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    Plenarprotokoll 12/60 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 60. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 4973 A Tagesordnungspunkt II: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksachen 12/1000, 12/1329) Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes (Drucksachen 12/1404, 12/1600) Hans-Ulrich Klose SPD 4973 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . 4983 B Dr. Hermann Otto Solms FDP 4991D Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 4998 B Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste 5002 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 5007B Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler 5007 C Wolfgang Thierse SPD 5017 C Dr. Otto Graf Lambsdorff FDP 5021 A Ernst Waltemathe SPD 5021 B Michael Glos CDU/CSU 5021 D Gerlinde Hämmerle SPD 5026 B Dietrich Austermann CDU/CSU 5028 B Harald B. Schäfer (Offenburg) SPD . . 5031A Ortwin Lowack fraktionslos . . . 5033D, 5034 B Wolfgang Kubicki FDP 5034 B Namentliche Abstimmung 5035 D Ergebnis 5043 D Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes (Drucksachen 12/1405, 12/1600) Ernst Waltemathe SPD 5036 A Dr. Klaus Rose CDU/CSU 5038 A Dr. Sigrid Hoth FDP 5039 D Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste . . . 5041D Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE 5045 D Friedrich Vogel (Ennepetal) CDU/CSU . 5048 D Dr. Eberhard Brecht SPD 5050 A Dr. Volkmar Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU 5051 D Norbert Gansel SPD 5053 A Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister AA 5056 B Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung (Drucksachen 12/1414, 12/1600) in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte (Drucksachen 12/1428, 12/1600) Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD 5059A, 5069 D Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD . . . . 5061 C Hans-Gerd Strube CDU/CSU 5062 C Andrea Lederer PDS/Linke Liste 5064 C II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . 5066B, 5072D Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD 5066D, 5076D Erwin Horn SPD 5067 B Walter Kolbow SPD 5069 D Günther Friedrich Nolting FDP . . . 5070 C Dr. Fritz Wittmann CDU/CSU 5071 D Stefan Schwarz CDU/CSU 5072 A Hans-Werner Müller (Wadern) CDU/CSU 5073A Dr. Gerhard Stoltenberg, Bundesminister BMVg 5075 D Carl-Ludwig Thiele FDP 5078 A Erwin Horn SPD 5080 A Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu Drucksache 12/1649 5102A Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu Drucksache 12/1650 5108A Abstimmung über Einzelplan 14 5108A Tagesordnungspunkt IV: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 15 zu Petitionen (Wehrforschung — Jäger 90 —) (Drucksache 12/451) Siegrun Klemmer SPD 5080 C Walter Kolbow SPD 5082 C Georg Janovsky CDU/CSU 5083 B Günther Friedrich Nolting FDP 5084 A Katrin Fuchs (Verl) SPD 5084 B Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 5085 C Zusatztagesordnungspunkt: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 12/1154, 12/1363, 12/1387, 12/1392, 12/1526, 12/1660) Wolfgang Vogt (Düren) CDU/CSU . . . . 5086 B Dr. Peter Struck SPD 5087 A Dr. Bruno Menzel FDP 5087 D Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 5088 B Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Drucksachen 12/1421, 12/1600) Helmut Esters SPD 5088 D Dr. Peter Struck SPD 5090 C Dr. Christian Neuling CDU/CSU 5091 B Werner Zywietz FDP 5094 A Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 5095 C Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 5096 C Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 5097D Dr. Ingomar Hauchler SPD 5098 C Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu Drucksache 12/1647 5100A Abstimmung über Einzelplan 23 5110B Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft (Drucksa chen 12/1425, 12/1600) 5104 B Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie (Drucksachen 12/1424, 12/1600) Dr. Emil Schnell SPD 5104 B Dietrich Austermann CDU/CSU 5110 C Dr. Gerhard Riege PDS/Linke Liste . . 5113D Werner Zywietz FDP 5115C Dr. Emil Schnell SPD 5117C, 5121A Dr. Heinz Riesenhuber, Bundesminister BMFT 5118A Josef Vosen SPD 5119B, C Nächste Sitzung 5122 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 5123* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frau Dr. Gisela Babel, Gerhart Rudolf Baum, Dr. Burkhard Hirsch, Wolfgang Lüder (alle FDP) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu Einzelplan 14 — Drucksache 12/1649 — 5123* C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Einzelplan 31 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . . 5123* D Hinrich Kuessner SPD 5125* B Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink FDP . . 5127* C Dr. Rainer Ortleb, Bundesminister BMBW 5128* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 4973 60. Sitzung Bonn, den 27. November 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 27. 11. 91 Blunck, Lieselott SPD 27. 11. 91 * * Böhm (Melsungen), CDU/CSU 27. 11. 91 * * Wilfried Catenhusen, SPD 27. 11.91 Wolf-Michael Clemens, Joachim CDU/CSU 27. 11. 91 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 27. 11. 91 Herta Doppmeier, Hubert CDU/CSU 27. 11. 91 Dr. Fell, Karl H. CDU/CSU 27. 11. 91 Dr. Funke-Schmitt-Rink, FDP 27. 11. 91 Margret Huonker, Gunter SPD 27. 11. 91 Koschnick, Hans SPD 27. 11. 91 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 27. 11. 91 Günther Lenzer, Christian CDU/CSU 27. 11. 91 * * Lüder, Wolfgang FDP 27. 11. 91 Marten, Günter CDU/CSU 27. 11. 91 * * Meißner, Herbert SPD 27. 11. 91 Mischnick, Wolfgang FDP 27. 11. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 27. 11. 91 * * Nolte, Claudia CDU/CSU 27. 11. 91 Dr. Paziorek, Peter Paul CDU/CSU 27. 11. 91 Dr. Pfaff, Martin SPD 27. 11. 91 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 27. 11. 91 * Rempe, Walter SPD 27. 11. 91 Dr. Scheer, Hermann SPD 27. 11. 91 Schulte (Hameln), SPD 27. 11. 91 Brigitte Schuster, Hans Paul FDP 27. 11. 91 Hermann Seidenthal, Bodo SPD 27. 11. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 27. 11. 91 * * Steiner, Heinz-Alfred SPD 27. 11. 91 * * Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 27. 11. 91 Voigt (Frankfurt), SPD 27. 11. 91 Karsten D. Wollenberger, Vera Bündnis 27. 11. 91 90/GRÜNE Zierer, Benno CDU/CSU 27. 11. 91 * * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frau Dr. Gisela Babel, Gerhart Rudolf Baum, Dr. Burkhard Hirsch, Wolfgang Lüder (alle FDP) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu Einzelplan 14 - Drucksache 12/1649 Wir können unsere Zustimmung dazu nicht geben, die Entwicklung des Jägers 90 fortzusetzen. Wir halten es nicht für vertretbar, den Jäger 90 weiter zu entwickeln, da er nicht in Produktion gehen darf. Der Jäger 90 ist kostspielig, aber nicht kostbar. Er ist nicht notwendig, wie jedermann aus der internationalen Lage erkennen kann. Insbesondere ist die ehemalige Bedrohung durch die ehemalige Sowjetunion weggefallen. Der bloße Hinweis auf bestehende Verträge über die Entwicklung des Jägers 90 ist solange ohne Bedeutung, wie nicht einmal versucht wird, über ihre Aufhebung oder Änderung zu verhandeln. Wir haben kein Zutrauen in die reale Entscheidungsfreiheit des Deutschen Bundestages, wenn die Entwicklung einmal abgeschlossen sein wird. Wir befürchten, daß der sogenannte Sachzwang, der Druck aus den verschiedensten Interessen heraus, so groß sein wird, daß mit der Produktion begonnen werden wird. Die selbstbewußten Äußerungen der Industrie, wonach der Entwicklung quasi selbstverständlich die Produktion folgen müsse, weil anderes nicht vernünftig sei, bestätigen diese unsere Einschätzung. Wir halten es für erforderlich, daß mit dem Haushalt 1992 ein Zeichen gesetzt wird, daß der Deutsche Bundestag sowohl Konsequenzen aus der militärischen Entspannung in der Welt als auch aus den Bedürfnissen der Armut in Osteuropa und in der Dritten Welt zieht. Armutsbekämpfung muß Vorrang vor Militäroptionen haben. Wir stimmen deswegen dem SPD-Antrag auf Drucksache 12/1649 zu. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Einzelplan 31 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU): Der Etat des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft beläuft sich im Haushaltsjahr 1992 auf fast 6,5 Milliarden DM. Das entspricht im Vergleich zum Vorjahr einer Steigerung von 4,5 %. Eine wesentliche Ursache für diese Steigerung ist die Aufstockung der Mittel für die berufliche Bildung und Berufsbildungsförderung. Hier wurde der Ansatz um 43 % erhöht. Der Bereich Hochschule und Wissenschaft weist zwar einen wesentlich geringeren Anstieg auf, aber der Vergleich der absoluten Zahlen der beiden genannten Kapitel (berufli- 5124* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 che Bildung ca. 455 Millionen, Hochschule und Wissenschaft fast 3 Milliarden) zeigt die Dominanz dieses Sektors. In beiden Bereichen sind große Herausforderungen zu bewältigen, um unseren wichtigsten Trumpf in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, die hervorragende Ausbildung unserer Jugend, auch in Zukunft gewährleisten zu können. Im Bereich der beruflichen Bildung ist die Lage zur Zeit gespalten: Im westlichen Teil Deutschlands bleiben im lauf enden Ausbildungsjahr 130 000 Ausbildungsplätze unbesetzt. Ein gefährliches Signal für das breite und sichere Fundament unserer Wirtschaft: Hier wird der praktisch und technisch qualifizierte Facharbeiter, der gut ausgebildete und selbständig zupackende Handwerker gebraucht. Deshalb müssen sich die für die Schulausbildung im wesentlichen zuständigen Bundesländer nachdrücklich fragen lassen, ob die Haupt- und Realschulen schwerpunktmäßig auf diese praktische Ausbildung ausgerichtet sind. Mit Recht wird immer mehr beklagt, daß die Schulen auf ein schlimmes Mittelmaß gebracht werden: für die Hochbegabten werden sie langweiliger; immer schwerer und unerträglicher für jene, die eine Abneigung gegen alles Theoretische haben. Der geplante Wegfall der Schulnoten in den Grundschulen Hessens und die bereits verfügte Abschaffung der Schulempfehlung für die weiterführenden Schulen in Rheinland-Pfalz erzeugen einen einseitigen Druck auf das Gymnasium, der seinem Ziel, der Hochschulreife, ebensosehr schadet, wiewenig er einer gediegenen Vorbereitung für die berufliche Bildung nützt. Daß jeder zehnte junge Mensch ohne Berufsabschluß bleibt und damit von Arbeitslosigkeit besonders bedroht ist, ist eine Frage, auf die vor allem die Schulpolitiker der Länder eine Antwort geben müssen, aber eben auch ein Problem, das uns alle angeht. Im Osten herrscht allen Unkenrufen zum Trotz keine dramatische Lehrstellensituation. Dennoch gibt es hier strukturelle Defizite. Zwar findet jeder Ausbildungswillige eine Lehrstelle, aber immer noch bilden zuwenig Betriebe aus. So sind die überbetrieblichen Ausbildungsstätten ausgelastet, während in den Betrieben zuwenig junge Menschen eine Möglichkeit finden, das Gelernte hinterher auch in anderen Unternehmen anzuwenden. Zur Förderung der betrieblichen Ausbildung in den fünf neuen Bundesländern sind 1992 175 Millionen DM vorgesehen; das entspricht einer Steigerung von 133 % . Die Ankündigung dieses 5000-Mark-Programms der Bundesregierung in diesem Jahr hatte Signalwirkung für den Lehrstellenmarkt Ost. Mit der Aufstockung verstärken wir dieses Signal und bieten zugleich mehr kleinen und mittelständigen Unternehmen die Möglichkeit, Ausbildungsplätze zu schaffen. Zu begrüßen ist aber auch die gestiegene Verantwortung vor allem im Handwerk für den eigenen Berufsnachwuchs, denn wer zu spät ausbildet, den bestraft der Markt! Der nachhaltigen Strukturverbesserung in den beigetretenen Ländern dienen auch die Förderungsmaßnahmen zur Qualifizierung von Personal der beruflichen Bildung. Da die Ausbilder bisher überwiegend in Form eines Staatsmonopols ausgebildet wurden, müssen diese Multiplikatoren, denen die jungen Auszubildenden anvertraut sind, an marktwirtschaftliche Prinzipien herangeführt werden. Mit einer Steigerung von 5 Millionen DM unterstreichen wir noch einmal die Bedeutung dieser Projekte und bieten zugleich die Möglichkeit, die Weiterbildung der Ausbilder zu intensivieren, so daß das Fundament für eine dauerhafte Veränderung verbreitert wird. Von besonderer Bedeutung scheint mir auch die Motivation zur Weiterbildung in den Betrieben zu sein. Hier tut dringend ein Bewußtseinswandel der Beschäftigten not, wenn die Leiterin des Arbeitsamtes Sondershausen, wie am 9. September 1991 in der FAZ zu lesen war, „das Interesse an der Weiterbildung ,erschütternd gering' (nennt, und) vor allem in den Großbetrieben (...) viele Leute ,erst einen Topf richtig ausschöpfen' (wollten), also bis zum Jahresende die Kurzarbeiterregelung genießen, dann ,eine Abfindung kassieren' und sich erst danach qualifizieren". An dieser Stelle drängt sich der Schluß auf, daß man mit Geld zwar einiges, aber eben doch nicht alles, z. B. keinen raschen Bewußtseinswandel, bewegen kann. Oder sollte es beim Kurzarbeitergeld lieber etwas weniger, dafür bei der Weiterbildung etwas mehr sein? Ich meine schon! Aus diesem Grund begrüße ich die Einrichtung eines neuen Titels zur Entwicklung von regionalen beruflichen Weiterbildungshilfen mit 5,5 Millionen DM. Mit Hilfe dieses Ansatzes soll der aktuelle regionale Weiterbildungsbedarf in Unternehmen ermittelt werden. Aus diesen Informationen können dann Empfehlungen für die Unternehmen, besonders aber für die betroffenen Arbeitnehmer abgeleitet werden. Auf diese Weise lassen sich komparative regionale Vorteile herauskristallisieren und die vielgestellten Fragen: In welcher Richtung soll ich mich denn weiterbilden? Wo liegen meine größten Chancen? besser beantworten. Am 1. Oktober 1991 nahmen 21 junge Facharbeiter, davon 13 Frauen am Einführungsseminar der Begabtenförderung berufliche Bildung in Schwerin teil, die ersten von 3 200 in diesem Jahr. Gefördert werden können anspruchsvolle berufsspezifische fachliche Qualifikationen, aber auch soziale Fähigkeiten, die sowohl den Bedürfnissen der jungen Berufstätigen als auch den Erwartungen der späteren Arbeitgeber gerecht werden. Für dieses Programm sind im Haushalt 1992 18 Millionen DM vorgesehen, das entspricht einer Steigerungsrate von 80 % . Mittelfristiges Ziel wird es sein, dieses Programm finanziell ähnlich auszustatten wie die Begabtenförderung an den Hochschulen. Insgesamt müssen wir die strukturellen Ungleichgewichte zwischen beruflicher Bildung einerseits und der akademischen Laufbahn andererseits beseitigen, um die Attraktivität des in der Welt vielbewunderten Systems der dualen Ausbildung auch für die Zukunft zu sichern. Das Kapitel Hochschule und Wissenschaft enthält die beiden Hochschulsonderprogramme I und II, die wie mit den Ländern vereinbart weitergeführt werden, um die Situation an unseren Hochschulen weiter zu verbessern. Nicht mehr im Einzelplan 31 veranschlagt sind die 1,32 Milliarden DM, die der Bund 1992 im Rahmen des Erneuerungsprogramms für Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 5125* Hochschule und Forschung in den neuen Bundesländern bereitstellt. Sie werden jetzt im Einzelplan 60 etatisiert. Herausgreifen möchte ich die Studentenwohnraumförderung. Hier hat der Bund im Westen wie im Osten eine große Verantwortung, die weit über den Bildungsetat hinausreicht. Für ca. 1,6 Millionen Studenten stehen in den alten Bundesländern nur 140 000 mit öffentlichen Mitteln geförderte und vergleichsweise preiswerte Wohnungen zur Verfügung. Studenten werden vorübergehend in Turnhallen, Containern, ja sogar in Bauwagen untergebracht. Angesichts dieser Zustände halte ich es für dringend geboten, sowohl das Deutsche Studentenwerk als auch private Investoren verstärkt für den Bau von Studentenwohnungen in frei werdenden Kasernengebäuden zu gewinnen. Der Bund ist hier besonders in der Verantwortung, die kritische Situation zu entschärfen, und sollte sich nicht nur am besten Angebot für die Immobilien orientieren, sondern die optimale Lösung im Interesse unserer Studenten und damit letztendlich auch im wohlverstandenen Interesse unserer Volkswirtschaft suchen. Zum Schluß möchte ich es nicht versäumen, ein Problem besonderer Güte im Hochschulbereich anzusprechen. Warum leisten wir uns in unserer Hauptstadt Berlin mehrere Universitäten, von denen die eine, die Humboldt-Universität, mehr mit internen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, als sich auf ihre originären Aufgaben zu konzentrieren? Ja, die Zustände dort gipfeln darin, daß für die Verbesserung der Ausbildung dringend benötigte Gastdozenten davor zurückschrecken, sich hier zu engagieren. Zerschlagen wir den gordischen Knoten der alten Seilschaften und bilden aus der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Universität eine Freie Humboldt-Universität Berlin! Forschung und Lehre rückten wieder in den Vordergrund, der Verwaltungsapparat könnte verkleinert und die frei werdenden Mittel für Investitionen in die Zukunft aufgewandt werden. Hinrich Kuessner (SPD): Die Zeit nach Abschluß der deutschen Einheit rast dahin — so empfindet man es, wenn man in den neuen Ländern für politische Entscheidungen mitverantwortlich ist. Die Menschen erwarten schnelle und wirksame Entscheidungen für die Umgestaltung der Gesellschaft, Entscheidungen, die sie positiv spüren und die für das Neue stehen. In dieser Woche verabschieden wir den zweiten gesamtdeutschen Haushalt. Bei der Verwirklichung der Einheit spielen Bildung und Wissenschaft eine zentrale Rolle. Das gilt gleichermaßen für den Osten wie für den Westen Deutschlands. Investitionen in diesem Bereich sind Investitionen in unsere Zukunft. Denn eine gute Ausbildung ist das beste Fundament für eine erfolgreiche Berufstätigkeit und damit für die Entwicklung unserer Wirtschaft. Die Erhöhung des Haushaltsvolumens für den Bereich Bildung und Wissenschaft auf rund 6,5 Milliarden DM im Jahr 1992 — und wenn man die im Einzelplan 60 „versteckten" Bildungsausgaben im Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost sowie für das Hochschulerneuerungsprogramm hinzurechnet, werden es sogar rund 7 Milliarden DM — geht in die richtige Richtung. Die Frage ist: Reagiert die Politik im Bereich Bildung und Wissenschaft damit in ausreichender und geeigneter Weise auf die Herausforderungen des Einigungsprozesses? Stolz verkünden Regierung und Koalition: Die Zahl der offenen Ausbildungsplätze betrug in den neuen Ländern am 30. September 1991 6 608 und in den alten sogar 128 534. Im Osten waren zu diesem Zeitpunkt nur noch ca. 2 000 Jugendliche auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Dabei wurde aber übersehen, daß über den Verbleib von rund 45 000 Bewerberinnen und Bewerbern aus den neuen Ländern noch nichts bekannt ist. Sind sie doch in größerer Zahl als vermutet in die alten Länder abgewandert? Haben sie resigniert und auf eine Ausbildung verzichtet, oder haben sie weiterführende allgemeinbildende Angebote wahrgenommen? Dies sind unbeantwortete Fragen. Zweifel sind auch noch auszuräumen, was die Qualität der Ausbildung angeht, womit jedoch der Dank an alle, die sich für die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen in den neuen Ländern eingesetzt haben, nicht geschmälert werden soll. Die weitere Entwicklung von Angebot und Nachfrage nach Ausbildungsplätzen im nächsten Jahr wird nicht nur von uns kritisch beobachtet. Die Kollegin von der FDP Frau Funke-Schmitt-Rink sagte am 14. November hier im Bundestag: Womöglich kommt es 1992 im Osten zu einer Berufsbildungskatastrophe und einer Welle von Ausbildungsflüchtlingen in den Westen. Leider muß die Warnung der Kollegin ernst genommen werden. In Gesprächen mit jungen Leuten in meinem Wahlkreis in Vorpommern wird mir immer wieder vorgehalten: Wo ist der Arbeitsplatz, für den wir ausgebildet werden? In der Region fehlen sichtbare Zeichen für das Entstehen von neuen Arbeitsplätzen. Man hört vor allem von Entlassungen und Ersatzmaßnahmen wie ABM und Kurzarbeit Null. Es fehlt eine gezielte Strukturpolitik, wie man sie z. B. bei der Stahlkrise im Westen praktiziert hat. Auf die tiefgreifenden strukturellen Veränderungen im Ruhrgebiet und im Saarland antwortete man zu Recht mit einem Sonderprogramm für diese Montanregionen. Ich will nicht leugnen, daß man Zeichen des Neubeginns auch in Vorpommern sieht. Besonders gilt dies für die Baubranche. Aber bisher bringt alles nicht viele Arbeitsplätze. Der Bürger sieht noch nicht, wohin die Fahrt geht, und kann sich darum nicht darauf einstellen. Die hohe Zahl der außerbetrieblichen Ausbildungsplätze — ca. 38 000 = 35 % aller Lehrlinge im Osten — ist ein Zeichen dafür, daß es noch nicht in die richtige Richtung geht. Noch können die Handwerksbetriebe in den neuen Ländern ihre Ausbildungsfunktion nicht wahrnehmen. Dies ist kein Vorwurf, sondern eine Aufforderung, gemeinsam darüber nachzudenken, was in der Übergangssituation getan werden kann, um das Recht auf eine qualifizierte Ausbildung für alle Jugendlichen zu verwirklichen. Anträge der SPD lagen mehrfach auf dem Tisch, um das Programm der 5126* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 Förderung der betrieblichen Ausbildung im Osten auszuweiten und effizient zu gestalten. Die Koalition hat sie niedergestimmt, und sie unterstützt damit eine falsche Entwicklung. Es muß alles getan werden, daß wir schnell von der außerbetrieblichen Ausbildung vor allem in Helferberufen wegkommen. Es besteht sonst die Gefahr, daß in die Arbeitslosigkeit hinein ausgebildet wird. Von der außerbetrieblichen Ausbildung sind in einem hohen Maße Mädchen betroffen. Dies ist ein gravierendes Problem und kann nicht verharmlost werden. Nicht selten beklagen sich Frauen und Mädchen in den neuen Ländern über spürbare Benachteiligungen, Gleichheit vor dem Gesetz reicht nicht aus. Benötigt wird eine gezielte Förderung in der Beruf sausbildung, auch in sogenannten Männerberufen. Diese Förderung muß beim Übergang in den Beruf fortgesetzt werden. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein gesamtdeutsches Thema, das noch nicht abgehakt werden kann. Dies ist auch nicht nur ein Frauenthema. Im Osten muß die Qualität der beruflichen Ausbildung insgesamt schneller angehoben werden. Auch wenn die SPD viel weitergehende Vorschläge gemacht hat, ist zu begrüßen, daß im Haushalt '92 der Ansatz für die Qualifizierung von Personal der beruflichen Bildung um 5 Millionen DM angehoben wurde und ein Titel für die Entwicklung von regionalen beruflichen Weiterbildungshilfen mit einem Ansatz von 5,5 Millionen DM geschaffen wurde. Das Umsetzen all dieser Mittel muß schnell und gezielt erfolgen. Auf diesem Gebiet geht mir vieles zu langsam. Wer sich dafür lobt, daß er die Einheit schnell vollzogen hat, darf nun nicht ins Schneckentempo verfallen. Gerade die jungen Menschen müssen jetzt eine solide Ausbildung erhalten. Nur so kann die Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland noch in diesem Jahrhundert erreicht werden. Gerade die Jugend brauchen wir dazu. Das Einsetzen der Milliarden im Osten hat nur Sinn, wenn dadurch Aktivitäten ausgelöst werden. Bei der beruflichen Bildung wird das noch nicht genügend sichtbar. In den Berufsschulen ist dringender Handlungsbedarf, auch von seiten des Bundes über das Programm Aufschwung Ost hinaus. Personell und sächlich muß die Ausstattung verbessert werden. Das Geldausgeben auf diesem Gebiet geht mir zu langsam, und ich bezweifle, daß das Geld immer zukunftsträchtig genug eingesetzt wird. Immer wieder werde ich auf Unzulänglichkeiten in der Lehrmittelausstattung angesprochen. Dem Greifswalder Seminar des Landesinstitutes für Schule und Ausbildung stehen für den Aufbau einer Bibliothek kaum Mittel zur Verfügung. Die Qualität der Referendarausbildung ist somit gefährdet. Sicher das ist zuallererst Ländersache. Auch für die Beschaffung der Schulbücher ist der Bund nicht zutändig. Eine Bonner Lehrerin sammelt für Greifswalder Schulen Schulbücher. Und das wird immer noch gerne angenommen. Es zeigt nur, daß auf dem Sektor der Bildung noch viel Sand im Getriebe steckt. In Mecklenburg-Vorpommern kann es natürlich auch daran liegen, daß dieser Bereich nicht gerade von kompetenten Leuten vertreten wird. Die negativen Entwicklungen im Rechtsextremismus zeigen, daß wir hier keine Zeit haben. Soziale Probleme verstärken Spannungen und erzeugen Gewalt. Bildung ist eine wichtige Waffe dagegen. Trotz der vielen offenen Ausbildungsplätze im Westen gibt es auch dort ungelöste Ausbildungsprobleme. Eine EMNID-Umfrage hat ergeben, daß 14 % der jungen Menschen eines Jahrgangs keinen Ausbildungsabschluß haben. Die Zahl der jugendlichen Langzeitarbeitslosen ist beträchtlich. Die etwa 1,7 Millionen Jugendliche, die seit 1970 ohne eine qualifizierte Ausbildung geblieben sind, sind hier besonders gefährdet. Auch hier zeigt sich, daß in den alten Bundesländern mehr Anstrengungen unternommen werden müssen, damit die Zahl der Jugendlichen ohne Qualifizierung geringer wird. Arbeitgeber und Berufsschulen sind aufgerufen, die Anstrengungen zu verstärken, damit die Abbrecherquote gesenkt und sozialpädagogische Förderung Lernschwacher intensiviert wird. Kein richtiger Weg ist nach Meinung der SPD die Verkürzung der Berufsausbildung für sogenannte praktisch Begabte. Der Bund hat eine besondere Verantwortung für diese benachteiligten Gruppen. Staatliche Bildungspolitik muß allen gleiche Bildungschancen eröffnen. Ich erkenne im Haushalt '92 nicht die Programme, die auf die Lernbedürfnisse aller Jugendlichen genügend reagieren. Den Jugendlichen in Deutschland wird bescheinigt, daß die Bereitschaft zum Lernen bei vielen vorhanden ist, ja, sie war noch nie so groß wie heute. Darum muß unser Bildungssystem jetzt ausgebaut und umgebaut werden, um den Anforderungen der Jugendlichen, aber auch der Erwachsenen sowie den Anforderungen von Gesellschaft und Wirtschaft gewachsen zu sein. Die Wiedereinführung von Zulassungsbeschränkungen an den Hochschulen ist nach Meinung der SPD ein falscher Weg. Daß viele junge Menschen gute Ausbildungen an Hochschulen anstreben, sollten wir nicht verhindern. Um den Einsatz öffentlicher Mittel an den Hochschulen wirkungsvoller zu machen, sind andere Überlegungen notwendig. Arbeitsmarktforscher sagen auch einen höheren Bedarf für die nächste Zukunft voraus. Die Programme im Haushalt '92 sind dafür nicht ausreichend. Neben der Reform der inneren Struktur der Hochschulen müssen die Sonderprogramme neu überdacht werden. Dazu ist der Nachholbedarf der Universitäten in den neuen Ländern zu berücksichtigen. Gemeinsam setzen sich alle Fraktionen im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft für eine Anhebung der Mittel für den Hochschulbau ein. In den Bund-Länder-Gremien müssen die Überlegungen zu einem Hochschulentwicklungsplan — als Teil eines neuen Bildungsplanes — rasch beginnen. Ich will nur auf einen Punkt hinweisen: Für die Studentenwohnraumförderung wurde der Ansatz '92 um 50 Millionen DM auf 200 Millionen DM erhöht. Dieses Geld steht nur den Hochschulen im Westen zur Verfügung. Die Hochschulen in den neuen Ländern kön- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 5127* nen theoretisch der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern beitreten. Aber es fehlen die finanziellen Voraussetzungen, da die Länder 30 und die Träger 40 % der Kosten zu tragen haben. Dies läßt sich nicht realisieren. Für 1991/92 sind darum Mittel im Programm Aufschwung Ost vorgesehen. Dieses Programm muß in den neuen Ländern aber weitergehen. Die Wohnheimplätze in den neuen Ländern sind oft in einem unzumutbaren Zustand. Auch das führt zu Abwanderungen. Hier muß schnell über weitergehende Maßnahmen nachgedacht werden. Der Versorgungsgrad mit Wohnheimplätzen der Studenten in den neuen Ländern liegt mit 75 % weit über dem der alten Länder. Dort betrug er 1990 9,3 %. Aber man darf nicht übersehen, daß die Wohnraumsituation in den neuen Ländern insgesamt mit riesigen Problemen behaftet ist. Außerdem wird die Studentenzahl an den Hochschulen in den neuen Ländern steigen. Die Universität Greifswald hat z. B. nicht einmal 3 900 Studenten. Der Bedarf an Studienplätzen für Studenten aus den neuen Ländern wird in den nächsten Jahren erheblich zunehmen. In der DDR war die Möglichkeit zum Studium nur wenigen gegeben. Eine Reduzierung von Studentenwohnheimplätzen ist keine Lösung. Auch darf das Programm der Studentenwohnraumförderung im Osten nicht zu Lasten des Programms im Westen gefahren werden. Es ist dort ebenso notwendig. Uns allen in diesem Haus ist sicher bewußt, daß eine friedliche und demokratische Entwicklung im geeinten Deutschland nur zusammen mit unseren Nachbarn in Ost und West und Nord und Süd möglich ist. Für die Förderung der Zusammenarbeit mit anderen Staaten und mit internationalen Organisationen auf dem Gebiet von Bildung und Wissenschaft sind im Haushalt bescheidene Mittel eingesetzt. Die Zuschüsse für Investitionen in Mittel- und Osteuropa sind von 3 Millionen DM 1991 auf 4 Millionen DM 1992 erhöht worden. Das ist bei der Größe der Aufgabe ein kleiner Betrag. Noch bedenklicher ist, daß der Betrag 1991 wohl nicht ausgeschöpft wird. Sicher gibt es große Schwierigkeiten, wenn man in Mittel- und Osteuropa etwas machen will. Das kann doch aber nur bedeuten, daß Einsatzbereitschaft und Einfallsreichtum verstärkt werden. Auf neue Herausforderungen muß man mit neuen Ideen antworten. Oder sollen hier schöne politische Titel geschrieben werden, mit denen man sich in der Öffentlichkeit schmückt, aber die in Wirklichkeit nicht realisiert werden sollen? Meine Skepsis ist nicht ganz aus der Luft gegriffen. Schon im Haushalt '91 stand eine globale Minderausgabe von 50 Millionen DM; 1992 beträgt sie 42,5 Millionen DM. Was politische Prosa ist und was Wirklichkeit werden soll, kann also nicht erkannt werden. Die globale Minderausgabe ist ein untaugliches haushaltspolitisches Mittel. Beim ersten gesamtdeutschen Bundeshaushalt hatte ich dafür noch gewisses Verständnis. Es gibt bisher keine Erklärung seitens der Bundesregierung, daß auf dieses Mittel künftig verzichtet wird. Theoretisch ist es z. B. möglich, daß die Ansätze für Qualifizierung von Personal der beruflichen Bildung, für Entwicklung von regionalen beruflichen Weiterbildungshilfen und für Modernisierung und Ausstattung beruflicher Bildungsstätten in den neuen Ländern der globalen Minderausgabe zum Opfer fallen. Wer die globale Minderausgabe zu einem festen Haushaltstitel macht, ist — um es vorsichtig zu formulieren — an der aktiven Haushaltspolitik des Parlamentes nicht interessiert. Das kann und darf nicht unser Interesse sein. Der Einzelhaushalt für Bildung und Wissenschaft wird den Anforderungen und Herausforderungen unserer Zeit nicht gerecht. Die SPD lehnt ihn darum ab. Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink (FDP): Der Etat des Bundesbildungsministers weist in diesem Jahr wieder eine überdurchschnittliche Steigerung aus. Es ist ein Anstieg um 4,5 % auf rund 6,5 Milliarden DM. Die Regierung hat also erhebliche finanzielle Anstrengungen unternommen, auch wenn nicht alle gewünschten Maßnahmen abgedeckt werden können. Wichtige wegweisende Schlüsselentscheidungen sind jedoch in dem Haushaltsplan enthalten. 1. Der Aus- und Neubau von Hochschulen wird um 300 Millionen auf 1,6 Milliarden DM aufgestockt. 2. Für das Ausbildungsplatzförderungsprogramm in den neuen Ländern sind 1992 175 Millionen DM eingestellt. 3. Mit der Verdoppelung der Mittel auf 20 Millionen DM soll die in diesem Jahr begonnene Begabtenförderung in der beruflichen Bildung 1992 ausgebaut werden. Damit ist für den Bereich der beruflichen Bildung eine Ausgabensteigerung um mehr als 43 % vorgesehen. 4. Rund 250 Millionen DM sind für das Erneuerungsprogramm für Hochschule und Forschung in den neuen Bundesländern vorgesehen. Der Bundesbildungsminister hat zu Recht die Erhöhung der BAföG-Leistung um 6 % gefordert. Es geht um die Anpassung der BAföG-Grundbeträge an die kräftig gestiegenen Lebenshaltungskosten im Osten. Ein Hinauszögern der Gleichstellung der ostdeutschen Studenten würde den Abwanderungstrend Richtung West dramatisch verstärken. Doch über berstende Hörsäle können die Hochschulen in Westdeutschland schon zur Genüge klagen. Die Aufbauprobleme im Osten dürfen uns nicht den Blick auf die offenkundigen Probleme im Westen versperren. Deswegen möchte ich an dieser Stelle auf zwei Bereiche dieses Haushalts eingehen, die noch mehr als bisher Schwerpunkte der zukünftigen Bildungspolitik sein müssen. Das ist zum einen die Weiterbildung des dualen Systems in Richtung auf die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung und zum zweiten die Hochschulausbildung. Die Bildungsreform der 70er Jahre hatte vor allem das Postulat der Chancengleichheit und die soziale Öffnung des Bildungswesens zum Ziel. Die Bildungspolitik der 90er Jahre muß die soziale Integration der Jugendlichen über eine bildungsadäquate Beschäftigung im Beruf gewährleisten. Und deshalb begrüßen wir Liberale ausdrücklich die Zielsetzung der Regierung, die berufliche Bildung als gleichwertigen Teil des Bildungswesens auszubauen. Ein Schritt in diese Richtung ist das Programm der beruflichen Begabten- 5128* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 förderung. Diese muß in den nächsten Jahren auf eine Größenordnung wie im Hochschulbereich kommen. Die Öffnung der Hochschulen für qualifizierte Berufstätige ohne Abitur ist vor allem dann zu erwägen, wenn man das Ziel nicht aus dem Auge verliert, Berufsausbildung attraktiver zu machen. Denn über eines sind wir uns alle klar: Die Wachstumsbremse unserer Volkswirtschaft in den nächsten Jahren wird der Facharbeitermangel sein, und die Bildungspolitik der 90er Jahre muß diesen Mangel beheben, indem sie der beruflichen Bildung den Makel der Minderwertigkeit nimmt. Im vereinten Deutschland haben wir 1991 mehr Studierende als Lehrlinge (1,7 Millionen zu 1,5 Millionen). Jugendliche zwischen 18 und 21 Jahren haben zu 31 To inzwischen die Hochschulreife, und die meisten möchten auch studieren. Aber was heißt das heute? Überlange Studienzeiten, Zunahme von unzumutbaren Lehr- und Lernsituationen, Fachwechsel, Studienabbrüche und ungewisse Zukunftsaussichten. Ein Numerus clausus in zahlreichen weiteren Fächern, wie ihn die Hochschulrektorenkonferenz verlangt, ist zu verstehen, aber von Bildungspolitikern/ innen nicht zu vertreten. Die erhebliche Steigerung der Hochschulförderungsmittel im Haushalt 1991 und die konsequente Weiterführung des Ansatzes in 1992 sind zukunftsweisend. Aber die FDP wird auch in Zukunft gemeinsam mit dem Bundesbildungsminister dafür kämpfen, weitere Erhöhungen der Mittel zur Modernisierung und den Ausbau der Hochschulen einsetzen zu können. Trotz der auf 1,6 Milliarden DM erhöhten Bundesmittel für den Hochschulneubau und der zur Lösung der anstehenden Probleme in den Hochschulsonderprogrammen zur Verfügung stehenden Beträge werden wir es nicht zulassen, daß die Länder in ihrem Verantwortungsbereich — und das heißt personelle und materielle Ausstattung der Universitäten und Fachhochschulen — untätig die Hände verschränken und die gestiegenen Studentenzahlen hilflos ignorieren. Wir müssen ohne ideologische Scheuklappen über neue Wege nachdenken. Einige Stichworte: — fachspezifische Hochschuleingangsprüfungen, — rigorose Prüfungen nach der ersten Studienetappe, — Kurzstudiengänge mit attraktiven Abschlüssen. Wir müssen da allerdings auch die Wirtschaft und die Studierenden davon überzeugen, daß diese Abschlüsse etwas wert sind. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Fachhochschulen mit ihrem kürzeren Studium auszubauen. Die Fachhochschulen attraktiver zu gestalten ist aber auch verbunden mit einigen Fragen, die in nächster Zeit zu klären sind und sicherlich Proteste provozieren werden. Ich meine die beamtenrechtliche Laufbahn. Muß es auf ewig festgezimmert sein, daß Fachhochschulabsolventen im öffentlichen Dienst mit A 9/ A 10 anfangen, während Absolventen der Hochschulen bei A 13 einsteigen? Ein zweiter Punkt: Professoren für die Fachhochschulen zu gewinnen ist schwierig. Sie müssen nämlich im Wettbewerb mit der Wirtschaft gewonnen werden. Zwischen Wirtschaft und Fachhochschule ergeben sich mittlerweile derart hohe Einkommensunterschiede, daß es immer schwieriger sein wird, die Professuren mit qualifizierten Persönlichkeiten zu besetzen. Leider konnten der Haushaltsausschuß und das Hohe Haus nicht der Empfehlung des Wissenschaftsrates für eine deutliche Erhöhung der C-3-Stellen folgen. Immerhin war die Verbesserung des Schlüssels auf 60 (C 3) zu 40 (C 2) ein Schritt in die richtige Richtung. Fazit: Wir müssen mehrere Instrumente zur gleichen Zeit anwenden. Bund und Länder müssen zusammen tragfähige Konzepte erarbeiten, und zwar unter dem Leitsatz, daß die Investitionen in Bildung und Wissenschaft die wichtigsten Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft sind. Und vielleicht muß der Bund mehr Kompetenzen bekommen, wenn die Länder versagen. Dr. Rainer Ortleb Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf für den Haushalt 1992 des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft sieht Ausgaben in Höhe von insgesamt 6,451 Milliarden DM vor. Gegenüber dem diesjährigen Haushalt bedeutet dies einen überdurchschnittlichen Anstieg um 4,5 % . Die Bundesregierung dokumentiert damit den hohen Stellenwert, den sie Bildung und Wissenschaft beimißt. Der Entwurf des Einzelplans 31 bietet eine solide finanzielle Basis zur Lösung der im Jahre 1992 zu bewältigenden Aufgaben. Im Mittelpunkt der Anstrengungen stehen auch im kommenden Jahr der weitere Ausbau sowie inhaltliche und strukturelle Verbesserungen von Bildung und Wissenschaft in den neuen Ländern. Daneben gilt es, die notwendigen Reformen in den alten Bundesländern fortzuführen. Die Ansätze des Haushaltsentwurfs tragen dieser Aufgabe und damit einer weiteren erfolgreichen Entwicklung von Bildung und Wissenschaft im geeinten Deutschland Rechnung. Folgende Punkte des Haushaltsentwurfs 1992 möchte ich besonders herausstellen: Erstens. Der beruflichen Bildung gelten besondere Anstrengungen. Die hierfür vorgesehenen Ausgaben sollen um mehr als 40 % steigen. Hauptaufgabe wird erneut sein, allen Jugendlichen in den neuen Ländern einen Ausbildungsplatz anzubieten. Die nahezu ausgeglichene Lehrstellenbilanz dieses Herbstes ist eine hervorragende Ausgangsposition. Allerdings muß im nächsten Jahr der Anteil der betrieblichen Ausbildungsplätze noch erheblich gesteigert werden. Für das Ausbildungsförderungsprogramm stehen — nach 75 Millionen DM im laufenden Jahr — im Jahre 1992 weitere 175 Millionen DM zur Verfügung. Daraus können für Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten Zuschüsse in Höhe von 5 000 DM pro eingestelltem Auszubildenden finanziert werden. Die Bundesregierung sieht in dieser Maßnahme gleichzeitig einen wirksamen Beitrag zum Auf- und Ausbau einer gesunden mittelständischen Wirtschaftsstruktur und damit des dualen Systems, in dem gerade kleinere Betriebe eine wichtige Rolle spielen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 5129* Für die Förderung überbetrieblicher Berufsbildungsstätten sind die Mittel um 17 Millionen DM auf insgesamt 130 Millionen DM aufgestockt worden. Die überbetrieblichen Berufsbildungsstätten sind zu einem unverzichtbaren Strukturelement der dualen Berufsausbildung geworden. Sie tragen wesentlich zur Verbesserung der Qualität der beruflichen Ausbildung bei. Das Netz der überbetrieblichen Berufsbildungsstätten wird nunmehr auch auf die neuen Länder ausgedehnt. Die Planung sieht dort die Errichtung von 7 000 Werkstattplätzen vor. Zur Verbesserung der Qualität der beruflichen Bildung in den neuen Ländern gehört auch die Qualifizierung des Personals. Gegenüber dem laufenden Jahr werden die Mittel um ein Viertel auf 25 Millionen DM erhöht. Daneben sind für die Modernisierung der Ausstattung beruflicher Ausbildungsstätten in den neuen Ländern nach 8 Millionen DM in diesem Jahr weitere 8 Millionen DM im Jahre 1992 veranschlagt. Erstmals sind 5,5 Millionen DM zur Entwicklung regionaler beruflicher Weiterbildungshilfen in den neuen Ländern vorgesehen. Hinweisen möchte ich auf die schwierige Situation an den Berufsschulen in den neuen Ländern. Hier besteht dringender Handlungsbedarf der dafür zuständigen Länder und Kommunen, denn eine leistungsfähige Berufsschule ist notwendig für eine hohe Qualität des dualen Systems der Berufsausbildung. In diesem Jahr ist die vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft ins Leben gerufene Begabtenförderung in der beruflichen Bildung angelaufen. Wie dringlich es war, diese Lücke zu schließen, zeigt die große Zahl vorliegender Anträge. Ich darf an dieser Stelle noch einmal betonen, daß es hierbei um die Förderung der berufsbegleitenden Weiterbildung begabter junger Berufstätiger geht, die im Beruf bleiben wollen. Der Haushaltsentwurf für 1992 sieht fast eine Verdoppelung der Mittel gegenüber 1991 auf 18 Millionen DM vor. Mittelfristiges Ziel ist es, für diese Förderung eine ähnliche Größenordnung wie bei der Begabtenförderung im Hochschulbereich zu erreichen. Zweitens. Die Sicherung und Stärkung der Leistungsfähigkeit von Lehre und Forschung an den Hochschulen in den alten und den neuen Ländern hat angesichts weiter steigender Studentenzahlen für die Bundesregierung höchste Priorität. Die Ausgaben für den Aus- und Neubau von Hochschulen im vorliegenden Haushaltsentwurf liegen mit 1,6 Milliarden DM auf dem hohen Niveau des Jahres 1991. Die Bundesregierung schafft damit bei anhaltend hoher Nachfrage nach Studienplätzen und den dringend notwendigen Sanierungs- und Ausbaumaßnahmen in den neuen Ländern die finanzielle Grundlage für die erforderlichen Baumaßnahmen und die zunehmend wichtiger werdende Ausstattung mit modernen Großgeräten für Forschung und Lehre. Zusammen mit dem von den Ländern aufzubringenden Anteil stehen damit 3,2 Milliarden DM für den Hochschulbau zur Verfügung. Circa 600 Millionen DM entfallen davon auf die neuen Länder. Der Bedarf dieser Länder wird in den nächsten Jahren deutlich steigen, wenn die Planung der dringenden Sanierungs- und Ausbaumaßnahmen weiter fortgeschritten ist. Der Wissenschaftsrat schätzt ab 1993 den Finanzbedarf für die alten und neuen Länder auf insgesamt 2 Milliarden DM jährlich an Bundesmitteln. Ich kann die hinter dieser Aussage stehende Sicht der Entwicklungstendenzen des Bedarfs und der Ausbaunotwendigkeiten durchaus nachvollziehen. Konkret werden wir darüber beim Haushalt 1993 sprechen müssen. Eines aber halte ich heute schon in aller Deutlichkeit fest: Eine Politik flächendeckender Zugangsbeschränkungen werde ich nicht akzeptieren. Wichtiges Element der Offenhaltungspolitik und der Steigerung der Leistungsfähigkeit von Forschung und Lehre bleiben die laufenden Hochschulsonderprogramme. Sie werden gemeinsam mit den Ländern weitergeführt. Für das Hochschulsonderprogramm I stehen 1992 150 Millionen DM zur Verfügung. Für das in diesem Jahr angelaufene Hochschulsonderprogramm II, das insbesondere der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, der Förderung von Frauen in der Wissenschaft, der Stärkung der Fachhochschulen und der Intensivierung der europäischen Zusammenarbeit im Hochschulwesen dient, sind im Etatentwurf 165,9 Millionen DM veranschlagt. Ich bin erfreut darüber, daß es gelungen ist, in diesem Programm deutliche Schwerpunkte bei der Frauenförderung, z. B. durch die Einführung neuer Wiedereinstiegsstipendien und von Kinderbetreuungszuschlägen zu Stipendien, zu setzen. Als Beitrag des Bundes für die Förderung der Forschung soll die Deutsche Forschungsgemeinschaft insgesamt rund 860 Millionen DM an Bundesmitteln erhalten. Dabei werden die für die Allgemeine Forschungsförderung und die Sonderforschungsbereiche vorgesehenen Mittel der DFG für die alten Länder um die vom Bundeskanzler und den Regierungschefs der Länder vorgesehene Rate von 5 % steigen. Für die neuen Länder ist im Hinblick auf den Nachholbedarf ein höherer Aufwuchs gegenüber dem Vorjahr vorgesehen, so daß die DFG-Mittel für die Allgemeine Forschungsförderung und die Sonderforschungsbereiche um insgesamt rund 7 % steigen werden. Erstmals sieht der Entwurf des Einzelplans 31 einen Ansatz zur Förderung von angewandter Forschung und Entwicklung an Fachhochschulen vor. Dadurch soll die Basis für ein stärkeres Engagement der Fachhochschulen in Vorhaben der angewandten Forschung und Entwicklung, die für die Qualität und den Praxisbezug der Lehre von erheblicher Bedeutung sind, in allen dort vertretenen Fachbereichen geschaffen werden. Die Förderung soll im Rahmen eines gemeinsamen Bund-Länder-Programms auf der Grundlage einer Vereinbarung nach Art. 91 b des Grundgesetzes erfolgen. Ich gehe davon aus, daß die Länder die Möglichkeit ergreifen werden, sich an diesem Programm zu beteiligen. Für das „Erneuerungsprogramm für Hochschule und Forschung in den neuen Ländern", das Bund und Länder im Juli dieses Jahres unterzeichnet haben, sind für 1992 rund eine halbe Milliarde DM vorgesehen (nur für 1992 im Einzelplan 60). Mit diesem Programm, an dessen Umsetzung die Verwaltungen der neuen Länder mit Nachdruck arbeiten, wird die Grundlage für den Neuaufbau von Hochschule und Wissenschaft in den neuen Ländern und Berlin mit dem Ziel der Verbesserung von Qualität in Forschung 5130* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 und Lehre geschaffen. Dabei geht es neben verschiedenen Maßnahmen zur personellen Erneuerung und zur Verbesserung der Ausstattung der Hochschulen und ihrer Infrastruktur auch um die Eingliederung von Forschern und Forschergruppen der Akademien der ehemaligen DDR in die Hochschulen und um die Förderung neuer Einrichtungen des außeruniversitären Forschungsbereichs. Für Maßnahmen beim Studentenwohnraumbau im Rahmen des Förderungsprogramms von 1990 bis 1994 sind nach 150 Millionen DM für 1991 im Jahre 1992 200 Millionen DM vorgesehen. In dem genannten Zeitraum werden unter Berücksichtigung auch der von den Ländern und Trägern von Maßnahmen aufzubringenden Mittel Investitionen in Höhe von mehr als 2 Milliarden DM mobilisiert, um der Wohnungsnot der Studenten zu begegnen. Drittens. Die veranschlagten Mittel für Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz liegen mit 2,7 Milliarden DM knapp über dem Ansatz von 1991. Sie werden ausreichen, um alle Berechtigten zu fördern. Dabei ist berücksichtigt, daß durch ein 15. BAföG-Änderungsgesetz u. a. Bedarfssätze und Freibeträge zum Herbst 1992 angepaßt werden sollen. Viertens. Die Mittel für Maßnahmen auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Weiterbildung und für Zuschüsse an Weiterbildungseinrichtungen sollen von 48,6 Millionen DM im laufenden Jahr auf knapp 61 Millionen DM steigen. Dieser Mittelansatz trägt dazu bei, die Weiterbildung zu einem gleichwertigen Teil des Bildungswesens weiter auszubauen und in den neuen Ländern eine plurale, bedarfsgerechte Weiterbildungsstruktur zu schaffen. Fünftens. Die Bundesregierung beabsichtigt, auch im Jahre 1992 die Förderung von Auslandsaufenthalten deutscher Hochschulabsolventen und Studenten sowie des Austausches von Wissenschaftlern mit dem Ausland — auch im Hinblick auf die Entwicklung in den mittel- und osteuropäischen Staaten — weiter auszubauen. Dafür sollen 60 Millionen DM zur Verfügung stehen. Sechstens. Die Zuschüsse an die Begabtenförderungswerke, die Stipendien an Studenten und junge Nachwuchswissenschaftler vergeben, werden auf insgesamt 113,6 Millionen DM, einschließlich 27 Millionen DM für die Promotionsförderung, aufgestockt. Dazu kommen weitere 16,3 Millionen DM für die Förderung von Postdoktoranden, die von der DFG als Stipendien vergeben werden. Der Entwurf des Einzelplans 31 des Bundeshaushalts für 1992 bietet insgesamt eine solide finanzielle Grundlage, die vor uns liegenden Aufgaben in Bildung und Wissenschaft im vereinten Deutschland zu bewältigen. Ich danke den Berichterstattern und dem Haushaltsausschuß für ihre Unterstützung und bitte um Ihre Zustimmung zum Etatentwurf.
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    Rede von Dr. Volkmar Köhler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir das Budget der Außenpolitik des vereinigten größeren Deutschland beraten, steht natürlich die Diskussion über die größere Verantwortung dieses Landes auf der Tagesordnung. Dazu ist schon einiges gesagt worden. Ich möchte es noch etwas weiterführen, weil ich in der Tat glaube, daß Regierungshandeln und parlamentarische Auseinandersetzung noch manches zu leisten haben, um in unserem gesamten Land einschließlich der neuen fünf Bundesländer einen ausreichenden Grundkonsens über das zu festigen, was diese Verantwortung beinhaltet und Linie unserer Politik sein sollte. Es ist um so nötiger, weil es natürlich auch Geld kostet, für das ja auch immer wieder genügend anderer Bedarf in diesem Hause angemeldet wird.
    Ich hatte in der Vergangenheit manchmal den Eindruck, daß die Diskussion über den Inhalt dieser Verantwortung deutscher Außenpolitik allzu schnell in operationale Fragen — „out of area"-Einsätze und dergleichen — überging, so daß dann sehr schnell der Verdacht kam, als sei es unser besonderer Ehrgeiz, irgendwo auf dieser Welt Schutztruppen auszusenden. Sie kennen auch die absichtsvollen Verdächtigungen aus serbischem Munde, die uns der Großmachtsucht auf dem Balkan zeihen. Was auch immer hier absichtsvoll ist und zurückgewiesen werden kann und muß, so bleibt es doch unsere Aufgabe, hier deutlich zu sagen, wofür wir stehen.



    Dr. Volkmar Köhler (Wolfsburg)

    Das ist um so nötiger, weil es ja einen sehr kurzen Traum gab, nach Ende der Ost-West-Konfrontation und der Aufhebung der Teilung unseres Landes seien alle Probleme gelöst. Wir haben lernen müssen, daß nach der Erstarrung der Welt auf den Linien von Jalta wir plötzlich in unruhige Nachbarschaft geraten sind und wahrscheinlich geraume Zeit mit ihr leben müssen.
    In dieser Situation, meine ich, verdienen einige Dinge der Hervorhebung. Lassen Sie mich zunächst einmal zwei, drei Bemerkungen über sichere Konstanten machen, die wir bewahren und bewahren sollten. Da ist zuerst unser unverrückbares Eintreten für den Frieden. Ich beziehe mich auf das, was Kollege Vogel in diesem Zusammenhang gesagt, um Zeit zu sparen.
    Das zweite ist der Gesichtspunkt, daß Sicherheitspolitik in einer unruhigen Umgebung natürlich weiter eine Rolle spielen muß. Auch weiterhin bleibt Wachsamkeit der Preis der Freiheit. Nur sie eröffnet uns die Chance, die Fundamente der Freiheit weiterhin politisch zu sichern. So ist das NATO-Bündnis eine der Konstanten unserer Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Frieden bedarf der Friedensordnung, der sich alle unterwerfen. Damit sind wir bei einer ganz entscheidenden Konstante unserer Politik, nämlich der Idee des vereinigten Europa. Diese großartige Idee, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, darf in der Diskussion nicht verschlissen werden, die wir über viele unendlich wichtige Einzelheiten auch führen müssen, ob es Marktordnungen oder Freihandelsregelungen oder die Rechte der Institutionen sind. Darum bemühen wir uns ja zäh.

    (Vorsitz : Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)

    Aber wir müssen dabei auch immer wieder auf Kernideen zu sprechen kommen. Eine davon ist ganz gewiß die historische Lehre, daß Europa keine Hegemonie verträgt, weder einmal die spanische noch die französische noch die deutsche noch irgendeine andere denkbare.

    (Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Noch die niederländische!)

    Dieser Erkenntnis unterwirft sich das größere Deutschland, auch in Zukunft.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Dies sollte sicher stehen. So sind aus Nachbarn Freunde geworden.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Das heißt nicht nur, daß wir Toleranz üben wollen und einfordern und den anderen ertragen, sondern daß wir den anderen wollen, daß wir aus der Vielfalt die Einheit realisieren wollen.
    Dies hat Konsequenzen für die Minoritätenpolitik im gesamten Europa. Wer in Europa wohnen will, der darf eben nicht in großrussischen, großserbischen, großrumänischen oder irgendwelchen sonstigen ,,Groß"-Träumen denken. Vielmehr ist ihm eine Gestaltungsaufgabe für das Zusammenleben und nicht nur purer Legalismus abverlangt.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    Darüber müssen wir um so mehr reden, als wir ja nicht nur von EG-Europa und nicht nur von der Verschiebung der Armutsgrenze nach Osten reden. Wir haben die unglaubliche Chance, wieder zu realisieren, daß Prag — z. B. in der Zeit Karls IV. — einmal das Herz Europas war.

    (Bundesminister Hans-Dietrich Genscher: Es ist es immer noch!)

    Wir können an die Worte von Sir Edward Grey denken, der 1914 sagte: In Europa gehen jetzt die Lichter aus. Es wird sehr, sehr lange dauern, bis sie wieder leuchten. — Für uns ist diese Hoffnung wieder sichtbar geworden. Aber das, meine Damen, meine Herren, ist auch das einzige, was wir noch an Gedanken an 1914 haben sollten. Wer glaubt, auf die damaligen Spannungsverhältnisse wieder zurückgehen zu können, und wer jetzt meint, über Revision von Pariser Vorortverträgen usw. reden zu können, ist nicht Gestalter der Zukunft, sondern Schöpfer neuer Zwistigkeiten.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    Die durchgängige Ratio, die uns für unsere Politik abverlangt wird, kann meines Erachtens nur die Anwendung der Prinzipien sein, die uns zu dem großen Glück der Wiedervereinigung unseres Landes verholfen haben, nämlich Menschenrechte, Freiheit, Rechtsstaat, Demokratie und eine Wirtschaftsform, die die Fähigkeiten des einzelnen entfesselt. Wenn wir dies vertreten, dann vertreten wir nicht irgendeine spezifisch deutsche Position, sondern wir vertreten die besten Prinzipien z. B. aus der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Und wir vertreten genau die geistigen Grundlagen der Vereinten Nationen, die zum Zwecke der Realisierung dieser Ideen geschaffen worden sind. Daran müssen und können wir unsere Tätigkeiten gegenüber der übrigen Welt meines Erachtens ausrichten.
    Und hier ist es mein Wunsch, daß wir Bestand aufnehmen, daß manche Schichtung und Lagerung aus vergangenen Jahrzehnten von uns geprüft wird. Ich denke z. B. an die Allokation unserer Entwicklungshilfe, die aus vielen Begründungszusammenhängen so entstanden ist, die wir aber jetzt prüfen sollten, ob sie nicht unter solchen Gesichtspunkten neue Akzente erfahren sollte. Ich begrüße die ersten Schritte, die Minister Spranger in dieser Richtung getan hat, ausdrücklich. Ich bitte herzlich darum, daß die beteiligten Ressorts und das Parlament in engem Zusammenwirken darauf hinarbeiten, daß wir uns, Herr Brecht, nicht mehr über Glaubwürdigkeitsprobleme unterhalten müssen. Die sachlichen Gegensätze zwischen Außenwirtschafts-, Außenpolitik, Entwicklungspolitik und anderen Politiken wird es immer geben. Aber unsere große Aufgabe ist, herauszufinden, wie wir dies zu einem konsistenteren Bild deutscher auswärtiger Beziehungen auffüllen können. Lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten. Denn ich glaube, daß wir damit gerade auch der jungen Generation



    Dr. Volkmar Köhler (Wolfsburg)

    unseres Landes die Möglichkeit einer anderen und stärkeren Identifikation mit diesem Staat und mit der Zukunft geben, die sie gestalten soll.
    Entwicklungspolitik und auswärtige Kulturbeziehungen sind gegenüber einem großen Teil der Welt die tragenden Säulen unserer Außenbeziehungen. Deswegen habe ich soeben dieses Plädoyer für Entwicklungspolitik gehalten. Deswegen schließe ich mich fast allen Vorrednern an, die einen qualitativen und quantitativen Sprung in der auswärtigen Kulturpolitik für die Zukunft eingefordert haben. Ich bin genau der gleichen Auffassung.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Norbert Gansel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Norbert Gansel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über viele Jahrzehnte hat der OstWest-Konflikt unseren Blick auf die große Gefahr eines großen Krieges — die Gefahr eines Atomkrieges — fixiert. Das hat uns den Blick auf andere, nichtmilitärische Risiken versperrt.
    Welche moralischen, ökonomischen und ökologischen Verwüstungen der Kommunismus in seinem Machtbereich angerichtet hat, wird erst jetzt richtig deutlich, nachdem der Eiserne Vorhang fortgezogen worden ist. Schon hört man Stimmen, wo man sie nie erwartet hätte, die sich nach dem stabilen Eis des Kalten Krieges zurücksehnen. Jetzt taut alles auf. Alles ist in Bewegung. Es gibt sogar Feuerzeichen. Aber alles wäre noch schlimmer geworden, wenn das kommunistische System länger gehalten hätte. Zusammenbrechen mußte es.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Der Wettlauf der Systeme, die ökonomische Hochrüstung im Norden, die davon beeinflußte Unterentwicklung des Südens, die rücksichtslose Ausbeutung der Natur und die Zerstörung der Umwelt haben die Gefahr einer weltweiten Klimakatastrophe erhöht. Hunger, Armut und rasantes Bevölkerungswachstum in den früher als „Dritte Welt" bezeichneten Regionen, Nationalismus und religiöser Fundamentalismus, Hegemonialstreben, konventionelle und atomare Aufrüstung, Kriege und Bürgerkriege, Flüchtlingsbewegungen — das sind nicht nur regionale, sondern vielmehr globale Risiken.
    Ich habe den Eindruck, daß das Bewußtsein für diese Gefahren überall wächst. Die Folgerungen sind unterschiedlich. Die einen — mehr auf der konservativen Seite angesiedelt — neigen zur Abschottung, als ob es in der Festung Europa für unsere Kinder noch Sicherheit gäbe. Diese Festung könnte aber zur Falle werden. Die anderen — eher auf der Linken zu finden — neigen dazu, Lösungen nur auf der globalen Ebene zu suchen. Dabei wissen wir, daß dazu Zeit erforderlich ist und daß wegen der inneren Dynamik dieser Risiken nichts knapper ist als die Zeit. Wer die Beschleunigung des Bevölkerungswachstums in der Dritten Welt oder die Klimaverschlechterung analysiert, muß geradezu zu dem Ergebnis kommen, daß wir — so formulierte es mein Kollege Michael Müller — in einer Zeitfalle stecken. Weder Festungsdenken noch die Vertröstung auf globales Handeln stellen einen Ausweg aus diesem Dilemma dar. Wir haben nur wenig Zeit für neues Handeln und noch weniger Zeit für ein neues Denken.
    Unser Bewußtsein muß sich in zwei entscheidenden Bereichen ändern. Erstens. Die klassischen Ziele und Instrumente der Außenpolitik von Nationalstaaten oder Bündnissen sind obsolet geworden. Wir brauchen ein Bewußtsein von Weltinnenpolitik. Die großen Probleme dieser Welt können wir nur noch gemeinsam lösen.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Zweitens. Die ökonomischen, die ökologischen und die sozialen Zusammenhänge und Auswirkungen der globalen Risiken müssen in gleicher Weise zu einem Bewußtsein von Weltinnenpolitik führen. Vor allem die innere Politik der großen Industriestaaten hat weltpolitische Bedeutung. Wenn wir den ökologischen Umbau unserer Industriegesellschaft nicht bewältigen, ist die ganze Welt zu einer ökologischen Katastrophe verurteilt.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Das gilt nicht nur für unsere Industriegesellschaft, sondern auch für unsere Agrargesellschaft, auch in der Bundesrepublik. Der Bundeskanzler hat heute mittag von der GATT-Runde gesprochen. Richtig ist: Die Entwicklungsländer haben nur die Chance zur Selbsthilfe, zur Entwicklung einer Eigenversorgung und zum Export, wenn die Preise auf den Weltmärkten nicht länger durch massive Subventionen und durch eine durch die chemische Industrie hochgeputschte Produktivität der europäischen und der nordamerikanischen Landwirtschaft ruiniert werden.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Der Kanzler hat das Problem erkannt. Doch hat er den für unsere Gesellschaft notwendigen Schluß — Maßnahmen, die dazu führen müssen, daß wir nicht ausschließlich an Produktivität orientierte Leistungsentgelte zahlen und Subventionen abbauen, sondern den Landwirten direkte Einkommenshilfen geben, damit sich bei uns eine bäuerliche Struktur bei einem geringeren Einsatz von Chemie erhalten kann — noch nicht ziehen können. Dieser Schluß ist aber nötig, in dem Bewußtsein, daß Weltinnenpolitik auch Innenweltpolitik ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wenn wir heute einen Bundeshaushalt verabschieden, dann müssen wir uns klarmachen, daß mit den Etats für Wirtschaft, Technologie und Forschung, Umwelt, Landwirtschaft und Verkehr in der internationalen Politik wahrscheinlich mehr verändert wird als durch die Verabschiedung des Etats eines klassischen Auswärtigen Amtes. Sozialdemokratische Außenpolitik versteht sich deshalb im Unterschied zur Außenpolitik dieser Bundesregierung als eine integrative Funktion nationaler und internationaler Verantwortung.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)




    Norbert Gansel
    Nach der Rede des Kollegen Köhler habe ich den Eindruck, daß sich auch in der Union etwas bewegt. Das kann der großen Aufgabe ja nicht schaden.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Weil wir mit großen regionalen und globalen Risiken konfrontiert sind und weil die Zeit so knapp ist, hat das Handeln in und mit den vorhandenen internationalen Organisationen Priorität.
    Erstens. Wir sind zunächst für die Vertiefung und dann für die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft. Zusammen bedeutet das: Europa-Innenpolitik.
    Wenn es auf dem Gipfel von Maastricht allerdings keine substantiellen Verbesserungen gibt, ist die Ratifikation der Europaverträge im Bundestag gefährdet. Die Bundesregierung, nein Europa braucht eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Für Europa ist sie gewährleistet, aber nicht für faule Kompromisse, die zu Verhandlungserfolgen der Bundesregierung hochgejubelt werden.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wenn Maastricht scheitert, wird darüber nachgedacht werden müssen, nicht die Regierung, sondern eine verfassunggebende Versammlung mit der Schaffung der vereinigten Staaten von Europa zu betrauen, wie es das Europäische Parlament vorgeschlagen hat. Aber viel kostbare Zeit würde dadurch verlorengehen, und Zeit ist knapp.
    Zweitens. Zeit und Chancen sind schon auf dem NATO-Gipfel in Rom vor zwei Wochen vertan worden. Die NATO hat nicht die Kraft gefunden, beispielgebend auf die Stationierung taktischer Atomwaffen in Europa und auf die Androhung des nuklearen Erstschlages zu verzichten. Es ist aber ein Fortschritt, daß die NATO auf ihrem Gipfel der Zusammenarbeit in der KSZE Raum gegeben hat. Die Regierungschefs der NATO vertreten dabei Auffassungen, für die die Sozialdemokraten lange gekämpft haben. Die Formulierungen zur gemeinsamen Sicherheit gehen Ihnen heute so leicht über die Lippen wie früher nur Egon Bahr.

    (Volker Rühe [CDU/CSU]: Ja, aber das war ein anderes Geschehen! Das war eine völlig andere Lage!)

    Wir wollen eine NATO, die sich bei Wahrung der Sicherheit und Stabilität in Europa so verändern kann, wie sich die KSZE zu einem System kollektiver Sicherheit entwickelt. Wir fordern den Bundesaußenminister auf, sich dafür einzusetzen, daß sich das zweite Außenministertreffen der KSZE in Prag im Januar zu dieser Perspektive bekennt.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir fordern die Schaffung einer KSZE-Agentur für Konversion im Rüstungsbereich. Auch die Atomkraftwerke im Osten müssen ein Thema der KSZE bleiben.
    Drittens. Die Bundesrepublik, die EG, die NATO und die KSZE müssen sich in die Weltinnenpolitik einordnen. Die neue Weltordnung, die wir wollen, ist nicht die Sache der Vereinigten Staaten, sondern der Vereinten Nationen. Jetzt, nach dem Ende des OstWest-Konflikts, brauchen wir eine UNO der zweiten Generation. Die SPD-Fraktion wird deshalb in den nächsten Wochen im Bundestag einen umfassenden Vorschlag zur Reform der UNO vorlegen, den mein Kollege Günter Verheugen initiiert hat. Wir wollen damit die UNO für die globalen Risiken rüsten. Das ist eine Form von Rüstung, die die Welt braucht.

    (Beifall bei der SPD)

    Zu den gefährlichen Risiken in Europa gehören die zivilen, aber auch die militärischen Risiken, die sich aus der Unterdrückung von Minderheiten, aus Nationalitätenkonflikten und aus Grenzstreitigkeiten, möglicherweise mit militärischen Mitteln ausgetragen, ergeben können.
    Wir Sozialdemokraten sind traditionell entschiedene Verfechter des Selbstbestimmungsrechts der Völker und entschiedene Gegner jeder Form von Nationalismus. Auf dieser Basis gilt es, praktische Politik zu machen.
    Erstens. Wir verlangen von jedem alten und von jedem neuen Staat die Respektierung der Rechte der in ihrem Staat lebenden Menschen und Minderheiten.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerd Poppe [Bündnis 90/GRÜNE])

    Zweitens. Wir verlangen von jedem alten und jedem neuen Staat Respekt vor Grenzen, die nur auf demokratischer Basis und nur durch Verhandlungen verändert werden können.
    Drittens. Den verantwortlichen Politikern, aber auch den Völkern, die in ihren neuen Demokratien für ihre Politiker jetzt Mitverantwortung tragen, muß unmißverständlich klargemacht werden, daß jede Hilfe eingestellt wird, wenn diese ersten beiden Grundsätze nicht eingehalten werden.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerd Poppe [Bündnis 90/GRÜNE])

    Und diese Botschaft, Herr Außenminister, ist noch wichtiger als die Entsendung von Botschaftern.
    Auf gut deutsch: keine müde Mark für einen Staat, der seine demokratische Geschichte mit der Unterdrückung von Menschen- und Minderheitenrechten beginnt und seine Grenzen mit Gewalt verändern will. Es wäre gut, wenn die Bundesregierung dem zustimmen könnte. Das könnte dazu beitragen, eine Jugoslawisierung der Sowjetunion zu verhindern.
    Es gibt bedrohliche Vorzeichen. Es gibt großrussische Ansprüche. In den baltischen Staaten entwickelt sich eine nationalistische Staatsbürgerdoktrin. Zwischen Aserbaidschan und Armenien stehen die Zeichen auf Krieg. Die Ukraine will sich eine Armee zulegen, die weit über ihre Sicherheitsbedürfnisse hinausgeht. Ich bin zutiefst skeptisch, ob es gelingen wird, die sowjetischen Atomwaffenarsenale, insbesondere die Arsenale der taktischen Atomwaffen, unter Kontrolle zu halten. Ich erlebe zuviel Schönrednerei und zuviel Vertrauen in die Erklärungen sowjetischer Politiker, deren Zukunft wir nicht kennen.
    Ich weiß, daß die Bundesrepublik auf das alles nur begrenzt einwirken kann. Wenn wir das versuchen, ist das keine illegitime Einmischung. Schließlich mischt



    Norbert Gansel
    sich auch der ein, der hilft. Das gilt für neue, aber auch für alte Partner, und das muß auch für die Türkei gelten.
    Zwischen den Türken und den Deutschen gibt es traditionell gute und freundschaftliche Beziehungen. Ich habe nicht vergessen, daß nicht wenige Sozialdemokraten nach 1933 in die Türkei gegangen sind und dort praktisch Asyl gefunden haben: z. B. Fritz Baade, mein Vorgänger in meinem Kieler Wahlkreis, oder auch Ernst Reuter.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir sind also nicht nur durch das Grundgesetz verpflichtet, auch Verfolgten aus der Türkei bei uns Asyl zu geben. Wer es aber mit einer präventiven Flüchtlingspolitik ernst meint, wer die Ursachen von Wanderungsbewegungen bekämpfen will, der muß vom türkischen Staat die Einhaltung der Menschen- und Minderheitenrechte verlangen, auf die er sich als Mitglied des Europarats und der KSZE und als NATO-Mitglied besonders verpflichtet hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Unterdrückung der kurdischen Minderheit in der Türkei ist notorisch.
    Die Bundesrepublik hat in den vergangenen Jahren an die Türkei Leistungen im Wert von vielen Milliarden DM im Rahmen der Entwicklungshilfe, der NATO-Verteidigungshilfe und der Rüstungssonderhilfe erbracht. Die militärischen Leistungen werden von der SPD-Fraktion seit vielen Jahren abgelehnt, und wir haben auch diesmal ihre Streichung beantragt.
    Die Türkei ist als NATO-Mitglied von außen nicht bedroht, sie bedroht sich selbst von innen, weil sie die Rechte der kurdischen Minderheit nicht respektiert. Es gibt einen Teufelskreis von polizeilicher und militärischer Gewalt und terroristischen Aktionen der PKK, der mit Angriffen auf irakisches Territorium nun auch schon die Grenzen der Türkei überschritten hat. Die Bundesrepublik darf dazu nicht mit Waffenlieferungen beitragen.

    (Beifall bei der SPD)

    In diesen Tagen ist in der Türkei eine neue Regierung mit Beteiligung der Sozialdemokratischen Volkspartei gebildet worden. Die Folterpraxis soll beendet werden, freie Gewerkschaftsarbeit und ein freies Universitätswesen sollen gewährleistet werden. In den Koalitionsvereinbarungen ist festgelegt worden — ich zitiere —, „daß jeder seine Muttersprache, Kultur, Folklore und Religion studieren, pflegen und entfalten kann".
    Das ist eine hoffnungsvolle Ankündigung für die Kurden, für die Türkei und für das deutsch-türkische Verhältnis.

    (Beifall bei der SPD)

    Die SPD-Fraktion ist bereit, sich für eine massive Erhöhung der Entwicklungshilfe für die Türkei einzusetzen, wenn diese Ankündigungen verwirklicht werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Jugoslawien-Krise ist ein entsetzliches Beispiel dafür, was geschieht, wenn nichts geschieht, solange noch Zeit ist. Die Bundesregierung und der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft haben zu lange und zu langmütig auf die Fiktion eines geeinten Jugoslawiens und auf das postkommunistische Regime in Belgrad gesetzt. Was danach getan wurde, war meist richtig, aber geschah zu spät. Und daraus muß gelernt werden.
    Der Präsident von Bosnien-Herzegowina hat vor einer Woche im Auswärtigen Ausschuß vorgeschlagen, UN-Friedenstruppen in seiner Republik jetzt zu stationieren, damit es gar nicht erst zum Ausbruch von Feindseligkeiten kommt. Ich fordere die Bundesregierung auf, sich dafür rechtzeitig, d. h. unverzüglich in der UNO einzusetzen.
    In Kroatien wird das Morden andauern, solange ein Waffenstillstand nicht durch Blauhelme gesichert werden kann. Mit der Zeit für diplomatische Verhandlungen verrinnt Lebenszeit für Menschen.
    Am Freitag vor einer Woche haben wir im Bundestag in einem der seltenen interfraktionellen Anträge gemeinsam beschlossen — ich zitiere —, „daß sich die Frage der Entsendung von UN-Friedenstruppen auf der Basis eines UN-Mandats mit besonderer Dringlichkeit stellt".
    Als Außenminister Genscher die Einberufung des UN-Sicherheitsrats forderte, haben ihn führende Unionspolitiker an diesem Wochenende böse attakkiert. Sie verlangten die Beteiligung der Bundeswehr an einem UNO-Blauhelmeinsatz in Jugoslawien. Davon war aber in der gemeinsamen Resolution des Bundestages ausdrücklich und aus guten Gründen nicht die Rede gewesen.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Herr Lamers, erklärte, Genscher wolle nur von der eigenen schizophrenen Lage ablenken; sein Verhalten sei absurd. Dieser Vorgang ist aus mehreren Gründen bemerkenswert.
    Erstens. Wer die Formulierung, die der CDU-Politiker für seine eigene Regierung benutzt, nämlich „schizophren" und „absurd", wörtlich nimmt, muß eigentlich den Eindruck haben, diese Bundesregierung sei ein Irrenhaus. Manchem mag jetzt klarwerden, warum Unionspolitiker immer wieder verlangen, die Bundesrepublik müsse sich wie ein normaler Staat verhalten.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Zweitens. In den Unionsparteien gibt es Disziplinprobleme. Ob der neue Fraktionsvorsitzende Schäuble sie allerdings ausgerechnet in der Jugoslawien-Frage lösen kann, muß zweifelhaft erscheinen, denn Herr Schäuble hat vor 14 Tagen militärische Mittel gegen die — ich zitiere — „anscheinend unbelehrbaren Serben" verlangt. Ich zitiere Schäuble weiter: „Das muß sehr wohl in einer internationalen Streitmacht unter Beteiligung der Bundeswehr geschehen." — Der Bundeskanzler hat das, wenn ich ihn



    Norbert Gansel
    heute mittag richtig verstanden habe, als Akt der Unvernunft bezeichnet, und das ist richtig.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Wahrscheinlich sind Ihre Zitate falsch!)

    Drittens. Man muß aber den Eindruck haben, daß Politiker, die sich so äußern — ich habe das militärische Aufdringlichkeit genannt — , weniger die Lösung der entsetzlichen Jugoslawien-Krise als vielmehr die Instrumentalisierung dieser Krise für ihr Ziel im Sinn haben, die Verfassung oder die Verfassungspraxis der Bundesrepublik so zu ändern, daß der Einsatz der Bundeswehr zu anderen Zwecken als denen der Verteidigung möglich wird.
    Viertens. In Jugoslawien muß es aber um den Frieden und nur um den Frieden gehen. Wir haben in unserer gemeinsamen Bundestagsresolution die Bereitschaft der serbischen Seite begrüßt, einer Entsendung von UN-Friedenstruppen zuzustimmen. Es ist jetzt Sache des Sonderbeauftragten der UNO, des ehemaligen amerikanischen Außenministers Vance, die Zusammensetzung und die Stationierungsmodalitäten zu klären. Die Zeit drängt, denn jeden Tag sterben Menschen, und täglich nimmt die Gewalt des Krieges zu. Wer dem UN-Beauftragten ins Handwerk pfuscht, verlängert den Krieg. Die Jugoslawien-Krise verlangt unsere Einmischung. Wer aber Serbien die Beteiligung der Bundeswehr an Blauhelmeinsätzen aufdrängen will, kann fahrlässig oder vorsätzlich die notwendige Zustimmung Serbiens zur UN-Friedenstruppe überhaupt gefährden.
    Meine Damen und Herren, auf die Außenpolitik der Bundesregierung und auf die Nebenaußenpolitik der stärksten Regierungspartei, die diese Bundesregierung trägt, ist kein Verlaß. Sie verdient kein Vertrauen. Deshalb lehnen wir diesen Haushalt ab.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerd Poppe [Bündnis 90/GRÜNE])