandiert habe, damit er dort für eine humanitäre Aktion eingesetzt wird, nämlich um rüstungskontrollpolitisch den Abzug der Chemiewaffen zu kontrollieren? Dafür werde ich getadelt. Was ist das für eine Risikoteilung in Europa, wenn französische und italienische Soldaten sterben im Namen der Vereinten Nationen für die Sicherheit Europas, für humanitäre Hilfe in Jugoslawien, und ich kritisiert werde, wenn ich einen Berufssoldaten kommandiere, in den Irak zu gehen, um dort einen Auftrag der UN, einen Auftrag der Bundesregierung durchzuführen? Das paßt doch ganz einfach nicht zusammen, was die Risikoteilung angeht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das zeigt auch, lieber Kollege Voigt, wo wir stehen.
    Sie haben die Adria angesprochen. Mein Gott, kann ich nur sagen angesichts der Lebensopfer, die andere Europäer bringen. Wo stünden wir denn, wenn wir diesen Einsatz in der Adria im Laufe des Monats Juli verweigert hätten? Wir wären unter unseren europäischen Kollegen doch völlig isoliert gewesen.
    Und wenn Sie sagen, wir hätten weitergehen wollen, was die Kontrolle auf dem Lande angeht, kann ich nur sagen: Erst einmal muß man doch ja sagen zu der Kontrolle auf See. Sie sind zum Verfassungsgericht gegangen. Wir haben dafür gesorgt, daß unsere Schiffe in dieselbe Richtung fahren wie Italiener, Franzosen und andere, die Opfer für die Sicherheit Europas erbringen, die wir uns auf Dauer auch nicht werden ersparen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf von der SPD)

    Die Bundeswehr muß auf die erkennbaren neuen Aufgaben ausgerichtet werden. Wie in anderen Staaten bleibt der Hauptauftrag der Bundeswehr die Verteidigung unseres Landes. Landesverteidigung begründet in erster Linie die Wehrpflicht. Aber die veränderten politisch-strategischen Bedürfnisse verlangen auch, die Verteidigung des Bündnisgebiets als erweiterte Landesverteidigung zu begreifen. Unsere Alliierten erwarten von uns dieselbe Solidarität, die wir in Jahrzehnten akuter und existentieller Bedrohung Tag für Tag erhalten haben. Schließlich müssen unsere Soldaten für den Weltfrieden einstehen, wenn die Vereinten Nationen dazu aufrufen.
    Ich habe schon im Mai den Streitkräften auf der jährlichen Kommandeurtagung eine Leitlinie vorgegeben, über die ich auch hier im Bundestag kurz berichten möchte.
    Zunächst nenne ich die unabweisbaren Investitionen für die Truppenteile, die in besonderem Maße auf aktue Erfordernisse zugeschnitten sind. Das sind die Krisenreaktionskräfte, und das ist das, wovon ich eben gesprochen habe.
    Vierzig Jahre lang, wo die Hauptbedrohung in Zentraleuropa war, haben andere europäische Nationen ihr Land und das Bündnis in Deutschland verteidigt. In der Zukunft — dafür werden die Krisenreaktionskräfte ausgebildet — muß Deutschland bereit sein, außerhalb Deutschlands, aber im Bündnisgebiet, das Bündnis und andere Nationen zu verteidigen, genauso wie andere 40 Jahre lang vorher bereit waren, dies in Deutschland zu tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dies ist die Priorität bei den Investitionen. Verbände zur humanitären Hilfe, Einsätze der Vereinten Nationen und Krisenreaktionskräfte müssen ihre Defizite abbauen. Was für künftige Aufgaben unverzichtbar ist, muß neu und überzeugend begründet werden. Dazu gehört auch der Nachweis, daß vorhandenes Gerät nicht mehr brauchbar ist. Für die Bedrohungs-



    Bundesminister Volker Rühe
    situationen der Vergangenheit wird keine Mark mehr ausgegeben. Das wird auch nicht möglich sein; denn wir haben einen Sparhaushalt, und ich brauche das Geld für die neuen Aufgaben.
    Die Bundeswehr und unsere Soldaten haben Anspruch auf moderne und aufgabengerechte Ausrüstung. In der Spannung zwischen begrenzten Investitions- und Betriebsmitteln muß jedoch Ausbildung Vorrang haben. Auch unsere Wehrpflichtigen müssen einen sinnvollen und fordernden Dienst machen, der sie motiviert. Mehr und beste Ausbilder werden dafür zur Verfügung stehen.
    Wir brauchen in nächster Zeit vor allem Investitionen für die Menschen, für bessere Lebens- und Ausbildungsbedingungen, und das ganz besonders im Osten Deutschlands. Die Bundeswehr hat hier Vorbildliches geleistet bei der Vollendung der inneren Einheit Deutschlands. Ich bin auch einem Mann wie Christoph Bertram, der in der „Zeit" geschrieben hat, wie vorbildlich die Bundeswehr die Wiedervereinigung vorangetrieben hat, sehr dankbar, daß er dies einmal gesagt hat.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Auch der Bundeswehr dankbar!)

    — Ja, der Bundeswehr dankbar und Christoph Bertram dankbar. Natürlich ist es leichter, in einem Leo II zusammenzuwachsen als in einem Parteivorstand. Es hat mich beeindruckt, wie mir die Wehrpflichtigen in Belitz gesagt haben: Im Leo II gibt es keine Ossis und Wessis. Wir können ein bißchen davon lernen. Aber es ist ein bißchen schwieriger, Wolfgang Schäuble; da haben wir auch gemeinsame Erfahrungen.
    Aber es geht darum, die Teilung durch Teilen zu überwinden. Kommen Sie doch einmal auf die Hardthöhe. Da sehen einige Gebäude wie kurz nach dem Kriege aus. Da hat die Bundeswehr Vorbildliches geleistet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Denn wir haben keine Politik des „Weiter so" gemacht. Wir werden auch trotz der Einsparungen über 1 Milliarde DM im nächsten Haushalt für Investitionen im Osten ausgeben.
    Da muß ich der Kollegin Matthäus-Maier einmal sagen, die immer sagt, 50 Milliarden seien immer noch viel zuviel: Wir müssen praktisch 4 Milliarden DM einsparen, 2,7 Milliarden real, noch einmal 1,6 umsetzen, damit ich über eine Milliarde im Osten einsetzen kann. Die Soldaten brauchen doch dieselben Lebensbedingungen. Das sind gar keine militärischen Investitionen. Wir verlassen hervorragende Kasernen im Westen und wollen aus Gründen der deutschen Einheit im Osten so schnell wie möglich dieselben Lebensbedingungen herstellen.
    Ich will 220 Millionen DM für die Verschrottung von Waffen einsetzen. Also ich glaube, es wird Zeit, daß die Frau Kollegin Matthäus-Maier hier einmal eine neue Platte auflegt. Das ist ein enormer Sparhaushalt. Die Bundeswehr hat ihn freiwillig erbracht. Die Soldaten können zu Recht stolz darauf sein, daß sie in dieser Frage der Wiedervereinigung ihren Beitrag zur deutschen Wiedervereinigung leisten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Der äußerst knappe Finanzrahmen für die Bundeswehr erfordert eine systematische Überprüfung der Bundeswehrplanung. Das werde ich in den nächsten Monaten machen. Ich werde versuchen, alle offenen Fragen bis zum Dezember zu klären. Die mit Ihrer Hilfe zu treffenden Entscheidungen werden nicht leicht sein.
    Die Entscheidungen der Koalition zum Jagdflugzeug waren unumgänglich und richtig. Denn der militärische Bedarf muß an radikal veränderte Bedingungen angepaßt und mit den Ressourcen in Deckung gebracht werden. Wir brauchen ein anderes Jagdflugzeug für eine andere Zeit. Wir brauchen weniger Flugzeuge, als ursprünglich veranschlagt. Alle Partnerstaaten sind sich einig, obwohl es da noch schwierige Verhandlungen gibt. Es gilt, neue Lösungen zu suchen, die Handlungs- und Entscheidungsspielraum eröffnen. Man muß sich einmal anschauen, wie wir in der jetzigen Debatte über Finanznöte und Solidarpakt dastünden, wenn wir hier nicht eingegriffen hätten. Ich bin dankbar für die gute Zusammenarbeit.
    Allerdings kann man nicht ganz auf Flugzeuge verzichten. Es zeigt die irreale Position Ihrer finanzpolitischen Sprecherin, daß sie dieses verbilligte Flugzeug gegen Wohnungen und alles andere gegengerechnet hat. Das kann man nicht machen. Das ist auch nichts, was Ihre Verteidigungspolitiker vertreten, mit denen wir jetzt in dem Unterausschuß Luftabwehr in einen engen Dialog eingetreten sind.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Die ist gegen alles!)

    Ich bin nicht in der Lage, 1993 wesentliche Ausrüstungsvorhaben zu beginnen. Wir müssen schon begonnene Beschaffungsvorhaben zurückschneiden. Dreierlei wird jedoch möglich bleiben:
    Erstens. Der Betrieb der Bundeswehr wird sichergestellt.
    Zweitens. Die Infrastruktur im Osten Deutschlands wird weiter aufgebaut.
    Drittens. Auch der Wohnungsbau wird vorangetrieben. Erstmals ist im stark reduzierten Haushalt des Verteidigungsministers ein eigener Ansatz für den Wohnungsbau. Die Soldaten müssen dreimal mehr umziehen als bisher. Sie müssen West-West-Umzüge machen, sie müssen vor allen Dingen West-OstUmzüge unter schwierigsten Bedingungen machen. Deswegen müssen wir ihnen hier helfen, zumindest was den Wohnungsbau angeht.

    (Beifall der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Kein anderes Ressort hat das bisher gemacht. Aber ich freue mich über die Unterstützung aus der Koalition.
    Der Übergang in die künftige Personalstruktur wird möglich. Der notwendige Personalabbau kann sozialverträglich erfolgen. Ich kann meiner Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten und zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr, vor allem auch gegenüber den Familien, genügen.
    Der Verteidigungshaushalt 1993 ist sicherheitspolitisch verantwortbar. Er fügt sich zugleich in die gesamtpolitischen Prioritäten ein, und die heißen:



    Bundesminister Volker Rühe
    Deutsche Einigung hat Vorrang vor allem anderen. Aber die mittelfristige Finanzerwartung drückt zugleich das absolute Mindestmaß an Haushaltsmitteln für einen schwierigen Übergang aus.
    Die Bundeswehr steht vor der vielleicht größten Herausforderung ihrer Geschichte, und es ist nicht falsch, von einem zweiten Neubeginn zu sprechen. Die Schwierigkeiten, mit denen wir es zu tun haben, sind nur vergleichbar mit dem Neubeginn in den 50er Jahren. In kurzer Zeit werden die Streitkräfte auf 370 000 Mann reduziert, gleichzeitig umstrukturiert, neu disloziert und auf neue Aufgaben — z. B. die Krisenreaktionskräfte, hoffentlich Blauhelme — ausgerichtet. Wir müssen sie zu einer Armee der Einheit machen. Wir müssen die Wehrverwaltung mit ebenfalls sehr viel weniger Personal arbeiten lassen und eine neue Struktur einrichten.
    Trotz der radikalen Veränderungen gelten auch Konstanten für unsere Sicherheitsvorsorge. Dazu gehört, daß Deutschland auch künftig jeden Alleingang meidet. Wir finden Schutz und Sicherheit am besten im Bündnis mit den Verbündeten. Die Atlantische Allianz ist und bleibt das Rückgrat unserer Sicherheit. Die Strukturen, die wir in Europa neu erarbeiten, dienen der Absicherung und der Ergänzung unserer Politik.
    Ich würde mich freuen, wenn es trotz des einen oder anderen Diskussionsbeitrages aus den letzten Wochen Übereinstimmung über die wichtigsten Eckwerte der Bundeswehr gäbe: 370 000 Mann, die Armee der Einheit zu schaffen, Wehrpflicht mit einer Dauer von zwölf Monaten. Darum will ich mich bei allem, was es natürlich auch an kritischen Diskussionen zwischen der Regierung und der Opposition gibt, weiter bemühen, denn in dieser schwierigsten Phase der Streitkräfte kommt es darauf an, soviel Gemeinsamkeit wie möglich zu schaffen.
    Ich sage noch einmal: Es gilt nicht mehr nur, vor dem einen großen Krieg abzuschrecken, sondern unsere Soldaten müssen damit rechnen, indem sie dasselbe Risiko wie Soldaten anderer europäischer Nationen tragen, in schwierige, auch lebensbedrohliche Situationen zu kommen, und zwar schon bei humanitären Einsätzen wie den Flügen nach Sarajevo.
    In einer solchen Situation müssen wir im Bundestag andere Debatten führen. Wir schulden unseren Soldaten das Ausmaß an überparteilicher Zustimmung, das in anderen Ländern selbstverständlich ist. Darauf sollten wir auch in Deutschland hinwirken.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Vor allen Dingen der Verteidigungsminister!)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Walter Kolbow.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Walter Kolbow


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesminister der Verteidigung ist heute 158 Tage im Amt. Wir haben seinen Amtsantritt wegen der Art und Weise, wie er gestartet ist, mit Sympathie begleitet.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

    Wir als Opposition haben nun nicht nur die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, sondern auch die verfassungsgemäße und die uns durch den Wähler und die Wählerin zugewiesene Aufgabe, den Anspruch, den Sie sich, lieber Herr Kollege Rühe, gesetzt haben, in der Wirklichkeit Ihres politischen Handelns tagtäglich zu überprüfen.
    Beim Verteidigungsetat ist Ihnen die gleiche Frage zu stellen, die auch dem Finanzminister und dem Bundeskanzler in bezug auf den gesamten Bundeshaushalt zu stellen ist: Inwieweit kann der Verteidigungsetat 1993 eigentlich als seriöse Grundlage der Beratungen betrachtet werden?

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Wollen Sie mehr?)

    Es handelt sich ganz eindeutig — Herr Thiele, Sie sind ja da besonders bewandert — um einen Etat des Übergangs, der allerdings noch keine wirkliche Zukunftsperspektive für die Bundeswehr eröffnet und der in Teilen — wie z. B. bei der Rüstungsplanung; das haben Sie selber mit einer kurzen Bemerkung gerade eingeräumt, Herr Minister —, bereits Makulatur ist. Zu viele Fragen, die auf der Ausgabenseite erheblich zu Buche schlagen, bleiben im Entwurf weiterhin unbeantwortet. Verteidigungsaufgaben müssen nämlich heute mehr denn je auf ihre Notwendigkeit hin überprüft und an ihrer Gesellschaftsverträglichkeit, d. h. an der Akzeptanz auf seiten der Bürgerinnen und Bürger, gemessen werden.

    (V o r s i t z: Präsidentin Dr. Rita Süssmuth)

    Ihnen, Herr Rühe, kann als neuem Verteidigungsminister zwar bescheinigt werden, daß Sie nach Ihrem Amtsantritt sofort darangegangen sind, Ballast abzuwerfen. Die Absage an die Beschaffung des Jäger 90, so wie er geplant war, steht ebenso dafür wie die Korrektur der unrealistischen Ansätze für die Verteidigungshaushalte der kommenden Jahre in der alten Planung. Wir erkennen dies an, weil es nicht leicht war, selbst diese offenkundig längst überfälligen, von uns immer wieder geforderten Abstriche gegen die beharrenden und realitätsfernen Kräfte in der Union durchzusetzen.
    Aber diese Korrekturen reichen angesichts der Prioritätensetzung, die Sie selbst — ich nenne als Stichwort den Aufbau Ost — immer wieder nennen, nicht aus, weil Sie über einen Etat mit einem Volumen von 50,8 Milliarden DM entsprechend einem Anteil von 11,6 % am gesamten Bundeshaushalt verfügen, den wir uns bei dieser Prioritätensetzung für die Zukunft und — ich füge hinzu — bei der sicherheitspolitischen Lage nicht zu leisten brauchen, nicht leisten können, ja nicht leisten dürfen.

    (Beifall bei der SPD)

    Eine neue Zielrichtung ist in Ihrem Etat — in Ihren Reden zuweilen schon — bisher kaum zu erkennen. Der Tanker Verteidigungsministerium folgt offenbar nur widerwillig — Herr Stoltenberg weiß ein Lied davon zu singen — der Ruderlage auf neuem Kurs, der bisher — das mahnen wir an, aber wir stellen auch die 158 Tage in Rechnung — nicht energisch genug durchgesetzt wird.



    Walter Kolbow
    Die entscheidende und bisher nicht ausreichend beantwortete Frage für die Bundeswehr bleibt die nach ihrer Legitimation auf der Grundlage eines politisch entschiedenen, gesellschaftlich akzeptierten und nachvollziehbaren neuen Auftrages. Mit einem überholten Einsatzkonzept und noch unklarer politischer Wegweisung für die Zukunft befinden sich die Streitkräfte in einer Phase der Orientierungslosigkeit, der Demotivation und der Unzufriedenheit. Die Resolutionen des Deutschen Bundeswehr-Verbandes und die Versammlungen vor Ort zeigen dies deutlich.
    Der erforderliche freiwillige Nachwuchs ist nicht mehr zu rekrutieren. Die Bundesregierung hat diesen Mangel erkannt, aber sie begegnet diesem Mangel mit den falschen Mitteln. Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, haben es versäumt, aus den ausführlichen und engagierten Debatten hier im Haus im Januar dieses Jahres zum Bericht der Jacobsen-Kommission über die zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr die richtigen Konsequenzen für den künftigen Auftrag der Bundeswehr zu ziehen. Dadurch haben Sie, nicht aber die SPD den bisherigen verteidigungspolitischen Konsens verletzt, den Sie doch suchen, Herr Kollege Rühe. Auf diesem Konsensweg wollen wir Ihnen begegnen. Wir haben dies durch unsere Zustimmung zu den Eckwerten der Bundeswehr auch deutlich gemacht.
    Wenn es Ihnen aber wirklich um Übereinstimmung mit der Opposition in diesen grundlegenden Fragen geht, dann müssen Sie auf uns zugehen, um Gemeinsamkeiten zu suchen, nicht nur dann, wenn Sie unsere Unterstützung für humanitäre Hilfseinsätze der Streitkräfte im Ausland von uns erwarten, sondern auch bei den tagtäglichen Fragen, die die Streitkräfte berühren, und bei den Konzeptionsüberlegungen, die wir im Sinne einer sparsameren Mittelverwendung in eine andere Richtung lenken wollen.
    Statt die anstehenden Probleme grundsätzlich und konzeptionell zu lösen, wird dagegen mit Einzelentscheidungen auf aktuelle Entscheidungen der Weltpolitik in einer Form reagiert, die in der Bevölkerung zutiefst umstritten ist. Sie sollten es besser wissen, denn einer Ihrer zentralen Sätze — hören Sie bitte zu, denn dann versteht man es am Ende sicherlich genau — soll dem Vernehmen nach sein, daß man in einer Demokratie nur das durchsetzen könne, was verstanden werde.

    (Bundesminister Volker Rühe: Was man begründet!)

    Ich wäre sehr dankbar und würde es begrüßen, wenn dies zur Richtschnur Ihrer weiteren Politik auch auf der Hardthöhe würde.
    Obwohl Sie Ihren Äußerungen nach durchaus die psychologische Dimension dieser Fragen erkannt haben und es als notwendig erachten, in der Bevölkerung einen Prozeß der Bewußtseinsbildung für neue Aufgaben der Bundeswehr abzuwarten, treffen Sie gleichzeitig Entscheidungen, die dieser Grundhaltung widersprechen, siehe Adria. Wer so handelt — ich komme in anderem Zusammenhang auf einen aktuellen Fall zurück —, legt zugleich die Axt an die Wehrpflicht, denn sie ist nur durch Landesverteidigung, nicht aber durch weltweite Einsätze legitimiert.

    (Beifall bei der SPD)

    Schon bei Operationen im Rahmen des Bündnisses gibt es durch jahrzehntelange Gewöhnung an die bisherige Lage psychologische Schwellen, die in Betracht zu ziehen und nicht einfach zu überwinden sind.
    Sie zeigen meines Erachtens noch zuwenig Sensibilität hinsichtlich des inneren Zustandes der Bundeswehr. Soldaten und deren Angehörige werden durch die schon angesprochene Entscheidung, am AdriaEinsatz zur Embargoüberwachung gegen Jugoslawien teilzunehmen, in Gewissenskonflikte gestürzt, ob dieser Einsatz und ihre Teilnahme daran Rechtens seien. Die Streitkräfte — auch das hören wir immer wieder, und zwar auch von denen, die dann solche Aufträge auszuführen haben — sind auf diese Situation psychologisch unzureichend vorbereitet.
    Sie verletzen Ihre Fürsorgepflicht, wenn Sie ohne gesetzliche und versorgungsrechtliche Grundlagen Soldaten einem höheren Risiko aussetzen. Dies gilt in gleicher Weise für die Heeresflieger zur Unterstützung der UNO im Irak wie für die nun offenbar gewordene Lage der Bundeswehrsoldaten in Kambodscha. Die deutschen Soldaten haben einen Anspruch auf Auftragsklarheit und Rechtssicherheit. Wie sehr dies einzelne Bundeswehrangehörige und ihre Familien beunruhigt und besorgt, ist eben nicht nur den Leserbriefspalten der Zeitungen zu entnehmen, sondern auch dem aktuellen Verhalten.
    Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang den von Ihnen angesprochenen Fall gleich einmal an der Stätte des Diskurses, hier im Parlament, ansprechen und von unserer Seite aus für diesen Fall eines klarstellen: Wir lehnen den Einsatz von Wehrpflichtigen in Krisenreaktionsstreitkräften bei Blauhelm-und sonstigen Einsätzen außerhalb der Landesverteidigung grundsätzlich ab.

    (Beifall von der SPD — Paul Breuer [CDU/CSU]: Warum?)

    Hier befinden wir uns im Einklang mit dem Ehrenvorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Herrn Kollegen Dregger, der auf die Frage des Herrn Kollegen Schmude bei einer ähnlichen Debatte von dieser Stelle aus das gleiche gesagt hat.

    (Paul Breuer [CDU/CSU]: Das mag ja sein!)

    — Nun kommen Sie, lieber Kollege Breuer, dran mit ihrem fragenden Zwischenruf: Nur der Schutz des eigenen Staates in einer Situation akuter existentieller Bedrohung kann die allgemeine Wehrpflicht legitimieren. Aber auch Zeit- und Berufssoldaten haben ihren Dienst unter anderen Voraussetzungen angetreten und sollten nur freiwillig an humanitären Operationen zur Unterstützung der UNO, wie im Irak, teilnehmen, so lange die rechtlichen Voraussetzungen nicht geklärt sind. Ich halte es deshalb für einen unglaublichen Vorgang, daß militärische Vorgesetzte mit der Keule des Truppendienstgerichtes drohen, um der Freiwilligkeit nachzuhelfen. Dies kommt dem Tatbestand der Nötigung gleich, und ich erwarte deshalb, daß Sie, Herr Kollege Rühe, für dieses



    Walter Kolbow
    Problem unverzüglich eine allgemeine, verbindliche und der Situation angemessene Regelung finden. Etwas mehr Nachdenklichkeit dürfte auch von den militärischen Vorgesetzten in der Bundeswehr gefordert werden, wenn fast 40 Jahre Innere Führung einen Sinn gehabt haben sollen.