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    Plenarprotokoll 12/103 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 103. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Inhalt: Begrüßung einer Delegation des ungarischen Parlaments 8785 D Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltspians fur das Haushaltsjahr 1993 (Haushaltsgesetz 1993) (Drucksache 12/3000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1992 bis 1996 (Drucksache 12/3100) Hans-Ulrich Klose SPD 8713B, 8761D Dr. Wolfgang Bötsch CDU/CSU 8721B Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . 8725B, 8754 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 8729 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 8730C Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8733 D Dr. Helmut Kohl Bundeskanzler BK 8736A, 8745C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8745 A Björn Engholm, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein . . . . . 8746A, 8755B Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . 8750 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU 8755C, 8762B Franz Müntefering SPD 8759 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA 8762 D Hans-Ulrich Klose SPD 8765 A Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 8766 A Ulrich Irmer F D P. 8767 D Volker Rühe, Bundesminister BMVg . . 8769 D Walter Kolbow SPD 8773 B Paul Breuer CDU/CSU 8775 A Dr. Klaus Rose CDU/CSU 8776 C Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . 8778 B Dr. Sigrid Hoth F D P 8781 B Dr. Karl-Heinz Hornhues . . . . 8782C, 8798B Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 8784 B Hans-Gerd Strube CDU/CSU 8786A Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 8787 B Carl-Ludwig Thiele F D P 8788 B Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 8790 A Dr. Ingomar Hauchler SPD 8792 A Hans-Peter Repnik CDU/CSU 8793 D Werner Zywietz F.D.P. . . . . . . . . 8794 D Dr. Ingomar Hauchler SPD 8795 B Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8796 B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8799 B Ortwin Lowack fraktionslos 8800 C Ulrich Briefs fraktionslos 8802 B Rudolf Seiters, Bundesminister BMI . . 8804 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . 8806A, 8815C Gerd Wartenberg (Berlin) SPD 8809C Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . 8813D Gerd Wartenberg (Berlin) SPD . . . 8817C Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 8818C Ina Albowitz F D P 8820 B Freimut Duve SPD 8822A, 8826 B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8822D, 8841 C Freimut Duve SPD 8823 C Karl Deres CDU/CSU 8824 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . 8826 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 8829 A Dr. Hans de With SPD 8831 B Norbert Geis CDU/CSU 8834 B Dr. Hans de With SPD 8834 D Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 8836 A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 8836D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 8838 C Dr. Michael Luther CDU/CSU 8840B Dr. Norbert Geis CDU/CSU 8842 D Tagesordnungspunkt 4: a) Fortsetzung der Beratung (Abstimmung) der Entschließungsanträge der Fraktion der SPD zum Nachtragshaushaltsgesetz 1992 (Drucksachen 12/2910, 12/2911) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu den dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 1/92 und 2 BvE 2/92 (Drucksache 12/3195) Ortwin Lowack fraktionslos (Erklärung nach § 31 GO) 8804 A Nächste Sitzung 8843 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 8845* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1993) Michael von Schmude CDU/CSU . . . . 8845* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 8713 103. Sitzung Bonn, den 9. September 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 09. 09. 92*** Antretter, Robert SPD 09. 09. 92* Dr. Blank, CDU/CSU 09. 09. 92** Joseph-Theodor Blunck, Lieselott SPD 09. 09. 92* Böhm (Melsungen), CDU/CSU 09. 09. 92* Wilfried Brandt, Willy SPD 09. 09. 92 Clemens, Joachim CDU/CSU 09. 09. 92 van Essen, Jörg F.D.P. 09. 09. 92*** Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 09. 09. 92*** Friedrich, Horst F.D.P. 09. 09. 92 Dr. Fuchs, Ruth PDS/LL 09. 09. 92 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 09. 09. 92*** Gattermann, Hans H. F.D.P. 09. 09. 92 Haschke CDU/CSU 09.09.92 (Großhennersdorf), Gottfried Dr. Holtz, Uwe SPD 09. 09. 92*** Jaunich, Horst SPD 09. 09. 92 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 09. 09. 92 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 09. 09. 92*** Oesinghaus, Günther SPD 09. 09. 92 Opel, Manfred SPD 09. 09. 92** Pfuhl, Albert SPD 09. 09. 92 Poß, Joachim SPD 09. 09. 92 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 09. 09. 92* Reddemann, Gerhard CDU/CSU 09. 09. 92* Regenspurger, Otto CDU/CSU 09. 09. 92 Rempe, Walter SPD 09. 09. 92 Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 09. 09. 92** Helmut Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 09. 09. 92 Scharrenbroich, Heribert CDU/CSU 09. 09. 92*** Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 09. 09. 92 Schulte (Hameln), SPD 09. 09. 92** Brigitte Schuster, Hans F.D.P. 09. 09. 92 Dr. Stercken, Hans CDU/CSU 09. 09. 92*** Weyel, Gudrun SPD 09. 09. 92*** Dr. Wieczorek, Norbert SPD 09. 09. 92 Dr. Wieczorek CDU/CSU 09. 09. 92 (Auerbach), Bertram Wittmann (Tännesberg), CDU/CSU 09. 09. 92 Simon Zierer, Benno CDU/CSU 09. 09. 92* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates **für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung *** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1993) Michael von Schmude (CDU/CSU): Der einigungsbedingte Mehraufwand im Justizetat 1993 unterstreicht erneut den festen Willen von Regierung und Parlament, den Aufbau des Rechtsstaates weiter voranzutreiben und zu konsolidieren. Bei der Haushaltsdebatte 1991 wurde sehr zu Recht die schleppende Abwicklung von Gerichtsverfahren, die totale Überlastung der Grundbuch- und Katasterämter beklagt. Inzwischen hat sich trotz noch immer vorhandener Mängel auch vieles überaus positiv entwickelt. Wer hätte gedacht, daß nach den ersten Erfahrungen-wir mußten ja nach der Säuberung der alten DDR-Justiz in den meisten Bereichen bei Null anfangen - eine derart große Zahl von Juristen für die neuen Bundesländer gewonnen werden könnte. Erinnern wir uns: Es gab dort zur Zeit der Wende 1989 ganze 600 Rechtsanwälte, heute sind es immerhin schon 3 200. Das von der Bundesregierung initiierte Modell „Aufbau des Rechtsstaates" leistet nunmehr einen entscheidenden Beitrag zur Personalausstattung der Gerichte und Grundbuchämter in den neuen Ländern. War es 1991 noch ein Etatansatz von 117,4 Millionen DM, der nur mit 53,5 Millionen ausgenutzt werden konnte, so mußten wir bereits in diesem Jahr den vorgesehenen Betrag von 104,5 Millionen DM noch um Haushaltsreste aus 1991 von rund 19 Millionen DM für EDV-Maßnahmen aufstocken. Damit sind die Zielvorgaben per heute wie folgt verwirklicht worden: i. 1 000 Richter und Staatsanwälte, davon 820 tätig, 500 Rechtspfleger, davon 500 tätig. 2. Der Einsatz von pensionierten Richtern, Staatsanwälten, Rechtspflegern und Urkundsbeamten zeigt leider immer noch ein unbefriedigendes Ergebnis, obwohl bürokratische Hemmnisse beseitigt wurden. Statt der angestrebten Zahl von 500 sind es jetzt erst ganze 68. Man sollte also mehr für ein Seniorenmodell werben. 3. Die Bundesförderung für die Neueinstellung von Richtern, Rechtsanwälten, Rechtspflegern - insgesamt sollen es 300 sein -, wird von den neuen Ländern voll in Anspruch genommen. Diese Gesamtförderung wird 1993 mit 107,5 Millionen DM fortgesetzt, wobei wir die Unterstützung bei der EDV-Ausstattung der Grundbuchämter erneut mit einschließen. Natürlich besteht auch darüber hinaus für die Folgejahre noch Handlungsbedarf. Ich möchte aber heute auch allen danken, die in den neuen Bundesländern auf Dauer oder vorübergehend beim schwierigen Aufbau des Rechtsstaates mitwirken. Sie tragen entscheidend dazu bei, das Vertrauen in unseren Staat zu stärken. Für ganz Deutschland gilt gleiches Recht, und damit muß auch die gleiche Rechtswirklichkeit einhergehen. Allerdings müssen wir in diesem Zusammenhang auch einige selbstkritische Fragen stellen: - Was bremst und blockiert eigentlich den Wiederaufbau im 8846* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992 Osten? — Sind es nicht vielfach bürokratische Hemmnisse, ist es nicht vor allem unser Gesetzesperfektionismus, der schon den Wirtschaftsstandort Westdeutschland mehr als genug belastet? Insoweit muß dringend geprüft werden, ob und wie Maßnahmegesetze zur Beschleunigung — so wie im Verkehrsbereich — auch im Umwelt- und Baubereich für eine begrenzte Zeit einzuführen sind. Die Ungeduld und Unzufriedenheit vieler Landsleute mit bestimmten Verwaltungsabläufen ist verständlicherweise groß. Wir als Gesetzgeber sind darüber hinaus gefordert, bei der Aufarbeitung des DDR-Unrechts zügig fortzufahren. In den letzten 12 Monaten sind wir bereits ein gutes Stück vorangekommen. Ich nenne hier das 1. SED-Unrechts-Bereinigungsgesetz sowie das 2. Vermögensrechts-Änderungsgesetz. Es sind noch gesetzliche Regelungen zur Wiedergutmachung von Berufs- und Verwaltungsunrecht zu beschließen und vor allem das in Kürze vorliegende Entschädigungsgesetz. Die Erwartung aller Betroffenen ist in diesem Bereich besonders groß. Die Höhe der Entschädigung bei Unmöglichkeit der Rückgabe — gleich aus welchen Gründen — muß sich leider auch an den finanziellen Möglichkeiten orientieren. Dasselbe gilt für die Ausgleichsleistungen für besatzungsrechtliche Enteignungen in der Zeit von 1945 bis 1949. Die Anerkennung der Bodenreform auf Grund der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen und _des Einigungsvertrages stellen für den betroffenen Personenkreis eine besondere Härte dar. Die Rückgabe des oft unter unvorstellbaren Bedingungen enteigneten Besitzes wurde ausgeschlossen, obwohl gerade im Bereich der Land- und Forstwirtschaft oft noch wesentliche Teile des Altbesitzes für eine Rückübertragung verfügbar wären. Es ist deshalb dringend geboten, den Anspruch von Alteigentümern auf das geplante Wiedereinrichtermodell ausdrücklich festzuschreiben. Für die nach 1949 Enteigneten sollte noch einmal überprüft werden, ob das bisher geltende Wahlrecht: Rückgabe oder Entschädigung nicht auch künftig beizubehalten ist, da bereits Fälle bekannt wurden, wo Anspruchsberechtigte im Vertrauen auf das geltende Vermögensgesetz freiwillig auf ihren Besitz verzichtet haben, um kommunale Planungen zu ermöglichen. Wichtig ist auch, daß Vertriebene vor allem jenseits von Oder und Neiße, die nach 1945 ihren ständigen Aufenthalt in der früheren DDR genommen haben, eine einmalige Zuwendung von 4 000 DM erhalten sollen, da sie von der in Westdeutschland durchgeführten Lastenausgleichsregelung nicht begünstigt wurden. Zur sozialen Gerechtigkeit gehört selbstverständlich, daß mit dem geplanten Entschädigungsgesetz bei Rückgabe von Vermögenswerten auch der gezahlte Lastenausgleich zurückzuzahlen ist und daß darüber hinaus wegen des Ungleichgewichts zwischen Sachwert bei Rückgabe und Entschädigung eine Vermögensabgabe erhoben werden soll. Zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts gehört ferner, daß die Verfolgung von Regierungskriminalität zügig vorangetrieben wird. Bund und Länder hatten vereinbart, 60 Staatsanwälte zum Kammergericht nach Berlin zu delegieren. Als einziges Bundesland hat das Saarland sich bisher geweigert, seinen Anteil, der sowieso nur aus einem Staatsanwalt besteht, zu leisten. Ein vergleichbar unwürdiges Verhalten konnte man übrigens auch bei anderen SPD-regierten Ländern in der Vergangenheit bereits feststellen, wenn es um die Finanzierung der zentralen Dokumentationsstelle Salzgitter ging. Die Mitarbeiter dieser Einrichtung haben in vorbildlicher Weise Unrechtstatbestände ermittelt und die dafür Verantwortlichen festgestellt. Großen Unmut in der Bevölkerung gibt es verständlicherweise über Fälle von Bereicherung in der früheren DDR, die bis heute nicht rückgängig gemacht wurden. Einige Beispiele dafür hat BILD am Sonntag gerade in der letzten Ausgabe dargestellt. Da wird Herr Diestel ebenso erwähnt wie sein damaliger Stellvertreter Müller, aber auch eine Reihe von Generälen der NVA, u. a. der Chef der DDR-Grenztruppen sowie der frühere Polizeipräsident von Berlin. Bei beiden stellt sich übrigens nicht nur die Frage der Überprüfung der Grundstücksgeschäfte, sondern auch nach deren strafrechtlicher Verantwortung auf Grund ihrer früheren Tätigkeit. Die Reformaufgaben der Justiz werden — wenn auch nicht im gleichen Tempo wie in den vergangenen Jahren — fortgeführt. Dabei steht volumenmäßig die Überprüfung des Nichtehelichenrechts im Vordergrund. Das Justizministerium muß aber jetzt mit besonderer Priorität Änderungen im Ausländer- und Asylrecht vorbereiten. Die Erfahrungen der letzten Monate, insbesondere der letzten Wochen, zeigen, mit welcher Dringlichkeit auch eine Grundgesetzänderung zum Schutz des Asylrechts und gegen den ungezügelten Mißbrauch durch Wirtschaftsflüchtlinge erfolgen muß. Abschließend möchte ich mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesjustizministerium bedanken, die auch in diesem Jahr in besonderer Weise Mehrarbeit für den Aufbau des Rechtsstaats in den neuen Bundesländern zu leisten hatten.
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    Rede von Hans-Ulrich Klose


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer in den letzten Tagen die ausländische Presse über Deutschland gelesen hat, der hat einmal mehr erfahren, wie dünn das Eis ist, auf dem wir wandern. „Erinnerungen werden aufgewühlt", schrieb die „Washington Times" nach den Ausschreitungen in Rostock. Von Rassismus war die Rede, sogar auf die Pogromnacht von 1938 wurde hingewiesen.
    Artikel dieser Art — es gibt Gott sei Dank auch andere — sollten wir nicht einfach beiseite schieben. Sie sind ärgerlich, weil falsch. Die Deutschen des Jahres 1992 sind keine Rassisten!

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!)

    „Die Deutschen", alle und ausnahmslos, waren es nie. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß deutsche Ereignisse immer in besonderer Weise kommentiert werden. Die Geschichte läßt uns nicht los. Sie bedrückt uns, ob wir nun auf die „Gnade der späten Geburt" pochen oder nicht.
    Zur Kenntnis nehmen ist das eine, Widerspruch das andere. Ich jedenfalls widerspreche, wenn — von wem auch immer — gesagt wird, das heutige Deutschland sei in Wahrheit das alte Deutschland. Ich bin ganz sicher, die Menschen in Deutschland wissen, daß Europa von Rechtsextremisten in den Abgrund gestürzt worden ist. Der Krieg, die Tötung, Verfolgung und Terrorisierung von Menschen und Völkern, die Zerstörung der Städte, die Teilung Deutschlands und Europas — das ist ins Werk gesetzt worden von der extremen nationalistischen und rassistischen Rechten, der es immer nur um Macht und Vorherrschaft geht und nie um die Menschen und deren wirkliche Probleme.
    Der Aufbau im Westen unseres Landes konnte nur gelingen auf der Grundlage von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und sozialer Verantwortung. Er wird auch im Osten Deutschlands nur auf dieser Grundlage gelingen, aber ich bin überzeugt, er wird gelingen, wenn wir es gemeinsam anpacken.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Dazu gehört, Herr Bundeskanzler, daß Sie den Menschen endlich die Wahrheit sagen,

    (Beifall bei der SPD)

    den Menschen im Osten, daß es länger dauern wird, als sie — die Menschen — gehofft und Sie, Herr Bundeskanzler, versprochen haben. Und den Menschen im Westen müssen Sie endlich sagen, daß es ohne zusätzliche materielle Opfer nicht geht!

    (Beifall bei der SPD)

    Mehrfach, Herr Bundeskanzler, habe ich Sie schriftlich und öffentlich aufgefordert, endlich eine Regierungserklärung zur Lage der Nation unter besonderer Berücksichtigung der neuen Bundesländer abzugeben. Ich habe Sie aufgefordert, Schluß zu machen mit dem Versteckspiel vor der Wahrheit. Sie haben



    Hans-Ulrich Klose
    nicht reagiert und mich nur einmal wissen lassen, daß Sie keine Zeit dafür hätten.

    (Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

    Warum Sie sich so verhalten haben, haben Sie am 27. Mai bei dem Parteiengespräch erklärt: Sie glaubten nicht an die Solidarität der Westdeutschen; die wollten in Wahrheit nicht teilen.
    Sie irren sich, Herr Bundeskanzler! Die Westdeutschen, die Deutschen überhaupt, sind durchaus fähig und bereit zur Solidarität, wenn man ihnen die Wahrheit sagt und ihnen erklärt, wofür Opfer gebracht werden müssen.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist nicht in Ordnung, über die mangelnde Solidarität der Deutschen zu lamentieren, wenn man selbst den entscheidenden Beitrag zur Entsolidarisierung geleistet hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie waren das, Herr Bundeskanzler, niemand anders!
    Jetzt, Herr Bundeskanzler, nachdem Sie aus dem Glücksfall der deutschen Einheit einen Belastungsdiskurs gemacht haben, reden Sie von einem Solidarpakt.

    (Zustimmung bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein starkes Stück!)

    In welcher Eigenschaft Sie so reden, ist mir nicht völlig klar, als Bundeskanzler doch wohl nicht, denn ein von der Koalition getragenes Konzept zur Gestaltung der deutschen Einheit und deren Finanzierung gibt es ja gar nicht. Statt dessen haben wir ein Stück aus dem Tollhaus erleben dürfen, ein babylonisches Sprachgewirr von höchst widersprüchlichen Erklärungen und Dementis aus dem Lager der Koalition.
    Von Investitionsanleihe, Zwangsanleihe redet die CDU und insbesondere der Kollege Schäuble, von einer niedrig verzinslichen steuerfreien Deutschlandanleihe die CSU, genauer der Finanzminister. Gegen den letzteren Vorschlag wendet sich der CDU-Kollege Uldall mit der Bemerkung: „Mit Kunstgriffen kann man die Probleme nicht lösen".

    (Zurufe von der SPD: Sehr wahr! — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Recht hat er!)

    — Ja, das hat mir gut gefallen. Er ist ja auch ein Hamburger. — Für diesen Vorschlag votiert dagegen der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Glos und wettert zugleich gegen die F.D.P., Lambsdorff und andere, die ohnehin von beiden Vorschlägen nichts halten. Herr Solms hat es für die F.D.P.-Fraktion bestätigt.
    Zitat aus dem „Straubinger Tageblatt" : „Dieser Weg wird im finanziellen Chaos enden."

    (Zuruf von der CDU/CSU: Interessante Lektüre!)

    — Ja, das zitiere ich, weil ich Ihnen von der CSU eine Freude machen wollte. Das ist der Punkt.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich werde diese Zeitung nochmals zitieren, um Ihnen noch eine Freude zu machen. Denn warum das alles? Darauf gibt diese Zeitung eine sehr schöne Antwort. Sie lautet:
    Zu einem erheblichen Teil ist die Aufgeregtheit in der Diskussion um neue Finanzierungsquellen darauf zurückzuführen, daß die Bundesregierung den notwendigen Kassensturz auf jeden Fall vermeiden will.

    (Zustimmung bei der SPD — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: So ist das!)

    Richtig, genauso ist es! Denn bei einem Kassensturz müßte der Bundesfinanzminister zugeben, daß er die Finanzprobleme nicht mehr im Griff hat, und er bzw. die ganze Bundesregierung müßte hinzufügen, daß es ohne zusätzliche Einnahmen nicht geht.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Das aber kann oder will sie nicht sagen aus Angst, man könne sie ein weiteres Mal bei einem Wortbruch ertappen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich zitiere Maier-Mannhart aus der „Süddeutschen Zeitung" vom 3. September:
    Was wäre schon dabei gewesen, den Solidaritätszuschlag, der immerhin im Jahr 22 Milliarden Mark eingebracht hat, zu verlängern? Niemand hätte deswegen auch nur eine Mark weniger investiert, die Wirtschaft hatte sich daran gewöhnt. Nun aber stiftet die Diskussion um neue Wege der Einnahmeverbesserung Verwirrung, riskiert man eine abermalige Kollision mit der Verfassung (Zwangsanleihe) oder eine nur marginale Haushaltsentlastung (Deutschland-Anleihe). Und dies alles nur deshalb, weil sich die Bundesregierung beim Solidaritätszuschlag so ungeschickt auf ein Jahr festgelegt hat und nun aus Angst, einer neuerlichen Steuerlüge bezichtigt zu werden, das Wort Steuererhöhung nicht in den Mund nehmen will.

    (Zuruf von der SPD: Feiglinge!)

    Recht hat der Mann! Vernünftig wäre es gewesen, so zu verfahren, besser noch, unseren Vorschlag aufzugreifen und eine befristete Ergänzungsabgabe zu erheben, wofür Sie — anders als bei der Zwangsanleihe — eine Verfassungsänderung nicht brauchten und gegen die inzwischen auch der Arbeitgeberpräsident Murmann nichts mehr einzuwenden hätte, weil er — hören Sie gut zu, Herr Bundesfinanzminister, — die Finanzierung der deutschen Einheit so, wie sie derzeit läuft, für sozial unausgewogen hält.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

    Sie ist unausgewogen, Herr Bundesfinanzminister, denn die Zeche zahlen wieder einmal die Klein- und Mittelverdiener. Das wissen Sie auch! Deshalb sollten Sie schnellstens eine Korrektur vornehmen, statt das chaotische Spiel der letzten Tage fortzusetzen.
    „Die Konfusion wächst", titelte dieser Tage die FAZ. Und in der Tat, die Sache wird lächerlich, wenn Tag für Tag neue Vorschläge zur Finanzierung der deutschen Einheit in die Mikrophone gehaucht wer-



    Hans-Ulrich Klose
    den, zumal, wenn dann der Bundesfinanzminister dem verstörten Publikum erklärt, zusätzliche Finanzmittel seien eigentlich gar nicht erforderlich. Zitat aus der FAZ vom 4. 9.: „Auch im Finanzministerium ist nicht klar, warum jetzt über die Finanzierung geredet wird, wenn noch bis 1995 Zeit ist".

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie doch einmal etwas Eigenes!)

    Wahrheit und Klarheit, Herr Bundesfinanzminister: Wann endlich wird es wieder eine Haushalts- und Finanzpolitik geben, die diesen Anforderungen gerecht wird?

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: Eifriger Zeitungsleser! — Guter Pressespiegel!)

    In dieser Situation, für die das Eigenschaftswort „chaotisch" eher untertrieben ist, hofft der Kollege Schäuble, der sich, so habe ich den Zeitungen entnommen, neuerdings auch als Vordenker betätigt,

    (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Was heißt hier „neuerdings"?)

    auf die „Vernünftigen in der SPD". Das ehrt uns, Herr Kollege Schäuble. Aber zuviel der Ehre; denn ich sage es Ihnen in aller Deutlichkeit: Wir, die SPD, sind nicht dazu da, Sie aus den Fallstricken der eigenen Unvernunft zu befreien.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wenn Sie sich nur selbst befreien, sind wir schon ganz zufrieden!)

    Das, meine Damen und Herren, müssen Sie schon selbst besorgen. Sagen Sie den Menschen endlich, wie die Lage ist, was getan werden muß und wie es finanziert werden kann! Sorgen Sie für Verläßlichkeit und Gerechtigkeit! Gerecht muß es zugehen, wenn Solidarität gefordert wird.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Und das heißt, es kann nicht akzeptiert werden, daß Sie bei den kleinen Leuten abkassieren, bei den Besserverdienenden aber nur leihen, um später zurückzuzahlen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn es Ihnen wirklich um mehr Gerechtigkeit geht, dann lassen Sie die Idee einer Zwangsanleihe fallen, Herr Kollege Schäuble. Dem Kanzler — auch das entnehme ich den Zeitungen — gefällt die Idee nicht mehr.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Aber Ihrem Vorsitzenden!)

    Der F.D.P. hat sie nie gefallen, und unseren Vorstellungen von sozialer Symmetrie entspricht sie auch nicht. Solche Kunstgriffe — um noch einmal den Kollegen Uldall zu zitieren, weil es so schön war — helfen Ihnen nicht weiter.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Reden Sie eigentlich mit Rücksicht auf Ihren Vorsitzenden so unter Ihrem Niveau, oder warum sind Sie heute so schlecht? — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ein gutes Niveau, Herr Schäuble! — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das muß Sie wohl treffen, Herr Schäuble? — Gegenruf von der CDU/CSU: Armselig!)

    Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind durchaus zur Zusammenarbeit mit der Regierung bereit, wenn es um die Sache und die Sorgen der Menschen geht. Wir haben Ihnen, Herr Bundeskanzler, dreimal, genau dreimal angeboten, bei der Gestaltung der deutschen Einheit mitzuwirken — ohne Regierungsbeteiligung. Sie haben dieses Angebot dreimal brüsk zurückgewiesen. Ihre Entscheidung! Aber jetzt müssen Sie auch Manns genug sein, mit den Problemen, die Sie nicht produziert, aber verschärft haben, allein fertig zu werden. Ihr Partner ist die F.D.P., nicht die SPD.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zurufe von der CDU/CSU: Das ist wahr! — Gott sei Dank!)

    Wir sind die Opposition, und wir werden uns, wie es unsere Aufgabe ist, kritisch und sachbezogen mit den Vorschlägen aus der Koalition beschäftigen, die unter Ihnen abgestimmt worden sind. Mit unausgegorenen, unabgestimmten Vorschlägen aus dem Koalitionslager werden wir uns nicht beschäftigen. Durchsichtige taktische Spielchen können Sie untereinander betreiben, nicht mit uns. Im Klartext, Herr Kollege Schäuble: Wenn Sie glauben, Sie könnten uns dazu benutzen, den Koalitionspartner zu piesacken, dann irren Sie sich. Wir sind für solche Spielchen nicht zu haben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Seien Sie unbesorgt! Wenn schon, piesacken wir Sie, sonst niemanden!)

    Meine Damen und Herren, inzwischen hat uns die vom Herrn Bundeskanzler über die Medien bereits angekündigte Einladung zu einem Gespräch über den schon erwähnten „Solidarpakt" erreicht. Ich danke Ihnen sehr dafür, Herr Bundeskanzler. Es ist immer nett, von Ihnen eingeladen zu werden. Aber nach den wenig ermutigenden Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit mit solchen Gesprächen gemacht haben, sei es das Gespräch vom Oktober vergangenen Jahres, sei es dasjenige vom Mai dieses Jahres, füge ich hinzu: Es macht keinen Sinn, Gespräche zu führen, solange uns kein definitiver, abgestimmter Vorschlag von seiten der Regierungskoalition vorliegt, auf den wir uns verständigen sollten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: In welcher Zeitung stand das?)

    Ich verstehe, daß Sie derzeit nicht in der Lage sind, einen solchen Vorschlag auf den Tisch zu legen. Das haben die vergangenen Tage hinreichend deutlich gemacht. Gleichwohl, Sie müssen uns schon vorher sagen, worüber Sie mit uns reden und wofür Sie unsere Zustimmung gewinnen wollen. Ein allgemeines Palaver bringt nichts.

    (Beifall bei der SPD)

    Im Gegenteil, es führt zu Enttäuschungen, wenn Erwartungen geweckt und hinterher nicht eingelöst werden. Noch einmal im Klartext: Die SPD wird nicht den Nothelfer spielen, der dieser Regierungskoalition



    Hans-Ulrich Klose
    hilft, von der eigenen Handlungsunfähigkeit durch Gesprächsaktionismus abzulenken.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, was aus unserer Sicht in Deutschland geschehen muß, haben wir wiederholt gesagt. Ich wiederhole es:
    Erstens. Wir müssen den weit fortgeschrittenen Prozeß der Entindustrialisierung in den neuen Bundesländern stoppen. Halten, was noch zu halten ist, das muß die Devise sein.

    (Beifall bei der SPD)

    Treuhandunternehmen, die noch nicht privatisiert sind, die aber mittelfristig durchaus eine Chance haben, sich am Markt durchzusetzen, müssen eine reelle Sanierungschance erhalten. Die haben sie nur, das wissen wir alle, wenn sie eine Bestandsgarantie für mindestens drei Jahre bekommen. Denn wer engagiert sich bei einem Unternehmen als industrieller Partner oder als Kunde, wenn er damit rechnen muß, daß es dieses Unternehmen in drei oder fünf Monaten schon nicht mehr gibt? Ohne Bestandsgarantie keine Sanierung!

    (Beifall bei der SPD)

    Zweitens. Die Investitionsförderung muß verbessert werden. Nicht nur Verlängerung, nein, höhere Investitionszulagen und — das haben Sie vorgesehen — alternativ dazu bessere Abschreibungsbedingungen für die gewerblichen, industriellen und handwerklichen Bereiche sind geeignete Instrumente. Eine gezielte Mittelstandsförderung müßte hinzutreten. Professor Hamer hat kürzlich auf die Erfahrungen der „small business administration" in den USA hingewiesen. Das ist ein Hinweis, den wir, denke ich, aufgreifen sollten.
    Drittens. Das wichtigste Instrument der Wirtschaftsförderung auf kommunaler Ebene ist die Bereitstellung von Grundstücken. Treuhand und Bundesvermögensverwaltung sollten daher bei der Verwertung von Immobilien diesen Gesichtspunkt stärker als bisher beachten. Ein bißchen hat sich da — das gebe ich zu — nach dem Gespräch vom 27. Mai geändert, aus unserer Sicht aber immer noch zu wenig.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Und deswegen haben Sie zugestimmt?)

    Viertens. Die ostdeutschen Betriebe leiden vor allem unter dem Verlust der Märkte in Osteuropa. Deshalb müssen gezielte, nach Branchen und Unternehmen unterschiedliche Marktzugangshilfen geleistet werden, nicht nur mit Geld, aber auch mit Geld. Dabei gebe ich durchaus zu: Es ist natürlich keine Dauerlösung, ostdeutsche Produkte zu vermarkten, indem man sie verschenkt. Im Ausnahmefall kann aber auch das sinnvoll sein, wie ich überhaupt dazu rate, bei der Hilfe für ostdeutsche Unternehmen das gleiche Maß an Phantasie und — wenn ich so sagen darf — Spucke aufzubringen, das regelmäßig mobilisiert wird, wenn es einem westdeutschen Unternehmen schlecht geht.

    (Beifall bei der SPD)

    Mindestens soviel an Phantasie und Hilfe wie hier für die Unternehmen müßte auch für jene dort im Osten geleistet werden.
    Fünftens. Die Eigentumsregelung muß geändert werden,

    (Zuruf von der SPD: Das ist der entscheidende Punkt!)

    übrigens aus zwei Gründen: zum einen, weil das derzeit geltende, schon zweimal geänderte Vermögensgesetz Investitionen behindert, zum anderen, weil den Menschen im östlichen Teil Deutschlands die Angst genommen werden muß, ihr Haus, ihre Wohnung oder ihre Existenzgrundlagen zu verlieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, diesmal haben sich die Exzesse in Rostock an der Ausländerproblematik entladen. Frau Däubler-Gmelin hat in unserer Fraktion völlig zu Recht die Frage gestellt, was wohl passiert, wenn die ersten Mieter zwangsweise aus ihren an Westdeutsche zurückerstatteten Wohnungen herausgeworfen werden.

    (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

    Ich bitte Sie, heute darüber nachzudenken und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Sechstens. Den Landwirten in den neuen Ländern muß bei der Zuteilung von Boden, Kapital und — ganz wichtig — Quoten geholfen werden. Die Milchquoten in Brandenburg basieren z. B. auf den Produktionsergebnissen vergangener Jahre. Sie sind ungerecht niedrig, so niedrig, daß sie zur Versorgung der eigenen Bevölkerung nicht ausreichen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir auch bei uns in Westdeutschland!)

    Da muß dann aus dem Westen importiert werden, statt die Produktion im Osten zu erhöhen — eine verrückte Situation.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Man merkt, daß Sie ein Großstädter sind!)

    Siebtens. Es muß in Abstimmung mit den beteiligten Ländern ein Zukunftsinvestitionsprogramm aufgelegt werden, mit dessen Hilfe dringend erforderliche Projekte der wirtschaftlichen, ökologischen und baulichen Erneuerung durchgeführt werden können. Ein solches Programm würde eine Vielzahl von Arbeitsplätzen vor Ort schaffen und zur schnelleren Angleichung der Lebensverhältnisse beitragen. Nicht Politikerwort, sondern die Verfassung verpflichtet uns, dafür mit allen Kräften zu sorgen.
    Achtens. Die aktive Arbeitsmarktpolitik für Menschen, die sonst arbeitslos wären, muß fortgesetzt, ja, sogar verstärkt werden. Jedenfalls für absehbare Jahre kann darauf nicht verzichtet werden. Bei älteren Arbeitnehmern gibt es dazu auch langfristig keine Alternative, nur die der Arbeitslosigkeit.
    Meine Damen und Herren, mir ist völlig klar, daß sich auch bei einem solchen Programm die Probleme nicht von heute auf morgen lösen lassen. Die Aufgabe, vor der wir stehen, ist nicht leicht und schnell zu



    Hans-Ulrich Klose
    bewältigen. Es dauert länger, und es kostet viel Geld. Aber ich sage Ihnen: Wenn wir nicht endlich anpakken, wird es noch länger dauern und noch mehr Geld kosten, zumal in der gegenwärtigen konjunkturellen Lage.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wo haben Sie denn das jetzt gelesen?)

    Wie die aussieht, wissen Sie: Wir haben einen Einbruch im Osten, wir haben eine deutliche Verlangsamung im Westen der Republik und in den wichtigsten Industrieländern. Das muß man doch beachten, wenn man über Finanzierungsinstrumente diskutiert.
    Herr Bundeskanzler, Sie erinnern sich, daß wir Ihnen im Mai einen Vorschlag unterbreitet haben, wie zusätzlich ca. 45 Milliarden DM mobilisiert werden könnten. Sie, die Regierung und die Koalition, haben das damals alles abgelehnt, auch mit der Begründung, es passe nicht in die konjunkturelle Landschaft.
    Nun gut, Herr Bundeskanzler, wenn das so war oder ist, dann sagen Sie uns doch bitte, wie die Zwangsanleihe, die Sie nun doch nicht wollen, der Kollege Schäuble aber immer noch will, in die konjunkturelle Landschaft paßt. Was der Kollege Lambsdorff davon hält, wissen wir; er hat sich dazu deutlich geäußert. Von Ihnen und dem Kollegen Schäuble wüßte ich es gerne.
    Dabei weise ich vorsorglich auf folgendes hin: Wir haben die Ergänzungsabgabe vorgeschlagen, a) weil sie ein geeignetes Instrument ist, um die soziale Lücke, von der der Kollege Rühe gesprochen hat, bei der Finanzierung der deutschen Einheit zu schließen, b) mit der Maßgabe, daß sie bei Investitionen im Osten Deutschlands gemindert werden könnte, und c) mit dem Ziel, die dabei eingenommenen Mittel zumindest teilweise zur Haushaltskonsolidierung zu verwenden.
    Letzteres erscheint mir besonders wichtig; denn die permanente Überforderung des Kreditmarktes, die die Zinsen nach oben treibt, wirkt sich höchst nachteilig auf Konjunktur und Investitionen aus, wie wir alle sehr wohl wissen. Die Zinsen sind inzwischen so hoch, daß die Finanzmärkte weltweit in Unordnung geraten. Die D-Mark wird künstlich — das ist doch die Wahrheit — stark gemacht und drückt auf die Kurse der anderen Währungen, nicht nur auf den Dollar, sondern auch auf die EWS-Währungen, was die Bundesbank, wenn die Bandbreiten erreicht werden, zur Intervention verpflichtet, was, wenn die stattfindet, die Geldmenge erhöht, was wiederum, der bisherigen Politik der Bundesbank folgend, zu einer Erhöhung der Zinsen führen müßte, und so weiter und so weiter.
    Weil das so ist, haben die Finanzpolitiker ganz recht: Sparen ist das oberste Gebot. Wenn schon Einnahmeverbesserungen erforderlich sind — ich denke, sie sind erforderlich —, dann in einer Weise, die auch unter konjunkturellen Gesichtspunkten noch am ehesten erträglich ist. Mein Rat, Herr Bundeskanzler: Hören Sie auf den Arbeitgeberpräsidenten, der in der gegenwärtigen Situation die von uns geforderte Ergänzungsabgabe der von Ihnen, der Union, diskutierten Zwangsanleihe vorziehen würde. Ich glaube, Murmann weiß, wovon er spricht.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn Sie sich dazu aber, Herr Bundeskanzler, nicht entschließen können, dann beenden Sie wenigstens das Chaos der vergangenen Tage. Nichts tun ist schon schlimm, aber nichts tun und verquer reden ist noch schlimmer.

    (Beifall bei der SPD)

    — Ich sehe, daß Sie gequält gucken, Herr Schäuble. Lassen Sie das Reden doch, dann brauchen Sie nicht so verquer zu gucken.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Ich halte dieses Gerede für ganz schlimm — ich wiederhole das —, weil es die Stimmung im Westen und im Osten beeinträchtigt, und zwar bei den Menschen im Osten nachhaltiger, weil die sich in einer existentiellen Notsituation befinden. Dort nehmen — das erleben wir doch — Hoffnungslosigkeit und Wut zu.
    Die FAZ hat der deutschen Politik dieser Tage ins Stammbuch geschrieben

    (Zuruf von der CDU/CSU: Im Zeitunglesen sind Sie gut!)

    — ja, ich lese Zeitungen; Sie werden sich wundern; das sollten auch Sie gelegentlich tun, wie ich überhaupt finde, daß Lesen bildet

    (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sie müssen noch viel lesen!)

    — ich zitiere —:
    daß der historische Prozeß der deutschen Einigung nun auch im dritten Jahr im Stil eines gigantischen Immobiliendeals abgehandelt wird mit endlosen Debatten über Förderprogramme, Investitionshilfen, Zwangsanleihen und Sonderabschreibungen. Für alles, was darüber hinausgeht, für die Befangenheiten und die Ängste, die Mißverständnisse und die Differenzen, für das Gefühl von Stolz und Neid, von Vorherrschaft und Unterlegenheit — für alles das hat dieses Maklerdenken keinen Sinn. Äußerstenfalls sorgt man sich um die mentale Infrastruktur der Ostdeutschen und eine sogenannte Mauer in den Köpfen. Und beweist schon durch die Wahl der Wörter, daß man an eine Sache denkt, die von der Politik nicht mehr verstanden wird.
    Soweit Konrad Adam in der FAZ.

    (Zuruf von der SPD: Ein guter Mann!)

    Ich glaube, die Analyse ist zutreffend. Sie muß aber noch ein Stück weiter getrieben werden. Wir wissen seit den Untersuchungen der Soziologin Marie Jahoda „Die Arbeitslosen von Marienthal" vom Anfang der 30er Jahre und durch zahlreiche nachfolgende Untersuchungen — die jüngste dieser Tage vom Institut für angewandte Sozialforschung der Universität Köln —, daß Massen- und Dauerarbeitslosigkeit eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wie für die Gesundheit der Menschen darstellen.
    8718 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103 Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992
    Hans-Ulrich Klose
    Wenn die Mehrheit der erwachsenen Bewohner eines Dorfes, einer Stadt, einer ganzen Region ohne Arbeit ist, muß das Auswirkungen auf das gesamte soziale Gefüge haben, letzten Endes auch auf den sozialen Frieden.... Wenn es nicht gelingt, eine Lösung zu finden, die die Selbstachtung der Betroffenen respektiert und festigt, sind schwerwiegende gesellschaftliche und psychische Schäden unausweichlich. Sie werden sich in aggressivem antisozialen Verhalten und in psychischen Störungen ... niederschlagen.
    Das war wieder ein Zitat aus der FAZ.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Etwas Eigenes bringen Sie heute morgen wohl nicht?)

    Diese sozialen und sozialpsychologischen Auswirkungen von Massen- und Dauerarbeitslosigkeit galten und gelten auch im Westen. Aber sie wirken potenziert im Osten Deutschlands, wo die Arbeitslosigkeit so gut wie keine Familie ausläßt, wo die Menschen in einer völlig neuen Situation um ein Vielfaches verunsicherter sind, wo die alte Werteordnung der DDR-Gesellschaft von heute auf morgen zerborsten,

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Von „Werteordnung" kann man da wohl nicht reden!)

    aber keine neue, keine gefestigte Werteordnung an ihre Stelle getreten ist.
    So wie die Vereinigung Deutschlands bisher gelaufen ist, hat sie viele Menschen um die Hoffnung auf ein besseres Leben betrogen.

    (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist wohl wahr!)

    Soziale Verunsicherung und existentielle Bedrohung haben den Menschen neue Demütigungen und Kränkungen zugefügt. Dies gilt vor allem für Jugendliche, die sich ohnehin in einer schwierigen Phase ihrer Persönlichkeitsentwicklung befinden und rasch dazu neigen, sich ausgegrenzt und perspektivlos zu fühlen.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Wer hat denn das alles verbrochen?)

    Der Grund — nicht die Rechtfertigung — für den erschreckenden Ausbruch von moralischer Haltlosigkeit, Haß und Gewalt, den wir jüngst erlebt haben, liegt vor allem in den schlimmen sozialen und sozialpsychologischen Auswirkungen eines Vereinigungsprozesses, den manche — ablehnend oder zustimmend — Okkupation nennen. Ob das angemessen ist oder nicht, fest steht, viele, erschreckend viele Menschen im Osten sind arbeitslos, wertelos und hoffnungslos. Ich sage das nicht, um die Exzesse von Gewalt und Haß, die die Republik erschüttern, zu entschuldigen. Verstehen heißt nicht, alles rechtfertigen und entschuldigen. Gewalt darf nicht sein. Sie ist nicht zu rechtfertigen. Wer Gewalt anwendet oder predigt, muß sich dafür vor den Gerichten verantworten.

    (Beifall bei der SPD)

    Darin sind wir uns ja einig, und das ist gut so.
    Gut war es auch, daß der Herr Bundespräsident sein Besuchsprogramm in Mecklenburg-Vorpommern spontan geändert und ein Heim für Asylbewerber besucht hat. Das war eine wichtige Geste, die sich wohltuend unterscheidet von den eher peinlichen Versuchen der zuständigen Landesregierung, ihr eigenes administratives Fehlverhalten kleinzureden. Dem Bundespräsidenten ist für diese Geste zu danken, die zugleich die Maßstäbe zurechtrückt.
    Zuwanderung von Ausländern, steigende Zahlen von Asylbewerbern — diese Entwicklung belastet uns alle, vor allem die Kommunen vor Ort.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Jetzt wollen wir etwas hören!)

    Wer aber glaubt, die Anwesenheit dieser Menschen sei der Grund für die erhebliche Explosion von Haß und Gewalt, der irrt.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Na, na!)

    Die Gewalt entsteht nicht spontan, sondern dadurch, daß es einer kleinen Gruppe extremistischer Drahtzieher gelingt, die latent vorhandene Aggression, die sich aus materieller und seelischer Not speist, gegen einen „Feind" zu lenken, in der Regel gegen Menschen, denen es noch schlechter geht. Gewalt als sinnstiftende Aktion — Grundmuster rechtsextremistischer Politik.
    Meine Damen und Herren, es wäre verhängnisvoll — ich sage das in großem Ernst —, würden wir jetzt durch unser eigenes Reden und Tun diesen perfiden Mechanismus bestätigen.

    (Zuruf des Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl)

    — Sie begreifen es nie, Herr Bundeskanzler.

    (Erneuter Zuruf des Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl)

    Wer jetzt sagt — Sie gehören offenbar dazu, und ich bedauere das —, es müsse nun ganz schnell das Asylrecht geändert werden, und daß, wenn es früher geändert worden wäre, dieses alles nicht geschehen wäre, der sagt nicht nur die Unwahrheit,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die Wahrheit!)

    er gibt den Gewalttätern von Rostock und anderswo auch noch recht.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS/Linke Liste — Widerspruch und Zurufe von der CDU/CSU — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Ulrich Klose


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Jedenfalls, Herr Bundeskanzler, muß es bei denen und den anderen, die sich nicht nur klammheimlich über die Aktion der Jugendlichen gefreut haben, so ankommen, und das wäre — ich wiederhole es mit vollem Ernst — verhängnisvoll.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch und lebhafte Zurufe von der CDU/CSU — Zuruf Hans-Ulrich Klose des Abg. Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU])




    — Herr Kollege Schäuble, ich habe gesagt, ich wollte nicht.

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Noch glaube ich, Herr Kollege Schäuble, da Sie ja so milde lächeln, daß Sie es ähnlich sehen.

    (Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU])

    Ich wünschte mir jedenfalls, daß es so wäre und daß Sie es einmal so hier im Bundestag, nämlich in der richtigen Reihenfolge, auch sagen würden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Denn dann, Herr Kollege Schäuble, aber nur dann, haben wir die Chance, das Zuwanderungsproblem als Gesamtproblem, so wie wir es im April diesen Jahres hier in diesem Hause debattiert haben, zu lösen, und zwar noch in diesem Jahr. Wir Sozialdemokraten wollen das.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sie waren doch dagegen! Dann lassen Sie es uns doch machen! Es sind doch schon wieder fünf Monate vergangen! Sie verhindern es mit Ihrer Gremienwirtschaft! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir sagen auch — —

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Sie haben guten Grund, verzweifelt zu sein. Aber ich werde Ihnen gleich sagen, warum.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Weil Sie unfähig sind zu einer Entscheidung! Sie sind doch handlungsunfähig! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Und ich füge diesen Satz hinzu: Sie können den ernst nehmen oder Sie können es auch lassen, Herr Kollege Schäuble. Dann machen wir halt einen Hickhack, und dann werden Sie sehen, wie weit Sie damit kommen. Sie sind doch die Regierung.

    (Lachen und lebhafte Zurufe von der CDU/CSU)

    Und wenn Sie meinen, Sie könnten alles machen, dann machen Sie es doch!

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Anhaltende lebhafte Zurufe von der CDU/CSU)

    — Regen Sie sich mal nicht auf. Wenn Sie der Auffassung sind, Sie müßten gemeinsam mit uns ein Problem lösen, weil es nicht anders geht, dann merken Sie sich, wir tanzen nicht nach Ihrer Pfeife, sondern dann muß man darüber reden, wie es gehen soll.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch und Lachen bei der CDU/CSU)

    Ich weiß ja, Sie sind stets im Besitz der absoluten Wahrheit. Aber ich sage Ihnen, in der Politik gibt es keine absolute Wahrheit.

    (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Für die Menschen oder die Partei?)

    Und in dieser Frage haben Sie sie nicht gepachtet.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Gestatten Sie mal eine einfache Zwischenfrage!)

    Allerdings haben Sie die Meisterschaft gepachtet, demagogisch mit diesem Thema umzugehen. Das haben Sie in der Tat gepachtet.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS/Linke Liste — Zurufe von der CDU/CSU)

    Da ich, meine Damen und Herren, an einer Lösung dieses Problems interessiert bin, sage ich noch einmal klar: Ich bin dafür, gerade weil das Thema so aufputscht, daß man der Bevölkerung die Wahrheit sagen muß, und zwar zu jeder Zeit, nicht nur hier, auch draußen und an den Stammtischen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    — Hören Sie erstmal zu. Es ist manchmal ganz nützlich zuzuhören und dann den Mund aufzumachen.

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich sage der Bevölkerung von hier aus so wie ich es auch auf der Straße sage: Das Problem lösen, heißt nicht, daß künftig keine Ausländer mehr kommen. Eine solche Lösung gibt es in Zeiten der Völkerwanderung nicht,

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    es sei denn, wir entschließen uns, was der Justizminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern offenbar will, eine Mauer zu ziehen und die Festung dichtzumachen. Er hat wirklich gesagt, eine Mauer zu ziehen. Das hat er gesagt, Herr Bundeskanzler.

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wir wollen das jedenfalls nicht, damit es da keine Mißverständnisse gibt. Wir können es im übrigen auch gar nicht.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Was wir können und versuchen müssen, ist, eine vernünftige Steuerung, Kontrolle und Begrenzung der Zuwanderung zu erreichen. Das schaffen wir nur, wenn wir die Diskussion nicht immer wieder auf einen wohlgefälligen Teilaspekt, den Art. 16, verkürzen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Daß wir bereit sind, auch über diesen Teilaspekt zu reden und eine Ergänzung des Art. 16 nicht ausschließen, haben wir wiederholt gesagt. Wir sind bereit, mit Ihnen darüber zu reden.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wir müssen es machen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    8720 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 103, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. September 1992
    Hans-Ulrich Klose
    Aber, Herr Kollege Schäuble, auch wenn Sie es nicht gerne hören, wir wüßten auch gern, was die Koalitionsfraktionen denn gemeinsam zu tun bereit sind.

    (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das liegt im Bundestag! Das liegt im Innenausschuß!)

    Wir hatten gehofft, weil wir ja darüber geredet haben, das würde nach der Sommerpause klar sein. Das ist es aber mitnichten. Wenn ich den Kollegen Solms richtig verstanden habe, so will er das auch gar nicht festlegen, was ich einerseits verstehe, andererseits aber bedauere, weil es dazu führt, daß ständig nachgelegt wird, jüngst durch den Kollegen Eylmann, so daß am Ende nicht mehr klar ist, ob die Geschäftsgrundlage noch stimmt. Sie lautete bisher: Das Individualrecht auf Asyl soll erhalten bleiben. An dieser Geschäftsgrundlage halten wir Sozialdemokraten fest und zugleich an der Absicht, einer Neuregelung nur dann zuzustimmen, wenn sie etwas bewirkt, und zwar im Sinne von Steuerung und Begrenzung.

    (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Dem ist nichts hinzuzufügen!)

    An kosmetischen Operationen werden wir uns ebensowenig beteiligen wie an der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl.

    (Beifall bei der SPD)

    Gestatten Sie mir im Hinblick auf die Stimmung in den neuen Ländern noch zwei Anmerkungen, eine Nachbemerkung und eine Bitte. Bei der Haushaltsdebatte des vergangenen Jahres hatte ich davor gewarnt, den Jugendsender DT 64 — ich nehme an, Sie erinnern sich — zu schließen. Er ist gleichwohl geschlossen worden — leider. Denn wenn es richtig ist, daß die Menschen im Osten und vor allem die Jugendlichen arbeitslos, wertelos und hoffnungslos sind, dann darf man ihnen nicht die letzten Identifikationspunkte wegnehmen, die sie noch haben.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS/Linke Liste)

    DT 64 war ein solcher Punkt. Er ist verschwunden. Ich bedauere das.
    Mit einer zweiten Bitte wende ich mich persönlich an Sie, Herr Bundeskanzler. Es geht um folgendes: Die Mittel für die Unterstützung der kulturellen Einrichtungen in den neuen Ländern werden durch den vorgelegten Haushalt drastisch reduziert, nämlich um über 60 %. Die Folgen sind absehbar: Viele der jetzt noch bestehenden kulturellen Einrichtungen werden kaputtgehen.
    Herr Bundeskanzler, ich denke — ich hoffe es zumindest —, daß Sie verstehen, worauf ich hinaus will. Wenn in den neuen Ländern, in denen ökonomisch und sozial so viel weggebrochen ist, jetzt auch noch die kulturellen Einrichtungen verschwinden, dann wird dies die psychologische und emotionale Destabilisierung weiter vorantreiben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

    Ich bitte Sie herzlich — ich betone: Ich bitte Sie
    herzlich —, das zu überdenken und die vorgesehene
    Reduzierung der Mittel für diesen Zweck rückgängig
    zu machen oder doch wenigstens zu mildern. Bei der Kultur zu sparen, wenn existentielle Nöte und Ängste wachsen, ist leichtfertig. In der konkreten Situation wäre es ein nicht wiedergutzumachender Fehler.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

    Ich schließe mit einem Zitat:
    Wir stecken ... nicht nur in einer wirtschaftlichen Krise. Es besteht eine tiefe Unsicherheit, gespeist aus Angst und Ratlosigkeit, Angst vor wirtschaftlichem Niedergang, Sorge um den Arbeitsplatz, Angst um Umweltzerstörung, vor Rüstungswettlauf, Angst vieler junger Menschen vor ihrer Zukunft.
    Es heißt weiter:
    Die Ideologien der Macher und Heilsbringer haben den Wirklichkeitssinn im Lande nicht geschärft, die Selbstverantwortung nicht gestärkt und die geistigen Herausforderungen der Zeit verkannt. Wir brauchen wieder die Tugenden der Klugheit, des Mutes und des Maßes für die Zukunft unseres Landes.
    Es waren Ihre Worte, Herr Bundeskanzler, in der Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982. Mit diesen Worten begründeten Sie die Notwendigkeit einer neuen Regierung. Ich mache mir diese Worte für die heutige Situation zu eigen,

    (Beifall bei der SPD — Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Sehr gut! — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Am besten hätten Sie die ganze Regierungserklärung noch einmal verlesen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    denn, Herr Bundeskanzler, noch nie nach dem Zweiten Weltkrieg — ja, ich glaube, noch nie — standen in Deutschland Demokratie und Gesellschaft vor derart großen Herausforderungen.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wie war das denn 1949/50?)

    Ich empfinde deshalb keine Schadenfreude, sondern Besorgnis angesichts der Stagnation von Politik. Es gibt in dieser Bundesregierung in wesentlichen Fragen keine Übereinstimmung, keine abgestimmten Sachentscheidungen der regierenden Koalitionsfraktionen mehr. Es gibt offensichtlich auch keine Inanspruchnahme der Richtlinienkompetenz durch den Bundeskanzler. Vor dem Vorhang wird auf dem Vulkan getanzt, und dahinter ist nichts, gähnende Leere.
    Wer die Kommentarlage zur Kenntnis nimmt, wird zugeben müssen: Dies ist nicht nur unser Eindruck, sondern es ist der allgemeine Eindruck im Lande. Es gelingt dieser Regierung, dieser nicht regierenden Regierung nicht, eine positive Vision für das vereinigte Deutschland zu entwickeln.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    Dabei, Herr Bundeskanzler, sind doch die Grundlagen für eine solche Vision vorhanden: die Außenpoli-



    Hans-Ulrich Klose
    tik der alten Bundesrepublik, die auf Ausgleich und Versöhnung angelegt war und — im westlichen Bündnis verankert — auch im Osten vertrauensbildend gewirkt hat; die in 40 Jahren bewiesene demokratische Verläßlichkeit der Westdeutschen — die Ostdeutschen hatten ja keine Chance dazu —; die außerordentliche Leistung der Ostdeutschen, die das nicht mehr von Moskau gestützte kommunistische Regime in einer gewaltlosen Revolution gleichsam über Nacht weggeräumt haben.
    Diese positiven Punkte der jüngeren deutschen Geschichte müßten uns doch die Kraft geben, den Wiederaufbau Deutschlands als das zu begreifen, was er tatsächlich ist: als Chance, durch den intelligenten Wiederaufbau zerstörter Strukturen im Osten, bei dem aus den Erfahrungen und Fehlern im Westen die notwendigen Konsequenzen gezogen werden, ein besseres Gesamtdeutschland aufzubauen; also nicht Übertragung der westdeutschen Wirklichkeit auf die neuen Länder, damit die Menschen dort möglichst bald so leben wie wir im Westen, sondern die Entwicklung einer neuen gesamtdeutschen Wirklichkeit, die den Deutschen insgesamt bessere Lebensperspektiven für die Zukunft bietet — ökonomisch, sozial, ökologisch und — nicht zu vergessen — kulturell.
    Herr Bundeskanzler, wir haben die Chance, noch haben wir die Chance. Wir dürfen sie nicht verspielen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD)