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    Plenarprotokoll 12/99*) Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 99. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Inhalt: Zur Geschäftsordnung Peter Struck SPD 8223 B Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 8223 B Tagesordnungspunkt 13: — Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangeren- und Familienhilfegesetz) (Drucksache 12/551) — Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christina Schenk, Dr. Klaus-Dieter Feige, Ingrid Köppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Entscheidungsfreiheit von Frauen beim Umgang mit ungewollten Schwangerschaften (Drucksache 12/696) — Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des werdenden Lebens durch Förderung einer kinderfreundlichen Gesellschaft, durch rechtlich gewährleistete Hilfen für Familien und Schwangere sowie zur Sexualerziehung und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruches (Familien- und Schwangerenhilfegesetz — FamSchHG) (Drucksache 12/841) — Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Petra Bläss, Jutta Braband, Ulla Jelpke, Andrea Lederer und der *) Es folgt ein Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll. Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und zur Sicherung von Mindeststandards für Frauen zum Schwangerschaftsabbruch (Drucksache 12/898) — Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des ungeborenen Lebens (Drucksache 12/1178 [neu]) — Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Herbert Werner (Ulm), Monika Brudlewsky, Claus Jäger, Norbert Geis, Hubert Hüppe und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der ungeborenen Kinder (Drucksache 12/1179) — Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Inge Wettig-Danielmeier, Uta Würfel, Dr. Hans de With, Gerhart Rudolf Baum, Susanne Rahardt-Vahldieck, Dr. Wolfgang Ullmann und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangeren- und Familienhilfegesetz) (Drucksache 12/2605 [neu]) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt: Empfehlung und Bericht des Sonderausschusses „Schutz des ungeborenen Lebens" zu den Gesetzentwürfen auf Drucksachen 12/551, 12/696, 12/841, II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 12/898, 12/1178 (neu), 12/1179, 12/2605 (neu), 12/2875 Berichte des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksachen 12/2876, 12/2877, 12/2878, 12/2879, 12/2880, 12/2881, 12/2882) Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (zur GO) 8225 A Inge Wettig-Danielmeier SPD . . 8225A, 8227 C Irmgard Karwatzki CDU/CSU . . . . . . 8225 B Uta Würfel F.D.P. . . . . . . . . . . . 8230D Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . 8234B, 8299 C Petra Bläss PDS/Linke Liste . . . 8236B, 8351 B Ursula Männle CDU/CSU . . . . . . . . 8238 B Dr. Hans de With SPD 8240 D Dr. Bruno Menzel F.D.P. . . . . . . . 8242 B Dr. Angela Merkel CDU/CSU 8244 B Christel Hanewinckel SPD . . . . . . 8247 A Gerhart Rudolf Baum F D P 8248 C Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8251 A Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 8252 C Hans-Ulrich Klose SPD 8254 C Herbert Werner (Ulm) CDU/CSU . . 8255 C Dorle Marx SPD 8257 D Hubert Hüppe CDU/CSU . . . 8259B, 8309 B Horst Eylmann CDU/CSU . . . . . . • . 8259 C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 8261 C Peter Hintze CDU/CSU 8263 B Waltraud Schoppe, Ministerin des Landes Niedersachsen 8265 C Dr. Mathilde Berghofer-Weichner, Staatsministerin des Freistaates Bayern . 8267B, 8271A Dr. Edith Niehuis SPD 8269 A Dr. Theodor Waigel CDU/CSU 8271 B Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8272 A Ursula Schmidt (Aachen) SPD 8273 B Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. . . . 8275 A Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 8276 C Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU 8277 B Hanna Wolf SPD 8279 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. 8280B Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8281 C Claus Jäger CDU/CSU 8282 D Dr. Hans-Jochen Vogel SPD . . . . . 8284 B Dieter-Julius Cronenberg (Arnsberg) F.D.P 8285 D Angelika Pfeiffer CDU/CSU . . . . . . 8286 C Ortwin Lowack fraktionslos 8287 C Dr. Jürgen Schmude SPD 8288 C Hans A. Engelhard F.D.P 8289C Ulrike Mascher SPD 8290 B Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU 8291 B Regina Schmidt-Zadel SPD 8293 A Maria Michalk CDU/CSU 8293 D Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . 8294 C Robert Antretter SPD 8295 C Monika Brudlewsky CDU/CSU 8296 C Renate Schmidt (Nürnberg) SPD . . . . 8297 C Gabriele Wiechatzek CDU/CSU 8298 C Dr. Cornelia von Teichman F.D.P. . . . 8300 C Dr. Marliese Dobberthien SPD . . . . 8301 B Maria Eichhorn CDU/CSU 8302 B Dr. Helga Otto SPD . . . . . . . . . 8303 B Norbert Geis CDU/CSU 8304 A Birgit Homburger F D P 8305 A Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD 8306 A Ingeborg Philipp PDS/Linke Liste . . . 8307 A Ortrun Schätzle CDU/CSU 8307 D Elke Ferner SPD 8308 C Dr. Ulrich Briefs fraktionslos . . . 8310B Renate Diemers CDU/CSU 8310D Gunter Weißgerber SPD 8311D Norbert Eimer (Fürth) F.D.P. . . . . . 8312 B Karin Jeltsch CDU/CSU 8313B Gudrun Weyel SPD 8314 A Claus Jäger CDU/CSU 8314 C Dr. Friedrich-Adolf Jahn (Münster) CDU/ CSU 8315A Angelika Barbe SPD 8316A Dr. Klaus Röhl F.D.P 8317 B Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 8318A Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU 8319D Margot von Renesse SPD 8321 A Wolfgang Ehlers CDU/CSU 8322 A Eva-Maria Kors CDU/CSU 8322 D Barbara Weiler SPD 8323 C Dr. Sigrid Semper F.D.P. 8324 C Dr. Jürgen Warnke CDU/CSU 8325 D Rosemarie Priebus CDU/CSU 8326D Erika Reinhardt CDU/CSU 8327 D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 III Dr. Konrad Elmer SPD . . . . . . . . . 8328D Wolfgang Kubicki F.D.P. . . . . . . . 8329 D Sigrun Löwisch CDU/CSU 8330 D Jan Oostergetelo SPD 8331 C Michaela Geiger CDU/CSU 8332 D Dr. Wolf Bauer CDU/CSU . . . . . . . 8333 C Regina Kolbe SPD 8334 C Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink F.D.P. 8335 A Roswitha Verhülsdonk CDU/CSU . . . 8336 C Margitta Terborg SPD 8337 C Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 8338 D Dr. Ursula Lehr CDU/CSU . . . . . . 8339B Uta Titze SPD 8340 B Karl-Josef Laumann CDU/CSU 8341 B Jörg Ganschow F. D . P. . . . . . . . . 834 2 A Dr. Andreas Schockenhoff CDU/CSU . 8342 C Dr. Axel Wernitz SPD 8343 C Dr. Immo Lieberoth CDU/CSU . . . . 8344 B Dr. Christine Lucyga SPD . . . . . . . 8345 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 8346A Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . 8346 D Dr. Eckhart Pick SPD 8347 D Georg Gallus F.D.P. . . . . . . . . . 8348D Hans Martin Bury SPD 8349 D Dr. Paul Laufs CDU/CSU . . . . . . . 8350D Claudia Nolte CDU/CSU 8351 D Otto Schily SPD . . . . . . . . . . . 8352 C Dr. Norbert Blüm CDU/CSU . . . . . 8353 B Wolfgang Lüder F.D.P. 8354 B Susanne Rahardt-Vahldieck CDU/CSU . 8355 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 8356 D Dr. Heiner Geißler CDU/CSU 8356 D Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Erklärung nach § 31 GO) . . 8357D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . 8380A Namentliche Abstimmungen über den Gesetzentwurf auf Drucksache 12/696 — zweite Beratung — . . . . . . 8359 A über den Gesetzentwurf auf Drucksache 12/898 — zweite Beratung — . . . . . . 8361 C über den Gesetzentwurf auf Drucksache 12/1179 — zweite Beratung — 8364 A über den Gesetzentwurf auf Drucksache 12/551 — zweite Beratung — . . . . . 8366 C über den Gesetzentwurf auf Drucksache 12/841 — zweite Beratung — 8369 B über den Gesetzentwurf auf Drucksache 12/1178 (neu) — zweite Beratung — . . . 8372A über den Gesetzentwurf auf Drucksache 12/2605 (neu) — zweite Beratung — . . . 8374D über den Gesetzentwurf auf Drucksache 12/2605 (neu) — dritte Beratung — . . 8377C Nächste Sitzung 8380 D Berichtigung 8380 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 8381* A Anlage 2 Endgültiges Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der F.D.P. zur vereinbarten Debatte zur Menschenrechtspolitik (Drucksache 12/2857) . 8381* A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede des Abgeordneten Dr. Werner Hoyer (F.D.P.) zu Tagesordnungspunkt 7 (Abrüstungspolitische Vorlagen und Vorlage zur Beteiligung der Bundeswehr an Einsätzen außerhalb des NATO-Vertragsgebietes) . . . . . . . . . . . 8383* A Anlage 4 Verhinderung einer Verführung Minderjähriger zu sozialem Fehlverhalten und sinnlosem Konsum durch Versachlichung der Fernsehwerbung MdlAnfr 11 — Drs 12/2863 — Benno Zierer CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Reinhard Göhner BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . 8384* A Die zu Protokoll gegebenen Reden sowie die Erklärungen nach § 31 GO werden in einem Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll abgedruckt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8223 99. Sitzung Bonn, den 25. Juni 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 98. Sitzung, Seite 8215 B, 13. Zeile von unten: Statt „73" ist „81" zu lesen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8381* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Brandt, Willy SPD 25. 06. 92 Doss, Hansjürgen CDU/CSU 25. 06. 92 Dr. Dregger, Alfred CDU/CSU 25. 06. 92 Gattermann, Hans H. F.D.P. 25. 06. 92 Genscher, Hans-Dietrich F.D.P. 25. 06. 92 Dr. Hauchler, Ingomar SPD 25. 06. 92 Marten, Günter CDU/CSU 25. 06. 92* Dr. Pohl, Eva F.D.P. 25. 06. 92 Rempe, Walter SPD 25. 06. 92 Graf von Schönburg- CDU/CSU 25. 06. 92 Glauchau, Joachim Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 25. 06. 92 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Endgültiges Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der F.D.P. zur vereinbarten Debatte zur Menschenrechtspolitik (Drucksache 12/2857) Abgegebene Stimmen: 467; davon ja: 257 nein: 193 enthalten: 17 Ja CDU/CSU Adam, Ulrich Dr. Ackermann, Else Bargfrede, Heinz-Günther Baumeister, Brigitte Bayha, Richard Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-Dirk Blank, Renate Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter Dr. Blüm, Norbert Dr. Bötsch, Wolfgang Bohl, Friedrich Brähmig, Klaus Breuer, Paul Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Bühler (Bruchsal), Klaus Büttner (Schönebeck), Hartmut Buwitt, Dankward Carstensen (Nordstrand), Peter Harry Clemens, Joachim Deß, Albert Diemers, Renate Dörflinger, Werner Dr, Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Ehrbar, Udo Engelmann, Wolfgang Eylmann, Horst Falk, Ilse Dr. Faltlhauser, Kurt Dr. Fell, Karl Fischer (Hamburg), Dirk Erik Francke (Hamburg), Klaus Dr. Friedrich, Gerhard Fuchtel, Hans-Joachim Geiger, Michaela Geis, Norbert Gibtner, Horst Glos, Michael Dr. Göhner, Reinhard Göttsching, Martin Götz, Peter Dr. Götzer, Wolfgang Gres, Joachim Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang Frhr. von Hammerstein, Carl-Detlev Harries, Klaus Haschke (Großhennersdorf), Gottfried Haschke (Jena-Ost), Udo Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer Hauser (Esslingen), Otto Hauser (Rednitzhembach), Hansgeorg Heise, Manfred Anlagen zum Stenographischen Bericht Dr. Hellwig, Renate Hinsken, Ernst Hintze, Peter Hörster, Joachim Dr. Hoffacker, Paul Hollerith, Josef Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Jagoda, Bernhard Dr. Jahn (Münster), Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Dr. Jobst, Dionys Junghanns, Ulrich Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen Dr. Kappes, Franz-Hermann Karwatzki, Irmgard Keller, Peter Kittelmann, Peter Klein (Bremen), Günter Köhler (Hainspitz), Hans-Ulrich Dr. Köhler (Wolfsburg), Volkmar Dr. Kohl, Helmut Kors, Eva-Maria Kraus, Rudolf Dr. Krause (Börgerende), Günther Dr. Krause (Bonese), Rudolf Karl Krause (Dessau), Wolfgang Krey, Franz Heinrich Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, Reiner Eberhard Lamers, Karl Lattmann, Herbert Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl-Josef Lehne, Klaus-Heiner Lenzer, Christian Dr. Lieberoth, Immo Link (Diepholz), Walter Lintner, Eduard Dr. Lippold (Offenbach), Klaus W. Dr. sc. Lischewski, Manfred Löwisch, Sigrun Lohmann (Lüdenscheid), Wolfgang Louven, Julius Maaß (Wilhelmshaven), Erich Magin, Theo Marschewski, Erwin Marten, Günter Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Martin Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf Horst Dr. Merkel, Angela Dorothea Dr. Meseke, Hedda Michalk, Maria Michels, Meinolf Dr. Mildner, Klaus Gerhard Dr. Möller, Franz Molnar, Thomas Müller (Kirchheim), Elmar Müller (Wesseling), Alfons Nelle, Engelbert Nolte, Claudia Oswald, Eduard Otto (Erfurt), Norbert Dr. Paziorek, Peter Paul Petzold, Ulrich Pfeifer, Anton Dr. Pohler, Hermann Priebus, Rosemarie Dr. Protzner, Bernd Rahardt-Vahldieck, Susanne Raidel, Hans Dr. Ramsauer, Peter Rau, Rolf Rauen, Peter Harald Rawe, Wilhelm Reichenbach, Klaus Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert Dr. Riedl (München), Erich Riegert, Klaus Dr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode (Wietzen), Helmut Rönsch (Wiesbaden), Hannelore Romer, Franz-Xaver Rother, Heinz Rühe, Volker Dr. Rüttgers, Jürgen Schätzle, Ortrun Dr. Schäuble, Wolfgang Schemken, Heinz Scheu, Gerhard Schmidbauer, Bernd Schmidt (Fürth), Christian Dr. Schmidt (Halsbrücke), Joachim Schmitz (Baesweiler), Hans Peter Dr. Schneider (Nürnberg), Oscar Dr. Schockenhoff, Andreas Dr. Scholz, Rupert Frhr. von Schorlemer, Reinhard Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dieter Schulz (Leipzig), Gerhard Schwalbe, Clemens Dr. Schwarz-Schilling, Christian Dr. Schwörer, Hermann Seehofer, Horst Seesing, Heinrich Seibel, Winfried Sikora, Jürgen Dr. Sopart, Hans-Joachim Spilker, Karl-Heinz Dr. Sprung, Rudolf Steinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, Hans Dr. Frhr. von Stetten, Wolfgang Stockhausen, Karl Dr. Stoltenberg, Gerhard Stübgen, Michael Susset, Egon Tillmann, Ferdinand Dr. Töpfer, Klaus Uldall, Gunnar Verhülsdonk, Roswitha Vogel (Ennepetal), Friedrich Dr. Waffenschmidt, Horst Dr. Warnke, Jürgen Dr. Warrikoff, Alexander Werner (Ulm), Herbert Dr. Wieczorek (Auerbach), Bertram Wilz, Bernd Wissmann, Matthias Dr. Wittmann, Fritz Wittmann (Tännesberg), Simon Wülfing, Elke Yzer, Cornelia Zeitlmann, Wolfgang Zierer, Benno Zöller, Wolfgang 8382* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 F.D.P. Albowitz, Ina Dr. Babel, Gisela Beckmann, Klaus Bredehorn, Günther Cronenberg (Arnsberg), Dieter-Julius Eimer (Fürth), Norbert Engelhard, Hans A. van Essen, Jörg Friedhoff, Paul Friedrich, Horst Funke, Rainer Dr. Funke-Schmitt-Rink, Margret Gallus, Georg Genscher, Hans-Dietrich Gries, Ekkehard Grünbeck, Josef Grüner, Martin Günther (Plauen), Joachim Dr. Guttmacher, Karlheinz Hackel, Heinz-Dieter Hansen, Dirk Heinrich, Ulrich Homburger, Birgit Dr. Hoyer, Werner Irmer, Ulrich Kleinert (Hannover), Detlef Dr. Kolb, Heinrich Leonhard Koppelin, Jürgen Kubicki, Wolfgang Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Dr. Graf Lambsdorff, Otto Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine Lüder, Wolfgang Lühr, Uwe Dr. Menzel, Bruno Nolting, Günther Friedrich Dr. Ortleb, Rainer Paintner, Johann Richter (Bremerhaven), Manfred Rind, Hermann Dr. Röhl, Klaus Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt (Dresden), Arno Dr. Schmieder, Jürgen Schüßler, Gerhard Schuster, Hans Dr. Schwaetzer, Irmgard Seiler-Albring, Ursula Dr. Semper, Sigrid Dr. Solms, Hermann Otto Dr. Starnick, Jürgen Dr. von Teichman, Cornelia Dr. Thomae, Dieter Türk, Jürgen Walz, Ingrid Wolfgramm (Göttingen), Torsten Zurheide, Burkhard PDS/Linke Liste Dr. Heuer, Uwe-Jens Fraktionslos Henn, Bernd Nein CDU/CSU Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Dehnel, Wolfgang Eichhorn, Maria Fritz, Erich G. Dr. Geißler, Heiner Grotz, Claus-Peter Hörsken, Heinz-Adolf Hüppe, Hubert Jäger, Claus Jeltsch, Karin Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Kauder, Volker Koschyk, Hartmut Kronberg, Heinz-Jürgen Lamp, Helmut Johannes Limbach, Editha Lummer, Heinrich Reinhardt, Erika Dr. Ruck, Christian Sauer (Salzgitter), Helmut Schmalz, Ulrich Graf von Schönburg-Glauchau, Joachim Dr. Schreiber, Harald Schwarz, Stefan Dr. Süssmuth, Rita Vogt (Düren), Wolfgang Graf von Waldburg-Zeil, Alois Wetzel, Kersten Wonneberger, Michael SPD Adler, Brigitte Antretter, Robert Bachmaier, Hermann Becker (Nienberge), Helmuth Becker-Inglau, Ingrid Bernrath, Hans Gottfried Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf Blunck, Lieselott Dr. Böhme (Unna), Ulrich Brandt-Elsweier, Anni Dr. von Bülow, Andreas Büttner (Ingolstadt), Hans Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, Peter Dr. Däubler-Gmelin, Herta Daubertshäuser, Klaus Dr. Dobberthien, Marliese Dreßler, Rudolf Duve, Freimut Ebert, Eike Dr. Eckardt, Peter Dr. Elmer, Konrad Ferner, Elke Fischer (Gräfenhainichen), Evelin Fischer (Homburg), Lothar Fuhrmann, Arne Gansel, Norbert Dr. Gautier, Fritz Gilges, Konrad Gleicke, Iris Graf, Günter Haack (Extertal), Karl-Hermann Habermann, Frank-Michael Hacker, Hans-Joachim Hämmerle, Gerlinde Hanewinckel, Christel Dr. Hartenstein, Liesel Hasenfratz, Klaus Dr. Hauchler, Ingomar Heistermann, Dieter Hiller (Lübeck), Reinhold Dr. Holtz, Uwe Horn, Erwin Ibrügger, Lothar Iwersen, Gabriele Janz, Ilse Jaunich, Horst Kastner, Susanne Kirschner, Klaus Klappert, Marianne Klemmer, Siegrun Dr. sc. Knaape, Hans-Hinrich Kolbow, Walter Koltzsch, Rolf Kretkowski, Volkmar Kubatschka, Horst Dr. Kübler, Klaus Dr. Küster, Uwe Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe Lange, Brigitte von Larcher, Detlev Dr. Leonhard-Schmid, Elke Dr. Lucyga, Christine Maaß (Heme), Dieter Marx, Dorle Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, Markus Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Müller (Pleisweiler), Albrecht Müller (Schweinfurt), Rudolf Müller (Völklingen), Jutta Müntefering, Franz Neumann (Bramsche), Volker Dr. Niehuis, Edith Dr. Niese, Rolf Odendahl, Doris Oesinghaus, Günter Oostergetelo, Jan Opel, Manfred Ostertag, Adolf Dr. Otto, Helga Peter (Kassel), Horst Dr. Pfaff, Martin Pfuhl, Albert Dr. Pick, Eckhart von Renesse, Margot Rixe, Günter Schanz, Dieter Scheffler, Siegfried Willy Schmidbauer (Nürnberg), Bernd Schmidt (Aachen), Ursula Schmidt (Nürnberg), Renate Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina Dr. Schmude, Jürgen Dr. Schöfberger, Rudolf Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela Schütz, Dietmar Schulte (Hameln), Brigitte Dr. Schuster, Werner Schwanhold, Ernst Seidenthal, Bodo Simm, Erika Dr. Soell, Hartmut Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, Wieland Dr. Sperling, Dietrich Steen, Antje-Marie Stiegler, Ludwig Dr. Struck, Peter Tappe, Joachim Terborg, Margitta Dr. Thalheim, Gerald Titze, Uta Vergin, Siegfried Verheugen, Günter Dr. Vogel, Hans-Jochen Voigt (Frankfurt), Karsten D. Wallow, Hans Weiermann, Wolfgang Weiler, Barbara Weisskirchen (Wiesloch), Gert Dr. Wernitz, Axel Wester, Hildegard Westrich, Lydia Weyel, Gudrun Dr. Wieczorek, Norbert Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter Wimmer (Neuötting), Hermann Dr. de With, Hans Wittich, Berthold Wohlleben, Verena Ingeburg Wolf, Hanna Zapf, Uta F.D.P. Ganschow, Jörg Kohn, Roland PDS/Linke Liste Bläss, Petra Dr. Enkelmann, Dagmar Dr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth Jelpke, Ulla Lederer, Andrea Dr. Seifert, Ilja BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Feige, Klaus-Dieter Köppe, Ingrid Poppe, Gerd Schenk, Christina Schulz (Berlin), Werner Dr. Ullmann, Wolfgang Weiß (Berlin), Konrad Wollenberger, Vera Fraktionslos Dr. Briefs, Ulrich Lowack, Ortwin Enthalten CDU/CSU Eppelmann, Rainer Dr.-Ing. Jork, Reiner Dr. Jüttner, Egon Kossendey, Thomas Dr. Mahlo, Dietrich Dr. Meyer zu Bentrup, Reinhard Dr. Päselt, Gerhard Dr. Pinger, Winfried Reddemann, Gerhard Schmidt (Spiesen), Trudi Skowron, Werner Sothmann, Bärbel PDS/Linke Liste Dr. Gysi, Gregor Dr. Keller, Dietmar Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg Stachowa, Angela Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8383* Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede des Abgeordneten Dr. Werner Hoyer (F.D.P.) zu Tagesordnungspunkt 7 (Abrüstungspolitische Vorlagen und Vorlage zur Beteiligung der Bundeswehr an Einsätzen außerhalb des NATO-Vertragsgebietes) *) Der Antrag der Gruppe der PDS schließt in der ihm eigenen Rigorosität militärische Mittel als Beitrag zur Konfliktlösung aus. Dies ist aus Sicht der Antragsteller sicherlich konsequent. Wir Freien Demokraten sind aber nicht bereit, eine unverantwortliche Position zur Grundlage unserer Friedens- und Sicherheitspolitik zu machen. Es geht nicht um Wiederherstellung der Kriegsführungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland, wenn damit die Vorbereitung eines Angriffskrieges gemeint sein sollte. Dies wäre verfassungswidrig. Es ist völlig unstrittig, daß bei internationalen Krisen immer alle politischen und diplomatischen Mittel ausgeschöpft werden müssen, bevor es zum Einsatz von Streitkräften als ultima ratio kommen darf. Die friedenserhaltende und friedenssichernde Funktion deutscher Streitkräfte ist unbestreitbar. Niemand bei uns Liberalen hat Sehnsucht danach, mit schimmernder Wehr die Welt am deutschen Wesen genesen zu lassen. Es geht darum, daß wir Deutschen auf Basis der Charta der Vereinten Nationen und des KSZE-Vertrages nach Herstellung der staatlichen Einheit unserer internationalen Verantwortung voll gerecht werden. Es gibt keinen Grund mehr, sich dieser Verantwortung zu entziehen. Wir Liberalen haben deshalb auf unserem Bundeshauptausschuß im Mai 1991 in Hamburg beschlossen, daß deutsche Streitkräfte in Zukunft an der Durchsetzung von Entscheidungen des Weltsicherheitsrates — notfalls auch mit Streitkräften unserer Bundeswehr — mitwirken können sollen. Dies soll sowohl Blauhelm-Einsätze als auch im äußersten Fall Kampfmaßnahmen betreffen und an die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages gebunden sein. Die F.D.P. hat in diesem Zusammenhang auch deutlich gemacht, daß eine solche Teilnahme der Bundeswehr an UN-Friedensmissionen nur nach einer Änderung des Grundgesetzes erfolgen darf. Ich weiß, daß viele Fachjuristen dazu anderer Auffassung sind. Doch mit Blick auf die Haltung verschiedener Bundesregierungen zu dieser Frage dürfte klar sein, daß zu diesem Thema kein verfassungsrechtliches Seminar, sondern eine verfassungspolitische Lösung und ein breiter Konsens erforderlich sind. Wir Liberalen sind zu einer Grundgesetzänderung bereit. Der Antrag der PDS kann insofern guten Gewissens vernachlässigt werden. Mein Appell richtet sich vielmehr an die Sozialdemokraten, der notwendigen Grundgesetzänderung nicht länger im Wege stehen. Es reicht nicht aus, wenn Sie glauben, mit der Vorlage eines Antrages, der lediglich Blauhelm-Missionen *) Siehe 98. Sitzung, Seite 8145 B ff ermöglichen soll, Ihre Pflicht getan zu haben. Niemand — auch nicht im UN-Weltsicherheitsrat — wird leichtfertig für einen Beschluß plädieren, der einen Einsatz von Streitkräften zur Wiederherstellung des Friedens zur Folge hat. Doch sollte es dennoch einmal dazu kommen, wäre es unverantwortlich und im Widerspruch zu unseren mit der Ratifikation der UN-Charta übernommenen Pflichten, wenn wir Deutschen hinter einer Nebelwand aus vermeintlich pazifistischen, in Wahrheit aber eher eskapistischen Sprüchen von vornherein bedingungslos und mit Verweis auf uns leider bindende, in Wahrheit aber höchst angenehme und bequeme verfassungsrechtliche Schranken abseits stehen. Wir haben in dem schon erwähnten Hamburger Beschluß auch gefordert, daß die Entsendung von Streitkräften der Bundeswehr zu Kampfeinsätzen an die Bedingung geknüpft ist, daß andere Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft sich durch Entsendung von Kampfverbänden ihrer Streitkräfte ebenfalls beteiligen. Das Stichwort kann also auch in dem heute zur Debatte stehenden Zusammenhang nur „Europäisierung von Sicherheits- und Verteidigungspolitik " lauten. Eine Renationalisierung dieser Politik — und sei es durch moralische Überheblichkeit bedingtes Beiseitestehen —, gefährdet die internationale Glaubwürdigkeit unseres Landes. Ich hoffe sehr, daß sich auch die Sozialdemokraten zu dieser Erkenntnis durchringen. Wir sind ja durchaus bereit, Brücken zu bauen, weil wir einen möglichst breiten Konsens wollen. Deshalb müssen diese Brükken natürlich auch tragfähig sein. Aber sie müssen dann eben auch beschritten werden. Ich appelliere an die SPD, sich ihrer Mitverantwortung bewußt zu werden und sich endlich zu bewegen. Im übrigen ist es ja durchaus vorstellbar, daß sich alle großen Parteien darauf verständigen, nach erfolgter Grundgesetzänderung eine Teilnahme an Kampfeinsätzen für die nächsten Jahre politisch an eine breite Zustimmung im Parlament zu binden. Auch die F.D.P. weiß, daß so etwas nicht mit der Brechstange durchgesetzt werden darf. Wenn die Bundeswehr eines Tages zu weitergehenden Einsätzen außerhalb des NATO-Vertragsgebietes eingesetzt werden soll, dann hat jeder einzelne Soldat nicht nur Anspruch auf eine saubere verfassungsrechtliche Grundlage, sondern auch auf die Rückendeckung der deutschen Bevölkerung und nicht nur auf die bestimmter Parteien. Insofern ist die Teilnahme von Sanitätseinheiten der Bundeswehr an der UNO-Mission in Kambodscha zwar international gesehen ein wertvoller deutscher Beitrag, kann aber die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung nicht ersetzen. Ich habe an dieser Stelle schon einmal darauf hingewiesen, daß man auf der Hardthöhe nicht so tun sollte, als wäre diese Verfassungsänderung schon da. Wir Liberalen werden im Interesse der Soldaten der Bundeswehr keine Salami-Taktik hinnehmen. Deshalb werden wir hoffentlich bald nach der Sommerpause gemeinsam mit unserem Koalitionspartner eine Grundgesetzänderung beantragen. Die SPD fordere ich nochmals auf, im Interesse der internationalen Verantwortung Deutschlands sich nicht länger zu verweigern. 8384* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Reinhard Göhner auf die Frage des Abgeordneten Benno Zierer (CDU/CSU) (Drucksache 12/2863 Frage 11): Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, im Zuge einer Verschärfung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb die Werbung in den Tele-Medien wieder mehr an sachlicher Verbraucheraufklärung zu orientieren und damit die zunehmenden Elemente in der Darstellung zu unterbinden, die geeignet sind, religiöse und ästhetische Gefühle zu verletzen oder junge Menschen, besonders Minderjährige, zu sozialem Fehlverhalten und sinnlosem Konsum zu verführen? Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse dazu vor, daß die Wirtschaftswerbung im allgemeinen und insbesondere die Fernsehwerbung zunehmend Darstellungen enthielte, die, wie in Ihrer Frage ausgeführt, geeignet sind, religiöse und aesthetische Gefühle zu verletzen oder junge Menschen zu sozialem Fehlverhalten und sinnlosem Konsum zu verführen. Die Wirtschaftswerbung insgesamt und auch die Fernsehwerbung ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Wirtschaftsordnung, da sie es den Unternehmen ermöglicht, die Verbraucher mit ihrem Angebot an Waren oder Dienstleistungen vertraut zu machen. Werbung trägt in vielen Fällen auch zur sachlichen Verbraucheraufklärung bei, die sachliche Produktwerbung ist aber nicht notwendiger Inhalt der Werbung. Vielmehr dient die Werbung häufig der Imagepflege eines Unternehmens oder seiner Waren- oder Dienstleistungen. Dies ist durchaus legitim. Die Wirtschaftswerbung muß sich allerdings an die bestehenden Gesetze halten. Dazu gehört insbesondere auch das von Ihnen angesprochene Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Nach § 1 dieses Gesetzes sind alle Handlungen im geschäftlichen Verkehr verboten, die gegen die guten Sitten verstoßen. Von diesem Verbot wird insbesondere auch Werbung erfaßt, die die Leichtgläubigkeit oder Unerfahrenheit der angesprochenen Verbraucher, wie z. B. gerade von Jugendlichen oder Minderjährige, ausnützt. Hierzu gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung der Gerichte, die aus der Sicht der Bundesregierung zu insgesamt angemessenen Erg eb-nissen führt. Weiterhin verbietet § 3 UWG die irreführende Werbung. Bei Verstößen gegen diese Vorschriften können insbesondere zivilrechtliche Unterlassungsansprüche geltend gemacht werden. Dazu sind neben den betroffenen Mitbewerbern auch Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen und Verbraucherverbände berechtigt. Von dieser Klagemöglichkeit wird in erheblichem Umfang und vielfach auch mit Erfolg Gebrauch gemacht. Diese im Kern zivilrechtliche Ausgestaltung unseres Wettbewerbsrechts, die auch eine rasche Unterbindung wettbewerbswidriger Werbung mit einstweiligen Verfügungen ermöglicht, hat sich seit langem bewährt. Die Beurteilung von Werbemaßnahmen nach wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten steht dabei letztlich natürlich den Gerichten zu. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß § 1 UWG keine „Geschmackszensur" ermöglicht. Nicht jede geschmack- oder taktlose Werbung ist auch sittenwidrig. Allerdings kommt eine Sittenwidrigkeit im Sinne des § 1 UWG dann in Betracht, wenn die Werbung nach Auffassung der betroffenen Verkehrskreise das sittliche Empfinden verletzt, weil sie in grobem Maß gegen Pietät und Takt verstößt und dadurch ärgerniserregend und belästigend wirkt. Ergänzt wird die rechtliche Kontrolle der Werbung durch die Gerichte durch selbstdisziplinäre Maßnahmen der Werbewirtschaft. Hierzu gehört vor allem der bereits 1972 vom Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft gegründete Deutsche Werberat. Dieser hat u. a. eine Reihe von Verhaltensregeln verabschiedet. Dazu gehören z. B. die im Januar 1974 verabschiedeten Verhaltensregeln für die Werbung mit und vor Kindern im Werbefunk und Werbefernsehen. In jüngster Zeit hat eine Werbekampagne der Textilfirma Bennetton in Deutschland und auch im Ausland breite Aufmerksamkeit und Kritik auf sich gezogen. Auf Plakaten und den Anzeigen — nach meiner Kenntnis allerdings nicht im Fernsehen — wurde z. B. ein sterbender AIDS-Kranker dargestellt. Hierzu habe ich erst vor kurzem in meiner Antwort auf eine schriftliche Frage des Kollegen Horst Gibtner Stellung genommen. Ich habe dabei ausgeführt, daß diese Werbekampagne nach meiner Auffassung teilweise die Grenzen des Anstands und des guten Geschmacks überschreitet. Diese Auffassung wird auch vom Deutschen Werberat geteilt, der die Werbekampagne der Firma Bennetton in zwei Fällen öffentlich beanstandet hat. Gegen die genannte Anzeige und eine weitere Anzeige hat übrigens auch die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, ein nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb klagebefugter Verband, dem neben zahlreichen Wirtschaftsverbänden insbesondere alle Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern angehören, erfolgreich eine einstweilige Verfügung erwirkt. Dies zeigt, daß das vorhandene Instrumentarium zur Bekämpfung unlauterer und sittenwidriger Werbung durchaus greift. Die Bundesregierung ist nach allem der Auffassung, daß kein Anlaß zu einer Änderung oder Ergänzung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb besteht. Nachtrag zum Plenarprotokoll 12/99 Deutscher Bundestag Nachtrag zum Stenographischen Bericht 99. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Inhalt: Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 13 (Schutz des ungeborenen Lebens) Dr. Else Ackermann CDU/CSU . . . . . 8385* A Ina Albowitz F.D.P. . . . . . . . . . . 8385* C Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . . . . 8386* B Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . 8386* D Dr. Gisela Babel F D P. 8387* B Brigitte Baumeister CDU/CSU 8388* A Ingrid Becker-Inglau SPD 8389* A Dr. Sabine Bergmann-Pohl CDU/CSU . 8389* C Dr. Joseph-Theodor Blank CDU/CSU . 8390* B Peter Bleser CDU/CSU 8391* B Dr. Ulrich Böhme (Unna) SPD . . . . . 8392* A Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 8393* A Georg Brunnhuber CDU/CSU 8394* A Ursula Burchardt SPD . . . . . . . . 8394* C Marion Caspers-Merk SPD 8395* C Wolf-Michael Catenhusen SPD 8396* A Gertrud Dempwolf CDU/CSU 8396* B Albert Deß CDU/CSU 8397* B Ilse Falk CDU/CSU 8398* A Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8399* A Dr. Karl H. Fell CDU/CSU 8400* A Leni Fischer (Unna) CDU/CSU 8401* B Erich G. Fritz CDU/CSU . . . • . . . 8402* A Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU . . . 8403* A Horst Gibtner CDU/CSU 8403* C Peter Götz CDU/CSU . . . . . . . . 8404* C Wolfgang Gröbl CDU/CSU 8405* B Michael Habermann SPD . . . . . . . 8405* D Gerlinde Hämmerle SPD 8407* A Dr. Renate Hellwig CDU/CSU 8407* C Heinz-Adolf Hörsken CDU/CSU 8408* A Dr. Paul Hoffacker CDU/CSU 8408* D Dr. Uwe Holtz SPD 8408* D Siegfried Hornung CDU/CSU 8409* B Gabriele Iwersen SPD 8410* A Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 8410* C Dr. Dionys Jobst CDU/CSU 8411* B Dr. Egon Jüttner CDU/CSU 8412* A Steffen Kampeter CDU/CSU 8412* C Dr. Franz-Hermann Kappes CDU/CSU . 8413* C Volker Kauder CDU/CSU 8414* D Peter Keller CDU/CSU 8415* C Dr. Hans-Hinrich Knaape SPD 8416* B Manfred Kolbe CDU/CSU 8416* D Jürgen Koppelin F.D.P. 8417* D Wolfgang Lüder F.D.P. 8418* B Heinrich Lummer CDU/CSU 8419* A Dr. Michael Luther CDU/CSU 8419* D Dr. Franz Möller CDU/CSU 8420* C Alfons Müller (Wesseling) CDU/CSU . . 8421* C II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Günther Nolting F D P. 8422* C Friedhelm Ost CDU/CSU 8423* A Lisa Peters F.D.P. . . . . . . . . . . 8423* D Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU . . . . . 8424* B Peter Rauen CDU/CSU 8425* D Dr. Bertold Reinartz CDU/CSU 8426* C Günter Rixe SPD 8427* B Dr. Klaus Rose CDU/CSU 8428* B Roland Sauer (Stuttgart) CDU/CSU . . 8429* B Siegfried Scheffler SPD 8430* A Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . 8431* A Gerhard Scheu CDU/CSU 8431* D Dr. Jürgen Schmieder F.D.P. . . . . . 8432* C Hans Peter Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 8433* B Dr. Rupert Scholz CDU/CSU . . . . . 8434* C Gisela Schröter SPD 8436* B Wolfgang Schulhoff CDU/CSU 8437* A Stefan Schwarz CDU/CSU 8437* D Heinz Seesing CDU/CSU . . . . . . . 8439* A Bärbel Sothmann CDU/CSU . . . . . 8439* C Dr. Hans Stercken CDU/CSU 8440* C Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/ CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 8440* D Hans-Gerd Strube CDU/CSU 8441* B Carl-Ludwig Thiele F D P 8442* A Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 8443* A Dr. Horst Waffenschmidt CDU/CSU . 8444* B Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 8445* A Dr. Dorothee Wilms CDU/CSU 8445* D Dr. Roswitha Wisniewski CDU/CSU . 8446* B Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . 8447 * B Burkhard Zurheide F.D.P 8447* D Werner Zywietz F.D.P. . . . . . . . . 8448* D Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Bühler (Bruchsal), Klaus Riegert, Franz Romer, Dr. Andreas Schockenhoff und Elke Wülfing (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) . . . . . . . . . . . . . . . . 8449* B Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) . . . . . . . . 8449* C Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) 8450* A Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Günter Graf (SPD) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) 8450* C Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Ernst Hinsken (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) 8451* A Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Lothar Ibrügger (SPD) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) 8451*C Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Klaus Kübler (SPD) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) 8452* A Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Herbert Lattmann (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) 8452* B Anlage 14 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) 8452* C Anlage 15 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Jürgen Rüttgers (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) 8453* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 III Anlage 16 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) 8453* C Anlage 17 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) . . . . . . . . . 8454* A Anlage 18 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Hermann Schwörer (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) . . . . . . . . . 8454* C Anlage 19 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Günter Verheugen (SPD) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) . . . . . . . . . . . . . . . . 8454* D Anlage 20 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Ruprecht Vondran (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) 8455* A Anlage 21 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) 8455* C Anlage 22 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Benno Zierer (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) . . . . . . . . . . . . . . . . 8456* A Anlage 23 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Claudia Nolte (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) 8456* D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8385* Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 13 (Schutz des ungeborenen Lebens) Dr. Else Ackermann (CDU/CSU): Die Abtreibungsfrage hat mich berufsbedingt begleitet und sie bleibt auch für mich ein Trauma, weil jeder Abbruch ein Tötungsdelikt ist. Die auch in der DDR bestandenen und erlassenen Regelungen habe ich tragen und ertragen müssen. Die Diskussionen für und wider eine Fristenlösung waren nicht anders als jetzt, wenn auch ohne Auswirkungen, weil keine neue Regelung anstand. Die sog. Indikationslösung ist nur eine verkappte Fristenlösung. Im Gesetzentwurf der CDU wird die medizinische Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch um die psychosoziale Notlage erweitert. Die Schwangere stellt dem Arzt ihre Notlage dar, die für sie so schwerwiegend ist, daß die Fortsetzung der Schwangerschaft für sie nicht zumutbar ist. Da in diesem Gesetzentwurf der Arzt die Entscheidung über den Schwangerschaftsabbruch trifft und diesen auch durchführt, muß er seine ärztliche Beurteilung einer psycho-sozialen Indikation schriftlich niederlegen (dokumentieren) entweder per Gesetz, nämlich nach § 218a (2), oder aber laut Standesrecht. Er trägt aber die Verantwortung. Deshalb muß seine Entscheidung überprüfbar sein. Der Arzt läuft also Gefahr, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Die Verfasser des Gesetzestextes wußten um diese Gefahr und schützen nun wiederum den Arzt in § 219 (2), indem jeder, der „öffentlich in anstößiger Weise erklärt, einen Arzt getäuscht zu haben, um eine Indikationsstellung nach § 218a zu erreichen", bestraft wird. Die Feststellung einer Notlage ist aber mit ärztlichen Erkenntnissen nicht erreichbar. Die Notlagenindikation ist zudem die Aushöhlung der klassischen medizinischen Indikation und muß deshalb verworfen werden. Die Entscheidung muß also nach entsprechender Beratung, die eine Pflicht sein soll, von den Betroffenen eigenverantwortlich gefällt werden. Diese Formulierung ist dem Thesenpapier „Zur Problematik des Schwangerschaftsabbruches" entnommen, das auf dem 93. Deutschen Ärztetag 1990 in Würzburg initiiert wurde mit dem Ziel, ärztlich relevante Gesichtspunkte zusammenzustellen, die bei einer Neufassung des § 218 für das gesamte Deutschland zu berücksichtigen sind. Nach Meinung der Ärzteschaft ist von besonderer Bedeutung, daß nur bei einem legalen Schwangerschaftsabbruch eine Konfliktberatung in Anspruch genommen wird und deshalb die Beratung zur Pflicht gemacht werden soll. Anderenfalls steht die abtreibungswillige Frau unter einem Rechtfertigungsdruck und ist veranlaßt, ihren Berater und Arzt zu belügen. Diesem Mehrheitsvotum der deutschen Ärzteschaft trägt der Gruppenantrag auf Drucksache 12/2205 weitestgehend Rechnung. Er geht im Gegensatz zum CDU-Entwurf davon aus, daß es unmöglich ist, indivi- Anlagen zum Stenographischen Bericht duelle Notlagen ärztlicherseits festzustellen und gerichtlich zu überprüfen. Folgerichtig gibt es keine psychosoziale Indikation, sondern die Pflicht für die abtreibungswillige Frau, sich beraten zu lassen. Um einen Rechtfertigungsdruck auszuschließen, sind beratender und abtreibender Arzt nicht identisch. Anders als im Gesetzentwurf der CDU (Kommissionsantrag) wird durch die Lösungswege im Gruppenantrag vermieden, daß sich der Arzt ständig am Rande der Rechtswidrigkeit bewegt. Allerdings hat der Rechtsstaat Bundesrepublik trotz der noch bestehenden restriktiven Regelung die offensichtlichen Rechtsverstöße gegen den § 218 nicht mehr so ernst genommen, da 1991 nur 7 Verstöße bei insgesamt 700 000 Strafverfahren gerichtlich geahndet wurden. Dieser Gruppenantrag entspricht auch der Koalitionsvereinbarung vom 12. April 1990 des ersten freigewählten Parlaments in der DDR, in der ein „umfassender Schutz des ungeborenen Lebens durch umfangreiche Beratungs-, Aufklärungs- und Unterstützungsangebote sowie kostenlose Bereitstellung von Kontrazeptiva für Frauen bei Beibehaltung der Fristenlösung zum Schwangerschaftsabbruch" zugesichert wurde. Ina Albowitz (F.D.P.): Das Thema Schwangerschaftsabbruch läßt niemanden kalt. Deshalb sollte man auch keinem Mitglied des Parlaments unterstellen, daß ihm das Schicksal der ungeborenen Kinder egal ist. Dieser Eindruck, der leider auch in Teilen der Bevölkerung entstanden ist — die zahlreichen Briefe zum Thema zeigen dies —, muß durch die heutige Debatte ausgeräumt werden. Strittig ist einzig und allein die Frage, wie das ungeborene Leben besser geschützt werden kann. Ich möchte die Punkte aufzählen, die für meine Entscheidung, den Gruppenantrag zu unterstützen, den Ausschlag geben. Es muß doch nachdenklich stimmen, daß in unserer Gesellschaft werdendes Leben häufig unerwünscht und der Auslöser enormer Konflikte ist. Das kann nur daran liegen, daß es trotz des unbestreitbaren Wohlstandes enorme Defizite bei der Unterstützung der schwangeren Frauen und Mütter gibt. Die Frauen fühlen sich bei der Bewältigung der Probleme, die durch die Schwangerschaft entstehen, zu oft allein gelassen. Viele Männer wenden sich desinteressiert ab, als hätten sie mit der ganzen Sache nichts zu tun, es gibt keine ausreichenden Betreuungsmöglichkeiten, auf dem Wohnungsmarkt haben Familien mit Kindern und vor allem alleinerziehende Frauen kaum eine Chance, es gibt viel zu wenig Regelungen, die die Vereinbarkeit von Kind und Beruf erleichtern. Die Frauen, die vor diesen Problemen kapitulieren, lassen sich auch von einer Indikationsregelung nicht schrecken. Notfalls landen sie beim Kurpfuscher. 8386* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Und wenn man den jungen Frauen den bürokratischen Hürdenlauf zur Feststellung einer Indikation aufzwingt, fühlen sich diese in die Ecke gedrückt. Sie verschließen sich emotional und sind nicht mehr offen für die Argumente und Hilfsangebote, die trotz aller Probleme für das Kind sprechen. Weiß die Frau von Beginn an, daß sie nach der obligatorischen und fachkundigen Beratung letztendlich alleine über den Schwangerschaftsabbruch entscheiden kann, ist sie viel empfänglicher für die Beratung und somit auch für Argumente für das Kind. Hiervon wird es nach Inkrafttreten der heute zu beschließenden sozialen Hilfen einige mehr geben. Ausreichend sind diese Verbesserungen alleine noch immer nicht, zumal auf Grund haushaltspolitischer Vorgaben bei der Realisierung Übergangsfristen in Kauf genommen werden müssen. Notwendig ist vielmehr auch eine grundsätzliche Änderung der Akzeptanz jedes einzelnen für Kinder sowie die Probleme ihrer Mütter. Das kann niemand erzwingen. Der Gruppenantrag erfüllt allerdings auch am besten von den vorliegenden Gesetzentwürfen die Voraussetzungen, die für einen solchen Wandel notwendig sind. Vor allem die Frauen in den neuen Bundesländern sähen sich bei einer Indikationsregelung und den derzeitigen wirtschaftlichen Problemen unter Druck gesetzt. Die Geburtenrate würde noch stärker sinken, als dies seit der Vereinigung Deutschlands ohnehin bereits der Fall war. Heute gibt es in den neuen Bundesländern fast nur noch die Hälfte der Geburten pro tausend Einwohner wie vor der Wende. Und diese Tendenz setzt sich fort. Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes kamen 1989 12,0 Lebendgeborene auf 1 000 Einwohner pro Jahr; 1991 waren es nach den vorläufigen Angaben nur noch 6,6. Zum Vergleich: In den alten Bundesländern waren es 11,3 im Jahre 1991. Deshalb dürfen auf keinen Fall die strafrechtlichen Bestimmungen verschärft werden. Diese sind im Gegensatz zu den sozialen Hilfen wirkungslos. Jede Schätzung der Zahl an illegalen Schwangerschaftsabbrüchen, welche in den alten Bundesländern die Zahl der legalen Abbrüche (1990 waren es 78 808) sogar noch übertreffen soll, unterstreicht dies. Ich gehe davon aus, daß dieses Parlament nicht einer Selbsttäuschung erliegen will und sich nicht mit einer Senkung der offiziellen Abtreibungszahlen durch eine Indikationslösung zufrieden gibt. Wer wissentlich die Entwicklung der Zahl illegaler Schwangerschaftsabbrüche ignoriert, die bei einer Ausweitung der Indikationsregelung in ganz Deutschland in den neuen Bundesländern ohne Zweifel sprunghaft steigen und in den alten Bundesländern nicht zurückgehen würde, handelt kurzsichtig und realitätsfern. Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): In der Frage des Schutzes des ungeborenen Lebens spreche ich mich unmißverständlich gegen eine Fristenregelung, in welcher Form auch immer, aus. Leben darf nicht für eine bestimmte Frist schutzlos zur Disposition gestellt werden. Das Leben ungeborener Kinder bedarf auch im vereinten Deutschland eines rechtlichen Schutzes, der keinesfalls schwächer sein darf als in der alten Bundesrepublik. Das Lebensrecht des Kindes hat grundsätzlich Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Eine Fristenregelung ist mit der grundgesetzlich verankerten Verpflichtung des Staates zum Schutz des Lebens ungeborener Kinder unvereinbar. Dabei geht es nicht um eine Verschärfung bestehender Strafrechtsregelungen, sondern in erster Linie um den weiteren Ausbau der sozialen Hilfen für Schwangere. Auch die Schaffung von preisgünstigen Wohnungen für Familien und Alleinerziehende ist in diesem Zusammenhang besonders notwendig. Wichtig bleibt zudem die Verbesserung der Beratung der Schwangeren mit einer klaren Orientierung am Lebensrecht des ungeborenen Kindes. Der Schutz des ungeborenen Lebens stellt eine immense sozial- und gesellschaftspolitische Aufgabe und Verantwortung dar. Eine weitreichende Bewußtseinsänderung in unserer Gesellschaft zugunsten des Schutzes des ungeborenen Kindes ist dabei unabdingbar. Das ungeborene Kind — als Geschöpf Gottes — ist Mensch von Anfang an. Wie der Gesetzgeber heute auch entscheidet: Für einen Christen ist die Abtreibung die Tötung eines Menschen. Dietrich Austermann (CDU/CSU): Die Diskussion um das Thema Abtreibung konzentriert sich meist auf die Zumutbarkeit der Strafbarkeit gemäß § 218 StGB, weniger auf die Frage, wie der Schutz ungeborenen Lebens verstärkt werden kann. Dies war aber der Ausgangspunkt im Einigungsvertrag: Eine Regelung sollte herbeigeführt werden, die anders als die Praxis in der ehemaligen DDR (Fristenlösung, auf zwei Geburten kommt eine Abtreibung) einen stärkeren Schutz des ungeborenen Lebens bewirken sollte. Dabei ist zu beachten, daß die unterschiedliche Rechtslage in der alten Bundesrepublik und der ehemaligen DDR faktisch zu gleichen, von der Mehrheit kritisierten Abtreibungszahlen führte. Jeder Vorschlag, der heute diskutiert wird, muß sich also darauf überprüfen lassen, ob er den Schutz werdenden Lebens verbessert, die Barriere, die Abtreibung verhindern soll, absenkt oder erhöht. Nach meiner Einschätzung wird dieser Überprüfung nur der Vorschlag einer Gruppe von CDU/CSU-Abgeordneten und mit Einschränkung der Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion gerecht. Ein Ja zur Fristenregelung kann es für mich nicht geben. Klar muß jeder Abgeordneten und jedem Abgeordneten sein, daß nach unserem Grundgesetz dem Recht der Frau auf Selbstbestimmung (über ihren eigenen Körper) die Verpflichtung des Staates zum Schutz ungeborenen Lebens gegenübersteht. Dies muß nicht notwendig durch das Strafrecht geschehen, andere Alternativen sind nur leider bisher nicht gefunden worden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8387* Staatliche Hilfe für werdende Mütter ist selbstverständliche Pflicht, wird künftig auch in beachtlichem Maße geleistet, reicht aber als Lebensschutz allein nicht aus. Ein Verfahren, das eine Pflichtberatung lediglich als lästige Durchlaufstation vorsieht, wird dieser Aufgabe der Allgemeinheit nicht gerecht. Wer Unantastbarkeit der Menschenwürde fordert, wer eine Antwort auf die Unmenschlichkeit der NS-Zeit geben will, wer unterlassene Hilfeleistung unter Strafe stellt, darf das subjektive Recht des schwächsten Gliedes der Gemeinschaft nur in klar umrissenen Not- und Ausnahmefällen einem anderen Leben — nicht aber einer unbegrenzten Selbstbestimmung — unterordnen. Vor 20 Jahren wurde bei der Reform des Sexualstrafrechts mit Erfolg gefordert, der Staat möge sich aus den Schlafzimmern (oder wo sonst) heraushalten. Jetzt fordern einige mit Verve, der Staat müsse gleichwohl die Verantwortung für das, was dort geschieht, übernehmen: Pille und Kondome auf Krankenschein oder von der Sozialhilfe, und wenn's trotzdem schiefgeht nach neun oder zehn oder elf Wochen die Abtreibungspille oder die Abtreibung. Daß gefordert wird, der Staat müsse die Vorsorge und Verantwortung für menschliches Verhalten im Sexualbereich übernehmen, zeigt, daß mit der Ignorierung fremder Rechte oftmals auch die Ignorierung eigener Pflichten und ein genereller Werteverlust verbunden ist. Die Anhänger einer Fristenlösung, die Abtreibung bis zu einem bestimmten Termin nicht nur erlaubt sondern sogar als rechtmäßig erklärt, werden sich die Frage gefallen lassen müssen, weshalb sie den Schutz des ungeborenen Lebens von einem willkürlich gegriffenen Stichtag abhängig machen wollen. Wir beginnen so, unveräußerliche Rechte unseres Gemeinwesens zur Disposition zu stellen. Wer dem Wandel des Zeitgeistes jeweils hinterherläuft, „zeitgemäßes" und „unzeitgemäßes" Leben unterscheidet, wird bald alle eigenen Pflichten und Rechte Dritter zur Disposition stellen. Im übrigen unterscheidet sich auch hier offenbar die veröffentlichte Meinung von der schweigenden Mehrheit. Nie bekam ich als Abgeordneter mehr Briefe als jetzt und mit einheitlichem Tenor zugunsten werdenden Lebens. Die Fristenlösung ist nach Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht verfassungswidrig. Forscher der Heilpädagogischen Fakultät der Kölner Universität haben mir vor einiger Zeit geschrieben und darauf hingewiesen, wie sehr behinderte Mitbürger gedemütigt sind durch die Diskussion, die praktisch behindertes vorgeburtliches Leben verfügbar macht: „Es sollte um jeden Preis vermieden werden, daß zum zweiten Mal innerhalb von 50 Jahren behinderte Kinder sterben müssen, dieses Mal wegen der Utopie einer leidfreien Gesellschaft und eines falsch verstandenen Selbstbestimmungsrechts." Den Anfängen muß gewehrt werden. Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Die Debatte über die Refom des § 218 führen wir heute den ganzen Tag. Die Gegensätze der Auffassungen treten deutlich zu Tage. Eines aber wird uns sicher einen, nämlich die Hoffnung, daß wir nach zwei Jahren eingehender, manchmal bitterer und quälender Auseinandersetzung endlich entscheiden. Die Zeit ist reif. Ich mache keinen Hehl daraus, daß ich die im Gruppenantrag gefundene Lösung unterstütze. Sie enthält die drei wesentlichen Elemente des F.D.P.-Entwurfs: die Gewissensentscheidung der Frau als letzte Instanz, die vom Staat zwingend vorgeschriebene Beratung sowie die unveränderte Verankerung des Tatbestandes im Strafrecht. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1975 spielte bei den grundsätzlichen Erwägungen und Formulierungen eine große Rolle. Es gibt Sätze in diesem Urteil, die den Weg der Fristenregelung völlig zu verbauen scheinen. Dabei wird eines übersehen: Im Jahre 1975 gab es noch nicht — wie heute im Jahr 1992 — eine jahrelange Erfahrung mit der Indikationsregelung und der Fristenregelung. Man nahm an, daß die Fristenregelung im Vergleich zur Indikationsregelung die Zahl der Abtreibungen steigern würde und daß damit der Schutz des werdenden Lebens gemindert würde. Heute wissen wir, daß diese Annahme nicht stimmt. Nicht nur der internationale, sondern auch der Vergleich innerhalb der beiden deutschen Rechtsordnungen zeigt, daß im Ergebnis beide Wege gleich sind. Die Zahlen unterscheiden sich nicht signifikant. Ich behaupte daher auch nicht, daß die Fristenregelung zu mehr Schutz des werdenden Lebens führt, und noch weniger, daß die Indikationsregelung der Frau die Möglichkeit, ihre Entscheidung durchzusetzen, unzulässig eingeschränkt hätte. Für mich geht es in dieser Frage mehr um Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit: Nur bei der im Gruppenantrag gefundenen Lösung, nur wenn die Frau nach ihrem eigenen Gewissen handelt und entscheidet, regeln wir als Gesetzgeber, was in Wirklichkeit schon so ist: Wir erkennen an, daß Frauen in diesem Konflikt zwar Hilfe brauchen, aber letztlich selbst entscheiden. Ihre Entscheidung wird nicht richtiger und ethisch höher- wertig, wenn sie die Zustimmung oder Billigung anderer Personen — sei es Richter, Arzt oder sozialer Berater — erfährt. Aber dadurch wird es für eine schwangere Frau ja nicht einfacher, sich für einen Abbruch zu entscheiden. Sie trägt die ganze Last der Verantwortung allein. Der Gesetzgeber muß werdendes Leben schützen durch Verbesserung der Lebensbedingungen für Familien, für Kinder. Darin sind sich im Kern alle Parteien wieder einig. Noch ein Wort zur Gewissensentscheidung der Abgeordneten. Aus Kreisen der Kirche kam der Satz, über Leben und Tod könne man nicht mit Mehrheit entscheiden. Das halte ich für eine große Verdrehung. Niemand muß abtreiben, niemand soll abtreiben. Wir entscheiden darüber, in welcher Weise der Staat am besten dazu beiträgt, eine Abtreibung zu verhindern. Unsere Möglichkeiten sind — und das erkennen wir alle — begrenzt. Ich wiederhole den oft gesagten Satz: Der beste Schutz des werdenden Lebens ist die Freude über das geborene Leben. 8388* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Eine der Aufgaben, die mit der deutschen Einigung auf uns zugekommen sind, ist die Neuregelung der rechtlichen Rahmenbedingungen für den Schutz des ungeborenen Lebens. Wir haben uns verpflichtet, eine Lösung zu erarbeiten und eine Parlamentsentscheidung zu treffen. Dieser Pflicht müssen und wollen wir heute nachkommen. Kaum ein Beratungsgegenstand ist bisher so lange und so intensiv beraten worden. Zu kaum einer anderen Frage haben wir so viele Zuschriften, Anregungen und beabsichtigte Einflußnahmen erhalten. Ich begreife diese Aufgabe als erfreuliche Chance. Bisher gelten unterschiedliche Regelungen in Ost und West — ein unerträglicher Zustand. Es kann nicht sein, daß Lebensrecht für Ungeborene und Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in Ost und West unterschiedlich bewertet werden. Wir wollen in Ost-und in Westdeutschland gleiche Lebensverhältnisse herstellen. Hierbei dürfen wir auch nicht haltmachen beim Schutz des ungeborenen Lebens. Worüber haben wir heute zu befinden? Es geht weit über die Regelung des § 218 des Strafgesetzbuches hinaus: das Grundrecht auf Leben, die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates zum Schutz des Schwächeren vor dem Stärkeren, der Schutz ungeborener Kinder, die Stellung der Frau als Mutter und in der Verwirklichung ihrer Lebensziele in privatem und beruflichem Bereich. Die Entscheidung ist nicht leicht, und wir dürfen und wollen sie uns nicht leichtmachen. Wir stellen Fragen an die Wissenschaft, einerseits an die Naturwissenschaft, andererseits an ethische Richtlinien. Wir in der CDU sind darüber hinaus dem „C", der christlichen Wertordnung im Namen unserer Partei verpflichtet, Auf Grund unserer Erkenntnis orientieren wir uns vor dem Hintergrund christlichen Glaubens an der Ehrwürdigkeit und dem absoluten Wert des Lebens. Welche Informationen gibt uns die Wissenschaft? Es ist heute naturwissenschaftlich nachgewiesen, daß mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle ein neues menschliches Leben beginnt. Ohne Wenn und Aber ist dies ein absoluter Meßpunkt, den wir zu respektieren haben. Daher können wir nicht von „werdendem Leben" im Sinne eines Provisoriums oder einer Relativierung des Lebens sprechen, sondern müssen erkennen, daß hier auch schon vor der Geburt eigenständiges menschliches Leben existiert. Auf Grund dieser Erkenntnis verbietet sich schon aus logischen Erwägungen jede Fristenregelung. Denn jede Fristsetzung stellt eine willkürliche Grenzziehung dar. Es wäre vermessen, die Entscheidung, ab wann menschliches Leben schützenswert ist, von einer solchen Zeiteinteilung abhängig zu machen. Denken wir das Konzept einer Fristenregelung konsequent weiter, so liegt die Idee nicht fern, nicht nur hinsichtlich des Beginns menschlichen Lebens, sondern beispielsweise auch zu dessen Ende eine vergleichbare Regelung zu treffen. Die fatalen Konsequenzen eines solchen Gedankens können wir uns ausmalen. Ich möchte sie hier nicht weiter ausführen. Die Indikationenregelung, wie wir sie in unserer Fraktion nach sorgfältigen Beratungen formuliert haben, ist als einzige geeignet, einerseits den Schutz der Ungeborenen in den Mittelpunkt zu stellen und andererseits den Erfordernissen der Frauen nachzukommen. Sie gibt den Rahmen für die angemessene Berücksichtigung des Lebensrechts, ohne die Frauen in ihren Rechten und in ihrem Wunsch nach Verwirklichung der eigenen Lebensplanung zu beeinträchtigen. Eines ist klar: Wir beraten über ein Thema, bei dem es um viel Verantwortung auf verschiedenen Seiten geht. Wir sind aufgerufen, eine Lösung zu beschließen, die der Verantwortung gegenüber dem ungeborenen Leben gerecht wird und die gleichzeitig die Verantwortung gegenüber den Frauen und werdenden Müttern wahrnimmt. Wir müssen erkennen und berücksichtigen, daß jede Frau in betreffender Situation ihre Verantwortung erkennt und ihr nachkommt. Schließlich muß mit Nachdruck auch auf die Verantwortung hingewiesen werden, die die Männer mitzutragen haben. Ein entscheidender Faktor ist die eingehende und verantwortlich geführte Beratung der betreffenden Frauen. Wenn wir uns vergegenwärtigen, wie viele Frauen aus einer solchen Beratung eine ausschlaggebende Weichenstellung für ihre Planung und Entscheidung erfahren haben, müssen wir erkennen, wie unverzichtbar die Beratung ist. Sie ist unbedingt festzuschreiben. Bei der Erörterung der Frage, inwieweit eine Dokumentation der Beratung vorgenommen wird und diese Dokumentation rechtswirksame Folgen haben kann, dürfen wir die Hauptsache nicht aus den Augen verlieren. Es geht in erster Linie um den Schutz des ungeborenen Lebens, um die Verwirklichung des elementaren Lebensrechts. Ich frage mich, inwieweit der Gedanke an eine Dokumentation die Atmosphäre des Gesprächs zwischen der schwangeren Frau und dem beratenden Arzt beeinflußt. Jedenfalls wünsche ich mir, daß die vertrauensvolle Beratung, der ich eine große Bedeutung zumesse, hierdurch nicht beeinträchtigt wird. Natürlich müssen kinder- und familienfreundliche Rahmenbedingungen den Schutz des ungeborenen Lebens unterstützen. Trotz angespannter Haushaltslage hat sich die Bundesregierung dieser Aufgabe verpflichtet und in der letzten Zeit zahlreiche familienpolitische Fortschritte erreicht. Gleichzeitig setze ich auf verstärkte Beratung und Aufklärung, auf Prävention und Vorsorgemaßnahmen. Es ist heute ohne weiteres zu erreichen, daß die Zahl ungewollter Schwangerschaften entscheidend vermindert wird. Hier müssen wir den gesellschaftlichen Erkenntnis- und Akzeptanzprozeß aktiv unterstützen und beschleunigen. Nach meiner Überzeugung ist der Entwurf unserer Fraktion derjenige, der auf die gestellten Fragen stichhaltige Antworten gibt. Er ist derjenige, der das Lebensrecht am besten respektiert und der Forderung nach Berücksichtigung der Belange der betroffenen Frauen angemessen nachkommt. Ich bin sicher, mit dieser Regelung werden wir unserer Verantwortung gerecht. Deshalb stimme ich für diesen Entwurf. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8389* Ingrid Becker-Inglau (SPD): Niemand in diesem Hause wird behaupten wollen oder hat bisher behauptet, Schwangerschaftsabbrüche seien wünschenswert oder man würde sie gar persönlich befürworten. Ich sage: Jede Abtreibung ist eine Abtreibung zuviel. Gerade deshalb haben wir im Bundestag den Auftrag, eine Regelung für die Verhinderung bzw. Verminderung von Schwangerschaftsabbrüchen zu finden. Seit über einem Jahr haben wir zunächst in den Fraktionen und danach fraktionsübergreifend in zähem Ringen bis an den Rand der Kompromißfähigkeit über eine Neuregelung mit großer Ernsthaftigkeit debattiert. Der nun vorliegende Gruppenantrag, dem Mitglieder aller Fraktionen beitreten konnten, ist der Versuch, möglichst viele unterschiedliche Meinungen so zusammenzufügen, daß das Ziel, den Schutz des Lebens und den Schutz des werdenden Lebens zu gewährleisten, erreicht wird. Dabei mußten alle, die sich am Gruppenantrag beteiligt haben, Zugeständnisse an ihre Fraktionsentwürfe und ihre eigene Meinung machen. Natürlich stehe ich nach wie vor zu den sozialdemokratischen Forderungen, die wir in unserem Gesetzentwurf zum Familien- und Schwangerenhilfegesetz formuliert haben, nämlich erstens eine umfassende Prävention, die zur Verminderung oder Verhinderung einer ungewollten Schwangerschaft führt; zweitens der Anspruch auf Beratung bei Schwangerschaft und beim Schwangerschaftskonflikt; drittens die Straffreiheit der Frau bei einem Schwangerschaftsabbruch im Konfliktfall; viertens ein Angebot von flankierenden Maßnahmen, das das Austragen einer Schwangerschaft in einer familien- und kinderfreundlichen Gesellschaft ermöglicht und den Ansprüchen des Bundesverfassungsgerichtsurteils von 1975 entspricht und als Ersatz für eine Strafbewährung gelten muß. In vielen Veranstaltungen fand ich Bestätigung und Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. Bei den Gegnern unseres Entwurfs hatte ich häufig den Eindruck, sie wollten mich beschuldigen, daß ich zur Abtreibung aufforderte, ja sie am Ende herbeiwünschte. Das war und ist absurd. Wir müssen, wie im Einigungsvertrag festgelegt, eine Regelung von Schwangerschaftskonfliktsituationen für alle Bundesländer erarbeiten. Einerseits muß der Frau die Austragung des Kindes in eine familien- und kinderfreundiche Welt gewährt werden. Dazu benötigt sie die Hilfen des Staates, dessen Zukunft unsere Kinder sind. Andererseits muß die Frau in unserer Gesellschaft die Chance haben, sich gegen die Fortsetzung einer Schwangerschaft entscheiden zu können, ohne daß sie von Kurpfuschern zu Tode gequält wird — wie vor 1975 möglich — oder von Gerichten verurteilt wird wie kürzlich noch in Memmingen. Der SPD-Entwurf enthielt die Straffreiheit der Frau. Im Gruppenantrag ist dies durch eine Fristenregelung eingeschränkt. Der SPD-Entwurf hat das Prinzip „Hilfe statt Strafe" in einem umfassenden Umfang enthalten. Im Gruppenantrag sind nur Teile davon erreicht. Der SPD-Entwurf enthielt die Forderung eines auf Freiwilligkeit ausgerichteten Anspruchs auf Beratung. Im Gruppenantrag sind nur Teile davon erreicht. Der SPD-Entwurf hatte als Kernstück zur Verhinderung ungewollter Schwangerschaften Prävention und Verhütung gefordert. Der Gruppenantrag ist nahezu identisch. Ich werbe für die Zustimmung zum Gesetzentwurf der SPD, weil er dem Schutz des werdenden Lebens und dem Entscheidungsrecht der Frau am besten gerecht wird. Aber gleichzeitig appelliere ich an Sie alle — um der Hoffnung vieler Frauen willen in der Bundesrepublik eine Verbesserung der jetzigen Situation zu erreichen —, wenigstens dem Gruppenantrag Ihre Stimme zu geben. Wir Frauen wollen keine Verschlechterung der bestehenden Regelung. Wir wollen 15 Jahre Erfahrung, daß Strafe keine Abtreibung verhindert, nutzen. Dr. Sabine Bergmann-Pohl (CDU/CSU): Was können wir nach monatelanger, heftiger und hitziger Diskussion als Ergebnis feststellen? Obwohl alle wußten, daß das Strafrecht wenig geeignet ist, eine Abtreibung zu verhindern, war der überwiegend ideologisch geführte Streit zwischen Fristen- und Indikationsregelung das Hauptthema. Die eigentlichen Lösungsansätze für eine wirkliche Verbesserung der unerträglichen Situation von ca. 300 000 Schwangerschaftsabbrüchen in der Bundesrepublik liegen — wie die meisten wissen — woanders: erstens in einer deutlichen Reduzierung der Zahl der ungewollten Schwangerschaften durch eine enttabuisierte Sexualaufklärung an den Schulen, die die Eigenverantwortung der Jugendlichen beim Sexualverhalten bewußter macht. Zweitens hätte ich mir eine fraktionsübergreifende Initiative in Richtung einer massiven und möglichst schnell spürbaren Verbesserung der Situation junger Familien oder Alleinerziehender gewünscht. Dabei bin ich mir natürlich der finanziellen Probleme von Bund, Ländern und Kommunen bewußt. Aber es gilt eben in diesem Zusammenhang Prioritäten zu setzen. Meine Haltung ist im übrigen klar und unmißverständlich. Auch als Ärztin habe ich aus ethischen und moralischen Gründen große Probleme mit jeder Form einer Fristenregelung, da mit ihr menschliches Leben für einen letztlich willkürlichen Zeitraum zur Disposition gestellt wird. Ich darf hier auf eine Aussage eines prominenten F.D.P.-Mannes hinweisen, der letztes Jahr als Zeitraum für die Straffreiheit eine Frist von 10 Wochen genannt hat — wegen neuer medizinischer Erkenntnisse. Auch wenn dieser Vorschlag wieder zurückgezogen wurde, macht er doch deutlich, auf welch medizinisch unsicherem Boden man sich hier bewegt. Plakativ bleibt am Schluß festzuhalten: 12 Wochen plus 1 Tag gleich Strafe; 12 Wochen minus 1 Tag gleich straffrei. Es ist einfach medizinisch und entwicklungsphysiologisch nicht nachvollziehbar, wieso eine Fristsetzung mit der Grenzziehung von einem Tag über die Legalität einer Abtreibung entscheiden soll. Wenn man dem Gedanken einer Fristenlösung überhaupt folgen kann, dann doch nur innerhalb einer Zeitspanne, die sich nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnis, nur auf ein zerebral nicht differenziertes Stadium beschränkt. 8390* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Natürlich bin ich mir darüber im klaren, daß mit theoretischen Ausführungen die Lebenswirklichkeit nicht verändert werden kann. Wir als Gesetzgeber haben die Pflicht, diese Lebenswirklichkeit zu sehen, d. h. sich der Tatsache der ungewollten Schwangerschaften zu stellen. Diesen Frauen in einer schweren Konfliktlage müssen wir helfen, ohne den Schutz des ungeborenen Lebens bedingungslos preiszugeben und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau oberste Priorität beizumessen. Es muß einen — auch ethisch vertretbaren — Ausgleich geben. Eine Indikationsregelung, die auf eine psychosoziale Notlage abstellt, bietet den verfassungsrechtlich sichersten Ansatzpunkt. Sich der Lebenswirklichkeit stellen heißt aber auch, die aktuelle Situation der Frauen gerade in den neuen Bundesländern zu sehen. Für sie wird die Möglichkeit des Abbruchs objektiv erschwert. Ich halte das Gespräch zwischen Frau und Arzt für sehr wichtig. Beide befinden sich in einer Konfliktlage. Beide brauchen die Möglichkeit des offenen und ehrlichen Gesprächs. Deshalb bin ich für die Änderung unseres Mehrheitsentwurfs. Bereits in der ersten Lesung im September 1991 habe ich gesagt, daß eine gesonderte Dokumentationspflicht entbehrlich sei, da der Arzt schon nach seiner Berufsordnung zur Aufzeichnung verpflichtet ist. Allerdings ist eine stichwortartige Aufzeichnung etwas anderes, als eine im Strafrecht aufgeführte Dokumentationspflicht. Auch sollte das vertrauensvolle — auf subjektiven Momenten beruhende — Gespräch zwischen Frau und Arzt nicht dadurch belastet werden, daß Inhalt und Entscheidung vielleicht Jahre später gerichtlich überprüft werden können. Daher verhindert eine gesonderte Dokumentationspflicht eine ehrliche Beratung und ein offenes Gespräch der beiden, an dessen Ende eine gemeinsame Entscheidung für oder gegen den Abbruch steht; eine Entscheidung, die meiner Meinung nach nicht gegen die Frau getroffen werden kann. Ich plädiere für eine verfassungskonforme Lösung, die Frauen in einer Konfliktsituation nicht allein läßt, die den Rahmen für Beratung und soziale Maßnahmen bietet, aber das Selbstbestimmungsrecht der Frauen nicht über das Lebensrecht der ungeborenen Kinder stellt. Dr. Joseph-Theodor Blank (CDU/CSU): Art. 31 des Einigungsvertrages verpflichtet uns, den gesamtdeutschen Gesetzgeber, Regelungen zu treffen, die den Schutz ungeborener Kinder besser gewährleisten als bisher geltendes Recht und die zugleich Konfliktsituationen schwangerer Frauen verfassungskonform lösen helfen. Der strafrechtliche Schutz des ungeborenen Lebens ist dabei neu und einheitlich zu fassen. Die hohe Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen in der Vergangenheit sowohl in der alten Bundesrepublik als auch in der ehemaligen DDR macht deutlich, daß Staat und Gesellschaft ihrer Aufgabe, die schwächste Form menschlichen Lebens, das ungeborene Kind, wirkungsvoll zu schützen, bisher offensichtlich nur unzureichend nachgekommen sind. Das in unserer Verfassung verbürgte Recht auf Leben, das die Schutzpflicht des Staates auch für das ungeborene Leben umfaßt, ist der Maßstab, an dem jede Neuregelung des Abtreibungsrechts zu messen ist. Meine Entscheidung bei der heutigen Abstimmung wird von folgenden Grundsätzen bestimmt: Erstens. Menschliches Leben, geborenes und ungeborenes, hat einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf den Schutz des Staates. Zweitens. Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes hat grundsätzlich Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Drittens. Ein Schwangerschaftsabbruch ist Tötung menschlichen Lebens und muß deshalb durch die Rechtsordnung eindeutig und zweifelsfrei mißbilligt werden. Viertens. Ein Schwangerschaftsabbruch kann nur in bestimmten Not- und Konfliktsituationen straffrei sein, in denen der Abbruch einer Schwangerschaft auf einer achtenswerten Güter- und Interessenabwägung beruht. Fünftens. Der Gesetzgeber hat die Pflicht, die Kriterien zu normieren, in denen eine Not- und Konfliktlage angenommen werden kann. Sechstens. Eine wie auch immer geartete Fristenregelung macht menschliches Leben verfügbar. Eine solche Regelung, die von vornherein die Tötung menschlichen Lebens auch für die Fälle billigend in Kauf nimmt, in denen keine Not- bzw. Konfliktsituation vorliegt, ist mit unserer Verfassung nicht vereinbar. Insbesondere von den Befürwortern einer Fristenregelung wird mir entgegengehalten, ich versuchte meine moralischen Auffassungen anderen zu oktroyieren, die andere Wertvorstellungen hätten als ich. Wenn die überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung eine Fristenlösung befürworte, zeige sich darin ein gewandeltes Wertebewußtsein, dem auch der Gesetzgeber Rechnung zu tragen habe. Das überzeugt mich nicht. Zwar ist richtig, daß der Staat in unserer weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft weder die Pflicht noch die Möglichkeit hat, etwa alle religiös-sittlichen Vorstellungen der Kirchen im Strafgesetzbuch zu berücksichtigen. Bei der Frage des Schwangerschaftsabbruchs handelt es sich doch keineswegs um spezifisch kirchliche Forderungen, gar um katholisches Sondergut. Vielmehr geht es um das unabdingbare Prinzip jeder sittlich legitimierten Rechtsordnung: Menschliches Leben ist grundsätzlich unantastbar. Auch in einer weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft gelten grundlegende und unantastbare sittliche Gebote. Daher hat gerade in einer Zeit, in der religiöse und sittliche Grundsätze immer stärker relativiert werden, in einer Zeit, in der geschlossene Weltanschauungen ihre Leitbildfunktion weitgehend verloren haben, der Gesetzgeber die Aufgabe, die sittliche Verantwortung der Gesellschaft und des einzelnen in positive Rechtsregeln umzusetzen. Angesichts eines technischen Fortschritts, der die manipulative Beeinflussung des Lebens in all seinen Phasen ermöglicht, steht der Gesetzgeber vor der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8391* Aufgabe, dem technisch und medizinisch Möglichen Grenzen des sittlich Zulässigen und Verantwortbaren zu setzen. Im Bewußtsein dieser Verantwortung hat der Bundestag ein Gentechnologiegesetz beschlossen und ein Embryonenschutzgesetz verabschiedet. Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen soll zukünftig Ziel jeder Staatstätigkeit sein. Die Rechtssubjektivität von Tieren als Mitgeschöpfe haben wir ebenfalls gesetzlich bereits festgeschrieben. Angesichts dieser konsequenten, dem Lebensschutz dienenden Gesetzgebung ist es für mich widersprüchlich und nicht nachvollziehbar, vorgeburtliches menschliches Leben dem Zugriff anderer weitgehend oder auch nur befristet anheimzugeben. Wir können doch nicht einerseits Menschen mit den Mitteln des Strafrechts daran hindern, Tieren Leiden zuzufügen, andererseits aber den strafrechtlichen Schutz für das ungeborene Leben einschränken. Das ungeborene Leben wird — und das weiß ich auch — nicht allein und in erster Linie durch Regelungen des Strafrechts — wenngleich solche unverzichtbar sind — wirkungsvoll geschützt werden können. Die Erfahrungen mit der Indikationsregelung der Altbundesrepublik und der Fristenregelung der DDR haben gezeigt, daß beide Regelungen allein einen wirksamen Lebensschutz nicht hinreichend gewährleisten. Der Schutz vorgeburtlichen Lebens muß daher vorrangig durch verbesserte Rahmenbedingungen für die Entscheidung zum Kind bewirkt werden. Das umfaßt sowohl finanzielle Leistungen im Bereich der Familien- und Sozialpolitik, den flächendeckenden Ausbau von Schwangerenberatungsstellen, die Bereitstellung von Kinderbetreuungseinrichtungen und die Qualifizierung von Hilfen. Der Gesetzentwurf, der nach meiner Auffassung am ehesten einer sittlich und auch verfassungsrechtlich gebotenen Schutzpflicht des Staates im Hinblick auf das menschliche Leben entspricht und zugleich Konfliktsituationen schwangerer Frauen verfassungskonform löst, ist der Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der ungeborenen Kinder auf Drucksache 12/1179. Ihm werde ich deshalb zustimmen. Sollte dieser Gesetzentwurf keine Mehrheit finden, werde ich mich, um eine Fristenlösung — wie sie auch der fraktionsübergreifende Gruppenantrag vorsieht — zu verhindern, für den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 12/1178 — Gesetz zum Schutz des ungeborenen Lebens — entscheiden. Peter Bleser (CDU/CSU): Die Reform des § 218 des Strafgesetzbuches ist für mich Anlaß, grundsätzlich über die Werteordnung unserer Gesellschaft nachzudenken. Vordergründig geht es bei der Neuregelung des § 218 darum, ein einheitliches Rechtsgebiet für die Bundesrepublik — alt und neu — zu schaffen. Bei genauem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß hier ein heftiger Streit um den Stellenwert des einzelnen Menschen in jeder Existenzphase, gegenüber der Gesellschaft insgesamt oder eines Mitmenschen, entbrannt ist. Dabei geht es im Grunde um die Frage: Inwieweit muß ich es zulassen, daß die Existenz eines anderen Menschen auf mein Leben entscheidenden Einfluß haben kann? Sowohl bei der Entscheidung, ein Kind zur Welt zu bringen oder nicht, als auch in der Frage, ob Sterbehilfe statthaft ist oder nicht, geht es um die Unantastbarkeit menschlichen Lebens. Natürlich gibt es Situationen, in denen Leben gegen Leben steht und Menschen entscheiden müssen, welches Leben erhalten bleibt. Ich denke dabei an Polizeiaktionen bei Gewaltverbrechen, an den Krieg, an riskante medizinische Eingriffe, aber auch an eine Abwägung — Gott sei Dank nur sehr selten — zwischen dem Leben einer Frau und dem eines ungeborenen Kindes. In allen genannten Fällen können wir in unserer Gesellschaft einen breiten Konsens in der Prioritätensetzung bei der Wahl für das zu schützende Leben vorfinden. Unterschiedliche Weltanschauungen zeigen sich erstaunlicherweise dann, wenn Belastungen für Familien, für Partner und für die betroffene Frau durch die Tötung eines Menschen in der ersten Schwangerschaftsphase abgewehrt werden sollen. Eine ungewollte Schwangerschaft kann in der Tat lästig sein. Sie kann Pläne der Lebensführung über den Haufen werfen, finanzielle Nachteile und sogar große Schwierigkeiten verursachen, wenn die Planansätze für Haus, Auto, Urlaub keinen Spielraum für Unvorhergesehenes aufweisen und der Einkommensverlust einer ansonsten berufstätigen Ehefrau nicht verkraftet werden kann. Aber auch Schwierigkeiten in der Ehe oder in einer Beziehung sind Anlaß, sich gegen ein Kind zu entscheiden. Männer, die in außerehelichen Beziehungen, aber auch in der Ehe nicht zu ihrer Verantwortung stehen und der Frau nicht helfen, mit der neuen — für mich persönlich sehr schönen Situation — fertigzuwerden, sind oft der Grund für eine Abtreibung. Dies alles sind für die betroffenen Frauen und Männer sicher unangenehme und nur schwer zu meisternde Situationen. Trotzdem frage ich: Sollen dies alles Beweggründe sein, die der Staat als Rechtfertigung oder sogar als Notlagenindikation für die Tötung eines — auch nach dem Grundgesetz — vollwertigen Menschenlebens akzeptiert? Nein! Wie oft werden wir im Leben gezwungen, Einschnitte und Schicksalsschläge hinzunehmen, angefangen bei der verpatzten Prüfung, dem Verlust des Arbeitsplatzes, dem Erleiden eines schweren Unfalls mit Dauerschäden, einer schweren, sogar unheilbaren Krankheit oder dem Zerbrechen einer Ehe bzw. Beziehung, bis hin zum Tod eines nahestehenden Menschen? Da soll die Geburt eines Kindes eine größere Belastung sein, als die eben genannten Schicksalsschläge? Wie weit sind wir gekommen! Unsere Gesellschaft ist nicht sehr kinderfreundlich. Familien mit Kindern sind finanziell immer noch benachteiligt; auch fehlen in den Städten Kindergartenplätze. In den Dörfern meines Heimatlandkreises Cochem-Zell ist das übrigens nie ein Problem. Da muß und wird auch noch mehr getan werden. Aber dies als Rechtfertigung für die Abtreibung eines Kindes hinzunehmen, beleidigt alle Eltern, die selbst in den schwierigsten Kriegs- und Nachkriegszeiten nicht einmal mit dem Gedanken gespielt haben, ein ungeborenes Kind zu töten. 8392* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Jede Gesellschaft setzt die Normen ihres menschlichen Zusammenlebens selbst. Heute steht eine grundsätzliche Weichenstellung in der Frage des Schutzes ungeborener Kinder an. Für mich steht außer Frage, daß die Unantastbarkeit des Lebens auch vor der Geburt nur bei einer medizinischen Indikation zur Disposition gestellt werden darf. Dies bedeutet aber auch, daß wir die Achtung vor einer Frau, die sich trotz widriger Umstände für ihr Kind entscheidet, praktisch leben müssen. Ihr öffentliches Ansehen muß genauso gestärkt werden wie die Hilfsbereitschaft in der Nachbarschaft. Mein Respekt gehört den Frauen und Männern, die den Mut zur Überwindung aller Widerstände haben und sich für ihr Kind entscheiden. Meine Stimme gilt daher dem Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der ungeborenen Kinder des Kollegen Werner. Für den Fall, daß dieser Gesetzentwurf nicht die erforderliche Mehrheit erhält, stimme ich, um eine Fristenregelung zu verhindern, für den Mehrheitsentwurf Gesetz zum Schutz des ungeborenen Lebens der CDU/CSU-Fraktion. Dr. Ulrich Böhme (Unna) (SPD): In dem französischen Film „Eine Frauensache " wird die wahre Geschichte einer Frau geschildert, die mehrfach an anderen Frauen Abtreibungen durchführte. Eines ihrer Motive war Mitleid mit den verzweifelten Frauen. Hinzu kam deren Armut, die es häufig nicht erlaubte, noch ein Kind in die Welt zu setzen. Und Verhütungsmittel wie heute gab es noch nicht. Diese Frauen trieben ab oder ließen abtreiben, obwohl ihnen klar war, daß ihnen nach dem damaligen französischen Recht die Todesstrafe drohte. Dieses Schicksal ereilte schließlich die Heldin des Films. Als letzte Frau wurde sie wegen der von ihr vorgenommenen Abtreibungen zum Tode verurteilt. Obwohl sich die medizinische Forschung erheblich weiterentwickelt hat, Verhütungsmittel zur Verfügung stehen und die Gesetzgebung liberaler geworden ist, gibt es in dieser Begebenheit Konstanten, die noch heute für viele Frauen in Konfliktsituationen gelten: Erstens. Die Frauen, die sich zu einem Abbruch der Schwangerschaft entschließen, sind verzweifelt. Die Lebensumstände sind so entmutigend, daß sie sich nicht imstande sehen, ein Kind zur Welt zu bringen. Zweitens. Strafandrohung, selbst die der Todesstrafe, kann Abtreibungen nicht verhindern. Sie weichen auf Abtreibungen ohne ärztliche Hilfe aus, die für die Frauen zumeist lebensgefährlich sind. Die Tatsache, daß allein in den alten Bundesländern pro Jahr zur Zeit ca. 80 000 legale Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden — die illegalen Abbrüche und die im Ausland nicht mitgerechnet —, bedauere ich sehr. An solche Zahlen werde ich mich nicht gewöhnen. Schwangerschaftsunterbrechung als Verhütungsmittel zu betrachten, lehne ich ab. Denn wieviel menschliches Leid, wieviel Verzweiflung und wieviel seelische Beschädigungen sich für die Frauen dahinter verbergen, ist kaum zu ermessen. Weder die Androhung der Todesstrafe noch anderer schwerer Strafen konnte jedoch Schwangerschaftsabbrüche jemals verhindern. Es gelang nicht und es wird nicht gelingen, Frauen zur Austragung ihres Kindes zu zwingen. Im Gegenteil: Die Rate der illegalen Schwangerschaftsabbrüche stieg in solchen Zeiten. Auch die beiden alternativen Regelungen wie die Indikationenlösung in unserem Strafgesetzbuch sowie die Fristenlösung in der ehemaligen DDR werden von den betroffenen Frauen vielfach als unbefriedigend empfunden. Bei der Indikationenlösung war die Rechtssicherheit nicht gewährleistet. Dies haben Gerichtsverfahren in der Vergangenheit gezeigt, in der Frauen auf entwürdigende Weise vorgeführt wurden. Zudem sind Ärztinnen und Ärzte mit der Feststellung einer sozialen Notlage überfordert. Auch gerichtlich kann diese nur schwer überprüft werden. Bei der Fristenlösung besteht die Gefahr, daß sie als Instrument der Familienplanung eingesetzt wird. Ausführliche Beratung vor dem Schwangerschaftsabbruch gab es in der ehemaligen DDR nicht. Abgeordnete von SPD, CDU, F.D.P. und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben deshalb einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, der den Schutz des vorgeburtlichen werdenden Lebens, die Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft und Hilfen im Schwangerschaftskonflikt in den Mittelpunkt stellt. Hierzu gehört beispielsweise eine umfassende Sexualaufklärung sowie kostenfreie Abgabe ärztlich verordneter Verhütungsmittel an Frauen bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres. Hierzu gehört die Schaffung einer kinderfreundlicheren Lebenswelt. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Familien fordern wir Sozialdemokraten seit langem. Die Erweiterung des Erziehungsurlaubs und des Zeitraumes der Gewährung von Erziehungsgeld sowie andere wichtige Verbesserungen, die im vergangenen Jahr beschlossen wurden, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Wir fordern jedoch weiterhin den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz sowie eine bessere Versorgung der Kinder in Kinderhorten. Nur so ist es möglich, daß Frauen, insbesondere auch Alleinerziehende, beruhigt ihren Beruf ausüben können. Dies hat natürlich seinen Preis. Aber wer es mit dem Lebensschutz ernst meint, wird diesen doch nicht am Geld scheitern lassen. Die Kosten jedoch zum größten Teil den Ländern aufbürden zu wollen ist unredlich. Hier ist die Bundesregierung gefordert, die dann eben auf andere kostspielige Prestigeobjekte verzichten muß. Unser Gesetzentwurf überläßt der Frau die Entscheidung, ob sie das Kind zur Welt bringen möchte oder nicht. Wir wollen ihr mit diesem Gesetzentwurf bei der Entscheidungsfindung helfen, nicht sie in die Knie zwingen. Wir wollen sie durch die genannten Maßnahmen dazu ermutigen, ihr Kind zur Welt zu bringen. Dennoch — und damit müssen wir uns abfinden — entscheiden sich Frauen in Ausnahmesituationen dazu, die Schwangerschaft abzubrechen. Und hier setzen unsere Vorschläge zur Neuregelung der Schwangerschaftsabbrüche an: Straffrei soll der Schwangerschaftsabbruch sein, wenn dieser innerhalb der ersten 12 Wochen nach der Empfängnis mit Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8393* Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommen wird und die Schwangere mindestens drei Tage vor dem Eingriff in einer Beratung eine umfassende medizinische, soziale und juristische Information erhalten hat. Unser Kompromißentwurf vereint viele positive Ansätze und effektive Hilfsangebote an die Frau mit nüchternen Regelungen im Falle einer Schwangerschaftsunterbrechung. Dies macht unseren Entwurf so menschlich. Er ist weder doktrinär noch dogmatisch. Er steht in seinem Ernst diametral entgegengesetzt zu Libertinage oder inhumanem Leichtsinn. Weil im Zentrum dieses Entwurfs der Schutz des werdenden Lebens, eine kinderfreundliche Gesellschaft sowie Hilfestellungen für Frauen in Konfliktsituationen stehen, bitte ich Sie, diesem Antrag zuzustimmen. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Eine Kirche, die mir bei der anstehenden Abstimmung vorschreiben will, was christlich ist, mißbraucht das Bekenntnis zu Jesus Christus, weil sie es für eine politische Entscheidung verwendet. Heftige Angriffe hat es in den letzten Wochen gegen die Abgeordneten der Union gegeben, die sich für den Gruppenantrag entschieden haben. Ich wehre mich gegen diese Pranger-Praxis. Wir sind nicht weniger christlich, wenn wir nach unserem Gewissen anders als die Mehrheit entscheiden. Nicht einzelne politische Lösungen sind Ausweis christlicher Gesinnung, sondern das Menschenbild, das unserem Handeln zugrunde liegt. Die freie Gewissensentscheidung von Abgeordneten ist ein fundamentales Recht. Für mich ist sie gebunden an meine christliche, soziale und humane Verantwortung. Mehr als 120 000 Abbrüche jährlich allein in der alten Bundesrepublik sind ein Maßstab dafür, daß wir in unserer Gesellschaft Defizite an Menschlichkeit und sozialer Fürsorge haben. Der Rückgang der Abbrüche um über 22 % in den vergangenen 7 Jahren gibt Anlaß zur Hoffnung auf die Wirksamkeit von Aufklärung und die vorgesehenen flankierenden sozialen Maßnahmen für Frauen, Mütter und Familien. Die Sensibilität und Zuwendung gegenüber dem ungeborenen Leben hat zugenommen. Die vielen hundert Beratungszentren, die Gespräche mit Ärzten und die Arbeit der kirchlichen Verbände belegen dies. Das alles hat zu einer Verbesserung der Situation insgesamt beigetragen. In diesem Zusammenhang kommt Anerkennung auch denen zu, die Sexualerziehung in der Schule unterrichten. Der beste Schutz des ungeborenen Lebens ist der Schutz geborenen Lebens. Deshalb gilt es, die immer noch bestehenden Defizite in bezug auf Kinderfreundlichkeit, Umweltsicherheit, nachbarschaftlicher Zuwendung, Wohnraumumfang, Kindergarten-und Kinderbetreuungsplätzen und die Vereinbarkeit von Familie und beruflicher Tätigkeit der Frau in einer breit angelegten Kampagne von Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam zu beheben. „Wo es Kindern gutgeht, geht es allen gut. " Wir alle, die gesamte Gesellschaft, haben einen Vorteil davon, wenn wir viel stärker als bisher unsere Politik am Wohl der Kinder ausrichten würden und unsere generationenübergreifende Verantwortung nicht aus dem Blick verlieren. Wo es um Kinder geht, muß das Prinzip der Einsicht — nicht die Drohung mit Strafe — Berücksichtigung finden. In dieser Frage führt Strafbarkeit zur Demütigung. Dies gilt für die Frau, die sich in tiefer und verzweifelter Konfliktlage befindet. Sie weiß in diesem Augenblick sehr wohl, daß wir uns nicht zum Menschen, sondern als Menschen entwickeln. Die Entscheidung über den Lebensschutz des ungeborenen Kindes kann ihr niemand abnehmen. Unser Ziel ist und bleibt es, möglichst viele Abtreibungen zu verhindern. Die Angst vor Strafe führt in die Illegalität und ich frage mich, ist dieser — im Grundsatz — ethische Konflikt einer ungewollten Schwangerschaft mit dem Strafrecht überhaupt lösbar? Nein. Umfassende, fachkundige und persönliche Beratung ist hilfreich und notwendig. Sie kann das Vorliegen einer Indikation bestätigen, doch an der Selbstbestimmung der Frau führt kein Weg vorbei. Dabei halte ich es für selbstverständlich und notwendig, daß in vielen möglichen Fällen beide Betroffenen, Frau und Mann, gemeinsam zu einer Entscheidung kommen. Der Mann gehört in die Mitverantwortung. Wir sollten bei dieser aktuellen Auseinandersetzung nicht vergessen, daß es in Europa in den vergangenen Jahrhunderten ständig zwei Bewegungen in dieser Problematik gab. Die eine wurde von der Bevölkerungspolitik bestimmt, die zweite von der ethischen Frage, ob es der Frau überhaupt erlaubt ist, ungeborenes Leben zu töten. Viele hundert Jahre lang wurde die Abtreibung als Mittel der Geburtenbeschränkung eingesetzt. Die Liberalisierung des Abtreibungsrechtes erfolgte wirklich erst nach dem Zweiten Weltkrieg, zu Anfang in den osteuropäischen Staaten, dann in Großbritannien, in den skandinavischen Ländern, später in Österreich, Frankreich und Italien. Während sich Dänemark, Schweden und Belgien für eine Fristenlösung entschieden, sprachen sich fast alle anderen für den Indikationsweg aus. In den USA verneinte der Supreme Court das Recht auf Leben bei ungeborenen Kindern. Das Bundesverfassungsgericht dagegen bejahte im Fristenlösungsurteil dieses Recht. Die Bandbreite der Auffassungen ist sehr groß, und sie erhält noch eine zusätzliche Dimension, wenn man die Diskussion auf der Weltbevölkerungskonferenz in Mexiko 1984 einbezieht. Dort konnte nur ein Minimalkonsens gefunden werden, denn gerade in den Staaten der Dritten Welt, wo oft Hunger, Armut und Elend herrschen, wird die Abtreibung als Mittel gegen die drohende Überbevölkerung angesehen. Für das christliche Abendland eine nur schwer nachvollziehbare Begründung. Wir sollten bei der von uns angestrebten nationalen Lösung nicht die Internationalität der Problematik vergessen, nicht die Angst der Frau vor dem Verlassenwerden bei ungewollter Schwangerschaft, nicht ihre Sorge, dem Kind nicht gewachsen zu sein. Der Gruppenantrag läßt keine Zweifel zu, daß am grundsätzlichen Verbot der Tötung festgehalten wird. Aber er sagt auch unmißverständlich, daß sich der Schutz des ungeborenen Lebens nicht gegen die 8394* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Frauen durchsetzen läßt. Die persönliche Verantwortung wird anerkannt. Die Gewissensentscheidung kann ihr niemand abnehmen. Wenn ich dem Gruppenantrag zustimme, gebe ich als Christ nicht meine Grundmaxime immer Leben zu schützen, auf, ob gegen Diktaturen, gegen Feinde von Menschen- und Bürgerrechten oder gegen jene, die die Schöpfung nicht bewahren wollen. Georg Brunnhuber (CDU/CSU): Als frei gewählter Abgeordneter des Deutschen Bundestages — meinem Gewissen verpflichtet — lehne ich jede Form der Fristenregelung ab. Niemand hat das Recht, dem Menschen im Mutterleib das Recht auf Leben zu nehmen. Das Recht auf Leben wird nicht durch den Staat verliehen, sondern ist ein elementares Menschenrecht. Die Anhörungen zur Neuregelung des § 218 haben eindeutig ergeben, daß in der Medizin kein Dissens darüber besteht, daß ab der Befruchtung ein menschliches Wesen vorhanden ist. Schon in der sechsten Woche werden eindeutig menschliche Umrisse sichtbar, und ab der achten Woche reagiert das Kind auf Reize und ist eindeutig schmerzempfindlich. Zwar hängt es von der Mutter ab, ist aber nicht einfach nur ein Teil der Mutter, sondern ein individuelles Wesen und deshalb wie jeder geborene Mensch von der Mutter, von der Gesellschaft und vom Staat zu schützen. Leben kennt eben keine Fristen. Die schwangere Frau kann im Sinne der Menschenrechte nicht über ihr ungeborenes Kind wie über einen beliebigen Gegenstand verfügen. Menschliches Leben darf in keiner Phase seiner Entwicklung zur Disposition gestellt werden. Dies hat bereits das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1975 festgestellt und deshalb jegliche Fristenregelung als verfassungswidrig verworfen. In der Bundesrepublik Deutschland wurden im Jahr 1991 400 000 ungeborene Menschen durch Abtreibung getötet. Ich frage Sie allen Ernstes: Können wir das verantworten? Kann unserer Gesellschaft eine solche Situation egal sein? Sind wir nicht alle aufgerufen, dafür einzutreten, auch das ungeborene Leben zu schützen? Die sicherlich allen nicht unbekannte und weltweit geehrte Friedensnobelpreisträgerin Mutter Teresa hat sich hierzu wie folgt geäußert: „Abtreibung ist heute der größte Feind des Friedens. Sie ist die schlimmste Art des Tötens, ein Krieg gegen das hilfloseste Wesen überhaupt — das Ungeborene!" Es wird von den Befürwortern der Fristenregelung immer wieder darauf verwiesen, daß das Strafrecht keine Abtreibung verhindere. Doch deshalb kann doch nicht daraus abgeleitet werden, daß das Töten eines Ungeborenen mit einem Federstrich im Strafrecht vom Unrecht zum Recht wird. Dem Schutz zum Leben dient sowohl ein ganzes Bündel von Maßnahmen — darunter auch Beratung und soziale Hilfe —, aber eben auch eindeutig das Strafrecht. Dieses stellt den Unrechtscharakter der Fristenregelung heraus. Dort, wo echte Probleme oder Notlagen bestehen, muß es darum gehen, der werdenden Mutter zu helfen. Da geht es freilich nicht nur um Worte. Schwangere Frauen in Notsituationen brauchen neben dem Verstehen auch soziale Hilfen. Das ist eine Aufgabe für die Politik, und ich weiß, daß wir hier noch lange nicht alle Möglichkeiten erfüllt haben. Hingegen werden Millionen aus öffentlichen Kassen für alternative Projekte aller Art sowie für überzogene Kunst- und Kulturszenen usw. ausgegeben. Eine Garantie für einen Kindergartenplatz oder für Kindertagesstätten kann aber nicht gegeben werden. Das ist wenig glaubwürdig und nicht überzeugend. Mit einem Bruchteil der für die vorher genannten Einrichtungen notwendigen Mittel könnte man dafür sorgen, daß wir eine kinderfreundliche Gesellschaft werden. Würden wir alle unsere Kraft in Bund, Ländern und Gemeinden darauf verwenden, dann ist dies auch zu schaffen. Ich appelliere an Sie, meine Kollegen und Kolleginnen: stellen Sie Ihre Entscheidung unter den Leitsatz: Es geht darum, der werdenden Mutter zu helfen, anstatt ihr ungeborenes Kind mit dem Tode zu bestrafen. Ich fürchte, unsere Kinder werden es einst nicht verstehen, wenn wir nicht alles ausgeschöpft haben, um das Leben Ungeborener zu schützen. Stimmen Sie deshalb gegen den Gruppenantrag von SPD und F.D.P., der eine Fristenregelung vorsieht. Ursula Burchardt (SPD): Wer sich mit der über hundertjährigen Geschichte des § 218 befaßt, kommt an der Erkenntnis nicht vorbei: Keine Strafandrohung, und sei sie noch so hart, kann vorgeburtliches Leben schützen. Die Drohung mit Gefängnisstrafen ist nicht nur sinnlos, sie ist unmenschlich. Seit seinem Bestehen hat der § 218 unendlich viel Leid über unendlich viele Frauen gebracht, sie diskriminiert, kriminalisiert, sie in ihrer Not zu Engelmacherinnen und Kurpfuschern getrieben. Oftmals verloren sie dabei Gesundheit und Leben, die Würde allemal. Wer diese Tatsache nicht kennt, ist so bodenlos ahnungslos, daß sich die Frage nach der politischen Verantwortungsfähigkeit aufdrängt. Wer in Kenntnis dieser Tatsache behauptet, Frauen trieben leichtfertig ab, sie machten ihre Entscheidung vom Wochentag oder der Jahreszeit abhängig — wie ich es jüngst in diesem Hause noch gehört habe —, ist zynisch und menschenverachtend. Tatsache ist, daß werdendes Leben nur geschützt werden kann durch die freie und eigenverantwortliche Entscheidung der Frau. Tatsache ist, daß den Frauen die Entscheidung für ein Kind leichter fällt, wenn ihr gesellschaftliches Umfeld familien- und kinderfreundlich ist. Gelebte Kinderfreundlichkeit und sozialer Fortschritt sind der beste Lebensschutz. Dies haben die Erfahrungen der Nachbarstaaten und die Anhörungen im Sonderausschuß nachhaltig belegt. Wer immer noch meint, Frauen müßten per Gesetz zum Objekt von Fremdbestimmung durch Ärzte oder Richter gemacht werden, diskriminiert die Leistungen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8395* und die unglaubliche Verantwortung der Frauen, die sie tagtäglich tragen. Sind es doch bis heute überwiegend sie, die für die Erziehung von Kindern unendlich viele Mühen und Opfer auf sich nehmen, oft unter Inkaufnahme der Einschränkung eigener Entfaltungsmöglichkeiten bis hin zum Leben in Armut. Von Frauen wird erwartet, daß sie zurückstecken: „Der Lebensschutz, das vorgeburtliche Leben, hat Vorrang vor eurer Lebensplanung." heißt die mehrheitlich konservative Botschaft. In diesem Zusammenhang steht erneut die Glaubwürdigkeit der Politik auf dem Spiel: Warum entbrennt über die Finanzierung von Kindergartenplätzen ein fast kleinkariert anmutender Streit, wenn innerhalb weniger Tage 17 Milliarden DM für den Golfkrieg lockergemacht werden konnten? Wer kann es noch verstehen, daß Milliarden im Bundesverkehrswegeplan für neue Betonpisten vorgesehen sind, wo doch den geborenen Kindern bald die Luft zum Atmen ausgeht? Welche Konsequenzen werden gezogen aus dem offenkundigen Zusammenhang von Geburtenrückgang und dramatisch steigender Frauenarbeitslosigkeit in den neuen Ländern? Die Aufzählung weiterer Beispiele für Glaubwürdigkeitslücken beim Schutz des geborenen Lebens wäre ein abendfüllendes Programm. Der Beirat des Frauenreferates der Evangelischen Kirche von Westfalen schrieb mir denkwürdige Zeilen: „Es gehört aber zu einer verantwortlichen Entscheidung, Bedingungen und Einschränkungen wahrzunehmen und sie mit den eigenen Vorstellungen zu verbinden. So kann die Entscheidung für einen Abbruch gerade deshalb verantwortlich sein, weil sie die Feindseligkeit der umgebenden Verhältnisse berücksichtigt. " Dagegen erweisen sich die Appelle des katholischen Klerus als weltfremd. Er verteufelt Verhütung, nimmt damit das explosionsartige Anwachsen der Bevölkerung in Kauf, insbesondere im südlichen Teil der Welt, und dies angesichts millionenfachen Kindertods. „Macht euch nicht zu Richtern", forderte Bischof Lehmann zum Abschluß des Kirchentages mit Blick auf die heutige Debatte. So richtig diese Aufforderung im Grundsatz ist, so ignorant und arrogant wird sie empfunden angesichts gleichzeitiger Verurteilung von Frauen, von Andersdenkenden, von Menschen, die ihr Leben nach anderen Werten ausrichten. In einer pluralistischen Gesellschaft ist der Staat für alle da. Er darf sich nicht an einer Weltanschauung, an Maßstäben einer Institution orientieren, deren Oberzeugungskraft und Akzeptanz im Schwinden begriffen ist. Dies auch deshalb, weil sie noch immer auf Strafe und Angst, statt auf menschliche Vernunft und Verantwortungsfähigkeit setzt. Das Festklammern an der Strafandrohung in der Konfliktsituation, die nur durch die Schwangere gelöst werden kann, wird von Frauen zu Recht als das Wegtauchen der Politik aus der Verantwortung für die Gestaltung einer menschenfreundlichen Gesellschaft empfunden. Sie ist eine unerträgliche Form von Privatisierung. Sie ist die Preisgabe des Lebensschutzes, weil sich das Strafrecht als untauglich zu diesem Zwecke erwiesen hat. Ohne die freie Entscheidung der Frau sind auch materielle Hilfen sinnlos. Mit der heutigen Entscheidung für oder gegen die Fristenregelung wird auch darüber entschieden, ob Freiheit und Selbstbestimmung, ob Toleranz und Achtung der Würde eines jeden Menschen, nur die rhetorische Garnierung staatsmännischer Festtagsreden sind oder ernstgemeinte, verbindliche Gestaltungsprinzipien in unserer demokratisch verfaßten Gesellschaft, die auch für Frauen selbstverständlich und uneingeschränkt gelten. Ich stimme für die Fristenregelung. Marion Caspers-Merk (SPD): Kaum ein Thema hat die bundesdeutsche Diskussion so beschäftigt wie die Auseinandersetzung um den § 218. Da werden Drohungen ausgesprochen, werden Vergleiche zur Nazidiktatur gezogen und müssen Bibelzitate herhalten. Da werden Kunststoffembryonen versandt, Videokassetten verschickt und flattern Plakate ins Haus. Kaum ein Gesetzgebungsverfahren hat die Menschen so bewegt wie dieses. Die Diskussion droht zu entgleiten. Um so nötiger scheint es, die Debatte auf das zurückzuführen, was sie wirklich ist. Es handelt sich hierbei um ein Gesetzgebungsverfahren, das uns durch den Einigungsvertrag aufgegeben wurde. Gleichzeitig ist die heutige Debatte auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Wertewandels. Wir alle müssen einräumen, daß der 120 Jahre alte § 218 seinen Anspruch, werdendes Leben zu schützen, nicht erfüllt hat. Er bedroht Schwangere mit Strafe, schüchtert die Ärzteschaft ein, ohne daß dadurch gleichzeitig werdendes Leben geschützt wurde. Internationale Vergleiche beweisen, daß die Zahl der Abtreibungen nicht durch schärfere Gesetze, sondern nur durch mehr Aufklärung und mehr gesellschaftliche Hilfen für Mütter und ihre Familien zu senken ist. So hat beispielsweise das katholische Irland eine Regelung, die den Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung verbietet. Aber um so höher sind die Abbruchzahlen in England. Die eingestandene oder uneingestandene Akzeptanz eines „Abtreibungstourismus" beleuchtet schlaglichtartig das Versagen eines Gesetzgebers vor gesellschaftlichen Tatsachen und vor der Not der Frauen. Diesen Tatsachen müssen wir uns als Gesetzgeber und vor allem Gesetzgeberinnen in vollem Umfang stellen. Kein anderer Paragraph des Strafrechtes hat für uns Frauen eine derart lange und leidvolle Geschichte wie der § 218. Er hat Frauen, die sich im Konflikt für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden haben, mit drastischen Strafen bedroht und somit Opfer zur Rechtsbrecherinnen gemacht. Auch die jetzt zur Diskussion stehende Festschreibung der Indikationsregelung ändert an diesem Tatbestand nichts. Sie baut vor einem Abbruch bürokratische Hürden auf und traut der Frau keine eigenverantwortliche Entscheidung zu. Durch eine wie immer geartete Dokumentationspflicht wird Memmingen wieder möglich. Dies darf nie wieder geschehen. 8396* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Auch der Gruppenantrag von Mitgliedern aus SPD und F.D.P. erfüllt nicht alle meine Wunschvorstellungen für die Neuregelung des § 218. Er erfüllt aber zwei wesentliche Prinzipien: Er bekennt sich zur Eigenverantwortlichkeit der Frau, und er macht klar, daß der Schutz des geborenen und des ungeborenen Lebens zusammengehören, indem er erstmalig ein breites Angebot von sozialen Hilfen und Rechtsansprüchen für Frauen und Kinder formuliert. Denn dies ist die eigentliche Tragik des § 218. Wir haben uns mit einem Paragraphen im Strafgesetzbuch der Pflicht entzogen, eine kinderfreundliche Gesellschaft zu werden. Eine evangelische Landessynodale aus Baden formulierte es bei einer Podiumsdiskussion einmal so: „Wir haben uns mit Hilfe des Strafrechtes freigekauft von der Verantwortung, für frauenfreundliche und familienfreundliche, gesellschaftliche Strukturen zu sorgen. " Lassen Sie uns mit dieser Verantwortung für eine frauen- und kinderfreundliche Gesellschaft heute beginnen, indem wir den Gruppenantrag annehmen und damit einen Schlußstrich unter 120 Jahre Frauenleid und Frauendiskriminierung ziehen. Wolf-Michael Catenhusen (SPD): Ich unterstütze den Gruppenantrag zur Reform des Schwangerschaftsrechts. Und ich kann diese Gewissensentscheidung sehr wohl mit meiner aktiven Unterstützung des Embryonenschutzgesetzes unterstützen. Menschliches Leben ist von Beginn an schützenswert. Aber wir müssen unterscheiden können. Beim Embryonenschutzgesetz wollen wir gemeinsam mit Hilfe des Strafrechts die befruchtete menschliche Eizelle davor schützen, daß sie durch interessierte Wissenschaftler, Mediziner aus allgemeinem Erkenntnisinteresse zum Forschungsobjekt gemacht wird, verbraucht wird. In der Abwägung zwischen dem Forschungsinteresse Dritter und dem Schutz werdenden menschlichen Lebens dürfen wir die Entscheidung nicht dem Drang von Forschern überlassen. Wir haben hier mit Hilfe des Strafrechts eine klare Grenze gesetzt und den Vorrang des Schutzes werdenden menschlichen Lebens rechtlich verankert. Völlig anders sieht es aber in einer Schwangerschaftskonfliktsituation aus. Wir können doch nicht im Ernst den an Embryonenforschung interessierten Arzt und die schwangere Frau in einer Konfliktsituation über einen juristischen Leisten scheren. Deshalb an die Adresse der Unterstutzer des Werner-Entwurfs: Ich als Christ halte nach wie vor die Regelungen im Embryonenschutzgesetz, die verbrauchende Forschung an menschlichen Embryonen untersagt, für richtig und notwendig. Ich trete aber heute in eben derselben Deutlichkeit für den Gruppenantrag ein, denn werdendes menschliches Leben ist nicht gegen, sondern nur mit der Mutter zu schützen. Die Mutter muß deshalb in einer Konfliktsituation eigenverantwortlich entscheiden, ohne Kontrolle oder Bevormundung. Gertrud Dempwolf (CDU/CSU): Unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte habe ich mich entschlossen, den Mehrheitsentwurf der CDU/CSU-Fraktion zu unterstützen, um eine Fristenregelung zu verhindern. Aus drei Gründen bin ich entschieden gegen eine Fristenregelung: Erstens. Menschliches Leben, geborenes und ungeborenes, hat einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf den Schutz des Staates. Die Fristenregelung stellt das ungeborene Kind für eine bestimmte Zeit recht- und schutzlos. Dies ist unvereinbar mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Wer das Urteil von 1975 gelesen hat — was ich voraussetze —, kann sich dieser Erkenntnis nicht entziehen und muß die Fristenregelung ablehnen. Zweitens. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau muß am Lebensrecht des Kindes seine Grenze finden. Die Verfassungsrichter stellten hierzu fest, daß dem Lebensschutz des ungeborenen Kindes für die gesamte Dauer der Schwangerschaft der Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau gegeben werden muß. Auch nach meiner Meinung muß eine Güterabwägung zwischen Selbstbestimmungsrecht und Lebensrecht des Kindes eindeutig zugunsten des ungeborenen Lebens ausfallen. Wir haben heute alle Möglichkeiten, uns vor dem Eintritt in eine Schwangerschaft für oder gegen diese zu entscheiden. Drittens. Die Befürworter einer Fristenregelung lassen die Frau in ihrer Konfliktsituation allein, treiben sie in die Isolation. Wir wissen, daß Ehemänner, Partner und Familien in über 50 % der Fälle Frauen zur Abtreibung drängen. Diese Frauen sind fremdbestimmt. Von einer selbstbestimmten Entscheidung kann in diesen Fällen nicht ausgegangen werden. Beratung darf sich deshalb nicht in bloßer Information erschöpfen, wie es der Gruppenantrag vorsieht. Eine solche Beratung hat nichts mit „Rat" zu tun und ist für die Frauen in Not keine Hilfe. Beratung soll der Frau nach unserem Entwurf Wege zu einem Leben mit einem Kind aufweisen. Dazu werden der Schwangeren vielfältige soziale Hilfsmaßnahmen angeboten. In unserer Fraktion tun wir uns sehr schwer mit der Gewissensentscheidung, die — da es um menschliches Leben geht — eine besonders verantwortungsbewußte zu sein hat. Da wundern wir uns schon über die Gewissensuniformität in anderen Fraktionen. Schwangerschaftsabbruch ist zweifelsfrei Tötung menschlichen Lebens und muß deshalb durch die Rechtsordnung eindeutig mißbilligt werden. Es kann nicht bestritten werden, daß das Strafrecht bewußtseinbildende Bedeutung hat. Keinen Sinn macht für mich das oft zitierte Motto „Helfen statt Strafen" . Um Strafe ging es für die Schwangere schon bei der geltenden Indikationsregelung nicht. In Anlehnung an bisheriges Recht wollen wir, daß die Schwangere selber unter drei Voraussetzungen beim Schwangerschaftsabbruch straffrei bleibt: Wenn ein Facharzt den Abbruch vornimmt, wenn vorher eine Beratung erfolgt ist und drittens höchstens 12 Wochen nach der Empfängnis verstrichen sind. Vielmehr zielt unser Entwurf darauf ab: Helfen, um schwangeren Frauen in ihrer Konfliktsituation eine Perspektive für ein Leben mit dem Kind zu geben. Ausdrücklich begrüßen wir deshalb die verbesserte Beratung zum Leben hin. Die angeführte Konfliktlage Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8397* im Gruppenantrag ist für mich eine inhaltslose Formel, da die Frau diese allein feststellt. Wirkliche Hilfen im Schwangerschaftskonflikt sind die verbesserten Hilfen und Ansprüche. Sie sind im einzelnen bereits genannt worden: Verlängerter Erziehungsurlaub, Freistellung von der Arbeit zur Pflege kranker Kinder, erhöhter Unterhaltsvorschuß, Einarbeitungszuschüsse bei Rückkehr in das Erwerbsleben, Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, Einführung eines einkommensabhängigen Familiengeldes und Ausweitung der Bundesstiftung „Mutter und Kind" . Unser Entwurf erscheint mir gerade deswegen richtig, weil sich rechtliche, soziale und bewußtseinsbildende Maßnahmen ergänzen. Alle zusammen — so forderten es 1975 die Verfassungsrichter vom Gesetzgeber — sind unerläßlich für den gebotenen Schutz des Lebens. Wir müssen unser Gewissen prüfen und nicht das für notwendig erachten, was zur Zeit populär erscheint. Wir Politiker müssen gerade das populär machen, was notwendig ist: Das Leben ungeborener Kinder unbefristet zu schützen und ungewollte Schwangerschaften durch eine frühe Erziehung der Kinder und Jugendlichen zum verantwortlichen Umgang mit der Sexualität zu vermeiden. Die Ehrfurcht vor dem Leben darf in unserer Gesellschaft nicht verlorengehen. Der beste Schutz für ungeborenes Leben überhaupt ist eine positive Grundhaltung zum Kind und zum Leben. Deshalb fordern wir eine gewissensbildende Kampagne über den Schutz des ungeborenen Lebens. Ich denke hier an eine ähnliche Informationsreihe, wie sie über „AIDS" entworfen wurde. Ich wiederhole: Eine Fristenregelung in jeglicher Form ist ethisch unverantwortlich und verfassungswidrig. Selbst wenn sich heute eine Mehrheit der Abgeordneten dafür aussprechen sollte, so wird sie keinen Bestand haben. Albert Deß (CDU/CSU): Die heutige Debatte über eine Änderung der § 218 ff. StGB trifft unsere Rechtskultur in einem entscheidenden Punkt: Es geht um die Frage, wie wir mit den Schwächsten in unserer Gesellschaft umgehen, mit denen, die sich nicht selbst artikulieren können. Ich vertrete den Standpunkt, daß zur Konfliktbereinigung — unabhängig von der Beurteilung der Schuldfrage — kein unschuldiger Mensch getötet werden darf. Jede Art von Fristenregelung, und sei sie auch mit einer Pflichtberatung ausgestattet, lehne ich ab, weil sie vordergründig das Selbstverwirklichungsrecht der Frau berücksichtigt und dabei übersehen wird, daß auch ein Ungeborenes das Recht auf Selbstverwirklichung hat. Abtreibung ist kein Akt der Selbstbestimmung, sondern eine Form von extremer Fremdbestimmung. Ein Abwägungsprozeß zwischen den Interessen des Kindes und dessen Mutter läßt unberücksichtigt, daß sich im Falle der Abtreibung völlig verschiedene Interessen gegenüberstehen. Für das Kind geht es ums Überleben, für die Mutter um die Einschränkung ihrer künftigen Selbstentfaltung. Das Recht auf Leben wurde vom Bundesverfassungsgericht schon 1975 höherrangig eingestuft als das Selbstbestimmungsrecht. Die Definition „Pflichtberatung" läßt erkennen, daß es sich dabei mehr um eine offene Beratung als Pflichtaufgabe handelt denn um eine Beratung für das Leben. Diese Tatsache wird auch dadurch belegt, daß sich jährlich mehr als 300 000 Frauen trotz Beratung und sozialer Hilfen nicht davon abhalten ließen, ihre ungeborenen Kinder töten zu lassen. Man kann hier spekulieren, warum dies so ist: Liegt es daran, daß Ratsuchende ihre Entscheidung bereits vor der Beratung getroffen haben, oder liegt es an der Beratung selbst? Eine Beratung, welche die Option für das Töten des unerwünschten Kindes offenläßt, ist kein Beitrag zum Lebensschutz. Den Betroffenen soll durch ein Beratungsgespräch verdeutlicht werden, daß es ein Unrecht ist, ihr eigenes Kind zu töten, auch wenn das Gesetz in bestimmten Fällen Straffreiheit vorsieht. Auch sind die schweren psychischen Spätfolgen einer Abtreibung verstärkt anzusprechen, auch oder gerade im Interesse der Schwangeren. Betroffen habe ich heute in einem Schreiben der Selbsthilfegruppen „Frauen nach Abtreibung" gelesen, ich zitiere: „Die Tötung eines Kindes im Körper seiner Mutter ist ein brutaler Gewaltakt — nicht nur gegen das Kind, sondern auch gegen seine Mutter, selbst wenn sie diesem Gewaltakt zustimmt bzw. zustimmen mußte." Ich werde bei der Abstimmung zum § 218 ff. StGB für den Gesetzentwurf des Abgeordneten der Gruppe Herbert Werner (Ulm) stimmen, weil darin der Schutz des ungeborenen Lebens meiner Ansicht nach am besten gewährleistet wird. Schon bei der Definition des § 2 „Beratung" steht in diesem Entwurf der Schutz des ungeborenen Kindes gleichrangig neben dem Schutz der Schwangeren. Dieser Schutz menschlichen Lebens von Anfang an unterliegt voll dem Schutz des Grundgesetzes. In schöner Eintracht von links nach rechts heißt es, menschliches Leben sei in seinem vorgeburtlichen Stadium noch kein Menschenleben im vollen Sinn des Wortes und nehme folglich auch nicht in vollem Umfang am Lebensschutz des Grundgesetzes teil. Dabei vergißt man aber, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Fristenregelung solchen Überlegungen klare Absagen erteilt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, daß das ungeborene und das geborene Leben gleichermaßen ein Recht zum Leben haben und daß der Staat verpflichtet ist, das ungeborene Leben gleichermaßen zu schützen wie das geborene. Das Leben ist das fundamentalste Gut des Menschen, es ist die vitale Basis aller anderen Rechtsgüter. Es gibt nicht ein „bißchen Leben" — sondern es gibt Leben oder Tod. Der Eingriff in das Rechtsgut Leben bedeutet immer dessen Vernichtung. Dies sollten alle Anhänger der Fristenregelung bedenken. Deshalb muß sich eine humane Rechtsordnung in der Abwägung der Interessen zwischen dem Leben auf der einen Seite und dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter auf der anderen Seite immer für das Leben des Kindes entscheiden und diesem den Vorzug geben. Nur in dem Fall, in dem Leben gegen Leben steht, kann die Tötung des einen Lebens zugunsten des anderen gerechtfertigt sein. Deshalb können die Indikationen des § 218a StGB mit Ausnahme der 8398* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 strengen medizinischen Indikation niemals Rechtfertigungsgründe sein. Schon bei der Wiedervereinigung wurden in ganz Deutschland Stimmen laut, die in der früheren DDR geltende Fristenregelung auf das ganze Bundesgebiet auszuweiten. Gegen erheblichen Widerstand konnte dies verhindert werden. Normen, die in Fortschreibung der ehemaligen DDR-Regelungen auf einem atheistisch-marxistischen Menschenverständnis beruhen, sind für mich nicht akzeptabel und schon gar nicht Grundlage für eine so wichtige Entscheidung. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß das Bundesverfassungsgericht die Frage der Fristenregelung heute anders beurteilt als vor 17 Jahren, als es mit seinem Richterspruch die Einführung der Fristenregelung durch die damalige SPD/F.D.P.-Regierung verhinderte. Mein Einsatz gilt dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes, das wehrlos ist. Ein Ungeborenes hat keine Stimme und keine eigene Lobby, deshalb braucht es den uneingeschränkten Schutz des Staates, so wie er im Grundgesetz verankert ist. Ilse Falk (CDU/CSU): Das Wissen, daß auch schärfste Strafgesetze Abtreibungen nicht haben verhindern oder vermindern können, verpflichtet uns dazu, unsere heutige Entscheidung daran auszurichten, welcher der vorliegenden Entwürfe am ehesten geeignet ist, der besonderen Situation einer ungewollt schwangeren Frau gerecht zu werden. Aus der Verpflichtung des Staates, Leben zu schützen, muß er zwar jedes Zuwiderhandeln grundsätzlich unter Strafandrohung stellen. Aber es erwächst daraus gleichzeitig die Forderung, alles Bemühen darauf auszurichten, daß dieses Zuwiderhandeln gar nicht erst geschieht. Hier kommt es entscheidend darauf an, daß sich dieses Bemühen an der Lebenswirklichkeit betroffener Frauen und nicht an der Betroffenheit lebensfremder Gesetzgeber orientiert. Wenn wir allerdings den Erfolg der einzelnen Entwürfe abschätzen wollen, sind wir alle auf Hypothesen angewiesen. Trotzdem habe ich natürlich meine Gründe, warum ich meine, daß der Fraktionsentwurf der CDU/CSU in besonderer Weise Schwangeren in einer Konfliktsituation helfen könnte. Vieles ist heute schon gesagt, deshalb beschränke ich mich auf die mir wichtigsten zwei Gründe: 1. Beratung und Indikationsstellung 2. Respektierung der subjektiven Entscheidung von Frau und Arzt. Zu 1.: Beratung und Indikationsstellung als Bedingungen für Straffreiheit stelle ich ausdrücklich in einen ganz engen Zusammenhang, weil hier an zwei Stellen die Chance besteht, einer Frau, die ihren Konflikt als unlösbar empfindet, in Gesprächen sachliche und seelische Hilfe ohne den Druck der Strafandrohung zu vermitteln. Wünschenswert wäre, daß ihr Partner daran teilnähme; aber wir wissen, wie oft Frauen gerade in dieser Lage allein gelassen werden. Häufig vertrauen sich Frauen auch niemandem an, weil sie sich seit Erfindung der Pille alleine für Verhütung verantwortlich fühlen und es als persönliches Versagen empfinden, wenn sie ungewollt schwanger werden. Hier wollen und dürfen wir die Frauen nicht allein lassen. Schwangerschaftskonflikte setzen sich immer aus objektiven und subjektiven Bestandteilen zusammen. Gäbe es nur rein objektiv zu beurteilende Argumente, dürfte es in der Tat in unserer Wohlstandsgesellschaft keine Abtreibungen geben. Hier Klarheit zu schaffen und den Konflikt in lösbare und möglicherweise nicht lösbare Bestandteile zu gliedern, muß Sinn sowohl der Beratung als auch des Gespräches mit dem Arzt zur Indikationsfeststellung sein. Daß überhaupt eine Indikation gefordert wird, halte ich deshalb für richtig, weil damit die Schwangere — und hoffentlich auch ihr Partner — sich der Frage stellen muß, warum sie denn eigentlich eine Abtreibung vornehmen lassen will. Vor sich selber müssen sie diese Frage beantworten. Es kann nicht sein, daß aus einem diffusen Unbehagen heraus, aus oft panischer und unreflektierter Reaktion, möglicherweise unter dem Druck des Partners, der Vorsatz zum Schwangerschaftsabbruch in die Tat umgesetzt wird. Die zunächst verdrängte Frage nach dem „warum" taucht garantiert irgendwann später wieder auf und kann zu erheblichen psychischen Belastungen führen. Als zweiten wichtigen Grund für mein Votum habe ich die Respektierung der subjektiven Entscheidung von Frau und Arzt genannt. Auch hier bleibe ich dabei, daß es hilfreich ist, wenn Frau und Arzt nach einem Gespräch gemeinsam zu einer Entscheidung kommen, die sie im Falle eines Abbruchs sowieso auch jeder für sich treffen müssen. Ich hätte mir gewünscht, daß man sich auf die Dokumentation nach ärztlichem Standesrecht beschränkt und die ausdrückliche Dokumentationspflicht aus dem Entwurf herausgenommen hätte. So wäre jede Möglichkeit der Interpretation, die laut Begründung zum Entwurf ausdrücklich auch nicht gewollt ist, vermieden und deutlich gemacht, daß die Entscheidung der Schwangeren und des Arztes nicht in Frage gestellt werden darf. Hier vertraue ich darauf, daß die Forderung, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, auch bedeutet, Verantwortung für eine Entscheidung zuzugestehen, ohne sich anzumaßen, diese überprüfbar zu machen. Wir alle sind in den vergangenen Wochen und Monaten mit einer Flut von Briefen und Ratschlägen überrollt worden, deren textliche und bildliche Darstellungen oftmals an die Grenzen des Erträglichen und darüber hinaus gingen. Allen Absendern sei gesagt: Ich brauche für meine heutige Entscheidung weder Plastik-Föten, noch Bilder von zerstückelten Ungeborenen, noch die Androhung der Hölle. Ich brauche es nicht, weil ich mich uneingeschränkt dem Schutz des ungeborenen Lebens verpflichtet fühle. Ich brauche nicht das Besserwissen der anderen, sondern die Hilfe eines jeden einzelnen, wenn es darum geht, Familien in Not, Alleinerziehenden, allen, die sich bewußt auch für behindertes Leben entscheiden, zur Seite zu stehen und ihnen Unterstützung und Geborgenheit zukommen zu lassen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8399* Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden. Fanatisierte Menschengruppen in der Bundesrepublik Deutschland sind egozentrischer und intoleranter als sonstwo auf dieser Welt! Zu diesem, vielleicht nur wenig übertriebenen Ergebnis kommt sicher mancher Abgeordneter des Bundestages, wenn er an die letzten Wochen in Bonn und daheim zurückdenkt. Ursache für diese düstere Feststellung ist die nationale Auseinandersetzung um die Gesetzesvorlagen zu den § 218 und § 219 des Strafgesetzbuches. Die Regelung des ersten gesamtdeutschen Gesetzes über Schwangerschaftsunterbrechungen und zum Selbstbestimmungsrecht von Frauen ist noch umstrittener als die vor einem Jahr im Bundestag debattierte Frage des Umzugs von Parlament und Regierung nach Berlin. Die Formen der Einflußnahme von Gegnern von Schwangerschaftsunterbrechungen auf die Bundestagsabgeordneten kannten weder Maß noch Gesetz. Videos mit „verzweifelt" gegen den Arzt „kämpfenden" Embryonen, Plastikföten und Drohbriefe gehörten noch zu den harmloseren Meinungsäußerungen. Bischöfe mißbrauchten ihr Amt und machten öffentlich Stimmung, aber auch Befürworter der fortschrittlichen Lösungen gingen mit den religiösen Gefühlen der Kolleginnen und Kollegen nicht gerade zimperlich um. Völlig daneben griffen all diejenigen, die für den Erhalt des ungeborenen Lebens bereit waren, bereits geborenes Leben (nämlich das der Abgeordneten) zu vernichten. Wenn ich diese Form der Meinungsfreiheit so beobachte, wird mir schon klarer, wie es in einigen Ländern dazu kommen kann, daß sich Völker gegenseitig um eines Glaubens Willen umbringen. Es ist nun mal eine nicht zu verleugnende Tatsache, daß in der Bundesrepublik das zahlenmäßige Verhältnis zwischen den konfessionell gebundenen Menschen und der Menge an „Heiden" die Bevölkerung etwa halbiert. Und wie in vielen anderen Dingen des täglichen Lebens kommt es vor, daß sich Menschen in ihrer Meinung aus weltanschaulichen Gründen unterscheiden. In der Bundesrepublik gilt allein schon aus diesem Grund zumindest theoretisch das demokratische Prinzip der Glaubensfreiheit und auch das der Trennung von Staat und Kirche. Diese Kirchen in der Bundesrepublik verlieren nun von Tag zu Tag immer mehr an Einfluß auf die Bürgerinnen und Bürger, manch ein Kirchenfürst weint heute schon den Zeiten hinterher, in denen es noch Staatsreligionen gab. Und genau da liegt die Ursache für diesen „Bürgerkrieg": Die einen sind unfähig, mit einer aus ihrer Sicht erlebten Niederlage zurechtzukommen, und die anderen sind sich des aufkommenden Freiheitsgefühls noch nicht sicher. Damit reduziert sich die Frage der Schwangerschaftsunterbrechung auf ein jahrtausendealtes Problem, nämlich: Wer bestimmt über wen? Wer hat Macht über andere? In einer Zeit, in der die Menschen des reichen Nordens von sich behaupten, der Nabel der Welt zu sein, zeigt es sich, daß viele in der Beherrschung ihrer Emotionen über steinzeitliches Niveau nicht hinaus- gekommen sind. Es drängt sich mir fast der Verdacht auf, daß dies die gleichen Menschen sind, die weiterhin zulassen, daß in der „Dritten Welt" tagtäglich zigtausende Kinder und Erwachsene in Armut umkommen. Sie wissen nur zu gut, daß diese Armut durch uns Nordmenschen maßgeblich mitbestimmt wurde und wird. Ich frage mich wirklich, ob es einen Sinn hat, daß so viele Kinder auf diese Welt kommen, nur um alsbald wieder elendig zu sterben. Es ist so leicht, diese Schuld zu verdrängen oder durch Ablaß-Geldspenden sein Gewissen zu beruhigen. Es ist so leicht, sich im Bemühen um ungeborenes Leben von dieser Schuld freizukaufen. Ich mag Kinder sehr gern. Gerade deshalb habe ich aber beim Anblick der hungernden Kinder in Entwicklungsländern der Welt nur Wut über so viel Borniertheit verspürt. All diejenigen, die sich also unter dem Deckmantel ihres Glaubens (sei er christlich oder weltlich) um die ungeborenen Embryonen bemühen, werden erst dann meinen Respekt erhalten, wenn sie diesen Glauben auch global verwirklichen helfen. Ich mag Kinder sehr gern. Ich mag aber auch die Mütter und Väter, die ihr Kind nur in eine Umwelt zeugen wollen, in der diesem eine sinnvolle Zukunft garantiert werden kann. Und ich wünsche mir, daß die Mütter immer frei darüber entscheiden können, ob dieser Zeitpunkt gekommen ist oder nicht — selbst bei einem Liebes „unfall". Ich mag Kinder sehr und wünschte mir, daß keine Schwangerschaften durch die werdenden Mütter beendet werden müßten, aber ich weiß, daß wir auf der Erde dieses „Nicht-mehr-unterbrechen-zu-müssen" erst garantieren können, wenn freie Menschen ihr Lebensgeschick selbst in die Hände genommen haben. Der Weg in diese Zukunft kann aber nicht bereits am Eingang mit einer Freiheitsberaubung verbaut werden. Mit einer befristeten oder unbefristeten Legalisierung der Schwangerschaftsunterbrechung (von mir aus nur bis auf das Niveau der ehemaligen DDR) ist übrigens nicht die Pflicht verbunden, daß die Frauen jetzt regelmäßig abtreiben müssen. Die Frauen in der ehemaligen DDR haben es bewiesen, sie konnten verantwortungsvoll mit der Fristenregelung umgehen. Nur bösartige Menschen unterstellen ihnen zügellose Lust — eine Schwangerschaftsunterbrechung ist ja auf jeden Fall auch eine seelische und physische Belastung, der sich keine Frau aus Jux und Tollerei aussetzt. Mein Votum am heutigen Donnerstag gilt also allen Gesetzesinitiativen, die der individuellen Freiheit von Frauen zum Recht verhelfen — mein Votum gilt allen Gesetzentwürfen, die die Mädchen und Frauen in ihrer Selbstbestimmung nicht mehr kriminalisieren und dem anderen Freiheitswerten verpflichteten Urteil von meist männlichen Richtern aussetzen. Mit dem sogenannten „Gruppenantrag" ist eine Lösung vorgeschlagen worden, die diesen Vorstellungen noch Erhebliches in den Weg legt. Sie ist aber die einzige Lösung, die die Abgeordneten der verschiedensten Lager aufeinander zuführt. Und weil sich nur 8400* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 durch Aufeinander- Zugehen vernünftiger Menschen etwas in der Welt bewegt, werde ich dieser aus Ost-Sicht rückständigen Variante meine Stimme geben, weil sie gesamtdeutsch denn wohl doch der wichtige erste Schritt in die wirkliche Glaubensfreiheit ist. Dr. Karl H. Fell (CDU/CSU): Das ungeborene Leben steht nicht zur Disposition des einzelnen, weder zur Disposition der Mutter noch des Vaters. Das ungeborene Leben steht ebensowenig zur Disposition des Gesetzgebers, selbst wenn wir heute über verschiedene Gesetzentwürfe beraten müssen, die von der Verfügbarkeit über das Leben des ungeborenen Kindes ausgehen. Deshalb drängt sich die Entscheidung für den Entwurf der Gruppe um den Abgeordneten Werner geradezu auf. Es geht nicht um die heute schon arg strapazierte Frage, ob die Mutter frei darüber entscheiden darf, ihr Kind auszutragen oder nicht. Der Schutz des ungeborenen Kindes ist absolut, das ungeborene Leben ist für den einzelnen Menschen nicht verfügbar. Die Selbstverwirklichung der Mutter ist vor diesem absolut zu schützenden Rechtsgut zweitrangig, ebenso wie sich der Vater nicht davonstehlen darf. Gerade weil dieses junge Leben noch nicht fähig ist, sich selbst zu artikulieren, bedarf es dieses umfassen- den Schutzes durch den Gesetzgeber. Dem müssen wir mit unserer heutigen Entscheidung Rechnung tragen. Selbst die Abtreibungsbefürworter können nicht leugnen, daß es sich beim ungeborenen Kind bereits um menschliches Leben vom Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle an handelt. Dies wird in der Medizin ernsthaft nicht mehr in Frage gestellt, wie die ausführliche Diskussion in den vergangenen Monaten nochmals deutlich bestätigt hat. Es handelt sich um Leben, um Leben, das des umfassenden Schutzes der Mutter bedarf, um wehrloses Leben, das man nicht sich selbst überlassen darf. Dabei geht es auch um den notwendigen Schutz vor der Unsicherheit einer Frau, die nicht weiß, ob sie ihr Kind annehmen soll. Deshalb müssen wir ihr alle denkbaren Hilfen zur Seite stellen, damit ihr die Entscheidung für ihr Kind erleichtert wird. Ungeborenes Leben muß ebenso vor dem Vater geschützt werden, dem die neue Situation lästig ist und der deshalb die Schwangere verstößt oder gar auf Abtreibung drängt. Der Vater trägt eine ebenso hohe Verantwortung für das Kind wie die Mutter, dies muß ihm, wie vorgesehen, nötigenfalls durch Strafandrohung, bewußt gemacht werden. Der persönliche Strafausschließungsgrund gilt für ihn nicht. Die Nichtverfügbarkeit des ungeborenen Lebens ist der hauptsächliche Grund für mein Abstimmungsverhalten. Der Gesetzgeber ist gefordert, alles zu tun, um der Mutter und dem Vater die Entscheidung für ihr gemeinsames Kind zu erleichtern. Daher enthält unser Gesetzentwurf ein umfassendes Paket an Sozialmaßnahmen, die sicherstellen, daß niemand aus materieller Not eine Abtreibung vorzunehmen braucht. Die grundsätzliche Strafbarkeit der Tötung ungeborenen Lebens ist unabdingbar, um den Unrechtscharakter der Abtreibung herauszustellen. Die Strafandrohung hat die Aufgabe, das Leben des ungeborenen Kindes als geschütztes Rechtsgut zu verdeutlichen und damit die Werteordnung in der Bevölkerung zu schärfen. Ob und wer tatsächlich zu bestrafen ist, entscheidet sich im Einzelfall. Die offiziell genannte Zahl von 74 570 Abtreibungen im Jahr allein in den alten Bundesländern belegt das schwindende Wertebewußtsein; die Dunkelziffer reicht bis zu 350 000 Abtreibungen jährlich. Und das bei etwa 720 000 Neugeborenen pro Jahr. Eine erschütternde Bilanz: Im Wohlfahrtstaat Deutschland wird die Abtreibung immer mehr zum Mittel der Empfängnisverhütung. Begründet als „dringender Fall sozialer Indikation". Das Leben des ungeborenen Kindes als geschütztes Rechtsgut zu verdeutlichen, ist in der heutigen Zeit dringend geboten. Es handelt sich schließlich nicht um eine Schwangerschafts-„Unterbrechung", wie die Ausdrucksweise mancher Befürworter der Fristenregelung verharmlosend suggeriert: Bei einer Abtreibung wird nichts unterbrochen, das später fortgesetzt werden könnte. Abtreibung ist Tötung und das muß das geltende Strafrecht deutlich durch eine nachdrückliche Strafandrohung zum Ausdruck bringen. Dabei geht es — mir jedenfalls — nicht primär um die Bestrafung der Schwangeren, auch wenn die Befürworter der Fristenregelung dies der Bevölkerung immer wieder neu suggerieren. Nach geltendem Recht wird die Frau nämlich schon dann nicht bestraft, „wenn der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung (§ 218b Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB) von einem Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht mehr als zweiundzwanzig Wochen verstrichen sind" (vgl.: § 218 Abs. 3 Satz 2 StGB). „Nach Beratung" heißt hier wohlweislich, unabhängig vom Beratungserfolg, somit ausdrücklich auch ohne Indikationslage. Die Schwangere brauchte sich bisher lediglich von einem Arzt über die ärztlich bedeutsamen Gesichtspunkte informieren zu lassen und sich zugleich an eine Beratungsstelle zu wenden, um sich in der aus ihrer Sicht vorliegenden Konfliktsituation beraten zu lassen. Nach drei Tagen Überlegungsfrist, die einzuhalten wirklich keine besondere Hürde darstellt, konnte sie bisher die Abtreibung vornehmen lassen, ohne daß dies für sie strafrechtliche Konsequenzen gehabt hätte. Diese Strafbefreiung ist zu weitgehend. Sie wirkte für die Schwangere wie ein Persilschein. Unser, der Entwurf der „Werner"-Gruppe verlangt daher zu Recht als Voraussetzung persönlicher Strafbefreiung, daß sich die Schwangere zur Zeit des Eingriffs „in besonderer Bedrängnis" befunden haben muß. Lassen Sie mich noch einen weiteren Aspekt beleuchten. Sollte tatsächlich der Gruppenantrag einer Fristenregelung mit Beratungspflicht heute eine Mehrheit finden, so ist dies ein bitterer Preis für die Wiedererlangung der deutschen Einheit. Ich möchte daran nachdrücklich erinnern. Die Schaffung neuen Unrechts wird zum Preis für den geeinten deutschen Rechtsstaat. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8401* Die neuerliche Diskussion über eine wie auch immer geartete Fristenregelung ist Folge einer mangelnden Konsensfähigkeit beim Abschluß des Einigungsvertrages. Schlimmer noch: Die Bestrebungen in den neuen, aber auch teilweise in den alten Bundesländern, das jahrzehntelang praktizierte SED-Unrecht auf ganz Deutschland zu übertragen, waren so stark, daß der Einigungsvertrag vom Scheitern bedroht gewesen wäre, hätten wir uns hier nicht auf eine erneute Diskussion der Abtreibungsfrage eingelassen. Deshalb wurde die Frage ausgeklammert und liegt uns heute zur bitteren Entscheidung vor. Gestatten Sie mir zum Abschluß einige Bemerkungen zum Gruppenantrag. Er ist grob verfassungswidrig, unsozial und gewährleistet keinen wirksamen Lebensschutz: Die nach dem Gruppenantrag vorgesehene Beratung bleibt eine Farce, weil sie sich auf bloße Informationserteilung beschränkt. Echte Konfliktberatung, eine Beratung für das Leben, findet nicht statt. Die schwangere Frau wird mit ihren Problemen allein gelassen. Die Ausgestaltung des Beratungsverfahrens konzentriert sich auf das zweigleisige Beratungsmodell von Pro Familia, das aus ideologischen Gründen die soziale Beratung mit der medizinischen koppelt. Tatsächlich ist hier eine strikte Trennung vonnöten. Die medizinische Beratung hat durch unabhängige Ärzte zu erfolgen, während es Aufgabe der Beratungsstellen bleibt, die psychische und soziale Hilfe zu gewähren. Entscheidend kommt hinzu: Der Gruppenantrag bleibt hinsichtlich der flankierenden und sozialen Rahmenbedingungen weit hinter dem Antrag der „Werner" -Gruppe und weit hinter dem Mehrheitsentwurf der CDU/CSU-Fraktion zurück. Damit offenbaren die Vertreter des Gruppenantrags selbst überdeutlich wie „ernst" es ihnen mit dem Schutz des ungeborenen Kindes ist. Ich werde daher für den von mir mit unterzeichneten „Werner"-Entwurf stimmen. Sollte dieser Entwurf keine Mehrheit finden, werde ich für den Mehrheitsentwurf der CDU/CSU-Fraktion als dem geringeren Übel stimmen. Den Gruppenantrag lehne ich — wie jede Form einer Fristenregelung — auf jeden Fall ab. Leni Fischer (Unna) (CDU/CSU): Es stehen im Prinzip zwei Grundpositionen zur rechtlichen Regelung der chirurgischen und medikamentösen Abtreibung gegenüber: die Freigabe von Abtreibung mit und ohne Frist sowie differenzierende Indikationslösungen. Ich entscheide mich für den grundsätzlichen Weg der Indikationslösung. Ich sehe aber nur ein enges Indikationsmodell als verfassungs- und rechtspolitisch vertretbar sowie als sozial und ethisch gerechtfertigt an. Erstens. Das Lebensrecht eines ungeborenen Menschen steht nach dem Grundgesetz nicht zur Disposition, weder für einen einzelnen noch für den Gesetzgeber, selbst nicht für den Verfassungsgesetzgeber. Vertreter des Gruppenantrags erkennen diesen elementaren Verfassungsgrundsatz an, verfügen aber tatsächlich über das Lebensrecht. Sie stellen die Frau nicht nur straflos, sondern kennzeichnen die Tötung ungeborenen Lebens ohne schwerwiegenden Grund nach Beratung überhaupt nicht mehr als Unrecht. Dies bedeutet zugleich auch den Verzicht auf die Mißbilligung der Abtreibung durch die Rechtsordnung im übrigen. Zweitens. Der Verzicht auf eine strafrechtliche Mißbilligung bricht mit der Systematik und Dogmatik des Strafrechts. Nach der Selbstdarstellung des Gruppenantrags ist die Not- und Konfliktlage der Frau stets zu unterstellen und Grund für die Rechtfertigung der Tat. Wir wissen, daß über 90 % der Mörder reine Konflikttäter sind, verzichten aber im Strafrecht zu Recht nicht auf die strafrechtliche Mißbilligung dieser Straftat gegen das Leben. Im übrigen führt die Freigabe der Abtreibung mit und ohne Frist, mit und ohne Beratung zu einem unauflösbaren Wertungswiderspruch zum Schutz des extrakorporal erzeugten Embryos, der vor dem Transfer in die Gebärmutter strafrechtlich geschützt ist, danach aber nicht mehr. Drittens. Auch zentrale soziale Gründe sprechen gegen die Freigabe der Abtreibung und unpräzise Indikationsmodelle. So ist das Strafrecht auch sozialer Schutzschild gegen Nötigung, Pressung und Druck Dritter gegen die schwangere Frau. Ich fürchte zudem, daß durch die Fristenlösung, aber auch durch unpräzise Indikation pränatale Euthanasie, aber auch Selektion unter rassistischen Gesichtspunkten möglich wird, wenn z. B. ein Junge gewollt, ein Mädchen aber nicht geboren werden soll, oder wenn das Kind abgetrieben wird, weil der Vater Farbiger ist. Die Folgen für das soziale Zusammenleben sind nicht abzusehen. Ich vermisse des weiteren im Gruppenantrag und in den anderen Entwürfen, daß den Beratungsstellen Möglichkeiten spontaner, praktischer Hilfen zur Annahme des Lebens eingeräumt werden. Dann wäre eine Beratungsstelle tatsächlich auch handlungsfähig. Auch vermag ich nicht zu erkennen, daß die sozialen und psychologischen Folgen einer Abtreibung für die Frau und ihr soziales Umfeld, die inzwischen unter dem Stichwort „post-abortion-Syndrome" anerkannt sind, bei den Gesetzentwürfen berücksichtigt wurden. Viertens. Meine dargelegte Position ergibt sich nicht zuletzt aus ethischen Überlegungen, die für mich nicht Privatsache, sondern Maßstab politischen Wertens und Handels sind. Ich erinnere noch einmal an Dietrich Bonhoeffer, der in seiner „Ethik" nicht im formaljuristischen Sinne, sondern in einem grundlegenden ethischen Verständnis geschrieben hat: Die Tötung der Frucht im Mutterleib ist Verletzung des dem werdenden Leben von Gott verliehenen Lebensrechtes. Die Erörterung der Frage, ob es sich hier schon um einen Menschen handele oder nicht, verwirrt nur die einfache Tatsache, daß Gott hier jedenfalls einen Menschen schaffen wollte und daß diesem werdenden Menschen vorsätzlich das Leben genommen worden ist. Das aber ist nichts anderes als Mord. 8402* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Daß die Motive, die zu einer derartigen Tat führen, sehr verschieden sind, ja daß dort, wo es sich um eine Tat der Verzweiflung in höchster menschlicher oder wirtschaftlicher Verlassenheit und Not handelt, die Schuld oft mehr auf die Gemeinschaft als auf den Einzelnen fällt, daß schließlich gerade in diesem Punkt Geld sehr viel Leichtfertigkeit zu vertuschen vermag, während gerade bei den Armen auch die schwer abgerungene Tat leichter ans Licht kommt, dies alles berührt unzweifelhaft das persönliche und seelsorgerliche Verhalten gegenüber den Betroffenen ganz entscheidend, es vermag aber an dem Tatbestand des Mordes nichts zu ändern. Abschließend: Ich weiß, daß Abtreibungen nicht allein mit staatlichen Mitteln des Strafrechts, der Hilfe und Unterstützung verhindert werden. Um so wichtiger ist dann die Förderung einer neuen Kultur des Lebens, die das Gefühl der Bewunderung und Dankbarkeit angesichts der Größe jedes menschlichen Lebens weckt. Dies gilt gerade für eine Welt, die — überrollt von technischer und funktionalistischer Mentalität — gegenüber der Größe und der Personalität auch des ungeborenen Lebens die notwendige Sensibilität verliert oder sogar schon verloren hat. Erich G. Fritz (CDU/CSU): Die heutige Debatte und Abstimmung über den Schutz des ungeborenen Lebens bildet den — wahrscheinlich nur vorläufigen — Abschluß einer Diskussion, die in hohem Respekt vor unterschiedlichen Meinungen geführt worden ist. Mir ist im Verlaufe dieses Jahres allerdings auch in erschreckender Weise deutlich geworden, wie weit sich die unterschiedlichen Positionen von einem Konsens darüber entfernt haben, was Kern unserer Verfassung war und bleiben muß, daß es vornehmste Aufgabe des Staates ist, Leben in jeder Form zu schützen. Neben einer verbreiteten Gleichgültigkeit gegenüber den elementaren Fragen des Umgangs mit menschlichem Leben gibt es offensichtlich einen großen Teil der Bevölkerung und des deutschen Bundestages, der Leben in ganz unterschiedliche Kategorien einteilt, die man unterschiedlich behandeln kann, ohne daß sich das eigene Gewissen rührt. Wir müssen daran arbeiten, daß die Verhältnisse im Umgang mit Schöpfung und Leben wieder zurechtgerückt werden können, denn ohne einen Grundkonsens in solchen Fragen kann eine Demokratie nicht bestehen. Schutz des Lebens ist für alle ein hohes Gut, solange es um Erhaltung der Artenvielfalt, den Schutz der Natur geht. Heiße Debatten werden zu Recht geführt über Menschenrechtsverletzungen, über den verächtlichen Umgang mit dem Leben von Menschen in den Kriegs- und Bürgerkriegsregionen der Welt. Wir haben Strafen vorgesehen für den nicht sachgerechten Umgang mit der pflanzlichen und tierischen Natur und sind uns darüber einig, daß es dabei keine weniger wertvollen Teile gibt. Weitaus höhere Maßstäbe müssen wir dann doch anlegen, wenn es um menschliches Leben geht. Mir wird nicht wohl bei dem Gedanken, daß der Staat einen Teil des Lebens aus dem Schutz des Strafrechts entlassen soll, den ungeborenen in einer bestimmten Frist! Ich befürchte, daß wir damit die Diskussion über andere Daseinsformen menschlichen Lebens nicht aufhalten, sondern fördern. Wer kann ausschließen, daß als nächstes über behindertes, schwer pflegebedürftiges, psychisch krankes oder zu Ende gehendes Leben in ähnlicher Weise gesprochen wird wie heute über ungeborenes? Schon gibt es Überschriften in Zeitungen wie „Leben erhalten um jeden Preis?"; schon gibt es Sterbehilfedebatten, die einen fatal an vergangene totalitäre Zeiten erinnern. Die Generation, die nach den Jahren der Diktatur, der Erniedrigung des Menschen und des Lebens in Gestapo-Gefängnissen, Konzentrationslagern und Krieg und stalinistischer Gewaltherrschaft im Westen eine Verfassung geschaffen hat, die die Würde, die Unveräußerlichkeit und die Unverfügbarkeit des Menschen ganz obenan gestellt hat und im Osten nie die Sehnsucht nach einer rechtsstaatlichen Gesellschaft aufgegeben hat, die das individuelle Menschenleben von Staats wegen schützt, sollte uns Verpflichtung sein, in diesem Bemühen nicht nachzulassen, sondern unter neuen Bedingungen ein hohes Maß an Schutz des Lebens, auch des ungeborenen, zu garantieren. Nun betonen die Anhänger der Fristenlösung und des Gruppenantrages, daß es ihnen vorrangig um den Schutz des Lebens gehe. Es ist von allen Seiten immer wieder betont worden, daß die Hilfen für Frauen in Schwangerschaftskonflikten wichtiger seien und die Frage des Strafrechtes nachrangig. Dieser Auffassung bin ich auch, allerdings müssen dann die Hilfen so ausgestattet sein, daß sie tatsächlich ihre Wirkung zeigen. Der Gruppenantrag klammert aber wichtige Hilfsinstrumente aus, so daß sich die Anhänger dieser Lösung fragen lassen müssen, ob es ihnen nicht doch nur um die Verfügbarkeit des ungeborenen Lebens geht. Ich kann auch nicht verstehen, wie diese Abgeordneten die Forderung erheben können, der Staat müsse eine flächendeckende Infrastruktur für Abtreibungen zur Verfügung stellen. Es ist vielmehr Aufgabe des Staates, alles zu tun, damit Abtreibungen nicht stattfinden und daß es in Konfliktsituationen akzeptable Auswege für die betroffenen Frauen gibt. Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, die Tötung ungeborenen Lebens institutionell vorzubereiten. Dies alles weist darauf hin, daß die Anhänger des Gruppenantrages nichts anderes wollen als eine reine Fristenlösung. Wer aber das Leben verfügbar macht, der steht nach meiner Meinung außerhalb unserer Verfassung und sollte ernsthaft darüber nachdenken, welche Türen er damit öffnet. Ich habe den Mehrheitsentwurf der CDU/CSU-Fraktion unterzeichnet, werde aber nach der langen Diskussion in der ersten Abstimmung den Antrag der Gruppe Werner unterstützen, um ein Zeichen dafür zu setzen, daß die grundlegende Auseinandersetzung über die Frage des Umgangs mit dem Leben und seine Bedeutung für das zukünftige Zusammenleben in einer Gesellschaft des Individualismus und der Vereinzelung von wesentlicher Bedeutung ist. Ich hoffe, daß dieser Tag der Anfang einer Lebensdiskussion ist, die zurückführt zu einem Konsens über diese zentrale Frage. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8403* Ich werde in der zweiten Abstimmung dem Entwurf der CDU/CSU zustimmen, weil ich mir von ihm die Chance erhoffe, eine Fristenlösung zu verhindern, und fordere alle auf, die den Antrag der Gruppe Werner unterstützen, dies ebenfalls zu tun. Niemand geht ohne Schuld aus dieser Entscheidung, wer aber nicht versucht, noch größeres Unheil zu vermeiden, lädt bewußt Schuld auf sich. Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): Bei der heutigen Entscheidung muß vieles bedacht werden: der Rechtsschutz des ungeborenen Lebens, die Konfliktsituation von Frauen, das Klima für Kinder und Familie in unserer Gesellschaft. Ich habe dabei aber auch ganz persönliche Empfindungen. Es ist nämlich für mich die Frage, ob es zum Beispiel mich bei der Art, wie heute mit dem Problem zuweilen umgegangen wird, überhaupt geben würde. Ich möchte zum Nachdenklichmachen die Situation meiner Mutter darstellen und manche hier im Raum könnten wahrscheinlich von ähnlichen Konfliktsituationen ihrer Mütter berichten. Meine Mutter hatte während der Schwangerschaft einen sehr schweren Motorradunfall, wo sie 8 m durch die Luft gewirbelt wurde und mit einem gebrochenen Wirbel schwerstverletzt in einen Fluß landete, sie war unverheiratet, ohne jedes Vermögen, ohne jede Ausbildung, nach dem Unfall ohne Unterkunft und Arbeit. Nur mit größtmöglichem medizinischen Einsatz gelang es den Ärzten, eine nichtlebensfähige Frühgeburt zu verhindern. Es war der Wille meiner Mutter, trotz der Schwere ihrer Verletzungen, trotz der Unwissenheit, welche Auswirkungen dies auf das Kind später haben würde. Nach meiner Auffassung hat es eine Verschiebung von Werten, wahrscheinlich auch im Denken über Wertinhalt gegeben, was sich auf den Umgang mit dieser Frage auswirkt. Gerade deswegen darf die aktuelle Diskussion über den Schutz des ungeborenen Lebens nicht auf den strafrechtlichen Aspekt des Schwangerschaftsabbruches verkürzt werden. Dies ist zu wenig. Ein wirksamer Schutz des ungeborenen Lebens ist nur möglich, wenn alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte in Deutschland mitwirken, ein Klima in unserer Gesellschaft zu schaffen, in dem Kinder als Bereicherung und nicht in erster Linie als Last empfunden werden. Vor allen rechtlichen und sozialen Regelungen entscheidet das gesellschaftliche Klima über den Schutz des ungeborenen Lebens. Weil ein wirksamer Schutz des ungeborenen Lebens nur auf dem Fundament einer kinder- und familienfreundlichen Gesellschaft möglich ist, müssen die staatlichen und gesellschaftlichen Anstrengungen vor allem dort ansetzen. Deswegen ist es bei der heutigen Entscheidung sehr wichtig, dies mit unterstützenden Maßnahmen für Hilfen für Familien und vor allem für Frauen zu verbinden. Beratung und Hilfe für die schwangere Frau und die beteiligten Personen haben Vorrang vor strafrechtlichen Maßnahmen. Abtreibung bleibt trotzdem Tötung menschlichen Lebens. Dies kann nur in engen Not- und Konfliktsituationen dem Strafrecht entzogen werden. Aus all dem gibt es für mich nichts anderes als die Indikationsregelung, wie sie im Gesetzentwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nach außerordentlich gründlicher Diskussion entwickelt wurde. Ich bin mir dabei bewußt, daß auch diese Regelungen auf Schwierigkeiten und Grenzen stoßen. Trotzdem vermag ich wegen des Schutzinteresses des werdenden Lebens nicht einzusehen, daß der Rechtsstaat den Schutz des schwächsten und wehrlosesten ganz aus der Hand gibt, wie es alle Fristenlösungen tun. Der Schutz des ungeborenen Lebens muß grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft Vorrang haben. Es ist willkürlich, den Schutz des ungeborenen Lebens für eine bestimmte Frist außer Kraft zu setzen. Wer dies tut, verkennt, daß die staatliche Rechtsordnung auch durch das Strafrecht anzeigt, welchen Rang sie den einzelnen geschützten Rechtsgütern zumißt. Wenn man dem Rechnung tragen möchte und andererseits auch die ganz konkrete Konfliktsituation der schwangeren Frau einbeziehen möchte, dann bleibt nur eine Indikationsregelung, die auch auf die Situation der Frau in ihrer besonderen, im Einzelfall durch schwerwiegende Belastungen gekennzeichnete Lage Rücksicht nimmt, wie dies im Vorschlag der CDU/CSU vorgesehen ist. Horst Gibtner (CDU/CSU): Vor der heutigen Entscheidung ist mir sehr wohl bewußt, daß es fast unmöglich ist, alle zu beachtenden Grundsätze in einem Gesetz zu vereinen. Mir ist ebenso bewußt, daß keiner der vorliegenden Gesetzentwürfe — aber auch kein sonstiger denkbarer Entwurf — die Zustimmung aller Deutschen finden kann. Dennoch haben wir die Pflicht zur Entscheidung. Uns eint noch am ehesten die Erkenntnis, daß vor und nach der Geburt eines Kindes für die Familie bzw. die Mutter moralische und finanzielle Hilfe durch die Gesellschaft erfolgen muß. Das gilt ganz besonders dann, wenn der Vater des Kindes seiner Mitverantwortung nicht gerecht wird. Unterschiedliche Auffassungen bestehen jedoch schon über den Umfang dieser Hilfe. Viel schwerer wiegen die Meinungsverschiedenheiten über die moralische Zulässigkeit einer Abtreibung und eventuelle strafrechtliche Konsequenzen. Wir unterscheiden uns auch in der Bewertung von Konfliktsituationen der Familie oder auch nur der Mutter. So bleibt nur die Gewissensentscheidung jedes einzelnen Volksvertreters in diesem Hohen Haus. Ich danke für die Gelegenheit, meine Gewissensentscheidung vor Ihnen begründen zu können: Eltern und Kinder — Kinder und Gesellschaft. Nach meiner Überzeugung kann es nichts Schöneres für Eltern geben, als Leben zu schenken und Kinder großzuziehen. Aus christlicher Sicht ist es zugleich eine ehrenvolle Aufgabe, an der Bewahrung der Schöpfung mitwirken zu dürfen. Ja, es darf uns nicht nur um den Erhalt der Lebensbedingungen für Pflanzen und Tiere gehen: Es geht auch um den Menschen auf dieser Erde! Kinder sind nicht ausschließlich Privatsache! Und die Entscheidung über ungeborenes 8404* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Leben hat nicht allein mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau zu tun. Natürlich ist das Austragen eines Kindes für die Mutter und das Erziehen von Kindern für die Familie auch Verantwortung, kostet Anstrengung und bedeutet auch Verzicht. Daß sich aus diesen Gründen eine kinderfeindliche Haltung in unserer Gesellschaft entwickelt hat, liegt aber nicht an Armut und Existenzangst — sondern am Wohlstandsdenken vieler Menschen, an der fehlenden Bereitschaft, auf ungeborenes Leben Rücksicht zu nehmen. Dieser Bequemlichkeit unserer Gesellschaft darf sich der Gesetzgeber nicht beugen. Wir müssen unter Abwägung aller Gesichtspunkte den Maßstab setzen — auch auf die Gefahr in, daß manche Menschen zur Mißachtung von Gesetzen bereit sind. Kinder sind keine Sachen zum Wegwerfen! Abtreibung ist leider so häufig geworden, daß Bevölkerungsexperten — nicht nur die selbsternannten — meinen, daß sie tatsächlich zu einer neuen Form der Geburtenkontrolle geworden sei. Aber Abtreibung darf nicht mit Geburtenkontrolle verwechselt werden. Geburtenkontrolle verhindert neues Leben von Anfang an — Abtreibung jedoch vernichtet das neue Leben, wenn es bereits begonnen hat. Was ist entscheidungsrelevant? Erstens. Biologisch besteht für mich kein Zweifel, daß von der Zeugung an im Mutterleib eigenständiges Leben besteht. Der Übergang zum Leben findet nicht etwa beim Übergang von der 12. Woche zur 13. Woche oder gar erst bei der Geburt statt, sondern im Zeitpunkt der Befruchtung des Eies. Dies ist die eine zu beachtende Tatsache. Zweitens. Juristisch gesehen hat jeder das Recht auf Leben. Da das ungeborene Kind dieses Recht nicht selbständig geltend machen und durchsetzen kann, ist hier der Staat quasi als Stellvertreter gefordert. Ich weiß, daß das Strafrecht dabei nur die letzte Möglichkeit ist. Aber bei einer Entscheidung über das Leben spielt Strafrecht immer eine unverzichtbare Rolle. Dies ist die andere zu beachtende Tatsache. Drittens. Was wir in den letzten Monaten gelesen haben, besprochen und oft auch heiß debattiert haben, ist die eine Seite. Von all diesen Erörterungen am meist grünen Tisch losgelöst, stehen aber Mutter und Vater wie auch Berater und Ärzte im Fall einer unbeabsichtigten Schwangerschaft vor einer konkreten, höchst persönlichen und höchst sensiblen Entscheidung. Ich weiß, daß manchmal schwere Konflikte bewältigt werden müssen. Dies ist eine weitere zu beachtende Tatsache. Welchen Schluß ziehe ich? Die für meine Entscheidung relevanten Gründe finde ich am ehesten im CDU/CSU-Fraktionsentwurf berücksichtigt. Das ist der Entwurf, der durch einen großen sozial- und familienpolitischen Maßnahmenkatalog — trotz angespannter Haushaltslage — die äußeren Bedingungen verbessert. Das ist der Entwurf, der die Frauen nicht ohne nachhaltige Beratung abtreiben läßt. Das ist der Entwurf, der nur bei Vorliegen wirklich schwerwiegender Gründe, sogenannter Indikationen, vom staatlichen Strafanspruch absieht. Ich halte es für zumutbar, daß eine zum Schwangerschaftsabbruch entschlossene Frau ihre schwerwiegenden Gründe dem Arzt offenlegt, dem sie sich selbst und das Leben ihres ungeborenen Kindes anvertraut. Ich werde also dem „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz des ungeborenen Lebens" in der aktuellen Fassung (Drucksache 12/1178 (neu) — Ausschußfassung Drucksache 12/2875) zustimmen. Dabei will ich nicht verhehlen, daß ich gerade im Bereich der Hilfen im Konfliktfall und in der sozialen Absicherung von Familien mehr Leistungen für besser halte. Unsere Verantwortung endet nicht mit der heutigen Abstimmung. Wir müssen uns ihr auch morgen und übermorgen stellen. Peter Götz (CDU/CSU): In der Bundesrepublik Deutschland werden jährlich 300 000 Kinder und mehr durch Abtreibung getötet: Ein zum Himmel schreiendes Unrecht! Über 1 Million Ehepaare warten teilweise über Jahre darauf, ein Kind adoptieren zu können. Für alle, die sich sehnlichst ein Kind wünschen, ist eine Abtreibung eine unbegreifliche Tat. Bei der Novellierung des § 218 sollten wir nicht verkennen, daß der Staat die Pflicht hat, sich schützend vor alles Leben zu stellen. Deshalb muß er auch dem ungeborenen Kind diesen Rechtsschutz gewähren. Den bestmöglichen Schutz ungeborenen Lebens können wir allerdings nur erreichen, wenn in der Bevölkerung das Bewußtsein für die unbedingte Schutzwürdigkeit des Lebens ungeborener Kinder tiefer verankert wird, als dies derzeit der Fall ist. Deshalb wäre es wünschenswert, wenn in der öffentlichen Diskussion und den politischen Auseinandersetzungen mehr das Bewußtsein verbreitet würde, daß es in der Ehrfurcht vor dem Leben und dem Anspruch jedes Menschen auf staatlichen Schutz seines Lebens im grundsätzlichen keinen qualitativen Unterschied zwischen dem geborenen Leben und dem ungeborenen Leben geben kann. Nur diese Grundüberzeugung sollte die Basis unseres Handelns sein. Der Auftrag des Einigungsvertrages, den Schutz des vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen vor allem durch rechtlich gesicherte Ansprüche für Frauen — insbesondere auf Beratung und soziale Hilfen — besser zu gewährleisten, als dies in beiden Teilen Deutschlands jetzt der Fall ist, ist nicht nur eine Verpflichtung, der wir bis Ende dieses Jahres nachkommen müssen, sondern gleichzeitig auch eine Chance, die bisherige unbefriedigende Regelung zu verbessern. Wir wissen, daß fast 87 Prozent aller gemeldeten Abtreibungen wegen einer Notlage erfolgen, d. h. unsere heutige Indikationsregelung ist de facto vielfach zu einer verschleierten Fristenregelung geworden. Aber: Das Recht auf Leben kennt keine Fristen! Die Einführung einer dreimonatigen Fristenlösung löst die zentrale Frage nicht, warum das ungeborene Leben nach drei Monaten mehr wert ist als vorher. Deshalb muß der Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich von der Rechtsordnung mißbilligt werden. Allerdings dürfen wir das Strafrecht in seiner Bedeutung zum Schutz des ungeborenen Lebens auch nicht überschätzen. Deshalb sollte gelten: Hilfe vor Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8405* Strafe! Wir wissen sehr wohl, daß es schwerwiegende Konfliktlagen gibt, in denen Frauen keinen anderen Ausweg sehen, als einen Schwangerschaftsabbruch. In dieser Situation müssen wir ihnen auch zur Seite stehen. Der Schutz vorgeburtlichen Lebens muß deshalb vorrangig durch verbesserte Rahmenbedingungen für die Entscheidung zum Kind bewirkt werden. Da wir wissen, daß in den alten Bundesländern über 600 000 Kindergartenplätze fehlen und daß Schwangere bei der Wohnungssuche so gut wie keine Chancen haben, ist der Gesetzgeber dringend zum Handeln gezwungen. Der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion trägt dieser Situation Rechnung: Zum Beispiel durch die Festschreibung eines Rechtsanspruchs für einen Kindergartenplatz zwischen dem 3. und dem 6. Lebensjahr sowie durch eine bevorzugte Berücksichtigung bei der Vergabe von Sozialwohnungen. Die von uns vorgeschlagenen Änderungen in den Bestimmungen des 2. Wohnungsbaugesetzes und dem Wohnungsbindungsgesetz sind sehr weitgehende, bevorzugte Hilfestellungen für Schwangere. Gerade die Suche nach einer geeigneten Wohnung stellt für die Familie oder auch für die schwangere Alleinerziehende ein wesentliches Kriterium in der Entscheidungsfindung über einen Schwangerschaftsabbruch dar. Deshalb ist es zu begrüßen, daß wir im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau eine Regelung gefunden haben, wonach schwangere Frauen, die die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer Sozialwohnung erfüllen, bei der Zuweisung einer solchen Wohnung vor anderen Personengruppen absoluten Vorrang erhalten. Es erscheint mir wichtig, die im Fachausschuß einvernehmlich getroffene Regelung in dieser Debatte festzuhalten. Die Entscheidung über den Schutz des ungeborenen Lebens, die wir zu treffen haben und die für die soziale und moralische Verfassung unseres Gemeinwesens von sehr zentraler Bedeutung ist, gehört unter ethischen Gesichtspunkten zu den wesentlichen Fragen unserer Zeit. Trotz unterschiedlicher Auffassungen in einigen Bereichen, sollten wir unsere politischen Prioritäten für die Familie, für das Leben mit Kindern in dieser Gesellschaft setzen und immer wieder einfordern. Ich werde den von der Unionsfraktion eingebrachten Gesetzentwurf unterstützen, weil er die dringend notwendigen Hilfsangebote glaubwürdig festschreibt, auf unserer Verfassung basiert und nach dem Stand der politischen Diskussion die einzige Chance beinhaltet, ohne das Bundesverfassungsgericht anrufen zu müssen, eine Fristenlösung zu verhindern. Wolfgang Gröbel (CDU/CSU): Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sieht im menschlichen Leben das höchste Rechtsgut und gebietet dem Staat in Art. 2 Abs. 2 den Schutz des Lebens, auch des ungeborenen Lebens. Dieser klare Verfassungsauftrag ist eine der wesentlichen ethischen Grundlagen unseres Zusammenlebens. Diesen Verfassungsauftrag ebenso wie den Schutz des ungeborenen Lebens dürfen wir nicht zur Disposition stellen. Bei der Frage zum Leben oder Tod des Kindes im Mutterleib findet auch das Selbstbestimmungsrecht der Frau seine Grenzen, ohne daß dadurch die Würde der Frau verletzt ist. Abtreibung ist Tötung menschlichen Lebens vor der Geburt. Es ist nicht zu verstehen, die Tötung menschlichen Lebens innerhalb einer Frist von beispielsweise zwölf Wochen unter gewissen Bedingungen straffrei zu stellen, aber die Tötung unter denselben Bedingungen ein oder zwei Tage später der Strafbarkeit zu unterziehen. Es ist ein und dasselbe Leben in seiner von Gott geschaffenen Einzigartigkeit vor und nach Ablauf der Frist. Eine Fristenlösung wie auch immer sie ausgestaltet ist könnte, so fürchte ich, auch ein Einstieg dazu sein, den Schutzanspruch anderer Abschnitte des Menschenlebens einzuschränken. Auch deshalb lehne ich eine Fristenlösung ab. Keiner der heute zur Abstimmung vorliegenden Gesetzentwürfe entspricht meiner Grundposition, die sich in der Ansbacher Erklärung der CSU vom 13. Juli 1991 wiederfindet. Trotzdem stimme ich für den Kompromißentwurf der CDU/CSU, weil dieser als einziger der beiden mehrheitsfähigen Entwürfe den Schutz ungeborenen Lebens weitreichend garantiert und zwei vernünftige Indikationenmodelle anbietet. Unabhängig von der heutigen Entscheidung bleibt die Arbeit für mehr Kinder- und Familienfreundlichkeit unserer Gesellschaft eine unserer wichtigsten Aufgaben, nicht nur im materiellen Bereich. Michael Habermann (SPD): Das Bundesverfassungsgericht wird aller Voraussicht nach neue Arbeit bekommen: Sollte der Gruppenantrag eine Mehrheit bekommen, will die Minderheit seine Verfassungsgemäßheit überprüfen lassen. Politik und ihre Ergebnisse stehen in Karlsruhe auf dem Prüfstand. Dies ist aber nicht neu. Die Familienpolitik der Mehrheit in diesem Haus und der Bundesregierung findet gegenwärtig einen ganz großen Teil ihrer Dynamik aus den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes und aus den noch zu erwartenden bzw. befürchteten Wegweisungen der Karlsruher Richter. Auch die unterschiedlichen Entwürfe zur Neuregelung des § 218 StGB wurden mit Blick auf Karlsruhe formuliert. Das Bundesverfassungsgericht hat derzeit größten Einfluß auf die Inhalte und die Ausgestaltung der Rechts-, Finanz- und Sozialpolitik. Nicht nur die strafrechtlichen Regelungen, sondern auch die von uns heute zu beschließenden Hilfen werden sich der Prüfung des Bundesverfassungsgerichts unterziehen müssen: Sind diese Regelungen tauglich und ausreichend, um vorgeburtlich wachsendes Leben besser zu schützen? Die Verfasser des Gruppenantrags haben mit ihrem ernsthaften Bemühen, einerseits vorgeburtlich wachsendes Leben, andererseits auch das Leben von Kindern und deren Eltern zu schützen, einen richtigen Schritt zu einer kinderfreundlichen Gesellschaft gemacht. 8406* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Gleichzeitig wissen wir, daß nicht nur die im Gesetzentwurf geregelten Lebensbereiche, sondern alle Lebensbereiche, die Familien mit Kindern in unserer Gesellschaft vorfinden, von Relevanz sind. Deshalb müssen sich alle wichtigen Lebensbereiche hinsichtlich ihrer Kinderfreundlichkeit hinterfragen lassen. Dies gilt von der Wohnungsnot bis zu den fehlenden Arbeitsplätzen, von ausreichendem Kindergeld bis zur Hilfe für die Ausbildung des Kindes, von der Sicherheit von Kindern im Straßenverkehr bis zu einem Kindergartenplatz für jedes Kind, von einem gerechten Kinderlastenausgleich bis zu einer gerechten Rente im Alter, wenn die Frau Kinder erzogen hat. Die soziale Lage von Familien mit Kindern wird viel zu oft schöngeredet. Das Staatsziel einer familien- und kinderfreundlichen Gesellschaft bedarf in Zukunft weiterer Maßnahmen. Wir haben mit diesem Gesetzentwurf noch keine kinderfreundliche Gesellschaft. Es bedurfte der Diskussion über den § 218, um eine Verbesserung der Lebensbedingungen von Kindern und ihren Familien erneut zur Diskussion zu stellen. Seien wir doch ehrlich: Ohne die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes zum Kinderlastenausgleich und ohne den Zwang zur Neuregelung des § 218 StGB hätten wir Familienpolitiker in der Auseinandersetzung mit den Finanzpolitikern schlechte Karten. Trotzdem: Alles, aber auch alles, was wir für Familien tun wollen, stand und steht unter dem Finanzierungsvorbehalt. Es drängt sich für Familien in Deutschland der Eindruck auf, daß unsere Solidarität mit ihnen in Reden beginnt und mit diesen Reden auch endet. Auch unsere Solidarität mit Kindern droht zu einer Geldfrage zu verkümmern. In welcher materiellen Situation leben werdende Eltern in diesem Deutschland? Eine Antwort auf diese Frage gibt das Erziehungsgeld. Das Erziehungsgeld ist zum Gradmesser der schleichenden Verarmung von Familien geworden. Über 80 % bekamen 1989 das Erziehungsgeld nach einem halben Jahr ungekürzt weiter, obwohl die seit 1986 unveränderten Einkommensgrenzen heute in der Nähe der Sozialhilfe liegen. Das Existenzminimum für ein Kind wird von dieser Bundesregierung so berechnet, daß es unterhalb der zu gewährenden Sozialhilfe für das Kind liegt. Der Familienbund der Deutschen Katholiken hat dies in seiner Verbandszeitschrift „Stimme der Familie" im Juni dieses Jahres eindrucksvoll belegt. Bisher werden Leistungen für Familien weitestgehend von diesen selber finanziert. 20 DM mehr Kindergeld müssen mit einer Mehrwertsteuererhöhung von Familien bezahlt werden, weil — so die Familienministerin Rönsch zu Beginn des Jahres — das Kindergeld solide finanziert sein will. So greift die Politik zunächst den Familien in die Tasche, um dann ihre Wohltaten an diese zu verteilen. Das ist ein Insich-Transfer, der uns von Finanzwissenschaftlern in Mark und Pfennig nachgewiesen wird. Jüngste Anhörungen haben dies erneut bestätigt. Über eine Million Mark an Kosten und Einkommensverlust muß eine Familie mit zwei Kindern gegenüber einem kinderlos bleibenden Paar hinnehmen. Kinderkosten sind privatisiert. Der Ertrag dieser Kinder wird sozialisiert. Jedermanns Kinder ernähren jedermanns Eltern. Das Bundesverfassungsgericht muß deshalb derzeit entscheiden, ob eine Mutter von sechs Kindern mit 300 DM Rente auskommen muß, während ihre Kinder Rentenbeiträge von monatlich über 6 000 DM zahlen. Das sind die Realitäten, wenn sich Eltern in einer sozial schwierigen Lage für ein Kind entschließen sollen. Kinder haben wird zum Luxus in unserer Gesellschaft. Familien mit Kindern finden sich deshalb immer häufiger an der Grenze oder hinter der Grenze zur Armut. Kinderlose dagegen gehören immer mehr zu den materiellen Gewinnern unseres Systems. Wir brauchen deshalb zukünftig einen neu organisierten Lastenausgleich, der die Lasten zwischen Kinderlosen und Familien mit Kindern gerecht aufteilt. Kinderlose müssen sich an der Finanzierung der Kosten nachvollziehbar und spürbar beteiligen. Eine kinderfreundliche Gesellschaft, so wie sie die meisten Gesetzentwürfe zum Ziel haben, lebt gerade von der Solidarität aller mit diesen Kindern und ihren Eltern. In den Mittelpunkt rückt in den nächsten Wochen das Bundesverfassungsgericht. Die heute unterlegenen Parlamentarier werden das Verfassungsgericht anrufen in der Hoffnung, daß der Zweite Senat die Verfassungswidrigkeit des Mehrheitsentwurfs feststellt. Das Verfassungsgericht wird abzuwägen haben, ob die im Gesetz aufgeführten Hilfen ausreichend sind, um vorgeburtlich werdendes Leben besser zu schützen, als es die derzeitigen Regelungen können. Hoffen Sie von der CDU/CSU in diesem Falle, daß das Verfassungsgericht Ihrer Argumentation folgt, so fürchten Sie andererseits die ausstehenden Entscheidungen des Verfassungsgerichtes über anhängige Klagen zum Grundfreibetrag, zu Rentenanwartschaften durch Kindererziehung und zum Kinderlastenausgleich. Hier gibt es einen Zusammenhang: Beim Verfassungsgericht treffen sich jetzt sowohl die Hoffnungen als auch die Befürchtungen der meisten Parlamentarier von CDU und CSU. Diese Nahtstelle läßt auch einen Blick auf die familienpolitische Redlichkeit dieser Bundesregierung zu. Tatsächliche Hilfe gäbe sie den Familien, den Frauen und den Kindern, wenn diese Verfassungsklagen der Männer und Frauen nicht mehr nötig wären, wenn es also nicht mehr nötig wäre, daß Ihre Familienpolitik auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft wird. Wir sind noch weit entfernt von einer kinderfreundlichen Gesellschaft. Aber wir haben uns auch auf den Weg dorthin gemacht. Dies gibt Zuversicht und ermutigt. Noch muß es einen Familienpolitiker wie mich nachdenklich stimmen, wenn in der Auseinandersetzung über die notwendigen finanziellen Prioritäten in der Politik unseres Landes erst die Urteile des Verfassungsgerichts einer verfassungsgemäßen Politik für Familien die Tür öffnen. So besehen stehen wir mit den sozialen Maßnahmen in unseren Gesetzentwürfen erst am Beginn einer Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8407* Entwicklung, die das Leben von Kindern und ihren Eltern unterstützen soll. Den allergrößten Teil des Weges einer Gleichstellung zwischen Kinderlosen und Familien haben wir aber noch vor uns. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam, zügig und zielstrebig zurücklegen! Das ist der beste Schutz für vorgeburtlich wachsendes Leben und für Familien, die mit Kindern zusammenleben. Gerlinde Hämmerle (SPD): In einem von den vielen, zum Teil mit unsäglichen Zumutungen versehenen Briefen, die ich in den letzten Wochen zur Diskussion um den § 218 erhalten habe, stand der Satz „Der Schwangerschaftsabbruch eignet sich nicht für die Selbstverwirklichung der Frau". Leider kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß das Frauenverständnis, das hinter dieser skandalösen Aussage steht, auch noch in den Köpfen vieler und insbesondere der Manner herumspukt, wobei ich der Ansicht bin, daß dieses so heikle Thema gerade von Männern eigentlich nur mit aller Zurückhaltung diskutiert werden kann. In meiner eigenen Fraktion habe ich hier wohltuende Erfahrungen gemacht. Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten sehr intensiv über die Lösung des Schwangerschaftskonflikts diskutiert, und ich bin froh, daß wir heute im Deutschen Bundestag diese Debatte führen können und eine Entscheidung zu treffen haben, zu der uns ja der deutsch-deutsche Einigungsvertrag verpflichtet hat. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf aufmerksam machen, daß es heute um eine „gesamtdeutsche" Lösung und nicht um eine Novellierung der bundesdeutschen Indikationenregelung geht. Leider sehe ich aber die Gefahr, daß ein Teil dieses Hauses genau diese Möglichkeit heute nutzen will. Sie sehen endlich die Möglichkeit, die 1976 auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts geschaffene und ihnen damals schon viel zu liberale Indikationslösung durch eine strengere Regelung im Strafgesetzbuch zu ersetzen. Die Frauen in den neuen Bundesländern bestehen aber zu Recht auf ihrer bis dato liberalen Regelung, die die Eigenverantwortung der Frau in den Mittelpunkt stellt. Die Frauen in den alten Bundesländern, die Memmingen erlebt haben, fordern zu Recht eine Regelung, die solche Gerichtsverfahren unmöglich macht. Mit dem heute hier vorliegenden Gruppenantrag wollen wir das Prinzip der Eigenverantwortung und den Grundsatz „Hilfe statt Strafe" für Frauen in einem Schwangerschaftskonflikt verwirklichen. Grundsätzlich bleibt festzuhalten: Der Schutz des ungeborenen Lebens muß uns gleich wichtig wie der Schutz des Lebens allgemein sein. Das Problem des Schwangerschaftsabbruchs eignet sich am allerwenigsten für das Durchsetzen von weltanschaulichen Fundamentalpositionen. Im Mittelpunkt allen Bemühens um eine Lösung muß die Frau und ihre Situation stehen. Deshalb ist Hilfe allemal besser als Strafe. Holland hat mit seiner anerkannt liberalen Regelung die niedrigste Rate an Schwangerschaftsabbrüchen. Und auch in unserem Land ist durch den alten § 218 in den vergangenen hundert Jahren kein Schwangerschaftsabbruch verhindert worden. Ich trage diesen Antrag mit voller Überzeugung mit, weil ich auf dem Hintergrund meiner Erfahrung als Schulleiterin an einer Berufsschule, gerade mit sehr jungen Frauen, weiß, daß ein Schwangerschaftskonflikt nicht mit den Mitteln des Strafrechts geregelt werden kann. Deshalb müssen wir jetzt die Rahmenbedingungen schaffen, die den Frauen ihre Entscheidung erleichtern, die ihnen eine persönliche Perspektive mit dem Kind bieten, die verhindern, daß ein Kind persönliches und berufliches Abseits bedeuten kann. Wir haben mit dem vorliegenden Gruppenantrag die Chance, Frauen in einem Schwangerschaftskonflikt echte Hilfe zu schaffen, ohne daß eine Überprüfung ihrer moralischen Integrität stattfindet, daß sie selbst ohne Druck entscheiden können, daß die Entscheidung erleichtert wird und sie sich für das Kind entscheiden können. Wir, die wir heute darüber zu entscheiden haben, sollten diese Chance nutzen. Dr. Renate Hellwig (CDU/CSU): Ich werde erst für den Mehrheitsantrag der CDU/CSU stimmen, allerdings unter der Voraussetzung, daß — wie im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht auszuschließen — die jetzt noch im Gesetzestext verankerte Dokumentationspflicht über das Gespräch zwischen Arzt und Frau entfällt. Sollte der CDU/CSU-Antrag, über den als vorletzten abgestimmt wird, nicht die Mehrheit erhalten, werde ich für den überparteilichen Gruppenantrag stimmen, der eine Fristenregelung, verbunden mit einer Beratungspflicht für die Frau, vorsieht. Ich war als Staatssekretärin für Soziales in Rheinland-Pfalz fünf Jahre lang für die Schwangerenberatungsstellen zuständig. Vierteljährlich waren die Beratungsstellen bei mir im Ministerium zum Erfahrungsaustausch eingeladen, und zwar kirchliche ebenso wie kommunale und pro familia. Hier kamen die Konfliktsituationen, in denen eine Schwangere steht, deren näheres Umfeld (Ehepartner oder Freund, Eltern, Verwandte, sonstige Freunde) sie mit dem Problem der unerwarteten Schwangerschaft allein läßt, sehr konkret und sehr deutlich zur Sprache. Dieses Verlassensein von den Nahestehenden ist die eigentliche Hauptursache aller psycho-sozialen Notlagen. Circa ein Drittel der Abtreibungen werden in Familien vorgenommen, und zwar dann, wenn das unerwartete Dritt-, Viert- oder Fünftkind als nicht mehr verkraftbar angesehen wird. Wer den Schutz ungeborener Kinder verbessern will, muß an zwei Bereichen ansetzen: 1. Die Aufklärung über Schwangerschaftsverhütung ist immer noch unzulänglich; deswegen befürworte ich auch die Pille auf Krankenschein. 2. Der Mut der Schwangeren zum Kind muß gestärkt werden. Der moralische Appell in allen nur möglichen Privatgesprächen ist von großer Bedeutung. Daneben bedarf es aber auch der konkreten Hilfe. Dies kann nicht immer nur eine Angelegenheit des Staates sein. Wo sind die Kirchenverwaltungen, die demonstrativ Mütter mit uneheli- 8408* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 chen Kindern einstellen? Welche Industrievereinigung, welcher Lyons-Club nimmt Kontakt mit den Schwangerenberatungsstellen auf, um im Falle von Berufsproblemen zu helfen? Und zur „Familienabtreibung": Diskutieren wir in Freundeskreisen offen die Frage, was wichtiger ist: der Konsumwettlauf mit der Nachbarfamilie oder das dritte Kind nicht abzutreiben? Strafprozesse à la Memmingen fördern nicht das Ja zum Leben, sondern lenken uns nur ab von der moralischen Anstrengung, die wir auf diesem Feld leisten müssen. Deswegen akzeptiere ich zwar den Appell im CDU/CSU-Mehrheitsentwurf an Arzt und Frau, sich über die Frage, ob eine psycho-soziale Notlage vorliegt, Gedanken zu machen. Diese gemeinsame Abwägung jedoch später von einem Gericht überprüfen zu lassen, lehne ich ab. Wie sollte sich ein Richter anmaßen, Monate danach diese psycho-soziale Notlage stellvertretend für Frau und Arzt außer Kraft zu setzen? Heinz-Adolf Hörsken (CDU/CSU): Das Recht auf Leben ist ein fundamentales Menschenrecht, wie es in unserem Grundgesetz festgeschrieben ist. Das menschliche Leben ist ein Geschenk Gottes, und wir nehmen es dankbar an. Wir sind immer wieder aufgerufen, es zu schützen und mit allen unseren Kräften zu fördern. Das ungeborene Kind ist menschliches Leben von Anfang an. Es hat uneingeschränkt ein Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit. Für das im Grundgesetz Art. 2 Abs. 2 gewährleistete Recht auf Leben sind ungeborenes und geborenes menschliches Leben gleichwertig. Und deshalb dürfen wir dieses Menschenrecht den Kleinsten, den Schwächsten, den ungeborenen Kindern nicht versagen. Ich weiß, daß gegen den Willen der Mutter das ungeborene Kind nicht geboren wird. Das Recht der Schwangeren auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG ist unbestritten. Selbstbestimmung stößt an ihre Grenzen, wenn das Lebensrecht anderer behindert wird. Lebensrecht ist ganz klar das höherwertige Gut, und deswegen hat der Lebensschutz des ungeborenen Kindes Vorrang. Selbstbestimmung hat Leben zur Bedingung. Uneingeschränkte Selbstbestimmung der Frau bedeutet für das ungeborene Kind schrankenlose Fremdbestimmung. Niemand in unserer Gesellschaft wird sich anmaßen, über die Existenzberechtigung eines Alten, Kranken oder Behinderten zu urteilen. Warum tun sich viele so schwer damit, die gleiche Haltung gegenüber dem ungeborenen Kind einzunehmen? Wir müssen noch vieles tun, um unsere Gesellschaft kinderfreundlicher zu gestalten. Vieles liegt noch im argen; denn wir brauchen eine Gesellschaft, wo sich Kindererziehung und Berufsleben vereinbaren lassen. Das Ziel, eine kinderfreundliche Gesellschaft aufzubauen, erreicht man nicht durch Abtreibungen. Jeder Schwangerschaftsabbruch bedeutet Tötung menschlichen Lebens und ist daher grundsätzlich Unrecht. Weil das ungeborene Kind sein Recht auf Leben nicht selbst verteidigen kann, ist es erforderlich, daß im Strafrecht das Lebensrecht des ungeborenen Kindes voll geschützt wird. Der Staat ist verpflichtet, menschliches Leben, auch das vorgeburtliche menschliche Leben, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu schützen. Der Unrechtscharakter eines Schwangerschaftsabbruchs muß in der Rechtsordnung deutlich werden. Unser ganzes Bemühen muß darauf gerichtet sein, die betroffenen Mütter und Väter zu bewegen, aus ihrem Gewissen und aus Verantwortung die Entscheidung für das Leben zu treffen. Im Interesse des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes des ungeborenen Kindes muß die Lebenssituation der Familie bzw. der ledigen Mutter nachhaltig verbessert werden. Jede Regelung des Schwangerschaftsabbruchs, die allein vom Selbstbestimmungsrecht der Mutter ausgeht und nur eine formale Beratung voraussetzt, liegt nicht im Interesse der schwangeren Frau. Eine solche Regelung setzt nämlich die Frau schutzlos ihrer Umwelt aus, wenn diese zum Schwangerschaftsabbruch drängt. Der strafbewehrte Schutz des ungeborenen Kindes und eine Beratung, die auch das Lebensrecht des ungeborenen Kindes im Auge hat, schützen die Frau vor gesellschaftlichem Druck. Sie schaffen ihr erst die Freiräume, die sie für eine verantwortliche Entscheidung braucht. Heute geht es in dieser Debatte um das Ringen um den besten und hilfreichsten Weg, ungeborenes Leben für die gesamte Bundesrepublik Deutschland besser zu schützen. Dies kann nach meiner Überzeugung nicht durch eine Fristenlösung gewährleistet werden. Dr. Paul Hoffacker (CDU/CSU): Jeder Schwangerschaftsabbruch bedeutet die Tötung eines ungeborenen menschlichen Lebens. Da ich die Tötung ungeborenen menschlichen Lebens grundsätzlich nicht akzeptieren kann, könnte ich — mit Blick auf die strafrechtlichen Regelungen — keinem der hier vorgelegten Gesetzentwürfe meine Stimme geben, wenn ich ausschließlich meiner Grundüberzeugung folgen würde. Der Entwurf der Gruppe Werner kommt meiner Grundüberzeugung am nächsten: Ich werde diesem Entwurf daher meine Stimme geben. Bei realistischer Einschätzung der Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag wird dieser Entwurf allerdings nicht die Mehrheit der Stimmen bekommen. Somit habe ich mir die Frage zu stellen, wie denn das Schlimmste — nämlich eine Fristenregelung — verhindert werden kann. Ich werde daher auch dem gemeinsamen Entwurf der CDU/CSUBundestagsfraktion meine Stimme geben, weil dieser Entwurf die einzige politische Möglichkeit ist, eine Fristenregelung überhaupt zu verhindern. Damit verbinde ich die Hoffnung, daß der Entwurf der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten wird. Dr. Uwe Holtz (SPD): Meines Erachtens muß es Ziel sein, Lebensverhältnisse einschließlich einer kinder-und familienfreundlichen Gesellschaft zu schaffen, in denen Frauen sich nicht zum Schwangerschaftsabbruch gezwungen sehen. Im November 1991 hatte der Sonderausschuß zum Schutz des ungeborenen Lebens des Deutschen Bun- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8409* destages über 50 Sachverständige zu einer Anhörung eingeladen. Ich selbst habe bereits in den 70er Jahren zahlreiche Diskussionen und in den letzten Wochen wieder viele Zuschriften zu dem Thema erhalten. Nach Ansicht von Ärzten, Juristen sowie Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, die sich anläßlich der Anhörung äußerten, und nach Ansicht derer, die sich an mich gewandt haben, schält sich — abgesehen von der Auffassung, daß jede Abtreibung Mord ist — für mich dreierlei heraus. 1. Das Strafrecht ist nicht geeignet, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zu senken. 2. Überhaupt läßt sich dieses Problem individueller moralischer Verantwortlichkeit wohl kaum durch irgendwelche Rechtssetzungen befriedigend lösen. 3. Die Entscheidung der Betroffenen muß stärker als bisher in den alten Bundesländern üblich respektiert werden. Durch den Einigungsvertrag vom vergangenen Jahr ist der Gesetzgeber, also insbesondere der Bundestag, gehalten, bis Ende 1992 eine einheitliche gesamtdeutsche Regelung zu den Fragen des Schwangerschaftsabbruches zu verabschieden. Damit soll das derzeit bestehende unterschiedliche Recht — in der alten Bundesrepublik die Indikationsregelung, in Ostdeutschland die Fristenregelung — beendet werden. Dabei geht es, wie ein Blick in die unterschiedlichen Gesetzesentwürfe erhellt, keineswegs allein um den § 218. In den Gesetzentwürfen ist der § 218 vielmehr nur ein Teil des Entwurfes, während sich eine ganze Anzahl weiterer Artikel mit umfangreichen sozialen Hilfen für Familien und Alleinerziehende befassen. Dies halte auch ich für ganz wichtig, weil leider oft der Eindruck vorhanden ist, als ob alles von der Ausgestaltung des Strafrechts abhinge. Nach vielen Diskussionen auf politischer Ebene und auch im Rahmen der evangelischen Kirche, der ich angehöre, habe ich mich bereits in den 70er Jahren entschlossen, trotz großer Bedenken einer Regelung zuzustimmen, die die Frau nicht länger kriminalisiert. Durch die Erfahrungen in der alten DDR sowie in anderen Ländern Europas, aber auch durch die zur Zeit stattfindende Diskussion in der Bundesrepublik und durch die oben geschilderte Anhörung fühle ich mich zu folgender Position ermuntert: — Von einer Strafbarkeit der Abtreibung ist in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft abzusehen. — Es gilt, ein besseres soziales, kinder- und familienfreundliches Umfeld zu schaffen. — Aufklärung und Informationen sind zu verstärken. Ich werde jenen Gesetzentwürfen zustimmen, die meinen Vorstellungen am nächsten kommen; dies sind der SPD-Antrag und der auch von mir unterzeichnete Gruppenantrag. Siegfried Hornung (CDU/CSU): Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das unterstreicht auch die christliche Werteordnung. Doch selbst unabhängig vom jeweiligen Glaubensbekenntnis ist dies die einzige Grundlage menschlichen Daseins. In einer Demokratie haben die gewählten Vertreter deshalb für den Schutz jeglichen Lebens und für das unantastbare Recht auf Leben — ob ungeboren oder geboren — eine besonders hohe Verantwortung. Wenn nun der „Zeitgeist" einen Unterschied — wie im sogenannten Gruppenantrag — zwischen der Würde des Menschen und der Würde der Frau macht und die Würde der Frau über alles erhebt, dann beginnt die Dekadenz eines Volkes. In der ehemaligen DDR sind nach den öffentlich zugänglichen Zahlen im vergangenen Jahr von je zehn geborenen Kindern vier Kinder abgetrieben worden, d. h. mehr als jedes dritte Kind ist vor seiner Geburt getötet worden. 1982 wurden dort fast genauso viele Kinder im Mutterleib getötet, wie geboren wurden. Auch im Westen wurde nach den letzten Zahlen jedes zehnte Kind vor seiner Geburt getötet, wobei hier noch von einer erheblichen „Dunkelziffer" zusätzlich auszugehen ist. Die genannten Zahlen werden jedoch nicht ermittelt, obwohl, gemessen am Strafrecht — Körperverletzung, Totschlag oder gar Mord —, dies möglich wäre, da ja die Krankenversicherungen alles bezahlen. Gemessen an diesen Tatsachen zeigt sich die doppelte Moral, wenn wie gestern im Deutschen Bundestag wegen der möglichen Lieferung von Frachtschiffen an China die Menschenrechte zitiert und das Massaker vor drei Jahren an chinesischen Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens zum Maßstab von Handelsbeziehungen — aus meiner Sicht durchaus zu Recht — gemacht wird, bei uns aber jährlich Hunderttausende Kinder vor ihrer Geburt getötet werden. Ich weiß, daß das Strafrecht alleine nicht das geeignete Instrument zur Verhinderung der Abtreibung ist. Deshalb stehen die Hilfen für Familien auch im Vordergrund der CDU-Politik. Ich möchte hier auf das bisher Erreichte verweisen, das künftig noch zu verbessern ist. Wenn aber das Strafrecht — wie von der Antragstellerin der Fristenregelung vorgetragen — ausgedient hat, dann frage ich mich, warum wir überhaupt noch Gesetze machen, wozu überhaupt ein Strafrecht, wie es beim Tierschutz, beim Artenschutz, beim Eigentumsdelikt, im Straßenverkehr usw. existiert. Oder sind das die höheren Rechtsgüter? Unser Leben, der Alltag und — als Abgeordneter weiß ich dies ganz besonders — gerade auch die Demokratie erfordern immer wieder Kompromisse. In einem Bereich allerdings gibt es keinen Kompromiß, nämlich beim Recht auf Leben, vor allem dort, wo sich die Betroffenen — die Ungeborenen — dieses Recht nicht erstreiten können oder gar — was Grundlage unserer Demokratie ist — zur Wahl gehen können. Wie würden sie wohl wählen? Der Antrag der Gruppe Werner, Drucksache 12/1179, kommt dem Schutz des ungeborenen Lebens auch nach rechtsstaatlichen Möglichkeiten am nächsten und entspricht meiner christlichen Werteordnung 8410* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 am meisten. Deshalb werde ich diesem Gesetzesentwurf, den ich auch mitgestaltet habe, zustimmen. Wenn sich im Verlauf der Abstimmungen herausstellen sollte, daß die Fristenlösung zum Gesetz werden sollte, dann werde ich trotz größter Bedenken den CDU/CSU-Antrag, Drucksache 12/1178 (neu), unterstützen. Mit einigen Redebeiträgen ist eine eisige Kälte in dieses Haus eingezogen. Egoismus wird mit Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung verwechselt. Wir erleben das heute jeden Tag bei der Bewältigung der deutschen Einheit. Materielles Denken steht im Vordergrund. Anstatt zu führen und Vorbild zu sein, laufen viele Abgeordnete den Umfragen hinterher. Insofern dienen wir nicht, sondern wir drücken uns vor der Verantwortung. Gabriele Iwersen (SPD): Lassen Sie mich den vielen Argumenten und Stellungnahmen über Rechte und Pflichten des Staates, der Gesellschaft und der eigentlich betroffenen schwangeren Frauen noch einen Gesichtspunkt hinzufügen. Es geht um die Verantwortung der Frauen in einer Welt, in der die Achtung vor dem Leben oft einen geringeren Stellenwert hat als der Kampf um nationale, nationalistische und wirtschaftliche Interessen. Opfer von Bürger- und Glaubenskriegen, von Hungersnot, Seuchen und Umweltgefahren sind mehr und mehr auch Kinder. Es genügt nicht mehr, einem Kind das Leben und seine Liebe zu schenken. Nein, Frauen, die Verantwortung für das von ihnen geborene Leben übernehmen sollen mit allen Konsequenzen für eine qualifizierte Überlebenschance des Neugeborenen, müssen auch das Recht haben, abzuwägen, ob sie diese Chance überhaupt erkennen können. Diesen Abwägungsprozeß aber kann niemand stellvertretend für die Schwangere vornehmen, und dabei spielen auch 1 000 DM als Hilfe während der Schwangerschaft keine Rolle. Das Wachstum der Weltbevölkerung hat ein Maß angenommen, das die Lebenschance von Millionen von Kindern nicht mehr garantiert. Hunger und Elend treiben die Menschen in Staaten, in denen sie hoffen, überleben zu können. Auch in Deutschland suchen jährlich Tausende Zuflucht, aber leider werden häufig weder sie noch ihre Kinder mit offenen Armen aufgenommen. Während große Teile der Bevölkerung, Parlamente und Verwaltungen sich den Kopf zerbrechen, wie sie die ungebetenen Gäste wieder loswerden können, wird in diesem Haus von vielen die Würde und das Recht des ungeborenen Lebens an erste Stelle gesetzt. So wird sehr viel Energie für den Kampf um das vorgeburtliche Leben aufgewendet. Es sind jedoch die geborenen Kinder, die zuallererst auf unsere Hilfe angewiesen sind, auch wenn sie keine deutsche Staatsangehörigkeit haben. Deutsche Gesetze gelten für jeden, der in unserem Land lebt, auch wenn es nur vorübergehend ist. Dies bezieht sich natürlich auch auf den § 218, der die Frau nach meiner Ansicht in ihrer Eigenverantwortlichkeit schützen soll. Geben Sie, meine Damen und Herren, den Frauen in unserem Land die Chance, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen, und zwingen Sie niemanden, ein Kind in eine Gesellschaft hineinzugebären, die keineswegs immer imstande ist, das Leben der Kinder dieser Welt zu schützen und erträglich — menschenwürdig — zu gestalten. Geben Sie Ihre Stimme der Fristenlösung und damit dem Gruppenantrag, der von einem hohen Maß an Verantwortungsethik getragen ist, und geben Sie denjenigen, die trotz allem den Mut haben, Kindern das Leben zu schenken, sie in dieser Welt zu erziehen und ihren Lebensraum über viele Jahre hinweg zu schützen und zu verteidigen, geben Sie diesen Frauen, diesen Familien wirksame Hilfen, damit die neue Generation ein menschenwürdiges Leben führen kann. Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): An so einem Tag wie heute möchte ich am liebsten nur eine Stimme abgeben, nämlich die für die ersatzlose Streichung des § 218. Mehr als 20 Jahre kämpfe ich mit der westdeutschen Frauenbewegung für diese Forderung, für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen, für ihr alleiniges Entscheidungsrecht, ein Kind zu gebären oder auch nicht. Nach 20 Jahren Kampf gegen Strafe und Entwürdigung der Frauen stehen wir heute vor einer traurigen Bilanz. Seit mehr als einem Jahr werden wir Frauen von sogenannten Lebensschützerinnen und Lebensschützern und ihren Organisationen, von sogenannten Christen und Reaktionären und nicht zuletzt von dieser erlauchten männlichen Dominanz der Abgeordneten in diesem Hause belehrt und bevormundet, daß es ohne Strafandrohung und Verfolgung bei der Entscheidung eines Schwangerschaftsabbruchs nicht gehen soll. Mit Hetzschriften und Flugblättern, Gummiembryonen und superteuren Glanzpamphleten mit widerlichen zerstückelten Leibesfrüchten treten diese Leute an, um den Frauen den Kampf anzusagen. Als Mörderinnen müssen wir uns beschimpfen lassen, von Leuten, denen für die patriarchalische Vormundschaft der Frauen kein Weg zu weit und keine Kosten zu hoch sind, die aber, wenn es um Rüstung und Krieg geht, nicht einen Bruchteil dieser Aktivitäten gezeigt haben. Die Doppelmoral dieser Leute, die vorgeben, sich für den Schutz des Lebens einzusetzen, wird uns hier im Bundestag immer wieder vorgeführt. Wo sind dieselben Leute, wenn es um den Völkermord am kurdischen Volk durch die türkischen Sicherheitskräfte ging, wo waren sie, als das Waffenembargo gegen die türkische Regierung von der Bundesregierung wieder aufgehoben wurde? Wo waren sie, bei der unmenschlichen Gesetzgebung gegen ausländische Menschen, die wegen Verfolgung und/oder wirtschaftlicher Not in unserem Land Asyl begehren? Und wo bleiben ihre Aufschreie gegen die deutsche Rüstungsindustrie und die Bundesregierung, wenn es darum geht, an fast jedem Krieg kräftig mitzuverdienen? Es gäbe viele weitere Beispiele für diese Politik der Doppelmoral aus diesem Parlament. Heute wird wieder einmal in diesem Hohen Hause ein Stück Geschichte um den § 218 festgeschrieben, die den über 100 Jahre andauernden Kampf gegen den § 218 nicht beenden wird. Klar ist von den Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8411* Mehrheitsverhältnissen: Der § 218 bleibt im Strafgesetzbuch, offen ist nur noch, zu welchem Zeitpunkt die Strafbarkeit bzw. Verfolgung von Frauen möglich wird. Auch der Gruppenantrag mit seiner Notlagenindikation und Zwangsberatung zwingt uns dazu, weiter zu simulieren und zu lügen. Mit dieser Notlagenindikation bleiben Frauen Bittstellerinnen und bevormundet. Sie werden weiterhin verunsichert und eingeschüchtert, denn die Notlage wird in unserer Gesellschaft immer noch stigmatisiert. Nur das anerkannte Selbstbestimmungsrecht der Frauen kann zu einer freien Entscheidung beitragen. Mit dem heutigen Tage wird auch eine weitere Errungenschaft der DDR zu Grabe getragen, denn immerhin hatten die Ost-Frauen innerhalb der ersten zwölf Wochen die alleinige Entscheidungsfreiheit. Die Politik des Westens wird so oder so auch hier ihre weiteren Erfolge auf Kosten der Frauen feiern. Klar ist für mich, daß meine Jastimme den Anträgen für die ersatzlose Streichung des § 218 gehört. Da heute bei der letztlich entscheidenen Abstimmung zwischen einem größeren und einem kleineren Übel entschieden wird, werde ich meine Stimme nicht verschenken, sondern sie gegen die Indikationsregelung einsetzen. Die CDU-Indikationsregelung wurde gegenüber der bestehenden noch verschärft; sie treibt die Frauen zurück in eine Zeit, wo Engelmacherinnen und Engelmacher Hochkonjunktur hatten. Ich erinnere mich nur zu gut an die Zeit, als 16jähriges Mädchen, das vergewaltigt wurde. Ich mußte ein Kind austragen, gab es doch nur die Adoption als Schwangerschaftskonfliktlösung. Es ist, so glaube ich, mit das Unwürdigste, wozu eine Frau gezwungen werden kann. Der Kampf gegen diesen unmenschlichen und frauenfeindlichen § 218 wird weitergehen! Dr. Dionys Jobst (CDU/CSU): Die Entscheidung über den Schutz des ungeborenen Lebens stellt uns alle in eine hohe Verantwortung. Es gibt Dinge, die bei allem Bemühen, einen Ausgleich zu finden, nicht kompromißfähig sind. Zwischen Leben-lassen und Nicht-leben-lassen gibt es keinen Kompromiß. Beim ungeborenen Leben handelt es sich um Leben; es ist ein Mensch. Kein ernsthafter Wissenschaftler sagt, dies sei kein Kind. Von der achten Schwangerschaftswoche an hat das Kind im Mutterleib Schmerzempfinden. Das Grundgesetz bestimmt an vorderster Stelle die Unantastbarkeit der Würde des Menschen — dazu zählt zweifelsfrei sein Lebensrecht —, und es verpflichtet alle staatliche Gewalt zu dessen Schutz. Die unantastbare Würde des Menschen ist ein unverzichtbarer Baustein der Gesellschaft. Dieses Grund- und Menschenrecht ist jedem Menschen auch vor seiner Geburt von Natur aus eigen. Es ist nicht vom Staat verliehen und kann damit auch nicht von ihm entzogen werden. Der Schutz des menschlichen Lebens ist unteilbar. Jede Regelung, die das Leben zur Disposition stellt, ist mit der staatlichen Schutzpflicht nicht vereinbar und damit verfassungswidrig. Eine Fristenlösung ist das Gegenteil von Lebensschutz. Man kann nicht für die Erhaltung des Lebens sein und zugleich für die Tötung. Fristenlösung bedeutet Erlaubnis zum Töten. Ein so schwerwiegender Eingriff ist jedoch nur in einer besonderen Ausnahmesituation zulässig. Mit meinen mündlichen Anfragen im Deutschen Bundestag am 18. Juli 1971 bin ich der Forderung einer Gruppe von Frauen in einer deutschen Illustrierten entgegengetreten: „Der Bauch gehört mir". Diese Haltung bedeutet keine Entmündigung der Frau. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau hat aber seine Grenze, wenn es um ein anderes Leben geht. Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes hat Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Jedes Selbstbestimmungsrecht setzt auch Verantwortung voraus. Ohne Bereitschaft zur Verantwortung für sich und andere führt der Anspruch auf Selbstbestimmung zur Selbstsucht mit der Folge, daß auch vor der Tötung wehrloser ungeborener Kinder nicht haltgemacht wird. Verantwortungsvolle Selbstbestimmung besteht für Mann und Frau gleichermaßen darin, eine ungewollte Schwangerschaft von vornherein zu verhindern, anstatt sie dann abzubrechen. Gerade in Deutschland als einem reichen Land kann grundsätzlich das Argument nicht zählen, daß aus sozialen Gründen abgetrieben werden muß. Wenn in Deutschland über 85 % aller Schwangerschaftsabbrüche angeblich auf Grund einer sozialen Indikation vorgenommen werden, dann drängt sich die Frage auf, ob nicht von einem Mißbrauch der Indikationsregelung gesprochen werden muß. Ein Volk, das für den Umweltschutz Milliarden investiert und in diesem Bereich eine Spitzenstellung in der Welt errungen hat, wird unglaubwürdig, wenn es in der Frage der höchsten Form des Umweltschutzes, nämlich beim Schutz des Menschen, nicht eindeutig Position bezieht. Wer das Leben von Tieren und Pflanzen höher setzt als das Leben eines Menschen, verstößt nicht nur gegen christliche Maximen, sondern stellt die Basis unserer Zivilisation in Frage. Die Strafbarkeit einer unzulässigen Abtreibung ist nicht der entscheidende Punkt. Die Strafe richtet sich in erster Linie gegen die Ärzte. Entscheidend ist das Bewußtsein in unserer Gesellschaft darüber, um was es bei der Leibesfrucht geht, nämlich, daß es um Leben geht. Wir sind gefordert, für Wahrheit und Recht einzutreten. Es müßte doch jeden alarmieren, wenn Fristen für das Leben gesetzt werden. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, daß eines Tages das Bewußtsein für das Leben noch mehr schwindet und auch am Ende des Lebens Fristen gesetzt werden. Der Staat und die Gesellschaft haben die Aufgabe, in bedrängten Situationen, die es sicherlich gibt, zu helfen. Ungeborenes Leben kann und muß zuallererst durch eine kinderfreundliche Gesellschaft geschützt werden. Deshalb ist es eine der vornehmsten Aufgaben der Politik, durch Gesetzgebung und durch andere Maßnahmen familienfreundliche Verhältnisse zu schaffen. Die Bundesregierung Kohl hat für die Familien, gerade für die Familien mit Kindern, beachtliche Leistungen erbracht. Familienpolitik war und ist ein Schwerpunkt von CDU/CSU. Mit diesen Verbesserungen ist auch das Ja zum Kinde erleichtert worden. Die familienpolitischen Maßnahmen müssen weiter ausgebaut werden. 8412*' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Die Aufgabe der Rechtsordnung ist es, für den Schutz des ungeborenen Lebens Sorge zu tagen. Strafrecht, Rechtsbewußtsein und Wertbindung stehen in einem wechselseitigen Zusammenhang. Strafe bildet Rechtsbewußtsein. Sie setzt ein Signal. Um Umweltsünder abzuschrecken, wird heute laufend eine Verschärfung des Strafrechts gefordert. Hier ist es unbestritten — für das ungeborene Kind nicht. Als Christ und verantwortlicher Staatsbürger sehe ich mich gefordert, eindeutig für den Schutz des ungeborenen Lebens einzutreten. Der Gesetzentwurf der Abgeordneten Werner (Ulm) und anderer, den ich mittrage, wird dieser hohen Verantwortung gerecht und enthält ein Gesamtkonzept, das diesen Schutz garantiert und das mit dazu beiträgt, daß die hohen Abtreibungszahlen in unserem Lande gesenkt werden. Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): Die Entscheidung, die wir heute zu fällen haben, ist keine leichte. Wir alle haben seit Monaten viele Appelle und Briefe aus allen Teilen Deutschlands erhalten. Besorgte Menschen haben sich an uns gewandt, uns ihren Standpunkt erläutert und uns um die entsprechende Zustimmung oder Ablehnung gebeten. Heute haben wir abzuwägen zwischen dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Niemand nimmt uns diese Entscheidung ab. Wir haben sie nach unserem Gewissen zu treffen — frei von sogenanntem Fraktionszwang. In dieser so existentiellen und prinzipiellen Frage muß es zweifelsohne eine solche freie, nur dem Gewissen des einzelnen Abgeordneten verpflichtende Abstimmung geben. Die Aggressionen und gegenseitigen Beschuldigungen, die es im Rahmen der Diskussion um den § 218 gegeben hat, waren für die Entscheidungsfindung sicherlich nicht notwendig. Sie sind aber gleichzeitig ein Beleg dafür, daß diese Frage die Menschen tief berührt und bewegt. Jeder, der heute seine Stimme abzugeben hat, hat sich mit dem Problem des Schwangerschaftsabbruchs intensiv auseinandergesetzt. Deshalb möchte ich auf eine Wiederholung der Argumente für oder gegen die verschiedenen Modelle verzichten. Die Diskussion ist so lange und so intensiv geführt worden, daß sich inzwischen mit Sicherheit jede Kollegin und jeder Kollege längst entschieden hat, wie er heute stimmen wird. Wenn ich heute für den Entwurf der CDU/CSU-Fraktion stimme, dann auch deshalb, weil gleichzeitig ein umfassendes Sozialpaket mitbeschlossen wird, das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser als bisher ermöglichen wird. Da sind zum einen die finanziellen Hilfen für die schwangere Frau und ihre Familie wie das einkommensabhängige Familiengeld von 1 000 DM, zum anderen die auf die neuen Bundesländer auszuweitende Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens". Dies sind Maßnahmen, die dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen, indem sie schwangeren Frauen eine Perspektive eröffnen bei der Bewältigung einer schwierigen persönlichen Situation. Sie ergänzen die bereits vorgesehene Verlängerung des Erziehungsgelds sowie den Erziehungsurlaub und die Leistungsverbesserungen beim Unterhaltsvorschuß. Hinzu kommt die Schaffung eines Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz für alle Kinder ab drei Jahren bis zum Schuleintritt. Diese Maßnahme, die zwar erst bis 1998 verwirklicht werden kann, ist von besonderer Bedeutung für Alleinerziehende und für Frauen, die auf eine Erwerbstätigkeit angewiesen sind. All diese sozialen Maßnahmen und finanziellen Hilfen sind dazu geeignet, den Schwangerschaftskonflikt zu entschärfen. Sie können und sollten, soweit der finanzielle Spielraum dies zuläßt, künftig noch weiter verbessert werden durch schulbetreuende und familienergänzende Maßnahmen sowie durch weitere Hilfen für Familien und Frauen. Ein wichtiger Aspekt aber ist auch die Notwendigkeit einer Änderung in der Einstellung und Haltung unserer Gesellschaft zu Kindern. Unsere Gesellschaft muß kinderfreundlicher werden. Es kann nicht angehen, daß Familien oder Alleinerziehende mit Kindern wegen der Kinder bei der Wohnungssuche benachteiligt werden. Hier eröffnet sich ein wichtiges Feld der Aufklärung, aber auch der gesetzlichen Regelung, das noch angegangen werden muß. Insgesamt müssen wir weiter an einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für ein Leben mit Kindern arbeiten. Gerade diese Rahmenbedingungen sind eine entscheidende Voraussetzung für die Entscheidung zum Kind und somit auch für den Schutz des ungeborenen Lebens. Steffen Kampeter (CDU/CSU): Die Entscheidung, die wir heute treffen, hat für mich zwei Aspekte. Zum einen gilt es, ein umfassendes familienpolitisches Paket zu verabschieden, das wesentlich darauf abzielt, insbesondere jungen Paaren das „Ja" zum Leben auch umfassend finanziell abzusichern. Zum anderen gilt es, die strafrechtlichen Aspekte der Tötung ungeborenen Lebens neu zu regeln. Nach der Auseinandersetzung der vergangenen Monate hätte es mich gefreut, wenn die Neuregelung zu einer Debatte darüber geführt hätte, welcher Aufwertung die Familie in unserer Gesellschaft bedarf. Eine entsprechende Diskussion hätte ein Signal des Mutes an diejenigen gegeben, die bei Familiengründung vor Schwierigkeiten und Konflikten stehen und die sich unsicher darüber sind, ob eine Abtreibung auch eine Form der Konfliktlösung sein könnte. Diesen Menschen sollte die Politik Mut machen und diesen Mut auch durch eine entsprechende Familienpolitik untermauern, unterstützen. Daher begrüße ich ausdrücklich die in dem sozialpolitischen Paket des Entwurfes der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aufgeführten Maßnahmen. Sie machen Mut und helfen, Konflikte zu verringern oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Für besonders dringend halte ich die Ausweitung des Erziehungsurlaubs im Zusammenhang mit dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Angesichts der veränderten Lebensentwürfe junger Menschen und hier insbesondere der Frauen in unserer Gesellschaft halte ich diese Maßnahmen für gesellschaftlichspolitisch ausgesprochen notwendig. Durch die unmittelbare zeitliche Anbindung von Erziehungsurlaub und Kindergartenbetreuung können wir den Familien, die eine entsprechende Unterstützung erwarten, ein — wie ich meine — überzeugendes Angebot machen. Auch wenn der Rechtsanspruch auf den Kindergartenplatz nicht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8413* sofort verwirklicht werden kann, werden diese Beschlüsse doch zu einer wesentlichen Verbesserung der Familiensituation führen. Die Einführung des Familiengeldes, die Erhöhung des Mehrbedarfszuschlages und die Ausweitung der Mittel für die Bundesstiftung Mutter und Kind sind ebenfalls unverzichtbar. Alle diejenigen, die die strafrechtliche Dimension im Auge haben, sollten nicht so schnell über diesen familienpolitischen Bereich unserer heutigen Debatte hinweggehen. Die Vielzahl der vorliegenden Gesetzentwürfe macht deutlich, wie gering leider die Übereinstimmung beim strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens ist. Recht wirkt bewußtseinsbildend. Deswegen halte ich es auch für richtig, daß wir auch im strafrechtlichen Teil der heutigen Debatte besonders klar herausarbeiten, wo Gemeinsames und wo Trennendes liegt. Nach meiner Auffassung darf die Debatte zum Schutz des ungeborenen Lebens nicht losgelöst von der Debatte über andere Bereiche des Lebensschutzes, wie z. B. den Aspekt der sogenannten Tötung auf Verlangen, betrachtet werden. Eine weitergehende Fassung des Rechts auf Abtreibung wird — so befürchte ich — in absehbaren Zeiträumen auf diese Bereiche ausstrahlen. Jeder sollte sich dessen bei seiner Entscheidung bewußt sein. Als evangelischer Christ habe ich mit besonderer Aufmerksamkeit das zur Kenntnis genommen, was uns die christlichen Kirchen mit auf den Weg gegeben haben. So hat der Bevollmächtigte der EKD vor dem Sonderausschuß zum Schutz des ungeborenen Lebens erklärt: „Schwangerschaftsabbruch ist Tötung menschlichen Lebens. Das Verbot der Tötung menschlichen Lebens ist ein Grundpfeiler der Humanität und einer humanen Zivilisation. Ein Recht auf Abtreibung darf es daher nicht geben." Wenig später heißt es: „Das Selbstbestimmungsrecht von Menschen begründet kein Verfügungsrecht über andere Menschen. " Auch der Feststellung der EKD, daß der Gesetzgeber darauf achten müsse, daß die anstehende Regelung unmißverständlich die Absicht und den Willen der Rechtsgemeinschaft bekunden müsse, dem ungeborenen Leben Schutz zu gewähren und diesen Schutz zu verbessern, ist uneingeschränkt zuzustimmen. Anders als die EKD ziehe ich aus diesen klaren Feststellungen eine Schlußfolgerung und komme somit heute in dieser Frage zu einer eindeutigen Entscheidung. Wesentlich für meine Entscheidung ist die Abwägung darüber, ob Tötung ungeborenen Lebens von einer Frist oder einer Notlage abhängig zu machen ist. Mit einer Notlagenindikation wird deutlich, daß der Staat die Tötung ungeborenen Lebens weiterhin mißbilligt, gleichzeitig aber die Entscheidung in einer Notlage anerkennt und straffrei stellt. Die Abtreibung in Abhängigkeit von einer Frist durchzuführen beruht auf einem anderen Werturteil. Mit dem von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorgeschlagenen Gesetzentwurf und der darin enthaltenen psychosozialen Notlagenindikation halte ich im Vergleich zu den anderen Vorschlägen den Schutz des ungeborenen Kindes für am umfassendsten gewährleistet und die normenbildende Funktion der Rechtsordnung für hinreichend erfüllt. Sie konkretisiert für mich überzeugend, daß dem Verfügungsrecht über das ungeborene Leben enge rechtliche Grenzen zu ziehen sind. Die Neugestaltung der Indikationsregelung im Entwurf der CDU/CSU enthält für mich wesentliche Verbesserungen gegenüber der derzeitigen Rechtspraxis. So befürworte ich es, daß der Arzt stärker auf die Übernahme von Verantwortung bei Indikationserteilung und Vornahme des Abbruchs verpflichtet wird. Hierdurch werden die Verantwortung und die Entscheidung der Mutter nicht gemindert. Selbstverständlich trägt sie — gemeinsam mit dem Vater — die Verantwortung für ihr Tun. Der Staat tut gut daran, mit einer lebensbejahenden Beratung eine Hilfe für die Entscheidung zu geben. Die umfassende Pflicht zur Beratung stärkt nach meiner Auffassung die Position des ungeborenen Kindes, und eine entsprechende gesetzliche Regelung war für diese Kinder schon lange notwendig. Der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion stellt den Verbund eines qualifizierten familienpolitischen Paketes mit einer auch verfassungsrechtlich zu billigenden rechtlichen Erfassung der Tötung des ungeborenen Lebens dar. Er verdient Zustimmung. Dr. Franz-Hermann Kappes (CDU/CSU): Natürlich würde es mich reizen, erst einmal zu vielen — wie ich finde — realitätsfernen Behauptungen und teilweise geradezu grotesken Verstiegenheiten, die man heute hören konnte, Stellung zu nehmen — bis hin zur wirklich unerhörten pauschalen Beschimpfung der Männer und Väter heute morgen ganz zu Beginn der Debatte oder zu so primitiven Sprüchen wie „Mein Bauch gehört mir", den wir uns tatsächlich vorhin im Deutschen Bundestag anhören mußten. Manchmal hatte ich auch den Eindruck, daß gewisse Damen und Herren Kollegen auf der linken Seite dieses Hauses und bei den Liberalen in Sachen Lebensschutz die Vorstellungen ihrer Großmütter übernommen haben und auch, naturwissenschaftlich gesehen, in der Welt von heute höchst rückständigen Kenntnissen von der vorgeburtlichen Entwicklung des Menschen anhängen, die seit Jahrzehnten überholt sind oder gar aus dem 19. Jahrhundert stammen. Wenn etwas auf diesem Gebiet einfach rückständig ist, dann sicher jegliche Art von undifferenzierter „Fristenlösung". Völlig wirklichkeitsfremd ist auch die Vorstellung, alle Frauen müßten nicht nur eigenverantwortlich handeln, sondern würden auch verantwortungsbewußt entscheiden. Das ist doch einfach nicht wahr. Wer die Wirklichkeit kennt — ich könnte da ganz konkrete Beispiele nennen —, der weiß, daß nun einmal nicht alle Frauen — genauso wie die Männer — verantwortungsbewußt handeln. Entgegen dem, was mehrfach gesagt wurde, gibt es sehr wohl auch Frauen, denen zu „mißtrauen" ist, d. h. die eine ethisch nicht verantwortbare Entscheidung treffen. Was ist mit solchen Entscheidungen? Aber ich wollte mich eigentlich auf einige verfassungsrechtliche Bemerkungen beschränken, mit denen ich mich vor allem gegen Ausführungen der 8414* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Kollegen Eylmann, Dr. de With und Professor Meyer wende. Erstens. Der sogenannte Gruppenantrag, der in den ersten drei Monaten auf die Androhung von Strafe als Ultima ratio auch für diejenigen Fälle verzichtet, in denen der Frau die Fortsetzung der Schwangerschaft unbestreitbar zuzumuten ist, verstößt gegen unsere Verfassung, weil er insoweit jedenfalls menschliches Leben als den zentralen Wert unserer Rechtsordnung befristet schutzlos stellt. Das ist klar verfassungswidrig, zumal wenn man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit seiner Entscheidung von 1975 bis heute zur Schutzpflicht des Staates berücksichtigt. Grundrechte sind eben nicht nur Abwehrrechte gegen den Staat, sondern sie verpflichten diesen auch, Dritte vor einem möglichen Mißbrauch des Grundrechts zu schützen. Dies gilt zumal dann, wenn der Träger des einen Grundrechts sonst unbegrenzt über den anderen Grundrechtsträger — hier das ungeborene Kind — entscheiden könnte. Zweitens. Es ist geradezu abwegig — wie dies heute geschehen ist —, die geforderte staatliche Mißbilligung des Schwangerschaftsabbruchs darin sehen zu wollen, daß ja im Gegensatz zu dem erst vor 17 Jahren vom Bundesverfassungsgericht in einer sehr grundsätzlichen Entscheidung verworfenen sozial-liberalen Gesetz der Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs bestehenbleibt und nur die Rechtswidrigkeit der Tötungshandlung verneint wurde. Genau darauf kommt es aber doch an. Es geht doch gerade um den zu mißbilligenden rechtswidrigen Angriff auf das hohe Rechtsgut Leben, das der Staat mit allen ihm gegebenen Mitteln zu schützen hat. Da gibt es überhaupt keinen Unterschied zur Fristenlösung der 70er Jahre. Drittens. Dieser staatliche Schutz wird auch nicht dadurch bewirkt, daß man für diejenigen, die ein ohnehin gewolltes Kind annehmen oder die sich für die Geburt eines eigentlich nicht gewollten Kindes erfreulicherweise entscheiden, großzügig in Milliardenhöhe öffentliche Leistungen ankündigt und diese vielleicht auch ausgibt. Es geht doch um die Mißbilligung einer Tötung trotz dieser in unserem Land vergleichsweise günstigen Bedingungen. Hier kann auf die Androhung von Strafe als Ultima ratio zum Schutz der auf Leben und Tod gefährdeten Kinder eben offenkundig nicht verzichtet werden. Viertens. Strafandrohung geht — oder ginge — auch nicht ins Leere, ganz konkret nicht bei den Männern und sonstigen Nahestehenden, die die werdende Mutter unter Druck setzen, und vor allem nicht in den Köpfen der Menschen, die von diesem Staat des Grundgesetzes mit Recht erwarten, daß er auf der Grundlage der von unserer Verfassung gewollten Wertordnung aus ethischer Verantwortung heraus auch mittels der Androhung von Sanktionen Grenzen aufzeigt — jedenfalls dann, wenn es um ein hohes oder gar höchstes Rechtsgut geht. Dies bedeutet überhaupt nicht eine „Scheinlösung", wie Herr Eylmann gemeint hat. Tut der Staat dies nicht oder nicht mehr, wird dies die entsprechenden Folgen haben, und zwar keinesfalls im Sinne der Zielsetzung des Einigungsvertrages. Schwangerschaftsabbruch wird dann zur zulässigen Methode der Geburtenplanung. Alle, die dem heute ihre Zustimmung geben, tragen schwere Mitverantwortung für die dann zu erwartende noch negativere Entwicklung. Dafür werden sie am Ende ihrer Zeit einmal geradestehen müssen. Fünftens. Es ist auch verfassungsrechtlich unzulässig, das gesellschaftspolitisch erwünschte Ziel der Senkung der Abtreibungszahlen im allgemeinen unter Verletzung des Grundrechtsschutzes im Einzelfall zu betreiben. Jedes konkrete ungeborene Kind hat zunächst einmal vorrangig Anspruch auf den Schutz des Staates. Auch dies hat uns das Bundesverfassungsgericht klar vorgegeben. Entgegen der Auffassung der genannten Kollegen, die als Juristen gesprochen haben, gibt es keine „verfassungsfeste Fristenlösung ". Schon gar nicht ist es der sogenannte Gruppenantrag. Da helfen alle beschönigenden Formulierungen oder auch die Bezeichnung als „Selbstindikationsmodell" nicht. Im übrigen erfüllt der Antrag aber auch die vom Bundesverfassungsgericht formulierten Anforderungen an die Beratung der Schwangeren trotz aller insoweit wohlklingenden Umschreibungen nicht. Noch ein persönliches Wort zum Schluß: Diese Debatte hat erneut gezeigt, wie beängstigend der Wertewandel in unserer Gesellschaft vorangeschritten ist. Zudem hat auch die Beschimpfung der Kirchen, zumal der katholischen Kirche, ein geradezu historisches Ausmaß angenommen. Hier fehlt es zunehmend an rationaler Auseinandersetzung. Gerade deshalb erkläre ich nicht nur als Jurist, sondern auch als Christ: Jede Fristenlösung ist als Angriff auf unsere verfassungsrechtlich verankerte Wertordnung entschieden abzulehnen. Volker Kauder (CDU/CSU): Das Embryonenschutzgesetz schützt durch verschiedene Strafvorschriften ab der Verschmelzung von Ei und Samenzelle den Embryo im Reagenzglas. Damit hat der Deutsche Bundestag den Beginn menschlichen Lebens definiert und menschliches Leben unter den strafbewehrten Schutz des Staates gestellt. Und dies ist richtig so. Es ist eine der vornehmensten Aufgaben des Rechtsstaates, menschliches Leben uneingeschränkt zu schützen. Warum, so frage ich mich, geht der Deutsche Bundestag diesen Weg nicht konsequent weiter und gewährt dem Embryo im Mutterleib den gleichen Schutz wie dem Embryo im Reagenzglas? Muß nicht der Grundsatz gelten, der Schutz menschlichen Lebens ist unteilbar? Ich habe in der heutigen Debatte sehr viel vom Selbstbestimmungsrecht und der Verantwortung der Frau und wenig vom Lebensrecht des ungeborenen Kindes gehört. Die Frau soll über das Leben des ungeborenen Kindes ausschließlich entscheiden dürfen. Denjenigen, die dies als nicht hinnehmbare Ausgrenzung des Lebensschutzes bezeichnen, wurde auch heute in der Debatte vorgeworfen, sie wollten die Frauen entmündigen, sie würden Frauen nicht zutrauen, verantwortlich zu handeln. Diese Argumen- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8415* tation gipfelte in der unglaublichen geschlechterkämpferischen Aussage der SPD-Kollegin Wettig-Danielmeier, daß kluge Frauen wissen, daß sie sich auf die Väter nicht verlassen können. Ich weise diese Argumentation für mich und meine Freunde in der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion auf das entschiedenste zurück. Für uns haben Frauen gleiche Rechte und Pflichten wie Männer. Wir haben mit unserer modernen Sozialpolitik erst die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß Frauen sich frei entscheiden können zwischen Familie und Beruf oder für eine Kombination von beidem. Und wir respektieren die Entscheidungen, die Frauen und Familien treffen, wie sie ihr Familien- und Berufsleben gestalten wollen. Ich lasse mich nicht als Macho diffamieren, der Frauen unterdrückt und ihnen ein Selbstbestimmungsrecht und ein Recht auf eine eigenständige Persönlichkeit abspricht. Aber genau darum geht es auch in dieser Debatte gar nicht. Es geht vielmehr darum, daß nach unserer Rechtsordnung und unserem Bild vom Menschen kein Mensch das Recht hat, über das Lebensrecht eines anderen Menschen zu befinden. Niemand hat das Recht, sich Lebenschancen auf Kosten eines anderen zu suchen. Und da der Embryo menschliches Leben ist, ist der Staat nach meiner Auffassung verpflichtet, dieses Leben auch mit dem Strafrecht zu schützen. Und ich bin nach wie vor der Auffassung, daß Strafrecht bewußtseinsbildende Kraft hat. Die Tötung ungeborener Kinder muß deshalb grundsätzlich verboten bleiben. Ich weiß aber sehr wohl, daß es Konfliktsituationen gibt, in denen der Staat seinen Strafanspruch nicht mehr durchsetzen darf. Die medizinische Indikation, die auch die schwere seelische Notlage mit umfaßt, und die kriminologische Indikation kann ich akzeptieren. Eine Tötung eines ungeborenen Kindes aus einer sozialen Notlage heraus kann für uns aber nur Herauforderung zur Hilfe und nicht Rechtfertigung zur Abtreibung sein. Es ist deshalb richtig, daß die sozialen Hilfen weiter ausgebaut werden. Wir dürfen Frauen in Konfliktsituationen nicht allein lassen, und wir müssen unseren Familien und Alleinerziehenden die Hilfen anbieten, die ihnen dann auch die Sorgen und Ängste nehmen, das Leben mit dem Kind vielleicht nicht packen zu können. Dazu gehört der Ausbau der Kindergartenversorgung und der Ganztagesbetreuung. Dazu gehört aber auch, daß wir uns herausgefordert fühlen, gerade alleinerziehenden Frauen persönlichen Beistand zu leisten. Der Schutz ungeborener Kinder erfordert ein Maßnahmenbündel: — Wir müssen Bewußtsein schaffen für die Unverletzlichkeit des Lebens in jedem Stadium. — Wir müssen Familien und Alleinerziehenden die Hilfe gewähren, die ihnen die Sorge nehmen kann, ihre soziale Situation nicht meistern zu können. — Wir müssen ledigen Frauen, die ein Kind austragen, mit Respekt begegnen und ihnen in ihrer schwierigen sozialen Situation helfen. — Wir dürfen die Männer aus ihrer Verantwortung für den Schutz ungeborener Kinder nicht entlassen. Und genau dies geschieht in unverantwortlicher Weise, wenn wie heute morgen formuliert wird, daß ausschließlich die Frau darüber zu entscheiden hat, ob das Kind ausgetragen wird oder nicht. Leichter kann man es den Männern gar nicht machen, die Verantwortung allein auf die Frau abzuschieben. — Der Staat darf aus seiner Verantwortung für den Schutz ungeborener Kinder nicht entlassen werden. Nach diesen Grundsätzen werde ich heute meine Entscheidung fällen. Abtreibung, die im übrigen den Frauen ja nicht wirklich hilft, ist für mich nur in den beschriebenen Indikationen zu rechtfertigen. Es kommt aber heute auch darauf an, eine Fristenregelung zu verhindern. Und dieser Verantwortung werde ich mich nicht entziehen. Peter Keller (CDU/CSU): Wir führen heute eine Debatte, bei der um das Leben von Ungeborenen gerungen wird. Kein Staat hat das Recht, das Grundrecht auf Leben — auch nicht befristet — freizugeben, selbst dann nicht, wenn die Mehrheit der Gesellschaft anders denkt. Welch eine Moral, welch ein Widerspruch ist es, wenn das in vitro künstlich erzeugte Kind, der Embryo, besser geschützt ist als das natürlich gezeugte Kind? In beiden Fällen entwickelt sich der Mensch nicht zum Menschen, sondern als Mensch, weil er von Anfang an Mensch ist. Ich bin für das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Schon begrifflich gibt es aber kein Selbstbestimmungsrecht über andere. Dies wäre ein Alleinbestimmungsrecht des Stärkeren über den Schwächeren. Und wo bliebe das Selbstbestimmungsrecht des Kindes über sein Leben? Für mich persönlich sind Menschenrechte Personenrechte, die sich aus der transzendenten Beziehung zu Gott herleiten. Keine Gesellschaft hat daher das Recht, über diese Grundrechte des Menschen zu verfügen. Der Mensch ist nicht Träger, sondern das Ziel jeder Gesellschaft. Würden Kinder in unserer Gesellschaft als das begriffen, was sie eigentlich sind — das Zukunftsversprechen, d. h. die Zusage von Sinn für ein eigenes flüchtiges Leben; die Garantie für das Überleben von Tugenden, die unter Erwachsenen abhanden kommen —, dann wären Kinder als eine neue Art von Reichtum zu begreifen. Und ich sage dies auch, obwohl mit Kindern möglicherweise Leid und Schmerz verbunden sein können. Ich spreche bewußt nicht von Elend und Not. Denn das soziale Elend können und müssen wir bekämpfen. Aber Schmerz und Leid gehören zu jeder menschlichen Existenz, dies ist meine persönliche Überzeugung und Erfahrung. Der — 29jährig an Schwindsucht gestorbene — Dichter Novalis schreibt vor 200 Jahren: „Krankheit, Schmerz und Leid sind Lebensjahre der Lebenskunst und der Gemütsbildung." Heute würden wir sagen: Lebenskrisen sind nicht nur eine Bedrohung, sondern bilden auch neue Lebenschancen nach Leid und Schmerz. Dazu zähle ich auch eine ausgetragene Schwangerschaft. Lebensberichte von Frauen, die abgetrieben haben, beweisen, daß oft die seelischen Probleme nach einer Abtreibung größer sind als vielleicht die Austragung des Kindes. 8416* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Bei unserem politischen Bemühen um den Lebensschutz des ungeborenen Kindes sind die drei gesetzlichen Elemente vielfältige soziale Hilfen, Beratung zum Leben und Strafbewehrung für mich eine Einheit, gleichgewichtig und gleichwertig, vergleichbar mit einem gleichschenkligen Dreieck. Dazu nenne ich ein viertes Element: die Bewußtseinsbildung in der Gesellschaft. Jeder einzelne von uns kann und muß als Nachbar, Vermieter, Vorgesetzter, Arbeitgeber, Arbeitskollege seinen ganz persönlichen Beitrag für eine kinderfreundliche Gesellschaft leisten. Bei uns ist es heute das gesamtgesellschaftliche Klima, das den Umgang mit dem werdenden Leben so schwer macht. Zum Schluß zwei Fragen: Gibt sich eine Gesellschaft nicht ein Stück weit selbst auf, wenn sie bereit ist, Gesetze hinzunehmen, die Tötung — trotz wissenschaftlicher Erkenntnisse — nicht mehr Tötung nennen? Und wie lösen wir den moralischen Widerspruch, daß die Abtreibung — Tötung — im Gesetz entkriminalisiert werden soll, wir aber die Polizei rufen, wenn uns der Fotoapparat aus dem Auto gestohlen wird? Humanität ist unteilbar. Sie ist ohne die Anerkennung des Lebensrechtes nicht zu haben. Dazu gehört auch der rechtliche Schutz des Lebens vor der Geburt. Aus diesen persönlichen Überzeugungen bejahe ich neben den dringend notwendigen sozialen Hilfen und der Beratung zum •Leben auch den strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens im Gesetzentwurf des Abg. Werner. Dr. Hans-Hinrich Knaape (SPD): Ohne ärztliche Beratung und Begleitung sollte keine Schwangerschaft einer Frau durch die Geburt beendet werden, aber ebenso sollte keine Schwangerschaft ohne eine medizinische Indikation abgebrochen werden. Aber über die Zeit ihrer Schwangerschaft befindet die Frau allein und nur sie. Eine Entscheidung der Frau zum Abbruch einer psychisch von ihr nicht angenommenen und als Konflikt erlebten Schwangerschaft ist als ihr Wille zu akzeptieren, gegen den sich ärztliches Handeln nicht wenden kann und darf, auch wenn der Arzt den Eingriff gegen eine innere Überzeugung und Auffassung vornehmen wird und damit das eigene Gewissen belastet und sich schuldig fühlt. Der Arzt kann den Eingriff grundsätzlich verweigern, aber wäre dies ärztliches Handeln, wenn eine Frau in psychischer Not, ohne ihre sie bedrückenden Konflikte ihm darzulegen, hilfesuchend zu ihm kommt? Hingegen wird der Arzt mit Gewissenhaftigkeit und Würde — sofern die Schwangere sich vor dem Abbruch der Schwangerschaft ihm psychisch öffnet — ihr zur Beratung und Behandlung — sofern sie es will — helfend und begleitend über die Phase des persönlichen Konfliktes und dessen Bewältigung zur Seite stehen, aber er wird keinesfalls — aus welchen Gründen auch immer — die Frau bedrängen, versuchen, sie zu überreden oder sogar sie in irgendeiner Weise unter Druck zu setzen, um sie dann doch noch umzustimmen. Bei fehl ender Gesprächsbereitschaft der Frau muß der Arzt dies hinnehmen und die verlangte Leistung erbringen. Der Abbruch einer Schwangerschaft — nach dem Gruppenantrag, dem ich zustimmen werde, ist dies so zu verstehen — sollte zur Ausnahme werden, da infolge verinnerlichter Erkenntnisse und dementsprechendem Verhalten nach umfassender Beratung und Aufklärung von der Kindheit an und über das Jugendalter hinaus der Umgang mit der Sexualität ebenso wie die Verhütung und die gewollte Planung einer Schwangerschaft erlernt sein sollten. Es entspricht nicht ärztlicher Auffassung, wenn eine persönliche Konfliktentscheidung, die Vertrauen zwischen der Schwangeren und dem Arzt voraussetzt, Bürgerinnen und Bürger in verschiedene Lager führt, die lautstark und emotional leidenschaftlich wechselseitig sich befehden und wahrscheinlich über die heute parlamentarisch zu fällende Entscheidung hinaus noch gegenseitig sich zu beeinflussen versuchen werden. Wenn die ärztliche Berufsordnung den deutschen Arzt verpflichtet: „Ich werde jedem Menschenleben von der Empfängnis an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden.", so wissen berufserfahrene Ärztinnen und Ärzte, daß ihre Entscheidung und entsprechendes Handeln unter bestimmten Indikationen sich auch gegen das Leben wenden kann. Und eine dieser Indikationen liegt vor, wenn bei sozial das Leben absichernden Bedingungen, für die der Staat in der Pflicht steht, die Frau aus ihrer psychischen Befindlichkeit heraus sich gegen die Austragung des Lebens in ihr entscheidet. Aber jeder weiß, soziale Not führt zu erheblichen Störungen der körperlichen und psychischen Befindlichkeit. Dies müssen wir akzeptieren, nicht zerreden, und es müssen auch — gleich, wie heute die Entscheidung der Parlamentarierinnen und Parlamentarier ausfallen sollte — die Unterliegenden mit ihrem Gesetzesantrag die Entscheidung der Mehrheit akzeptieren, mittragen, und sie dürfen nicht durch ausufernden Streit für weitere Konflikte im zwischenmenschlichen Zusammenleben sorgen. Mit Würde und Anstand sollten wir heute die jeweils persönliche Entscheidung des anderen zur Kenntnis nehmen und sie tolerieren. Dies gebietet die Achtung vor der Persönlichkeit des anderen. Manfred Kolbe (CDU): Bei allem Streit um die Neuregelung des Rechts des Schwangerschaftsabbruchs und insbesondere des § 218 Strafgesetzbuch lassen Sie uns bitte eines nicht vergessen: Wohl fast allen in diesem Hause geht es um einen besseren Schutz des ungeborenen Lebens. Es geht deshalb nicht an, zwischen Lebensschützern und Lebensgegnern zu differenzieren. Strittig ist dagegen im wesentlichen die in § 218 Strafgesetzbuch geregelte Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten drei Monaten. Rein juristisch ist die Indikationslösung des bisherigen § 218 StGB unangreifbar: Leben — dazu gehört auch das ungeborene nach der Befruchtung — als höchstes Rechtsgut steht unter besonderem — auch strafrechtlichem — Schutz und kann nicht einfach ohne Güterabwägung für zwölf Wochen zur Disposition stehen. Jeder Schwangerschaftsabbruch ist Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8417* Tötung ungeborenen Lebens und kann deshalb nur in einer Not- oder Konfliktlage nach einer Güterabwägung gerechtfertigt sein. Der klassische Satz aus der Frauenbewegung „Mein Bauch gehört mir" ist falsch, weil es nicht nur um den Bauch, sondern auch um das ungeborene Kind geht. Die Schwierigkeiten der im bisherigen § 218 StGB verankerten Indikationslösung fangen aber in der Praxis an. Auch die bisherige westdeutsche Indikationsregelung hat keinen ausreichenden Lebensschutz ungeborener Kinder bewirken können. Ja, es scheint sogar, daß die Zahl der Abtreibungen pro Kopf der Bevölkerung in der Alt-Bundesrepublik höher war, als in der ehemaligen DDR. 1990 wurden im Osten 59 587 und im Westen 78 808 Schwangerschaftsabbrüche registriert. Hinzu kommt aber noch die Dunkelziffer, die im Osten unbedeutend gewesen sein dürfte, während im Westen von mindestens 200 000 nicht registrierten Schwangerschaftsabbrüchen ausgegangen werden kann. Richter und Staatsanwälte im Westen wenden den § 218 StGB kaum an. Mindestens 200 000 nicht registrierten Schwangerschaftsabbrüche standen 1989 ganze 8 und 1990 ganze 7 strafrechtliche Verurteilungen gegenüber. Natürlich wird auch nicht jeder Raub oder jeder Mord aufgeklärt und somit strafrechtlich geahndet, und trotzdem kommt dort niemand auf die Idee, diese Strafbestimmungen abzuschaffen. Aber meinem Eindruck nach ist die Sachlage beim § 218 StGB eine andere: Er wird offenbar vielerorts nicht mehr ernsthaft angewandt, und es stellt sich deshalb die Frage nach der Glaubwürdigkeit des staatlichen Strafanspruchs. Arzt und Richter müssen nach der Indikationsregelung an Stelle der Frau über das Vorliegen einer psychosozialen Notlage entscheiden. Die Arzteverbände lehnen dies mit großer Mehrheit ab. Als Jurist sage ich: Als Richter möchte ich diese Entscheidung nicht an Stelle der schwangeren Frau im Rahmen eines Strafverfahrens treffen. Für meine heutige Entscheidung sind drei Eckpunkte maßgeblich: — Jeder Schwangerschaftsabbruch ist Tötung ungeborenen Lebens und kann deshalb nur in einer Notoder Konfliktsituation gerechtfertigt sein. Bei der reinen Fristenlösung fehlt diese notwendige Güterabwägung. — Wesentlich für den Schutz des ungeborenen Lebens sind eine umfassende Pflichtberatung und soziale Hilfen des Staates, die einen effektiven Lebensschutz bewirken. Hierzu zählen vor allen Dingen die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Familien und die Schaffung einer kinderfreundlicheren Umwelt durch ein breites Angebot sozialer Hilfen. — Die letzte Entscheidung kann jedoch nur bei der schwangeren Frau liegen, da ihr weder Arzt noch Richter diese Entscheidung abnehmen können und auch ganz überwiegend nicht abnehmen wollen. Wir können das werdende Leben nicht gegen den Willen der Mutter schützen. Diese drei Eckpunkte finden sich im wesentlichen im Gruppenantrag von F.D.P., SPD und Teilen der CDU wieder, so daß ich heute für diesen Gruppenantrag stimmen werde. Gewünscht hätte ich mir allerdings, daß die Notwendigkeit einer Not- oder Konfliktlage im Gesetz deutlicher ausformuliert worden wäre. Da die Entscheidung zur Neuregelung des Rechts des Schwangerschaftsabbruchs gerade für die Christlich-Demokratische Union eine grundsätzliche und wertgeprägte Entscheidung darstellt, habe ich meine Entscheidung nicht gegen den Willen der Parteiorgane und Mitglieder treffen wollen, die mich für den Deutschen Bundestag nominiert haben. Deshalb habe ich sowohl den Gruppenantrag als auch den Mehrheitsentwurf der CDU/CSU-Fraktion auf Mitgliederversammlungen meiner drei sächsischen Kreisverbände Döbeln, Grimma und Oschatz zur Abstimmung gestellt. Das Ergebnis fiel in allen drei Fällen zugunsten des Gruppenantrages aus. Bei meiner Gewissensentscheidung glaube ich daher, die grundsätzlichen Interessen unserer Partei berücksichtigt zu haben. Jürgen Koppelin (F.D.P.): Ich habe mich entschlossen den Gruppenantrag zu unterstützen. Dabei — das will ich hier bekennen — ist mir diese Unterstützung nicht ganz leicht gefallen. Meine Bedenken betrafen und betreffen immer noch in erster Linie die Passagen des Gesetzestextes, nach denen es möglich ist, nach der Empfängnis im Zeitraum von 22 Wochen die Schwangerschaft zu unterbrechen, wenn das Kind infolge einer Erbanlage oder schädlicher Einflüsse vor der Geburt an einer nicht behebbaren Schädigung seines Gesundheitszustandes leiden würde, so daß von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann. Meine Sorge ist, daß Eltern, die sich doch dafür entscheiden, daß ein behindertes Kind zur Welt kommt, vielleicht unter einen starken Rechtfertigungsdruck geraten. In der vorgelegten Formulierung sehe ich auch den Ansatz einer Diskriminierung von geschädigtem und behindertem Leben. Meine Sorge ist auch, daß bei Erkennung einer Schädigung des ungeborenen Kindes empfohlen werden könnte, die Schwangerschaft zu unterbrechen, weil das Gesetz dies hergibt. Ich weiß, daß es schwer ist, einer werdenden Mutter, bei der in der Schwangerschaft festgestellt wird, daß das Kind Schädigungen hat, Rat zu erteilen. Und ich weiß, kein Strafrecht — und auch kein Bundesverfassungsgericht — wird eine werdende Mutter zwingen können, ein Kind zur Welt zu bringen, vor allem ein behindertes Kind. Das einzige, was wir tun können, ist, auch diesen Müttern in ihrer Not zu sagen, daß es für behinderte Kinder und für ihre Eltern Hilfe und Unterstützung gibt. Seit sehr vielen Jahren habe ich mich unter anderem als Landesvorsitzender der Lebenshilfe für geistig Behinderte in Schleswig-Holstein für die Gleichbehandlung von behindertem und nicht behindertem Leben eingesetzt. 8418* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Daher erlaube ich mir zu sagen: Wir als politisch Verantwortliche tun nach meiner Auffassung viel zu wenig für die behinderten Kinder und für ihre Eltern. Eltern mit behinderten Kindern sind durchaus bereit, dieses gemeinsame Leben zu führen. Aber sie erwarten unsere Unterstützung. Es ist mir daher ein Bedürfnis, heute an dieser Stelle einmal allen Eltern mit behinderten Kindern für ihr großes Engagement und für die Liebe zu ihren Kindern zu danken. Genauso danke ich allen, die in Behindertentagesstätten oder bei Behinderteneinrichtungen arbeiten, für ihre aufopfernde Tätigkeit. Ich stelle immer wieder fest, daß die Liebe sehr vieler Eltern zu ihrem behinderten Kind so groß ist, daß ich davon nur mit Respekt, Anerkennung und Bewunderung sprechen kann. Trotz meiner genannten Bedenken werde ich dem Gruppenantrag zustimmen, weil ich davon überzeugt bin: Wenn dieser Antrag scheitert, sind wir als politisch Verantwortliche in einer wichtigen Frage gescheitert. Ja, ich muß meine Bedenken sogar zurückstellen, denn habe ich — und haben wir alle — nicht ständig vom mündigen Bürger gesprochen? Und nun soll ich mir anmaßen, durch mein Parlamentsmandat für Frauen Vormund zu sein? Zu einer Unterstützung des Gruppenantrags komme ich, weil ich der Auffassung bin, daß alles, was wir bisher hatten, unbefriedigend war, und das was wir sonst bekommen werden, noch unbefriedigender sein wird. Und daher erlaube ich mir auch, nachdem ich hier meine Bedenken vorgetragen habe, alle Kolleginnen und Kollegen, die zu der einen oder anderen Passage des Gruppenantrages Bedenken haben, zu bitten, diese Bedenken, wenn sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren können, zurückzustellen, damit der Gruppenantrag eine Mehrheit bekommt. Denn: Alles andere wäre ein Schritt zurück und schafft noch mehr seelische Not und menschliche Katastrophen. Das können wir nicht wollen. Ich bedanke mich für Ihre Geduld. Wolfgang Lüder (F.D.P.): Vor einem Jahr haben wir in der Hauptstadtdebatte des Deutschen Bundestages über die Vollendung der Einheit Deutschlands im staatlich-organisatorischen Bereich debattiert. Heute geht es wieder um die Vollendung der Einheit Deutschlands. Zwei unterschiedliche Rechtssysteme müssen in dem schwierigen Strafrechtsbereich zusammengefügt werden. Im einheitlichen Deutschland, in dem ein einheitliches Grundgesetz und nicht zwei unterschiedliche Verfassungen gelten, kann es auf Dauer nicht unterschiedliche Strafrechte geben. Was in Frankfurt/Oder straflos ist, kann nicht in Frankfurt/Main strafbar sein. Was in Dresden gilt, muß auch in Düsseldorf Rechtens sein. Ich habe den Gruppenantrag unterzeichnet und unterstütze ihn in jedem Punkt. Der Gruppenantrag bringt eine am Wertmaßstab des Grundgesetzes ausgerichtete Entscheidung in einer schwierigen Konfliktlage der Frau und — leider zu selten — auch des mitratenden männlichen Partners in einer schwieri gen Konfliktsituation der ungewollten und allzu oft nicht ertragbaren Schwangerschaft. Frau Präsidentin Süssmuth hat kürzlich in einer Fernsehsendung erklärt, daß die Debatte wohl anders und deutlicher zugunsten der Schwangeren geführt würde, wenn wir Männer die Betroffenen wären. Sie hat recht. Ich ergänze: Wie anders würde die offizielle katholische Kirche sprechen, wenn nur Frauen die Sakramente austeilen dürften und nur Frauen darüber entschieden, was die richtige Lehre der Gottheit ist. Wer die Frau, die sich in ihrer Konfliktsituation für einen Schwangerschaftsabbruch unter den im Gruppenantrag vorgesehenen Bedingungen entscheidet, des Kindesmordes bezichtigt, stellt nicht die Frau ins moralische Abseits; er grenzt sich selbst aus. Wenn in dieser Woche vom Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz signalisiert wird, die katholischen Organisationen würden ihre Caritas-Aufgaben zur Beratung der Frau nach Annahme unseres Gesetzentwurfes nicht weiter leisten, dem muß geantwortet werden, daß dann der Staat eben andere karitative Organisationen im kirchenfreien Raum fördern und unterstützen muß, die dem Auftrag des Gesetzes zu entsprechen bereit sind. So viel staatliches Selbstbewußtsein werden wohl auch süddeutsche Länder aufbringen können. Mit dem Gruppenantrag erfüllt das deutsche Parlament die verfassungskräftigen Verpflichtungen aus dem Einigungsvertrag, die sich aus den beiden unterschiedlichen Rechtsentwicklungen in Deutschland zur Frage der Not- und Konfliktlösung von Schwangeren ergeben. Lassen sie mich deutlich sagen: Erstmals in der deutschen Geschichte werden umfassende Hilfsangebote für die Mütter vorgesehen, die ihr Kind zur Welt bringen. Erstmals wird in einem Maß die Verpflichtung zur Bereitstellung von Kindergartenplätzen dargelegt, wie bisher noch nie in der alten Bundesrepublik. Erstmals übernimmt der Staat die Verantwortung dafür, daß jungen Menschen die Verhütung ungewollter Schwangerschaften erleichtert wird. Ich werde dem Gesetzentwurf zustimmen. Er ist verfassungsgemäß und ethisch geboten. Ich kann der Argumentation der Gegner nicht folgen. Sie wird insbesondere der Tatsache nicht gerecht, daß sich Frauen in einer Not- und Konfliktsituation befinden, zu der der Staat nicht nur die eine Antwort geben darf: Austragen eines Kindes, auch gegen den Willen der Mutter; auch in eine soziale und psychische Notsituation hinein. Nein, die Verantwortung vor der Würde der Frau gebietet, daß ihr die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch allein obliegt, da ihr niemand diese Last abnehmen kann. Der Staat wird dabei seiner Verantwortung dadurch gerecht, indem er die Schwangere zur Beratung veranlaßt, aber nicht mit Druck zu ungewolltem Handeln. Ich bitte um Zustimmung zum Gesetzentwurf des Gruppenantrages, weil wir so die Würde der Frau auch im Konfliktfall wahren. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8419* Heinrich Lummer (CDU/CSU): Die heutige Entscheidung ist in gleicher Weise schwerwiegend wie schwierig. Schwerwiegend, weil sie wesentlichen Anteil daran haben wird, ob Kinder geboren werden oder ob sie im Mutterleib getötet werden. Schwierig, weil wegen des notwendigerweise zu suchenden Kompromisses keiner der vorliegenden Entwürfe in hinreichendem Maße dem Gewicht der zu treffenden Entscheidung entsprechen kann. Wenn wir uns die zu beachtenden Tatsachen vor Augen führen, wird deutlich, daß unsere Entscheidung heute immer nur eine mangelhafte Entscheidung sein kann: Es geht um die Frage von Hilfen zum Austragen der Kinder; es geht um Beratung der Eltern in einer solchen Konfliktsituation. Und es geht um die Frage nach Strafe oder Nicht-Strafe für die Tötung eines Kindes im Mutterleib. Und darum handelt es sich für mich, weil niemand die Frage beantworten kann, wann menschliches Leben beginnt. Im Zweifel beginnt es mit der Befruchtung. Deshalb kann es keine Fristen für legales Töten geben. Kein Gesetz kann hier Schuld beseitigen. Auch hier und heute können wir nicht das gesellschaftliche Umfeld schaffen, das die Entscheidung für das Leben selbstverständlich macht. Und ich habe die Befürchtung, daß wir auch nicht in der Lage sind, eine solche Entscheidung „rundherum" sozial abzufedern. Und das Schlimmste: Ich fürchte sehr, daß viele völlig losgelöst von solchen äußeren Rahmenbedingungen nicht gewillt sind, überhaupt eine Entscheidung für das Leben zu treffen. Deshalb möchte ich persönlich anmerken und damit zum Nachdenken anregen: Mag sein, die Eltern haben das Kind vielleicht nicht gewollt. Und doch gibt es für den Christen einen, der es von vornherein gewollt hat. Denken wir beispielsweise daran, wie es in Gottes Wort, der Heiligen Schrift, im Propheten Jeremia — Kapitel 1, Verse 4 und 5 — heißt: „Und das Wort des Herrn geschah zu mir also: Ehe ich dich im Mutterleibe bildete, habe ich dich erkannt, und ehe du aus dem Mutterschoße hervorkamst, habe ich dich geheiligt: zum Propheten an die Nationen habe ich dich bestellt." Von Gott geschaffen, von Gott schon davor gekannt, von Gott für eine Aufgabe bestimmt — nicht nur Leben von Anfang an, sondern Persönlichkeit von Anfang an! Gott wartet nicht, bis sich ein Baby bewegt oder bis es völlig bereit ist für das Leben außerhalb der Mutter, bevor er es kennt und liebt und als winziges menschliches Leben anerkennt. Warum sollten wir damit warten? Dazu haben wir kein Recht! Und außerdem: Abtreibung ist keine „schnelle und einfache" Methode, um ein „ärgerliches Problem" loszuwerden. Kaum jemand sagt den Frauen, die Beratung suchen, was sie dem Kind und den Frauen antun wollen. Kaum jemand spricht von der Abartigkeit der Methoden, die mit nichtssagenden Begriffen belegt werden. Denken wir nur an die Kurettage, bei der mittels eines scharfen Messers das sich wehrende Kind im Mutterleib zerstückelt wird. Oder an das Absaugen mit einem Schlauch, der zehnmal stärker als ein Staubsauger ist, bei dem das sich sträubende Kind zerrissen wird. Wer eine Abtreibung plant, sollte über das aufgeklärt werden, was wirklich geschieht. Meistens wird auch nicht gesagt, daß mindestens doppelt so viele Frauen bei legalen Abtreibungen sterben, die während der ersten drei Monate durchgeführt werden, wie bei einer Geburt. Statistiken zeigen auch, daß eine Frau nach einer legalen Abtreibung mit einer erhöhten Gefahr von späteren Fehlgeburten und Sterilität rechnen muß. Und zumeist werden auch die schweren und langwierigen emotionalen Störungen, die Depressionen und Fehl- und Überreaktionen verschwiegen, unter denen viele Frauen danach leiden. Wenn die Abtreibung als Tötung von Menschenleben legal wird, muß jeder befürchten, daß die Zeit nicht mehr fern ist, in der man auch andere Arten des Tötens akzeptiert. Wenn Leben vor der Geburt zerstört werden darf, warum sollte man nicht auch am Ende manipulieren? Die Schizophrenie liegt auf der Hand: Einerseits schützen wir mit dem Embryonenschutzgesetz mit großem Nachdruck „die befruchtete, menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an" als Embryo und brandmarken Todesstrafe selbst für Schwerstverbrecher weltweit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, als menschenrechtswidrig, und andererseits soll die Tötung unschuldigen Lebens im Mutterleib innerhalb einer willkürlichen DreiMonats-Frist legalisiert werden! Nach alledem: Was können wir heute tun? Wir sind gezwungen, eine neue Regelung zu treffen. Jede Regelung in dieser Frage, die nicht das uneingeschränkte „Du sollst nicht töten" auch uneingeschränkt beachtet, ist keine gute Regelung. Ich sehe mich also gezwungen, dem Entwurf zuzustimmen, der der am wenigsten schlechte ist. Dies ist der Entwurf der sogenannten Gruppe Werner (Drucksache 12/1179). Wenn dieser Entwurf in der ersten Abstimmungsrunde keine Mehrheit findet, werde ich mich für den dann einzigen annähernd vertretbaren Entwurf entscheiden. Das ist der CDU/CSU-Mehrheitsentwurf in der aktuellen Fassung, der durch einen großen sozial- und familienpolitischen Maßnahmenkatalog — trotz angespannter Haushaltslage — die äußeren Bedingungen verbessert und der die Frauen nicht ohne nachhaltige Beratung zur Tötung schreiten läßt. Das ist der Entwurf, der nur bei Vorliegen wirklich schwerwiegender Gründe, sogenannter Indikationen, vom staatlichen Strafanspruch und der staatlichen Strafpflicht absieht. Die Hilfen im Konfliktfall und die soziale Absicherung von Familien muß aber auch über diesen Entwurf hinaus weiter verbessert werden. Wir müssen uns unserer Verantwortung auch über die heutige Abstimmung hinaus stellen. Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Ich bin über die Diskussion, über die Argumente und über die Art und Weise des Umgangs mit dem Thema „Schutz des ungeborenen Lebens" bedrückt. Nach wie vor bin ich der Meinung, daß es sich hierbei um das Thema 8420* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 „Leben eines Menschen" handelt. Jahrhunderte hat die Menschheit gebraucht, um sich über die Stellung des Menschen an sich und seine Beziehung zur Umwelt klarzuwerden. Diese Entwicklung, die in diesem Punkt vom Grundsatz her sagt, daß das Kind im Bauch der Mutter menschliches Leben ist, wird durch den heutigen Erkenntnisstand der Wissenschaft nur unterstrichen. Es ist für mich schon kurios, wenn in der Wohlstandsgesellschaft Mitteleuropas sich genau zu diesem Zeitpunkt darüber Gedanken gemacht werden, ob menschliches Leben unter bestimmten Bedingungen von bestimmten Menschen zur Disposition gestellt werden kann. In Fortsetzung dieses Gedankens steht für mich die Frage: Wie geht diese Diskussion weiter, wenn erst einmal dieses Thema abgehakt ist? Nicht nur angesichts der heutigen Entscheidung, sondern auch vor dem Hintergrund der davon ausgehenden Gefahr möchte ich grundsätzlich meine Position hier benennen. Leben, gleich, in welcher Situation, muß den uneingeschränkten Schutz der menschlichen Gesellschaft genießen. Leider ist das keine allgemeine Position mehr. Die Praxis sieht anders aus, denn die Zahlen der Abtreibungen in Ost und West sind erschreckend. Dieser Situation wurde bereits mit dem bisherigen § 218 StGB Rechnung getragen. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands kam es jedoch zu einer Diskrepanz der diesbezüglichen Rechtslage, so daß das Thema erneut aufgenommen werden mußte. Ich wehre mich dagegen, wenn davon gesprochen wird, daß im Osten Deutschlands 100 % für die Fristenlösung sind. Es gibt zum ersten eine Menge Leute mit einer dezidiert anderen Auffassung. Zweitens weiß ich nach vielen Gesprächen, um die Unkenntnis der bestehenden § 218-Regelung. In diesen Gesprächen habe ich oft festgestellt, daß sich viele mit den Zielen des bestehenden § 218 StGB identifizieren könnten. Drittens meine ich, daß eine ostdeutsche Tradition völlig falsch bewertet wird. Gerade bei der Einführung der Fristen für einen legitimierten Schwangerschaftsabbruch ist es die Ost-CDU gewesen, die trotz der im allgemeinen staatlich verordneten Meinung in der Volkskammer gegen diese Entwicklung gestimmt hat. Viertens kann ich aus eigener Erfahrung in der Familie berichten, wie unsensibel mit dem Thema umgegangen wurde, nachdem die Fristenlösung in der DDR eine längere Zeit möglich war. Meine Frau mußte zweimal, d. h. beim zweiten und dritten Kind, fast darauf bestehen, nicht abtreiben zu lassen, sondern austragen zu wollen. Die Gründe waren vermutete Komplikationen. Im nachhinein gab es die nicht. Die psychologische Situation meiner Frau während der Schwangerschaft vor dem Hintergrund dieser Beratung war nicht einfach. Im nachhinein fällt mir jedoch noch eine Episode ein. Ich muß dabei vorausschicken, wir haben nie mit unseren Kindern über diese Probleme gesprochen. Mein beinahe nicht geborener Sohn Markus formulierte im Religionsunterricht in der ersten Klasse, nach der Aufforderung ein persönliches Gebet zu sagen: „Lieber Gott, ich danke Dir, daß ich lebe." Auf Grund der Mängel des § 218 StGB, auf die ich wegen der vielen Beiträge dazu nicht näher einzugehen brauche, stimme ich für den Gesetzentwurf der Abgeordneten Herbert Werner (Ulm) u. a. zum Schutz der ungeborenen Kinder (Bundestagsdrucksache 12/1179). Für den Fall, daß dieser Gesetzentwurf keine Mehrheit im Deutschen Bundestag findet, werde ich dem Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/ CSU zum Schutz des ungeborenen Lebens (Bundestagsdrucksache 12/1178 (neu)) zustimmen. In diesen beiden Gesetzesvorlagen kommt dem Schutz des ungeborenen Lebens ein angemessen hoher Stellenwert zu. Außerdem begrüße ich, daß ein anderes, aber in diesem Zusammenhang stehendes Thema, mit angegangen wird. Wir müssen nicht nur die Kinder schützen, sondern ihnen auch helfen eine gute Zukunft zu haben. Dazu ist die Unterstützung der Familien, der Frauen und der Kinder durch Gemeinschaft, also durch den Staat notwendig. Eine weitergehende Abschwächung der von mir dargestellten durch die anderen mit eingebrachten Gesetzentwürfe kann ich nicht mittragen. Dr. Franz Möller (CDU/CSU): Leben ist ein göttliches Geschenk, das für Menschen nicht verfügbar ist. Das oberste und beherrschende Prinzip des Grundgesetzes ist in Art. 1, die Unantastbarkeit der menschlichen Würde, niedergelegt. Dieser Artikel findet seine logische Ergänzung in Art. 2, wo es heißt: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit." Daraus folgt für uns als Gesetzgeber, daß das Leben nach dem Entstehen und vor dem Vergehen für jeden Menschen uneingeschränkt und ungeteilt zu gewährleisten ist. Der Entwurf eines „Gesetzes zum Schutz des ungeborenen Kindes", der sogenannte Werner-Entwurf, wird diesem Auftrag gerecht. Die Formulierung „Tötung eines ungeborenen Kindes" kennzeichnet, um was es.bei einer Abtreibung geht. Der grundsätzliche Unrechtscharakter und die gravierende Menschenrechtsverletzung werden deutlich gekennzeichnet. Die Tötung eines ungeborenen Lebens läßt sich nur rechtfertigen, wenn eine Gefahr für das Leben der Mutter besteht. Deshalb erkennt der Werner-Entwurf nur die vitale Indikation als Rechtfertigung an. Da alle anderen Fälle Unrecht sind, spricht der Entwurf auch ein klares Unwerturteil aus. Aber auch wenn Unrecht vorliegt, kann von Strafe abgesehen werden. Jedoch nur unter der Voraussetzung, daß eine dauerhafte und schwerwiegende Beeinträchtigung des körperlichen und seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren vorliegt, die nicht auf eine andere, für die Schwangere zumutbare Weise abgewendet werden kann (§ 218 Abs. 2 Nr. 1). Natürlich können solche Beeinträchtigungen sich auch aus dem psychosozialen Umfeld ergeben. Ent- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8421* scheidend ist jedoch, daß diese Umstände zu einer medizinisch relevanten Auswirkung mit Krankheitscharakter führen. Diese Voraussetzungen müssen tatsächlich vorliegen und gerichtlich überprüfbar sein. Dies ergibt sich daraus, daß es sich in diesen Fällen um Unrecht handelt, auch wenn es nicht strafwürdig ist. Das Strafrecht ist e in e Möglichkeit zum Schutz des ungeborenen Lebens. Daneben müssen, da sind wir uns alle einig, soziale Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die Entscheidung für das Leben leichter machen. Das Argument, das werdende Leben könne nicht gegen die schwangere Frau geschützt werden, wendet sich in einprägsamer Formulierung gegen das Instrument des Strafrechts. Frau Wettig-Danielmeier (SPD) hat dies in ihrem Beitrag klar ausgedrückt, als sie davon sprach, daß „das Strafrecht ausgedient habe". Dieser Auffassung bin ich nicht. Das Strafrecht stellt zwar nur die Ultima ratio im Instrumentarium des Gesetzgebers dar, d. h. aber nicht, daß wir nicht darauf zurückgreifen sollten, wenn wir effektiven Lebensschutz gewährleisten wollen. Hinzuzufügen ist, daß es dabei zudem nicht nur um ein Wollen des Gesetzgebers geht, sondern daß wir durch Art. 2 auch zum Schutz des werdenden Lebens in die Pflicht genommen sind. Welches Mittel der Gesetzgeber wählt, — die von der Verfassung geforderte rechtliche Mißbilligung muß auch in der Rechtsordnung unterhalb der Verfassung deutlich in Erscheinung treten. Diesem Unwerturteil ist die Fristenregelung von 1974 nicht gerecht geworden, wie das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht hat. Auch der Gruppenantrag von SPD und F.D.P. erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Unrecht bleibt die Tötung werdenden Lebens mit Ausnahme der vitalen Indikation immer. Wie weit sie strafwürdig ist, kann zweifelhaft sein. Eine reine formelle Mißbilligung, wie sie in § 218 Abs. 5 des Gruppenantrages — der Zwölf-WochenFrist — ausgedrückt wird, wird unserem Auftrag als Gesetzgeber nicht gerecht, uns schützend vor das werdende Leben zu stellen. Strafnormen richten sich an alle. Wer sich auf die Position der Fristenlösung zurückzieht, verzichtet auf e in e Möglichkeit, menschliches Verhalten zu bestimmen. Natürlich wird das werdende Leben vorrangig von der Schwangeren geschützt; das ist eine biologische Tatsache. Das heißt aber nicht, daß auf die bewußtseinsbildende Kraft „Schwangerschaftsabbruch ist Unrecht" verzichtet werden darf. Ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch kann es nicht geben. Bei einer Orientierung an Art. 1 GG besteht ein Vorrang des Lebensschutzes für das werdende Kind gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht der Frau, und das während der ganzen Dauer der Schwangerschaft. Wenn das werdende Leben als „parasitärer Zellhaufen, der die Lebenschancen der Frau beeinträchtige und deshalb beseitigt werden müsse" angesehen werden darf, wie es die Abgeordnete Schenk gesagt hat, ist das eine Pervertierung unseres Rechtsbewußtseins. Mit dem Embryonenschutzgesetz vom 13. Dezember 1991 hat der Bundestag schon die „befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an" unter den besonderen strafrechtlichen Schutz gestellt. Darin zeigt sich, daß wir als Gesetzgeber die Bedeutung des Strafrechts zum Schutz des werdenden Lebens hoch bewerten. Das war und ist richtig. Aber warum soll werdendes Leben im Mutterleib weniger Schutz genießen? Der sogenannte Werner-Entwurf, den ich mitunterzeichnet habe, bietet dem werdenden Leben den Schutz, den es nötig hat und den es von uns verlangt. Deshalb stimme ich für diesen Entwurf. Wenn er keine Mehrheit findet, werde ich dem Mehrheitsantrag der CDU/CSU-Fraktion meine Stimme geben. Alfons Müller (Wesseling) (CDU/CSU): Ich will es gleich vorweg sagen, meine Zustimmung vermag ich heute nur dem Entwurf der Werner-Gruppe zu geben, der ich seit Jahren angehöre. Ich habe wiederholt meine Meinung zu diesem wichtigen Thema deutlich und klar zum Ausdruck gebracht. Bereits 1984 habe ich als Abgeordneter des Deutschen Bundestages dazu Stellung genommen, ebenso am 20. September 1990 und erneut am 25. September 1991. Es ist mir nicht leichtgefallen, wegen der Fristenregelung zur Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands ein Nein zu sagen. Dabei habe ich den Einigungsprozeß aktiv und engagiert unterstützt. Bei allen Debatten ging es vorrangig darum, ob die Entscheidungsbefugnis über das ungeborene Leben der werdenden Mutter allein überantwortet werden soll. Dies ist auch heute in dieser Debatte vor allem aus dem Munde von SPD- und F.D.P.-Rednern erneut vorgetragen worden. Es wird immer nur von der Situation der Frau gesprochen, selten vom Lebensrecht des ungeborenen Menschen. Auch die übrigen Entwürfe, die heute zur Entscheidung anstehen, sind für mich nicht akzeptabel. Ich meine wir sollten ehrlich miteinander umgehen und den Schutz des werdenden Lebens in den Mittelpunkt stellen. Die hohe Zahl der Abtreibungen muß doch jeden von uns tief beunruhigen. Es kann daher nicht angehen, daß den ungeborenen Kindern der ihnen zustehende rechtliche Schutz der staatlichen Gemeinschaft versagt wird. Das widerspricht ganz klar meiner christlichen Grundüberzeugung, meinem ethischen Empfinden, dem Grundgesetz und auch dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975. Nach meiner Auffassung bedeutet jede Abtreibung die Tötung eines ungeborenen Menschen als Ebenbild Gottes. Mein Gewissen verbietet mir daher, einer Abtreibung — außer aus medizinischen Gründen — zuzustimmen. Durch jede Art von „verdeckter" oder „offener" Fristenregelung entzieht sich der Staat nicht nur 8422* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflicht; auch das Rechtsbewußtsein gegenüber dem ungeborenen Leben wird entscheidend negativ verändert. Wenn das ungeborene Leben nicht mehr unter dem Schutz des Staates steht, dann empfinden viele Menschen kein Unrecht mehr, wenn sie Leben abtreiben, also töten. Dadurch wird die unbedingte notwendige Achtung vor dem Recht auf körperliche Unversehrtheit in unerträglicher Form verändert. Jeder muß wissen: Wer hier Rechtspositionen aufgibt, wird sie nie mehr zurückholen können. Wie sollen je die Schleusen geschlossen werden, die sich heute durch unsere Entscheidung auftun können. Es darf nicht sein, daß wir die Schutzbedürftigkeit eines Schwalbennestes unter einem Hausdach oder eines Froschlaiches in einer Regenpfütze höher bewerten als das menschliche Leben, das doch höchstes Gut auf Erden ist. Ich unterstütze daher nachdrücklich den Gesetzesantrag der Initiativgruppe „Schutz des ungeborenen Kindes". Lediglich eine Abtreibung aus medizinischen Gründen wird unserem Grundgesetz und unserer Wertordnung gerecht. Ich bedauere auch, daß ich dem Mehrheitsantrag meiner Fraktion nicht zustimmen kann. Die in diesem Entwurf formulierten Voraussetzungen stellen mangels jeglicher Objektivierbarkeit und Justitiabilität einer beabsichtigten oder bereits durchgeführten Tötung ungeborenen Lebens keine Indikationslösung, sondern eher eine verdeckte Fristenregelung dar. Ich kann erst recht nicht dem von SPD-, F.D.P.- und einigen Mitgliedern meiner Fraktion eingebrachten Gruppenantrag sowie den übrigen Anträgen zustimmen. Vorschläge, die hier gegenüber dem Mehrheitsantrag meiner Fraktion unter Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau weitergehende Regelungen anstreben, sind für mich kein Maßstab. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin mir bewußt, daß eine strafgesetzliche Regelung, wie auch immer sie aussehen mag, die Abtreibungszahlen in Deutschland nur unwesentlich beeinflussen wird. Aber auch das allgemein für notwendig erachtete Verkehrsstrafrecht erreicht keine unmittelbare Verhinderung entsprechender Vergehen, das unmittelbare Ziel kann nur die Beeinflussung der Bewußtseinsbildung sein. Ich bin allerdings der Auffassung, daß wir deutlichere Zeichen für das Leben setzen müssen. Unser Bestreben in der politischen Arbeit war und ist es, die Familienpolitik positiv zu gestalten. Als langjähriger Bundesvorsitzender der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) habe ich entscheidend mithelfen können, die familienpolitischen Leistungen zu verbessern. Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht war und bleibt ein entscheidender Durchbruch. Aber wir dürfen uns damit nicht zufriedengeben. Es müssen weitere familienpolitische Leistungen Wirklichkeit werden, und es muß endlich aufhören, daß eine Frau nur deshalb abtreibt, weil sie sich alleingelassen fühlt oder keine ausreichende Hilfe erhält. Ich stimme den Aussagen der katholischen Kirche in diesen Fragen voll und ganz zu und danke den Bischöfen für die aufrüttelnden Worte und wegweisende Hilfe. Leben ist und bleibt das höchste Gut in unserer Gesellschaft und sollte deshalb nur dann angetastet werden, wenn eine Gefahr für Leib und Leben der Mutter besteht. Ich darf mit Nachdruck alle Kolleginnen und Kollegen urn eine gewissenhafte Entscheidung für das Leben bitten. Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): In der Abstimmung zur Neuregelung des § 218 für das vereinigte Deutschland werde ich für den Gesetzentwurf stimmen, der unter Federführung meiner Fraktionskollegin Uta Würfel erarbeitet und als Gruppenantrag über Fraktionsgrenzen hinweg eingebracht worden ist. Ich bin davon überzeugt, daß er das ungeborene Leben besser schützt als jede Strafandrohung. Der Gesetzentwurf sieht vor, daß jede Frau, die in einer Konfliktsituation einen Schwangerschaftsabbruch erwägt, an einer Beratung teilnimmt, um einerseits ihre Lage im Gespräch zu klären, vor allem aber über die staatlichen Hilfen, die ihr bei Nichtabbruch zustünden, informiert zu werden. Die anschließende Entscheidung muß bei der betroffenen Frau und ihrem Partner liegen. Forderungen, daß ein Arzt das Vorliegen einer Notlage feststellen, sie schriftlich niederlegen und letztlich über den Schwangerschaftsabbruch entscheiden solle, unterstellen, daß Frauen unfähig seien, eine Gewissensentscheidung zu treffen und den Schwangerschaftsabbruch als Methode der Geburtenkontrolle einsetzen. Ich halte es für unglaublich, Frauen keine Ethik, keine Moral und kein Verantwortungsbewußtsein zuzutrauen. Der richtige Weg zum Schutze Ungeborener kann nur sein, die Bedingungen, unter denen Familien und alleinstehende Mütter Kinder erziehen, zu verbessern. Dies wird nicht mit dem Strafrecht erreicht, sondern durch flankierende Maßnahmen im sozialen Bereich, wie sie die Koalitionsregierung bereits verabschiedet hat. Wir wollen die Betreuungsmöglichkeiten vor allem für Alleinerziehende verbessern und jedem Kind einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz garantieren — dies scheiterte bisher an den Ländern, die andere Prioritäten bei der Verteilung ihrer Einnahmen setzen. Schwangere Frauen und Mütter sollen bei der Vergabe von Sozialwohnungen bevorzugt werden, das Erziehungsgeld für zwei Jahre gezahlt, der Erziehungsurlaub auf drei Jahre verlängert werden. Insgesamt wollen wir die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Familien und die Schaffung einer kinderfreundlichen Umwelt mit Hilfe einer breiten Palette weiterer sozialer Hilfen erreichen. Diese und andere Maßnahmen, zusammen mit einer verbesserten Sexualerziehung, schaffen den Rahmen für den Gesetzentwurf, den ich unterstütze und mitunterschrieben habe. Ich bin davon überzeugt, daß er das ungeborene Leben besser schützen kann als Strafandrohung oder die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch durch einen unbeteiligten Dritten. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8423* Vertrauen in das Verantwortungsbewußtsein einer schwangeren Frau und ihres Partners und die Beschlüsse, die bessere Bedingungen für Familien und Kinder schaffen, sind die Grundlage meiner Entscheidung. Friedhelm Ost (CDU/CSU): Der Schutz des Lebens, insbesondere des ungeborenen Lebens, ist die wichtigste Aufgabe für Politik und Gesellschaft. Als Politiker, der mit aller Überzeugung zum „C" im Namen seiner Partei steht und der — fernab von jeglicher Opportunität und gegen starke Strömungen des Zeitgeistes — aus innerer Überzeugung die Orientierung der Politik an den christlichen Grundwerten für wichtig und richtig hält, lehne ich eine wie auch immer vorgesehene Fristenregelung ab. Der frühere Lübecker Bischof und Neutestamentler Ulrich Wilckens hat vor wenigen Tagen überzeugend darauf hingewiesen, daß „das Selbstbestimmungsrecht der Frau seine Grenze beim Schutz des heranwachsenden Kindes finden muß". Das Recht auf freie Selbstbestimmung könne — so Bischof Wilckens weiter — seinen Sinn nur behalten, wenn es gleichgewichtig für alle Menschen gelte. Und er befürchtet zu Recht: „Gäbe es ein Recht auf Abtreibung, so gäbe es auch bald ein entsprechendes Recht auf Tötung behinderter, schwerkranker oder siecher alter Menschen." Aus meinem Verständnis heraus hat kein Mensch ein Recht, über menschliches Leben in irgendeiner Weise zu verfügen. Nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen beginnt mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle das Leben eines unverwechselbaren Individuums: Der Mensch ist Mensch von Anfang an! Deshalb ist jede Festlegung einer Frist, innerhalb der eine Abtreibung vorgenommen werden soll, rein willkürlich. Ja, die Fristenregelung würde die Möglichkeit eröffnen, auch in anderen Altersphasen über das menschliche Leben zu verfügen. Eine strafrechtliche Mißbilligung der Abtreibung ist und bleibt deshalb notwendig; denn nur so wird allen deutlich gemacht, daß das werdende Kind nicht weniger Recht auf sein Leben hat als jeder andere Mensch. Es kann und darf nicht Leben 1. Klasse und 2. Klasse, nicht disponibles und kein unverfügbares Leben geben. Dabei warne ich davor, jene, die eine klare rechtliche Regelung fordern, als ewiggestrig und konservativ zu verteufeln. Unser Grundgesetz ist in diesem Punkt ganz aktuell; es verfolgt ohne jede Einschränkung den Schutz des menschlichen Lebens und entspricht damit doch eindeutig den Wertvorstellungen unserer Gesellschaft. Wenn das Leben nicht mehr durch Recht und Gesetz geschützt ist, wird darunter auch die ethische Überzeugung vom Wert des Lebens leiden und ausgehöhlt. Richtig ist, daß das uneingeschränkte Ja zum ungeborenen und geborenen Leben sowohl rechtlich gesichert als auch durch eine Vielzahl anderer Maßnahmen flankiert werden muß. Soziale Hilfen sind wichtig und richtig. Aber es wäre ein Trugschluß, zu glauben, daß solche Verbesserungen, die mit Milliarden aus den Staatskassen finanziert werden, allein ausreichen. In den letzten Wochen und Monaten sind wir alle von vielen Menschen in unserem Land sowie von Institutionen und vor allem auch von den Kirchen ermahnt worden, uns politisch für den Lebensschutz des ungeborenen Kindes stark zu machen. Diese Mahnungen nehme ich sehr ernst, doch sollten alle Mahner sich mehr noch als bisher aktiv für den Schutz des Lebens engagieren. Das beste Gesetz, die optimale rechtliche Regelung, finanzielle, wirtschaftliche und soziale Hilfen sind von großer Bedeutung, aber sie werden allein nicht die viel zu hohe Zahl von Abtreibungen verhindern. Hinzukommen muß das ganz persönliche, direkte Engagement für schwangere Frauen, für Familien mit Kindern, für das ungeborene und geborene Leben — in den Familien, in der Nachbarschaft, in den Kommunen, in den Kirchengemeinden. Wir alle sind herausgefordert, das Bewußtsein für das Leben zu stärken und unsere aktiven Hilfen vor Ort weiter zu erhöhen. Denn nur im Zusammenwirken rechtlicher, sozialer und bewußtseinsbildender Maßnahmen kann es gelingen, das Leben ungeborener Kinder wirksam zu schützen. In diesem Zusammenhang danke ich den kirchlichen Verbänden, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kirchen für ihr großartiges Engagement für das Leben, für schwangere Frauen in Not, für die Familien. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, hat die Politiker aufgefordert: „Helft den Frauen nicht nur auf dem Papier, ja zum Kind zu sagen." Indem ich seine Forderung unterstreiche, möchte ich betonen, daß diese Forderung für alle gilt: „Helft den Frauen nicht nur mit Worten, ja zum Kind zu sagen! " Gemeinsam das Lebensrecht der ungeborenen Kinder besser zu schützen als bisher, dies muß unser Ziel sein. Deshalb stimme ich dem Gesetzentwurf meines Kollegen Herbert Werner und anderer Kolleginnen und Kollegen aus meiner CDU/CSU-Fraktion mit voller Überzeugung zu und bitte darum, daß möglichst viele Abgeordnete diesen Gesetzentwurf ebenfalls unterstützen. Lisa Peters (F. D. P.): Der Einigungsvertrag veranlaßt uns zum Handeln. Eine neue, die Entscheidung, sollte, muß heute fallen! Wir müssen zu einer Lösung kommen, die diesem Problem angemessen ist. Die Fraktionen und Mitglieder des Deutschen Bundestages haben in den letzten Wochen und Monaten hart gearbeitet, angehört, beraten, abgewogen. Sieben Entwürfe sind zur Abstimmung vorgelegt worden. Ausdrücklich danke ich den Kollegen und Kolleginnen, die sich um einen gemeinsamen Antrag bemüht haben. Drei Ziele müssen wir erreichen: — das ungeborene Leben schützen, — die gesamte Situation der Mutter — die familiäre, körperliche und seelische — berücksichtigen, — Rechtssicherheit herstellen. 8424* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Heute gab es viele gute Beiträge. Es wurde fair gestritten, überwiegend sachlich und angemessen diskutiert. Mein Stader Kollege Horst Eylmann hat alles gesagt, alles dargestellt, uns Wege gewiesen. Seine Ausführungen waren umfassend. Ich kann ihnen nur zustimmen. Wir müssen heute entscheiden, jeder, jede muß seine Stimme abgeben. Die Entscheidung fällt mir nicht leicht, es ist eher eine Last, es berührt mich tief! Wertbegriff, Glauben, Erziehung, viele Dinge spielen mit. Die Frage, kann und darf man eine Schwangerschaft abbrechen, ist nur schwer zu beantworten! Ich habe trotzdem den Gruppenentwurf unterschrieben, ich trage ihn voll mit. Ich möchte, daß wir in Zukunft weniger Schwangerschaftsabbrüche haben. Kinder müssen leben können! Wir benötigen eine Rechtslage für Frauen, die in großer Not sind. Frauen und Familien brauchen Hilfe, Beratung und Unterstützung. Frauen müssen ihr Kind austragen können. Hier ist eine umfassende Hilfe nötig. Diese Hilfe kostet Geld. Wir müssen dafür die Mittel bereitstellen. Ich habe selbst Kinder geboren, eine Abtreibung wäre für mich nicht in Frage gekommen. Auch einem behinderten Kind hätte ich das Leben geschenkt. Ich war aber nicht in Not, wir wollten Kinder, haben uns Kinder gewünscht. Sie wurden erwartet. Frauen brauchen deshalb einen Rechtsanspruch auf Hilfe, wenn sie in Not sind. Sie müssen aufgefangen werden, wenn ein Schutz in der Familie fehlt. Ich begrüße ausdrücklich die Pflicht zur Beratung. Ich appelliere an alle im Hause, heute in der dritten Lesung zu einem Gesetz zu kommen. Dieser Weg sollte „durchsichtig" und nicht nur von Geschäftsordnungsdebatten beherrscht sein. Wir alle müssen nach der Beschlußfassung das Ergebnis respektieren, die Meinung des/der Andersdenkenden achten. Jede Diskriminierung müßte ausgeschlossen werden können. Frauen sollten in unserem Land ihr Kind austragen können. Dabei müssen Gemeinden, Städte, Kreise und Länder helfen, Mittel bereitgestellt werden, Einrichtungen geschaffen werden. Wir haben noch viel zu tun, unsere Welt muß humaner und menschlicher werden, Kinder nicht nur geduldet sein, sie sollten Mittelpunkt unseres Lebens sein oder werden. Ich bitte Sie, für den Gruppenantrag zu stimmen! Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Den Gegenstand, den wir heute zu beraten und über den wir schließlich zu befinden haben, halte ich für den schwerwiegendsten, mit dem sich das deutsche Parlament in dieser Legislaturperiode auseinanderzusetzen hat: die Frage nach dem Umgang mit einem ungeborenen Kind, was mithin in die Frage nach unserem Verhältnis zu und dem Umgang mit menschlichem Leben schlechthin mündet. Ich betone diese Wortwahl, denn mit der Verwischung und Verharmlosung von Begriffen in einigen der vorliegenden Gesetzentwürfe wird auch die Grenze zwischen Recht und Unrecht, zwischen Verantwortung für wehrloses, menschliches Leben einerseits und Eigennutz und Selbstsucht andererseits verwischt und die Frage nach der moralischen Qualität unseres Umgangs mit diesem Leben an den Rand gedrängt. Nicht nur der christliche Glaube, auch höchstrichterliche Entscheidungen liefern uns als wesentliche Vorgabe, daß das Lebensrecht des ungeborenen Kindes Vorrang hat vor der Verfügungsfreiheit der Schwangeren über dieses ungeborene Leben. Die vorliegenden Gesetzentwürfe müssen sich deshalb an der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichtsurteils von 1975 messen lassen, ob sie die Tötung eines ungeborenen Kindes auch tatsächlich als strafbare Handlung mißbilligen und vom Grundsatz her unter Strafe stellen. Ich halte dies für unverzichtbar, denn Strafrecht schafft auch Rechtsbewußtsein. Umgekehrt liegt der Schluß von der Straffreiheit auf moralisches Erlaubtsein gefährlich nahe. Jenseits der strafrechtlichen Aspekte, die ohne Zweifel dieses Parlament in die einzelnen Lager spalten, muß das hohe Maß an Gemeinsamkeit darin betont werden, daß ohne wirksame materielle und immaterielle Hilfen für Schwangere, Mütter, Familien und Kinder eine nur strafrechtliche Aufarbeitung alleine ungeborenes Leben wohl kaum wirklich wirksam zu schützen vermag. Die Entscheidung für das Kind muß mit vielfältigen sozialen Hilfen und Leistungen für Schwangere erleichtert werden. Die Verbesserung der Hilfsangebote für schwangere Frauen ist nach meiner Meinung der beste Weg, die Zahl der Abtreibungen deutlich zu reduzieren. Den Hilfen, wie sie die beiden Gesetzentwürfe der Union vorsehen, kommt deshalb herausragende Bedeutung zu: Ich nenne hier nur stichwortartig die Verlängerung des Erziehungsurlaubs und des Erziehungsgeldes, die Einführung eines Familiengeldes, die Anhebung des Kindergeldes sowie des Kinderfreibetrages, den Anspruch auf einen Kindergartenplatz ab 1997, die Hervorhebung der Beratung der Schwangeren und vieles mehr. Erfreulich ist auch der breite Konsens darüber, daß keine Neuregelung im strafrechtlichen Bereich zu einer Kriminalisierung der Schwangeren führen darf. Indikation hin, Indikation her, Notlage hin, Notlage her: In unzähligen Fällen wird eine Frau dann nicht den Weg durch die gesetzlich vorgeschriebenen Instanzen antreten, um nicht „erfaßt" zu werden. Vielmehr wird sie, um einer formellen Illegalität zu entrinnen, gleich den Weg in den Bereich der Dunkelziffern wählen. Damit wäre weder der Schwangeren noch dem ungeborenen Kind geholfen; das Gesetz hätte dann versagt. Eine Strafandrohung allein kann die Konfliktlage einer ungewollt schwangeren Frau, die sich in einer schwerwiegenden Notlage befindet, nicht lösen. Ich werde heute für den Mehrheitsentwurf der CDU/CSU-Fraktion stimmen. Ich tue dies nicht leichten Herzens, sondern nach sehr gründlicher Abwägung mit den anderen vorgelegten Entwürfen. Ohne den Entwürfen, die außerhalb der Union vorgelegt wurden, den guten Willen zum Schutz des ungebore- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8425* nen Kindes absprechen zu wollen, laufen sie m. E. ausdrücklich oder letztlich de facto in der Praxis auf Fristenregelungen — zwar unterschiedlicher Qualität, aber eben auf solche — hinaus. Fristenregelungen widersprechen jedoch eklatant dem eingangs dargelegten wesentlichen Grundsatz des Vorrangs des Lebensrechtes des Kindes vor dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter. Diesen Gesetzentwürfen muß ich mich deshalb widersetzen. Aber auch der Mehrheitsentwurf der CDU/CSU- Fraktion trägt Mängel in sich, derentwegen ich ihm nicht uneingeschränkt zustimmen kann: 1. Auch dieser Entwurf erliegt dem Versuch zumindest einer Neutralisierung der Abtreibungsproblematik, indem er nicht von der faktischen Tötung eines ungeborenen Kindes, sondern nur vom „Abbruch einer Schwangerschaft" spricht. Der Minderheitenentwurf der Unionsfraktion hingegen spricht stets konsequent von der „Tötung eines ungeborenen Kindes". 2. Auch das Zwei-Indikationen-Modell öffnet Türen zum Mißbrauch durch breite Auslegbarkeit dessen, was etwa eine psychosoziale Notlage im einzelnen sein kann. Der Minderheitenentwurf aus der Union setzt hier immerhin engere Grenzen, obwohl auch er den Mißbrauch nicht ausschließen kann. Ich gestehe allerdings zu, daß jegliche Indikation die Gefahr des Mißbrauchs in sich birgt. Ein Ausschluß jeder Indikation aber würde viele Frauen wiederum in die Illegalität treiben. Man mag gegen diese Erwägung von orthodoxer Seite her vieles einwenden können — von der tatsächlichen Lebenswirklichkeit her ist es aber nun einmal so. Und ein verantwortungsvoller Umgang mit der heutigen Problematik gebietet es eben, dieser Lebenswirklichkeit ins Auge zu blicken und dieser gerecht zu werden. 3. Der Gesetzentwurf sieht ebensowenig wie alle anderen Möglichkeiten vor, wie die Väter ungewollter Schwangerschaften stärker in die Verantwortung eingebunden werden können. Ungewollte Schwangerschaften sind ihre Sache genauso wie die der Mütter. Die Verantwortung in jedweder Hinsicht ist von ihnen deshalb genauso zu tragen. Mann und Frau haben zusammen zwar in der Tat das Recht, über die Zeugung eines Kindes zu entscheiden. Über das Leben oder die Tötung eines einmal gezeugten, lebenden Kindes aber zu entscheiden haben sie nicht. Sich hieraus möglicherweise ergebende Lasten müssen deshalb von beiden gleichermaßen getragen werden. 4. Eine Möglichkeit, die Väter in die Verantwortung mit einzubinden, liegt in ihrer Einbeziehung in die Pflichtberatung, soweit der Vater wirklich feststeht. Gerade in kritischen Fällen, in denen ein Vater aus welchen Gründen auch immer zur Abtreibung drängt, könnte dadurch das beidseitige elterliche Ja zum Kind sichergestellt und der Schwangeren in einer schwierigen Beratungssituation Halt gegeben werden. Der Mehrheitsentwurf der Union sieht die Teilnahme des Vaters oder anderer Personen am Beratungsgespräch leider nur auf Wunsch der Schwangeren vor. 5. Die Beratung könnte ihr Ziel, das Ja zum Kind zu sichern, noch erfolgreicher erreichen, wenn sie den Ablauf einer Abtreibung und damit einer Tötung eines ungeborenen Kindes verpflichtend und gegebenenfalls mit Bildern darstellen müßte. Eine solche Verpflichtung fehlt im Gesetzentwurf. Zwar soll der abtreibende Arzt verpflichtet werden, der Schwangeren den Ablauf der Abtreibung darzulegen. Zu diesem Zeitpunkt ist es aber für das ungeborene Kind schon zu spät. Die Darstellung gehört deshalb in die Beratung. Allein mit Blick auf diese fünf Einwände müßte ich in der Abstimmung dem Minderheitenentwurf der Fraktion den Vorzug geben. In der politischen Entscheidung und der die Gesamtproblematik betrachtenden Gewissensentscheidung kann es aber leider nicht nur allein darum gehen, wie das ungeborene Kind so vollkommen wie möglich geschützt werden kann, nicht nur darum also, was ich positiv und konstruktiv will. Die heute gegebene Gefechtslage gebietet es, genauso in Betracht zu ziehen, was es zu verhindern gilt: nämlich all jene Gesetzentwürfe, die offen oder versteckt auf eine Fristenlösung hinauslaufen. Zwar mag bei isolierter Betrachtungsweise der Minderheitenentwurf der Union scheinbar eher geeignet sein, das ungeborene Leben zu schützen. Bei realistischer Einschätzung der Gefechtslage gehe ich aber davon aus, daß eine Unterstützung dieses Minderheitenentwurfs die Mehrheitsfähigkeit des Mehrheitsentwurfs der Union vereitelt und damit einer Fristenregelung der einen oder anderen Form Tür und Tor öffnet. Die Abwägung lautet also mit anderen Worten: Muß nicht — um das Schlimmste einerseits zu verhindern — aus politischen und Gewissensgründen andererseits die Einschränkung einer angenommenen Vollkommenheit beim Schutz des ungeborenen Lebens in Kauf genommen werden? Was würde denn geschehen, wenn wir uns mehrheitlich auf den zwar rechtgläubigen Minderheitenentwurf aus der Union versteifen und einer Fristenregelung dadurch letztlich indirekt zu einer Mehrheit verhelfen würden? Die Befürworter einer rechtgläubigen Lösung mit maximaler Strafbarkeit und geringstmöglicher Indikation würden uns dann eben nicht dafür loben, daß wir mit wehenden Fahnen untergegangen sind. Sie würden vielmehr berechtigte Kritik üben und fragen, warum wir nicht alles unternommen haben, um das Schlimmste für das ungeborene Kind zu verhindern, nämlich eine Fristenlösung. Der Mehrheitsentwurf der CDU/CSU-Fraktion läßt zwar manche Wünsche offen, bietet aber einen Schutz für das ungeborene Kind, der über den bisherigen Status sowohl in den alten als auch erst recht in den neuen Bundesländern hinausgeht. Letztlich gibt er aber am ehesten Gewähr dafür, daß eine wie auch immer geartete Fristenlösung verhindert wird. Ich stimme deshalb für den Mehrheitsentwurf der Union. Peter Rauen (CDU/CSU): Grundlage der Diskussion zum Schutz ungeborener Kinder ist für mich die Frage, wann und ab welchem Zeitpunkt das Grundrecht auf den Schutz des Lebens einsetzt. 8426* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Noch im letzten Jahrhundert ging man (z. B. der Zoologe Ernst Haeckel) davon aus, daß jeder Mensch in seiner vorgeburtlichen Entwicklung auch tierische Entwicklungsphasen durchläuft. Und noch vor wenigen Jahren wurde von dem Embryo als einem Zellhaufen oder einem himbeerähnlichen Gebilde gesprochen. Heute wissen wir es besser. Die in den letzten Jahren durch die vorgeburtliche Diagnostik gewonnenen Erkenntnisse und Forschungsergebnisse lassen keinen Spielraum mehr für irgendwelche Interpretationen, sondern müssen als verpflichtend zur Kenntnis genommen werden. Von der Befruchtung der Eizelle an ist der Mensch mit all seinen späteren Anlagen und in seiner Einzigartigkeit geschaffen. Er entwickelt sich nicht etwa von da an zum Menschen, sondern lediglich als Mensch. Es gibt kein vormenschliches Stadium des Embryos. Er entwickelt sich ohne Zäsuren oder Einschnitte und ist in jeder Phase seines Lebens bis zu seinem Tod von gleicher Wertigkeit. Auch wenn der Mensch im Alter von zwei Monaten nur so groß wie ein Daumen ist, so schlägt dennoch sein Herz, sein Gehirn arbeitet, und seine Fingerabdrücke sind individuell und einzigartig wie die Linien seiner Hand. Das Leben dieses Menschen kann und darf nicht zur Disposition stehen. Es kann und darf nicht der Verfügbarkeit anderer unterliegen. Das Recht auf Leben ist die fundamentale Rechtsposition unserer Verfassung, und damit ist der Schutz des Lebens nicht nur eine individuelle, sondern eine solidarische und öffentliche Aufgabe und somit auch Aufgabe unserer Rechtsordnung. Wer das ungeborene Kind der Mitmenschlichkeit entzieht, greift damit die wesentliche Grundlage unseres Ethos an. Unsere Gesellschaft setzt sich heute — wie ich finde, zu Recht — für den Schutz von Robbenbabies, Walen, Nashörnern, Elefanten und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ein. Soll dieselbe Gesellschaft gleichzeitig die Augen davor verschließen, daß Abtreibung nichts anderes als die Tötung des ungeborenen Kindes bedeutet, und dies auch noch legalisieren? Hier wurde heute von den Befürwortern einer Fristenlösung häufig das Recht zur Selbstbestimmung der Frau reklamiert. Das Recht auf Selbstbestimmung ist für uns ein hohes Gut, aber es kann und darf nicht dazu führen, daß dem ungeborenen Kind sein originäres Lebensrecht abgesprochen wird. Wer Selbstbestimmung für sich selbst einfordert, kann nicht dafür sein, daß andere fremdbestimmt werden. Das Kind und sein Leben sind nicht verfügbar. Von denen, die das Selbstbestimmungsrecht der Frau gegen das Recht auf leben des ungeborenen Kindes stellen, wird nach meiner Überzeugung viel zuwenig beachtet, daß es zu dieser alternativen Frage nun wirklich nicht zu kommen braucht, weil es genügend Möglichkeiten gibt, eine Schwangerschaft zu verhüten. Wird dem Selbstbestimmungsrecht der Frau nicht schon dadurch in hohem Maße Rechnung getragen, daß sie heute umfassender denn je selbst präventiv über die Schwangerschaft entscheiden kann, indem sie oder ihr Partner mit den verschiedensten Verhütungsmitteln das Zustandekommen einer Schwangerschaft verhindern können? Ich finde, wir machen es uns doch zu einfach, und wir werden damit unserer großen Verantwortung nicht gerecht, wenn wir — wie heute teilweise geschehen — das Problem der Abtreibung lediglich an der Frau und ihrem Arzt festmachen. Wenn es heute eine Mehrheit dafür geben sollte, daß gemäß dem Gruppenantrag zukünftig die Tötung eines Kindes bis zum 90. Tage nach der Zeugung erlaubt wird, dann ist dies für mich ein Dammbruch und ich wage mir nicht auszumalen, was diese Entscheidung für das Rechtsempfinden und das Wertebewußtsein unserer Gesellschaft bedeutet. Nach meiner Gesinnung und inneren Überzeugung kann es in der Frage, ungeborene Kinder zu schützen, keinen Kompromiß geben. Ich stimme deshalb für den Gesetzentwurf der Gruppe Werner. Eine Mehrheit für den Gruppenantrag, der nach- Beratung innerhalb von Fristen das Töten eines Menschen erlaubt, halte ich jedoch für einen derart irreparablen Schaden im Wertebewußtsein unserer Gesellschaft, daß ich mir je nach Debatte und Abstimmungsverfahren vorbehalte, eventuell meine Stimme dem Entwurf der Unionsfraktion zu geben, um dadurch eine Mehrheit für den Gruppenantrag zu verhindern. Ich darf abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, eindringlich an Sie appellieren und höflich darum bitten, Ihre Entscheidung heute an dem unveräußerlichen Grundrecht auf Leben auszurichten. Dr. Bertold Reinartz (CDU/CSU): „Recht" und „Ethik" sind unterschiedliche Disziplinen. Man kann aus einer ethischen Forderung nicht prinzipiell und zwingend gesetzgeberische Konsequenzen und rechtliche Folgerungen für ein Gemeinwesen ableiten. Aber dennoch werden beide Bereiche zusammengeführt, und zwar aus der Verantwortung politischen Handelns heraus, wissend um die Leitfunktion des Rechts für menschliches Handeln. Recht und Ethik sind untrennbar aufeinander bezogen. Besonders deutlich wird dies, wenn Menschenrechte voneinander abzugrenzen sind. Das Bundesverfassungsgericht hat 1975 ausgeführt: „Der Lebensschutz der Leibesfrucht genießt grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren und darf nicht für eine bestimmte Frist in Frage gestellt werden. " Das Grundgesetz schützt auch das Lebensrecht des ungeborenen Kindes. Der Schutz des ungeborenen Lebens ist eine ethische Aufgabe höchster Stufe, die ihre adäquate rechtliche Antwort finden muß. Dem werdenden Leben kommt die unverfügbare Würde des Menschen zu. Daraus leitet sich für das ungeborene Kind das unteilbare Menschenrecht ab. Das werdende Leben entwickelt sich weder in einem rechtsfreien Raum noch in einem privatrechtlichen Sachverhältnis („mein Bauch gehört mir") der Mutter zu ihrem Kind. Mutter und Kind bilden eine Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8427* auch ungeborenes Leben nicht verfügbar. Gerade das leugnet fälschlicherweise jede Fristenlösung. Ein Staat ist nicht eine zufällige Interessengemeinschaft von Menschen. Das Grundgesetz nennt eine Vielzahl von Werten und Rechten, die unter seinem Schutz stehen. Aufgrund dieser gemeinsamen Basis fordert auch der Deutsche Bundestag immer wieder, daß auch im Strafrecht diese Werte, besonders aber die Werte Gerechtigkeit und Leben, ihren wirksamen Schutz finden müssen. Weiterhin ist anerkannt, daß das Strafrecht eine Orientierung und eine Leitbildfunktion für eine verantwortliche Werteordnung ausstrahlt. Sonst würden wir z. B. nicht zu Recht über strafrechtliche Sanktionen bei Unrechtsverhalten wie Nötigung in der Ehe oder bei verantwortungslosem Umgang mit der Umwelt diskutieren. Der Staat hat aber vor allem die Pflicht, das unveräußerliche und unteilbare Leben zu schützen. Ein Staat, der diese Pflicht nicht in aller gebotenen Konsequenz wahrnimmt, ein Staat, der die Menschenrechte und die Menschenwürde nicht absolut schützt, ein Staat, der glaubt, das höchste Gut, nämlich das Leben, in das Belieben von Menschen stellen zu können und der dessen Vernichtung nicht mehr strafrechtlich sanktionieren will, ein solcher Staat setzt seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel, auch andere ethische Postulate in seiner Rechtsordnung zu verwirklichen. Er gerät in die Gefahr, zu einer Gesellschaft zu verkommen, in der das Recht des Stärkeren gilt. Deshalb bleiben bei der Abwägung aller dem Schutz des ungeborenen Lebens dienenden Maßnahmen die Mittel des Strafrechtes für den Gesetzgeber unverzichtbar. Allein dem Gericht ist es vorbehalten festzustellen, daß ein persönlicher Schuldvorwurf nicht erhoben werden kann. Es gilt, das einzigartige Mutter-Kind-Verhältnis zu schützen. Daher können die sozialen begleitenden Maßnahmen für Familie, Mutter und Kind nicht weit genug gehen. Dazu gehören umfangreiche soziale Hilfsmaßnahmen. Dazu gehört eine Beratung der Frauen und Familien in Schwangerschaftskonflikten, die Auswege aus der Notlage zeigen kann. Dazu gehört mitmenschliches Verständnis. Jeder, der aus Gründen seines Gewissens und der grundgesetzlichen Vorgaben eine Fristenlösung ablehnt, hat daher die Pflicht, soziale und psychische Auswege für die Nöte der schwangeren Frau aufzuzeigen und ihr zu helfen. Im Mittelpunkt aber steht das Recht des ungeborenen Kindes auf sein Leben. Dies gewährleistet von allen Gesetzentwürfen am besten der Werner-Entwurf. Deshalb stimme ich für diesen Entwurf und damit für das Lebensrecht des Ungeborenen und einen wirksamen sozialen Schutz von Frau und Mutter und Kind und Familie. Günter Rixe (SPD): Nach über hundert Jahren Kampf gegen den Strafrechtsparagraphen 218 ist die mit dem Gruppenantrag vorgeschlagene Fristenlösung mit Beratungspflicht ein Schritt in die richtige Richtung: Diese Regelung befreit die Frauen vom Indikationenmodell. Auch wenn das eigentliche Ziel, die ersatzlose Streichung des § 218, noch nicht erreicht ist, so ist dieser Kompromißvorschlag das Optimum, was in der augenblicklichen Mehrheitssituation erreichbar ist. Dies müssen sich all diejenigen vor Augen führen, die heute die Zustimmung verweigern, weil die Neuregelung die ersatzlose Streichung nicht beinhaltet und sogar einen Beratungszwang enthält. Wer jetzt aber diese Reform nicht unterstützt, trägt mit dazu bei, daß die Verpflichtung aus dem Einigungsvertrag zwischen der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland, bis zum 31. Dezember 1992 eine Regelung zum Schutz des vorgeburtlichen Lebens und zur Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen zu treffen, nicht erfüllt werden kann. Das wäre ein dramatischer Fehler gegenüber allen Frauen in den neuen sowie in den alten Bundesländern. Für den Rest dieses Jahrhunderts wären alle Chancen auf eine liberalere Regelung des Schwangerschaftsabbruches vertan. Dieser Gewissensfrage müssen sich alle Zweifler stellen: Die Grünen, die PDS und auch die Länder, die einen großen Teil der finanziellen Lasten mittragen sollen. Ich gebe diesem Gruppenvorschlag meine Zustimmung, weil er zwei gesellschaftspolitisch bedeutende Ziele: 1. Das Selbstbestimmungsrecht der Frauen in der Frage des Schwangerschaftsabbruches und 2. den Schutz des vorgeburtlichen Lebens, das sind zwei Ziele, für die jahrzehntelang gestritten wurde und für die auch ich immer eingetreten bin, endlich auch praktische Umsetzungsvorschläge enthält. Zu 1. Es ist natürlich richtig, daß die ersatzlose Streichung der Strafbarkeitsregelungen die eigentliche Reform hätte sein müssen. Das ist auch der Wunsch der Mehrheit in der SPD gewesen. Das, denke ich, muß immer wieder deutlich gesagt werden. Schwangerschaftsabbrüche sind durch Strafgesetze nicht einzuschränken; das waren sie nie und das werden sie nie sein. Es gab immer Möglichkeiten, sich den Strafdrohungen zu entziehen. Für wenige, die es sich leisten konnten, gab es das Ausland; für andere gab es die Illegalität mit oft schmerzlichen sozialen und familiären Folgen. Die Sachverständigenanhörungen vor dem Ausschuß „Schutz des ungeborenen Lebens" haben verdeutlicht, daß allein eine umfassende und kontinuierliche Sexualaufklärung die hohe Zahl ungewollter Schwangerschaften erheblich verringern kann. Es ist daher gut, daß diese Forderungen jetzt im Gruppenantrag aufgenommen wurden. Auch wenn mit dem Gruppenantrag die ersatzlose Streichung der Strafvorschriften nicht erreicht wird, ist doch der straflose Schwangerschaftsabbruch für die ersten zwölf Wochen garantiert. Damit wird es solche Skandale wie Memmingen oder entwürdigende Verhöre der Frauen durch Männer wohl nicht mehr geben. Die selbstbestimmte Mutterschaft, eines der elementarsten Frauenrechte überhaupt, wäre damit nahezu bei uns erreicht. Ich sage „nahezu", weil die Straflosigkeit anknüpft an die Voraussetzung, daß 8428* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 eine Bescheinigung über eine Beratung in den letzten drei Tagen vor dem Abbruch vorgelegt wird. Dies ist die Kröte, die es bei diesem Kompromiß zu schlucken gilt. Diese Pflicht zur Beratung ist es, die wieder einmal die Frauen entmündigt, zumindest formal. Die Beratungsstelle hat der Frau über die Tatsache, daß sie Informationen für ihre Entscheidungsfindung erhalten hat, eine mit Datum versehene Bescheinigung auszustellen. Dennoch kann ich dieser Form der Zwangsberatung — Zwang zur Beratung ist in sich widersprüchlich und zerstört die Offenheit, die für eine wirkliche Beratung notwendig wäre — zustimmen, weil die Beratung nicht protokolliert werden soll, ja, auf Antrag sogar anonym bleiben kann. Und ich kann zustimmen, weil das Gesetz über die Formulierung in § 219 Abs. 3, daß die Beratung zu „ihrer Entscheidungsfindung" beiträgt, endlich das Selbstbestimmungsrecht der Frau über den Abbruch einer nichtgewollten Schwangerschaft anerkennt. Zu 2. Der „Schutz des ungeborenen Lebens" läßt sich nur mit der Frau, nicht gegen sie erreichen. Auf keine Weise, auch nicht durch die Rechtsordnung, läßt sich dieser Schutz erzwingen. Darum ist die Forderung immer richtig gewesen, die soziale und wirtschaftliche Situation, in die das Kind hineingeboren wird, so zu verbessern, daß Kinder nicht als Belastung oder Einschränkung empfunden werden müssen. Soziale und wirtschaftliche Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, sind Grundvoraussetzungen für eine kinder- und frauenfreundliche Lebensplanung und Lebensgestaltung. Fehlen diese Leistungen und gibt es kein entsprechendes Umfeld, dann können Schwangerschaft und Familienleben Isolation und Fixierung aufeinander bedeuten. Darum bin ich sehr froh darüber, daß der Gruppenantrag viele Dinge aufgenommen hat, die in der Sachverständigenanhörung benannt worden sind: z. B. die Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder die Bevorzugung von Schwangeren bei der Vergabe öffentlich geförderter Wohnungen und vor allem das Recht auf einen Kindergartenplatz und der Anspruch auf Kinderbetreuung. Wenn auch gerade der letzte Punkt, die Kinderbetreuung, für die Länder erhebliche finanzielle Mehraufwendungen bedeutet, so ist hierauf dennoch nicht zu verzichten. Ich appelliere daher auch an die Länder, dazu beizutragen, daß das Gesamtpaket dieser Reform in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann. Abschließend rufe ich allen Beteiligten in Erinnerung: Eile tut not. Bis zum Jahresende muß die Reform von Bundestag und Bundesrat verabschiedet sein; sonst gilt der alte § 218 gesamtdeutsch. Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Wegen der Wiedervereinigung ist die erneute Diskussion über das Recht auf Leben notwendig geworden. Ich begrüße diese Diskussion, findet sie doch — anders als 1972 — zumindest in den Ländern der ehemaligen, kleineren Bundesrepublik in einer wissenschaftlich aufgeklärteren Zeit statt. Und das heißt: der Embryo ist Leben von Anfang an. Die früheren Versuche, das Kind in den ersten drei Monaten des Lebens nur als „Klumpen" zu bezeichnen, sind gescheitert. Von da aus betrachtet geht es tatsächlich um eine Frage von Leben und Tod, über die wir heute abstimmen. Das Grundgesetz mit dem Recht auf Leben muß beachtet werden. In den zurückliegenden Monaten sind mir zahlreiche Resolutionen von Verbänden und Stellungnahmen von Bürgerinnen und Bürgern zugegangen. Verschiedene Pfarrgemeinderäte in meinem eigenen Wahlkreis haben zum Ausdruck gebracht, daß sie durchaus verstehen, wenn sich eine werdende Mutter durch eine ungewollte Schwangerschaft in einer scheinbar ausweglosen Situation befindet. Niemand wolle eine Frau in dieser Lage verurteilen. Ganz so leicht ist die Frage leider nicht zu lösen. Wir wollen alle den Schutz des Lebens, und für mich persönlich füge ich hinzu: Ich will auch nicht die Verurteilung einer Frau in einer Krisensituation. Deshalb gilt es, das Bewußtsein der Deutschen zu schärfen, das Bewußtsein einerseits für die Frage des Rechts auf Leben und andererseits der Hilfen für die Frau im Konfliktfall. Auf das Unrechtsbewußtsein bei einer Abtreibung muß also hingearbeitet werden. Ich betone das deshalb, weil manche oberflächlich sagen: Schafft zuerst Kinderkrippen und Kindergartenplätze, dann löst sich die Frage der Abtreibung von selbst. — Nur: Stimmt das? In Presseveröffentlichungen dieser Woche war zu lesen, daß in Westdeutschland 1991 jede elfte Schwangerschaft abgebrochen wurde, in Ostdeutschland aber fast jede zweite. Obwohl in der ehemaligen DDR angeblich viel mehr Kinderkrippen vorhanden sind als im Westteil, wird dort viel mehr abgetrieben. Das muß doch wohl mit dem Bewußtsein zu tun haben; oder soll ich sagen, mit einem geschärfteren Gewissen? Die aktuelle Diskussion ist von vier Hauptfragen geprägt. Die erste ist manchmal polemisch verzerrt, indem von der „Lizenz zum Töten", vom „Recht auf Selbstbestimmung", vom „Angriff auf den Rechtsstaat" gesprochen wird. Gewisse Gruppen im Volk wollen sogar eine „Kindermordfraktion" gesichtet haben, in der finstere Gestalten einem Henkerberuf nachgehen. Ich kann nur hoffen, daß nach der Schlußabstimmung wieder mehr Sachlichkeit einkehrt und das Schwarzweißmalen ein Ende hat. Die Probleme sind bekanntlich vielschichtig. Anderenfalls hätte es nicht ungezählter Anhörungen, seitenlanger Berichte und paragraphenstarker Gesetzentwürfe bedurft. Der Schlußbericht des Sonderausschusses „Schutz des ungeborenen Lebens" mit seinen 206 Seiten beweist die Differenziertheit der Betrachtung. Die zweite Hauptfrage waren die unterschiedlichen Ansätze der Gesetzentwürfe und die Notwendigkeit der Betonung von Einzelaspekten. Es geht bekanntlich einerseits um die Fortführung des alten DDR-Zustands oder des geltenden bundesdeutschen Rechts, andererseits aber auch um eine Verschärfung oder Verdeutlichung dieses bundesdeutschen Rechts, wonach auch die derzeitige Notlagenindikation eingeschränkt werden soll. Wem es mit dem Schutz des Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8429* Lebens ernst ist, kann nämlich die „Notlage" nicht allzu großzügig auslegen. Die dritte Hauptfrage bezieht sich auf die Rahmenbedingungen für Familien und die Schaffung einer kinderfreundlicheren Umwelt. Da gab es ursprünglich die größten Gemeinsamkeiten unter den Fraktionen, weil man sich gegenseitig übertrumpfen wollte bei der Hilfe für Alleinerziehende, bei Kindergartenplätzen, beim Erziehungsgeld oder beim Erziehungsurlaub. Als man über die Finanzierung nachzudenken begann, tauchte neuer Streit auf — aber das kenne ich ja als Haushaltspolitiker. Die vierte Hauptfrage befaßt sich mit den Fällen, in denen — trotz aller Bemühungen um den Schutz des Lebens — Schwangerschaftsabbrüche unvermeidlich waren oder einfach durchgeführt wurden und somit auch das Strafrecht in den Mittelpunkt rückt. Vor allem ging es hierbei um den Aufbau eines flächendeckenden Netzes von Beratungsstellen beziehungsweise von ambulanten Abtreibungsstellen, wie PDS und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN forderten. Ich erwähne das alles bloß noch, um aufzuzeigen, daß ein klares Ja oder klares Nein im Gesetzgebungsverfahren nicht möglich war, sondern daß man viele Fragen aufgreifen und beantworten mußte. Aber jetzt geht es um die Abstimmung über die vorliegenden Gesetzentwürfe und nicht um nochmaliges Einzel-schwadronieren. Für mich steht fest, daß der Schutz des menschlichen Lebens eine alles überragende Aufgabe ist und daß der Staat sich dieser Aufgabe verpflichtet fühlen muß. Die hohe Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen ist für uns alle eine große Herausforderung. Die Rahmenbedingungen für ein Leben mit Kindern müssen so gestaltet werden, daß Schwangere und Familien in bedrängter Lage die Solidarität ihrer Mitwelt erfahren. Da ist im reichen Deutschland noch viel zu tun. Mit der von SPD/PDS/GRÜNEN und anderen Einzelpersonen angestrebten Fristenlösung wird auf jeden Fall kein richtiger Schritt in eine gute Zukunft getan. Roland Sauer (Stuttgart) (CDU/CSU): Schutz und Förderung des Lebens sind allgemeines menschliches Grundgebot. Jeder Mensch, ob geboren oder ungeboren, hat ein Recht darauf, nicht getötet zu werden. Dieses Recht gründet sich in der Menschenwürde, und es ist Pflicht eines jeden Menschen, diese zu achten. Oberstes Ziel der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs muß es somit sein, das Lebensrecht des Ungeborenen zu schützen. Das Leben ist der fundamentalste Wert, den wir besitzen. Das Leben macht die Verwirklichung von Werten überhaupt erst möglich. Es darf daher keinen Abwägungsvorgang beim Recht auf Leben geben. Leben ist kein relatives Recht, das auch verweigert werden darf. Gesellschaft und Staat sind daher aufgefordert, sich zu ihrer Verantwortung für das Ungeborene, für dessen Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit zu bekennen. So hoch das Selbstbestimmungsrecht der Frau auch zu achten ist, so ist in der Konfliktsituation der ungewollten Schwangerschaft das Lebensrecht des Ungeborenen doch als fundamentaler anzusehen. Persönlichkeitsentfaltung und Selbstbestimmungsrecht haben hohes Gewicht, rechtfertigen aber nicht den Tod des Kindes. Der Grundsatz, daß menschliches Leben unantastbar ist, muß daher auch weiterhin gelten. Das Recht auf Gewissensfreiheit und Gewissensentscheidung der Frau muß dort seine Grenzen finden, wo das Recht auf Leben des Ungeborenen verletzt wird. Fristenlösung und ersatzlose Streichung des § 218 mißachten dieses Grundrecht auf Leben. Sie ebnen den Weg in eine Gesellschaft, der das Lebensrecht der Ungeborenen nichts mehr bedeutet. Wenn mit der Fristenlösung menschliches Leben für eine bestimmte Zeit zur freien Disposition gestellt wird, so wird die Verletzung des hohen Gutes des Lebensrechtes für eine bestimmte Frist ungesühnt gelassen. Die Signalwirkung strafrechtlicher Bestimmungen würde bei einer Straffreiheit der Abtreibung wegfallen. In der Bevölkerung würde das Bewußtsein, daß Abtreibung Unrecht und das Tötungsverbot eine Grundlage unserer Gesellschaft ist, schwinden. Der CDU/CSU-Antrag mit der psychosozialen Indikation ist eingebunden in eine Neubewertung der Schwangerschaftsberatung und den Ausbau der sozial- und familienpolitischen Maßnahmen. Sie bietet die Möglichkeit, zu einer Eindämmung der hohen Abtreibungszahlen beizutragen. Nur in einer kinder- und familienfreundlicheren Umwelt kann eine Verbesserung des Schutzes des Lebensrechtes der Ungeborenen eintreten. Dem strafrechtlichen Schutz kommt zwar eine herausgehobene Stellung zu, wichtiger sind jedoch spürbare Maßnahmen, die Familien und Alleinerziehende entlassen. Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung hat hier in den vergangenen Jahren vorbildliche Arbeit geleistet. Aber das ist noch nicht genug. Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, die Einführung eines einkommensabhängigen Familiengeldes und die zusätzlichen Mittel für die Bundesstiftung „Mutter und Kind" sollen diese Entwicklung vorantreiben. Wir müssen günstigere Rahmenbedingungen für den Lebensschutz schaffen. Dazu gehört, dem Leben mit Ehrfurcht zu begegnen. In der Erziehung müssen gerade die jungen Menschen lernen, daß Leben ein schützenswertes Gut ist, über das nicht beliebig verfügt werden darf. Wie krank ist eine Gesellschaft, in der der Schutz von Kröten und Robbenbabies mit großen Kampagnen unterstützt, die Tötung von jährlich nahezu 300 000 ungeborenen Kindern aber toleriert wird? Ein flächendeckendes Netz von Beratungsstellen muß aufgebaut werden. Hierbei sollte die „Beratung zum Leben" unser Ziel sein. Der Berater hat die doppelte Aufgabe, die Frau in ihrer Notlage ernstzunehmen, aber auch Anwalt über das ungeborene Leben zu sein. Die Politik einer christlichen und demokratischen Partei darf sich nicht nur am Minimalkonsens in der Öffentlichkeit und am Zeitgeist orientieren. Menschli- 8430* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 che und christliche Werte wie das Recht auf Leben und der Schutz der ungeborenen Kinder gehören für mich zu den Grundüberzeugungen unserer Gesellschaft. Diese Werte und Rechte dürfen weder aufgegeben, noch relativiert werden! Siegfried Scheffler (SPD): Es ist sicherlich nicht unumstritten, wenn ich als Mann in dieser Debatte das Wort ergreife, die einen höchst sensiblen Bereich der Frauen betrifft. Zweifellos noch umstrittener ist es jedoch meines Erachtens, daß eine Dreiviertelmehrheit von Männern hierüber heute gesetzliche Regelungen festlegt. So war es für mich selbstverständlich, nicht nur meiner eigenen Überzeugung zu folgen, sondern mich mit den Frauen der neuen Bundesländer und insbesondere meines Wahlkreises abzustimmen, um so eine Art imperatives Mandat in dieser Frage auszuführen. Worum geht es also: Die laut Einigungsvertrag für das Beitrittsgebiet angestrebte Neufassung des § 218 fordert eine Vereinheitlichung des bisherigen Rechts der Fristen- bzw. Indikationslösung. Dabei kommt es der Mehrzahl der Frauen in den neuen Bundesländern darauf an, nicht das bisher in der Bundesrepublik geltende Recht der Strafverfolgung bei Schwangerschaftsabbrüchen übergestülpt zu bekommen. Aber auch eine große Anzahl von Frauen der alten Bundesländer fordern eine Verbesserung mit dem Ziel der Legalisierung auf dem Wege einer Fristenregelung. Diese Neuordnung soll damit also nicht nur eine längst überfällige verfassungskonforme Bewältigung der Konfliktsituation schwangerer Frauen darstellen; sie ist darüber hinaus ein weiterer Schritt auf dem Weg des Zusammenwachsens der alten und der neuen Bundesländer in einem vereinigten Deutschland. Denn sowohl die Indikationsregelung der alten Bundesländer als auch die Fristenregelung der ehemaligen DDR haben ihre Schwachstellen gezeigt und eignen sich, so die Meinung des Parlaments und der verfassungsgebenden Organe, nicht als Lösung für Gesamtdeutschland. Beide Regelungen werden weithin von den betroffenen Frauen als teilweise unbefriedigend empfunden und haben keinen effektiven Schutz des vorgeburtlichen Lebens zu bewirken vermocht. Der Einigungsvertrag bietet jetzt endlich allen Frauen die Chance, unter Beachtung der Forderungen des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des werdenden Lebens eine neue gesetzliche Regelung zu entwickeln. Diese hat sowohl der staatlichen Aufgabe des Lebensschutzes als auch den Belangen der in einer Konfliktlage befindlichen Frauen gerecht zu werden. Diese verschiedenen Ansprüche sehe ich am weitestgehenden in dem Antrag der SPD verwirklicht. Politik bedeutet für mich jedoch nicht nur das Suchen nach optimalen, von einzelnen Bevölkerungsgruppen bevorzugten Lösungen, sondern das Ringen um gemeinsame, tragfähige Lösungen im Gegensatz zu einem sturen Beharren auf Maximalforderungen. In der Tat werden die Entwürfe zur Neuregelung des § 218, auch der des Gruppenantrages von SPD, F.D.P. und Abgeordneten der CDU, von vielen Frauen der neuen Bundesländer als einschneidender Rückschritt empfunden. Gleichwohl muß es aber vor dem Hintergrund der uneinheitlichen Rechtslage unser aller Anliegen sein, durch einen vernünftigen Kompromiß eine tragfähige Mehrheitsentscheidung zu unterstützen. Diesen Kompromiß sehe ich im Gruppenantrag verwirklicht. Hierzu ein sehr wichtiger weiterer Aspekt: Der Gruppenantrag schafft die Rahmenbedingungen, dem werdenden und bestehenden Leben Schutz und Hilfe zu gewährleisten. Er schützt das werdende Leben, indem er die verlangte und die notwendige Mißbilligung des Schwangerschaftsabbruchs zum Ausdruck bringt und präventive Maßnahmen schafft. Er nimmt nicht nur die Sorgen und Ängste, insbesondere die berechtigten Interessen einer sich in einer Konfliktsituation befindlichen Frau sowie ihrer Partner und Familien, ernst, sondern ermöglicht darüber hinaus fundierte Gewissensentscheidungen und bietet realistische Hilfsmaßnahmen an. Ich halte es für eine dringliche Aufgabe des sozialen Rechtsstaates — und dies ist besonders an die Adresse der Bundesregierung gerichtet —, die äußeren, speziell die sozialen und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß schwangere Frauen nicht mehr in dem Maße wie bisher Konflikten über die Fortsetzung ihrer Schwangerschaft ausgesetzt werden. Ich sage aber auch: Nur eine umfassende Aufklärung und Beratung kann einer Notlage vorbeugen und zusammen mit der gesetzlichen Sicherung der erforderlichen Rahmenbedingungen eine gewissenhafte, verantwortungsbewußte, aber eben auch eigenverantwortliche Entscheidung der Betroffenen für das werdende bzw. bestehende Leben erreichen. Es hat sich erwiesen, daß die strafrechtliche Sanktionierung des Schwangerschaftsabbruchs keine hundertprozentige Vermeidung zur Folge hat. Frauen in einer Notlage in die Illegalität zu drängen stellt nicht nur keine Hilfe für die einzelnen dar, sondern diese Art der „Verdrängung" stellt auch auf Dauer keine Lösung für eine offene, zur Austragung von Konflikten aufgeforderte und mündige Gesellschaft dar. Eher kriminalisiert sie Frauen in ihrer Notlage. Als Vater zweier Kinder fühle ich mich in gleichem Maße dem Schutz des geborenen Lebens, vor allem dem der Kinder gegenüber, verantwortlich. Alle Aufregung um das ungeborene Leben — und ich erinnere hier vor allem an die zahlreichen so „christlichen" an mich gerichteten Zuschriften, die zum Teil in übelster Art und mit schlimmster Polemik Einfluß zu nehmen versuchen — bleibt so lange unglaubwürdig, wie nicht ernsthafte Verbesserungen für ein lebenswerteres Dasein der geborenen Kinder geschaffen werden. Ich denke hier z. B. an die Verwirklichung des Verbotes der Kinderarbeit. An dieser Stelle sehe ich mich als mündiger und verantwortlicher Parlamentarier, übrigens nicht nur heute, nicht dem weit verbreiteten Abstimmungsverhalten der Fraktionen sowie dem Druck der Bundes- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8431* regierung verpflichtet, sondern fühle mich in Übereinstimmung mit meinem Gewissen und den von mir vertretenen Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet, für den Gruppenantrag zu stimmen. Dieser Gruppenantrag bejaht nicht nur das werdende und bestehende Leben, er stellt einen Schritt in die Richtung einer offenen, verantwortungsbewußten und sozialen Gesellschaft dar. Er zeigt exemplarisch das Ringen der Menschen aus beiden Teilen Deutschlands, neue, zukunftsweisende und gemeinsame Lösungen für die anstehenden Probleme zu finden und nicht einfach auf bestehende Regelungen in den Altbundesländern zurückzugreifen. Ich bitte die noch Schwankenden und bisher anders Denkenden, sich meinem Votum anzuschließen. Heinz Schemken (CDU/CSU): Den vorliegenden Gesetzentwurf, der den Schwangerschaftsabbruch im Rahmen einer Fristenregelung beinhaltet, lehne ich ab, da dieser dem Schutz des ungeborenen Kindes in keiner Weise Rechnung trägt. Das eklatante Defizit der bisherigen Gesetzentwürfe zur Fristenregelung drückt sich dadurch aus, daß sie dem „Zeitgeist" nachlaufen. Wer gibt dem Menschen das Recht, eine Frist gerade von bis zu drei Monaten nur unter dem Vorbehalt einer sogenannten Beratungspflicht zu setzen, um eine Schwangerschaft abzubrechen und damit ungeborene Kinder zu töten? Das Recht auf Leben kennt keine Fristen! Die Pflichtberatung der schwangeren Frau wird damit lediglich zur Formsache und somit zur Makulatur degradiert. Da die schwangere Frau dabei letztendlich selbst die Entscheidung treffen soll und muß, ob sie das ungeborene Kind austrägt oder nicht, wird sie in ihrem Gewissenskonflikt sich selbst überlassen und mit der schwerwiegenden Entscheidung alleine gelassen. Die Beratungsstellen „pro familia" z. B. sind in ihrer Zielsetzung meist darauf ausgerichtet, der schwangeren Frau den für sie „günstigsten Weg" zum Abbruch aufzuzeigen — welch eine Ironie und Widersinnigkeit des Namens „pro familia"! Wenn ich hier vom Zeitgeist spreche, so meine ich damit eine Gesellschaft, die nach einer vollkommen legalen, aber moralisch nicht legitimen Absicherung ruft, nämlich die Abtreibung werdenden Lebens ohne jegliche Verantwortung und Wertorientierung zu ermöglichen. Wenn auch noch darauf verwiesen wird, wie „einfach" die Abtreibungspraxis im früheren SED-Staat gewesen sei, so möchte ich dazu bemerken, daß es dem SED-Staat darauf ankam, die Kinder, die geboren wurden, von Geburt an in staatlich-sozialistischen Kinderkrippen und Kindergärten zu Menschen mit sozialistischem Weltbild heranzubilden. Das ungeborene Leben, das nicht erwünscht war, wurde über die reine Fristenregelung vernichtet. Hier zeigt sich im übrigen auch die ganze Menschenverachtung des SED-Regimes, denn für die SED war der Schutz des ungeborenen Lebens kein Thema. Gewisse Gruppierungen in unserer Gesellschaft wie die Feministinnen und die SPD-Frauenvereinigung entwickeln mit der Fristenregelung eine völlig falsche Vorstellung von der sogenannten „Selbstverwirklichung" und der „Befreiung der Frau vom Manne", z. B. „mein Bauch gehört mir". Die Fristenregelung enthebt den zeugenden Mann jeglicher Mitverantwortung für den Schutz des ungeborenen Lebens, denn schließlich liegt ja die letzte und alleinige Entscheidung bei der Frau. Es ist in dem Sinne keine Befreiung für die Frau, sondern eine Befreiung des Mannes von jeglicher Verantwortung; der Mann ist als Zeugender nicht mehr zu 50 % mitverantwortlich, sondern er wird 100 %ig entlastet. Ist das die Befreiung der Frau, von der so oft gesprochen wird? Wohl eher das Gegenteil, also frauenfeindlich. Der Lebensschutz des ungeborenen Lebens hat Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren. Im Prinzip wird jegliche Verantwortlichkeit zum Schutz des ungeborenen Lebens außen vor gelassen. In unserer abendländischen Kultur, die durch die christliche Wertorientierung geprägt ist, gilt gerade in unserer wohlhabenden Gesellschaft die Verpflichtung, für den Schutz des ungeborenen Lebens einzutreten. Ich halte die Fristenregelung mit dem Grundsatz der Menschenwürde und dem Recht auf Leben in Art. 1 des Grundgesetzes für nicht vereinbar. Es ist die Pflicht eines jeden Christenmenschen, uneingeschränkt für den Schutz ungeborenen Lebens einzutreten. Ich stelle mich deshalb auf die Seite derer, die unmißverständlich für den Schutz des ungeborenen Kindes als elementarstes Menschenrecht eintreten. Ich trete für eine Mehrheit ein, die die Beratung zum Kind durch soziale und familienpolitische Maßnahmen stützt. Dabei geht natürlich die Beratung vor Strafe. Aber die Hilfe muß im Vordergrund stehen, damit die Frau „Ja" zum Kind sagen kann. Eine Gesellschaft, die dies nicht leisten kann, müßte sich möglicherweise eines Tages fragen, wie sie insgesamt zum Leben steht, und auch diese Frage steht in dieser Stunde an. Gerhard Scheu (CDU/CSU): Schlüsselfrage jeder Indikationenregelung bleibt, daß unbeschadet der notwendig unbestimmten Rechtsbegriffe zur Notlage und des weiten Beurteilungsspielraumes des Arztes ein gewisses Mindestmaß an Kontrolle der Indikationsstellung möglich bleiben muß. Meine Partei, die CSU, hat ihren Standpunkt hierzu in der „Ansbacher Erklärung" vom 13. Juli 1991 verdeutlicht, die ich uneingeschränkt befürworte. „Der Abbruch der Schwangerschaft darf nicht freiem ärztlichen Belieben überlassen werden" (BGH 1 StR 120/90, UA S. 26), sondern muß nach „vertretbarer" — und insoweit jedenfalls auch nach objektivierbarer — „ärztlicher Erkenntnis" angezeigt sein. Der Mehrheitsentwurf der CDU/CSU (Drucksache 12/1178, neu) enthält in § 218a Abs. 2 Nr. 2 einen Formelkompromiß, in den gegenläufige Positionen eingeflossen sind: einerseits die unüberprüfbare subjektiv-persönliche Überzeugung des Arztes nach Darlegung der Frau und andererseits die beschränkte — durch schriftliche Feststellungen abgesicherte — inhaltliche Nachprüfbarkeit jedenfalls auf offensichtliche eindeutige Unvertretbarkeit hin. 8432* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Die Anhörungen vor dein Sonderausschuß, die schriftlichen Stellungnahmen der rechtswissenschaftlichen Sachverständigen und auch das erwähnte Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs haben die Zweifel verstärkt, ob der Gesetzentwurf insoweit den Anforderungen entspricht. „Die Erkenntnis einer Person ist nicht schon deshalb eine ,ärztliche', weil diese Person Arzt ist" (BGH, a. a. O.), und „die nur subjektive Überzeugung des Arztes, die keinen Anhalt in den wirklichen Gegebenheiten zu haben braucht, vermag nicht rechtfertigend zu wirken" (AusschußDrucksache Nr. 17 S. 3 f.), sondern allenfalls zu entschuldigen. „Eine subjektive Erkenntnis bleibt auch dann eine solche, wenn sie offensichtlich falsch war" (Ausschuß-Drucksache Nr. 18 S. 11). Hierauf habe ich bereits in der ersten Lesung hingewiesen (Plenar-Prot. 12/44 S. 3755). Leider ist es nicht gelungen, diesen entscheidenden Punkt im Gesetzestext noch klarzustellen. Vielmehr haben öffentliche Erklärungen maßgebender Gesetzesinitiatoren den Eindruck einer Divergenz von Gesetzeswortlaut und Begründung noch vertieft. Ob dieser Mangel durch verfassungskonforme Auslegung des sich ohnehin „an der unteren Grenze des Minimums" (Ausschuß-Drucksache Nr. 49 S. 16) bewegenden Entwurfs behebbar wäre, bleibt eine offene Frage. Für die Rechtsanwendung ist nach Art. 103 Abs. 2 GG allein der im Gesetz zum Ausdruck kommende Regelungsgehalt maßgeblich und dürfen Zweifel „nicht zu Gunsten der Strafbarkeit behoben werden" (BGH, a. a. O., S. 25). Diese Bedenken habe ich ursprünglich nur in der Hoffnung und der Erwartung zurückgestellt, damit zu einem Kompromißentwurf der CDU/CSU-Fraktion beizutragen. Ein einheitliches Votum der größten Fraktion des Bundestages hätte ich für einen ethischen Selbstwert gehalten. Nachdem sich — bestätigt inzwischen von einem Landesverband und von bedeutenden Repräsentanten in der CDU — nunmehr aber ergeben hat, daß eine gemeinsame Auffassung nicht besteht, ist damit auch der Grund für meine Zustimmung entfallen. Maßgebliche Richtschnur ist für mich deshalb die Position, wie sie in der „Ansbacher Erklärung" der CSU und der Normenkontrollklage der Bayerischen Staatsregierung Ausdruck gefunden hat und wie sie meiner Überzeugung entspricht. Ebenso gewichtig sind aus meiner Sicht die gravierenden Bedenken gegen die Finanzierbarkeit der im CDU/CSU-Entwurf im Kinder- und Jugendhilferecht über den auch von mir unterstützten Anspruch auf einen Kindergartenplatz hinaus unverändert vorgesehenen sonstigen Betreuungsansprüche. § 24 Abs. 1 KJHG in der Fassung des Gesetzentwurfes gewährt nach Wortlaut und Begründung ohne Zweifel einklagbare „Rechtsansprüche" . Ihre Kosten werden sowohl von der Bundesregierung selbst wie auch vom Bericht des Haushaltsausschusses (Drucksache 12/2880 vom 22. Juni 1992) auf — zusammen mit dem Kindergartenplatz — investiv insgesamt 42,38 Milliarden DM und mit jährlichen Betriebskosten (netto) von 11,31 Milliarden DM veranschlagt. Diese Mehrkosten sind angesichts der dringend erforderlichen Konsolidierung des öffentlichen Gesamthaushaltes schlechterdings nicht zu bewältigen. Eine seriöse Finanzierung ist weder benannt noch abzusehen. Daß eine amtierende Bundesministerin die Aufbringung der Mittel „statt neuer Straßen oder neuer Schwimmbäder" für leistbar hält (Interview vom 2. Juni 1992), bezeugt einen für die Gesamtpolitik bedenklichen Verlust von Wirklichkeitsnähe. Zum Schutz des ungeborenen Lebens sind eingestandenermaßen außerordentliche sozialflankierende Anstrengungen erforderlich. Es müssen dann aber auch Lösungen aufgezeigt werden, wie sie ohne weitere Zunahme der ohnehin höchst beunruhigenden Finanzierungsdefizite aller staatlichen Ebenen geleistet werden sollen. Dazu bleibt der Entwurf Drucksache 12/1178 (neu) die Antwort schuldig. Die Konsequenz für mein Abstimmungsverhalten versteht sich nach alledem von selbst. Keiner der heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwürfe wird — aus meiner Sicht — den Anforderungen gerecht. Dr. Jürgen Schmieder (F.D.P.): Das Statistische Bundesamt verzeichnet im Jahre 1991 für die alten Bundesländer 74 578, für die neuen Bundesländer 49 806 Abtreibungen. Die Dunkelziffer schwankt, je nach erhebender Stelle, zwischen 100 000 und 300 000. Das Meldedefizit liegt in den alten Bundesländern regional bei bis zu 85 %. Die Geburtenzahlen sind in den alten Ländern in den letzten Jahren stetig gesunken, und in den neuen Ländern ist hier ein drastischer Einschnitt erfolgt, nämlich ein Abfallen von rund 43 % im Vergleich von 1990 zu 1991. Die Dunkelziffer in der Größenordnung von rund 300 000 belegt, daß jedes Jahr hier viele Bürgerinnen von diesem Problem berührt sind und daß die jetzt im Altbundesgebiet praktizierte Lösung nicht die Zustimmung der Bevölkerung findet. Hier müssen wir handeln und die entsprechenden Veränderungen im Gesetz herbeiführen. Die Medizin ist heutzutage so weit fortgeschritten, daß z. B. Operationen am Herzen des Fötus im Mutterleib möglich sind. Die Ärzte kämpfen um jede Frühgeburt. Doch was nützt die Medizin, wenn die Gesellschaft nicht lebensfreundlich ist? Nach der Statistik ist es für viele ein Abtreibungsgrund, daß es einem reichen Staat wie Deutschland nicht gelingt, für seine Kinder, Senioren und Behinderten annehmbare Lebensbedingungen zu schaffen. Auch hier müssen wir etwas ändern! Es ist sinnlos, die persönliche Freiheit der Frauen mit dem Ziel, die Abtreibungszahlen zu senken, einzuschränken. Einzig und allein eine Veränderung der sozialen Bedingungen sowie eine verstärkte Aufklärungsarbeit können hier Abhilfe schaffen. Genau da setzt unser Gesetzentwurf an. Wir fordern, der Entscheidungsfreiheit der Frauen Rechnung zu tragen, ohne sie in ihrer Entscheidung alleine zu lassen. Die Folgen der Entscheidung sind von der Frau zu tragen und letztlich zu verantworten. Es ist daher unumgänglich, ein soziales Umfeld zu schaffen, das wirkliche Freiheit der Entscheidung gewährleistet. Auf eine qualitativ hochwertige Beratung sowie praktische Hilfe darf nicht verzichtet werden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8433 Darüber hinaus müssen soziale Rahmenbedingungen geschaffen werden, die ein Ja zum Kind verstärkt ermöglichen. Einer Mutter oder einer Familie muß das Zusammenleben mit einem Kind erleichtert werden. Genauso muß eine kinderfreundliche Umwelt geschaffen werden, der wir ruhigen Gewissens Kinder anvertrauen können. Hierzu sind sowohl das Recht auf einen Kindergartenplatz als auch andere soziale Hilfen unumgänglich. Man darf nicht vergessen, daß finanzielle und materielle Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch an oberster Stelle stehen. Mit diesem Hintergrund fordern wir auch eine breite Palette sozialer Leistungen. Es ist ebenfalls untragbar, daß immer noch Kinder aus mangelnder Aufklärung oder aus Unkenntnis zuverlässiger Kontrazeptiva gezeugt werden. Der von uns geforderte Gesetzentwurf sieht daher einen Rechtsanspruch auf Sexualaufklärung sowie die kostenfreie Abgabe ärztlich verordneter Verhütungsmittel vor. Es ist uns allen doch klar, daß die derzeitige Form des § 218 durch das vorgesehene Verfahren zur Feststellung einer Indikation von vielen Frauen als entwürdigend empfunden wird. Sie hat sogar Frauen in die Illegalität getrieben. Vorgeburtliches Leben kann aber nur mit der Schwangeren und nicht gegen sie geschützt werden. Jeder Mensch nimmt eine Verteidigungshaltung an, wenn er eine ihm unangenehme Prozedur über sich ergehen lassen muß. Andererseits ist man in einer entspannten Situation durchaus bereit, Hilfen und Anregungen durch eine Fachkraft zu akzeptieren. So auch hier. Wir dürfen die Chance nicht vergeben, aufgrund von qualifizierten und umfassenden medizinischen, sozialen und juristischen Informationen sowie praktischer Hilfe die Entscheidung der Frau für ein Kind zu erleichtern. Dieses kann jedoch nur gelingen, wenn der Schwangerschaftsabbruch straffrei wird, zumindest wenn er in den ersten 12 Wochen nach der Empfängnis erfolgt. Erst dadurch kann eine Beratungsatmosphäre entstehen, die einen wirksamen Schutz des vorgeburtlichen Lebens ermöglicht. Auch hier erfüllt unser Gesetzentwurf alle an ihn gestellten Anforderungen. Infolge dieser Gründe bin ich der Meinung, daß unser gemeinsamer Gesetzentwurf den zur Zeit besten Kompromiß bietet, indem er sowohl das vorgeburtliche Leben schützt als auch der freien Gewissensentscheidung der Frau Rechnung trägt. Ich bin für die Fristenlösung und stehe für den Gruppenantrag. Hans Peter Schmitz (Baesweiler) (CDU/CSU): Wenn wir heute über die Frage einer gesetzlichen Neuregelung zum Schutz ungeborener Kinder diskutieren, so ist dies eine Kernfrage unseres Rechtsstaates, eine Kernfrage unseres demokratischen und sozialen Gemeinwesens. Der Deutsche Bundestag ist aufgerufen, in dieser Frage eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die für größtmögliche Hilfe und für bestmöglichen Schutz gleichermaßen Sorge trägt. Das Strafrecht alleine kann einen wirksamen Schutz ungeborener Kinder nicht gewährleisten. Das Strafrecht alleine kann Konflikte, denen sich eine schwangere Frau gegenübersieht, nicht lösen. Strafrechtsvorschriften sind niemals „Lösung" von Konflikten, sind niemals „Lösung" von Problemen; sie können es nicht sein, und sie sollen es auch nicht sein. Einer der wichtigsten und zentralen Bestandteile der Politik von CDU und CSU ist und bleibt deshalb die Familienpolitik. Seit 1982 sind die steuerlichen und haushaltswirksamen Leistungen für die Familie von seiten des Bundes erheblich ausgeweitet worden. Nur beispielhaft will ich an dieser Stelle folgende Stichworte erwähnen: — die Anhebung aller familienpolitisch relevanten Freibeträge; — nachhaltige Verbesserungen bei Kindergeld und Baukindergeld; — Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub und die Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung; last but not least: — die Errichtung der Bundesstiftung „Mutter und Kind". Darüber hinaus sind — entsprechend der Koalitionsvereinbarung — weitere nachhaltige Verbesserungen für Familien mit Kindern bereits auf den Weg gebracht. Nur beispielhaft nenne ich — eine weitere Verlängerung des — zum Teil — einkommensabhängigen Erziehungsgeldbezugs sowie des Erziehungsurlaubs; — eine weitere Anhebung des Kinderfreibetrages; — die Erhöhung des Erstkindergeldes sowie des Kindergeldzuschlages; — Leistungsverbesserungen beim Unterhaltsvorschuß sowie — den kontinuierlichen Ausbau des Familienlastenausgleichs. Zusätzlich zu allen bisherigen familienpolitischen Maßnahmen wollen CDU und CSU weitere soziale Hilfen schaffen; so z. B. die Zahlung eines (einkommensabhängigen) Familiengeldes in Höhe von 1 000 DM bei der Geburt eines Kindes. All diese Maßnahmen, all diese Hilfen sind ein wertvoller Beitrag zur familien- und kinderfreundlichen Gesellschaft. Wer also die heutige Diskussion auf das Schlagwort „helfen statt strafen" reduzieren wollte, greift zu kurz. Das Strafrecht steht bei den Gesetzentwürfen sowohl der CDU/CSU-Bundestagsfraktion als auch der Initiativgruppe „Schutz des ungeborenen Kindes" nicht im Vordergrund; gleichwohl hat es eine unverzichtbare Funktion. Bei dem Recht auf Leben handelt es sich keineswegs nur um eine Frage von moralischer Bedeutung, sondern um ein Grund- und Menschenrecht, eine Fundamentalnorm unserer Verfassung. Menschliches Leben, geborenes und ungeborenes, ist ein Geschenk Gottes. Und menschliches Leben hat einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf den Schutz des Staates. 8434* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Eine generelle Duldung von Abtreibungen kann und darf es wegen der damit verbundenen Mißachtung des Grund- und Menschenrechts auf Leben unter der Geltung des Grundgesetzes nicht geben. Aus dem Unrechtscharakter der Abtreibung ergibt sich zwingend, daß Schwangerschaftsabbrüche durch die Rechtsordnung eindeutig und zweifelsfrei mißbilligt werden müssen. Das heißt, daß in einer Rechtsnorm dem einzelnen deutlich werden muß, daß die Tötung Ungeborener gegen das Recht verstößt und damit unzulässig ist. Für die Bildung von Wertbewußtsein ist — neben öffentlichen Förder- und Hilfsmaßnahmen — ganz entscheidend, welchen Rang die staatliche Rechtsordnung den einzelnen geschützten Gütern zumißt. Wer durch das Mittel der Strafbewehrung das Rechtsbewußtsein beispielsweise im Umweltschutz, im Tierschutz und — prägnanterweise — auch im Embryonenschutz außerhalb des Mutterleibes schärft, muß dies notwendigerweise doch erst recht für den Schutz des im Mutterleib heranwachsenden Kindes gelten lassen. Hieran fehlt es den Entwürfen von F.D.P., SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS ebenso wie dem sogenannten Gruppenantrag. Mit dem eben bereits zitierten Schlagwort „helfen statt strafen" könnte der Eindruck erweckt werden, daß sich Hilfe für schwangere Frauen in Not und rechtliche Sanktionen gegen Abtreibungen gegenseitig ausschließen. Der Schutz des Strafrechts aber steht in keinerlei Widerspruch zur Gewährung von Hilfen. Wenn also im Zusammenhang mit anderen hier eingebrachten Anträgen eine Verbesserung der Hilfen für schwangere Frauen gefordert wird, um dem Schutz des ungeborenen Kindes zu dienen, dann ist die gleichzeitige Forderung nach Abschaffung der rechtlichen Mißbilligung einer Abtreibung unlogisch. Denn eine eventuelle Strafandrohung trägt keinesfalls zur Tötung Ungeborener bei. Ganz im Gegenteil dient sie dem gleichen Ziel wie Beratung und Hilfe. Das Recht der Schwangeren auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit ist unbestritten. Der Lebensschutz des ungeborenen Kindes muß jedoch Vorrang haben. Denn das Recht auf Leben ist immer das höherwertige Rechtsgut. Selbstbestimmung hat Leben zur Bedingung Die rechtliche Mißbilligung einer Abtreibung dient im übrigen nicht alleine dem Schutz ungeborener Kinder; sie dient gleichermaßen dem Schutz der Schwangeren. Wer von uns wollte behaupten, eine Mutter mache sich die Entscheidung für eine Abtreibung leicht? Oftmals ist die vielzitierte „Konfliktsituation" doch gerade jene, daß die Schwangere von ihrem engsten persönlichen Umfeld zum Abbruch gedrängt wird. Oftmals sind es doch gerade die Männer — ich will sie in dieser Diskussion keinesfalls aus der Verantwortung entlassen —, die eine Frau zur Abtreibung nötigen, ohne daß dies nachgewiesen werden könnte. Gerade hier bietet das Recht Schutz, wirksamen Schutz für Mutter und Kind — so wie unser Recht stets die Schwächsten zu schützen sucht, die Schwachen vor den Starken, die Ohnmächtigen vor den Mächtigen. „Hilfe und Schutz" möge deshalb das Leitwort unserer heutigen Entscheidung sein. Ich appelliere eindringlich an alle Kolleginnen und Kollegen, in ihrer Verantwortung vor dem Recht des Schwachen, in ihrer Verantwortung vor dem Recht auf Leben Mütter und Kinder weder hilf- noch schutzlos alleine zu lassen. Ich appelliere an alle Mitglieder des Hauses, jegliche Form einer „Fristenregelung" abzulehnen. Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Die heutige Diskus- sion der unterschiedlichen Gesetzesentwürfe zum Schutz des ungeborenen Lebens gehört sicher zu den schwierigsten und aufwühlendsten, die den Deutschen Bundestag seit langem bestimmt haben. Jedermann in diesem Saal ist sich darüber im klaren, daß es wirklich um eine fundamentale Entscheidung geht, die gar nicht ernsthaft genug erörtert und geprüft werden kann. Der Einigungsvertrag gibt uns eine verbindliche Vorgabe, auch auf dem Gebiet des Schutzes ungeborenen Lebens endlich für die nötige Rechtseinheit in ganz Deutschland, und dies auf verfassungsmäßigem Wege, zu sorgen. Daß in Deutschland die Rechtslage immer noch gespalten ist, führt zu zahlreichen und vielen wahrhaft unüberwindlichen Konflikten. Am deutlichsten wird dies etwa in Berlin. Daß Berlin in der so existentiellen Frage des Schutzes ungeborenen Lebens buchstäblich immer noch geteilt ist, daß von einer Straßenseite zur anderen Straßenseite immer noch unterschiedliches Recht gilt, ist schlechterdings unerträglich. Daß in den neuen Bundesländern nach wie vor die Rechtslage der ehemaligen DDR, d. h. die Fristenlösung gilt, darf uns nicht vom richtigen Wege ablenken. Im Gegenteil, das Grundgesetz und seine grundlegende Norm in Art. 2 Abs. 2 Satz 1, die einen wirksamen Schutz ungeborenen Lebens vorschreibt, gilt heute in ganz Deutschland. Deshalb muß eine Entscheidung gefunden werden, die dieser grundlegenden Wertentscheidung unserer Verfassung gerecht wird bzw. vor ihr Bestand hat. Ich möchte mich hier auf die verfassungsrechtliche Frage beschränken und die konkurrierenden Gesetzesentwürfe ausschließlich in verfassungsrechtlicher Sicht würdigen. Jeder hat das Recht auf Leben, also auch das ungeborene Kind. Dies folgt zwingend aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vorn 25. Februar 1975 (BVerfGE 39,1 ff.) hierzu alles Maßgebende gesagt. Und gestatten Sie mir gleich eine Vorbemerkung: Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die zwar inzwischen einige Jahre zurückliegt, ist nach wie vor verbindlich. Nach wie vor ist die Interpretation des Bundesverfassungsgerichts für alle Verfassungsorgane maßgebend. Gerade in einer so existentiellen Frage wie der des Schutzes des ungeborenen Lebens sollte man hierüber nicht leichtfertig hinweggehen, wie dies etwa jene tun, die auf eine Änderung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts spekulieren. Welche Bedeutung hätte noch eine Verfassungsrechtsprechung in Deutschland, wenn man in der Gesetzgebung immer dann, wenn jemandem eine Entscheidung dieses höchsten deutschen Gerichts nicht paßt oder unbequem ist, schlechterdings darauf spekulieren könnte oder dürfte, daß das Gericht seine Rechtsprechung ja auch ändern könnte? Damit wäre auch die Autorität des Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8435* Bundesverfassungsgerichts in entscheidender Weise relativiert, ja ausgehöhlt; und auch dies gilt es heute zu beachten. Das Bundesverfassungsgericht hat in aller Klarheit ausgesprochen, daß „das sich im Mutterleib entwikkelnde Leben als selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung steht" und daß „die Schutzpflicht des Staates nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben verbietet, sondern daß es dem Staat auch gebietet, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen". Diese Schutzpflicht des Staates, „das sich entwickelnde Leben in Schutz zu nehmen, besteht auch gegenüber der Mutter", es „genießt grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren und darf nicht für eine bestimmte Frist in Frage gestellt werden". Jedermann weiß, daß diese Entscheidung unserer Verfassung für viele Frauen große Probleme, ja große Konflikte aufwirft oder aufwerfen kann. Dennoch, um dies in aller Deutlichkeit zu sagen, gerade dies für eine freiheitliche Ordnung so unverzichtbare Selbstbestimmungsrecht des einzelnen, also auch der Frau, kann nie grenzenlos gelten, auch das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen unterliegt stets den verfassungsimmanenten Schranken, die sich aus den Rechten anderer, hier aus dem Recht auch des Ungeborenen auf Leben, ergeben. Deshalb ist zunächst in aller Deutlichkeit festzustellen, daß jede Fristenlösung eindeutig verfassungswidrig und damit nicht zu akzeptieren ist. Denn jede Fristenlösung bedeutet in Wahrheit nichts anderes, als daß für eine bestimmte Zeit das Leben zur Disposition eines anderen Menschen gestellt wird — ein Tatbestand, der sich auch nicht unter dem Stichwort des Selbstbestimmungsrechts ausräumen oder überwinden läßt. Das Strafrecht bildet ein legitimes Instrument zum Schutz auch des ungeborenen Lebens. Auch dies hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich anerkannt. Es hat andererseits freilich auch festgehalten, daß „der Gesetzgeber die grundsätzlich gebotene rechtliche Mißbilligung des Schwangerschaftsabbruchs auch auf andere Weise zum Ausdruck bringen kann als mit dem Mittel der Strafdrohung". Entscheidend ist hierbei aber, „ob die Gesamtheit der dem Schutz des ungeborenen Lebens dienenden Maßnahmen eine der Bedeutung des zu sichernden Rechtsgutes entsprechenden tatsächlichen Schutz gewährleistet. Im äußersten Falle, wenn der von der Verfassung gebotene Schutz auf keine andere Weise erreicht werden kann, ist der Gesetzgeber verpflichtet, zur Sicherung des sich entwickelnden Lebens das Mittel des Strafrechts einzusetzen". Schon der Einigungsvertrag hat betont, daß dieser evidenten Konfliktlage möglichst über soziale Maßnahmen bzw. über die Verbesserung sozialer Hilfen begegnet werden soll. Dieser Ansatz ist richtig, er ist politisch wie sozial zu befürworten und er ist auch verfassungsmäßig. Andererseits hat sich aber auch ergeben — gerade in den langen Beratungen im Sonderausschuß zum Schutz ungeborenen Lebens —, daß auf das Strafrecht letztendlich nicht verzichtet werden kann. Dies gilt auch für den sogenannten Gruppenantrag. Auch er geht davon aus, selbst wenn er eine Fristenlösung im Ergebnis bejaht, daß der prinzipielle Schutz ungeborenen Lebens ohne den Einsatz strafrechtlicher Mittel nicht gewährleistet werden kann. Mit anderen Worten: Ganz offenkundig ist es doch für alle mehr oder weniger deutlich geworden, daß gerade im Lichte der vorgenannten Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts auf das Strafrecht nicht verzichtet werden kann; und dies bedeutet mit anderen Worten, daß das Mittel des Strafrechts auch tatsächlich angewandt werden muß. Jeder Schutz eines verfassungsrechtlichen Rechtsguts, gerade eines so bedeutsamen wie des hiesigen, fordert nicht nur formalen Schutz, sondern er fordert auch einen rechtlich einigermaßen effektiven Schutz. Deshalb müssen die heute zur Entscheidung stehenden Gesetzentwürfe auch den Test ihrer Wirksamkeit bestehen. Wer sich nur der Form nach auf das Strafrecht beruft, wer es nur äußerlich zum Schutze ungeborenen Lebens heranzieht, der muß sich die Frage stellen lassen, ob er es wirklich mit einem effektiven Schutz ungeborenen Lebens ernst gemeint hat. Mit gutem Gewissen bejahen kann dies nur der, der nicht gleichzeitig das Leben Ungeborener dennoch, der strafrechtlichen Schutzgewährleistung zum Trotz, zumindest zeitweise zur Disposition stellt. Leider gilt dies auch für den Gruppenantrag. Denn er beläßt es für die Straffreiheit bei dem schlichten Nachweis, daß „die Schwangere dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 3 nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen" (§ 218V Ziff. 3 StGB). Denn nach § 219 Abs. 1 soll diese Beratung zwar „den hohen Wert des vorgeburtlichen. Lebens" zum Ausdruck bringen, andererseits soll aber — offenkundig gleichrangig — die „Eigenverantwortung der Frau" Maßstab sein. Was bedeutet aber solche „Eigenverantwortung"? Ganz offenkundig wird sie als Gegensatz zum ungeborenen Leben vorausgesetzt bzw. mit diesem gleichgestellt. Dies führt aber im Ergebnis zur Dispositionsfreiheit über das ungeborene Leben, wie sie gerade nicht verfassungsmäßig ist. Die Frau hat, auch in schwierigen Konfliktlagen, nicht nur eine „ Eigenverantwortung ", sondern auch eine Verantwortung für das ungeborene Leben. Deshalb kann der Konflikt nicht zwischen Eigenverantwortung der Frau oder Selbstbestimmung der Frau einerseits und dem Schutz des ungeborenen Lebens andererseits ausgetragen werden, sondern der Konflikt muß, will er verfassungskonform gelöst werden, in einer Weise ausgetragen werden, die in der Person der Frau wirklich objektiven Gesetzlichkeiten Rechnung trägt, d. h. Gesetzlichkeiten, die es für die Frau wirklich unzumutbar machen, ein Kind auszutragen. Dies ist der Sinn einer Indikationslösung; und allein eine Indikationslösung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsmäßig. Ganz unstreitig ist, daß es zum Schwangerschaftsabbruch bei „einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes" der Frau kommen darf; dies hat das Bundesverfassungsgericht mit aller Klarheit zum Ausdruck gebracht. Das Gericht hat 8436' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 darüber hinaus aber auch ausgeführt, daß es „dem Gesetzgeber freisteht, andere außergewöhnliche Belastungen für die Schwangere, die ähnlich schwerwiegend sind, als unzumutbar zu werten und in diesen Fällen den Schwangerschaftsabbruch straffrei zu lassen" . Dies ist richtig und gerechtfertigt. Denn es gibt in der Tat auch andere Konfliktlagen, die es tatsächlich gerechtfertigt erscheinen lassen, den Schutz des ungeborenen Lebens im Einzelfall zurücktreten zu lassen. Aber eine solche „außergewöhnliche Belastung" liegt nicht etwa in der Dispositionsfreiheit oder in der Selbstbestimmung der Frau, wie dies von den Befürwortern einer Fristenlösung ganz offenkundig vorausgesetzt wird. Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Jede Fristenlösung ist verfassungswidrig, auch wenn sie mit einer Beratungspflicht verbunden wird, die in Wirklichkeit nicht dem insoweit allein maßgeblichen Schutz ungeborenen Lebens zu dienen bestimmt ist. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion ist demgegenüber verfassungsmäßig. Er stellt auf die Indikationslösung ab und wird dennoch — in verfassungskonformer Weise — den besonderen Belastungen oder Konfliktlagen in der Person der Schwangeren gerecht, wenn er nicht nur den „körperlichen", sondern auch den „seelischen Gesundheitszustand der Schwangeren" als Rechtfertigungsgrund nennt. Es ist auch richtig, die psychosoziale Notlage zur Rechtfertigung heranzuziehen. Denn auch in psychischer Hinsicht können sich in der Tat Konfliktlagen ergeben, die es für die Schwangere unzumutbar werden lassen, ein Kind auszutragen. Alles dies ist in § 218 a StGB des Mehrheitsentwurfs der CDU/CSU-Fraktion im einzelnen ausgeführt. Gerade auch aus der Sicht der Frau liegt in dieser Regelung ein maßgebender, ja ein entscheidender Fortschritt gegenüber der bisherigen Rechtslage. Aber dieser Fortschritt wird nicht um den Preis eines Verstoßes gegen das Verfassungsgut des Schutzes ungeborenen Lebens erreicht. Im Gegenteil, hier wird eine Konfliktlösung angestrebt bzw. werden für eine Konfliktlösung die nötigen Voraussetzungen geschaffen, die allen zu helfen imstande sind, die mit der Verfassung vereinbar sind, die vor allem den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerecht werden. Deshalb werbe ich dafür, dem Antrag der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion zuzustimmen. Gisela Schröter (SPD): Meine Entscheidung, mich überhaupt an der heutigen Debatte zu beteiligen, ist buchstäblich erst in letzter Minute gefallen. Eigentlich ist zum Thema alles gesagt. Den Argumenten bleibt kaum noch etwas hinzuzufügen. Die Entscheidung des oder der Einzelnen wird kaum noch durch Redebeiträge zu beeinflussen sein. Wenn ich mich trotzdem äußere, dann tue ich es vor allen Dingen, um mir Luft zu machen. Die Kampagne konservativer Lebensschützer aus allen Ecken der Bundesrepublik, mit der die Bundestagsabgeordneten in letzter Zeit überzogen werden, hat mich sehr betroffen gemacht. Ich sehe darin einen massiven Angriff auf eine der Grundregeln der parlamentarischen Demokratie, auf die Gewissensfreiheit des Abgeordneten. Wie soll man auch sonst auf Brieffluten reagieren, in denen uns Befürwortern des Gruppenantrags faschistische Euthanasiebestrebungen unterschoben werden? Unsere christliche Gesinnung wird uns abgesprochen. Häufig wird geradezu unterstellt, mit dem Gruppenantrag würde eine Abtreibungspflicht eingeführt. Und das alles wird unterstellt in christlicher Gesinnung aus tiefer Sorge um den Schutz der ungeborenen Kinder, die sonst hilflos ihren verantwortungslosen Müttern ausgeliefert wären. Nach Meinung dieser Lebensschützer ist allein ein drakonisches Strafrecht in der Lage, die ungeborenen Kinder vor ihren Müttern zu schützen. Eine Straffreiheit unter bestimmten Voraussetzungen, wie sie unser Gruppenantrag vorsieht, überfordert angeblich die Schwangere. Offenbar glauben konservative Männer noch immer, eine Entscheidung von dieser Tragweite sei für ein weibliches Gehirn einfach nicht zu leisten. Die vielfältigen Verlockungen der heutigen Gesellschaftsordnung, der Wunsch, ja, der Zwang zur Selbstverwirklichung mache Frauen, die nicht mehr vor Strafe zittern müssen, schutzlos und erpreßbar. Der psychologische Druck zur Abtreibung sei so ungeheuerlich, daß die Frauen einfach nicht mehr in der Lage seien „ihren Dienst am Leben" zu leisten. Ganz davon abgesehen, daß sich mir die Logik dieser Argumentation nicht recht erschließt, wo, bitte, taucht denn der Dienst der Väter am Leben auf? Und wie sehen die gesellschaftlichen Zwänge wirklich aus, denen Frauen seit Generationen ausgesetzt sind? Da sind einerseits Frauen angeblich nicht in der Lage, eine verantwortungsvolle Entscheidung für ihre ungeborenen Kinder zu treffen. Deswegen muß ihnen die Gesellschaft per Strafandrohung den richtigen Weg weisen. Sind die Kinder dann aber geboren, werden sie Privatsache, und zwar ausschließlich Privatsache der Frau. Fragen Sie einmal meine 70jährige Mutter, die 5 Kinder unter sehr schwierigen Bedingungen großgezogen hat, wie ihr die Gesellschaft ihren „Dienst am Leben" gelohnt hat: geringes Familieneinkommen, Verzicht auf eigene Berufstätigkeit und als Konsequenz eine mickrige Altersrente. Das Sümmchen, mit der ihr die Erziehung von fünf Kindern von der Gesellschaft entgolten wird, würde Ihnen die Tränen in die Augen treiben. Es ist beschämend, wie gering die Lebensleistung von Frauen bewertet wird, doppelt beschämend, wenn man beim Nachrechnen des Rentenbescheides die vollmundigen Reden der selbsternannten Lebensschützer über die hehre Rolle der Frau und Mutter im Ohr hat. So gut kann es um die Rolle der Mütter und Kinder in unserer Gesellschaft wirklich nicht bestellt sein. Denn selbst die Verfechter des absoluten Lebensschutzes sehen die Tragweite, die die Entscheidung für ein Kind für die betroffene Mutter mit sich bringt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8437* Man hat mich in vielen Schreiben aufgefordert, mutig zu sein und mich mit meiner Stimme im Bundestag für das Leben zu entscheiden. Das tue ich, indem ich den Gruppenantrag unterstütze. Unser Antrag bietet Hilfe statt Strafe. Nur unter diesen Voraussetzungen kann Leben lebenswert genannt werden. Den Lebensschützern kann ich nur nachträglich mit auf den Weg geben: Machen Sie einmal Bilanz über die Kosten dieser zum Teil unsäglichen Aktion. Spenden Sie beim nächsten Mal die Kosten, die Ihnen für Papier, Porto, Plastikföten usw. entstanden sind, der örtlichen Kindergarteninitiative oder meinetwegen auch dem Müttergenesungswerk. Damit hätten Sie dem Leben einen größeren Dienst erwiesen. Wolfgang Schulhoff (CDU/CSU): Wenn ich als einer rede, der sich bis jetzt vornehmlich mit Finanzpolitik beschäftigt hat, so ist mir doch durchaus bewußt, daß es bei der heutigen Entscheidung um mehr geht als nur um Geld. Es geht um Leben schlechthin, um das werdende Leben, aber gleichzeitig auch um das weitere Leben einer Frau, die sich in einer Notlage befindet, aus der sie momentan keinen Ausweg mehr sieht. Oft wird sie in dieser Konfliktsituation noch alleine gelassen. In dieser Situation braucht sie Zuspruch und natürlich mehr noch konkrete Hilfe, Hilfe für Leben mit ihrem Kind. Sie braucht Wohnung, Einkommen, Betreuung des Kindes und die Chance, sich auch weiter selbst zu verwirklichen. Also geht es auch um Geld. Wer sich glaubwürdig schützend vor das werdende Leben und die Mutter stellen will, muß auch bereit sein, materiell zu helfen, alle anderen Bemühungen entbehren sonst ihre Glaubwürdigkeit. Moralisierendes Handauflegen genügt nicht. Hilfe muß konkret faßbar und abrufbereit sein, sonst bleibt alles Gerede darüber nur Makulatur und hat ausschließlich Alibifunktion. Deshalb sei mir erlaubt aufzuzeigen, was die Bundesregierung und die sie tragende Koalition seit 1982 getan hat, um die Situation von Müttern in den ersten Lebensjahren des Kindes und natürlich darüber hinaus zu verbessern. In knapp zehn Jahren haben sich die familienpolitischen Leistungen mehr als verdoppelt, nämlich von knapp 27 auf 56 Milliarden DM. Im einzelnen darf ich auf folgende familienpolitische Verbesserungen hinweisen: Steuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten bei Alleinerziehenden, Wiedereinführung eines steuerlichen Kinderfreibetrages und kontinuierliche Anhebung dieses Betrages, Verdopplung der steuerlichen Ausbildungsfreibeträge für auswärtig untergebrachte Kinder, Erhöhung des steuerlichen Haushaltsfreibetrages für Alleinerziehende parallel zur Verbesserung des Grundfreibetrages, Einführung eines Pflegepauschbetrages, Anhebung des Baukindergeldes und Kinderzuschlag für Geringverdienende. Dieser Katalog ist noch unvollständig und könnte fortgesetzt werden, jedoch möchte ich in diesem Zusammenhang nur noch die Einführung eines Erziehungsgeldes und Erziehungsurlaubs erwähnen. Das Erziehungsgeld soll ab 1993 sogar auf 24 Monate ausgedehnt werden. Ein familienpolitisches Jahrhundertwerk im Rahmen des Rentenrechts dürfte auch die Anerkennung eines Erziehungsjahres in der gesetzlichen Rentenversicherung sein. Auch die hier geplante Verbesserung, für Geburten ab 1992 drei Jahre für die Erziehung eines Kindes als rentenrechtliche Zeit anzuerkennen, ist eine beachtliche Weiterentwicklung des Gedankens, die Kindererziehung und die Berufstätigkeit gleichwertig zu betrachten. Nicht zu vergessen die Stiftung „Mutter und Kind". Mit diesen Maßnahmen wurde zweifellos die Lage der Mutter verbessert, jedoch muß noch wesentlich mehr erfolgen, um glaubwürdig zu dokumentieren, daß man helfen will. Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang, wenn der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz schon vor dem Jahre 1999 bestehen würde. Jedoch müssen wir hier Rücksicht nehmen auf Länder und Gemeinden. Wir brauchen sowohl Zeit zur Vorbereitung als auch finanzielle Mittel. Bekanntlich ist unser Finanzrahmen durch die enormen Mittel, die wir brauchen, um die Schäden des Sozialismus zu beseitigen, sehr beengt. Trotzdem muß man auch hier Prioritäten setzen. Sie sehen, meine Damen und Herren, daß es mir um Hilfe für die sich in Not befindende Frau und nicht um Strafe geht. Ich gebe auch zu, daß mir bei dem Antrag meiner Fraktion, dem ich zustimmen werde, nicht alles gefällt. Jedoch bei Abwägung aller Möglichkeiten, die mehrheitsfähig wären, ist für mich dieser Antrag die beste Lösung, da eine wie auch immer gestaltete Fristenlösung für mich aus ethischen und verfassungsrechtlichen Gründen nicht akzeptabel ist. Wenn ich mich frage, was sich denn eigentlich grundsätzlich zur Ausgangslage der ersten parlamentarischen Diskussion über den Schwangerschaftsabbruch Anfang der siebziger Jahre bis heute geändert hat, so sehe ich ein klares Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen eine Fristenlösung und die Vielzahl der von mir vorab kurz erwähnten Maßnahmen zur materiellen Verbesserung der Situation von Frau und Familie. Ganz im Sinne des Verfassungsgerichtsurteiles: Hilfe vor Strafe. Ich verkenne nicht, daß sich auch noch ein Wertewandel vollzogen hat; so jedenfalls berichten die Demoskopen. Ja, der Zeitgeist hat sich offensichtlich geändert. In einer so elementaren Frage jedoch, wie sie heute zur Entscheidung ansteht, kann und will ich mich dem Zeitgeist nicht beugen. Stefan Schwarz (CDU/CSU): Ich habe seit einiger Zeit das Gefühl, daß wir bei der Diskussion um den § 218 eine Menge mitdiskutieren, was zum eigentlichen Strafrecht sinnvollerweise wohl nicht gerechnet werden kann. Um allzusehr aufs Strafrecht Hoffende zu warnen, stelle ich vorweg fest: Das Strafrecht ist faktisch ein 8438* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 kaum wirksames Mittel. Es gibt zu viele Alternativen im freien Europa, ja auch in Deutschland selbst. Vor dem Strafrecht sind im übrigen wichtigere und effektivere Schritte zum Schutz des Lebens möglich und nötig. Helfen statt Strafen war in dieser Frage immer die Devise der CDU/CSU. Wer Leben wirklich effektiv schützen will, der muß alle möglichen, im wahren Sinne des Wortes: alle möglichen Chancen ergreifen, Eltern das Ja zum Kind zu erleichtern und ein Nein zum Kind zu verhüten. Es geht mir bei dieser Frage ausdrücklich nicht um die Überfrachtungen dieses letzten Mittels, nämlich des Strafrechts, mit allen möglichen anderen Themen. Diese anderen, dem Strafrecht vorausgehenden Fragen müssen wir lösen, um glaubhaft zu sein — gegenüber den lebenden Frauen wie vor allem gegenüber den ebenfalls lebenden Menschen, die wir — zu diesem Zeitpunkt — nur per Ultraschall sehen können. Wer den Eltern, den Frauen und Männern, die Entscheidung für das Kind wirklich erleichtern will, der darf sich nicht darauf beschränken, Kind und Eltern in den ersten zwei bis drei Lebensjahren und danach zu begleiten. Es gehört eine wirklich kinderfreundliche Gesellschaft dazu, die Spiel- und Bolzplätze von Kindern nicht deshalb verbietet, weil das Rufen und Spielen von Kindern unter Lärmbelästigung fällt; die mit der doppelten Moral aufräumt, daß zwar Abtreibung Mord sei, uneheliche Kinder aber eine Katastrophe für das Ansehen bedeuten; die denjenigen Elternteilen, die sich ihrer Kinder besonders annehmen, sowohl in Familie als auch im Beruf wirkliche Chancen einräumt und nicht nur in Debatten um den § 218 oder auf Gewerkschaftskongressen oder politischen Grundsatzerklärungen darüber redet. Ich habe oft den großen Fehler beobachtet, daß menschliches Leben ausgespielt wurde gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Wir reden — auch als Männer — häufig in einer Entweder-oder-Sprache, in der Alternative Recht der Frau oder Recht des Kindes anstatt wirklich für das Leben zu werben. Und noch immer sind wir hier in diesem Parlament in der Bringschuld: Noch immer fehlt die freundlich-werbende Kampagne für das menschliche Leben, noch immer ist die Sexualaufklärung in Schule und anderswo unzureichend, noch immer leben wir hier mit Tabus, die wir im Ergebnis oft mit dem Töten von Menschen bezahlt sehen. Wir haben große Unterlassungen begangen, alle miteinander. Wir haben zum Beispiel Prioritäten in diesem Bereich von Leben und Tod auf Finanzielles reduziert und dann für nicht finanzierbar erklärt. Wir nehmen im übrigen nach wie vor Wohnungsanzeigen hin, in denen als Bedingung für ein Dach überm Kopf steht: „ohne Kinder". Wo sind wir eigentlich hingekommen in diesem Land? Wo bleibt eigentlich unser Aufbäumen gegen diese wirklich beschämenden Umstände in einem der reichsten Länder der Erde? Wie halten's eigentlich die Gewerkschaften und die Arbeitgeber mit der Herstellung von wirklicher Chancengerechtigkeit im familiären und beruflichen Leben? Es ist wahr: Frauen werden zur Abtreibung von Männern gedrängt. Es ist wahr: Alleinerziehende haben teilweise einen miserablen Stand in unserem Land. Und es stimmt auch. Die Not der Familien ist in Deutschland oft größer, als wir es wahrhaben wollen. Für dies alles schäme ich mich; denn ich weiß um unsere Unterlassungen in diesem Feld. Meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor: Wir bleiben in einer unglaubwürdigen Lage, wenn wir daran nicht wesentlich mehr ändern als bisher. Die Feststellung all dieser Unzulänglichkeiten, Mängel und teilweise großen Ungerechtigkeiten kann mich aber doch nicht zu folgendem bringen: Ich kann nicht die innere Barriere übersteigen, die es mir erlauben könnte, das Leben eines Menschen ohne Androhung von Sanktionen töten zu lassen. Ich bitte auch um Verständnis, und ich entschuldige mich bei all den wirklich verzweifelten Frauen und Männern für die sicherlich teilweise empfundene Zumutung, denen wir sie im CDU/CSU-Entwurf dadurch aussetzen, daß wir Hürden eingebaut haben, die wir vor das ja stattfindende Töten eines Menschen setzen. Es geht uns dabei ja nicht um Unterstellungen gegenüber angeblich leichtfertigen Frauen, es geht nicht um das Zuschustern aller Verantwortlichkeiten an die Frau im Schwangerschaftskonflikt. Es muß aber darum gehen, eine Chance auch für denjenigen zu garantieren, der im Konfliktfalle noch schwächer ist als die schwangere Frau; nämlich für den Menschen, den sie in sich trägt. Weder vor Beratungsstellen noch vor verantwortlichen Fachärzten muß frau sich fürchten. Es geht nicht urn Entmündigung, es geht um Zumutung für die Frau und den Mann. Mir geht es vor allem um Chancengleichheit und Schutz für ungeborene Menschen in solchen Konfliktfällen, in denen wir anders nicht helfen könnten. Ein fachlich versierter, mit den Themen vertrauter und frei zu wählender Arzt entscheidet sicherlich mit der Frau für das Kind, nicht im Sinne einer Obrigkeit gegen die Frau. Es geht mir — auch als Mann — darum, denjenigen meiner Geschlechtsgenossen das Handwerk zu legen, die Druck zum Töten auf die Schwangeren ausüben. Ich will hier abschließend persönlich etwas bekennen, was ich für nicht untypisch halte. Das Sich-Freuen und das Schön-Reden über Kinder widerspricht natürlich eklatant dem, was wir hier im politischen Bereich vielfach praktizieren und vorleben. Eines ist doch klar: Wenn ich mich nach den Erfolgsgesetzen der politischen Klasse in der Bundesrepublik Deutschland richte, wäre ich doch völlig verrückt, wenn ich mich etwa mehr als nur zwischen allen Terminen um meine Kinder kümmern würde. Das berühmte „Sitzfleisch", das Absitzen von Terminen, entscheidet noch immer mehr über politischen Erfolg als das persönliche Engagement in der Familie inklu- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8439* sive der Kinder. Ich wünsche mir die Kraft, auch gegen diese kinderunfreundliche Tendenz anzugehen. Ich komme aus einer Familie mit sechs Kindern — heute würden wir vielleicht ja schon als asozial gelten. Aber ich sag' Ihnen was: Ich fand's toll. Ich sag' Ihnen noch was: Ich liebe meine Eltern und meine Geschwister. Es ist — bei allen großen und kleinen Schwierigkeiten — ein schönes Gefühl. Deshalb will ich auch selber Kinder haben — und ich werde mir Mühe geben, daß die mal dasselbe sagen, was ich heute sagen kann. Uns allen wünsche ich die Kraft, trotz der empfundenen Zumutungen für verzweifelte Frauen und auch Männer den CDU/CSU-Entwurf zu beschließen, um dem Leben eine faire Chance zu geben. Heinz Seesing (CDU/CSU): Die Diskussion um den Schutz des ungeborenen Kindes hat mir gezeigt, daß bei vielen Menschen das Wissen um das menschliche Leben und seinen Beginn äußerst gering ist. Eine neue Einstellung zum Leben ist aber nur dann zu erreichen, wenn alle Menschen mehr darüber wissen. Es ist schon beängstigend, wie gerade die Frage nach dem Lebensbeginn in der Diskussion ausgeklammert wird, um nicht bestimmte Schlußfolgerungen ziehen zu müssen. Die hat der Deutsche Bundestag aber bereits einmal gezogen, als es um den Schutz des in der Retorte gezeugten Embryos ging. Im Embryonenschutzgesetz ist ein sehr weitgehender Schutz des extrakorporal erzeugten Embryos erreicht worden. Die Ablehnung des Gesetzes durch Teile des Bundestages erfolgte nicht wegen eines möglicherweise zu weit gehenden Schutzes solcher Embryonen, sondern weil einzelne Bestimmungen nach Ansicht dieser Kolleginnen und Kollegen nicht ausreichend sind und weil einige Probleme noch gar nicht geregelt wurden. Wichtig für unsere derzeitige Diskussion ist aber die Begriffsbestimmung in § 8 dieses Gesetzes. Dort heißt es: „Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an. " Das ist auch wohl naturwissenschaftlich die einzige mögliche Festlegung auf den Beginn eines neuen Lebens. Ich sehe auch rechtlich keine andere Möglichkeit, genau den Beginn des Schutzes menschlichen Lebens zu bestimmen. Meine Frage ist jetzt: Wieso soll der in der Retorte erzeugte Embryo mehr Schutz erfahren als der natürlich gezeugte? Das Embryonenschutzgesetz schützt allerdings auch solche Embryonen, indem es verbietet, sie noch vor der Einrüstung in die Schleimhaut der Gebärmutter zu entnehmen, um sie zu veräußern oder Experimente anzustellen. Wieviel mehr müßte der Embryo dann vor Eingriffen geschützt werden, die seinen Tod beabsichtigen! Rechtsgüter werden bei uns durch Gesetz geschützt. Noch immer halte ich das menschliche Leben für das höchste zu schützende Gut. Es bedarf des rechtlichen Schutzes von seinem Anfang bis zu seinem Ende. Nur in Fällen der Notwehr darf man über dieses Gebot hinweggehen. Auch unser Grundgesetz billigt jedem das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu. Deswegen haben wir ja auch die Todesstrafe abgeschafft. Es kann nach meiner Auffassung keinen rechtlichen Schutz des Lebens geben, der für einen bestimmten Lebenszeitraum versagt wird. Das bedeutet, daß ich es sowohl nach unserer christlichen Lebensordnung wie nach unserem Grundgesetz für nicht statthaft halte, den Rechtsschutz etwa bis zur 12. Woche des Lebens zu verweigern. Ich halte eine solche Festlegung auch deswegen für wichtig, weil uns die Diskussion um die Euthanasie, also um die zwangsweise Beendigung des Lebens im Alter oder in einer Krankheit, und um die Lebensberechtigung von Behinderten in Zukunft beschäftigen wird. Und ich stelle die Frage, ob wir diese Probleme dann auch mit „Fristen" regeln wollen oder müssen. Von entscheidender Bedeutung sind aber neben der Frage „Wissen wir eigentlich genug vom Leben?" und neben dem erforderlichen rechtlichen Schutz des Lebens von seinem Anfang bis zum gottgewollten Ende die umfassenden Hilfen, die Familien, Eltern, besonders den Müttern, und den Kindern gewährt werden. Wer wirklich Lebensschutz will, der muß diese Hilfen als einen Schwerpunkt der Politik ansehen. Ich sehe meine Vorstellungen am besten gesichert in den Gesetzentwürfen der „Gruppe Werner" und — danach — der Mehrheit der Mitglieder der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion. Entsprechend werde ich mich in den Abstimmungen verhalten. Bärbel Sothmann (CDU/CSU): Wie schützen wir am wirksamsten das ungeborene Leben? Kaum ein Thema hat in den letzten Jahren so viele Menschen bewegt, wie die Neuregelung des Gesetzes zum Schutz des ungeborenen Lebens. Diese Frage, die wir heute hier entscheiden müssen, ist wohl die elementarste, die Mitglieder des Deutschen Bundestages in ihrem Parlamentarierleben zu beantworten haben. Wir stehen in einer großen Verantwortung. Ich wende mich entschieden gegen die Fristenlösung. Ein Schwangerschaftsabbruch ist ein grundsätzlich zu mißbilligendes Unrecht. Es gibt keinen qualitativen Sprung in der Entwicklung des Menschen. Die Forschungsergebnisse der letzten Jahre haben uns zu Wissenden gemacht, zu Wissenden darüber, daß ungeborenes Leben ab dem Zeitpunkt der Zeugung menschliches Leben ist. Unsere Verfassung, die im Bewußtsein der „Verantwortung vor Gott und den Menschen" beschlossen wurde, sagt: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Würde des Menschen ist unantastbar und vom Staat nicht nur zu achten, sondern auch zu schützen. Dies gilt auch für das ungeborene Leben. Eine Fristenlösung, die menschliches Leben für eine gewisse Zeit zur Disposition stellt, ist mit den Grundwerten unserer Verfassung nicht vereinbar. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht bereits 1975 festgestellt. Mit anderen Worten: Es kann nicht sein, daß Lebensschutz bestimmten Fristen unterliegt und daß ohne gerichtlich überprüfbare Indikation die ansonsten strafbare Abtreibung innerhalb einer völlig willkürlichen Frist von 12 Wochen gebilligt wird. Es kann 8440* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 auch nicht sein, daß das Selbstbestimmungsrecht der Frau ihr das Bestimmungsrecht über ein anderes menschliches Leben gibt. Die Freiheit des einzelnen hört da auf, wo die Freiheit — oder die Menschenwürde, um mit dem Grundgesetz zu sprechen — des anderen beginnt. Deshalb kann und darf es auch nicht die Sache der Frau sein, allein über Leben und Tod eines kleinen menschlichen Wesens zu entscheiden. Von seiten des Gesetzgebers muß der Lebensschutz des Ungeborenen — als schwächstem und schutzbedürftigstem Mitglied unserer Gesellschaft — während der gesamten Dauer der Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren haben. Das Motto „Hilfe statt Strafe", nach dem die Vertreterinnen und Vertreter der Fristenlösung operieren, greift daher nach meinem Verständnis zu kurz. Es steht außer Frage, daß Schwangeren in Konfliktsituationen umfassende Hilfen zur Verfügung gestellt werden müssen. Der Mehrheitsentwurf meiner Fraktion sowie der bereits von uns beschlossene, umfangreiche sozial- und familienpolitische Maßnahmenkatalog zum Schutz des ungeborenen Lebens tragen dem ausdrücklich Rechnung. Oberstes Ziel ist es, die Bereitschaft der werdenden Mutter, die Schwangerschaft anzunehmen, zu stärken und Wege aus der Konfliktsituation aufzuzeigen. Wir wissen, daß die Frauen sich ohne Zwang nur selten gegen ihr Kind entscheiden. Aber da ist ihr Umfeld: Die Eltern, der Partner, die Familie, sie setzen die Frau nicht selten unter Druck und zwingen sie zur Abtreibung, anstatt ihr unterstützend zur Seite zu stehen. Die Pflichtberatung kann in diesem Fall helfen, der Frau wieder eine eigenständige Orientierung zu ermöglichen. Staat und Gesellschaft müssen dafür Sorge tragen, daß jede Frau ihr Kind mit einer vernünftigen Perspektive großziehen kann. Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub, Kindergeld, Familiengeld, Arbeitsplatzgarantie, der Anspruch auf einen Kindergartenplatz, Sozialhilfe, die Bundesstiftung „Mutter und Kind" werden dazu beitragen. Aber es geht nicht nur um diese staatlichen Hilfen. Das Klima in unserer Gesellschaft muß kinderfreundlicher werden. Das ist nicht nur die Aufgabe der Regierung, sondern vor allem die Aufgabe der Menschen, die Aufgabe eines jeden einzelnen von uns. Die heutige Diskussion um den Schutz des werdenden Lebens bietet auch die Gelegenheit, über die Wertvorstellungen in unserem geeinten Deutschland Klarheit zu gewinnen, nämlich: 1. Menschliches Leben ist ein Wert an sich, über das kein Mensch frei verfügen darf. 2. Leitbild unserer Verfassung ist der mündige Bürger, das heißt der Mensch, der in Verantwortung vor Gott und den Menschen — wie es in der Präambel des Grundgesetzes heißt — sein Leben gestaltet. Der mündige Bürger ist das Leitbild, an dem wir uns alle orientieren müssen. Das bedeutet konkret auf die Abtreibungsfrage bezogen: Niemand entbindet die Frau von ihrer Verantwortung. Auf der anderen Seite entbindet aber auch den Gesetzgeber in einem Rechtsstaat niemand von seiner Verpflichtung, Unrecht zu nennen, was Unrecht ist. Der Schutz des ungeborenen Lebens muß daher in unserer Rechtsordnung als zu schützendes Gut verankert bleiben. Das Indikationsmodell ist für mich der äußerste Kompromiß, der sich in der Frage der Abtreibung finden läßt. Ich kann daher nur für die Indikationslösung stimmen. Ich bitte Sie, stimmen auch Sie dafür! Dr. Hans Stercken (CDU/CSU): Um im Einklang mit der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland zu leben, habe ich mich seit 1949 nicht an Verfassungsinterpretationen orientiert, sondern an dem, was die Verfassungsgeber in den Debatten des Parlamentarischen Rates als Begründung für ihre Entscheidungen vorgetragen haben. Hier ist ein in meiner Erinnerung verbliebenes Zitat aus der Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates: Dr. Heuss (F.D.P.): Ich stimme an sich mit Frau Dr. Weber überein, daß der Begriff des Lebens auch auf das keimende Leben ausgedehnt ist. Aber ich bin der Meinung, wir dürfen in die Verfassung selber nicht Dinge hineinnehmen, die im Strafgesetz als solche geregelt sind. Infolgedessen halte ich sowohl die Nennung des keimenden Lebens als einer Sonderfrage wie die Nennung der Todesstrafe für überflüssig. Ich halte an dieser Erklärung der Absichten des Verfassungsgebers fest. Ohne eine Änderung der Verfassung kann das Recht auf Leben des ungeborenen Kindes innerhalb willkürlicher Fristen nicht eingeschränkt werden. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Es wird heute hier sehr ernsthaft diskutiert, und es werden die unterschiedlichsten Meinungen vertreten. Aber ich muß zu vielen Rednern — Rednerinnen insbesondere — sagen, daß nicht die Würde der Frau heute zur Abstimmung steht, sondern der Schutz des ungeborenen Lebens. Die Befürworter des Gruppenantrags haben sich wenigstens bemüht — mindestens subjektiv — das werdende Leben zu schützen, indem sie eine positive Beratung, d. h. eine Beratung für das Leben fordern. Aber im entscheidenden Moment lassen sie die Frau allein, weil sie meinen, das Selbstbestimmungsrecht, die Würde der Frau fordere dies. Dabei wird übersehen, daß — ich möchte sagen -der überwiegende Teil der Abtreibungen zustande kommt, weil der Erzeuger oder ein anderer Mensch, Eltern, Geschwister oder sogenannte wohlmeinende Nachbarn zur Abtreibung drängen oder raten. Genau hier wäre es sinnvoll, daß nach der ersten Beratung die letztliche Entscheidung gemeinsam mit dem Arzt erfolgt. Zudem werden zwei Rechte gegeneinander abgewogen, die schlichtweg nicht vergleichbar sind. Wenn nur zwischen der Würde der Frau und der Würde des ungeborenen Lebens entschieden würde, könnte die Güterabwägung leichter durchgeführt werden. Hier wird aber Würde gegen Leben gestellt. Das Leben ist ganz sicher das höherwertige vom Grundgesetz geschützte Rechtsgut. Hierin liegen der Irrtum vieler Anhänger dieses Antrages und auch das Unrecht. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8441* Wer aber wie die Anhänger der PDS und teilweise des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN die ersatzlose Streichung des § 218 StGB fordert, billigt die Tötung ungeborenen Lebens bis unmittelbar vor der Geburt. Das ist eine schlimme und in einer Demokratie unerträgliche Rechtsansicht. Dem Schutz des ungeborenen Lebens dient ganz sicher, wenn er Gesetz würde, der sogenannte Werner-Entwurf, der aber — wie die Mehrheiten heute hier zeigen — keine Chance hat. Dabei verkenne ich nicht, daß die Strafandrohung und die Einschränkung der Abtreibungsmöglichkeiten die Abtreibung als solche nicht verhindern. Dies tun aber auch die Strafandrohungen bei Diebstahl, Mord und Totschlag nicht. Der Staat muß seine Rechtsposition verteidigen, wenn nicht die Demokratie in Anarchie untergehen soll. Viele von denen, die heute „knallhart" für die Fristenlösung eintreten, wären nicht geboren, wenn das Gesetz, was sie heute hier vertreten, Geltung gehabt hätte. Politik heißt aber auch gegebenenfalls das kleinere Übel zu wählen. Deswegen werde ich, wenn der Werner-Entwurf keine Mehrheit findet, dem Mehrheitsentwurf der CDU/CSU zustimmen, weil hier die Frau eine Möglichkeit der Beratung und Hilfestellung erhält, die besser ist als bei jedem anderen Entwurf. Die Hürde soll und muß möglichst hoch sein, damit die Achtung vor dem ungeborenen Leben bleibt und eine Mutter zwischen der Tötung des ungeborenen Lebens und eigenen Problemen wirklich abwägt. Soziale Probleme können heute bei den vielen flankierenden Maßnahmen nicht mehr der Grund sein, was immer sonst unter „psycho-soziale Notlage" verstanden werden kann. Ich bitte deshalb ebenso eindringlich wie fordernd die Befürworter des Werner-Entwurfs, nach der Auszählung der Stimmen ihres Antrages dem Mehrheitsentwurf der CDU/CSU zuzustimmen. Nur so läßt sich eine Mehrheit für den Gruppenantrag verhindern. Sollte dieser Gesetzentwurf durchgehen und vom Verfassungsgericht gehalten werden, bleibt ein Trost, daß die Kinder, die trotz — oder wegen, wie die Befürworter meinen — dieses Gesetzes auf die Welt kommen, samt ihren Müttern und Eltern materiell besser gestellt sind, weil die flankierenden Maßnahmen, die bei dem CDU/CSU-Entwurf und dem Gruppenantrag nahezu gleich sind, eine wesentliche Verbesserung bringen. Hans-Gerd Strube (CDU/CSU): „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit." So beginnt der zweite Absatz des Artikels 2 des Grundgesetzes. Da das Recht auf Leben jedem garantiert wird, handelt es sich um ein Menschenrecht. Dieses Menschenrecht steht — unabhängig von Alter, Rasse, körperlicher oder geistiger Verfassung — jedem menschlichen Leben zu, und damit eben auch dem ungeborenen Leben. Das hat das Bundesverfassungsgericht am 25. Februar 1975 beim Urteil gegen die Fristenlösung bekräftigt. Für die grundgesetzliche Ordnung unseres Staates ist das menschliche Leben ein Höchstwert, weil es „die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte" ist (BVerfGE 39, 1). Für mich als Christ liegt die besondere Würde des menschlichen Lebens darin begründet, daß der Mensch Gottes Ebenbild ist. Diese Vorstellung vom Menschen als dem „Abbild Gottes" stammt aus dem ersten Schöpfungsbericht der Bibel (Gen 1,26f). Als Christ weiß ich: Jedes menschliche Leben erhält einen eigenen Wert und Sinn, indem Gott es schafft, ruft, achtet und liebt. Der Mensch hat eine unverlierbare Würde, weil Gott ihn berufen hat, sein Gegenüber zu sein, und weil er ihn in Jesus Christus unbedingt angenommen hat. Ungeborene Kinder sind da natürlich nicht ausgegrenzt, sondern mitgemeint. Indem Gott bereits das ungeborene menschliche Leben annimmt, verleiht er ihm menschliche Würde. Daraus folgt nun für mich die Verpflichtung, das ungeborene menschliche Leben anzunehmen und zu schützen — keineswegs nur, aber auch durch das Strafrecht, das als letztes Mittel dient. Es ist für Biologen und Mediziner unstrittig, daß es sich beim ungeborenen Kind um menschliches Leben handelt. Meiner Meinung nach darf über dieses individuelle Leben niemand willkürlich verfügen. Zwar ist es richtig, daß ein noch nicht geborenes Kind in besonderer Weise von der schwangeren Frau abhängig ist. Das heißt aber noch lange nicht, daß es nur ein Teil von ihr ist. Das ungeborene Kind ist ein eigenständiges menschliches Wesen. Aus dem Selbstbestimmungsrecht der Frau kann deshalb kein Verfügungsrecht über das in ihr heranwachsende Kind abgeleitet werden. Der Lebensschutz für das ungeborene Kind hat für mich Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren. In diesem Wissen lehne ich eine Fristenlösung ab, denn Leben kann und darf niemals „befristet" freigegeben werden. Bei der in Westdeutschland praktizierten Indikationslösung hat sich nach meiner festen Überzeugung die Abtreibungspraxis von der Gesetzeslage entfernt. Wenn 83,3 Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche als soziale Notlagenindikationen ausgewiesen wurden, kann dies mit der im Gesetz genannten „schweren Notlage" offensichtlich nicht begründet werden. Eine wirkliche Notlage kann ich nur akzeptieren bei einer gravierenden Gefahr für die Gesundheit der Schwangeren, das heißt, wenn das Leben der Mutter dem Leben des Kindes gegenübersteht. Zur Aufgabe der Politik gehört es, einen gesellschaftspolitischen Rahmen zu schaffen, der werdenden Müttern jede Hilfe zukommen läßt, um ein Kind zur Welt kommen zu lassen und mit ihm ohne Not zu leben. Hier sehe ich meine Aufgabe als Politiker. Vieles ist in der Zeit der CDU/CSU-Regierung in der Familien- und Sozialpolitik an Positivem geschehen. Ich nenne die Stiftung „Mutter und Kind", die Neugestaltung des Familienlastenausgleichs, Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub mit Beschäftigungsgarantie, die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung, die Verbesserung des Baukindergeldes und viele andere Maßnahmen. Finanzielle Hilfen sind nötig — es gilt, sie auszubauen. Aber noch wichtiger ist, daß wir für die Achtung vor dem Lebensrecht der ungeborenen Kinder kämpfen, um eine Korrektur des teilweise fehlge- 8442* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 leiteten Wertebewußtseins in unserer Gesellschaft zu erreichen. Erfreuliche Ansätze und Erfolge im Kampf urn den Schutz der ungeborenen Kinder sind festzustellen. Es wurden Einrichtungen geschaffen, denen manches Kind die Rettung seines Lebens und manche Mutter die Freude an ihrem Kind verdankt. Eine Gesellschaft, die im Tier- und Pflanzenschutz weltweit an der Spitze steht, wird hoffentlich auf Dauer auch zu der Erkenntnis gelangen, daß das ungeborene Kind schützenswert ist. Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Die Diskussion zur Neuregelung des § 218 StGB besteht in vielen Teilen aus der Darlegung von Glaubensbekenntnissen und dem Streit um den richtigen Weg. Ich finde es gut, daß wir hier die Debatte frei von Fraktionszwängen führen, weil es unterschiedliche Wege zum gleichen Ziel gibt. Über das gemeinsame Ziel besteht Einigkeit: eine kinderfreundlichere Gesellschaft, die es Frauen ermöglicht, sich für das Kind zu entscheiden und damit die Zahl der Abtreibungen zu minimieren. Für mich soll eine Schwangerschaft möglichst mit einer Geburt enden, nicht mit einem Abbruch. Es gibt allerdings Gründe, die für einen Abbruch sprechen können. Das sieht übrigens ebenso der CDU/CSUAntrag vor. Insofern besteht auch kein grundsätzlicher Widerspruch zwischen dem Antrag der Union und dem von der F.D.P. initiierten Antrag. Ich bin allerdings erstaunt darüber, daß der Staat insbesondere aus katholischen Kreisen immer wieder aufgefordert wird, Moralvorstellungen mit Hilfe des Strafrechtes durchzusetzen. Ich kann mich auch deshalb kritisch damit auseinandersetzen, weil ich selbst Katholik bin, mich dieser Auseinandersetzung immer gestellt habe und viele Gespräche, u. a. auch mit dem Osnabrücker Bischof Ludwig, hierzu geführt habe. In diesen Gesprächen habe ich mich in meiner Einschätzung bestätigt gefunden, daß die Strafandrohung für einen Schwangerschaftsabbruch das ungeeignete Mittel ist, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zu reduzieren. Die rechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruches durch den bisherigen § 218 StGB hat schon in den alten Bundesländern nicht zu befriedigenden Ergebnissen geführt. Das Indikationsmodell hat nicht zu dem erwarteten und heute noch von der Mehrheit der Union behaupteten Maß an Schutz des ungeborenen Lebens geführt. Zugleich hat es die schwangeren Frauen einem fremdbestimmten Verfahren ausgeliefert, das zu Recht oft als entwürdigend empfunden wird. Durch die deutsche Einigung droht diese Kluft zwischen rechtlichem Anspruch und gesellschaftlicher Realität weiter zu wachsen. Die Frauen in den neuen Bundesländern sind es bisher gewohnt, selbst über die Aufrechterhaltung einer Schwangerschaft zu entscheiden. Wenn am Ende dieses Jahres ein gemeinsames Recht zum Schwangerschaftsabbruch in Ost und West in Kraft treten muß, wäre den Frauen in den neuen Bundesländern die bisherige Indikationenregelung und die damit verbundene Fremdbestimmung nicht zu vermitteln. Diese Frauen würden zum einen den Eindruck erhalten, daß nicht sie bestimmen, sondern daß über sie bestimmt wird. Zum anderen müssen sie bei dem Unionsantrag den Eindruck erhalten, unser Rechtsstaat nimmt es mit dem Recht nicht genau. Denn was soll eine Strafvorschrift für eine Frau, wenn keine Frau nach dieser Vorschrift bestraft wird? Ich muß mich verbessern: 1990 soll eine Frau nach § 218 StGB verurteilt worden sein. Strafrecht ist doch nicht die Verkündung eines moralischen Maßstabes, sondern eine Strafrechtsnorm gibt doch nur Sinn, wenn eine für strafbar erklärte Handlung auch bestraft wird. In dieser Situation ist es daher erforderlich, eine neue und tragfähige Lösung zu finden. Die Verhandlungen der letzten Monate haben gezeigt, daß wir uns um eine solche Lösung in ungewöhnlicher Intensität bemüht haben. Dabei hat die Aufhebung der Fraktionsbindung, die ich sehr begrüße, sicher eine ganz wichtige Rolle gespielt. Damit ist der Weg frei geworden für eine ganz individuelle Gewissensentscheidung. Ich möchte Ihnen einige Argumente nennen, die für meine persönliche Entscheidung dabei wichtig sind: Ziel jeder rechtlichen Regelung der Abtreibung muß ein vernünftiger Ausgleich im Konflikt zwischen den Interessen der schwangeren Frau und des werdenden Lebens sein. Deshalb ist es auch das gute Recht und sogar die Pflicht der katholischen Kirche, ihre Stimme in diesem Zusammenhang zu erheben und ihre Interpretation in die Diskussion einzubringen. Aber allein die Interpretation der katholischen Kirche kann nicht maßgeblich sein für die Ausgestaltung einer Strafrechtsnorm. Diese muß auf einem weitaus breiteren Konsens beruhen. Das Strafrecht darf nicht als Mittel benutzt werden, die Wertentscheidung einer Gruppe allen Frauen aufzuzwingen. Ich denke, wirksame Hilfe für die Mütter und eine familien- und kinderfreundliche Gesellschaft verhindern Abtreibungen wesentlich effektiver als Strafandrohungen. Deshalb läßt sich dieses wünschenswerte Ergebnis nach meiner Meinung in Deutschland nicht etwa durch eine Strafrechtsreform erreichen. Viel mehr geeignet ist eine Erhöhung der Kinderfreundlichkeit unserer Gesellschaft in Verbindung mit einem noch verbesserten Schutz vor ungewollten Schwangerschaften. In diesem Sinne habe ich mit zahlreichen anderen Abgeordneten den Gruppenentwurf ins Parlament eingebracht. Die Neuformulierung der §§ 218ff StGB ist nur ein kleiner Teil des Gesamtpakets, das wenigstens in materieller Hinsicht dafür sorgen wird, daß Kinder nicht länger als Last oder gar Schaden anzusehen sind. Dadurch soll keine Frau mehr aus materiellen Gründen eine Abtreibung für erforderlich halten müssen. Eine entsprechende Bewußtseinsänderung bei Frauen, die glauben, über Abtreibung ihre Selbstbestimmung behaupten zu müssen, kann dadurch leider nicht herbeigeführt werden. Das vermag jedoch auch das Strafrecht nicht. Dieses Ziel können wir Politiker überhaupt „von oben" nicht erzwingen. Das kann allenfalls die Gesellschaft als Gesamtheit durch eine entsprechende Einstellung zu dieser Frage erreichen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8443* Nachdem ich damit die grundsätzliche Frage für mich beantwortet habe, sind die übrigen Fragen eher praktischer Natur. Gerade eine vernünftige Abtreibungsregelung, die auf die Eigenverantwortlichkeit der Frauen baut, ist in der Lage, ein Klima der Kinderfreundlichkeit zu schaffen und damit dem werdenden Leben besser zu dienen als restriktive Strafrechtsbestimmungen. Durch die Begleitmaßnahmen tun wir ein übriges, um wenigstens eine etwas kinderfreundlichere Gesellschaft zu erreichen. Und durch die Beratungspflicht sorgen wir dafür, daß die Frauen in der Konfliktsituation über diese Hilfen informiert werden. Damit werden wir der Konfliktsituation am besten gerecht. Deshalb bin ich überzeugt, daß der Gruppenantrag der richtig Weg ist. Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU): Der Einigungsvertrag hat uns vor die Aufgabe gestellt, eine Regelung zu erreichen, „die den Schutz vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen vor allem durch rechtlich gesicherte Ansprüche für Frauen, insbesondere auf Beratung und soziale Hilfen, besser gewährleistet, als dies in beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist". Die von der CDU/CSU-Fraktion vorgeschlagenen Neuregelungen zum Schutz des ungeborenen Lebens werden die sozialen Rahmenbedingungen für die werdende Mutter, für Kinder und Familien weiter verbessern. Erleichterungen im Adoptionsrecht bleiben aber für die Zukunft wünschenswert. Mit dem Paket sozialpolitischer Maßnahmen macht die CDU/CSU-Fraktion auch im vereinten Deutschland deutlich, daß unser Staat den Verfassungsauftrag zum Schutz des Lebens auch in Zeiten angespannter Haushaltslage sehr ernst nimmt. Es gilt, überall, vor allem auch in den neuen Bundesländern, die neuen materiellen Chancen für Mütter, Familien und Kinder bekannt zu machen, eine wichtige Aufgabe der Beratungsstellen für das Leben. Insoweit ist die Forderung des Einigungsvertrages erfüllt. „Helfen statt strafen" heißt eine gängige Formel. Doch diese Formel verkürzt das Problem, stellt die schwangere Frau in den Mittelpunkt der Betrachtung und übersieht das ungeborene Kind immer dann, wenn die Hilfen — aus welchen Gründen auch immer — von der Mutter nicht angenommen werden. Die wichtigen sozialen Hilfen allein werden allerdings der Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Rechtsgut „Leben" des ungeborenen Kindes nicht gerecht. Insoweit ist der Auftrag des Einigungsvertrages damit noch nicht erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 25. Februar 1975 diese Schutzpflicht aus dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes und seiner Menschenwürde gefolgert. Das Strafrecht dient dem Schutz von Rechtsgütern, und dies nicht nur zur Prävention; es ist wesentlich auch Ausdruck der Werteordnung und deshalb Maßstab zur Orientierung der Gesellschaft. Folgerichtig denkt niemand daran, z. B. dem Rechtsgut „Eigentum" den Schutz des Strafrechts zu entziehen, obwohl alljährlich viele Hunderttausende einfache Diebstähle geschehen und die Aufklärungsquote gering ist, von der Strafverfolgung ganz zu schweigen. Warum aber soll bei dem ungleich höherwertigen Rechtsgut „Leben" anders verfahren werden und „Leben" zwölf Wochen ohne strafrechtlichen Schutz sein? Warum eigentlich nicht elf oder dreizehn Wochen? Solche Rechtsetzung ist reine Willkür und nicht Ausweis eines der Menschenwürde verpflichteten Rechtsstaates. Wie soll der Staatsbürger unsere detaillierten Regelungen zum Embryonenschutz verstehen, wenn derselbe Gesetzgeber dem ungeborenen Kind vergleichbaren Schutz versagt? Wer dem Embryonenschutzgesetz zugestimmt hat und jetzt die Fristenregelung fordert, begibt sich auf den schizophrenen Weg intellektueller Unredlichkeit. Wer die Schöpfung vor Manipulation bewahren will, wer Tier und Umwelt schützen will, das Leben eines ungeborenen Kindes aber drei Monate lang von der freien Entscheidung seiner Mutter abhängig macht, der verliert Glaubwürdigkeit und verkennt im übrigen die Werteordnung unserer Verfassung; denn das Recht auf Leben eines Menschen ist weder vom Gewissen eines anderen Menschen noch von dessen Entscheidung abhängig. Und bedenken wir bitte noch eines: Wer das Menschenrecht „Leben" am Anfang ohne Schutz läßt, darf sich nicht wundern, wenn bei passender Gelegenheit auch am Ende des Lebens der Schutz entzogen wird, angesichts der grundlegend veränderten Altersstruktur unserer Gesellschaft und der materiellen Anforderungen an Gesundheitsvorsorge und Pflege ein apokalyptischer Gedanke. Wehret den Anfängen! Die geradezu uferlose Ausweitung der Notlagenindikation im geltenden Recht der alten Bundesländer unterscheidet sich faktisch kaum von der als Beitrag zur Familienplanung in der untergegangenen DDR erklärten Fristenregelung. Erfahrungsberichte über „Notlagen"-Beratung im Westen besagen, daß es oft gar nicht um Beratung, sondern vor allem um Beschaffung des „Scheines" geht; allzuoft sind berufliche Gründe oder Fragen der persönlichen Lebensplanung für den Wunsch nach Abtreibung entscheidend. Natürlich ist das Selbstbestimmungsrecht des Menschen ein hohes Gut. Aber dürfen wir es in unserer Gesetzgebung zulassen, daß das Rechtsgut „Leben" dahinter zurücksteht? Wir sollten uns an die Aussage des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1975 erinnern, daß das Recht der Frau auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nicht die Befugnis umfaßt, in die geschützte Rechtsphäre eines anderen ohne rechtfertigenden Grund einzugreifen oder diese Rechtsphäre gar mit dem Leben selbst zu zerstören; oder an anderer Stelle „das menschliche Leben stellt innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar". Natürlich können unerwartete, nicht geplante Kinder die Lebensplanung der Eltern, insbesondere der Mutter, empfindlich verändern. Hans Maier nennt deshalb Kinder „natürliche Dissidenten" und fragt: „Soll es wirklich so bleiben, daß das Wohlstandskalkül der Erwachsenen, Männer und Frauen, jedes Jahr für Hunderttausende zum Todesrisiko wird?" Jede Art von Fristenregelung wird der Forderung des Einigungsvertrages nicht gerecht, das vorgeburtliche Leben und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen besser zu gewährlei- 8444* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 sten, als dies in beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist. Ich habe aber auch die große Sorge, daß die im Mehrheitsentwurf der CDU/CSU-Fraktion vorgesehene Indikation wegen einer psycho-sozialen Notlage sich im Ergebnis nicht wesentlich von der derzeit geltenden Indikation wegen einer sozialen Notlage unterscheidet. Die Kombination objektiver und subjektiver Elemente macht eine im Grundsatz notwendige gerichtliche Nachprüfung fast unmöglich. In der Praxis ist jedenfalls eine sehr unterschiedliche, letztlich willkürliche Anwendung dieser Indikation zu befürchten. Ich kann nicht erkennen, wie durch die psychosoziale Indikation der Schutz des vorgeburtlichen Lebens besser gewährleistet sein soll als durch die gegenwärtige Regelung in den alten Bundesländern; ich halte beide Regelungen nicht für geeignet, dem Schutz des Lebens zu dienen. Der von der Initiativgruppe vorgelegte Entwurf „zum Schutz des ungeborenen Kindes" umfaßt alle familien- und sozialpolitischen Maßnahmen des Mehrheitsentwurfes der CDU/CSU; er stellt jedoch unmißverständlich das ungeborene Kind unter den Schutz des Strafrechtes und trägt damit entscheidend zur Sicherung unserer Werteordnung bei. Eine Abtreibung ist nur gerechtfertigt, wenn das Leben der Schwangeren gefährdet ist. Im übrigen bleibt die Frau bei einer besonderen Bedrängnis straffrei; die Tötung des Kindes bleibt aber Unrecht. Die Regelung schützt das Kind und richtet sich nicht gegen die Frau. Die in diesem Entwurf geforderte Beratung ist nicht „offen", sondern soll der werdenden Mutter helfen, das Kind auszutragen und Perspektiven für ein gemeinsames Leben zu eröffnen. Dazu gehören auch Information und Vermittlung öffentlicher und privater Hilfen. Dieser Gesetzentwurf zum Schutz der ungeborenen Kinder gewährleistet den Schutz vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung der Konfliktsituation schwangerer Frauen besser, als dies in beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist. Der Entwurf der „Gruppe Werner" verdient es deshalb, Gesetz zu werden. Dr. Horst Waffenschmidt (CDU/CSU): 1. Schutz des menschlichen Lebens ist nach meinem Verständnis oberste Aufgabe des Staates. Dies gilt das ganze Leben lang, aber ganz besonders am Anfang im Mutterleib und am Ende, wenn der Mensch alt und schwach geworden ist. Darum kann ich nicht für eine Fristenlösung stimmen, denn dabei wird grundsätzlich festgelegt, daß menschliches Leben für eine Zeitspanne ohne strafrechtlichen Schutz bleibt. Von der Vereinigung der weiblichen Eizelle und der männlichen Samenzelle an ist menschliches Leben vorhanden. Dazu hat sich der Deutsche Bundestag schon bei der Beratung des Embryonenschutzgesetzes bekannt. Es kann schwerwiegende Ausnahmen geben, wo ausnahmsweise die Tötung des Kindes im Mutterleib nicht mit Strafe verfolgt wird, weil hohe andere rechtliche Güter oder besondere Lebenssituationen im Ausnahmefall von einer Strafbarkeit absehen lassen. Aber ich meine, der Gesetzgeber muß deutlich machen, daß es sich in diesem Falle wirklich nur um Ausnahmefälle handeln darf. 2. Das „Ja" zum Kind muß den Eltern, insbesondere aber der Mutter durch Staat und Gesellschaft erleichtert werden. Darum sind vielfältige Hilfen für junge Familien und auch für Alleinerziehende von außerordentlicher Dringlichkeit. Hier ist in den letzten Jahren durch die Bundesregierung unter Führung von Bundeskanzler Helmut Kohl und der Union viel geschehen, z. B. durch die Anrechnung der Erziehungszeiten bei der Rente, durch Anhebung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages und durch die Stiftung „Mutter und Kind". Weitere Hilfen sind notwendig, z. B. Kindergartenplätze und familienfreundliche Öffnungszeiten bei Behörden und Geschäften. Die Gesellschaft muß heute fairerweise davon ausgehen, daß viele junge Mütter in ihrer heutigen Lebenssituation und nach ihrer Ausbildung auch den Wunsch haben, neben der Erziehung der Kinder noch zeitweise zu arbeiten. Deshalb muß auch die Möglichkeit für Teilzeitarbeit weiter vorangetrieben werden. 3. Aber nicht nur materielle Hilfen für Eltern und junge Familien sind notwendig, sondern in unserer Gesellschaft muß es kinderfreundlicher zugehen. Dabei geht es nicht nur um Kinderspielplätze in Städten und Gemeinden. Ich denke z. B. an die Urlaubsmöglichkeiten für kinderreiche Familien. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwierig es bisweilen war, mit vier Kindern eine geeignete Unterbringung zu finden. Auch müssen wir dafür werben, daß wohnungsnahe Turn- und Spielplätze möglich bleiben. Das Kinderlachen und auch ein gewisser Lärm, den Kinder bei ihrem Spiel verursachen, muß in natürlicher Weise ertragen werden. Er ist oft weniger lautstark als manches technische Übertragungsgerät. 4. Als Christ möchte ich ganz persönlich im Blick auf Kinder aber auch folgendes feststellen: Meine Frau und ich haben ein Kind immer auch als ein Geschenk Gottes angesehen. Ich habe viele Ehepaare vor Augen, die gerne ein Kind hätten, aber keines bekommen können. Wenn man Eheleute kennt, die unter Kinderlosigkeit besonders leiden, wird man für jedes eigene Kind besonders dankbar. Mit Recht sprechen wir heute in unserer politischen Verantwortung von der Erhaltung der Schöpfung. Dies ist sicherlich wichtig beim Naturschutz und beim Umweltschutz. Aber beim Empfangen von Kindern und bei der Betreuung von Kindern sind wir als Eltern ganz besonders hineingenommen in die Bewahrung der Schöpfung. Als Christ verstehe ich es auch als ein Zeichen der Liebe Gottes, daß er als Schöpfer aller Dinge, Mann und Frau in seinen immerwährenden Schöpfungsprozeß einbezieht und uns als Eltern Kinder anvertraut. Wir dürfen ihnen vieles für das Leben mitgeben und in ihnen ein Stück weiterleben, wenn wir schon selbst gestorben sind. Auch im Alter ist unser Leben sicherlich reicher, wenn wir die fortschreitenden Jahre unseres Lebens im Kontakt mit Kindern und Enkelkindern erleben dürfen. Alles dies ist sicherlich auch zu bedenken, wenn es um den „Schutz des ungeborenen Lebens" geht. Kinder machen Arbeit, sie verlangen bisweilen Opfer; aber insgesamt bringen sie viel mehr Freude und Erfüllung des Lebens. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8445* 5. Christen sollten bei dem Thema „Schutz des ungeborenen Lebens" jede Form von Heuchelei bekämpfen. Dies bedeutet z. B. auch entsprechende Achtung vor der Frau, die ein uneheliches Kind zur Welt bringt und nicht abtreiben läßt. 6. Besonders bedeutsam ist mir, daß der gesamte Aufgabenkomplex „Schutz des ungeborenen Lebens" in unserem Land mit Nächstenliebe und Einfühlungsbereitschaft zu den betroffenen geborenen und ungeborenen Menschen diskutiert wird. Christen in unserem Land sollten besonders einen Beitrag dazu leisten, das dies mehr noch als bisher möglich wird. Alois Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU): Zwei Kollegen feiern heute Geburtstag: Paul Breuer und Gerhard Neumann (Gotha). Ich gratuliere ihnen herzlich. Aber was bedeutet das, wenn wir ein Leben lang uns des Tages unserer Geburt erinnern? Gratulieren heißt auch danken. Der Dank gebührt in erster Linie der Mutter, die uns das Leben geschenkt hat. Dank allen Müttern, die Kinder zur Welt gebracht haben und Kinder zur Welt bringen werden. Die Mutter bedarf aber nicht nur der Dankbarkeit. Sie bedarf, solange sie guter Hoffnung ist, des besonderen Schutzes und der besonderen Zuwendung. Nicht umsonst sagt der zweite Leitsatz des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 25. Februar 1975: „Die Verpflichtung des Staates, das sich entwickelnde Leben in Schutz zu nehmen, besteht auch gegenüber der Mutter". Denn, obwohl wir von der guten Hoffnung und vom frohen Ereignis der Geburt sprechen, sind schwierige, harte und schmerzhafte Umstände mit Schwangerschaft und Geburt verbunden. Das wichtigste, was vom heutigen Tag in die Öffentlichkeit dringen sollte, ist dies: Wir wollen alles in unseren Kräften Stehende tun, Mütter auf dem Weg zur Geburt und danach hilfreich zu begleiten. Dabei sind die staatlichen Maßnahmen ein wichtiger, aber eben nur ein kleiner Teil einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Sie werden sich nun aber sicher fragen, wie ich aus dieser Grundhaltung den sogenannten „Werner-Antrag" unterstützen kann, der zwar — wie der Unionsantrag — erhebliche Hilfen bietet, aber im Strafrechtsteil klare Normen setzt. Lassen wir die Mütter nicht genau dann allein, wenn der schwerste der denkbaren Fälle vorliegt: das Gefühl der Mutter, mit der vor ihr stehenden Schwangerschaft, Geburt und Mutterrolle nicht fertig werden zu können? Gerne möchte ich versuchen, Ihnen zu erklären, warum ich dafür bin, nicht nur klar von ungeborenen Kindern zu sprechen, sondern auch von der rechtlichen Norm, die, von schwerwiegenden Ausnahmefällen abgesehen, die Tötung ungeborener Kinder verbietet. Im Zug verschiedener Kommissionsarbeiten habe ich mich intensiv mit dem Problem des Schwangerschaftsabbruches beschäftigen müssen. Dabei hat mich besonders erschüttert, daß in 80 % der Fälle nicht die Entscheidung der Mutter maßgeblich ist, sondern der Druck von Männern: von Ehemännern, von Vätern, von Familienangehörigen. Die einzige Möglichkeit der Frau, sich der Zumutung zu erwehren, durch eine Abtreibung das entstandene Problem zu lösen, ist der Hinweis auf das Lebensrecht des Kindes und seine klare gesetzliche Verankerung. Meine Sorge ist die, daß das Wegfallen schwerwiegender Gründe, also der vitalen Indikation als Rechtfertigungsgrund und der schweren gesundheitlichen, leiblichen oder seelischen Beeinträchtigung als Strafausschließungsgrund, zur Waffe in der Hand von Männern gegen Frauen werden wird. Der Arzt kann hier zum Helfer der Frau werden. Er ist es ja, der mit Strafe bedroht ist, nicht die Frau, die auch im „WernerEntwurf" nach § 218b nicht bestraft wird, wenn der Eingriff durch einen Arzt vorgenommen wird, eine 12-Wochen-Frist gewahrt bleibt, eine Beratungsstelle aufgesucht wurde und besondere Bedrängnis vorlag. Auch ein zweiter Grund macht mir tiefe Sorge. Mehr und mehr höre ich Klagen, daß Ärzte bei der dritten oder vierten Schwangerschaft gar nicht mehr mit einer Geburt rechnen, sondern gleich fragen, wann abgetrieben werden soll. Noch verstörter sind Frauen, die zu pränatalen Untersuchungen genötigt werden mit dem stirnrunzelnden Hinweis, man könne der Gesellschaft keine zusätzlichen Behinderten zumuten. Nur dann können wir verhindern, daß durch die aufgestoßene Tür eines Fristbewußtseins, trotz Beratung Eugenik-, Zuchtwahl- und WunschkindauswahlDenken Einzug hält, wenn der Wert des Menschen — auch des kranken und des behinderten Menschen — weiterhin in der gesetzlichen Norm klar genannt ist. Deshalb auch die Sprache dieses Antrages: Ungeborenes Kind. Tötung von ungeborenen Kindern. Sollte der „Werner-Antrag" keine Mehrheit finden, werde ich für den Fraktionsantrag der CDU/CSU stimmen, um wenigstens noch etwas unternommen zu haben, eine bewußtseinsverändernde Fristenlösung zu verhindern. Dr. Dorothee Wilms (CDU/CSU): Gegen Ende einer langen Debatte um die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruches möchte ich noch einmal grundsätzlich betonen: Es geht um den Schutz des höchsten Gutes, nämlich um den Schutz des menschlichen Lebens, also auch des ungeborenen. Um dieses Ziel des Lebensschutzes zu erreichen, gebührt der werdenden Mutter alle Hilfe und Unterstützung durch den Mann und Partner, durch die Familie, aber auch durch Staat und Gesellschaft. a) Frauen in Not brauchen die finanziellen und materiellen familien- und kinderfreundlichen Hilfen, wie sie von der CDU/CSU, ergänzend zu den bisherigen Maßnahmen, heute vorgeschlagen werden; ich halte sie aber auch in der Zukunft für erweiterungsbedürftig. 8446* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 b) Frauen brauchen die sachkundige Beratung in der Zeit der Schwangerschaft und danach, gerade weil sie sich oft in einer verzweifelten Situation fühlen und es zum Teil auch sind. Sie brauchen Menschen, die sie aus einer seelischen Sackgasse herausführen können, aus der sie oft allein keinen Ausweg mehr sehen. Eine Pflichtberatung ist nicht erniedrigend für Frauen, wie oft gesagt wird, sondern ganz im Gegenteil echte Lebenshilfe, die den Weg in die Zukunft weisen kann. Arzt und Beratungsstelle fungieren außerdem gleichsam als der gesetzliche Anwalt, die Stimme des Ungeborenen, das ein Recht auf Leben hat wie jeder von uns. So kann m. E. eine Beratung auch nicht gegen das Lebensrecht des Kindes gerichtet sein. c) Hat das Strafrecht, die Prüfung und Feststellung einer Notlage und Indikation durch Dritte, d. h. durch Arzt und Beratung, nicht auch eine Schutzfunktion für die Frau? Davon wird viel zu wenig gesprochen. Oft ist es hilfreich und entlastend für die Schwangere, wenn sie die Aussage der Beratung und die Feststellung des Arztes wie einen Schutzschild vor sich stellen kann. Bei der Fristenlösung ist die Frau in den ersten drei Monaten ganz allein in die schwere Entscheidung über Leben oder Tod gestellt, trägt allein die Last der Verantwortung, ist u. U. sogar schutzlos dem Druck des Mannes, der Eltern oder anderer Nahestehender ausgesetzt. d) Immer wieder wird das „Gewissen der Frau" als Maßstab für Abtreibung herangezogen. Die Frau müsse es vor ihrem Gewissen selbst verantworten. Ja, letztlich muß sie es — aber sollen wir sie dabei ohne Stärkung und Maßstab lassen? Gibt es keine allgemein gültigen ethischen Werte mehr, an denen sich unser Gewissen orientieren muß, weil sie über uns selbst hinausweisen? Muß nicht Gewissen auch gebildet werden? Etwa durch die gesellschaftliche Wertordnung, bei der der Schutz des Lebens obenan steht? Oder durch das Strafrecht, das ja nicht nur straft, sondern auch menschliches Verhalten mit prägt und normiert? Warum werden denn bei uns — erfreulicherweise — mehr und mehr Delikte, gerade solche gegen die Natur, gegen Tiere, gegen Embryonenmißbrauch usw. unter Strafe gestellt, wohl wissend, daß dadurch keineswegs immer Menschen von der Tat abgehalten oder gar gefaßt und bestraft werden? Es wäre doch widersinnig, den Schutz der Natur zu einer öffentlichen Angelegenheit zu machen, die Tötung ungeborenen Lebens dagegen mehr als Privatangelegenheit der Frau zu betrachten! Eine solche rechtspolitische Entwicklung kann doch nicht richtig sein! e) Mein Votum gilt in der heutigen Abstimmung einer Indikationenlösung, die verbunden ist mit großzügigen materiellen Hilfen für Frauen und Familien und mit Beratungspflicht, letztlich dem Mehrheitsantrag. Eine Fristenlösung, d. h. auch den vorliegenden Gruppenantrag, halte ich mit meinem Gewissen und mit unserer Verfassung für unvereinbar. Dr. Roswitha Wisniewski (CDU/CSU): In der Diskus- sion um den § 218 geht es in erster Linie um die Frage, wie der Schutz menschlichen Lebens am besten zu gewährleisten sei. Wir, die wir eine Indikationslösung anstreben, sind der Auffassung, daß das Grundrecht auf Leben für jeden Menschen von Anfang an und ohne zeitliche Befristung gelten muß. Es geht also letztlich um die möglichst uneingeschränkte Aufrechterhaltung einer Rechtsnorm, die nach jahrhundertelangem Ringen nun in allen zivilisierten Staaten dieser Erde gilt: das Grundrecht auf Leben. Es war ein langer Kampf, der — weitgehend unter Führung von Christen — für die Durchsetzung dieses Grundrechts durchgefochten werden mußte. Auch hier in Mitteleuropa gab es eine Zeit, in der es durchaus üblich war, unerwünschtes oder „lebensunwert" erscheinendes menschliches Leben zu beseitigen. Ungewollte Kinder, Kranke und Greise wurden ausgesetzt oder auf andere Weise umgebracht. Für alle, die diesem inhumanen Verhalten entgegenwirkten, waren es immer zwei Anliegen, die sie vertraten: Durchsetzen dessen, was wir heute Grundrecht auf Leben nennen, und Schaffen von sozialen Einrichtungen, die den betroffenen Familien Hilfen boten. Es ist kein Wunder, daß Waisenhäuser, Krankenhäuser und Altenbetreuung im Mittelalter von der christlichen Kirche eingeführt wurden. Unsere Aufgabe heute muß es sein, diese beiden Bemühungsrichtungen um die Durchsetzung bzw. Geltung des Grundrechtes auf Leben für jeden Menschen, in welcher Gestalt auch immer, weiter zu verfolgen und Verbesserungen zu erreichen. Wir hier in Deutschland sind auf Grund eines Rückfalls in die Unmenschlichkeit durch zwei Diktaturen zu besonderer Verantwortung in diesem Bereich verpflichtet. Dies natürlich vor allem wegen jener Diktatur, zu deren Ideologie es gehörte, „Lebensunwürdigkeit" nicht nur für bestimmte Rassen, sondern z. B. auch für Behinderte festzustellen und entsprechend unmenschlich zu handeln. Aber auch die SED-Diktatur zeichnete sich dadurch aus, daß der Würde und dem Recht des einzelnen Menschen kein hoher Rang eingeräumt wurde. Man sprach von sozialistischen (d. h. eingeschränkten) Grundrechten. In diesen Rahmen gehörte die Fristenlösung, wie sie in der ehemaligen DDR galt. Unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker muß es sein, die verletzliche Idee des Grundrechtes auf Leben für jeden Menschen zu verteidigen und in ihren Konsequenzen für die Gesetzgebung in der Abtreibungsfrage verständlich zu machen. Denn es ist ja nicht verwunderlich, daß manche Menschen in unserer Gesellschaft verbindliche Normen für ihr Verhalten immer weniger gelten lassen wollen, wenn sie den für sie vermeintlich einfacheren Weg der Fristenlösung im Fall einer Abtreibung bevorzugen. Für die politisch Verantwortlichen aber ist es gerade angesichts des jahrhundertelangen Ringens um die Durchsetzung der Menschenrechte Pflicht, dem allgemeinen Trend zu hedonistischer Beliebigkeit entgegenzuwirken. Besonders erschreckend ist für mich die Argumentation, daß mit der möglichst problemlosen Tötung eines ungewollten Kindes dem Kind selbst der größte Schutz geboten werde, bewahre man es doch vor einem qualvollen Leben in einer ihm feindlich geson- nenen Umgebung. Gegen eine solche leichtfertig generalisierende Aussage sprechen ganz andere Erfahrungen. Es gibt, wie wir alle wissen, hochbegabte Menschen in hohen gesellschaftlichen Positionen — in meinem eigenen engsten Bekanntenkreis gibt es allein drei —, die einst das Schicksal des ungewollten Kindes ertragen mußten. Diese heutige Erfahrung trifft sich mit einer uralten Volksweisheit. In Sagen wird oft geschildert, wie Neugeborene, deren Leben vernichtet werden sollte, zu überragenden Menschen werden. Nicht der Mutlosigkeit nachgeben, Mut machen und Erleichterungen schaffen im materiellen wie im psychischen, aber auch im rechtlichen Bereich — etwa durch die Gleichstellung unehelicher mit ehelichen Kindern — ist unsere politische und menschliche Aufgabe! Die Argumentation, daß es für Frauen „nicht zumutbar" sei, sich der Indikationsstellung durch einen Arzt zu unterziehen, gehört zu dem in vielen Bereichen des heutigen Lebens erschreckend zutage tretenden übersteigerten Subjektivismus, der manche Menschen verleitet, möglichst überhaupt keine Norm anzuerkennen, wenn sie dem eigenen Wollen Grenzen setzt oder zur Verantwortung vor der Gesellschaft zwingt. In der im Mehrheitsentwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorgesehenen Indikationslösung vertritt der Arzt die Gesellschaft, die beider Leben zu schützen hat, das der Mutter und das des Kindes. Weil der Arzt mit der Indikationenstellung eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt, kann dieser Vorgang auch nicht in der Anonymität bleiben. Daher ist die Anfertigung eines Protokolls über den Beratungsvorgang und die Entscheidung meines Erachtens unabdingbar. Die Gesellschaft ist schon jetzt bereit, erhebliche Hilfen für Mütter in Not bereitzustellen, und sie wird — wie gesagt in guter christlich-humaner Tradition — diese Hilfen weiter verbessern. Dieser Anerkennung gesellschaftlicher Verpflichtung zur Hilfe für die einzelne Frau und für das einzelne Kind in einer Notlage muß die Verantwortung der einzelnen Frau und des einzelnen Arztes als des Vertreters der Gesellschaft bei der Entscheidung über Leben und Tod eines ungeborenen Kindes entsprechen. Die jahrhundertelange mühsame Entwicklung hin zu mehr Humanität, die die Starken und Überlegenen zu mehr Rücksichtnahme gegenüber den Hilflosen und Schwachen erzog, darf nicht aufgegeben oder eingeschränkt werden, sondern muß gerade in unserer Zeit mit ihren vielfachen Angeboten zur Unabhängigkeit ein entscheidend wichtiges politisches Ziel bleiben. Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Ein großer Teil der heutigen Debattenbeiträge hat mich tief erschüttert. Man spricht von zumutbaren Wegen und Kompromissen, von Fristen und Indikationen, von Dokumentationspflicht und Beratungszwang. Als gehe es um irgendeine Sache, die angeschafft werden soll oder nicht. Vielmehr geht es doch letztendlich um die Grundsatzentscheidung, ob wir ein elementares Menschenrecht, das Recht auf Leben auch für ungeborene Kinder, aus Zeitgeistgründen zur Disposition stellen wollen. Nach meiner Auffassung hat weder eine Frau noch ein Mann das Recht, über die Existenz eines ungeborenen Kindes zu befinden. Es gibt für mich auch keinen Rechtfertigungsgrund dafür, irgendwelchen Lebensumständen einen Vorrang gegenüber dem entstandenen menschlichen Leben einzuräumen. Eine Abwägung muß doch immer zugunsten des höchsten Rechtsgutes ausfallen. Es mag sein, daß man nicht auf alle Fragen eine befriedigende Antwort geben kann. Aber ist das ein Grund, menschliches Leben zur Disposition zu stellen? Wann wird ein Staat, der seinen schwächsten Bürgern den Rechtsschutz verweigert, diesen Schutz des Lebens ganz zurücknehmen, wenn beim Töten eines ungeborenen Kindes schon eine Beratung als Begründung ausreicht? Bedenken wir die Tragweite der heutigen Entscheidung! Wer den Schutz des ungeborenen Kindes in Frage stellt, eröffnet die Diskussion über lebenswertes und lebensunwertes Leben. Es gibt für mich kein unwertes Leben, ob vor der Geburt, ob als behinderter oder als alter und schwerkranker Mensch. Eine solche Bewertung wird sich erheblich auf das gesamte gesellschaftliche Zusammenleben und auf die Einstellung zum Leben anderer Menschen auswirken. Es wird höchste Zeit, daß wir uns wieder auf christliche Grundwerte besinnen und danach handeln. Deshalb muß zu den vordringlichen Aufgaben wie Schaffung einer kinderfreundlicheren Umwelt, finanzielle und ideelle Unterstützung der Familien, Beratung zum Kind in Konfliktsituationen auch die strafrechtliche Seite berücksichtigt werden. Geltendes Recht ist meinungsbildend. Wie will man vor den Bürgern glaubwürdig sein, wenn Gewalt in der Ehe unter Strafe gestellt, das Töten eines ungeborenen Kindes aber straffrei bleiben soll? Eine Bewußtseinsänderung in Richtung Lebensschutz für die ungeborenen Kinder ist auch nicht zu erreichen, solange die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Tötung ungeborener Kinder tragen müssen. Dadurch wird die Meinung verstärkt, was gesetzliche Krankenkassen bezahlen, kann doch nicht Unrecht sein. Der Staat hat die Pflicht, Leben zu schützen und zu verteidigen. Abtreibung, gleich aus welchem Grund, ist und bleibt Tötung, die ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern will. Deshalb stimme ich für den Antrag „Schutz der ungeborenen Kinder". Burkhard Zurheide (F.D.P.): Wer den Eindruck zu erwecken versucht, am Ende der heutigen Debatte stehe die Entscheidung der Frage, ob der Gesetzgeber ein Recht auf Abtreibung zuerkenne oder ein solches Recht verneine, handelt in einem hohen Maße unangemessen. Niemand kann einen Rechtsanspruch auf Vernichtung menschlichen Lebens besitzen, gleich in welchem Zustande sich dieses Leben befindet. Die Einräumung eines solchen Rechtes wäre dem Gesetzgeber im übrigen auch nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen verwehrt. Nein, im Gegenteil, Aufgabe des Staates, der Gesellschaft und mithin des Gesetzgebers ist der Schutz menschlichen Lebens. 8448* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Sowenig es ein Menschenrecht auf Abtreibung gibt, sowenig existiert a priori ein Alleinverfügungsrecht der schwangeren Frau über das Leben, das sie in sich trägt. Fötus und Embryo sind keine eigentumsfähigen Gegenstände. Sie unterliegen nicht dem beliebigen Gebrauch, auch nicht demjenigen der Schwangeren. Parolen wie „Mein Bauch gehört mir" sind mir daher zutiefst zuwider. Es ist menschenverachtend, ein noch nicht geborenes Kind als „Schwangerschaftsmaterial" zu bezeichnen. Ein Kind, das nach regelmäßig neun Monaten Schwangerschaft auf die Welt kommt, ist unfertig. Es hat nur den ersten Teil seines Lebens im Mutterleib verbracht. Der Zeitpunkt des Geborenwerdens ist von der Natur ebenso zufällig wie geplant festgelegt worden. Der Schwangerschaftsabbruch ist daher kein Mittel der Familienplanung oder der Geburtenkontrolle. Abtreibung ist kein Verhütungsersatz. Weil aber kein Mensch berechtigt ist, über die Existenz eines anderen zu verfügen, handelt es sich bei der Frage der Neuregelung des § 218 StGB auch nicht um eine Frauenfrage, wie einige glauben machen wollen. Es handelt sich sehr wohl um eine Frage, die vor allem Frauen angeht, insbesondere die betroffene Schwangere; sie wird dadurch aber nicht zu einer Frage, die nur Frauen beantworten können. Und ich glaube auch nicht, daß diejenigen, die in dieser Weise argumentieren, ihrer Sache damit tatsächlich nutzen. Ich bin mir sicher: Diejenige Frau, die sich allein oder gemeinsam mit ihrem Partner dazu entschließt, ihre Schwangerschaft abzubrechen, macht sich diese Entscheidung nicht leicht. Ein solcher Entschluß wird nicht nebenbei getroffen in dem Bewußtsein, man entledige sich seines ungeborenen Kindes so wie eines Einrichtungsgegenstandes der Wohnung. Auch durch Strafrechtsnormen werden bestimmte Wertentscheidungen, die eine Gesellschaft aus historischen, ethischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen akzeptiert, abgesichert. Dies ist wahr. Und genau dies ist auch der Grund dafür, daß der Ihnen vorliegende Gruppenantrag Abtreibung nicht etwa für straffrei erklärt, sondern eine Wertentscheidung trifft, nämlich zugunsten des ungeborenen Lebens. Es reicht eben nicht aus, sich darauf zu beschränken, eine Wertentscheidung zu treffen; man muß eben auch die Rahmenbedingungen schaffen, die allein die Umsetzung einer solchen Wertentscheidung ermöglichen. Hinzu kommen muß die Beratung der Schwangeren, die über eine Abtreibung nachdenkt. Eine solche Beratung ist für mich ein unverzichtbares Element und eine Voraussetzung für meine Zustimmung zu dem Gruppenantrag. Und genau an dieser Stelle hat der Gesetzgeber die entscheidende Frage zu beantworten: Wenn eine Schwangere sich nach Beratung entschließt, bei ihrem Abtreibungsentschluß zu verbleiben, soll dann ein außenstehender Dritter berechtigt sein und verpflichtet werden, an Stelle der Schwangeren zu entscheiden? Kann wirklich ein Dritter, der ja niemals alle Facetten einer Konfliktsituation erfassen kann, in der Lage sein, für die Schwangere zu entscheiden? Nein, es gibt in Wahrheit nur zwei Möglichkeiten: Entweder man stellt die Abtreibung sowohl für die Schwangere als auch für denjenigen, der die Abtreibung vornimmt, generell unter Strafe, oder man überläßt die letzte Entscheidung in einer solchen Situation der Schwangeren selbst, wobei nicht übersehen werden darf, daß auch die generelle Unterstrafestellung eine Entscheidung über den Kopf der Schwangeren hinweg wäre. Wenn der Staat an dieser Stelle auf seinen Strafanspruch verzichtet, so doch nicht deswegen, weil er das straflose Verhalten befürworten wollte; er entscheidet sich lediglich dafür, seinen Strafanspruch nicht durchzusetzen, weil er ganz zum Schluß die persönliche Entscheidung der Schwangeren respektiert und nicht die Augen davor verschließt, daß eine Konfliktlage so dramatisch sein kann, daß sich die Schwangere selbst von einer Strafandrohung nicht von ihrem Entschluß abhalten läßt. Es ist wohl wahr, und wir sollten es uns eingestehen: Das Strafrecht ist letztlich nicht in der Lage, eine Schwangere gegen ihren Willen zur Austragung der Schwangerschaft zu bewegen. Aus diesem Grunde bin ich für die ehrliche Lösung, und das ist der zur Abstimmung vorgelegte Gruppenantrag. Werner Zywietz (F.D.P.): Populistische Worte wie „der Bauch gehört mir" oder „Abtreibung ist Mord" sind in der Sache, um die es hier geht, den § 218 des StGB, weder angemessen noch hilfreich. Ich habe eine Debatte über dieses Thema als Abgeordneter des Deutschen Bundestages bereits 1974 miterlebt. Ich habe mich damals nach langer Güterabwägung für die Fristenlösung entschieden, d. h. für die Straffreiheit bei Schwangerschaftsabbruch innerhalb von zwölf Wochen. Ich werde heute für den Gruppenantrag stimmen, ebenfalls für die Straffreiheit bei Schwangerschaftsunterbrechung bis zum dritten Monat mit der Bedingung einer vorherigen Beratung. Diese Beratung, die bei dem Gesetzentwurf 1974 erwartet wurde, ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zwingend geworden und darum Bestandteil des Gruppenantrags. Für eine Straffreiheit bei Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten zu plädieren ist gewiß keine leichte, schon gar keine leichtfertige Entscheidung, aber aus der Sachlage heraus und nach meiner Bewertung der einzig sinnvolle Weg: In der Vergangenheit hat es leider viele illegale Schwangerschaftsunterbrechungen gegeben. Fakt ist also, daß von mehr und mehr Frauen die Strafandrohung des Staates nicht respektiert worden ist. Es macht für mich wenig Sinn, Gesetze zu haben, deren Einhaltung in immer stärkerem Maße ausgewichen wird. Ein Abdrängen in die Illegalität ist weder aus gesundheitlichen noch aus rechtlichen noch aus humanen Betrachtungen gutzuheißen. Eine Korrektur der bestehenden Rechtslage ist darum für mich dringend erforderlich, um so mehr, als in den fünf neuen Bundesländern nach der deutschen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8449* Einheit eine Drei-Monats-Fristenlösung gilt. Zweierlei Recht in Deutschland darf es auf Dauer nicht geben. Zum anderen sollte jede zukünftige Regelung für die gesamte deutsche Bevölkerung sich nicht zu weit entfernen von der Rechtslage in den fünf neuen Bundesländern und der jetzigen Indikationslösung im Westen. Eine Fristenregelung mit Beratung ist für mich darum der angemessene Weg zur Besserung einer schlechten Gesamtsituation. Er respektiert die Bewußtseinslage in der west- und ostdeutschen Bevölkerung und überläßt der Frau letztendlich die alleinige Entscheidung. Ich vermute, daß andererseits jedwede Indikationslösung in der Lebenspraxis durch unterschiedliches Ärzteverhalten und die Möglichkeit des „Abtreibungstourismus" unterlaufen wird. Mir erscheint darum eine Regelung mit „Fristen" ehrlicher und gerechter als eine Regelung nach „Kriterien". Die Zahl der Schwangerschaftsunterbrechungen wird aber meines Erachtens nur dann kleiner werden, wenn die Unterstützung unserer Gesellschaft für Familien und Frauen mit Kindern verständnisvoller und deutlich hilfsbereiter wird! „Die Würde des Menschen ist unantastbar" beginnt unser Grundgesetz. Für mich ist dies auch der inhaltliche Kernsatz! Darum ist für mich die straffreie Schwangerschaftsunterbrechung innerhalb von zwölf Wochen nach einer Beratung und durch die alleinige Entscheidung der Frau die liberale und damit vernünftigste Regelung, für die ich stimmen werde. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Bühler (Bruchsal), Klaus Riegert, Franz Romer, Dr. Andreas Schockenhoff und Elke Wülfing (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Nach unserer Überzeugung ist eine Fristenregelung weder moralisch noch biologisch-medizinisch noch rechtlich zu rechtfertigen. Die vitale medizinische Indikation ist eindeutig. Hier kollidieren gleichrangige Rechtsgüter. Eine psychosoziale Indikation muß überprüfbar sein. Dazu muß der Arzt die Gefahr einer dauerhaften und schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Frau objektiv darstellen. Die Darlegung der Frau reicht dazu nicht aus. Die straffreie Tötung eines Menschen ist nicht durch die subjektiv empfundene, nicht überprüfbare Notlage eines anderen Menschen zu rechtfertigen. Die strafrechtliche Sanktionierung der Abtreibung ist unverzichtbar, obwohl sie nur eine flankierende Maßnahme zur Beratung und zur sozialen Hilfe sein kann. Deshalb haben wir den Gesetzentwurf der Initiativgruppe „Schutz des ungeborenen Kindes" unterzeichnet. Dieser Entwurf hat in der Abstimmung keine Mehrheit gefunden. Deshalb stimmen wir jetzt für den Entwurf der CDU/CSU, auch wenn wir dagegen in manchen Punkten Bedenken haben, weil wir eine Fristenlösung verhindern wollen. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Als bekennender katholischer Christ ist für mich der Schutz menschlichen Lebens zwingendes Gebot und dringliche Aufgabe. Menschliches Leben ist natürlich auch das vorgeburtliche Leben im Leib der Mutter. Abtreibung ist immer Tötung ungeborener Kinder. Ziel einer menschenfreundlichen Politik muß es sein, Leben zu erhalten. Ich unterstütze deshalb alle Maßnahmen zugunsten einer kinderfreundlicheren Gesellschaft. Ebenso muß eine verantwortliche Sexualerziehung Abtreibung als Verhütungsmethode ächten und überflüssig machen. Bei dieser schwierigen Gewissensfrage muß man allerdings die Erfahrungen mit den bisherigen Regelungen und Gesetzen in Deutschland und anderen Ländern berücksichtigen. Die völlige Freigabe von Schwangerschaftsabbrüchen hat vielen ungeborenen Kindern das Leben gekostet. Nirgendwo ist es mit dem Mittel strafrechtlicher Vorschriften gelungen, die Zahl der Abtreibungen zu verringern. Frau und Kind sind zwei direkt miteinander verknüpfte eigenständige menschliche Wesen. Jede Regelung, die nur das Kind oder nur die Mutter berücksichtigt, greift zu kurz. Das Leben des Kindes kann ich allerdings nur retten, wenn ich hierfür die Mutter gewinne. Deshalb sage ich Ja zu einer obligatorischen Beratung vor einer Entscheidung über Tod und Leben. Ziel der Beratung muß eindeutig die Beratung zum Leben sein. Alle Chancen, die Mutter in diesen Gesprächen für das Überleben ihres Kindes zu gewinnen, müssen genutzt werden. Die Entscheidung fremder Personen — auch eines Arztes — über eine Zulassung des Schwangerschaftsabbruches lehne ich ab. Ein solches Verfahren drängt zahlreiche Frauen auch nur wieder in die Illegalität. Damit entziehen sie sich auch der Lebensberatung, 8450* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 und sie bleiben häufig im Einflußbereich drängender Dritter. Nach dieser Beratung kann und darf das letzte Wort und die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch nur von der Mutter vorgenommen werden. Sie hat auch die Konsequenzen ihrer Entscheidung zu tragen. Die seelischen und körperlichen Folgen von Abtreibungen sind nicht zu unterschätzen und sollten auch im Beratungsgespräch angeführt werden. Aus all diesen Gründen kann ich im Deutschen Bundestag nur dem Gruppenantrag von CDU/F.D.P./ SPD zustimmen, nicht heißen Herzens — insbesondere wenn ich mir vorstelle, wer ansonsten noch diesen Antrag unterstützt —, sondern nach langer reiflicher Überlegung. Ich stimme der Regelung zu, weil ich hoffe, daß es mit der obligatorischen Beratung und der Letztentscheidung der Mutter gelingt, mehr Kindern das Leben zu ermöglichen als bei den anderen vorliegenden Lösungsvorschlägen. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Da ich mich bereits bei der ersten Lesung mit einem Debattenbeitrag beteiligt habe, möchte ich heute hierauf verzichten und lediglich eine persönliche Erklärung zu meinem heutigen Abstimmungsverhalten abgeben. Ich habe den Gesetzentwurf der sogenannten Gruppe Werner (Initiativgruppe Schutz des ungeborenen Kindes) mit unterschrieben und mit eingebracht, weil ich ihn für den Antrag halte, der mit meiner ethischen und religiösen Grundüberzeugung am besten zu vereinbaren ist, denn er wird am ehesten dem mir wichtigsten Anliegen gerecht, nämlich dem Schutz der ungeborenen Kinder. Daran hat sich nichts geändert. Ich stimme deshalb auch in zweiter Lesung selbstverständlich für diesen Antrag. Freilich muß ich damit rechnen, daß der von mir mitgetragene Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag keine Mehrheit findet. Für diesen Fall stehe ich vor der Frage, ob ich dann im nächsten Wahlgang für den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion stimmen soll, um jedenfalls den verfassungswidrigen und für mich als Christen wie jede Fristenlösung unannehmbaren Gruppenantrag zu verhindern. Dies erscheint mir allerdings nur dann verantwortbar, wenn der CDU/ CSU-Entwurf tatsächlich eine Chance hat, Gesetz zu werden. Nach meiner allerletzten Einschätzung der Lage — und ich habe diese sorgfältig geprüft — gibt es für den CDU/CSU-Entwurf jedoch keine Mehrheit, nicht zuletzt, weil eine Reihe von CDU-Kollegen für den Gruppenantrag stimmen will. Angesichts dessen habe ich mich nach wirklich reiflicher Überlegung dafür entschieden, mich bei der Abstimmung über den CDU/CSU-Fraktionsentwurf der Stimme zu enthalten. Für den CDU/CSU-Fraktionsantrag kann ich nicht stimmen, denn er stellt in wesentlichen Punkten ja sogar eine Verschlechterung des Lebensschutzes gegenüber der jetzigen Gesetzeslage dar, die die zweifellos in dem Antrag auch enthaltenen Verbesserungen nicht aufwiegen. Mein Gewissen läßt keine andere Entscheidung zu. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Günter Graf (SPD) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Christliche, ethische und moralische Vorstellungen einerseits und die Realitäten des täglichen Lebens habe ich meiner Entscheidung zugrundegelegt, den unter anderen heute zur Debatte stehenden Gruppenantrag zu unterzeichnen und ihm meine Zustimmung zu geben. Ich mache kein Hehl daraus, daß mir keine Entscheidung ganz persönlicher Art jemals so schwer gefallen ist wie die heutige. Was meine persönlichen Motive zum Ja zum Gruppenantrag angeht, so mache ich die in der heutigen Debatte von der Kollegin Uta Würfel gemachten Aussagen voll inhaltlich zum Gegenstand meiner persönlichen Erklärung. Ich bedauere die im Verlauf der Debatte von meiner Kollegin Inge Wettig-Danielmeier gemachten Äußerungen hinsichtlich der pauschalen Diffamierung der Männer in unserer Gesellschaft ausdrücklich, weise sie mit Entschiedenheit zurück und drücke über die Art und Weise der Darstellung mein Bedauern aus. Was die in den letzten Wochen bis zum heutigen Tage durchgeführte Kampagne gegen den Gruppenantrag zum § 218 angeht, müssen sich diejenigen, die sich an dieser Kampagne beteiligt haben, fragen lassen, ob sie damit tatsächlich dem Schutz des vorgeburtlichen Lebens dienen. Ich bezweifele das in starkem Maße, denn es wird der fälschliche Eindruck erweckt, als gäbe der gefundene Kompromiß das vorgeburtliche menschliche Leben kurzerhand für die Tötung frei. Sehr nachdenklich muß es einen auch stimmen, daß in den Kritiken am Gruppenantrag kaum ein Gedanke auf die Lage der Frau und ihre Verantwortung verwendet wird. Daß sie, die Frau, an diesen schwerwiegenden Eingriff überhaupt nur in einer ernsten Konfliktlage denken kann, scheint den Kritikern unbekannt. Von Kompetenz und Eigenverantwortung der Frau als Grundlagen ihrer Entscheidung ist bei den Kritikern nichts nachzulesen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8451* Ich würde mir wünschen, wenn diejenigen, die sich an dieser in weiten Teilen unsachlichen und sehr polemischen und verletzenden Kampagne beteiligt haben, mit gleicher Vehemenz für das geborene Leben eintreten würden. Dabei denke ich an die Tag für Tag an Hunger Sterbenden auf dieser Welt. Ich fordere alle auf, auch hierüber einmal in verstärktem Maße nachzudenken. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Ernst Hinsken (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Das Recht auf Leben ist ein Höchstwert in unserer Verfassung. Der Staat ist daher verpflichtet, dieses Rechtsgut zu schützen. Die Qualität unserer Gesellschaft hängt davon ab, wie wir mit den Schwächsten umgehen. Es ist ein Armutszeugnis für diesen Staat und für diese Gesellschaft, wenn wir über 300 000 Tötungen — und um eine Tötungshandlung handelt es sich bei einem Schwangerschaftsabbruch immer, egal wie man es auch nennen mag — pro Jahr feststellen müssen. Das ungeborene Kind ist das schwächste Glied in unserer Gesellschaft. Das Bundesverfassungsgericht spricht in diesem Zusammenhang vom Schutz des Strafrechts als „ultima ratio". Dieser Schutz muß sich über die gesamte Dauer der Schwangerschaft erstrekken. Eine rein subjektive Entscheidung eines einzelnen Betroffenen, auch wenn sie von dem größtmöglichen Bemühen um Objektivität geprägt ist, darf nicht im Mittelpunkt stehen. In einem Staat, der Achtung vor Menschen- und damit Lebensrecht hat, darf es meines Erachtens kein Recht auf Abtreibung geben. Die Tötung eines ungeborenen Menschen darf nur die allerletzte Maßnahme sein, nämlich dann, wenn auf keine andere wirklich zumutbare Weise eine Abhilfe der Not und eine Abwendung des Konflikts geschaffen werden kann. Der Staat hat deshalb auch die materiellen Grundlagen zu schaffen, damit Geist und Klima in einer Gesellschaft kinderfreundlich sein können. Darunter verstehe ich weiterhin verstärkte Hilfen für Familien, für Mütter und für eine kinderfreundlichere Welt. Den Ausführungen des Kollegen Werner stimme ich zu und erspare mir deshalb, auf weitere Einzelheiten einzugehen: Ich werde für seinen Antrag votieren! Sollte dieser Antrag keine Mehrheit bekommen, werde ich — um die Fristenlösung zu verhindern — für den Antrag der CDU/CSU-Fraktion stimmen, obwohl er meinen Vorstellungen nur in Teilen entspricht. Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Lothar Ibrügger (SPD) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Artikel 31 Abs. 4 des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik geschlossenen Einigungsvertrages verpflichtet den gesamtdeutschen Gesetzgeber, „spätestens bis zum 31. Dezember 1992 eine Regelung zu treffen, die den Schutz vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen vor allem durch rechtlich gesicherte Ansprüche für Frauen, insbesondere auf Beratung und soziale Hilfen, besser gewährleistet, als dies in beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist. Zur Verwirklichung dieser Ziele wird in dem in Artikel 3 genannten Gebiet mit finanzieller Hilfe des Bundes unverzüglich ein flächendeckendes Netz von Beratungsstellen verschiedener Träger aufgebaut. Die Beratungsstellen sind personell und finanziell so auszustatten, daß sie ihrer Aufgabe gerecht werden können, schwangere Frauen zu beraten und ihnen notwendige Hilfen — auch über den Zeitpunkt der Geburt hinaus — zu leisten". Nach meiner 1990 erfolgten Zustimmung zu dem Einigungsvertrag im Deutschen Bundestag gilt es jetzt, eine Entscheidung zu treffen, die Hilfe statt Strafe bewirkt. Dabei lasse ich mich von den Zielen leiten, die wir Sozialdemokraten uns im Grundsatzprogramm gesetzt haben: „Wir wollen Lebensverhältnisse schaffen, in denen sich Frauen nicht zum Schwangerschaftsabbruch gezwungen sehen. Wir wissen jedoch, daß wir nicht alle menschlichen Konflikte lösen können. Die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs hat nicht zum Schutz werdenden Lebens, sondern seit jeher mehr zur Bedrohung und Demütigung der Frauen geführt. Das Strafrecht ist kein geeignetes Mittel für die Lösung von Schwangerschaftskonflikten. Deshalb wollen wir die erforderlichen gesetzlichen Regelungen außerhalb des Strafrechts treffen. Wir wollen werdendes Leben schützen. Das kann nur mit dem Willen, nicht gegen den Willen der Frau geschehen. Deshalb erkennen wir die Verantwortung und das Selbstbestimmungsrecht der Frau an." Nach meiner Überzeugung zeigt das jetzt zur Abstimmung stehende Gesetz zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs Wege zur Lösung für den Fall auf, daß eine Frau durch eine ungewollte Schwangerschaft in Konflikte gebracht wird. Deswegen werde ich dem Gruppenantrag zustimmen. 8452* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Klaus Kübler (SPD) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Ich habe den Gruppenantrag mitunterzeichnet, nicht um Abtreibung zu fördern, freizugeben oder zu legalisieren, sondern um endlich eine Neuregelung anzustreben mit dem Ziel, effektiven Lebensschutz zu bewirken unter Wahrung der Eigenverantwortlichkeit der Frau. Durch ein deutliches Mehr an sozialer Hilfe und ein breitgefächertes Angebot an Hilfe und Unterstützung soll vielmehr Abtreibung wirksam bekämpft werden. Abtreibung ist nicht zu bekämpfen und zu verhindern durch die Bestrafung der Frau. Und Abtreibung ist auch nicht zu verhindern durch die Androhung der Bestrafung. Dies würde die Frau nur dazu bringen — wie früher — illegale Abtreibungen mit allen negativen gesundheitlichen, unsozialen und kriminellen Folgen vornehmen zu lassen. Den Schutz des Lebens, für den ich massiv und selbstverständlich eintrete, erreiche ich also nicht über die Strafbarkeit der Frau — das haben leider ganz unbestritten alle Erfahrungen der Vergangenheit gezeigt —, sondern ich kann ihn eher und besser erreichen durch ein Netz sozialer Maßnahmen, durch eine kinder- und frauenfreundliche Lebens- und Arbeitswelt. Dies ist das Ziel des Gruppenantrages, der eine ehrlichere Lösung vorsieht als andere Anträge. Der Gruppenantrag fördert das notwendige menschliche Zusammenwachsen der alten und der neuen Bundesländer, in denen es ja nach der Wiedervereinigung unterschiedliche Rechtslagen in der Abtreibungsproblematik gab. Eine einheitliche Rechtssicherheit für die Frauen in den alten und neuen Bundesländern kann erst soziale Sicherheit bringen. Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Herbert Lattmann (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Ich stimme dem Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU zum Schutz des ungeborenen Lebens Drucksache 12/1178 (neu) trotz einiger Bedenken zu, weil ich insbesondere die darin enthaltenen Hilfsangebote für schwangere Frauen unterstütze. Hilfe ist für mich die erste und überzeugendste Maßnahme zum Schutz des ungeborenen Lebens. Meine Zustimmung bezieht sich ausdrücklich nicht auf die vorgesehene Dokumentationspflicht des Arztes, die das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen der schwangeren Frau und ihrem Arzt beeinträchtigt, ohne in irgendeiner Form zum Schutz des ungeborenen Lebens beizutragen. Anlage 14 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ist nach Art. 2 Abs. 2 festgeschrieben: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit." Daß dies auch für das noch nicht geborene Kind gilt, ist vom Bundesverfassungsgericht mit der Entscheidung vom 25. Februar 1975 festgestellt worden. Deshalb ist der Schutz des menschlichen Lebens, des geborenen und ungeborenen, die wichtigste und höchste Aufgabe, der ich mich als Abgeordneter und als Christ verpflichtet fühle. Es ist für mich unabdingbar, daß das Lebensrecht des ungeborenen Kindes grundsätzlich Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau haben muß und eine qualifizierte Beratung, auch in schwerwiegenden Not- und Konfliktsituationen, immer zugunsten des Lebens zu erfolgen hat. Vater und Mutter tragen dabei gemeinsam Verantwortung. Deshalb muß ich mich bei meiner heutigen Entscheidung über die vorliegenden Anträge zur Neuregelung der §§ 218ff StGB davon leiten lassen, wie ich dieser Verantwortung gerecht werden kann. Am ehesten sehe ich den Schutz des ungeborenen Kindes im Gesetzentwurf der Abg. Herbert Werner, Monika Brudlewsky und anderer (Drucksache 12/1179) garantiert, und ich werde ihm deshalb meine Zustimmung geben. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion (Drucksache 12/1178 [neu]) sieht in § 218a Abs. 2 Ziffer 5 a vor, daß „der Abbruch der Schwangerschaft durch einen Arzt nicht nach § 218 strafbar ist, wenn seit der Empfängnis nicht mehr als zwanzig Wochen verstrichen sind, soweit dringende Gründe für die Annahme sprechen, daß das Kind infolge einer Erbanlage oder schädlicher Einflüsse vor der Geburt an einer nicht behebbaren Schädigung seines Gesundheitszustandes leiden würde". Nicht nur die Tatsache, daß nach dem heutigen Wissensstand der Medizin mögliche Behinderungen nach der 12. Lebenswoche nicht besser oder schlechter festgestellt werden können als bis zur 12. Woche, sondern auch die damit im Raum stehende Frage des Wertes eines behinderten Menschen lassen mir keine andere Möglichkeit, als diese vorgesehene Regelung des § 218a Abs. 2 Ziffer 5 a des CDU/CSU-Gesetzentwurfs mit allem Nachdruck abzulehnen. Mir persönlich sind Fälle bekannt, bei denen Ärzte eine drohende Behinderung des im Mutterleib wachsenden Kindes diagnostiziert hatten und sich diese Diagnosen nach der Geburt des Kindes als absolut falsch erwiesen. Sollte jedoch der Gesetzesantrag der Abg. Herbert Werner, Monika Brudlewsky und anderer (Drucksache 12/1179) nicht die erforderliche Mehrheit erhalten, werde ich dem Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion (Drucksache 12/1178 [neu]), dennoch zustim- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8453* men, allein unter dem Gesichtspunkt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 12/2605 (neu), und damit eine reine Fristenregelung, zu verhindern. Anlage 15 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Jürgen Rüttgers (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Menschliches Leben ist grundsätzlich unverfügbar. Auch ein ungeborenes Kind ist Leben von Anfang an — Gottes Ebenbild nach christlichem Verständnis, mit eigenem Recht und eigener Würde begabte Person in humanistischer Perspektive. Das Grundgesetz dokumentiert dieses gemeinsame Erbe von Christentum und Humanismus in Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. " Diese schlichten Sätze sind die „Magna Charta" des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft. Ihnen ist der Entwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verpflichtet. Wir wollen eine lebensbejahende Gesellschaft — in den sozialen und in den rechtlichen Bedingungen. Die hohe Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in unserem Land ist ein Skandal. Weder die Regelung in der ehemaligen DDR noch die Regelung in den alten Bundesländern hat daran etwas ändern können. Der Versuch einer Neuregelung ist also nicht nur formaler Auftrag des Einigungsvertrages, sondern vor allem moralischer Auftrag auf dem Hintergrund der Misere vieler Abtreibungen, vieler schwerer Konfliktsituationen schwangerer Frauen. Der Entwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion will dazu beitragen, mit dem Ausbau sozialer Hilfen die innere und äußere Not dieser Frauen zu wenden. Schwangerschaft und Geburt eines Kindes dürfen in unserem reichen Land nicht die Zerstörung persönlicher Lebenspläne bedeuten. Aber nicht nur die sozialen Rahmenbedingungen, auch die Gestaltung unserer Rechtsordnung ist Ausdruck unseres Grundverständnisses einer lebensfreundlichen Gesellschaft. Der Entwurf der CDU/CSU-Bundestagesfraktion versucht, beide Aspekte zu verbinden: den Schutz des ungeborenen Lebens als gottgegebenes Geschenk und die besondere Verknüpfung mit dem Leben der schwangeren Frau. Bei aller Unvollkommenheit, die den Regelungsversuchen gerade in diesem Bereich anhaftet, bei aller inneren Not der persönlichen Gewissensentscheidung in diesem Bereich, ist dieser Versuch nach meiner Überzeugung gelungen. Eine Fristenregelung dagegen wäre völlig willkürlich und ungeeignet zum Schutz ungeborener Kinder. Fristen geben letztlich den Anspruch der Rechtsordnung auf, zum Schutz ungeborener Kinder beizutragen. Fristen sind eine' Flucht in die vermeintlich einfache Antwort. Der Entwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion entspricht aus meiner Sicht dem verfassungsrechtlich und ethisch Gebotenen. Deshalb stimme ich diesem Entwurf zu. Anlage 16 Erklärun nach 9 31 GO § des Abgeordneten Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Auch wenn ich dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Herbert Werner und anderer (BT-Drucksache 12/1179) zugestehe, daß er konsequenterweise den wichtigen Grundsatz: „Das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen findet seine Grenzen am Lebensrecht des anderen" strafrechtlich bewehrt, konnte ich diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, da eine solche Strafbedrohung einen offenen Meinungsaustausch bei der Beratung gefährdet und damit die Erreichung des Beratungszieles erschwert, das ungeborene Leben zu erhalten. Neben den sozialen Hilfen kommt der Beratung die allergrößte Bedeutung zu, gefährdetes Leben zu retten. Der Entwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (BT-Drucksache 12/1178) kennt diese Belastung der Beratung nicht. Außerdem bewahrt er die schwangere Frau davor, alleine über die Bewältigung ihrer Not und Konfliktlage zu entscheiden. Die Feststellung der Indikation durch den Arzt dürfte für viele Frauen bei der Bewältigung der psychischen Belastung nach einem Schwangerschaftsabbruch eine wichtige Hilfe sein. Deswegen und wegen der besseren sozialen Hilfen habe ich diesen Gesetzentwurf allen anderen vorliegenden Entwürfen vorgezogen und ihm zugestimmt. Bei gründlicher Prüfung aller Anträge komme ich zum Ergebnis daß — wie es der Abgeordnete Julius Cronenberg (F.D.P.) prägnant formulierte — zwischen dem Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und dem Gruppenantrag von SPD-, F.D.P.- und Unionsabgeordneten (BT-Drucksache 12/2605) nur ein gradueller Unterschied besteht. Die Zustimmung zu diesem Antrag erscheint mir, nach Ablehnung des CDU/CSU-Antrages, verantwortbar und zwingend, weil wir dem Auftrag des Einigungsvertrages nicht gerecht geworden wären, wenn die bisherige Fristenregelung in den jungen Bundesländern noch länger fortgegolten hätte, und 8454* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 weil es eine schwere Niederlage des Parlamentarismus wäre, wenn der Gesetzgeber die Beratung der Neufassung des § 218 heute vorläufig abgeschlossen hätte, ohne daß ein akzeptabler Gesetzentwurf eine Mehrheit gefunden hätte. Außerdem drücke ich mit meiner Zustimmung zu diesem Gesetzesantrag bewußt meine Solidarität mit den CDU-Abgeordneten aus, die vor allem aus dem außerparlamentarischen Raum in verwerflicher Form kritisiert wurden, weil sie ihrem Gewissen folgend am Gruppenantrag der SPD- und F.D.P.-Abgeordneten mitgearbeitet haben. Sollte dieser Gesetzentwurf Wirklichkeit werden, dann kommt diesen Abgeordneten das Verdienst zu, daß sie den Gesetzentwurf in entscheidenden Punkten verbessert haben. Ich nenne nur, daß der Lebensschutz jetzt als Ziel der Schwangerschaftsberatung definiert ist und daß die Existenz einer Not- und Konfliktlage als Voraussetzung für einen Schwangerschaftsabbruch genannt wird. Anlage 17 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Ich werde dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion und dem Gruppenantrag der Abg. Frau Wettig-Danielmeier, Frau Würfel u. a., den ich selbst als einer der Ersten mitunterzeichnet habe, zustimmen. Damit möchte ich persönlich meiner tiefen Überzeugung Ausdruck geben, daß ich die Verantwortung und das besondere persönliche Recht jeder werdenden Mutter, in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft über das werdende Leben zu entscheiden, respektiere und gegenüber allen anderen berührten Rechten für vorrangig ansehe. Darüber hinaus möchte ich aber auch in meiner Eigenschaft als Kinderbeauftragter unterstreichen, daß ich es als besonders wichtige Schutzfunktion für das ungeborene Leben ansehe, wenn die sozial orientierten Begleitmaßnahmen intensiv und konkret vorangebracht werden und die Gesellschaft in Deutschland sich endlich durch privates und staatliches Handeln kinderfreundlich gestaltet. „Hilfe statt Strafe" halte ich für eine grundsätzlich richtige Orientierung, die der Frau eine häufiger positive Entscheidung im Rahmen des ihr zustehenden Rechts zugunsten ungeborenen Lebens ermöglicht, zugleich aber auch die Lebensperspektiven der geborenen Kinder verbessert. Die Güterabwägung in dieser schwierigen Frage ist in erster Linie zugunsten des Entscheidungsrechts der schwangeren Frau zu treffen. Aber auch die sozialen Hilfen für das geborene Leben sind von hohem Rang. Ein gesellschaftliches Verantwortungsbewußtsein dieser Art sollte nach der heutigen Entscheidung mehr als bisher das politische Handeln bestimmen. Anlage 18 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Hermann Schwörer (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Im Bewußtsein unserer Verantwortung vor Gott und den Menschen — so unser Grundgesetz — haben wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages die Pflicht, das Leben zu schützen. Dies bedeutet: 1. Den Schwachen vor Übergriffen durch andere zu schützen. Dies gilt um so mehr, je schwächer das Opfer ist Das ungeborene Kind ist das schwächste Mitglied der Gesellschaft. 2. Eine straffreie Tötung eines Ungeborenen ist nur dann zu rechtfertigen, wenn das Leben der Mutter auf dem Spiel steht. 3. Die Aufrechterhaltung des strafrechtlichen Schutzes ist auch deshalb notwendig, weil der Wegfall des Strafrechtsschutzes in kurzer Zeit zu einem Recht auf Abtreibung führen würde mit unabsehbaren Folgen für alle. 4. Die seelischen Nöte vieler Frauen, die abgetrieben haben, sind ein Argument gegen jede Fristenregelung — selbst gegen die mit Beratungszwang. Es ist unsere Pflicht, auch die gesundheitlichen Spätfolgen einer Abtreibung zu verhindern, für die nachher die Versichertengemeinschaft hohe Kosten tragen muß. 5. Selbstverständlich ist es unsere christliche Pflicht, den Frauen in Notlagen zu helfen. Zu den bisher schon stark ausgebauten Familienhilfen müssen weitere Hilfen kommen, z. B. das Bewahrmodell, das Ungeborenes retten will, auch wenn die Mutter zunächst die Annahme des Kindes beharrlich verweigert. Darüber hinaus müssen wir alles tun, damit unsere Gesellschaft kinderfreundlicher wird. Die Rolle der Familie, die Wichtigkeit ihres Zusammenhalts, auch im Hinblick auf die Altenprobleme, wie Pflege, muß in der Öffentlichkeit viel stärker herausgestellt werden. Dabei ist der aufopfernden Liebe und Fürsorge aller Mütter, vor allem auch der Mütter mit behinderten Kindern, vom Staat und der Gesellschaft höchste Anerkennung zu zollen. Ich habe zuerst für den Indikationsentwurf Werner gestimmt, den ich unterschrieben hatte. Weil dieser keine Mehrheit gefunden hat, stimme ich für den Entwurf der CDU/CSU-Fraktion und hoffe, daß ich dazu beitragen kann, die verfassungswidrige Fristenlösung zu verhindern. Anlage 19 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Günter Verheugen (SPD) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Ich habe dem Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung zugestimmt, weil der Antrag der SPD-Bundes- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 8455* tagsfraktion auf Drucksache 12/841 keine Mehrheit gefunden hat. Der Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion wäre nach meiner Überzeugung am besten von allen vorliegenden Entwürfen geeignet gewesen, dem Prinzip Hilfe statt Strafe Rechnung zu tragen. Der sogenannte Gruppenantrag sieht eine Beratungspflicht vor, die Frauen in einer Schwangerschaftskonfliktsituation unnötigem psychischen Druck aussetzen kann. Da der Gruppenantrag jedoch eine deutliche Verbesserung des geltenden Rechts darstellt, halte ich ihn letztlich für akzeptabel. Ich werde mich im Rahmen meiner politischen Möglichkeiten jedoch weiter darum bemühen, dem Antrag der SPD-Fraktion eines Tages mit zur Mehrheit zu verhelfen. Bei meiner Entscheidung habe ich mich von der Überzeugung leiten lassen, daß der Gesetzgeber die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche durch Strafandrohung nicht verringern kann. Ich halte es vielmehr für seine Pflicht, familienfreundliche Bedingungen zu schaffen, die es jeder Frau erlauben, in einer Schwangerschaft die Entscheidung für das Kind zu treffen. Anlage 20 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Ruprecht Vondran (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Das Strafrecht ist ein untaugliches Mittel, hilfloses werdendes Leben wirksam zu schützen. Das lehrt die Erfahrung der letzten Jahre. 300 000 Schwangerschaftsabbrüche im Jahr und die hohe Dunkelziffer sprechen eine eigene traurige Sprache. Andererseits prägt das Recht die Werthaltung der Menschen. Es markiert zumindest ein ethisches Minimum. Dies genau tut der von der Mehrheit der CDU/CSU eingebrachte Gesetzentwurf. Er gibt klare Orientierung und mahnt, mit der Sexualität verantwortungsvoll umzugehen, wenn wir auch künftig in einer humanen Gesellschaft leben wollen. Dem sogenannten „Werner-Antrag" kann ich nicht zustimmen. Er will die geltenden Rechtsnormen verschärfen. Damit überlastet er das Recht und weist ihm eine Funktion zu, die es nicht mehr erfüllen kann. Zugleich vertieft er den Graben, den eine unglückliche Nachkriegsgeschichte mitten durch Deutschland gezogen hat. Unsere Aufgabe besteht aber gerade darin, diese Trennlinie wieder zu überwinden. Der sogenannte „Gruppenantrag" von SPD und F.D.P. nimmt dem werdenden Leben zumindest in der ersten Phase den Schutz der Rechtsordnung. Er gibt vor, der Würde der Frau zu dienen. Doch in der Wirklichkeit schafft er in vielen Fällen der Bequemlichkeit und der Gedankenlosigkeit Raum. Der Antrag von PDS/Linke Liste , aus deren Reihen ein Embryo ein „parasitärer Zellklumpen" genannt worden ist, liegt weit außerhalb dessen, was ein Christ vertreten kann. Anlage 21 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Ich stimme für den Gruppenantrag der SPD-, F.D.P.- und einiger CDU-Abgeordneten. Er ist insgesamt ein Fortschritt gegenüber der jetzigen Indikationenregelung. Denn die Indikationenregelung hat Memmingen möglich gemacht und auch die entwürdigenden Zwangsuntersuchungen an der holländischen Grenze. Dieser schrecklichen Praxis muß endlich ein Ende gemacht werden. Der Gruppenantrag sichert eine Fristenregelung von 12 Wochen, innerhalb deren die Frau allein über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden kann. Der Mehrheitsantrag von CDU/CSU will diese Entscheidung den Frauen entziehen und einer fremden Autorität übertragen. Ich halte dies für eine Entmündigung und Diskrimierung von Frauen. Frauen können in unserer Gesellschaft alles; sie erziehen die Kinder, sie verzichten deshalb häufig auf Erwerbstätigkeit, sie erhalten deshalb häufig niedrigere Renten, oder sie sind gleich dreifach belastet: Sie erziehen Kinder, sind berufstätig und machen den Haushalt. Sie können alles. Aber die Entscheidung in der existentiellsten Frage, die eine Frau betreffen kann, soll ihr vom CDU/CSU-Mehrheitsentwurf vorenthalten werden! Das wäre ein „Frauen-Bevormundungsgesetz". Ich bin für den generellen Wegfall der Strafandrohung gegen die Frauen und für die Streichung des § 218. Nach 121 Jahren ist seine generelle Streichung überfällig. Der Gruppenantrag, der ein Kompromiß ist, geht zwar nicht so weit, wie dies meiner Position entspricht, aber er ist ein Gesamtfortschritt für die Frauen. Ich bin prinzipiell gegen die obligatorische Beratung für Frauen. Alle Beratungsstellen haben uns in den letzten Monaten im Deutschen Bundestag vorgetragen, daß die offene Beratung die beste Entscheidungshilfe für Frauen ist. Und außerdem will ja auch niemand die an der Schwangerschaft beteiligten Männer zur Beratung verpflichten. Auch hier stelle ich meine Bedenken zurück angesichts des Gesamtfortschritts, den der Gruppenantrag darstellt, zumal die Beratung nicht protokolliert wird und auch gerichtlich nicht überprüft werden kann. Die Diskussion heute trägt hoffentlich dazu bei, daß unsere Gesellschaft endlich kinder- und frauenfreundlich wird. Das Strafrecht ist immer das Billigste. Teurer, aber menschlicher für unsere Gesellschaft ist es, wenn wir endlich das geborene Leben schützen. 8456* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 99. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1992 Dazu brauchen wir wirkliches Umdenken in der Gesellschaft. Die notwendigen Kinderbetreuungsmöglichkeiten müssen endlich geschaffen werden, preiswerter Wohnraum für Frauen und Familien muß endlich her, und die Organisation des Wirtschafts- und Arbeitslebens muß endlich so geändert werden, daß Kindererziehung auch für Berufstätige möglich wird. Heute steht ein Frauenbild zur Entscheidung im Deutschen Bundestag: entweder die Orientierung am konservativen Bild der Frau, das sie prinzipiell als schwach und „beratungsbedürftig" betrachtet, oder das Bild der selbständigen, eigenständigen, gleichberechtigten Frau, das unserer modernen Gesellschaft entspricht. Ich hoffe, daß der Deutsche Bundestag heute die Entscheidung zugunsten der Frauen und ihres Selbstbestimmungsrechtes trifft. Anlage 22 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Benno Zierer (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Ich werde ausschließlich für den Entwurf der „Gruppe Werner" stimmen und jeden anderen Entwurf ablehnen. Es geht um die Wahrung christlicher Grundsätze, auf die sich die Präambel des Grundgesetzes beruft, indem sie von der Verantwortung unseres Volkes vor Gott und den Menschen spricht. Wir wissen heute, daß in der befruchteten Eizelle das vollständige genetische Programm eines Individuums enthalten ist. Das ungeborene Kind führt ein eigenständiges Leben, das nach Anstrengung des Gewissens nicht unbegrenzt straffrei zur Tötung freigegeben werden darf. Die Tötung des ungeborenen Kindes darf nach meiner Auffassung allein dann straffrei bleiben, wenn die Gefahr einer dauerhaften und schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren objektiv nachweisbar vorliegt und auf keine andere für die Schwangere zumutbare Weise abgewendet werden kann. Nur diese medizinische Indikation vermag die Straffreiheit zu begründen. „Hilfe statt Strafe" ist meiner Meinung nach die falsche Parole, weil das Kind nicht vorrangig als Kostenfaktor gesehen werden darf. Beim Schutz des ungeborenen Lebens geht es um elementare Grundwerte unserer Gesellschaft und Kultur. Nicht akzeptabel ist für mich auch der Entwurf der CDU/CSU, weil ich die „psycho-soziale Indikation" für einen zur Fristenregelung ausweitbaren Begriff halte. Schon bis heute hätte es nicht zur massenhaften Tötung ungeborenen Lebens kommen dürfen angesichts eines Wohlstandes in unserem Land wie nie zuvor und angesichts von Verhütungsmethoden wie nie zuvor. Das Recht auf Selbstverwirklichung muß dort seine Grenzen finden, wo es um das Lebensrecht eines ungeborenen Menschen geht. Meine Entscheidung in der Abstimmung treffe ich nach einer Vielzahl von Diskussionen in Versammlungen und Einzelgesprächen auf Grund von Hunderten von Zuschriften, für die ich dankbar bin und die mich in meiner Haltung bestärkt haben, und letztlich in der Verpflichtung zum „C" in unserem Parteinamen. Anlage 23 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Claudia Nolte (CDU/CSU) zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 13 aufgeführten Vorlagen (Schutz des ungeborenen Lebens) Da ich zum Zeitpunkt der Abstimmung des Antrags der Gruppe Werner (Ulm) u. a. nicht im Plenarsaal sein konnte, möchte ich hiermit erklären, daß ich diesem Antrag zustimme.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rita Süssmuth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Als nächste spricht die Abgeordnete Angelika Barbe.


Rede von Angelika Barbe
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich kann leider nicht mit einem so herrlichen Hammer-Amboß-Zitat aufwarten.

(Unruhe)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rita Süssmuth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich darf um etwas mehr Ruhe bitten.