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    Plenarprotokoll 12/103 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 103. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Inhalt: Begrüßung einer Delegation des ungarischen Parlaments 8785 D Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltspians fur das Haushaltsjahr 1993 (Haushaltsgesetz 1993) (Drucksache 12/3000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1992 bis 1996 (Drucksache 12/3100) Hans-Ulrich Klose SPD 8713B, 8761D Dr. Wolfgang Bötsch CDU/CSU 8721B Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . 8725B, 8754 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 8729 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 8730C Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8733 D Dr. Helmut Kohl Bundeskanzler BK 8736A, 8745C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8745 A Björn Engholm, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein . . . . . 8746A, 8755B Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . 8750 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU 8755C, 8762B Franz Müntefering SPD 8759 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA 8762 D Hans-Ulrich Klose SPD 8765 A Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 8766 A Ulrich Irmer F D P. 8767 D Volker Rühe, Bundesminister BMVg . . 8769 D Walter Kolbow SPD 8773 B Paul Breuer CDU/CSU 8775 A Dr. Klaus Rose CDU/CSU 8776 C Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . 8778 B Dr. Sigrid Hoth F D P 8781 B Dr. Karl-Heinz Hornhues . . . . 8782C, 8798B Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 8784 B Hans-Gerd Strube CDU/CSU 8786A Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 8787 B Carl-Ludwig Thiele F D P 8788 B Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 8790 A Dr. Ingomar Hauchler SPD 8792 A Hans-Peter Repnik CDU/CSU 8793 D Werner Zywietz F.D.P. . . . . . . . . 8794 D Dr. Ingomar Hauchler SPD 8795 B Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8796 B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8799 B Ortwin Lowack fraktionslos 8800 C Ulrich Briefs fraktionslos 8802 B Rudolf Seiters, Bundesminister BMI . . 8804 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . 8806A, 8815C Gerd Wartenberg (Berlin) SPD 8809C Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . 8813D Gerd Wartenberg (Berlin) SPD . . . 8817C Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 8818C Ina Albowitz F D P 8820 B Freimut Duve SPD 8822A, 8826 B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8822D, 8841 C Freimut Duve SPD 8823 C Karl Deres CDU/CSU 8824 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . 8826 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 8829 A Dr. Hans de With SPD 8831 B Norbert Geis CDU/CSU 8834 B Dr. Hans de With SPD 8834 D Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 8836 A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 8836D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 8838 C Dr. Michael Luther CDU/CSU 8840B Dr. Norbert Geis CDU/CSU 8842 D Tagesordnungspunkt 4: a) Fortsetzung der Beratung (Abstimmung) der Entschließungsanträge der Fraktion der SPD zum Nachtragshaushaltsgesetz 1992 (Drucksachen 12/2910, 12/2911) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu den dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 1/92 und 2 BvE 2/92 (Drucksache 12/3195) Ortwin Lowack fraktionslos (Erklärung nach § 31 GO) 8804 A Nächste Sitzung 8843 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 8845* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1993) Michael von Schmude CDU/CSU . . . . 8845* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 8713 103. Sitzung Bonn, den 9. September 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 09. 09. 92*** Antretter, Robert SPD 09. 09. 92* Dr. Blank, CDU/CSU 09. 09. 92** Joseph-Theodor Blunck, Lieselott SPD 09. 09. 92* Böhm (Melsungen), CDU/CSU 09. 09. 92* Wilfried Brandt, Willy SPD 09. 09. 92 Clemens, Joachim CDU/CSU 09. 09. 92 van Essen, Jörg F.D.P. 09. 09. 92*** Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 09. 09. 92*** Friedrich, Horst F.D.P. 09. 09. 92 Dr. Fuchs, Ruth PDS/LL 09. 09. 92 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 09. 09. 92*** Gattermann, Hans H. F.D.P. 09. 09. 92 Haschke CDU/CSU 09.09.92 (Großhennersdorf), Gottfried Dr. Holtz, Uwe SPD 09. 09. 92*** Jaunich, Horst SPD 09. 09. 92 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 09. 09. 92 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 09. 09. 92*** Oesinghaus, Günther SPD 09. 09. 92 Opel, Manfred SPD 09. 09. 92** Pfuhl, Albert SPD 09. 09. 92 Poß, Joachim SPD 09. 09. 92 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 09. 09. 92* Reddemann, Gerhard CDU/CSU 09. 09. 92* Regenspurger, Otto CDU/CSU 09. 09. 92 Rempe, Walter SPD 09. 09. 92 Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 09. 09. 92** Helmut Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 09. 09. 92 Scharrenbroich, Heribert CDU/CSU 09. 09. 92*** Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 09. 09. 92 Schulte (Hameln), SPD 09. 09. 92** Brigitte Schuster, Hans F.D.P. 09. 09. 92 Dr. Stercken, Hans CDU/CSU 09. 09. 92*** Weyel, Gudrun SPD 09. 09. 92*** Dr. Wieczorek, Norbert SPD 09. 09. 92 Dr. Wieczorek CDU/CSU 09. 09. 92 (Auerbach), Bertram Wittmann (Tännesberg), CDU/CSU 09. 09. 92 Simon Zierer, Benno CDU/CSU 09. 09. 92* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates **für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung *** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1993) Michael von Schmude (CDU/CSU): Der einigungsbedingte Mehraufwand im Justizetat 1993 unterstreicht erneut den festen Willen von Regierung und Parlament, den Aufbau des Rechtsstaates weiter voranzutreiben und zu konsolidieren. Bei der Haushaltsdebatte 1991 wurde sehr zu Recht die schleppende Abwicklung von Gerichtsverfahren, die totale Überlastung der Grundbuch- und Katasterämter beklagt. Inzwischen hat sich trotz noch immer vorhandener Mängel auch vieles überaus positiv entwickelt. Wer hätte gedacht, daß nach den ersten Erfahrungen-wir mußten ja nach der Säuberung der alten DDR-Justiz in den meisten Bereichen bei Null anfangen - eine derart große Zahl von Juristen für die neuen Bundesländer gewonnen werden könnte. Erinnern wir uns: Es gab dort zur Zeit der Wende 1989 ganze 600 Rechtsanwälte, heute sind es immerhin schon 3 200. Das von der Bundesregierung initiierte Modell „Aufbau des Rechtsstaates" leistet nunmehr einen entscheidenden Beitrag zur Personalausstattung der Gerichte und Grundbuchämter in den neuen Ländern. War es 1991 noch ein Etatansatz von 117,4 Millionen DM, der nur mit 53,5 Millionen ausgenutzt werden konnte, so mußten wir bereits in diesem Jahr den vorgesehenen Betrag von 104,5 Millionen DM noch um Haushaltsreste aus 1991 von rund 19 Millionen DM für EDV-Maßnahmen aufstocken. Damit sind die Zielvorgaben per heute wie folgt verwirklicht worden: i. 1 000 Richter und Staatsanwälte, davon 820 tätig, 500 Rechtspfleger, davon 500 tätig. 2. Der Einsatz von pensionierten Richtern, Staatsanwälten, Rechtspflegern und Urkundsbeamten zeigt leider immer noch ein unbefriedigendes Ergebnis, obwohl bürokratische Hemmnisse beseitigt wurden. Statt der angestrebten Zahl von 500 sind es jetzt erst ganze 68. Man sollte also mehr für ein Seniorenmodell werben. 3. Die Bundesförderung für die Neueinstellung von Richtern, Rechtsanwälten, Rechtspflegern - insgesamt sollen es 300 sein -, wird von den neuen Ländern voll in Anspruch genommen. Diese Gesamtförderung wird 1993 mit 107,5 Millionen DM fortgesetzt, wobei wir die Unterstützung bei der EDV-Ausstattung der Grundbuchämter erneut mit einschließen. Natürlich besteht auch darüber hinaus für die Folgejahre noch Handlungsbedarf. Ich möchte aber heute auch allen danken, die in den neuen Bundesländern auf Dauer oder vorübergehend beim schwierigen Aufbau des Rechtsstaates mitwirken. Sie tragen entscheidend dazu bei, das Vertrauen in unseren Staat zu stärken. Für ganz Deutschland gilt gleiches Recht, und damit muß auch die gleiche Rechtswirklichkeit einhergehen. Allerdings müssen wir in diesem Zusammenhang auch einige selbstkritische Fragen stellen: - Was bremst und blockiert eigentlich den Wiederaufbau im 8846* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Osten? — Sind es nicht vielfach bürokratische Hemmnisse, ist es nicht vor allem unser Gesetzesperfektionismus, der schon den Wirtschaftsstandort Westdeutschland mehr als genug belastet? Insoweit muß dringend geprüft werden, ob und wie Maßnahmegesetze zur Beschleunigung — so wie im Verkehrsbereich — auch im Umwelt- und Baubereich für eine begrenzte Zeit einzuführen sind. Die Ungeduld und Unzufriedenheit vieler Landsleute mit bestimmten Verwaltungsabläufen ist verständlicherweise groß. Wir als Gesetzgeber sind darüber hinaus gefordert, bei der Aufarbeitung des DDR-Unrechts zügig fortzufahren. In den letzten 12 Monaten sind wir bereits ein gutes Stück vorangekommen. Ich nenne hier das 1. SED-Unrechts-Bereinigungsgesetz sowie das 2. Vermögensrechts-Änderungsgesetz. Es sind noch gesetzliche Regelungen zur Wiedergutmachung von Berufs- und Verwaltungsunrecht zu beschließen und vor allem das in Kürze vorliegende Entschädigungsgesetz. Die Erwartung aller Betroffenen ist in diesem Bereich besonders groß. Die Höhe der Entschädigung bei Unmöglichkeit der Rückgabe — gleich aus welchen Gründen — muß sich leider auch an den finanziellen Möglichkeiten orientieren. Dasselbe gilt für die Ausgleichsleistungen für besatzungsrechtliche Enteignungen in der Zeit von 1945 bis 1949. Die Anerkennung der Bodenreform auf Grund der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen und _des Einigungsvertrages stellen für den betroffenen Personenkreis eine besondere Härte dar. Die Rückgabe des oft unter unvorstellbaren Bedingungen enteigneten Besitzes wurde ausgeschlossen, obwohl gerade im Bereich der Land- und Forstwirtschaft oft noch wesentliche Teile des Altbesitzes für eine Rückübertragung verfügbar wären. Es ist deshalb dringend geboten, den Anspruch von Alteigentümern auf das geplante Wiedereinrichtermodell ausdrücklich festzuschreiben. Für die nach 1949 Enteigneten sollte noch einmal überprüft werden, ob das bisher geltende Wahlrecht: Rückgabe oder Entschädigung nicht auch künftig beizubehalten ist, da bereits Fälle bekannt wurden, wo Anspruchsberechtigte im Vertrauen auf das geltende Vermögensgesetz freiwillig auf ihren Besitz verzichtet haben, um kommunale Planungen zu ermöglichen. Wichtig ist auch, daß Vertriebene vor allem jenseits von Oder und Neiße, die nach 1945 ihren ständigen Aufenthalt in der früheren DDR genommen haben, eine einmalige Zuwendung von 4 000 DM erhalten sollen, da sie von der in Westdeutschland durchgeführten Lastenausgleichsregelung nicht begünstigt wurden. Zur sozialen Gerechtigkeit gehört selbstverständlich, daß mit dem geplanten Entschädigungsgesetz bei Rückgabe von Vermögenswerten auch der gezahlte Lastenausgleich zurückzuzahlen ist und daß darüber hinaus wegen des Ungleichgewichts zwischen Sachwert bei Rückgabe und Entschädigung eine Vermögensabgabe erhoben werden soll. Zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts gehört ferner, daß die Verfolgung von Regierungskriminalität zügig vorangetrieben wird. Bund und Länder hatten vereinbart, 60 Staatsanwälte zum Kammergericht nach Berlin zu delegieren. Als einziges Bundesland hat das Saarland sich bisher geweigert, seinen Anteil, der sowieso nur aus einem Staatsanwalt besteht, zu leisten. Ein vergleichbar unwürdiges Verhalten konnte man übrigens auch bei anderen SPD-regierten Ländern in der Vergangenheit bereits feststellen, wenn es um die Finanzierung der zentralen Dokumentationsstelle Salzgitter ging. Die Mitarbeiter dieser Einrichtung haben in vorbildlicher Weise Unrechtstatbestände ermittelt und die dafür Verantwortlichen festgestellt. Großen Unmut in der Bevölkerung gibt es verständlicherweise über Fälle von Bereicherung in der früheren DDR, die bis heute nicht rückgängig gemacht wurden. Einige Beispiele dafür hat BILD am Sonntag gerade in der letzten Ausgabe dargestellt. Da wird Herr Diestel ebenso erwähnt wie sein damaliger Stellvertreter Müller, aber auch eine Reihe von Generälen der NVA, u. a. der Chef der DDR-Grenztruppen sowie der frühere Polizeipräsident von Berlin. Bei beiden stellt sich übrigens nicht nur die Frage der Überprüfung der Grundstücksgeschäfte, sondern auch nach deren strafrechtlicher Verantwortung auf Grund ihrer früheren Tätigkeit. Die Reformaufgaben der Justiz werden — wenn auch nicht im gleichen Tempo wie in den vergangenen Jahren — fortgeführt. Dabei steht volumenmäßig die Überprüfung des Nichtehelichenrechts im Vordergrund. Das Justizministerium muß aber jetzt mit besonderer Priorität Änderungen im Ausländer- und Asylrecht vorbereiten. Die Erfahrungen der letzten Monate, insbesondere der letzten Wochen, zeigen, mit welcher Dringlichkeit auch eine Grundgesetzänderung zum Schutz des Asylrechts und gegen den ungezügelten Mißbrauch durch Wirtschaftsflüchtlinge erfolgen muß. Abschließend möchte ich mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesjustizministerium bedanken, die auch in diesem Jahr in besonderer Weise Mehrarbeit für den Aufbau des Rechtsstaats in den neuen Bundesländern zu leisten hatten.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Renate Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Björn Engholm, hat das Wort.
    Ministerpräsident Björn Engholm (Schleswig-Holstein) (von der SPD mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Art. 65 der Verfassung heißt es recht unmißverständlich: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung."
    Ich stelle fest: Die Richtlinien der Politik waren in den letzten zwei Jahren nicht erkennbar und sie sind mit dem heutigen Debattenbeitrag nicht erkennbarer geworden.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Eine Rede, die auf dem Motto „Liebe, Glaube, Hoffnung" aufbaut, in einer kritischen Situation in Deutschland, die inzwischen auch von den konservativsten Köpfen in diesem Land erkannt wird, ist keine Antwort auf die Sorgen und Nöte der Menschen in dieser Zeit.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Bundeskanzler hat völlig legitim einen früheren Kanzler in Anspruch genommen: Ludwig Erhard. Nach der heutigen Rede erinnere ich mit Vergnügen an Konrad Adenauer. Er hätte die Rede, die heute gehalten worden ist, in einem Satz präziser zusammengefaßt: Meine Damen und Herren, die Lage war noch nie so ernst.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU)

    Diese Regierung gleicht einem Schiff, das bei schwerer See führerlos vor sich hintreibt.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Mannschaft, auch die, die hier drüben sitzt, bräuchte dringend ein klares Wort von der Kommandobrücke.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Das sage ich in kritischer Selbsteinschätzung. Das geht uns gelegentlich auch so. Aber die Offiziere palavern über die Wetteraussichten. Der letzte Lotse, der sich in den gefährlichen Gewässern ausgekannt hat, ist bereits vor Monaten von Bord gegangen. Und heute ist der Kapitän dabei, wie eh und je, sich auf „Wolke Sieben" aufzuhalten, statt das Schiff zu steuern.
    Das öffentliche Urteil über diese Regierung ist, sehr zart ausgedrückt, nicht gut. „Die Bundesregierung verfällt in blinden Aktionismus. Ihre Rezepte übertreffen sich an Unsinnigkeit, Undurchführbarkeit und Schädlichkeit". So der General-Anzeiger, Bonn. „Panik und Chaos", schreibt die „Frankfurter Rundschau" . Ich will nicht das wiederholen, was Herr Klose in sehr guten und nachlesenswerten Zitaten schon zum besten gegeben hat.

    (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Bitte!)

    Für mich ist das kein Grund zur Schadenfreude. Niemand von der Opposition wird bei einem solchen Verfall von Reputation der eigenen Regierung Schadenfreude empfinden,

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    zumal dann nicht, wenn die Sessel, auf denen Sie heute sitzen, in absehbarer Zeit von uns in Anspruch genommen werden sollen. Ich möchte einen heilen Sessel haben.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich habe die Verdienste, die sich Bundeskanzler Dr. Kohl und auch der ExAußenminister Hans-Dietrich Genscher um die Einheit erworben haben, nie geleugnet. Es wäre falsch, das zu tun. Ich habe heute allerdings Schwierigkeiten mit des Kanzlers Geschichtsverständnis. Ich habe zum erstenmal begriffen, daß der NATO-Doppelbeschluß der eigentliche Urvater der deutschen Einheit ist. Darüber gilt es nachzudenken.

    (Heiterkeit bei der SPD — Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Da haben Sie lange gebraucht!)

    Ich habe auch mit einer Reihe von anderen Aussagen beträchtliche Schwierigkeiten.

    (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist ein intellektuelles Problem!)

    Ich will daran erinnern: Als hier in diesen Bereichen rechts von mir — links von Ihnen aus gesehen — über eine Vertragsgemeinschaft der Deutschen gesprochen wurde, hatte Hans-Ulrich Klose lange seine erste Rede über die nationale Einheit der Deutschen gehalten. Im November 1989 war es der Fraktionsvorsitzende Hans-Jochen Vogel, der ein fast identisches Programm öffentlich vorgeschlagen hat, wie es später in Ihren Zehn Punkten auftauchte. Das ist nachlesbar.

    (Beifall bei der SPD — Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)

    Ich denke, daß wir uns da wechselseitig nur sehr marginal etwas vorwerfen können. In der entscheidenden Phase war in allen Fraktionen dieses Hauses der gute Wille vorhanden.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Was war denn mit Herrn Lafontaine? Der war doch Kanzlerkandidat! Oder gibt es den nicht mehr?)




    Ministerpräsident Björn Engholm (Schleswig-Holstein)

    Ich will mit Ihnen zwar nicht gemeinsam Geschichtsaufarbeitung betreiben, aber ich will noch einmal daran erinnern, daß es nicht dieser Teil des Hauses war, der sich gegen die Schlußakte von Helsinki wandte, sondern daß es jener Teil des Hauses war.

    (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wie war es denn mit der Staatsbürgerschaft?)

    Herr Klose hat darauf hingewiesen — ich wiederhole das —: Wir sind es gewesen, die Ihnen immer wieder die Hand zur Gemeinsamkeit in den wenigen Fragen ausgestreckt haben, bei denen es um das innere Zusammenwachsen von Deutschen in Ost und West ging. Sie haben dieses Angebot entweder nicht oder aber, wie sich später herausstellte, mit taktischen Hintergedanken genutzt.
    Es wird heute höchste Zeit, daß die Wahrheit über die Entwicklung in diesem Lande ungeschminkt auf den Tisch kommt. Die Wahrheit auf den Tisch legen ist grundsätzlich Voraussetzung für Gespräche, die nun wieder angestrebt werden. Das heißt: Ich möchte präzise Vorschläge, konkrete Zielbestimmungen und einen sauberen nachprüfbaren Finanzstatus, bevor wir uns wieder an den runden Tisch begeben.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich möchte ein paar Bemerkungen zur Wirklichkeit in Deutschland machen. Ich will sie so ungeschminkt machen, wie ich sie eigentlich von Ihnen erwartet hatte.
    Die Wirklichkeit im neuen zusammenwachsenden Deutschland ist zunächst einmal eine unglaubliche Massenarbeitslosigkeit im Osten Deutschlands. Die statistischen Zahlen, die wir lesen, besagen nicht einmal die halbe Wahrheit. Zählen wir alle Menschen zusammen, die direkt oder mittelbar von Arbeitslosigkeit betroffen sind oder nur Übergangsmöglichkeiten gefunden haben, dann kommen wir in Mecklenburg zu erschreckenden Größenordnungen. Selbst in den wenigen Wachstumszentren der neuen Länder finden wir Arbeitslosigkeit, die in hohe, sehr hohe zweistellige Prozentsätze reicht.
    Die Bundesregierung hat heute auch darauf keine Antwort gegeben. Sie hält, wenn ich es richtig sehe, statt dessen an der Kürzung der Mittel fest, die notwendig wären, um die Arbeitsmarktförderinstrumente auszuweiten, statt sie einzuschränken.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Die Wirklichkeit in Deutschland ist der gnadenlose und freie Fall der ostdeutschen Industrie. Ganze Industrieregionen gehen in die Knie. Industriebrachen drohen zu entstehen, obwohl alle Ökonomen Ihnen heutzutage sagen: Hier wird das Schicksal der ostdeutschen Zukunft entschieden.
    Deshalb sage ich Ihnen: Industriepolitik, Strukturpolitik sind Fremdworte in dieser Regierung — mit geradezu furchterregenden Konsequenzen wahrscheinlich für Jahrzehnte.

    (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Die Wirklichkeit in diesem Lande heißt Wohnungsnot. Ich finde, alle Liberalen, die Verfechter des reinen Prinzips des Marktes, hätten heute, Graf Lambsdorff, ein Wort dazu sagen müssen, daß ein Markt nicht funktioniert, wenn Angebot und Nachfrage nicht in einem minimalen Gleichgewicht sind. Und das ist heutzutage nicht der Fall.

    (Beifall bei der SPD)

    Die schlimme Entwicklung besagt auch, daß in der alten DDR 94 % der Frauen berufstätig waren. Heute sind sie zu 60 % arbeitslos. Das heißt, sehr deutlich gesagt, die Gleichstellung der Frauen, zunächst in Ostdeutschland, aber schleichend auch den Westen dieses Landes erreichend, kommt unter die Räder. Und die Regierung sieht tatenlos zu.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir müssen ferner sehen, daß die schweren wirtschaftlichen Probleme, die sich in den neuen Ländern entwickeln, jetzt auch dazu beitragen, die wirtschaftliche Situation in Gesamtdeutschland zu gefährden. Das heißt: Das, was alle Menschen gemeinschaftlich — zunächst in zwei Staaten und jetzt in einem Staat —aufgearbeitet haben, droht an den Rand einer Krise zu geraten.
    Die Menschen haben — das zeigen uns nicht nur Meinungsumfragen — das Vertrauen in diese Regierung weitgehend verloren. Die Gefahr liegt darin, daß sie nun auch noch anfangen, Vertrauen in Politik allgemein zu verlieren. Damit stellt sich durch ein vielfaches Versagen dieser Bundesregierung letztlich die Frage nach der Stabilität unseres ganzen politischen Systems. Und das, Herr Bundeskanzler, ist eine schwere Hypothek.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    Nun habe ich mich sehr über das Lob gefreut, das Graf Lambsdorff der Regierung und dem Bundeskanzler gespendet hat. Wenn ich zehn Jahre zurückdenke, als ich Mitglied einer Bundesregierung war, muß ich feststellen: Bis in die letzten Monate hinein gab es manch freundliches Wort des Grafen Lambsdorff zu unserem Kanzler und zu unserer damaligen Regierung. Ich will Herrn Dr. Kohl nur sagen: Man muß mit dem Lob des Grafen Lambsdorff mit ganz spitzen Fingern umgehen. Man weiß nie, wie die Folgen sind.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, wir müssen und, ich glaube, wir können aus dem Glücksfall der Einheit aus eigener Kraft ein stabiles und dauerhaftes Glück schmieden. Wir haben die Chance, der Welt und Europa ein Beispiel zu geben, wie man so etwas macht. Ich stimme dem Kanzler durchaus zu: Andere Länder im Osten Europas schauen auf dieses Modell, weil für ihre eigene Zukunft viel davon abhängt, wie



    Ministerpräsident Björn Engholm (Schleswig-Holstein)

    man Schritt für Schritt zusammenwächst, wie man Brücken der Verständigung schlägt und wie man wettbewerbsfähige Wirtschaftsstandorte baut. Das ist eine große und eine zielgebende Aufgabe auch für andere Staaten in Europa.

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Beispielhaft!)

    Ich glaube, daß sie lösbar ist, wenn wir das Können und das Wollen unseres Volkes ernsthaft bündeln und nicht glauben, mit allgemeinen ministeriellen Palaverrunden sei das Problem zu bewältigen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir haben in Deutschland alles, was man für einen solchen Kurs braucht. Wir haben fähige private Unternehmen und verantwortungsbewußte Unternehmer. Wir haben eine starke Gewerkschaftsbewegung, die sich über das Lob des Bundeskanzlers sicherlich rückhaltlos freuen wird, die weiß, was soziale Stabilität wert ist. Wir haben leistungsfähige Wissenschaften, wir haben eine funktionierende öffentliche Verwaltung, und wir haben ein Sozialsystem, das sich über 40 Jahre alles in allem hervorragend bewährt hat. Um dieses Kapital beneidet uns trotz aller Fehler, die Sie gemacht haben,

    (Lachen bei der CDU/CSU) nach wie vor die Welt.

    Ich glaube aber, daß zugleich die größte Kraft, die uns zur Verfügung steht, in den Herzen, in den Köpfen und den Händen der Menschen in Ost- und Westdeutschland liegt.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich bedauere nach wie vor, daß die anfänglich ja unglaubliche Begeisterung, die die Menschen beherrscht hat, der ganze Tatendrang, der sichtbar, greifbar war, zunichte gemacht worden ist mit zwei sehr schlichten, aber falschen Sätzen: „Niemandem wird es schlechtergehen" und „Keine Steuererhöhung für die Einheit."

    (Beifall bei der SPD)

    Sie haben, Herr Bundeskanzler, unser Volk, als es bereit war, mehr zu sein und mehr zu geben, sehr eindeutig auf das egoistische Haben beschränkt. Dies war ein kardinaler, wenn nicht historischer Fehler.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Der Bundeskanzler hat einmal gesagt: Wir leben über unsere Verhältnisse. Ich entgegne ihm: Wir leben, genau besehen, weit unter unseren Möglichkeiten.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir leben weit unterhalb dessen, was unsere Gesellschaft, wenn man sie mit vernünftigen Zielen und Motivationen darum bittet, zu leisten imstande ist. Deshalb bin ich dafür, daß wir den Menschen, besonders in Ostdeutschland, deutlicher, als es heute gesagt worden ist, sagen, welche Anstrengungen vor uns liegen, wie groß sie sind, wie lang dieser Weg noch sein wird. Ich hatte gehofft, die Bundesregierung
    würde dazu ein wenig beitragen. Es war enttäuschend, was wir heute gehört haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Mich hat vor einiger Zeit sehr beeindruckt, was eine Berliner Journalistin, Jutta Voigt, so beschrieben hat:
    Die Leute im Osten stehen benommen vor ihrem ausgetauschten Alltag. Ob besser, ob schlechter, ob schöner, ob häßlicher — alles ist anders. Andere Butter, anderes Geld, andere Wurst. Andere Schulen, andere Zeitungen, andere Übertöpfe. Andere Formulare, andere Feiertage, andere Lockenwickler. Andere Träume, anderer Müll, andere Wörter. Viele fühlen sich darin nicht mehr zu Hause.
    Wenn es uns umgekehrt im Westen so gegangen wäre: Was wäre das doch für ein bedeutender Identitätsverlust, der dann bei uns stattgefunden hätte! Von daher ist meine Auffassung, daß insbesondere wir im Westen begreifen müssen: Wir sind nicht die ausgewählten, nicht die besseren Deutschen. Wir haben vier Jahrzehnte die besseren Voraussetzungen gehabt, um unsere Kraft besser anzuwenden und zu größerem Erfolg zu kommen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, die innere Einheit und die Zukunft der Deutschen insgesamt hängen essentiell davon ab, wie leistungsfähig unsere Volkswirtschaft ist. Ich will, was dies angeht, vier Ziele kurz markieren und instrumental füllen.
    Erstes Ziel: Die Wirtschaft Ostdeutschlands muß aufgerichtet und so schnell wie möglich weltmarktfähig gemacht werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja ganz was Neues!)

    Um in den neuen Ländern mindestens 7 Millionen Menschen zu beschäftigen — 9 waren es einmal; damit deutlich wird, was die Menschen dort schon zu tragen gehabt haben —, brauchen wir bis zum Jahre 2000 mindestens 1 Billion DM Nettoinvestitionen. Wer die Zahlen des laufenden und des letzten Jahres sieht, der weiß: Wenn es in der Geschwindigkeit weitergeht, wird das Ziel in 30 Jahren noch nicht erreicht sein. Und die Bundesregierung gibt null Antworten darauf, auch in der heutigen Debatte.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Deshalb fordern Menschen, die Ihnen in der Marktwirtschaftsphilosophie wahrscheinlich näherstehen als uns, z. B. die Berater von McKinsey: Der Staat muß in einer solchen Situation eine aktive Rolle spielen, weil der Zug sonst nicht fährt.

    (Beifall bei der SPD)

    In der Situation wagt man gar nicht zu fragen: Wo ist der Wirtschaftsminister? Die altbekannte Antwort heißt wie immer

    (Zuruf von der CDU/CSU: Dort sitzt er ja!)




    Ministerpräsident Björn Engholm (Schleswig-Holstein)

    - nein, ich meine das gar nicht physisch —:

    (Heiterkeit bei der SPD)

    auf der Suche nach einem Image. Aber das will ich heute vergessen.
    Ich meine, statt altliberal zu streiten über die Frage wieviel Markt, wie wenig Staat, sollten wir heute anfangen, eine neue Devise zu prägen, und die heißt: Staat und Wirtschaft müssen jetzt für eine längere Periode auf dem industriepolitischen Tandem gemeinsam fahren, weil sich sonst nichts bewegt.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Was ist, um die Wirtschaft in Gang zu kriegen, notwendig? Erstens. Ich trete wiederholt und mit Nachdruck dafür ein, daß die Treuhand einen gesetzlichen Sanierungsauftrag bekommt, um solche Unternehmen flottzumachen, die in mittelfristiger Sicht auf dem Weltmarkt eine Chance haben. Sanierung, nicht Liquidation — so muß die Devise der Industriepolitik in Ostdeutschland in diesen Tagen heißen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Zweitens. Es wird nicht anders gehen, als daß sich die öffentliche Hand nicht in Form von Beamten, wohl aber in Form von Risikobeteiligung in einer marktwirtschaftlichen Industriepolitik für eine Übergangszeit an ausgewählten Unternehmen auch selbst beteiligt, weil diese Unternehmen sonst nämlich keine Chance haben.
    Drittens — auch Herr Klose hat darauf hingewiesen —: Wir müssen nicht nur marginale Korrekturen an der Eigentumsregelung vornehmen, wir müssen zu dem zurückkommen, worüber hier schon diskutiert worden ist: Entschädigung geht vor Rückgabe. Wenn wir das nicht hinkriegen, wird sich in den meisten Städten Ostdeutschlands nichts mehr bewegen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN — Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Sie haben wirklich keine Ahnung!)

    — Graf Lambsdorff, in einer Stadt wie Quedlinburg mit 20 000 Einwohnern sind zwischen 25 000 und 30 000 Alteigentumsansprüche registriert. Ich will Ihnen sagen — vielleicht zur Freude Ihrer Partei —: dort wird es ein Beschäftigungsprogramm geben, nicht für einfache Menschen, wohl aber für Rechtsanwälte und Notare für über ein Jahrzehnt. Das ist nicht der Sinn von Vollbeschäftigungspolitik.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das ist üble Polemik, was Sie da machen! — Ingrid MatthäusMaier [SPD]: Aber es ist die Wahrheit!)

    — Nein, Sie leben jenseits der Wirklichkeit und flüchten sich aus der Wahrheit. Das ist Ihr Problem.

    (Beifall bei der SPD)

    Viertens. Ich trete nachdrücklich dafür ein, daß die Investitionsförderung verstärkt und durchschaubarer gemacht wird. Das heißt, eine gesetzlich klar fixierte, für die Unternehmen als ein Marktdatum kalkulierbare Investitionszulage,

    (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Und was haben wir jetzt?)

    aber nicht einen Investitionszuschußdschungel mit zum Teil Windhundcharakter, der gegen Mitte des Jahres ausgelaufen ist. Lieber etwas, was am Markt für die Unternehmen durchschaubar und langfristig kalkulierbar ist. Und dann von mir aus eine Anhebung auf 20 %. Wir können darüber reden. Das letzte Mal waren Sie anderer Auffassung.
    Fünftens. Menschen, die sonst arbeitslos würden, müssen mit einem großangelegten Zukunftsinvestitionsprogramm „Arbeit statt Arbeitslosigkeit" für eine längere Zeit neue Zukunftsaussichten finden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Sechstens. Jedes Sanierungskonzept wird dann scheitern, wenn es nicht gelingt, auf Sicht Absatzmärkte zu eröffnen. Deshalb bin ich nachhaltig dafür, daß wir jede Hilfe, die wir zukünftig nach Osteuropa geben, an die Lieferung von Waren, Gütern und Dienstleistungen binden, die im Osten Deutschlands erstellt werden. Dann haben wir die Hilfe im Osten Deutschlands ebenso wie im weiteren Osten Europas und beiden ist gedient.

    (Beifall bei der SPD)

    Dann würde ich — siebtens — gern ein Wort zu der Lohndebatte sagen. Klar ist, daß sich die Löhne nicht zu weit von der Produktivität abkoppeln dürfen. Ich kenne auch keinen verantwortungsbewußten Gewerkschafter, dem das volkswirtschaftlich nicht geläufig wäre.

    (Zurufe von der F.D.P.: Aha!)

    Aber es gilt auch hier, die Tatsachen wider die liberale Ideologie zu stellen. Der Durchschnitt der ostdeutschen Effektiveinkommen liegt derzeit bei etwas unter 60 % der westdeutschen. In den florierenden Dienstleistungsbereichen liegt er bei 68 %, in den krisengeschüttelten Bereichen bei 48 %, und das bei einer vergleichbaren Preisentwicklung überall in Deutschland. Wer da leichtfertig den Finger hebt und sagt, die Menschen sollten für eine lange Periode auf alles verzichten, der hat die Mitte und das Maß verloren, das die Menschen in diesem Lande bewegt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN )

    Deshalb bin ich dafür, daß diese schwierige Gratwanderung, von der ich weiß, daß wir sie gehen müssen, nicht in politischen Palaverrunden vollzogen wird, sondern dort, wo sie zunächst hingehört: am Verhandlungstisch des Selbstregulierungsinstruments Tarifautonomie.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wenn der Kanzler die Gewerkschaften belobigt — was einen ja freut —, dann sollte er gleichzeitig allen Mitgliedern seines Kabinetts die Zunge anbinden, damit nicht bei jeder Gelegenheit den Gewerk-



    Ministerpräsident Björn Engholm (Schleswig-Holstein) schaften vorgeschrieben wird, was sie zu lassen und zu tun hätten.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich würde auch ganz gerne, Graf Lambsdorff, mit einem sehr leicht in die Welt zu setzenden Vorurteil aufräumen. Sie wie auch der Bundeskanzler reden beständig über die Arbeitszeit. Sie vergessen dabei den zweiten ökonomischen Parameter, den Sie vermutlich nie vergessen würden, wenn Sie einen Fachvortrag halten würden. Das sind die Betriebszeiten in den Unternehmen.
    Die Arbeitszeit bei Opel in Bochum liegt bei 1 630 Stunden pro Jahr, die vergleichbare Arbeitszeit bei Nissan bei 1 960. Die Betriebszeit liegt bei Opel in Bochum bei 5 220 Stunden, bei Nissan, einem der modernsten Betriebe der Welt, bei 4 740 Stunden. Erst aus beiden Daten und beim Vergleich beider Daten wird eine Wirklichkeit. Das andere riecht immer nach dem Fahne-Hochziehen im Marsch gegen die Gewerkschaften. Es hilft keinem.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Renate Schmidt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert? — Herr Kollege.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Lammert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege Engholm, könnten Sie vielleicht zur Ergänzung Ihres Beispiels sagen, in welchem anderen deutschen Automobilwerk außer Opel Bochum die von Ihnen genannten Betriebszeiten erreicht werden?

    (Zurufe von der SPD)

    — Nirgends.