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    Plenarprotokoll 12/103 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 103. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Inhalt: Begrüßung einer Delegation des ungarischen Parlaments 8785 D Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltspians fur das Haushaltsjahr 1993 (Haushaltsgesetz 1993) (Drucksache 12/3000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1992 bis 1996 (Drucksache 12/3100) Hans-Ulrich Klose SPD 8713B, 8761D Dr. Wolfgang Bötsch CDU/CSU 8721B Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . 8725B, 8754 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 8729 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 8730C Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8733 D Dr. Helmut Kohl Bundeskanzler BK 8736A, 8745C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8745 A Björn Engholm, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein . . . . . 8746A, 8755B Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . 8750 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU 8755C, 8762B Franz Müntefering SPD 8759 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA 8762 D Hans-Ulrich Klose SPD 8765 A Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 8766 A Ulrich Irmer F D P. 8767 D Volker Rühe, Bundesminister BMVg . . 8769 D Walter Kolbow SPD 8773 B Paul Breuer CDU/CSU 8775 A Dr. Klaus Rose CDU/CSU 8776 C Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . 8778 B Dr. Sigrid Hoth F D P 8781 B Dr. Karl-Heinz Hornhues . . . . 8782C, 8798B Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 8784 B Hans-Gerd Strube CDU/CSU 8786A Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 8787 B Carl-Ludwig Thiele F D P 8788 B Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 8790 A Dr. Ingomar Hauchler SPD 8792 A Hans-Peter Repnik CDU/CSU 8793 D Werner Zywietz F.D.P. . . . . . . . . 8794 D Dr. Ingomar Hauchler SPD 8795 B Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8796 B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8799 B Ortwin Lowack fraktionslos 8800 C Ulrich Briefs fraktionslos 8802 B Rudolf Seiters, Bundesminister BMI . . 8804 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . 8806A, 8815C Gerd Wartenberg (Berlin) SPD 8809C Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . 8813D Gerd Wartenberg (Berlin) SPD . . . 8817C Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 8818C Ina Albowitz F D P 8820 B Freimut Duve SPD 8822A, 8826 B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8822D, 8841 C Freimut Duve SPD 8823 C Karl Deres CDU/CSU 8824 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . 8826 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 8829 A Dr. Hans de With SPD 8831 B Norbert Geis CDU/CSU 8834 B Dr. Hans de With SPD 8834 D Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 8836 A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 8836D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 8838 C Dr. Michael Luther CDU/CSU 8840B Dr. Norbert Geis CDU/CSU 8842 D Tagesordnungspunkt 4: a) Fortsetzung der Beratung (Abstimmung) der Entschließungsanträge der Fraktion der SPD zum Nachtragshaushaltsgesetz 1992 (Drucksachen 12/2910, 12/2911) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu den dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 1/92 und 2 BvE 2/92 (Drucksache 12/3195) Ortwin Lowack fraktionslos (Erklärung nach § 31 GO) 8804 A Nächste Sitzung 8843 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 8845* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1993) Michael von Schmude CDU/CSU . . . . 8845* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 8713 103. Sitzung Bonn, den 9. September 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 09. 09. 92*** Antretter, Robert SPD 09. 09. 92* Dr. Blank, CDU/CSU 09. 09. 92** Joseph-Theodor Blunck, Lieselott SPD 09. 09. 92* Böhm (Melsungen), CDU/CSU 09. 09. 92* Wilfried Brandt, Willy SPD 09. 09. 92 Clemens, Joachim CDU/CSU 09. 09. 92 van Essen, Jörg F.D.P. 09. 09. 92*** Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 09. 09. 92*** Friedrich, Horst F.D.P. 09. 09. 92 Dr. Fuchs, Ruth PDS/LL 09. 09. 92 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 09. 09. 92*** Gattermann, Hans H. F.D.P. 09. 09. 92 Haschke CDU/CSU 09.09.92 (Großhennersdorf), Gottfried Dr. Holtz, Uwe SPD 09. 09. 92*** Jaunich, Horst SPD 09. 09. 92 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 09. 09. 92 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 09. 09. 92*** Oesinghaus, Günther SPD 09. 09. 92 Opel, Manfred SPD 09. 09. 92** Pfuhl, Albert SPD 09. 09. 92 Poß, Joachim SPD 09. 09. 92 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 09. 09. 92* Reddemann, Gerhard CDU/CSU 09. 09. 92* Regenspurger, Otto CDU/CSU 09. 09. 92 Rempe, Walter SPD 09. 09. 92 Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 09. 09. 92** Helmut Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 09. 09. 92 Scharrenbroich, Heribert CDU/CSU 09. 09. 92*** Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 09. 09. 92 Schulte (Hameln), SPD 09. 09. 92** Brigitte Schuster, Hans F.D.P. 09. 09. 92 Dr. Stercken, Hans CDU/CSU 09. 09. 92*** Weyel, Gudrun SPD 09. 09. 92*** Dr. Wieczorek, Norbert SPD 09. 09. 92 Dr. Wieczorek CDU/CSU 09. 09. 92 (Auerbach), Bertram Wittmann (Tännesberg), CDU/CSU 09. 09. 92 Simon Zierer, Benno CDU/CSU 09. 09. 92* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates **für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung *** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1993) Michael von Schmude (CDU/CSU): Der einigungsbedingte Mehraufwand im Justizetat 1993 unterstreicht erneut den festen Willen von Regierung und Parlament, den Aufbau des Rechtsstaates weiter voranzutreiben und zu konsolidieren. Bei der Haushaltsdebatte 1991 wurde sehr zu Recht die schleppende Abwicklung von Gerichtsverfahren, die totale Überlastung der Grundbuch- und Katasterämter beklagt. Inzwischen hat sich trotz noch immer vorhandener Mängel auch vieles überaus positiv entwickelt. Wer hätte gedacht, daß nach den ersten Erfahrungen-wir mußten ja nach der Säuberung der alten DDR-Justiz in den meisten Bereichen bei Null anfangen - eine derart große Zahl von Juristen für die neuen Bundesländer gewonnen werden könnte. Erinnern wir uns: Es gab dort zur Zeit der Wende 1989 ganze 600 Rechtsanwälte, heute sind es immerhin schon 3 200. Das von der Bundesregierung initiierte Modell „Aufbau des Rechtsstaates" leistet nunmehr einen entscheidenden Beitrag zur Personalausstattung der Gerichte und Grundbuchämter in den neuen Ländern. War es 1991 noch ein Etatansatz von 117,4 Millionen DM, der nur mit 53,5 Millionen ausgenutzt werden konnte, so mußten wir bereits in diesem Jahr den vorgesehenen Betrag von 104,5 Millionen DM noch um Haushaltsreste aus 1991 von rund 19 Millionen DM für EDV-Maßnahmen aufstocken. Damit sind die Zielvorgaben per heute wie folgt verwirklicht worden: i. 1 000 Richter und Staatsanwälte, davon 820 tätig, 500 Rechtspfleger, davon 500 tätig. 2. Der Einsatz von pensionierten Richtern, Staatsanwälten, Rechtspflegern und Urkundsbeamten zeigt leider immer noch ein unbefriedigendes Ergebnis, obwohl bürokratische Hemmnisse beseitigt wurden. Statt der angestrebten Zahl von 500 sind es jetzt erst ganze 68. Man sollte also mehr für ein Seniorenmodell werben. 3. Die Bundesförderung für die Neueinstellung von Richtern, Rechtsanwälten, Rechtspflegern - insgesamt sollen es 300 sein -, wird von den neuen Ländern voll in Anspruch genommen. Diese Gesamtförderung wird 1993 mit 107,5 Millionen DM fortgesetzt, wobei wir die Unterstützung bei der EDV-Ausstattung der Grundbuchämter erneut mit einschließen. Natürlich besteht auch darüber hinaus für die Folgejahre noch Handlungsbedarf. Ich möchte aber heute auch allen danken, die in den neuen Bundesländern auf Dauer oder vorübergehend beim schwierigen Aufbau des Rechtsstaates mitwirken. Sie tragen entscheidend dazu bei, das Vertrauen in unseren Staat zu stärken. Für ganz Deutschland gilt gleiches Recht, und damit muß auch die gleiche Rechtswirklichkeit einhergehen. Allerdings müssen wir in diesem Zusammenhang auch einige selbstkritische Fragen stellen: - Was bremst und blockiert eigentlich den Wiederaufbau im 8846* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Osten? — Sind es nicht vielfach bürokratische Hemmnisse, ist es nicht vor allem unser Gesetzesperfektionismus, der schon den Wirtschaftsstandort Westdeutschland mehr als genug belastet? Insoweit muß dringend geprüft werden, ob und wie Maßnahmegesetze zur Beschleunigung — so wie im Verkehrsbereich — auch im Umwelt- und Baubereich für eine begrenzte Zeit einzuführen sind. Die Ungeduld und Unzufriedenheit vieler Landsleute mit bestimmten Verwaltungsabläufen ist verständlicherweise groß. Wir als Gesetzgeber sind darüber hinaus gefordert, bei der Aufarbeitung des DDR-Unrechts zügig fortzufahren. In den letzten 12 Monaten sind wir bereits ein gutes Stück vorangekommen. Ich nenne hier das 1. SED-Unrechts-Bereinigungsgesetz sowie das 2. Vermögensrechts-Änderungsgesetz. Es sind noch gesetzliche Regelungen zur Wiedergutmachung von Berufs- und Verwaltungsunrecht zu beschließen und vor allem das in Kürze vorliegende Entschädigungsgesetz. Die Erwartung aller Betroffenen ist in diesem Bereich besonders groß. Die Höhe der Entschädigung bei Unmöglichkeit der Rückgabe — gleich aus welchen Gründen — muß sich leider auch an den finanziellen Möglichkeiten orientieren. Dasselbe gilt für die Ausgleichsleistungen für besatzungsrechtliche Enteignungen in der Zeit von 1945 bis 1949. Die Anerkennung der Bodenreform auf Grund der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen und _des Einigungsvertrages stellen für den betroffenen Personenkreis eine besondere Härte dar. Die Rückgabe des oft unter unvorstellbaren Bedingungen enteigneten Besitzes wurde ausgeschlossen, obwohl gerade im Bereich der Land- und Forstwirtschaft oft noch wesentliche Teile des Altbesitzes für eine Rückübertragung verfügbar wären. Es ist deshalb dringend geboten, den Anspruch von Alteigentümern auf das geplante Wiedereinrichtermodell ausdrücklich festzuschreiben. Für die nach 1949 Enteigneten sollte noch einmal überprüft werden, ob das bisher geltende Wahlrecht: Rückgabe oder Entschädigung nicht auch künftig beizubehalten ist, da bereits Fälle bekannt wurden, wo Anspruchsberechtigte im Vertrauen auf das geltende Vermögensgesetz freiwillig auf ihren Besitz verzichtet haben, um kommunale Planungen zu ermöglichen. Wichtig ist auch, daß Vertriebene vor allem jenseits von Oder und Neiße, die nach 1945 ihren ständigen Aufenthalt in der früheren DDR genommen haben, eine einmalige Zuwendung von 4 000 DM erhalten sollen, da sie von der in Westdeutschland durchgeführten Lastenausgleichsregelung nicht begünstigt wurden. Zur sozialen Gerechtigkeit gehört selbstverständlich, daß mit dem geplanten Entschädigungsgesetz bei Rückgabe von Vermögenswerten auch der gezahlte Lastenausgleich zurückzuzahlen ist und daß darüber hinaus wegen des Ungleichgewichts zwischen Sachwert bei Rückgabe und Entschädigung eine Vermögensabgabe erhoben werden soll. Zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts gehört ferner, daß die Verfolgung von Regierungskriminalität zügig vorangetrieben wird. Bund und Länder hatten vereinbart, 60 Staatsanwälte zum Kammergericht nach Berlin zu delegieren. Als einziges Bundesland hat das Saarland sich bisher geweigert, seinen Anteil, der sowieso nur aus einem Staatsanwalt besteht, zu leisten. Ein vergleichbar unwürdiges Verhalten konnte man übrigens auch bei anderen SPD-regierten Ländern in der Vergangenheit bereits feststellen, wenn es um die Finanzierung der zentralen Dokumentationsstelle Salzgitter ging. Die Mitarbeiter dieser Einrichtung haben in vorbildlicher Weise Unrechtstatbestände ermittelt und die dafür Verantwortlichen festgestellt. Großen Unmut in der Bevölkerung gibt es verständlicherweise über Fälle von Bereicherung in der früheren DDR, die bis heute nicht rückgängig gemacht wurden. Einige Beispiele dafür hat BILD am Sonntag gerade in der letzten Ausgabe dargestellt. Da wird Herr Diestel ebenso erwähnt wie sein damaliger Stellvertreter Müller, aber auch eine Reihe von Generälen der NVA, u. a. der Chef der DDR-Grenztruppen sowie der frühere Polizeipräsident von Berlin. Bei beiden stellt sich übrigens nicht nur die Frage der Überprüfung der Grundstücksgeschäfte, sondern auch nach deren strafrechtlicher Verantwortung auf Grund ihrer früheren Tätigkeit. Die Reformaufgaben der Justiz werden — wenn auch nicht im gleichen Tempo wie in den vergangenen Jahren — fortgeführt. Dabei steht volumenmäßig die Überprüfung des Nichtehelichenrechts im Vordergrund. Das Justizministerium muß aber jetzt mit besonderer Priorität Änderungen im Ausländer- und Asylrecht vorbereiten. Die Erfahrungen der letzten Monate, insbesondere der letzten Wochen, zeigen, mit welcher Dringlichkeit auch eine Grundgesetzänderung zum Schutz des Asylrechts und gegen den ungezügelten Mißbrauch durch Wirtschaftsflüchtlinge erfolgen muß. Abschließend möchte ich mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesjustizministerium bedanken, die auch in diesem Jahr in besonderer Weise Mehrarbeit für den Aufbau des Rechtsstaats in den neuen Bundesländern zu leisten hatten.
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    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Außenpolitik gehört, auch wenn es die Mittagsstunde ist, zur Haushaltsdebatte. Zwei Flugstunden von uns entfernt, mitten im Herzen Europas, wütet weiterhin ein blutiger Vernichtungs- und Vertreibungskrieg. Auch im Kaukasus und anderen Regionen der ehemaligen Sowjetunion sind mit der wiedergewonnenen Freiheit jahrhundertealte nationale, religiöse und ethnische Feindseligkeiten zurückgekehrt. In Somalia haben Hunger, Anarchie und Terror ein nahezu unfaßbares Ausmaß angenommen. Die Hoffnungen, die wir nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes mit der Schaffung einer neuen Weltordnung verbunden haben, haben unzweideutig einen Rückschlag erlitten. Unsere Erwartungen in die politische Vernunft und Toleranz wurden enttäuscht, bitter enttäuscht.
    Kein Zweifel, diese Entwicklungen, die uns täglich über die Medien vor Augen geführt werden, setzen die Autorität und Glaubwürdigkeit unseres gemeinsamen Neuanfangs in Europa, die Handlungsfähigkeit der Völkergemeinschaft und der Vereinten Nationen einer schweren Belastungsprobe aus.
    Europa und die Welt: Machtlos angesichts von Gewalt und Elend? Das ist die Frage, die uns betroffen macht. Es gibt hierauf keine einfachen Antworten, keine schnellen Lösungen. Das Ausmaß an Haß und Feindseligkeiten, das sich zwischen den im ehemaligen Jugoslawien lebenden Menschen über Jahrzehnte angesammelt hat, macht dies beim besten Willen auch nicht möglich. Zudem sind wir erst in den Anfängen einer wirksamen globalen und regionalen kollektiven Sicherheitsarchitektur. Die Krisen sind schneller gewachsen als die Instrumente zu ihrer



    Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
    Bewältigung. Aber, einfach akzeptieren, wie begrenzt die Handlungsfähigkeit der multilateralen Institutionen und unsere eigene ist, das darf nicht sein. Resignieren wäre das falscheste. Alle politischen, wirtschaftlichen, friedlichen Mittel zur Beendigung des Mordens im ehemaligen Jugoslawien müssen ausgeschöpft werden. Das ist alternativlos.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich bin skeptisch nach London gereist. Die Fortdauer der schweren Kämpfe in Bosnien-Herzegowina nach der Londoner Konferenz ist nicht ermutigend. Ich muß befürchten, daß nicht Einsicht die Waffen zum Schweigen bringen wird, sondern nur äußerster Druck z. B. in Form

    (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU])

    einer völligen und wasserdichten Blockade des Aggressors. Selbst das mag zu keinem baldigen Ende des Mordens führen. Ich finde, daß es auch zur Glaubwürdigkeit der Politik, der Politiker gehört, offen zu sagen, daß die Probleme des früheren Jugoslawiens wohl auf absehbare Zeit leider nicht lösbar sind, und daß die Handlungsfähigkeit aller — und es sind viele, die sich um die Lösung bemühen — begrenzt ist.
    Immerhin: Die Londoner Konferenz hat eine Reihe von Ergebnissen gebracht, in denen unsere von Anfang an entschiedene Haltung bestätigt wurde: eine klare und vollständige Isolierung der serbischen Seite sowie das unmißverständliche Signal: Die Völkergemeinschaft wird sich — Herr Bundeskanzler, Sie haben das schon heute morgen gesagt — mit der serbischen Politik der vollendeten Tatsachen nicht abfinden und niemals gewaltsam veränderte Grenzen anerkennen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Es ist gelungen, den Führern der bosnischen Serben zumindest klarzumachen, was geschehen muß: die Kontrolle schwerer Waffen, die Auflösung der Gefangenenlager und vieles mehr. Der Prinzipienkatalog von London enthält wesentliche deutsche Vorstellungen. Unsere Forderung nach einem internationalen Strafgerichtshof zur Ahndung von Völkermord und schweren Menschenrechtsverletzungen hat erstmals in einem weiten internationalen Rahmen Unterstützung gefunden.
    Auch hinsichtlich der lückenlosen Durchführung der Sanktionen gegen Serbien und Montenegro sind wir einen erheblichen Schritt weitergekommen. Wichtig ist jetzt die Ausdehnung der Kontrollmaßnahmen auf den Schiffsverkehr auf der Donau und auf die Transitwege. Wir werden im Rahmen unserer Möglichkeiten — verfassungsrechtlich haben wir unsere Probleme — versuchen zu helfen.
    Ich möchte an dieser Stelle erneut, weil ich glaube, daß es angebracht und auch wichtig ist, allen Soldaten und zivilen Bediensteten danken, die unter der Flagge der Vereinten Nationen im ehemaligen Jugoslawien mit großem Mut und Opferbereitschaft für den Frieden und die Menschen einstehen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ich möchte auch den Familien der italienischen Flugzeugbesatzung und der französischen Soldaten, die gestern im UNO-Einsatz ihr Leben gelassen haben, sagen, daß ihnen unsere tiefe Anteilnahme gehört.
    Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang bleibt für die Bundesregierung die humanitäre Hilfe, vor allem angesichts des kommenden Winters. Hier geht es neben der Versorgung der Flüchtlinge in erster Linie um die ortsnahe Erstellung von Unterkünften winterfester Art. Wir haben von der Bundesregierung hierfür — ich habe das schon das letzte Mal hier vortragen können — über 50 Millionen DM zusätzlich bereitgestellt. Das, was wir an humanitärer Hilfe tun — es ist Ersatz für manches andere, was wir nicht tun können; ich empfinde es als Außenminister jedenfalls so —, kann sich sehen lassen. Wir haben über 200 Millionen DM aufgebracht. Wir haben inzwischen 220 000 Menschen aus dem früheren Jugoslawien hier bei uns aufgenommen. Die Bundeswehr hat bislang — ich nehme an, daß Herr Kollege Rühe noch darauf eingehen wird — in über 150 Hilfsflügen allein nach Sarajevo 1 600 t an Gütern gebracht. Wir liegen im übrigen — ich sage dies, weil auch das immer wieder kritisiert wird — mit diesen Transporten und unserer Hilfe an zweiter Stelle.
    Unsere Hilfe ist nicht auf Europa beschränkt. Wir haben uns mit unseren Mitteln auch für einen anderen schrecklichen Krisenherd auf dieser Erde, für Somalia, eingesetzt, wohin wir mit einer Luftbrücke Nahrungsmittel und Medikamente transportieren. Auch da haben wir finanziell erheblich aufgestockt. Ich möchte, so wie ich das auch schon das letzte Mal getan habe, sagen, daß die Bundesregierung bei dieser Hilfsaktion von unserer Bevölkerung in einmaliger Weise unterstützt worden ist. Ich möchte das gerade zu einem Zeitpunkt sagen, zu dem eine Minderheit von Fanatikern und Extremisten Schande — das ist der richtige Ausdruck; er fiel schon heute morgen einmal in diesem Hause — über unser Land bringt.
    Ich wurde gerade als Außenminister in den letzten Tagen außerordentlich häufig nach den Ereignissen von Rostock und anderswo gefragt. Ich habe in meiner Antwort eigentlich immer einen Satz in den Mittelpunkt gestellt. Ich habe versucht, den Menschen draußen zu sagen: Dieses Land, dieses wiedervereinigte Deutschland ist nicht ausländerfeindlich.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Richtig, die Bilder von Rostock sind um die Welt gegangen, und die Telegramme, die ich dazu weltweit aus unseren Botschaften und aus unseren Konsulaten bekomme, sind nicht erfreulich. Das muß ich deutlich sagen. Die Bilder aus Rostock wecken bei unseren Nachbarn und Freunden alte Besorgnisse. Aber ich sage noch einmal — ich bin überzeugt davon —: Wir haben aus unserer Vergangenheit gelernt und wissen, daß gerade das wiedervereinigte Deutschland allen Grund hat, mit Ausländern fair und human umzugehen. Unser Volk zeigt u. a. durch das, was ich vorhin erläutert habe — wie ich finde, auf vielfältige, bewundernswerte Art und Weise —, seine humanitäre Einstellung. Auch das sollten wir nach draußen sagen dürfen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)




    Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
    Meine Damen und Herren, deutsche Außenpolitik bleibt auf breiter Ebene im Interesse der Menschen und unseres Landes gefordert. Wichtiges außenpolitisches Ziel ist und bleibt — gerade in der jetzigen Lage — der Zusammenschluß der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Union. Gewiß, manches gerade im Zusammenhang mit den Ereignissen im früheren Jugoslawien wirft die Frage nach der in Maastricht beschlossenen gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik auf. Die Unwägbarkeiten der Entwicklungen östlich von uns machen die Gemeinschaft als Stabilitätsanker in stürmischer See aber notwendiger denn je. Deshalb geht es bei dem bevorstehenden Referendum in Frankreich auch um unser gemeinsames Schicksal als Europäer. Roland Dumas hat bei der Londoner Konferenz in einem geradezu beschwörenden Appell die deutsch-französische Versöhnung und Freundschaft als beispielhaft auch für die Konfliktparteien im ehemaligen Jugoslawien bezeichnet.
    Die Vertiefung der europäischen Integration zur Europäischen Union ist eine entscheidende Voraussetzung für die wirtschaftliche und politische Stabilisierung Osteuropas und der GUS. Für unsere kleineren mittel- und osteuropäischen Nachbarn ist die schrittweise Einbindung in die europäische Stabilitätszone sozusagen das Licht am Ende eines langen Tunnels. Als unmittelbare Nachbarn und auf Grund unserer traditionell engen wirtschaftlichen und kulturellen Bindungen sind wir in diesem Raum mehr als andere EG-Partner engagiert. Wir haben uns auch dieser gewaltigen Aufgabe, wie ich finde, in einer vorbildlichen und vom Ausland durchaus beachteten Art und Weise angenommen.
    Von uns als einem vereinten und souveränen Land wird in Zukunft, meine Damen und Herren, ein wesentlich stärkerer Beitrag zur weltweiten Friedenssicherung verlangt und erwartet. Wir wollen dem durch unseren Einsatz für eine Stärkung der Vereinten Nationen, für die Weiterentwicklung der internationalen Rechtsordnung und für eine faire Partnerschaft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern nachkommen. Eine vernünftige Alternative zu dem Weg verstärkter internationaler und supranationaler Zusammenarbeit gibt es nicht.
    Die Vereinten Nationen zu einem wirksamen Instrument kollektiver Sicherheit und zum zentralen Handlungsforum einer neuen, von Recht und Gerechtigkeit bestimmten Weltinnenpolitik zu machen, erfordert allerdings Opfer. Die Vereinten Nationen sind immer nur so handlungsfähig, wie es ihre Mitglieder erlauben. Hier sind auch wir nun gefordert, nicht nur alle Rechte, sondern eben auch alle Pflichten eines Mitgliedstaates der Völkerfamilie zu übernehmen, und zwar nicht in einer fernen Zukunft, sondern gerade jetzt, wo der Generalsekretär kaum mehr weiß, wie er den Hilferufen aus aller Welt nachkommen soll.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ich stelle mit Befriedigung fest, daß die SPD in dieser so wichtigen Frage eine Tendenzwende zeigt, daß sich durchsetzt, daß auf Dauer nur der glaubwürdig bleibt, der Menschenrechte nicht nur einfordert, sondern sie im Notfall auch verteidigt. Ich begrüße diese Entwicklung nicht nur deshalb, weil wir für die erforderliche Anpassung des Grundgesetzes eine Zweidrittelmehrheit benötigen, sondern weil es mir ein Anliegen ist, meine Damen und Herren von der SPD, den Konsens zwischen allen demokratischen Kräften in den Grundfragen unserer Außen- und Sicherheitspolitik zu erhalten. Denn das ist für den Erfolg, den wir alle wollen, außerordentlich wichtig.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich möchte deshalb die SPD darin bestärken, ihre sich bisher auf Blauhelmeinsätze beschränkende Haltung zu ändern, und möchte das mit dem Satz ausdrücken: Es kann für uns keine UN-Mitgliedschaft à la carte geben. Ein solcher deutscher Sonderanspruch würde nicht nur das zunehmende — nehmen Sie mir das ab — Unbehagen der Weltöffentlichkeit an der gegenwärtigen deutschen Haltung verfestigen. Er würde auch — ich habe das hier schon einmal gesagt und sage es mit großem Ernst — unsere Bündnisfähigkeit in der NATO und auch — wenn darüber gesprochen wird — in der Westeuropäischen Union beeinträchtigen. Es darf eben kein Mißverhältnis zwischen unserem verbalen Engagement für die Menschenrechte und unserer faktischen Bereitschaft, an ihrer politischen Umsetzung mitzuwirken, geben.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Mindestens eine Gewißheit drängt sich nach den schrecklichen Ereignissen im früheren Jugoslawien auf, die Gewißheit, daß, wenn alle anderen Mittel versagen, notfalls — ich sage wirklich „notfalls" —, nur im alleräußersten Notfall, das Recht mit Gewalt gegen den Rechtsverletzer geschützt werden muß. Unsere Freunde haben recht — eine übrigens zunehmende Argumentation —, wenn sie uns sagen, daß dies doch auch eine Lehre aus unserer eigenen unheilvollen Geschichte ist. Was wäre denn heute in Deutschland, wenn die Alliierten damals nicht dem Aggressor entgegengetreten wären?

    (Zuruf von der F.D.P.: Sehr richtig!)

    Die Charta der Vereinten Nationen hat diese Lehre beherzigt. Es muß uns deshalb möglich werden, daß die Bundeswehr unter dem Dach der Vereinten Nationen mit Zustimmung des Deutschen Bundestages an friedenssichernden wie auch an friedenschaffenden Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta teilnehmen kann. Wir müssen gemeinsam den Mut haben, die Normalisierung unserer Lage als Nation anzunehmen und daraus für unsere internationale Handlungsfähigkeit die Konsequenzen zu ziehen. Das heißt nicht — ich betone es mit Nachdruck —, daß wir unsere Geschichte abstreifen oder vergessen wollen. Genau das Gegenteil! Ich betone ausdrücklich: Was von Deutschen in der Vergangenheit — übrigens auch durch von Politik fehlgeleiteten Soldaten — ausgegangen ist, darf und kann nicht vergessen werden. Aber wir müssen aus der Vergangenheit heraus die Kraft und den Mut für eine bessere Zukunft schöpfen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)






Rede von Dieter-Julius Cronenberg
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Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klose?

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