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ID1210301800

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    Plenarprotokoll 12/103 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 103. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Inhalt: Begrüßung einer Delegation des ungarischen Parlaments 8785 D Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltspians fur das Haushaltsjahr 1993 (Haushaltsgesetz 1993) (Drucksache 12/3000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1992 bis 1996 (Drucksache 12/3100) Hans-Ulrich Klose SPD 8713B, 8761D Dr. Wolfgang Bötsch CDU/CSU 8721B Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . 8725B, 8754 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 8729 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 8730C Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8733 D Dr. Helmut Kohl Bundeskanzler BK 8736A, 8745C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8745 A Björn Engholm, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein . . . . . 8746A, 8755B Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . 8750 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU 8755C, 8762B Franz Müntefering SPD 8759 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA 8762 D Hans-Ulrich Klose SPD 8765 A Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 8766 A Ulrich Irmer F D P. 8767 D Volker Rühe, Bundesminister BMVg . . 8769 D Walter Kolbow SPD 8773 B Paul Breuer CDU/CSU 8775 A Dr. Klaus Rose CDU/CSU 8776 C Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . 8778 B Dr. Sigrid Hoth F D P 8781 B Dr. Karl-Heinz Hornhues . . . . 8782C, 8798B Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 8784 B Hans-Gerd Strube CDU/CSU 8786A Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 8787 B Carl-Ludwig Thiele F D P 8788 B Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 8790 A Dr. Ingomar Hauchler SPD 8792 A Hans-Peter Repnik CDU/CSU 8793 D Werner Zywietz F.D.P. . . . . . . . . 8794 D Dr. Ingomar Hauchler SPD 8795 B Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8796 B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8799 B Ortwin Lowack fraktionslos 8800 C Ulrich Briefs fraktionslos 8802 B Rudolf Seiters, Bundesminister BMI . . 8804 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . 8806A, 8815C Gerd Wartenberg (Berlin) SPD 8809C Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . 8813D Gerd Wartenberg (Berlin) SPD . . . 8817C Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 8818C Ina Albowitz F D P 8820 B Freimut Duve SPD 8822A, 8826 B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8822D, 8841 C Freimut Duve SPD 8823 C Karl Deres CDU/CSU 8824 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . 8826 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 8829 A Dr. Hans de With SPD 8831 B Norbert Geis CDU/CSU 8834 B Dr. Hans de With SPD 8834 D Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 8836 A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 8836D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 8838 C Dr. Michael Luther CDU/CSU 8840B Dr. Norbert Geis CDU/CSU 8842 D Tagesordnungspunkt 4: a) Fortsetzung der Beratung (Abstimmung) der Entschließungsanträge der Fraktion der SPD zum Nachtragshaushaltsgesetz 1992 (Drucksachen 12/2910, 12/2911) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu den dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 1/92 und 2 BvE 2/92 (Drucksache 12/3195) Ortwin Lowack fraktionslos (Erklärung nach § 31 GO) 8804 A Nächste Sitzung 8843 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 8845* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1993) Michael von Schmude CDU/CSU . . . . 8845* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 8713 103. Sitzung Bonn, den 9. September 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 09. 09. 92*** Antretter, Robert SPD 09. 09. 92* Dr. Blank, CDU/CSU 09. 09. 92** Joseph-Theodor Blunck, Lieselott SPD 09. 09. 92* Böhm (Melsungen), CDU/CSU 09. 09. 92* Wilfried Brandt, Willy SPD 09. 09. 92 Clemens, Joachim CDU/CSU 09. 09. 92 van Essen, Jörg F.D.P. 09. 09. 92*** Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 09. 09. 92*** Friedrich, Horst F.D.P. 09. 09. 92 Dr. Fuchs, Ruth PDS/LL 09. 09. 92 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 09. 09. 92*** Gattermann, Hans H. F.D.P. 09. 09. 92 Haschke CDU/CSU 09.09.92 (Großhennersdorf), Gottfried Dr. Holtz, Uwe SPD 09. 09. 92*** Jaunich, Horst SPD 09. 09. 92 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 09. 09. 92 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 09. 09. 92*** Oesinghaus, Günther SPD 09. 09. 92 Opel, Manfred SPD 09. 09. 92** Pfuhl, Albert SPD 09. 09. 92 Poß, Joachim SPD 09. 09. 92 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 09. 09. 92* Reddemann, Gerhard CDU/CSU 09. 09. 92* Regenspurger, Otto CDU/CSU 09. 09. 92 Rempe, Walter SPD 09. 09. 92 Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 09. 09. 92** Helmut Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 09. 09. 92 Scharrenbroich, Heribert CDU/CSU 09. 09. 92*** Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 09. 09. 92 Schulte (Hameln), SPD 09. 09. 92** Brigitte Schuster, Hans F.D.P. 09. 09. 92 Dr. Stercken, Hans CDU/CSU 09. 09. 92*** Weyel, Gudrun SPD 09. 09. 92*** Dr. Wieczorek, Norbert SPD 09. 09. 92 Dr. Wieczorek CDU/CSU 09. 09. 92 (Auerbach), Bertram Wittmann (Tännesberg), CDU/CSU 09. 09. 92 Simon Zierer, Benno CDU/CSU 09. 09. 92* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates **für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung *** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1993) Michael von Schmude (CDU/CSU): Der einigungsbedingte Mehraufwand im Justizetat 1993 unterstreicht erneut den festen Willen von Regierung und Parlament, den Aufbau des Rechtsstaates weiter voranzutreiben und zu konsolidieren. Bei der Haushaltsdebatte 1991 wurde sehr zu Recht die schleppende Abwicklung von Gerichtsverfahren, die totale Überlastung der Grundbuch- und Katasterämter beklagt. Inzwischen hat sich trotz noch immer vorhandener Mängel auch vieles überaus positiv entwickelt. Wer hätte gedacht, daß nach den ersten Erfahrungen-wir mußten ja nach der Säuberung der alten DDR-Justiz in den meisten Bereichen bei Null anfangen - eine derart große Zahl von Juristen für die neuen Bundesländer gewonnen werden könnte. Erinnern wir uns: Es gab dort zur Zeit der Wende 1989 ganze 600 Rechtsanwälte, heute sind es immerhin schon 3 200. Das von der Bundesregierung initiierte Modell „Aufbau des Rechtsstaates" leistet nunmehr einen entscheidenden Beitrag zur Personalausstattung der Gerichte und Grundbuchämter in den neuen Ländern. War es 1991 noch ein Etatansatz von 117,4 Millionen DM, der nur mit 53,5 Millionen ausgenutzt werden konnte, so mußten wir bereits in diesem Jahr den vorgesehenen Betrag von 104,5 Millionen DM noch um Haushaltsreste aus 1991 von rund 19 Millionen DM für EDV-Maßnahmen aufstocken. Damit sind die Zielvorgaben per heute wie folgt verwirklicht worden: i. 1 000 Richter und Staatsanwälte, davon 820 tätig, 500 Rechtspfleger, davon 500 tätig. 2. Der Einsatz von pensionierten Richtern, Staatsanwälten, Rechtspflegern und Urkundsbeamten zeigt leider immer noch ein unbefriedigendes Ergebnis, obwohl bürokratische Hemmnisse beseitigt wurden. Statt der angestrebten Zahl von 500 sind es jetzt erst ganze 68. Man sollte also mehr für ein Seniorenmodell werben. 3. Die Bundesförderung für die Neueinstellung von Richtern, Rechtsanwälten, Rechtspflegern - insgesamt sollen es 300 sein -, wird von den neuen Ländern voll in Anspruch genommen. Diese Gesamtförderung wird 1993 mit 107,5 Millionen DM fortgesetzt, wobei wir die Unterstützung bei der EDV-Ausstattung der Grundbuchämter erneut mit einschließen. Natürlich besteht auch darüber hinaus für die Folgejahre noch Handlungsbedarf. Ich möchte aber heute auch allen danken, die in den neuen Bundesländern auf Dauer oder vorübergehend beim schwierigen Aufbau des Rechtsstaates mitwirken. Sie tragen entscheidend dazu bei, das Vertrauen in unseren Staat zu stärken. Für ganz Deutschland gilt gleiches Recht, und damit muß auch die gleiche Rechtswirklichkeit einhergehen. Allerdings müssen wir in diesem Zusammenhang auch einige selbstkritische Fragen stellen: - Was bremst und blockiert eigentlich den Wiederaufbau im 8846* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Osten? — Sind es nicht vielfach bürokratische Hemmnisse, ist es nicht vor allem unser Gesetzesperfektionismus, der schon den Wirtschaftsstandort Westdeutschland mehr als genug belastet? Insoweit muß dringend geprüft werden, ob und wie Maßnahmegesetze zur Beschleunigung — so wie im Verkehrsbereich — auch im Umwelt- und Baubereich für eine begrenzte Zeit einzuführen sind. Die Ungeduld und Unzufriedenheit vieler Landsleute mit bestimmten Verwaltungsabläufen ist verständlicherweise groß. Wir als Gesetzgeber sind darüber hinaus gefordert, bei der Aufarbeitung des DDR-Unrechts zügig fortzufahren. In den letzten 12 Monaten sind wir bereits ein gutes Stück vorangekommen. Ich nenne hier das 1. SED-Unrechts-Bereinigungsgesetz sowie das 2. Vermögensrechts-Änderungsgesetz. Es sind noch gesetzliche Regelungen zur Wiedergutmachung von Berufs- und Verwaltungsunrecht zu beschließen und vor allem das in Kürze vorliegende Entschädigungsgesetz. Die Erwartung aller Betroffenen ist in diesem Bereich besonders groß. Die Höhe der Entschädigung bei Unmöglichkeit der Rückgabe — gleich aus welchen Gründen — muß sich leider auch an den finanziellen Möglichkeiten orientieren. Dasselbe gilt für die Ausgleichsleistungen für besatzungsrechtliche Enteignungen in der Zeit von 1945 bis 1949. Die Anerkennung der Bodenreform auf Grund der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen und _des Einigungsvertrages stellen für den betroffenen Personenkreis eine besondere Härte dar. Die Rückgabe des oft unter unvorstellbaren Bedingungen enteigneten Besitzes wurde ausgeschlossen, obwohl gerade im Bereich der Land- und Forstwirtschaft oft noch wesentliche Teile des Altbesitzes für eine Rückübertragung verfügbar wären. Es ist deshalb dringend geboten, den Anspruch von Alteigentümern auf das geplante Wiedereinrichtermodell ausdrücklich festzuschreiben. Für die nach 1949 Enteigneten sollte noch einmal überprüft werden, ob das bisher geltende Wahlrecht: Rückgabe oder Entschädigung nicht auch künftig beizubehalten ist, da bereits Fälle bekannt wurden, wo Anspruchsberechtigte im Vertrauen auf das geltende Vermögensgesetz freiwillig auf ihren Besitz verzichtet haben, um kommunale Planungen zu ermöglichen. Wichtig ist auch, daß Vertriebene vor allem jenseits von Oder und Neiße, die nach 1945 ihren ständigen Aufenthalt in der früheren DDR genommen haben, eine einmalige Zuwendung von 4 000 DM erhalten sollen, da sie von der in Westdeutschland durchgeführten Lastenausgleichsregelung nicht begünstigt wurden. Zur sozialen Gerechtigkeit gehört selbstverständlich, daß mit dem geplanten Entschädigungsgesetz bei Rückgabe von Vermögenswerten auch der gezahlte Lastenausgleich zurückzuzahlen ist und daß darüber hinaus wegen des Ungleichgewichts zwischen Sachwert bei Rückgabe und Entschädigung eine Vermögensabgabe erhoben werden soll. Zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts gehört ferner, daß die Verfolgung von Regierungskriminalität zügig vorangetrieben wird. Bund und Länder hatten vereinbart, 60 Staatsanwälte zum Kammergericht nach Berlin zu delegieren. Als einziges Bundesland hat das Saarland sich bisher geweigert, seinen Anteil, der sowieso nur aus einem Staatsanwalt besteht, zu leisten. Ein vergleichbar unwürdiges Verhalten konnte man übrigens auch bei anderen SPD-regierten Ländern in der Vergangenheit bereits feststellen, wenn es um die Finanzierung der zentralen Dokumentationsstelle Salzgitter ging. Die Mitarbeiter dieser Einrichtung haben in vorbildlicher Weise Unrechtstatbestände ermittelt und die dafür Verantwortlichen festgestellt. Großen Unmut in der Bevölkerung gibt es verständlicherweise über Fälle von Bereicherung in der früheren DDR, die bis heute nicht rückgängig gemacht wurden. Einige Beispiele dafür hat BILD am Sonntag gerade in der letzten Ausgabe dargestellt. Da wird Herr Diestel ebenso erwähnt wie sein damaliger Stellvertreter Müller, aber auch eine Reihe von Generälen der NVA, u. a. der Chef der DDR-Grenztruppen sowie der frühere Polizeipräsident von Berlin. Bei beiden stellt sich übrigens nicht nur die Frage der Überprüfung der Grundstücksgeschäfte, sondern auch nach deren strafrechtlicher Verantwortung auf Grund ihrer früheren Tätigkeit. Die Reformaufgaben der Justiz werden — wenn auch nicht im gleichen Tempo wie in den vergangenen Jahren — fortgeführt. Dabei steht volumenmäßig die Überprüfung des Nichtehelichenrechts im Vordergrund. Das Justizministerium muß aber jetzt mit besonderer Priorität Änderungen im Ausländer- und Asylrecht vorbereiten. Die Erfahrungen der letzten Monate, insbesondere der letzten Wochen, zeigen, mit welcher Dringlichkeit auch eine Grundgesetzänderung zum Schutz des Asylrechts und gegen den ungezügelten Mißbrauch durch Wirtschaftsflüchtlinge erfolgen muß. Abschließend möchte ich mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesjustizministerium bedanken, die auch in diesem Jahr in besonderer Weise Mehrarbeit für den Aufbau des Rechtsstaats in den neuen Bundesländern zu leisten hatten.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser ganz gewiß kontroversen Debatte möchte ich mit etwas beginnen, das Gemeinsamkeit demonstriert. Herr Kollege Klose, Sie haben — zu Recht, wie ich gedenke — danach gefragt, was man in dieser Situation tun kann, um für die kulturellen Institutionen der neuen Länder in einer sehr schwierigen Zeit Zukunft zu sichern. Sie wissen zunächst einmal, wie die Verfassungssituation ist, und alle Ministerpräsidenten der Länder legen gerade in diesem Bereich großen Wert auf die Feststellung ihrer Kompetenzen. Dennoch hat der Bund auf Vorschlag der Bundesregierung und nach der Verabschiedung des jeweiligen Bundesetats in den Jahren 1991 und 1992 mit ganz erheblichen Mitteln die kulturellen Institutionen in den neuen Ländern unterstützt. Ich war immer dafür, ich halte das auch weiterhin für richtig.
    Wir haben angesichts der Etatlage für das Jahr 1993 immer noch erhebliche Mittel eingestellt, aber ich glaube nach dem Kenntnisstand von heute, nach vielen Gesprächen mit Kollegen und Verantwortlichen vor allem in den neuen Bundesländern auch, daß wir uns gemeinsam bemühen sollten, im Verlauf der Etatberatung — wir haben ja die Gelegenheit dazu — eine Regelung zu finden, die auch für das Jahr 1993 mit Sicherheit zwar nicht alle Wünsche befriedigt, die aber eine insgesamt befriedigendere Lösung bietet. Dies ist meine konkrete Zusage,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Werner Schulz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    wobei ich, Herr Kollege Klose, allerdings gleich hinzufügen will — das geht mehr an die Bundesratsbank —, daß ich schon erwarte, daß auch die Landesregierungen der neuen Bundesländer einmal konkrete Vorstellungen entwickeln, wie sie die Dinge auf die Dauer weiterbringen wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es kann nicht sein — eigentlich müßten wir uns in diesem Punkt einig sein —, daß man in dieser schwierigen Situation immer wieder an den Bund und die Bundesregierung appelliert und nicht zugleich auch seitens der Betroffenen vor Ort sagt, was man vermutlich beibehalten kann — ich spreche jetzt vor allem von Institutionen —, welche Zeitpläne man hat und wie das Ganze aussieht. Denn es kann keinen Zweifel darüber geben, daß der Bund schon aus verfassungsrechtlichen Gründen diese Aufgabe auf die Dauer nicht wird wahrnehmen können.
    Weil wir heute aus gutem Grund sehr viel über Ökonomie und über Geld reden, meine Damen und Herren, will ich von meiner Seite noch einmal unterstreichen, daß dies eine ganz wichtige Sache ist. Es wird ja viel von Identität und Identitätskrise gesprochen. Was Tradition und Geschichte der Kulturlandschaft in dem Teil Deutschlands ausmachen, den heute die neuen Länder bilden, aber was auch Leistungen der Menschen in den letzten 40 Jahren bedeuten, das alles muß man hier sehen und berücksichtigen. Das ist aus meiner Sicht nicht irgendein Thema, sondern eine Frage, die ganz zentral den Verstand und die Herzen der Menschen vor Ort berührt, und deswegen sollten wir hier gemeinsame Lösungen suchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Und dann, Herr Kollege Klose, möchte ich mich bei Ihnen bedanken. Es ist ja in der Replik immer die Frage, wie man den Einstieg findet, aber Sie haben mir die Freude gemacht und natürlich auch die Ehre erwiesen — so war es ja gedacht —, aus meiner Regierungserklärung vom 14. Oktober 1982 zu zitieren. Und als ich dieses Zitat aus dieser Regierungserklärung wieder hörte, fand ich einmal mehr, daß das eine sehr gute Regierungserklärung war.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Und das kann man ja auch sagen.

    (Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es war!)

    — Jetzt hören Sie doch erst einmal den Satz zu Ende!
    Es war eine sehr gute Regierungserklärung, und es folgten ihr ja auch zehn ungewöhnlich gute Jahre.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    (Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt geht's zu Ende!)

    — Wissen Sie, wann ein Weg zu Ende geht, hängt von vielen Gründen ab. Da muß man abwarten, bis es soweit ist. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, und es gibt viele Beispiele: Wenn man so wie ich seit zehn Jahren von Montag bis Donnerstag in bestimmten Druckerzeugnissen liest, jetzt sei er unmittelbar am Ende, so kann ich sagen: Ich stehe jetzt noch immer als Regierungschef vor Ihnen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja Ihre Fehleinschätzung!)

    Einige meiner Freunde haben sich überlegt, was sie mir zu diesem Jahrestag schenken könnten. Sie haben einmal die Titel zusammengestellt, in denen der nahe



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Sturz des Helmut Kohl prognostiziert wurde. Das ist eine sehr schöne Sache, und ich werde sie mir am 1. Oktober mit großem Genuß betrachten. Vielleicht hänge ich sie sogar in meinem Zimmer auf, meine Damen und Herren.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Aber ich will zitieren, was Sie gesagt haben; denn Sie haben in diesem Moment entgegen Ihrer Art etwas schnell gesprochen, und das Zitat ist, finde ich, so gut, daß es wiederholt werden muß.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es heißt:
    Die Ideologien der Macher und Heilsbringer haben den Wirklichkeitssinn im Lande nicht geschärft, die Selbstverantwortung nicht gestärkt und die geistigen Herausforderungen der Zeit verkannt. Wir brauchen wieder die Tugenden der Klugheit, des Mutes und des Maßes für die Zukunft unseres Landes.
    Ich nehme übrigens für mich nicht in Anspruch, daß so ein Zitat nur von mir stammen könnte. Auch mein geschätzter Amtsvorgänger hat das bei verschiedenen Gelegenheiten gesagt, und sein geschätzter Nachfolger als Kanzlerkandidat hat das in einem Zusammenhang als „Sekundärtugenden" aus einer Unzeit charakterisiert.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das ist insofern, glaube ich, ein auf allen Seiten gesichertes Zitat.

    (Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten einmal auf die Probleme zu sprechen kommen!)

    — Jetzt lassen Sie mich doch einmal reden! Ich habe Sie doch auch angehört.
    Ich glaube schon, daß wir, die Koalition und die Bundesregierung — ich nehme das auch für mich in Anspruch — in diesen Jahren versucht haben — dafür bedanke ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen in den Koalitionsparteien und auch in den Koalitionsfraktionen —, nach dem Maßstab dieser Tugenden zu handeln. Ob wir — ich werde auch auf die Gegenbeispiele kommen — diesem Maßstab immer gerecht geworden sind, das muß man miteinander diskutieren.
    Aber ich will angesichts der Debatte zwei Jahre nach der deutschen Einheit und zur Halbzeit der Koalition — — Nicht der Koalition, sondern der Amtszeit dieses Bundestages; wenn Halbzeit wäre für die Koalition, wäre das Spitze.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Das geht selbst dem Kollegen Lambsdorff zu weit.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Aber es ist Halbzeit dieser Legislaturperiode, und wir reden über die Probleme der deutschen Einheit. Wenn Sie mich ansprechen, Herr Klose, will ich schon sagen: Wenn wir damals, 1983, nicht nach diesen
    Prinzipien gehandelt hätten, hätten wir den Nachrüstungsbeschluß nicht durchgesetzt, die NATO nicht stabilisiert und heute die deutsche Einheit nicht, weil die sowjetische Politik einen anderen Weg gegangen wäre.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir beklagen jetzt an allen Orten die Probleme der Konversion. Diese hätten wir ebenfalls nicht; denn auch die Abrüstung wäre nicht gekommen.

    (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: So ist es!)

    Dies kann ich deswegen gut sagen, weil einer, der es wissen muß, Michael Gorbatschow, mehr als einmal bestätigt hat, daß ohne die Festigung des Westens — sie ist vor allem bei uns in Deutschland erfolgt —, ohne die klare Position „Bis hierhin und nicht weiter! " und die klare Absage an eine Politik, als würde man den Westen über Hochrüstung in die Knie zwingen können, diese Entwicklungen nicht möglich gewesen wären. Das Ende des kommunistischen Regimes in der Sowjetunion hat uns die Chance der deutschen Einheit gebracht, nicht mehr und nicht weniger. Das muß man immer wieder sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Klose, weil der Terminus „Aussitzen" — und wie der Unsinn sonst noch heißt — immer wieder kommt: Ich erinnere Sie daran, wie Ihre Position damals war. Es war nicht die Position des Mutes und der Weitsicht. Es war die Position des sich Arrangierens und des Kleinmuts. Deswegen sollten Sie zunächst einmal darüber sprechen, wie Sie Ihren Beitrag zur Geschichte leisten wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich erinnere an ein anderes Datum, das nicht so lange zurückliegt. Ich stand an dieser Stelle im November 1989 anläßlich des 10-Punkte-Programms zur deutschen Einheit. Da haben wir Mut, Tatkraft und Weitsicht gegen alle Widerstände in Ost und West bewiesen. Auch das gehört zur Vorgeschichte der deutschen Einheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Weil Sie jetzt unentwegt dabei sind, Geschichte umzuschreiben: Dazu gehört auch jener Abend am 10. November, wo nicht wenige, die heute hier im Saal sitzen, dabei waren, als der damalige Berliner Bürgermeister Momper rief, es gehe nicht um Wiedervereinigung, sondern um Wiedersehen. So war das.
    Meine Damen und Herren, dann kam Monate später ein nächster Termin: die Schaffung der innerdeutschen Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Lesen Sie doch bitte noch einmal nach, was Sie damals dazu gesagt haben. Das war keine Ermunterung für jenen, der Mut und Tatkraft beweisen sollte.

    (Beifall bei der CDU/CS und der F.D.P.)

    Ich will ganz wenige weitere Beispiele bringen. In ein paar Wochen haben wir den Europäischen Binnenmarkt für 340 Millionen Menschen. Ich denke und ich hoffe, daß bis zur Tagung des Europäischen Rates im Dezember in Edinburg auch bei unseren



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Freunden und Nachbarn in Frankreich Klarheit über den Maastricht-Vertrag herrscht. Jetzt frage ich Sie: War das etwa nicht Mut, war das etwa keine Tatkraft, und war das etwa nicht Handlungsfähigkeit, daß nicht zuletzt die deutsche Bundesregierung den entscheidenden Durchbruch gegen Eurosklerose in Europa erreicht hat?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wir begrüßen das!)

    — Nun gut. Aber, gnädige Frau, nach Ihrer Rede gestern muß man sich immer fragen, wofür Sie sind und wofür Sie nicht sind. Die Antwort ist etwas schwierig.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich will aber hinzufügen: Es waren natürlich zehn Jahre — das gilt vor allem für die letzten zwei Jahre —, in denen wir vieles leisten konnten, manches nicht geleistet haben, in denen wir vieles richtig gemacht haben, aber auch manches falsch gemacht haben. Auch darüber will ich heute ganz offen mit Ihnen sprechen.

    (Zuruf von der SPD: Wann kommen Sie denn endlich zu den letzten zwei Jahren?)

    — Sie wollten doch immer eine solche Rede und einen solchen Bericht. Jetzt haben Sie ihn; jetzt hören Sie doch erst einmal zu!
    Die Ausgangsposition wird oft verdrängt. Wie Sie heute zum Teil reden, sind Sie ein wirkliches Beispiel dafür. Wir und nicht zuletzt ich — ich sage das vor allem für die Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsparteien — haben immer an die deutsche Einheit geglaubt, und wir haben alles getan, um dieses Ziel zu erreichen.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Nur keine Vorbereitungen getroffen!)

    Wir wissen heute besser als vor zwei Jahren, daß dieses wahrhaft säkulare Ereignis, das ohne jedes Beispiel ist, enorme Probleme mit sich bringt — mehr, als viele — auch ich — in diesem oder jenem Punkt erwartet haben. Es hat sich manches so nicht bestätigt, wie wir es angenommen haben.
    Ich will ein paar Beispiele bringen. Ich gehöre zu denen, die sich nicht durch die Manipulation über die vorgegaukelte Leistungskraft der DDR-Wirtschaft haben täuschen lassen.

    (Unruhe bei der SPD)

    — Jetzt hören Sie erst einmal zu! Ich verstehe überhaupt nicht, daß Sie dazu das Wort nehmen. Ich muß Sie wirklich daran erinnern, was hier im Bundestag los war, als Herr Modrow als Ministerpräsident hierherkam und sagte, er wolle 15 Milliarden DM haben; wenn er sie bekomme, gingen die Dinge einigermaßen in Ordnung. Dann haben doch Sie gerufen: Er muß die 15 Milliarden DM bekommen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf des Abg. Dr. Hans Modrow [PDS/Linke Liste])

    — Herr Modrow, wir brauchen uns darüber nicht zu
    unterhalten. Sie haben die 15 Milliarden DM in der
    Erwartung, daß Sie damit die Probleme lösen können, angefordert. Heute weiß man, daß es eine Illusion war, wir könnten mit 15 Milliarden DM die Probleme lösen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Im übrigen haben Sie es besser gewußt. Wenn Sie mich jetzt schon ansprechen: Sie haben damals nicht die Wahrheit gesagt; denn Sie wußten, was ich erst heute weiß, daß die führenden SED-Funktionäre im Wirtschaftsbereich Ihnen und anderen innerhalb des Politbüros Papiere vorgelegt haben, aus denen hervorging, daß die DDR-Wirtschaft so oder so, Einheit oder nicht, in den Bankrott gehen würde, und zwar bald. Sie haben uns das verschwiegen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wahr ist aber auch, meine Damen und Herren, daß das volle Ausmaß dessen, was uns erwartet hat und was wir erfahren haben, von niemandem — ich behaupte dies — vorausgesehen wurde. Das können wir doch ehrlich miteinander besprechen. Ich beobachte jetzt gelegentlich diese oder jene Äußerung aus der Wissenschaft. Ich kann nur sagen: Zu jenem Zeitpunkt hat man davon nichts gehört.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

    Viele, die wie ich nur gelinde Zweifel angemeldet haben, sind als kalte Krieger und Scharfmacher verschrien worden. Das war doch die Erfahrung!

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, wir brauchen uns aber über diese Sache eigentlich nicht zu streiten. Denn wahr ist doch, daß wir im Vertrag zur Schaffung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion gemeinsam von einem erheblichen Vermögen der damaligen DDR ausgegangen sind. Jetzt streite ich wieder nicht um die Summen; Theo Waigel hat sie gestern hier genannt. Aber warum, frage ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat man dann einen sogenannten Besserungsschein in diesem Vertrag vorgesehen, wenn wir nicht der Erwartung gewesen wären oder wenn nicht die Erwartung geweckt worden wäre, daß am Ende, wenn die Dinge geordnet sind, noch etwas zur Verteilung an die Bürger der damaligen DDR übrigbleibt? Sie werden doch nicht behaupten, daß alle Verhandler — etwa der damalige SPD-Finanzminister und Verhandler für die DDR, die Regierung de Maizière und auch die Bundesregierung — leichtfertig gehandelt haben.

    (Zurufe von der SPD)

    — Natürlich war dies so. Man kann natürlich heute sagen: „Ihr habt euch getäuscht". Darm sage ich: „Gut, das ist wahr. Aber ich lehne es ab, in der Art über die Dinge zu reden, wie jetzt geredet wird."
    Ich nehme ein anderes Beispiel, das mich persönlich besonders betrifft. Ich habe vor jetzt gerade 14 Monaten in einem langen Gespräch in Kiew mit dem damaligen Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, ein ganz konkretes Programm im Gegenwert von mindestens 25 Milliarden DM ausgehandelt, das vorsah, daß wir Warenströme aus den Be-



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    trieben der neuen Bundesländer, der früheren DDR, in die Sowjetunion lenken. Wir haben auch über die schwierige Finanzierung gesprochen. Gestern ist hier das Beispiel von den Schiffen genannt worden. Wir würden diese Schiffe ja herzlich gern verkaufen, und zwar so, daß es gerechtfertigt ist, dafür überhaupt den Begriff „Verkauf" zu benutzen. Sie kennen doch das Problem, wenn man so etwas verschenkt. Das haben Sie gestern selbst gesagt. Diese Schiffe standen auf dieser Liste.
    Tatsache ist, daß sich das alles anders entwickelt hat. Michail Gorbatschow ist nicht mehr Präsident der Sowjetunion. Die Sowjetunion ist auseinandergefallen. Die einzelnen Nachfolgerepubliken steuern ihren eigenen Kurs. Wer jetzt, wie der Wirtschaftsminister und in ein paar Wochen der Finanzminister, in Moskau über Schulden, über Rubelkonto und anderes verhandelt — ich selber werde das im Dezember mit Präsident Jelzin in Moskau ebenfalls tun —, der weiß, was das für ein Problem ist. Der weiß auch, daß wir eine Summe erreichen, die auch nicht im entferntesten an die damalige Absprache herankommt.
    Das hat existentielle Bedeutung. Beim Maschinenbau in Chemnitz, bei der Textilindustrie in der Oberlausitz werden bis zu 90 % der Arbeitsplätze abzubauen sein.
    Wir haben auch in anderen Bereichen an dem einen oder anderen Punkt sicherlich nicht das getan, was wir hätten tun müssen. Ich sage das selbstkritisch, aber auf andere trifft diese Kritik auch zu. Wir müssen noch einmal überlegen, was man unter den heutigen Verhältnissen tun kann, um das abzuschwächen, was durch die sofortige Übernahme des komplizierten Bau- und Planungsrechts der alten Bundesländer in den neuen Bundesländern an Negativwirkung entstanden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Das ist seinerzeit schon diskutiert worden. Aber es kam mit Recht der Einwand: Erstens ist das im Rahmen dieser Verfassungsordnung doch so gar nicht zu machen. Zum zweiten — ich sage das ohne Vorwurf gegenüber jenen, die so gedacht oder sich so geäußert haben — können wir das, was wir als gemeinsame Errungenschaft, wie man sagt, erarbeitet haben — denken Sie an das Baugesetzbuch, an die vielen Jahre Arbeit daran auch hier im Parlament —, doch jetzt nicht unseren Landsleuten vorenthalten. — Wir hätten es besser für eine gewisse Zeit vorenthalten; das muß man ehrlich sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Insofern stehen wir in enormen Lernprozessen. Ich finde es wenig sinnvoll, fortdauernd zu sagen: Aber da und dort hast du dich getäuscht. — Ich nehme das mit großer Gelassenheit hin. Sie brauchen keine Angst zu haben. 1994 werden wir über Fehler und Erfolge reden.
    Aber in einem haben wir uns nicht getäuscht. Wir reden hier über die deutsche Einheit nicht mehr mit Blick auf die Zukunft, sondern mit Blick auf die Gegenwart. Eine Reihe der Kollegen, die in diesem Hause sitzen und heute hier zuhören, wären nicht
    Mitglieder des Deutschen Bundestages, wenn wir diese Politik nicht gemacht hätten.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Lassen Sie mich sehr persönlich sagen: Für mich ist und war — das wird auch in Zukunft so sein — das Thema deutsche Einheit nicht irgendein Thema. Ich spüre genau wie Sie alle — das ist auch ein Punkt, Herr Kollege Klose, in dem wir uns wahrscheinlich alle, zumindest die meisten, mehr oder minder getäuscht haben, jedenfalls in der Dimension —, daß neben dem Ökonomischen, auf das ich gleich zu sprechen komme, das menschliche Miteinander das eigentlich Schwierige ist; daß 40 Jahre DDR-Unrecht eben nicht von einem Tag auf den anderen aufgearbeitet werden können. 40 Jahre, das sind zwei Generationen. Hier ist heute immer wieder gesagt worden, junge Leute hätten jede Motivation verloren, weil sie die Wertgrundlage verloren hätten. Die Wertgrundlage ist nicht eine Frage der letzten zwei Jahre. Das ist eine Frage der Erziehung der Kinder und — in diesem Falle — der Erziehung der Eltern, wenn Sie über die letzten 40 Jahre reden.
    Meine Damen und Herren, es ist jetzt wichtig — ungeachtet unserer politischen Auseinandersetzungen — daß jeder, wo immer er kann — das gilt auch für die politischen Parteien, aber nicht nur für sie —, an diesem menschlichen Miteinander mitarbeitet und mitgestaltet. Ich lehne es ab, dieses Thema ausschließlich auf die Politik abzuschieben.

    (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Sehr richtig!)

    Ich sehe hier eine gewaltige Aufgabe der Kirchen. Es wäre dem einen oder anderen in der Kirche zu wünschen, daß er sich im Moment nicht nur um seine eigenen Dinge kümmert, sondern auch dem pastoralen Auftrag für das Ganze nachkommt.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Ich denke, auch die großen Organisationen der Gesellschaft sind hier gefordert. Ich nenne die Gewerkschaften, ich nenne die Wirtschaftsverbände, ich nenne den Sport. Ich habe da am Rande von Barcelona — ich war nicht dort, aber ich habe es mitbekommen — doch manches gehört und gesehen. Und wenn der Sport völkerverbindend ist, wie immer behauptet wird, dann müßte er zumindest im eigenen Land verbindend sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deswegen hat der Sport hier noch eine große Aufgabe. Ich kann die Liste im übrigen beliebig erweitern.
    Nur eines lehne ich kategorisch ab: daß auch die Frage des menschlichen Miteinanders, die Notwendigkeiten, Probleme, Siege und Niederlagen in diesem Feld jetzt auf die Parteien abgeschoben werden. Es ist billig geworden, sein persönliches Unwohlsein auf die Parteien abzuschieben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)




    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Wer weiß — das wissen Sie, das weiß der Parteivorsitzende der SPD, der der CDU und der der F.D.P. genauso wie andere —, wie schwierig es nach diesen Jahrzehnten in einer völlig anderen — auch mentalen —Entwicklung ist, etwa in unseren westdeutschen Parteiverbänden zueinander zu kommen, der erkennt, daß das eine ganz wichtige Aufgabe ist. Aber ich habe, wenn ich mich dieser Aufgabe mit meinen Freunden unterziehe — nicht immer mit Erfolg — nicht die Absicht, mich dafür noch beschimpfen zu lassen. Das sage ich einmal klar und deutlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, Wohlstand im Osten aufbauen, Entwicklung im Westen sichern, das sind die Devise und der Auftrag jetzt. Der wirtschaftliche Aufbau in den neuen Bundesländern hat für uns unveränderte Priorität. Der Bundesfinanzminister hat das gestern in vielen Details deutlich gemacht; ich brauche dem nichts hinzuzufügen. Wir sind zutiefst davon überzeugt, daß wir — das ist unabdingbar, egal, wie man zu anderen Dingen stehen mag — den dafür erforderlichen enormen finanziellen Anforderungen nur durch eine strikte Sparsamkeit in den öffentlichen Haushalten gerecht werden können. Das ist Dreh-und Angelpunkt der öffentlichen Finanzen. Die Solidität der Staatsfinanzen hängt davon ab.
    Wir, die Koalition, haben am 30. Juni erklärt, Bund und alte Länder sowie ihre Gemeinden müssen die Konsolidierungslinie mit durchschnittlich 2,5 bis 3 % jährlicher Steigerungsrate einhalten, damit Steuererhöhungen vermieden werden können.
    Ich weiß, wie schwierig dies im Bund ist. Ich war lange genug Ministerpräsident, um zu wissen, wie schwierig es in den Ländern ist, allein durch den Klotz von Personalhaushalten, die zwischen 40 und 45 % des Gesamthaushaltes ausmachen. Ich war lange genug in der Kommunalpolitik, Mitglied eines Stadtrates

    (Zuruf von der SPD)

    — das können Sie ja nun nicht leugnen; ich kann Ihnen auch noch mein Geburtsdatum sagen, da können Sie auch „nein" schreien, meine Damen und Herren, aber das ist nun einfach wahr —,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    und weiß daher, wie schwer es dort ist. Dennoch glaube ich, meine Damen und Herren, daß es so, wie das jetzt läuft — das ist ja von verschiedener Seite hier kritisiert worden —, nicht laufen kann.
    Und ich füge hinzu: Wenn man jetzt auf der Länderebene sagt, das geht auf gar keinen Fall, dann muß ich ein paar Monate zurückblenden. Auch damals hätte ich diese oder jene Äußerung in der Diskussion um die Tarifrunde gern gehört. Machen wir uns überhaupt nichts vor: Kein Mensch in diesem Saal kann ernsthaft behaupten, daß die Tarifabschlüsse in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst in diesem Jahr unserer wirtschaftlichen Situation angemessen sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Und ich rede jetzt nicht nur von den Tarifabschlüssen, was die Summe betrifft, sondern auch davon, daß in Fragen der Arbeitszeitverkürzung insgesamt in Deutschland so getan wird, als hätte es die deutsche
    Einheit überhaupt nicht gegeben. Wenn also gerne von Opfern geredet wird, dann, finde ich, wäre das einfachste Opfer für alle, wenn wir seinerzeit eine weitere Verkürzung der Arbeit gestoppt und gesagt hätten, dies ist ein Beitrag zu einer soliden Wirtschaft und einer soliden Gesamtentwicklung für Deutschland als Ganzes.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren von der SPD, zwei Ihrer Kollegen — sie sind zwar dafür beschimpft worden —, aber das macht ja nichts, für gute Vorschläge wird man meistens erst einmal beschimpft — aus dem Bereich der Bundesländer haben in einem anderen Zusammenhang Anregungen gemacht, über die wir doch zumindest einmal reden sollten.
    Es ist angeregt worden, die Aufwendungen für Asylbewerber in einem zumutbaren Umfang zu senken.
    Das ist eine Frage, die sich jetzt stellt. Wenn wir sie uns hier nicht stellen, müssen wir uns fragen, ob wir noch sehen, was unsere Bürgerinnen und Bürger, unsere Wähler dazu sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Jeder von uns, meine Damen und Herren, muß doch zugeben, daß das, was wir auf diesem Gebiet einmal konzipiert haben, für einen ganz anderen Fall und für eine andere Größenordnung gedacht war. Es war gedacht für jene Gruppe, um die es beim Asyl nach unserem Verfassungsverständnis immer gegangen ist. Es geht nämlich darum, Menschen — und das muß auch so bleiben —, die aus rassischen, politischen oder religiösen Gründen verfolgt werden, bei uns Heimat zu geben. Das ist eine Bringschuld der Deutschen angesichts der Geschichte dieses Jahrhunderts. Das bleibt auch so.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Aber das, was sich daraus jetzt entwickelt hat — und das macht doch einen Teil der Stimmung aus —, ist auf die Dauer so nicht erträglich! Deswegen sollten Sie die beiden Kollegen zunächst nicht beschimpfen, sondern bereit sein — das ist ja ein Teil des Gesprächs über den Solidarpakt —, gemeinsam zu überlegen, was man tun kann. Wenn es um Gesetze geht, Herr Kollege Klose, bei denen der Bund die Gesetzgebungskompetenz hat und die von den Ländern angeführt werden, sind wir sofort zum Gespräch bereit und auch willens — wenn es nützlich ist —, solche Gesetze zu ändern. Das biete ich hier für die Bundesregierung an.

    (Peter W. Reuschenbach [SPD]: Beschleunigen Sie lieber die Tausende von unerledigten Asylanträgen!)

    — Herr Kollege, führen Sie die Diskussion doch zu dem Punkt! Sie wissen doch genau, daß das Problem damit gar nicht zu lösen ist.

    (Peter W. Reuschenbach [SPD]: Unfähigkeit — und andere verantwortlich machen, so ist das! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Entschuldigung, ein Teil unseres Problems ist, daß
    die Debatte so stattfindet, daß Sie auf etwas antwor-



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    ten, was ich gar nicht gesagt habe. Ich habe überhaupt niemanden angeklagt,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    sondern ganz ruhig die Frage gestellt, ob wir fähig sind, über Vorschläge, die sogar aus Ihren Reihen kommen, nachzudenken und Dinge zu verbessern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich füge weiter hinzu, daß jeder — Sie haben es doch auch gesagt — erkennen muß, daß wir uns gegenwärtig in schwerer See im Bereich der Weltwirtschaft bewegen. Ein Blick nach Amerika, nach Japan und in die europäischen Länder zeigt das. Und in einem Land, in dem die Hälfte der Arbeitsplätze vom Export abhängt, muß man dann doch Konsequenzen ziehen!
    Es ist hier von Graf Lambsdorff richtig gesagt worden: Wenn die westdeutsche Industrie nicht boomt, wenn hier auch über Steuern nicht das nötige Geld hereinkommt, haben wir nicht die Mittel zum Transfer in die neuen Länder.
    Deswegen finde ich, daß wir — ungeachtet aller anderen Notwendigkeiten — gemeinsam — und das gehört ebenfalls in ein Gespräch über den Solidarpakt — über den Standort Deutschland, über bessere Bedingungen für Investitionen, über eben die Dinge, die wir jetzt tun müssen, reden sollten, damit wir eine Entwicklung einleiten, die die Chance bietet, daß die Bundesbank bestimmte Entscheidungen trifft, die heute weltweit, wie Sie wissen, gewünscht werden, die aber jetzt aus bestimmten Gründen nicht zu treffen sind.
    Wir sind in der Situation, daß wir in diesen Jahren — das gehört auch zu dem Plus und Minus dieser zehn Jahre — Spitzenlöhne und zugleich die kürzeste Arbeitszeit haben. Und was vielleicht das Allerschlimmste ist — zumindest dieses Problem müßten wir jetzt einmal angehen —: Wir haben gleichzeitig die kürzeste Maschinenlaufzeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.

    (Zuruf von der SPD: Das stimmt doch gar nicht! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Sie brauchen doch nur nachzulesen, was Jacques Delors dazu veröffentlicht hat. Ich brauche es Ihnen doch nicht zu sagen. Jeder, der hier laut dazwischenruft, sollte das wenigstens vorher gelesen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Anders ausgedrückt: Wir müssen alles tun, um die Standortbedingungen zu verbessern. Das ist immer zugleich auch ein Beitrag zur Sicherung der Zukunft der neuen Bundesländer. Deswegen will ich noch einmal sagen: Das gestern vom Finanzminister vorgelegte Konzept der Unternehmenbesteuerung ist von entscheidender Bedeutung für die Zukunft, und zwar in allen Teilen Deutschlands!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Jetzt ist entscheidend, daß Bund, Länder und Gemeinden, private Wirtschaft, Treuhand und Tarifpartner den Versuch unternehmen, möglichst gemeinsam das Notwendige zur Stabilisierung und zum Aufschwung beizutragen.
    Ich will sechs für mich wichtige Punkte nennen:
    Erstens. Für einen erfolgreichen wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern muß die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft in den alten Bundesländern gesichert werden. Das eine ist die Voraussetzung für das andere.
    Zweitens. Investitonen sind der Schlüssel für den Aufbau Ost. Öffentliche Investitionen von Bund, Ländern und Kommunen, von Post, Bahn und Sozialversicherung haben eine Dimension erreicht, wie das in einer vergleichbaren Industriegesellschaft noch nie der Fall war.
    Wir alle sehen aber mit großer Sorge, daß die Investitionsbereitschaft im privaten Bereich weit hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben ist.

    (Dr. Alfred Dregger [CDU/CSU]: Das ist der Punkt!)

    Deswegen müssen wir jetzt — und das notwendige Gespräch mit der Wirtschaft, mit den Gewerkschaften ist hier besonders hervorzuheben — in diesem Sektor entsprechende Überlegungen anstellen. Wir haben die Investitionszulage für die neuen Länder bis 1996 verlängert, haben die Regionalförderung erhöht.
    Drittens. Wir wollen — für mich ist das ein ganz entscheidender Punkt — vor allem sehr schnell weitere Überlegungen anstellen, was wir im Bereich des industriellen Mittelstandes tun können. Es ist schon viel geschehen, aber wir haben hier eine ganz besonders schwierige Lage. Für mich gehört, was den ökonomischen Bereich angeht, die Vernichtung des Mittelstands in der alten DDR durch die SEDHerrschaft zu den schlimmsten Folgen des ganzen SED-Regimes.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Denn, meine Damen und Herren, ohne einen möglichst schnellen Aufbau eines selbständigen, unabhängigen Mittelstandes werden wir auf die Dauer keine Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft in den neuen Ländern aufbauen können.
    Gefragt ist menschliches Miteinander auch im Bereich von Finanzen und Wirtschaft, und Solidarität erweist sich eben darin, daß auf längere Zeit 4 bis 5 % des Bruttosozialprodukts, also gut 140 Milliarden DM jährlich, für den Aufbau zur Verfügung gestellt werden. Theo Waigel hat dies alles dargestellt. Zu diesem Bild gehört aber auch, daß wir mit der jetzigen Größenordnung unserer finanziellen Unterstützung für Ostdeutschland die Grenze der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit allmählich erreicht haben. Es muß gemeinsame Überzeugung sein, daß dieser finanzielle Kraftakt im Interesse unserer gemeinsamen Zukunft — das ist auch wahr — längere Zeit notwendig ist, als viele — auch ich — gedacht haben.
    Viertens. Eine der größten Schwierigkeiten für den Aufbau in den neuen Bundesländern ist nicht vor, sondern nach dem 3. Oktober entstanden: Das sind die Löhne, das ist die Frage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der Produktivität, im Zusammenhang mit den Löhnen. Sie sind weit auseinander gelaufen. Meine Damen und Herren, es muß doch unter vernünftigen Menschen möglich sein, nicht gegen die Gewerkschaften, sondern in vernünftigen Gesprä-



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    chen mit den Gewerkschaften hier eine Lösung zu finden. Es muß doch unser gemeinsames Interesse sein, die Gewerkschaften nicht zu schwächen.

    (Zurufe von der SPD)

    — Das haben Sie von mir schon hundertmal gehört, aber Sie hören ja nicht zu. Deshalb fällt es Ihnen so leicht, Zwischenrufe zu machen. Meine These war immer, daß eine gesunde Volkswirtschaft starke Gewerkschaften haben muß. Daß die Gewerkschaften — „die" Gewerkschaften ist zu pauschal, ist falsch —, daß manche der Gewerkschaften das mir gegenüber nicht sonderlich honoriert haben, ist wahr. Ich war nie die erste Wahl der führenden DGB-Leute, aber ich bin immer noch da. Auch das gilt in diesem Zusammenhang.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Ich sage noch einmal: Wir müssen den Zusammenhang zwischen Löhnen, Produktivität und Sicherheit von Arbeitsplätzen in den neuen Ländern herstellen und zu Regelungen kommen, die berücksichtigen, daß das Automobilwerk in Eisenach, das in ein paar Tagen endgültig eingeweiht werden wird, und ein bestehender mittlerer Betrieb in der dortigen Umgebung völlig unterschiedliche Bedingungen haben. Hierauf muß man doch Rücksicht nehmen. Wer dies nicht begreift, kann die Lage in den neuen Ländern nicht begreifen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Daß es gelingt, mit gemeinsamer Tat — trotz des großen Geschreis in manchen Ecken unserer Republik — Gutes zu tun, vernünftige Ergebnisse zu erzielen, erleben Sie in diesen Tagen. Bloß, darüber lesen Sie fast nichts. Es ist doch eine höchst erfreuliche Tatsache, daß alle jungen Leute, die eine Lehrstelle wünschen, die etwas lernen wollen und nicht nur an einen Ort gebunden sind — das ist ja im Westen nicht anders —, mit größter Wahrscheinlichkeit eine gute Chance haben, eine Lehrstelle zu finden, und daß wir im überbetrieblichen Ausbildungsbereich für eine Übergangszeit aushelfen können. Denjenigen, die das kritisieren, will ich nur sagen: Das war in der alten Bundesrepublik nie anders. In meiner Heimatstadt Ludwigshafen sind junge Leute aus dem Bayerischen Wald über viele Jahre als Chemiewerker ausgebildet worden und erstklassige Fachleute geworden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir können doch nicht erwarten, daß die Lehrstelle in dieser wirtschaftlichen Situation überall vor Ort zu finden ist. Der entscheidende Punkt ist doch, daß eine junge Frau, ein junger Mann jetzt eine Ausbildung erhält, daß sie nicht auf die Straße getrieben werden — mit all den Konsequenzen, die sich daraus ergeben können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Der fünfte wichtige Punkt ist die Arbeitsmarktpolitik. Ich will sie hier nicht weiter ausführen. Dazu wird in der Debatte mit Sicherheit noch etwas gesagt werden. Ansonsten glaube ich, daß die Bundesregierung, die Koalitionsparteien auf diesem Feld das getan haben, was notwendig ist.
    Der sechste Punkt betrifft die notwendige, drastische Vereinfachung von Rechts- und Verfahrensvorschriften. Der Perfektionismus auf diesem Gebiet muß fatale Wirkungen haben, weil vor allem viele, die diese Verordnungen zum ersten Mal in ihrem Leben sehen oder anwenden müssen, in eine Entscheidungsängstlichkeit getrieben werden, die völlig inakzeptabel ist. Deswegen haben wir im Kabinett darüber gesprochen. Ich hoffe, daß die Bundesregierung bald Vorschläge in diese Gespräche einbringen kann, wie wir hier zu Vereinfachungen kommen können.
    Meine Damen und Herren, ich hoffe sogar — und wir können ja voneinander lernen —, daß die Entwicklung in den neuen Ländern, wenn wir hier auf einen klugen Kurs gehen, auch Auswirkungen auf die bisherige Situation in den alten Ländern hat. Denn wenn wir für lebenswichtige kommunale und andere Anlagen der öffentlichen Hand Genehmigungszeiträume zwischen fünf und zehn Jahren haben, können wir in den neuen Ländern alles vergessen. Aber wenn wir erreichen würden, daß das, was in Sachsen oder in Thüringen heute in kürzerer Zeit möglich ist, auch in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen schneller möglich ist, dann würden wir dem Wunsch vieler Oberbürgermeister und Politiker auf Landes- und kommunaler Ebene entsprechen, die leider zu wenig öffentlich sagen, wohin die Dinge getrieben sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das ist ein Grund, warum ich in dieser Woche zu Gesprächen über einen Solidarpakt eingeladen habe. Herr Klose, mir geht es überhaupt nicht darum, mich in einer großen Runde mit vielen Notablen zu versammeln, sondern ich habe in der Einladung ja geschrieben, daß wir diese Gespräche mit Experten vorbereiten wollen. Wir haben dann Gelegenheit, über Vorschläge zu reden, und am Ende sollten Sie dann erklären, was aus Ihrer Sicht gut und was nicht gut ist. Aber erst müssen wir miteinander reden. Wenn Sie dann am Ende sagen würden, ich bin nicht für eine große Koalition, aber ich will als Oppositionsführer einen Sachbeitrag leisten, dann haben Sie einen guten Beitrag zur deutschen Gegenwart geleistet.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch eine kurze Bemerkung zu drei Bereichen.
    Zum Thema innere Sicherheit: Ich will nicht auf das eingehen, was eine Rednerin hier vor mir gesagt hat. Wer es gehört hat oder es liest, weiß, es erübrigt sich. Aber es ist unbestreitbar, daß nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa die Frage der inneren Sicherheit immer mehr Menschen beschäftigt. Das ist auch ganz verständlich, wenn Sie die Tatsachen zur Kenntnis nehmen. Die Zahl gewalttätiger Ausschreitungen hat zugenommen, und zwar auch im Bereich der Extremisten von rechts und von links. Ich bin strikt dagegen, diesen Extremismus nur auf einer Seite zu sehen.

    (Lachen und Zurufe von der SPD)

    — Das werden Sie nicht bestreiten können. Ich kann
    Beispiele nennen. Was in der Hamburger Hafenstraße



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    in diesen Jahren passiert ist, geschah doch nicht durch Rechtsextremisten.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD und der PDS/Linke Liste)

    In den alten Bundesländern stieg die Zahl der Straftaten innerhalb der ersten sechs Monate dieses Jahres um 10 %. Bei den Raubdelikten, meine Damen und Herren, ist eine Steigerung von 30 % festzustellen. Deswegen wehre ich mich entschieden dagegen, in dieser schwierigen Zeit immer nur auf die neuen Bundesländer zu schauen.
    Das, was mir mit weitem Abstand die meisten Sorgen macht, ist, daß die Rauschgiftkriminalität und das organisierte Verbrechen zu einer ernsten Bedrohung der inneren Sicherheit in Europa geworden sind. Es ist zwingend, daß wir hier handeln. Es war die deutsche Bundesregierung — und im Rahmen der Regierung vor allem ich —, die bei allen EG-Gremien darauf gedrängt hat, daß wir in diesem Zusammenhang mit Europol endlich eine Einrichtung schaffen, die in der Lage ist, zu helfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Vor ein paar Tagen schrieb einer, von dem ich eigentlich glaube, daß er auch Ihr Ohr finden müßte, nämlich der ehemalige Präsident des Oberlandesgerichts Braunschweig und langjährige Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen, Rudolf Wassermann:
    Ein Staat, der das Recht nicht durchzusetzen und der Gewalt nicht zu wehren weiß, wird von seinen Bürgern nicht ernst genommen, ja verachtet.

    (Peter W. Reuschenbach [SPD]: Wer regiert hier denn eigentlich?! — Gegenruf des Abg. Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Wer ist denn für die Polizei zuständig?!)

    Die Vorgänge in Rostock waren keine singulären Ereignisse. Sie hatten ihre Vorläufer und werden sich wiederholen, wenn der Rechtsstaat den Gewalttätern nicht ernstlich die Zähne zu zeigen lernt.
    Wir alle wissen, daß Freiheit und Sicherheit nicht im Gegensatz zueinander stehen, wie oft aus einer falsch verstandenen Liberalität heraus behauptet wird. Wir alle wissen, daß wir eine wehrhafte Demokratie brauchen. Und in den Rahmen dieser wehrhaften Demokratie, füge ich hinzu, gehört auch, daß wir den Dienst unserer Polizeibeamten unterstützen und daß wir uns gegen jede Verunglimpfung wenden, wo sie auch stattfindet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Ich sage das gern noch einmal angesichts von zwei Ereignissen der letzten Monate. Die gleichen, die die Polizei beschimpft haben, in Wort und Schrift, daß sie in Rostock nicht tatkräftig genug eingeschritten sei, haben sie in München beim Weltwirtschaftsgipfel ein paar Wochen zuvor in einer völlig unangebrachten Weise beschimpft.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Lebhafte Zurufe von der SPD)

    Deshalb ein kurzes Wort zu dem Thema der Ausschreitungen.

    (Zurufe der Abg. Andrea Lederer [PDS/Linke Liste])

    — Ich wäre an Ihrer Stelle nicht so laut; denn wenn es darum geht, die Probleme im heutigen Deutschland, in den neuen Ländern zu lösen und in Ordnung zu bringen, muß man immer wieder feststellen, daß nicht diejenigen in den Kommunalparlamenten, in den Gemeindeverwaltungen, in den Landratsämtern, in den Landesregierungen und in der Bundesregierung, die heute Verantwortung tragen, diese Probleme geschaffen haben, sondern daß sie ein verbrecherisches Regime in über 40 Jahren geschaffen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Erlauben Sie mir auch ein Wort zu dem Thema Ausschreitungen in Rostock. Das, was dort passiert ist, ist eine Schande — ich habe es immer wieder gesagt — für unser Land, und es schadet dem Ansehen Deutschlands in der Welt. Wer das Leben von Menschen gefährdet, wer Ausländerhaß schürt, wer die gewalttätige Auseinandersetzung mit Recht und Gesetz sucht, dem muß dieser wehrhafte Rechtsstaat entschlossen entgegentreten.
    Wahr ist auch — das müssen wir unseren Partnern und Freunden im Ausland immer wieder sagen, und ich bin dankbar, daß auch Sie es getan haben, Herr Klose —, daß die Bürger unseres Landes mit ganz wenigen Ausnahmen friedlich und nachbarschaftlich mit den hier ansässigen Ausländern zusammenleben.
    Die riesige Mehrheit weiß auch, daß ohne die Arbeitskraft der Ausländer, die zu uns gekommen sind, um hier zu arbeiten, das Bruttosozialprodukt und der Wohlstand Deutschlands von heute nicht erreicht worden wäre.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Aber die Menschen machen sich Sorgen über den massenhaften Zustrom von Asylbewerbern, die eben nicht in ihrer Heimat aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen verfolgt sind. Daß jemand, der in einem Land lebt, in dem man an der wirtschaftlichen Zukunft verzweifelt, woanders eine neue Heimat sucht, ist wohl ganz verständlich. Nur, die Bundesrepublik Deutschland kann die Probleme in weiten Teilen der Welt so nicht lösen.
    Die Zahlen müssen eigentlich jede Diskussion erleichtern: 1990 waren es knapp 195 000, 1991 256 000, seit Anfang 1992 sind es 260 000 Asylbewerber. Das heißt, wir werden alles in allem in diesem Jahr über 400 000 Asylbewerber haben.
    Diejenigen, die sagen, so können wir das nicht machen, sind nicht fremdenfeindlich und nicht ausländerfeindlich; das ist falsch.
    Daß es in diesem Land Leute gibt — es sollte eigentlich unser gemeinsames Interesse sein, denen entgegenzutreten —, die daraus Vorteile ziehen wollen und in der Tradition der Rechtsradikalen, die es in Deutschland und anderswo in Europa immer gab, versuchen, aus diesen Stimmungen Stimmen zu gewinnen, ist wahr. Aber es geht hier nicht darum, daß



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    wir solchen Leuten und solchen Parteien nachlaufen, sondern darum, daß wir ihnen die Argumente durch eine vernünftige und kluge Politik wegnehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deshalb begrüße ich es, Herr Ministerpräsident und Parteivorsitzender der SPD, daß Sie sich jetzt — ich sage: endlich; aber in dieser Frage ist „spät" besser als „nie" — auf den Weg gemacht haben, hier eine Kooperationsmöglichkeit, eine Verständigungsmöglichkeit zu suchen. Ich wünsche Ihnen dabei viel Glück in der eigenen Partei.
    Herr Klose, ich höre gerne, daß Sie hier die FAZ zitieren; normalerweise werden bei Ihnen andere Druckerzeugnisse mehr zitiert. Sie zitieren die FAZ vom Samstag. Nun, wir könnten die Zeitungen austauschen; schauen Sie doch in die heutige FAZ. Am Samstag war die CDU dran, heute ist die SPD dran. Das ist der Lauf der Welt, und Parteivorsitzende haben da das gleiche Schicksal.
    Ich möchte zu dem zentralen Thema zurückkommen. Ich wünsche, daß wir uns verständigen, aber nicht auf Halbheiten, sondern auf eine Lösung, die wirklich eine Lösung ist, zumal da jeder weiß — das spreche ich mit Bedacht aus —, daß wir allein über eine Verfassungsänderung dieses Problem natürlich nicht lösen können.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD — Zurufe von der SPD: Aha! — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Aber ohne sie geht's nicht!)

    Aber dies habe ich und hat der Kollege Schäuble unzählige Male gesagt.
    Sie haben mit der SED ein Papier über Streitkultur erstellt. Das können Sie wegwerfen. Ihr stellvertretender Parteivorsitzender hat dazu eine ungewöhnlich kluge Bemerkung gemacht. Aber übernehmen Sie davon wenigstens so viel, daß wir hier im Parlament zu einer vernünftigen Streitkultur kommen, und nehmen Sie zur Kenntnis, daß wir in diesem Zusammenhang immer zwei Dinge gesagt haben, nämlich daß die Frage des Asyls für politisch, religiös und rassisch Verfolgte außer jeder Diskussion steht — Punkt! —, und zum zweiten, daß wir sehr wohl wissen, daß eine Verfassungsänderung allein die Probleme nicht löst, aber einen erheblichen Teil davon. Wenn man überhaupt nicht beginnt, dann hat man gar keine Chance, etwas zu lösen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Erlauben Sie mir in dieser Debatte — es ist ja eine dramatische Zeit — noch eine kurze Bemerkung zu der Entwicklung in Europa und in der EG. Es wäre eine sonderbare Generalaussprache im Deutschen Bundestag im September, wenn wir nicht wenigstens ganz kurz darauf zu sprechen kämen, daß in wenigen Wochen, am 1. Januar 1993, der Europäische Binnenmarkt und zugleich der Europäische Wirtschaftsraum in Kraft tritt. Er wird mit 380 Millionen Menschen der größte Wirtschaftsraum der westlichen Welt sein.
    Wir haben aus der Geschichte gelernt, daß eine Wirtschaftsgemeinschaft ohne ein politisches Dach, ohne eine politische Union nicht existenzfähig ist. Ich sage an die Adresse der Kritiker in Deutschland und außerhalb Deutschlands, auch in den Ländern, die Referenden haben: Meine Damen und Herren, wer glaubt, er könne Wirtschaft und Handel übernational in einem engen Verbund betreiben, während die politische Einigung noch aussteht, der täuscht sich. Es gibt nicht ein einziges Beispiel in der Geschichte, daß derlei funktioniert hat.
    Diejenigen, die in diesen Tagen die EG kritisieren — das hören wir ja überall —, daß sie nicht genug im ehemaligen Jugoslawien tue, sollen die Frage beantworten: Sind Sie für oder gegen Maastricht? Denn erst der Maastricht-Vertrag verschafft uns die Politische Union und damit eine wirkliche Handlungsfähigkeit der EG nach außen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Eine völlig andere Sache ist — das räume ich ein —, daß die EG schon heute mehr tun könnte. Ich wünsche mit beispielsweise, daß im Blick auf die zu erwartenden großen Probleme für die Flüchtlinge in und aus dieser Region die Länder der Europäischen Gemeinschaft mehr tun. Ich wäre schon sehr zufrieden, wenn alle, gemessen an ihren Verhältnissen, genau das tun würden, was die Bundesrepublik Deutschland bis zum heutigen Tag getan hat.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir dürfen nicht zulassen, daß der imperiale Terror, der von serbischer Seite ausgeübt wird, dazu führt, daß die Menschen aus ihrer Heimat vertrieben und überall in der Welt verstreut werden. Die Politik darf nicht aufgeben. Es darf nicht die Rechnung aufgehen, daß man Grenzen mit Gewalt verändert. Die serbische Seite muß wissen: Von der Bundesrepublik Deutschland gibt es am Tag nach dem Krieg keine Mark, wenn man glaubt, über eine Veränderung der Grenzen mit Gewalt Zukunft gestalten zu können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Unser Ja zu Maastricht ist ein Ja, das aus der Erfahrung der deutschen Geschichte gewachsen ist. Ich stehe nicht an, hier aufs neue zu erklären: Wenn wir, nachdem wir die deutsche Einheit geschenkt bekommen und erreicht haben, jetzt nicht die Politische Union, die politische Einigung Europas mit der gleichen Intensität durchsetzen, werden wir vor der Geschichte versagen.
    Wer auf Europa schaut und wer manche Tonart hört, die man in Frankreich vor dem Referendum zur Kenntnis nehmen muß, der weiß, daß nicht wenige in Europa — ob berechtigt oder nicht, ist nicht die Frage — wieder mit dem „Gespenst Deutschland" umgehen. Wir müssen uns dagegen in angemessener Weise zur Wehr setzen; das ist wahr. Aber das Beste, was wir tun können, ist, daß wir dieses wiedervereinte freiheitliche Deutschland mit unter das Dach einer Europäischen Union stellen.
    Für mich lautet die Lehre der europäischen Geschichte dieses Jahrhunderts: Friede, Freiheit gibt es nur in einem einigen Europa. Jeder Rückfall in die Rivalität von gestern und vorgestern ist am Ende ein Rückfall in die Barbarei. Dies sollten wir mit Blick auf



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    92 Jahre dieses Jahrhunderts hoffentlich gelernt haben.
    Ich glaube trotz aller Probleme, daß wir alle Chancen haben und daß — wie Sie zitiert haben — mit den Tugenden der Klugheit, des Mutes und des Maßes die Zukunft des Landes zu gewinnen ist. Wir, die Bundesregierung, sind dazu bereit. Wir laden Sie dazu ein.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Renate Schmidt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort für eine Kurzintervention hat der Abgeordnete Werner Schulz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Werner Schulz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Bundeskanzler, ich muß hier mit aller Deutlichkeit einer Legendenbildung entgegentreten. Sie haben heute sich und andere Menschen erneut getäuscht, indem Sie den Eindruck erweckt haben, als seien Ihnen die Risiken und Gefahren einer schnellen Wirtschafts- und Währungsunion nicht in vollem Umfang bewußt gewesen.
    Ich zitiere Ihnen sogleich aus einem Brief, der Ihnen am 9. Februar 1990 der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage geschrieben hat. Es war kein geringerer als Professor Hans-Karl Schneider. Aber offensichtlich haben Sie diesen Brief verdrängt oder hinter den Spiegel gesteckt.
    Ich zitiere Ihnen, aus einem dreiseitigen Schreiben, wo er vor den Folgen dieser Wirtschaft- und Währungsunion Warnungen erhebt: Riesige Belastungen kämen auf die öffentlichen Haushalte zu. Es wären nicht nur erhebliche Steuererhöhungen unvermeidlich, es würden vielmehr auch öffentliche Mittel in Transfers für konsumtive Verwendungen gebunden, die bei der Finanzierung von Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur fehlen müßten. Dies könne nicht im Interesse der Menschen in der DDR sein.
    Sie haben darüber Bescheid gewußt. Doch Sie haben sich darüber hinweggesetzt. Das lag in Ihrem Kalkül.
    Aber ich möchte auch einer anderen Legendenbildung entgegentreten. Nicht der vorletzte Ministerpräsident der DDR hat von Ihnen 15 Milliarden DM gefordert, sondern es war eine Bitte des Runden Tisches. Dahinter stand ein Sanierungskonzept.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    — Sie können lachen. Diese damals notwendige wirtschaftspolitische Maßnahme wurde von Ihnen mit der gleichen Geringschätzigkeit abgelehnt, indem Sie gesagt haben: Wir investieren nicht in ein Faß ohne Boden.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Aber dieses Faß hatte damals nur Löcher. Die wären leicht zu stopfen gewesen, wenn man es von Anfang an in Angriff genommen hätte.