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    Plenarprotokoll 12/60 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 60. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 4973 A Tagesordnungspunkt II: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksachen 12/1000, 12/1329) Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes (Drucksachen 12/1404, 12/1600) Hans-Ulrich Klose SPD 4973 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . 4983 B Dr. Hermann Otto Solms FDP 4991D Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 4998 B Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste 5002 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 5007B Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler 5007 C Wolfgang Thierse SPD 5017 C Dr. Otto Graf Lambsdorff FDP 5021 A Ernst Waltemathe SPD 5021 B Michael Glos CDU/CSU 5021 D Gerlinde Hämmerle SPD 5026 B Dietrich Austermann CDU/CSU 5028 B Harald B. Schäfer (Offenburg) SPD . . 5031A Ortwin Lowack fraktionslos . . . 5033D, 5034 B Wolfgang Kubicki FDP 5034 B Namentliche Abstimmung 5035 D Ergebnis 5043 D Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes (Drucksachen 12/1405, 12/1600) Ernst Waltemathe SPD 5036 A Dr. Klaus Rose CDU/CSU 5038 A Dr. Sigrid Hoth FDP 5039 D Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste . . . 5041D Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE 5045 D Friedrich Vogel (Ennepetal) CDU/CSU . 5048 D Dr. Eberhard Brecht SPD 5050 A Dr. Volkmar Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU 5051 D Norbert Gansel SPD 5053 A Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister AA 5056 B Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung (Drucksachen 12/1414, 12/1600) in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte (Drucksachen 12/1428, 12/1600) Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD 5059A, 5069 D Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD . . . . 5061 C Hans-Gerd Strube CDU/CSU 5062 C Andrea Lederer PDS/Linke Liste 5064 C II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . 5066B, 5072D Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD 5066D, 5076D Erwin Horn SPD 5067 B Walter Kolbow SPD 5069 D Günther Friedrich Nolting FDP . . . 5070 C Dr. Fritz Wittmann CDU/CSU 5071 D Stefan Schwarz CDU/CSU 5072 A Hans-Werner Müller (Wadern) CDU/CSU 5073A Dr. Gerhard Stoltenberg, Bundesminister BMVg 5075 D Carl-Ludwig Thiele FDP 5078 A Erwin Horn SPD 5080 A Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu Drucksache 12/1649 5102A Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu Drucksache 12/1650 5108A Abstimmung über Einzelplan 14 5108A Tagesordnungspunkt IV: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 15 zu Petitionen (Wehrforschung — Jäger 90 —) (Drucksache 12/451) Siegrun Klemmer SPD 5080 C Walter Kolbow SPD 5082 C Georg Janovsky CDU/CSU 5083 B Günther Friedrich Nolting FDP 5084 A Katrin Fuchs (Verl) SPD 5084 B Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 5085 C Zusatztagesordnungspunkt: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 12/1154, 12/1363, 12/1387, 12/1392, 12/1526, 12/1660) Wolfgang Vogt (Düren) CDU/CSU . . . . 5086 B Dr. Peter Struck SPD 5087 A Dr. Bruno Menzel FDP 5087 D Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 5088 B Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Drucksachen 12/1421, 12/1600) Helmut Esters SPD 5088 D Dr. Peter Struck SPD 5090 C Dr. Christian Neuling CDU/CSU 5091 B Werner Zywietz FDP 5094 A Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 5095 C Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 5096 C Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 5097D Dr. Ingomar Hauchler SPD 5098 C Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu Drucksache 12/1647 5100A Abstimmung über Einzelplan 23 5110B Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft (Drucksa chen 12/1425, 12/1600) 5104 B Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie (Drucksachen 12/1424, 12/1600) Dr. Emil Schnell SPD 5104 B Dietrich Austermann CDU/CSU 5110 C Dr. Gerhard Riege PDS/Linke Liste . . 5113D Werner Zywietz FDP 5115C Dr. Emil Schnell SPD 5117C, 5121A Dr. Heinz Riesenhuber, Bundesminister BMFT 5118A Josef Vosen SPD 5119B, C Nächste Sitzung 5122 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 5123* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frau Dr. Gisela Babel, Gerhart Rudolf Baum, Dr. Burkhard Hirsch, Wolfgang Lüder (alle FDP) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu Einzelplan 14 — Drucksache 12/1649 — 5123* C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Einzelplan 31 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . . 5123* D Hinrich Kuessner SPD 5125* B Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink FDP . . 5127* C Dr. Rainer Ortleb, Bundesminister BMBW 5128* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 4973 60. Sitzung Bonn, den 27. November 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 27. 11. 91 Blunck, Lieselott SPD 27. 11. 91 * * Böhm (Melsungen), CDU/CSU 27. 11. 91 * * Wilfried Catenhusen, SPD 27. 11.91 Wolf-Michael Clemens, Joachim CDU/CSU 27. 11. 91 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 27. 11. 91 Herta Doppmeier, Hubert CDU/CSU 27. 11. 91 Dr. Fell, Karl H. CDU/CSU 27. 11. 91 Dr. Funke-Schmitt-Rink, FDP 27. 11. 91 Margret Huonker, Gunter SPD 27. 11. 91 Koschnick, Hans SPD 27. 11. 91 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 27. 11. 91 Günther Lenzer, Christian CDU/CSU 27. 11. 91 * * Lüder, Wolfgang FDP 27. 11. 91 Marten, Günter CDU/CSU 27. 11. 91 * * Meißner, Herbert SPD 27. 11. 91 Mischnick, Wolfgang FDP 27. 11. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 27. 11. 91 * * Nolte, Claudia CDU/CSU 27. 11. 91 Dr. Paziorek, Peter Paul CDU/CSU 27. 11. 91 Dr. Pfaff, Martin SPD 27. 11. 91 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 27. 11. 91 * Rempe, Walter SPD 27. 11. 91 Dr. Scheer, Hermann SPD 27. 11. 91 Schulte (Hameln), SPD 27. 11. 91 Brigitte Schuster, Hans Paul FDP 27. 11. 91 Hermann Seidenthal, Bodo SPD 27. 11. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 27. 11. 91 * * Steiner, Heinz-Alfred SPD 27. 11. 91 * * Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 27. 11. 91 Voigt (Frankfurt), SPD 27. 11. 91 Karsten D. Wollenberger, Vera Bündnis 27. 11. 91 90/GRÜNE Zierer, Benno CDU/CSU 27. 11. 91 * * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frau Dr. Gisela Babel, Gerhart Rudolf Baum, Dr. Burkhard Hirsch, Wolfgang Lüder (alle FDP) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu Einzelplan 14 - Drucksache 12/1649 Wir können unsere Zustimmung dazu nicht geben, die Entwicklung des Jägers 90 fortzusetzen. Wir halten es nicht für vertretbar, den Jäger 90 weiter zu entwickeln, da er nicht in Produktion gehen darf. Der Jäger 90 ist kostspielig, aber nicht kostbar. Er ist nicht notwendig, wie jedermann aus der internationalen Lage erkennen kann. Insbesondere ist die ehemalige Bedrohung durch die ehemalige Sowjetunion weggefallen. Der bloße Hinweis auf bestehende Verträge über die Entwicklung des Jägers 90 ist solange ohne Bedeutung, wie nicht einmal versucht wird, über ihre Aufhebung oder Änderung zu verhandeln. Wir haben kein Zutrauen in die reale Entscheidungsfreiheit des Deutschen Bundestages, wenn die Entwicklung einmal abgeschlossen sein wird. Wir befürchten, daß der sogenannte Sachzwang, der Druck aus den verschiedensten Interessen heraus, so groß sein wird, daß mit der Produktion begonnen werden wird. Die selbstbewußten Äußerungen der Industrie, wonach der Entwicklung quasi selbstverständlich die Produktion folgen müsse, weil anderes nicht vernünftig sei, bestätigen diese unsere Einschätzung. Wir halten es für erforderlich, daß mit dem Haushalt 1992 ein Zeichen gesetzt wird, daß der Deutsche Bundestag sowohl Konsequenzen aus der militärischen Entspannung in der Welt als auch aus den Bedürfnissen der Armut in Osteuropa und in der Dritten Welt zieht. Armutsbekämpfung muß Vorrang vor Militäroptionen haben. Wir stimmen deswegen dem SPD-Antrag auf Drucksache 12/1649 zu. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Einzelplan 31 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU): Der Etat des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft beläuft sich im Haushaltsjahr 1992 auf fast 6,5 Milliarden DM. Das entspricht im Vergleich zum Vorjahr einer Steigerung von 4,5 %. Eine wesentliche Ursache für diese Steigerung ist die Aufstockung der Mittel für die berufliche Bildung und Berufsbildungsförderung. Hier wurde der Ansatz um 43 % erhöht. Der Bereich Hochschule und Wissenschaft weist zwar einen wesentlich geringeren Anstieg auf, aber der Vergleich der absoluten Zahlen der beiden genannten Kapitel (berufli- 5124* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 che Bildung ca. 455 Millionen, Hochschule und Wissenschaft fast 3 Milliarden) zeigt die Dominanz dieses Sektors. In beiden Bereichen sind große Herausforderungen zu bewältigen, um unseren wichtigsten Trumpf in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, die hervorragende Ausbildung unserer Jugend, auch in Zukunft gewährleisten zu können. Im Bereich der beruflichen Bildung ist die Lage zur Zeit gespalten: Im westlichen Teil Deutschlands bleiben im lauf enden Ausbildungsjahr 130 000 Ausbildungsplätze unbesetzt. Ein gefährliches Signal für das breite und sichere Fundament unserer Wirtschaft: Hier wird der praktisch und technisch qualifizierte Facharbeiter, der gut ausgebildete und selbständig zupackende Handwerker gebraucht. Deshalb müssen sich die für die Schulausbildung im wesentlichen zuständigen Bundesländer nachdrücklich fragen lassen, ob die Haupt- und Realschulen schwerpunktmäßig auf diese praktische Ausbildung ausgerichtet sind. Mit Recht wird immer mehr beklagt, daß die Schulen auf ein schlimmes Mittelmaß gebracht werden: für die Hochbegabten werden sie langweiliger; immer schwerer und unerträglicher für jene, die eine Abneigung gegen alles Theoretische haben. Der geplante Wegfall der Schulnoten in den Grundschulen Hessens und die bereits verfügte Abschaffung der Schulempfehlung für die weiterführenden Schulen in Rheinland-Pfalz erzeugen einen einseitigen Druck auf das Gymnasium, der seinem Ziel, der Hochschulreife, ebensosehr schadet, wiewenig er einer gediegenen Vorbereitung für die berufliche Bildung nützt. Daß jeder zehnte junge Mensch ohne Berufsabschluß bleibt und damit von Arbeitslosigkeit besonders bedroht ist, ist eine Frage, auf die vor allem die Schulpolitiker der Länder eine Antwort geben müssen, aber eben auch ein Problem, das uns alle angeht. Im Osten herrscht allen Unkenrufen zum Trotz keine dramatische Lehrstellensituation. Dennoch gibt es hier strukturelle Defizite. Zwar findet jeder Ausbildungswillige eine Lehrstelle, aber immer noch bilden zuwenig Betriebe aus. So sind die überbetrieblichen Ausbildungsstätten ausgelastet, während in den Betrieben zuwenig junge Menschen eine Möglichkeit finden, das Gelernte hinterher auch in anderen Unternehmen anzuwenden. Zur Förderung der betrieblichen Ausbildung in den fünf neuen Bundesländern sind 1992 175 Millionen DM vorgesehen; das entspricht einer Steigerung von 133 % . Die Ankündigung dieses 5000-Mark-Programms der Bundesregierung in diesem Jahr hatte Signalwirkung für den Lehrstellenmarkt Ost. Mit der Aufstockung verstärken wir dieses Signal und bieten zugleich mehr kleinen und mittelständigen Unternehmen die Möglichkeit, Ausbildungsplätze zu schaffen. Zu begrüßen ist aber auch die gestiegene Verantwortung vor allem im Handwerk für den eigenen Berufsnachwuchs, denn wer zu spät ausbildet, den bestraft der Markt! Der nachhaltigen Strukturverbesserung in den beigetretenen Ländern dienen auch die Förderungsmaßnahmen zur Qualifizierung von Personal der beruflichen Bildung. Da die Ausbilder bisher überwiegend in Form eines Staatsmonopols ausgebildet wurden, müssen diese Multiplikatoren, denen die jungen Auszubildenden anvertraut sind, an marktwirtschaftliche Prinzipien herangeführt werden. Mit einer Steigerung von 5 Millionen DM unterstreichen wir noch einmal die Bedeutung dieser Projekte und bieten zugleich die Möglichkeit, die Weiterbildung der Ausbilder zu intensivieren, so daß das Fundament für eine dauerhafte Veränderung verbreitert wird. Von besonderer Bedeutung scheint mir auch die Motivation zur Weiterbildung in den Betrieben zu sein. Hier tut dringend ein Bewußtseinswandel der Beschäftigten not, wenn die Leiterin des Arbeitsamtes Sondershausen, wie am 9. September 1991 in der FAZ zu lesen war, „das Interesse an der Weiterbildung ,erschütternd gering' (nennt, und) vor allem in den Großbetrieben (...) viele Leute ,erst einen Topf richtig ausschöpfen' (wollten), also bis zum Jahresende die Kurzarbeiterregelung genießen, dann ,eine Abfindung kassieren' und sich erst danach qualifizieren". An dieser Stelle drängt sich der Schluß auf, daß man mit Geld zwar einiges, aber eben doch nicht alles, z. B. keinen raschen Bewußtseinswandel, bewegen kann. Oder sollte es beim Kurzarbeitergeld lieber etwas weniger, dafür bei der Weiterbildung etwas mehr sein? Ich meine schon! Aus diesem Grund begrüße ich die Einrichtung eines neuen Titels zur Entwicklung von regionalen beruflichen Weiterbildungshilfen mit 5,5 Millionen DM. Mit Hilfe dieses Ansatzes soll der aktuelle regionale Weiterbildungsbedarf in Unternehmen ermittelt werden. Aus diesen Informationen können dann Empfehlungen für die Unternehmen, besonders aber für die betroffenen Arbeitnehmer abgeleitet werden. Auf diese Weise lassen sich komparative regionale Vorteile herauskristallisieren und die vielgestellten Fragen: In welcher Richtung soll ich mich denn weiterbilden? Wo liegen meine größten Chancen? besser beantworten. Am 1. Oktober 1991 nahmen 21 junge Facharbeiter, davon 13 Frauen am Einführungsseminar der Begabtenförderung berufliche Bildung in Schwerin teil, die ersten von 3 200 in diesem Jahr. Gefördert werden können anspruchsvolle berufsspezifische fachliche Qualifikationen, aber auch soziale Fähigkeiten, die sowohl den Bedürfnissen der jungen Berufstätigen als auch den Erwartungen der späteren Arbeitgeber gerecht werden. Für dieses Programm sind im Haushalt 1992 18 Millionen DM vorgesehen, das entspricht einer Steigerungsrate von 80 % . Mittelfristiges Ziel wird es sein, dieses Programm finanziell ähnlich auszustatten wie die Begabtenförderung an den Hochschulen. Insgesamt müssen wir die strukturellen Ungleichgewichte zwischen beruflicher Bildung einerseits und der akademischen Laufbahn andererseits beseitigen, um die Attraktivität des in der Welt vielbewunderten Systems der dualen Ausbildung auch für die Zukunft zu sichern. Das Kapitel Hochschule und Wissenschaft enthält die beiden Hochschulsonderprogramme I und II, die wie mit den Ländern vereinbart weitergeführt werden, um die Situation an unseren Hochschulen weiter zu verbessern. Nicht mehr im Einzelplan 31 veranschlagt sind die 1,32 Milliarden DM, die der Bund 1992 im Rahmen des Erneuerungsprogramms für Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 5125* Hochschule und Forschung in den neuen Bundesländern bereitstellt. Sie werden jetzt im Einzelplan 60 etatisiert. Herausgreifen möchte ich die Studentenwohnraumförderung. Hier hat der Bund im Westen wie im Osten eine große Verantwortung, die weit über den Bildungsetat hinausreicht. Für ca. 1,6 Millionen Studenten stehen in den alten Bundesländern nur 140 000 mit öffentlichen Mitteln geförderte und vergleichsweise preiswerte Wohnungen zur Verfügung. Studenten werden vorübergehend in Turnhallen, Containern, ja sogar in Bauwagen untergebracht. Angesichts dieser Zustände halte ich es für dringend geboten, sowohl das Deutsche Studentenwerk als auch private Investoren verstärkt für den Bau von Studentenwohnungen in frei werdenden Kasernengebäuden zu gewinnen. Der Bund ist hier besonders in der Verantwortung, die kritische Situation zu entschärfen, und sollte sich nicht nur am besten Angebot für die Immobilien orientieren, sondern die optimale Lösung im Interesse unserer Studenten und damit letztendlich auch im wohlverstandenen Interesse unserer Volkswirtschaft suchen. Zum Schluß möchte ich es nicht versäumen, ein Problem besonderer Güte im Hochschulbereich anzusprechen. Warum leisten wir uns in unserer Hauptstadt Berlin mehrere Universitäten, von denen die eine, die Humboldt-Universität, mehr mit internen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, als sich auf ihre originären Aufgaben zu konzentrieren? Ja, die Zustände dort gipfeln darin, daß für die Verbesserung der Ausbildung dringend benötigte Gastdozenten davor zurückschrecken, sich hier zu engagieren. Zerschlagen wir den gordischen Knoten der alten Seilschaften und bilden aus der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Universität eine Freie Humboldt-Universität Berlin! Forschung und Lehre rückten wieder in den Vordergrund, der Verwaltungsapparat könnte verkleinert und die frei werdenden Mittel für Investitionen in die Zukunft aufgewandt werden. Hinrich Kuessner (SPD): Die Zeit nach Abschluß der deutschen Einheit rast dahin — so empfindet man es, wenn man in den neuen Ländern für politische Entscheidungen mitverantwortlich ist. Die Menschen erwarten schnelle und wirksame Entscheidungen für die Umgestaltung der Gesellschaft, Entscheidungen, die sie positiv spüren und die für das Neue stehen. In dieser Woche verabschieden wir den zweiten gesamtdeutschen Haushalt. Bei der Verwirklichung der Einheit spielen Bildung und Wissenschaft eine zentrale Rolle. Das gilt gleichermaßen für den Osten wie für den Westen Deutschlands. Investitionen in diesem Bereich sind Investitionen in unsere Zukunft. Denn eine gute Ausbildung ist das beste Fundament für eine erfolgreiche Berufstätigkeit und damit für die Entwicklung unserer Wirtschaft. Die Erhöhung des Haushaltsvolumens für den Bereich Bildung und Wissenschaft auf rund 6,5 Milliarden DM im Jahr 1992 — und wenn man die im Einzelplan 60 „versteckten" Bildungsausgaben im Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost sowie für das Hochschulerneuerungsprogramm hinzurechnet, werden es sogar rund 7 Milliarden DM — geht in die richtige Richtung. Die Frage ist: Reagiert die Politik im Bereich Bildung und Wissenschaft damit in ausreichender und geeigneter Weise auf die Herausforderungen des Einigungsprozesses? Stolz verkünden Regierung und Koalition: Die Zahl der offenen Ausbildungsplätze betrug in den neuen Ländern am 30. September 1991 6 608 und in den alten sogar 128 534. Im Osten waren zu diesem Zeitpunkt nur noch ca. 2 000 Jugendliche auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Dabei wurde aber übersehen, daß über den Verbleib von rund 45 000 Bewerberinnen und Bewerbern aus den neuen Ländern noch nichts bekannt ist. Sind sie doch in größerer Zahl als vermutet in die alten Länder abgewandert? Haben sie resigniert und auf eine Ausbildung verzichtet, oder haben sie weiterführende allgemeinbildende Angebote wahrgenommen? Dies sind unbeantwortete Fragen. Zweifel sind auch noch auszuräumen, was die Qualität der Ausbildung angeht, womit jedoch der Dank an alle, die sich für die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen in den neuen Ländern eingesetzt haben, nicht geschmälert werden soll. Die weitere Entwicklung von Angebot und Nachfrage nach Ausbildungsplätzen im nächsten Jahr wird nicht nur von uns kritisch beobachtet. Die Kollegin von der FDP Frau Funke-Schmitt-Rink sagte am 14. November hier im Bundestag: Womöglich kommt es 1992 im Osten zu einer Berufsbildungskatastrophe und einer Welle von Ausbildungsflüchtlingen in den Westen. Leider muß die Warnung der Kollegin ernst genommen werden. In Gesprächen mit jungen Leuten in meinem Wahlkreis in Vorpommern wird mir immer wieder vorgehalten: Wo ist der Arbeitsplatz, für den wir ausgebildet werden? In der Region fehlen sichtbare Zeichen für das Entstehen von neuen Arbeitsplätzen. Man hört vor allem von Entlassungen und Ersatzmaßnahmen wie ABM und Kurzarbeit Null. Es fehlt eine gezielte Strukturpolitik, wie man sie z. B. bei der Stahlkrise im Westen praktiziert hat. Auf die tiefgreifenden strukturellen Veränderungen im Ruhrgebiet und im Saarland antwortete man zu Recht mit einem Sonderprogramm für diese Montanregionen. Ich will nicht leugnen, daß man Zeichen des Neubeginns auch in Vorpommern sieht. Besonders gilt dies für die Baubranche. Aber bisher bringt alles nicht viele Arbeitsplätze. Der Bürger sieht noch nicht, wohin die Fahrt geht, und kann sich darum nicht darauf einstellen. Die hohe Zahl der außerbetrieblichen Ausbildungsplätze — ca. 38 000 = 35 % aller Lehrlinge im Osten — ist ein Zeichen dafür, daß es noch nicht in die richtige Richtung geht. Noch können die Handwerksbetriebe in den neuen Ländern ihre Ausbildungsfunktion nicht wahrnehmen. Dies ist kein Vorwurf, sondern eine Aufforderung, gemeinsam darüber nachzudenken, was in der Übergangssituation getan werden kann, um das Recht auf eine qualifizierte Ausbildung für alle Jugendlichen zu verwirklichen. Anträge der SPD lagen mehrfach auf dem Tisch, um das Programm der 5126* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 Förderung der betrieblichen Ausbildung im Osten auszuweiten und effizient zu gestalten. Die Koalition hat sie niedergestimmt, und sie unterstützt damit eine falsche Entwicklung. Es muß alles getan werden, daß wir schnell von der außerbetrieblichen Ausbildung vor allem in Helferberufen wegkommen. Es besteht sonst die Gefahr, daß in die Arbeitslosigkeit hinein ausgebildet wird. Von der außerbetrieblichen Ausbildung sind in einem hohen Maße Mädchen betroffen. Dies ist ein gravierendes Problem und kann nicht verharmlost werden. Nicht selten beklagen sich Frauen und Mädchen in den neuen Ländern über spürbare Benachteiligungen, Gleichheit vor dem Gesetz reicht nicht aus. Benötigt wird eine gezielte Förderung in der Beruf sausbildung, auch in sogenannten Männerberufen. Diese Förderung muß beim Übergang in den Beruf fortgesetzt werden. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein gesamtdeutsches Thema, das noch nicht abgehakt werden kann. Dies ist auch nicht nur ein Frauenthema. Im Osten muß die Qualität der beruflichen Ausbildung insgesamt schneller angehoben werden. Auch wenn die SPD viel weitergehende Vorschläge gemacht hat, ist zu begrüßen, daß im Haushalt '92 der Ansatz für die Qualifizierung von Personal der beruflichen Bildung um 5 Millionen DM angehoben wurde und ein Titel für die Entwicklung von regionalen beruflichen Weiterbildungshilfen mit einem Ansatz von 5,5 Millionen DM geschaffen wurde. Das Umsetzen all dieser Mittel muß schnell und gezielt erfolgen. Auf diesem Gebiet geht mir vieles zu langsam. Wer sich dafür lobt, daß er die Einheit schnell vollzogen hat, darf nun nicht ins Schneckentempo verfallen. Gerade die jungen Menschen müssen jetzt eine solide Ausbildung erhalten. Nur so kann die Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland noch in diesem Jahrhundert erreicht werden. Gerade die Jugend brauchen wir dazu. Das Einsetzen der Milliarden im Osten hat nur Sinn, wenn dadurch Aktivitäten ausgelöst werden. Bei der beruflichen Bildung wird das noch nicht genügend sichtbar. In den Berufsschulen ist dringender Handlungsbedarf, auch von seiten des Bundes über das Programm Aufschwung Ost hinaus. Personell und sächlich muß die Ausstattung verbessert werden. Das Geldausgeben auf diesem Gebiet geht mir zu langsam, und ich bezweifle, daß das Geld immer zukunftsträchtig genug eingesetzt wird. Immer wieder werde ich auf Unzulänglichkeiten in der Lehrmittelausstattung angesprochen. Dem Greifswalder Seminar des Landesinstitutes für Schule und Ausbildung stehen für den Aufbau einer Bibliothek kaum Mittel zur Verfügung. Die Qualität der Referendarausbildung ist somit gefährdet. Sicher das ist zuallererst Ländersache. Auch für die Beschaffung der Schulbücher ist der Bund nicht zutändig. Eine Bonner Lehrerin sammelt für Greifswalder Schulen Schulbücher. Und das wird immer noch gerne angenommen. Es zeigt nur, daß auf dem Sektor der Bildung noch viel Sand im Getriebe steckt. In Mecklenburg-Vorpommern kann es natürlich auch daran liegen, daß dieser Bereich nicht gerade von kompetenten Leuten vertreten wird. Die negativen Entwicklungen im Rechtsextremismus zeigen, daß wir hier keine Zeit haben. Soziale Probleme verstärken Spannungen und erzeugen Gewalt. Bildung ist eine wichtige Waffe dagegen. Trotz der vielen offenen Ausbildungsplätze im Westen gibt es auch dort ungelöste Ausbildungsprobleme. Eine EMNID-Umfrage hat ergeben, daß 14 % der jungen Menschen eines Jahrgangs keinen Ausbildungsabschluß haben. Die Zahl der jugendlichen Langzeitarbeitslosen ist beträchtlich. Die etwa 1,7 Millionen Jugendliche, die seit 1970 ohne eine qualifizierte Ausbildung geblieben sind, sind hier besonders gefährdet. Auch hier zeigt sich, daß in den alten Bundesländern mehr Anstrengungen unternommen werden müssen, damit die Zahl der Jugendlichen ohne Qualifizierung geringer wird. Arbeitgeber und Berufsschulen sind aufgerufen, die Anstrengungen zu verstärken, damit die Abbrecherquote gesenkt und sozialpädagogische Förderung Lernschwacher intensiviert wird. Kein richtiger Weg ist nach Meinung der SPD die Verkürzung der Berufsausbildung für sogenannte praktisch Begabte. Der Bund hat eine besondere Verantwortung für diese benachteiligten Gruppen. Staatliche Bildungspolitik muß allen gleiche Bildungschancen eröffnen. Ich erkenne im Haushalt '92 nicht die Programme, die auf die Lernbedürfnisse aller Jugendlichen genügend reagieren. Den Jugendlichen in Deutschland wird bescheinigt, daß die Bereitschaft zum Lernen bei vielen vorhanden ist, ja, sie war noch nie so groß wie heute. Darum muß unser Bildungssystem jetzt ausgebaut und umgebaut werden, um den Anforderungen der Jugendlichen, aber auch der Erwachsenen sowie den Anforderungen von Gesellschaft und Wirtschaft gewachsen zu sein. Die Wiedereinführung von Zulassungsbeschränkungen an den Hochschulen ist nach Meinung der SPD ein falscher Weg. Daß viele junge Menschen gute Ausbildungen an Hochschulen anstreben, sollten wir nicht verhindern. Um den Einsatz öffentlicher Mittel an den Hochschulen wirkungsvoller zu machen, sind andere Überlegungen notwendig. Arbeitsmarktforscher sagen auch einen höheren Bedarf für die nächste Zukunft voraus. Die Programme im Haushalt '92 sind dafür nicht ausreichend. Neben der Reform der inneren Struktur der Hochschulen müssen die Sonderprogramme neu überdacht werden. Dazu ist der Nachholbedarf der Universitäten in den neuen Ländern zu berücksichtigen. Gemeinsam setzen sich alle Fraktionen im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft für eine Anhebung der Mittel für den Hochschulbau ein. In den Bund-Länder-Gremien müssen die Überlegungen zu einem Hochschulentwicklungsplan — als Teil eines neuen Bildungsplanes — rasch beginnen. Ich will nur auf einen Punkt hinweisen: Für die Studentenwohnraumförderung wurde der Ansatz '92 um 50 Millionen DM auf 200 Millionen DM erhöht. Dieses Geld steht nur den Hochschulen im Westen zur Verfügung. Die Hochschulen in den neuen Ländern kön- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 5127* nen theoretisch der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern beitreten. Aber es fehlen die finanziellen Voraussetzungen, da die Länder 30 und die Träger 40 % der Kosten zu tragen haben. Dies läßt sich nicht realisieren. Für 1991/92 sind darum Mittel im Programm Aufschwung Ost vorgesehen. Dieses Programm muß in den neuen Ländern aber weitergehen. Die Wohnheimplätze in den neuen Ländern sind oft in einem unzumutbaren Zustand. Auch das führt zu Abwanderungen. Hier muß schnell über weitergehende Maßnahmen nachgedacht werden. Der Versorgungsgrad mit Wohnheimplätzen der Studenten in den neuen Ländern liegt mit 75 % weit über dem der alten Länder. Dort betrug er 1990 9,3 %. Aber man darf nicht übersehen, daß die Wohnraumsituation in den neuen Ländern insgesamt mit riesigen Problemen behaftet ist. Außerdem wird die Studentenzahl an den Hochschulen in den neuen Ländern steigen. Die Universität Greifswald hat z. B. nicht einmal 3 900 Studenten. Der Bedarf an Studienplätzen für Studenten aus den neuen Ländern wird in den nächsten Jahren erheblich zunehmen. In der DDR war die Möglichkeit zum Studium nur wenigen gegeben. Eine Reduzierung von Studentenwohnheimplätzen ist keine Lösung. Auch darf das Programm der Studentenwohnraumförderung im Osten nicht zu Lasten des Programms im Westen gefahren werden. Es ist dort ebenso notwendig. Uns allen in diesem Haus ist sicher bewußt, daß eine friedliche und demokratische Entwicklung im geeinten Deutschland nur zusammen mit unseren Nachbarn in Ost und West und Nord und Süd möglich ist. Für die Förderung der Zusammenarbeit mit anderen Staaten und mit internationalen Organisationen auf dem Gebiet von Bildung und Wissenschaft sind im Haushalt bescheidene Mittel eingesetzt. Die Zuschüsse für Investitionen in Mittel- und Osteuropa sind von 3 Millionen DM 1991 auf 4 Millionen DM 1992 erhöht worden. Das ist bei der Größe der Aufgabe ein kleiner Betrag. Noch bedenklicher ist, daß der Betrag 1991 wohl nicht ausgeschöpft wird. Sicher gibt es große Schwierigkeiten, wenn man in Mittel- und Osteuropa etwas machen will. Das kann doch aber nur bedeuten, daß Einsatzbereitschaft und Einfallsreichtum verstärkt werden. Auf neue Herausforderungen muß man mit neuen Ideen antworten. Oder sollen hier schöne politische Titel geschrieben werden, mit denen man sich in der Öffentlichkeit schmückt, aber die in Wirklichkeit nicht realisiert werden sollen? Meine Skepsis ist nicht ganz aus der Luft gegriffen. Schon im Haushalt '91 stand eine globale Minderausgabe von 50 Millionen DM; 1992 beträgt sie 42,5 Millionen DM. Was politische Prosa ist und was Wirklichkeit werden soll, kann also nicht erkannt werden. Die globale Minderausgabe ist ein untaugliches haushaltspolitisches Mittel. Beim ersten gesamtdeutschen Bundeshaushalt hatte ich dafür noch gewisses Verständnis. Es gibt bisher keine Erklärung seitens der Bundesregierung, daß auf dieses Mittel künftig verzichtet wird. Theoretisch ist es z. B. möglich, daß die Ansätze für Qualifizierung von Personal der beruflichen Bildung, für Entwicklung von regionalen beruflichen Weiterbildungshilfen und für Modernisierung und Ausstattung beruflicher Bildungsstätten in den neuen Ländern der globalen Minderausgabe zum Opfer fallen. Wer die globale Minderausgabe zu einem festen Haushaltstitel macht, ist — um es vorsichtig zu formulieren — an der aktiven Haushaltspolitik des Parlamentes nicht interessiert. Das kann und darf nicht unser Interesse sein. Der Einzelhaushalt für Bildung und Wissenschaft wird den Anforderungen und Herausforderungen unserer Zeit nicht gerecht. Die SPD lehnt ihn darum ab. Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink (FDP): Der Etat des Bundesbildungsministers weist in diesem Jahr wieder eine überdurchschnittliche Steigerung aus. Es ist ein Anstieg um 4,5 % auf rund 6,5 Milliarden DM. Die Regierung hat also erhebliche finanzielle Anstrengungen unternommen, auch wenn nicht alle gewünschten Maßnahmen abgedeckt werden können. Wichtige wegweisende Schlüsselentscheidungen sind jedoch in dem Haushaltsplan enthalten. 1. Der Aus- und Neubau von Hochschulen wird um 300 Millionen auf 1,6 Milliarden DM aufgestockt. 2. Für das Ausbildungsplatzförderungsprogramm in den neuen Ländern sind 1992 175 Millionen DM eingestellt. 3. Mit der Verdoppelung der Mittel auf 20 Millionen DM soll die in diesem Jahr begonnene Begabtenförderung in der beruflichen Bildung 1992 ausgebaut werden. Damit ist für den Bereich der beruflichen Bildung eine Ausgabensteigerung um mehr als 43 % vorgesehen. 4. Rund 250 Millionen DM sind für das Erneuerungsprogramm für Hochschule und Forschung in den neuen Bundesländern vorgesehen. Der Bundesbildungsminister hat zu Recht die Erhöhung der BAföG-Leistung um 6 % gefordert. Es geht um die Anpassung der BAföG-Grundbeträge an die kräftig gestiegenen Lebenshaltungskosten im Osten. Ein Hinauszögern der Gleichstellung der ostdeutschen Studenten würde den Abwanderungstrend Richtung West dramatisch verstärken. Doch über berstende Hörsäle können die Hochschulen in Westdeutschland schon zur Genüge klagen. Die Aufbauprobleme im Osten dürfen uns nicht den Blick auf die offenkundigen Probleme im Westen versperren. Deswegen möchte ich an dieser Stelle auf zwei Bereiche dieses Haushalts eingehen, die noch mehr als bisher Schwerpunkte der zukünftigen Bildungspolitik sein müssen. Das ist zum einen die Weiterbildung des dualen Systems in Richtung auf die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung und zum zweiten die Hochschulausbildung. Die Bildungsreform der 70er Jahre hatte vor allem das Postulat der Chancengleichheit und die soziale Öffnung des Bildungswesens zum Ziel. Die Bildungspolitik der 90er Jahre muß die soziale Integration der Jugendlichen über eine bildungsadäquate Beschäftigung im Beruf gewährleisten. Und deshalb begrüßen wir Liberale ausdrücklich die Zielsetzung der Regierung, die berufliche Bildung als gleichwertigen Teil des Bildungswesens auszubauen. Ein Schritt in diese Richtung ist das Programm der beruflichen Begabten- 5128* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 förderung. Diese muß in den nächsten Jahren auf eine Größenordnung wie im Hochschulbereich kommen. Die Öffnung der Hochschulen für qualifizierte Berufstätige ohne Abitur ist vor allem dann zu erwägen, wenn man das Ziel nicht aus dem Auge verliert, Berufsausbildung attraktiver zu machen. Denn über eines sind wir uns alle klar: Die Wachstumsbremse unserer Volkswirtschaft in den nächsten Jahren wird der Facharbeitermangel sein, und die Bildungspolitik der 90er Jahre muß diesen Mangel beheben, indem sie der beruflichen Bildung den Makel der Minderwertigkeit nimmt. Im vereinten Deutschland haben wir 1991 mehr Studierende als Lehrlinge (1,7 Millionen zu 1,5 Millionen). Jugendliche zwischen 18 und 21 Jahren haben zu 31 To inzwischen die Hochschulreife, und die meisten möchten auch studieren. Aber was heißt das heute? Überlange Studienzeiten, Zunahme von unzumutbaren Lehr- und Lernsituationen, Fachwechsel, Studienabbrüche und ungewisse Zukunftsaussichten. Ein Numerus clausus in zahlreichen weiteren Fächern, wie ihn die Hochschulrektorenkonferenz verlangt, ist zu verstehen, aber von Bildungspolitikern/ innen nicht zu vertreten. Die erhebliche Steigerung der Hochschulförderungsmittel im Haushalt 1991 und die konsequente Weiterführung des Ansatzes in 1992 sind zukunftsweisend. Aber die FDP wird auch in Zukunft gemeinsam mit dem Bundesbildungsminister dafür kämpfen, weitere Erhöhungen der Mittel zur Modernisierung und den Ausbau der Hochschulen einsetzen zu können. Trotz der auf 1,6 Milliarden DM erhöhten Bundesmittel für den Hochschulneubau und der zur Lösung der anstehenden Probleme in den Hochschulsonderprogrammen zur Verfügung stehenden Beträge werden wir es nicht zulassen, daß die Länder in ihrem Verantwortungsbereich — und das heißt personelle und materielle Ausstattung der Universitäten und Fachhochschulen — untätig die Hände verschränken und die gestiegenen Studentenzahlen hilflos ignorieren. Wir müssen ohne ideologische Scheuklappen über neue Wege nachdenken. Einige Stichworte: — fachspezifische Hochschuleingangsprüfungen, — rigorose Prüfungen nach der ersten Studienetappe, — Kurzstudiengänge mit attraktiven Abschlüssen. Wir müssen da allerdings auch die Wirtschaft und die Studierenden davon überzeugen, daß diese Abschlüsse etwas wert sind. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Fachhochschulen mit ihrem kürzeren Studium auszubauen. Die Fachhochschulen attraktiver zu gestalten ist aber auch verbunden mit einigen Fragen, die in nächster Zeit zu klären sind und sicherlich Proteste provozieren werden. Ich meine die beamtenrechtliche Laufbahn. Muß es auf ewig festgezimmert sein, daß Fachhochschulabsolventen im öffentlichen Dienst mit A 9/ A 10 anfangen, während Absolventen der Hochschulen bei A 13 einsteigen? Ein zweiter Punkt: Professoren für die Fachhochschulen zu gewinnen ist schwierig. Sie müssen nämlich im Wettbewerb mit der Wirtschaft gewonnen werden. Zwischen Wirtschaft und Fachhochschule ergeben sich mittlerweile derart hohe Einkommensunterschiede, daß es immer schwieriger sein wird, die Professuren mit qualifizierten Persönlichkeiten zu besetzen. Leider konnten der Haushaltsausschuß und das Hohe Haus nicht der Empfehlung des Wissenschaftsrates für eine deutliche Erhöhung der C-3-Stellen folgen. Immerhin war die Verbesserung des Schlüssels auf 60 (C 3) zu 40 (C 2) ein Schritt in die richtige Richtung. Fazit: Wir müssen mehrere Instrumente zur gleichen Zeit anwenden. Bund und Länder müssen zusammen tragfähige Konzepte erarbeiten, und zwar unter dem Leitsatz, daß die Investitionen in Bildung und Wissenschaft die wichtigsten Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft sind. Und vielleicht muß der Bund mehr Kompetenzen bekommen, wenn die Länder versagen. Dr. Rainer Ortleb Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf für den Haushalt 1992 des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft sieht Ausgaben in Höhe von insgesamt 6,451 Milliarden DM vor. Gegenüber dem diesjährigen Haushalt bedeutet dies einen überdurchschnittlichen Anstieg um 4,5 % . Die Bundesregierung dokumentiert damit den hohen Stellenwert, den sie Bildung und Wissenschaft beimißt. Der Entwurf des Einzelplans 31 bietet eine solide finanzielle Basis zur Lösung der im Jahre 1992 zu bewältigenden Aufgaben. Im Mittelpunkt der Anstrengungen stehen auch im kommenden Jahr der weitere Ausbau sowie inhaltliche und strukturelle Verbesserungen von Bildung und Wissenschaft in den neuen Ländern. Daneben gilt es, die notwendigen Reformen in den alten Bundesländern fortzuführen. Die Ansätze des Haushaltsentwurfs tragen dieser Aufgabe und damit einer weiteren erfolgreichen Entwicklung von Bildung und Wissenschaft im geeinten Deutschland Rechnung. Folgende Punkte des Haushaltsentwurfs 1992 möchte ich besonders herausstellen: Erstens. Der beruflichen Bildung gelten besondere Anstrengungen. Die hierfür vorgesehenen Ausgaben sollen um mehr als 40 % steigen. Hauptaufgabe wird erneut sein, allen Jugendlichen in den neuen Ländern einen Ausbildungsplatz anzubieten. Die nahezu ausgeglichene Lehrstellenbilanz dieses Herbstes ist eine hervorragende Ausgangsposition. Allerdings muß im nächsten Jahr der Anteil der betrieblichen Ausbildungsplätze noch erheblich gesteigert werden. Für das Ausbildungsförderungsprogramm stehen — nach 75 Millionen DM im laufenden Jahr — im Jahre 1992 weitere 175 Millionen DM zur Verfügung. Daraus können für Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten Zuschüsse in Höhe von 5 000 DM pro eingestelltem Auszubildenden finanziert werden. Die Bundesregierung sieht in dieser Maßnahme gleichzeitig einen wirksamen Beitrag zum Auf- und Ausbau einer gesunden mittelständischen Wirtschaftsstruktur und damit des dualen Systems, in dem gerade kleinere Betriebe eine wichtige Rolle spielen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 5129* Für die Förderung überbetrieblicher Berufsbildungsstätten sind die Mittel um 17 Millionen DM auf insgesamt 130 Millionen DM aufgestockt worden. Die überbetrieblichen Berufsbildungsstätten sind zu einem unverzichtbaren Strukturelement der dualen Berufsausbildung geworden. Sie tragen wesentlich zur Verbesserung der Qualität der beruflichen Ausbildung bei. Das Netz der überbetrieblichen Berufsbildungsstätten wird nunmehr auch auf die neuen Länder ausgedehnt. Die Planung sieht dort die Errichtung von 7 000 Werkstattplätzen vor. Zur Verbesserung der Qualität der beruflichen Bildung in den neuen Ländern gehört auch die Qualifizierung des Personals. Gegenüber dem laufenden Jahr werden die Mittel um ein Viertel auf 25 Millionen DM erhöht. Daneben sind für die Modernisierung der Ausstattung beruflicher Ausbildungsstätten in den neuen Ländern nach 8 Millionen DM in diesem Jahr weitere 8 Millionen DM im Jahre 1992 veranschlagt. Erstmals sind 5,5 Millionen DM zur Entwicklung regionaler beruflicher Weiterbildungshilfen in den neuen Ländern vorgesehen. Hinweisen möchte ich auf die schwierige Situation an den Berufsschulen in den neuen Ländern. Hier besteht dringender Handlungsbedarf der dafür zuständigen Länder und Kommunen, denn eine leistungsfähige Berufsschule ist notwendig für eine hohe Qualität des dualen Systems der Berufsausbildung. In diesem Jahr ist die vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft ins Leben gerufene Begabtenförderung in der beruflichen Bildung angelaufen. Wie dringlich es war, diese Lücke zu schließen, zeigt die große Zahl vorliegender Anträge. Ich darf an dieser Stelle noch einmal betonen, daß es hierbei um die Förderung der berufsbegleitenden Weiterbildung begabter junger Berufstätiger geht, die im Beruf bleiben wollen. Der Haushaltsentwurf für 1992 sieht fast eine Verdoppelung der Mittel gegenüber 1991 auf 18 Millionen DM vor. Mittelfristiges Ziel ist es, für diese Förderung eine ähnliche Größenordnung wie bei der Begabtenförderung im Hochschulbereich zu erreichen. Zweitens. Die Sicherung und Stärkung der Leistungsfähigkeit von Lehre und Forschung an den Hochschulen in den alten und den neuen Ländern hat angesichts weiter steigender Studentenzahlen für die Bundesregierung höchste Priorität. Die Ausgaben für den Aus- und Neubau von Hochschulen im vorliegenden Haushaltsentwurf liegen mit 1,6 Milliarden DM auf dem hohen Niveau des Jahres 1991. Die Bundesregierung schafft damit bei anhaltend hoher Nachfrage nach Studienplätzen und den dringend notwendigen Sanierungs- und Ausbaumaßnahmen in den neuen Ländern die finanzielle Grundlage für die erforderlichen Baumaßnahmen und die zunehmend wichtiger werdende Ausstattung mit modernen Großgeräten für Forschung und Lehre. Zusammen mit dem von den Ländern aufzubringenden Anteil stehen damit 3,2 Milliarden DM für den Hochschulbau zur Verfügung. Circa 600 Millionen DM entfallen davon auf die neuen Länder. Der Bedarf dieser Länder wird in den nächsten Jahren deutlich steigen, wenn die Planung der dringenden Sanierungs- und Ausbaumaßnahmen weiter fortgeschritten ist. Der Wissenschaftsrat schätzt ab 1993 den Finanzbedarf für die alten und neuen Länder auf insgesamt 2 Milliarden DM jährlich an Bundesmitteln. Ich kann die hinter dieser Aussage stehende Sicht der Entwicklungstendenzen des Bedarfs und der Ausbaunotwendigkeiten durchaus nachvollziehen. Konkret werden wir darüber beim Haushalt 1993 sprechen müssen. Eines aber halte ich heute schon in aller Deutlichkeit fest: Eine Politik flächendeckender Zugangsbeschränkungen werde ich nicht akzeptieren. Wichtiges Element der Offenhaltungspolitik und der Steigerung der Leistungsfähigkeit von Forschung und Lehre bleiben die laufenden Hochschulsonderprogramme. Sie werden gemeinsam mit den Ländern weitergeführt. Für das Hochschulsonderprogramm I stehen 1992 150 Millionen DM zur Verfügung. Für das in diesem Jahr angelaufene Hochschulsonderprogramm II, das insbesondere der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, der Förderung von Frauen in der Wissenschaft, der Stärkung der Fachhochschulen und der Intensivierung der europäischen Zusammenarbeit im Hochschulwesen dient, sind im Etatentwurf 165,9 Millionen DM veranschlagt. Ich bin erfreut darüber, daß es gelungen ist, in diesem Programm deutliche Schwerpunkte bei der Frauenförderung, z. B. durch die Einführung neuer Wiedereinstiegsstipendien und von Kinderbetreuungszuschlägen zu Stipendien, zu setzen. Als Beitrag des Bundes für die Förderung der Forschung soll die Deutsche Forschungsgemeinschaft insgesamt rund 860 Millionen DM an Bundesmitteln erhalten. Dabei werden die für die Allgemeine Forschungsförderung und die Sonderforschungsbereiche vorgesehenen Mittel der DFG für die alten Länder um die vom Bundeskanzler und den Regierungschefs der Länder vorgesehene Rate von 5 % steigen. Für die neuen Länder ist im Hinblick auf den Nachholbedarf ein höherer Aufwuchs gegenüber dem Vorjahr vorgesehen, so daß die DFG-Mittel für die Allgemeine Forschungsförderung und die Sonderforschungsbereiche um insgesamt rund 7 % steigen werden. Erstmals sieht der Entwurf des Einzelplans 31 einen Ansatz zur Förderung von angewandter Forschung und Entwicklung an Fachhochschulen vor. Dadurch soll die Basis für ein stärkeres Engagement der Fachhochschulen in Vorhaben der angewandten Forschung und Entwicklung, die für die Qualität und den Praxisbezug der Lehre von erheblicher Bedeutung sind, in allen dort vertretenen Fachbereichen geschaffen werden. Die Förderung soll im Rahmen eines gemeinsamen Bund-Länder-Programms auf der Grundlage einer Vereinbarung nach Art. 91 b des Grundgesetzes erfolgen. Ich gehe davon aus, daß die Länder die Möglichkeit ergreifen werden, sich an diesem Programm zu beteiligen. Für das „Erneuerungsprogramm für Hochschule und Forschung in den neuen Ländern", das Bund und Länder im Juli dieses Jahres unterzeichnet haben, sind für 1992 rund eine halbe Milliarde DM vorgesehen (nur für 1992 im Einzelplan 60). Mit diesem Programm, an dessen Umsetzung die Verwaltungen der neuen Länder mit Nachdruck arbeiten, wird die Grundlage für den Neuaufbau von Hochschule und Wissenschaft in den neuen Ländern und Berlin mit dem Ziel der Verbesserung von Qualität in Forschung 5130* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1991 und Lehre geschaffen. Dabei geht es neben verschiedenen Maßnahmen zur personellen Erneuerung und zur Verbesserung der Ausstattung der Hochschulen und ihrer Infrastruktur auch um die Eingliederung von Forschern und Forschergruppen der Akademien der ehemaligen DDR in die Hochschulen und um die Förderung neuer Einrichtungen des außeruniversitären Forschungsbereichs. Für Maßnahmen beim Studentenwohnraumbau im Rahmen des Förderungsprogramms von 1990 bis 1994 sind nach 150 Millionen DM für 1991 im Jahre 1992 200 Millionen DM vorgesehen. In dem genannten Zeitraum werden unter Berücksichtigung auch der von den Ländern und Trägern von Maßnahmen aufzubringenden Mittel Investitionen in Höhe von mehr als 2 Milliarden DM mobilisiert, um der Wohnungsnot der Studenten zu begegnen. Drittens. Die veranschlagten Mittel für Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz liegen mit 2,7 Milliarden DM knapp über dem Ansatz von 1991. Sie werden ausreichen, um alle Berechtigten zu fördern. Dabei ist berücksichtigt, daß durch ein 15. BAföG-Änderungsgesetz u. a. Bedarfssätze und Freibeträge zum Herbst 1992 angepaßt werden sollen. Viertens. Die Mittel für Maßnahmen auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Weiterbildung und für Zuschüsse an Weiterbildungseinrichtungen sollen von 48,6 Millionen DM im laufenden Jahr auf knapp 61 Millionen DM steigen. Dieser Mittelansatz trägt dazu bei, die Weiterbildung zu einem gleichwertigen Teil des Bildungswesens weiter auszubauen und in den neuen Ländern eine plurale, bedarfsgerechte Weiterbildungsstruktur zu schaffen. Fünftens. Die Bundesregierung beabsichtigt, auch im Jahre 1992 die Förderung von Auslandsaufenthalten deutscher Hochschulabsolventen und Studenten sowie des Austausches von Wissenschaftlern mit dem Ausland — auch im Hinblick auf die Entwicklung in den mittel- und osteuropäischen Staaten — weiter auszubauen. Dafür sollen 60 Millionen DM zur Verfügung stehen. Sechstens. Die Zuschüsse an die Begabtenförderungswerke, die Stipendien an Studenten und junge Nachwuchswissenschaftler vergeben, werden auf insgesamt 113,6 Millionen DM, einschließlich 27 Millionen DM für die Promotionsförderung, aufgestockt. Dazu kommen weitere 16,3 Millionen DM für die Förderung von Postdoktoranden, die von der DFG als Stipendien vergeben werden. Der Entwurf des Einzelplans 31 des Bundeshaushalts für 1992 bietet insgesamt eine solide finanzielle Grundlage, die vor uns liegenden Aufgaben in Bildung und Wissenschaft im vereinten Deutschland zu bewältigen. Ich danke den Berichterstattern und dem Haushaltsausschuß für ihre Unterstützung und bitte um Ihre Zustimmung zum Etatentwurf.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dieter-Julius Cronenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Nun erteile ich dem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl das Wort.
    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht erlauben Sie, weil ich unmittelbar nach meinem Vorredner spreche, eine knappe Bemerkung. Ich glaube nicht, daß es in diesem Hause jemanden gibt, der Kollektivschuld behauptet. Das ist völlig undenkbar. Wir, die Deutschen, haben die Lektionen der Geschichte gelernt. Ich finde, wir sollten uns das Gegenteil auch nicht unterstellen. Es gibt keine Kollektivschuld.
    Das Zweite ist — auch das gehört allerdings zu diesem Bild —, daß man doch bedenken muß, wofür man Verantwortung trägt, durch sein eigenes Mittun, durch sein eigenes Versagen — ich werde in anderem Zusammenhang auf das Thema heute noch zu sprechen kommen — , und daß man dann vielleicht auch bei der Wortwahl, Herr Abgeordneter, bedenken muß, ob Zwischenrufe dieser Art, gerade an diesem Punkt, angemessen sind, und daß dann möglicherweise Reaktionen erfolgen, die Sie ja verstehen sollten; denn Sie stehen schon, auch mit dem, was Sie politisch hier vertreten, für einen Abschnitt der deutschen Geschichte, den die meisten der Deutschen als einen unglücklichen Abschnitt bezeichnen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Im übrigen — lassen Sie mich das als Parteivorsitzender sagen — bin ich dafür, daß wir uns mit Ihnen über diesen Abschnitt auseinandersetzen. Das trägt zu dessen Klärung für unser Volk bei. Aber dazu gehört eben, daß man nicht wehleidig ist. Ihr Herr Vorsitzender hat eben einen Beweis dafür gebracht, daß er im Austeilen sehr viel stärker ist, als Sie im Einstekken sind. Das ist eine der Erfahrungen, die gemacht wurden.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich denke, Sie haben Verständnis dafür, daß auch ich mich, bevor ich mich dem eigentlichen Thema, der Generalaussprache, zuwende, angesichts des Wechsels in wichtigen Funktionen des Hauses mit einem Wort des Dankes und des Respektes an einzelne Kollegen wende.
    Ich spreche zunächst Sie an, Herr Kollege Dr. Vogel. Wir haben in diesen Jahren von diesem Platz aus oft miteinander die Klingen gekreuzt. Wir haben hef-



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    tige Auseinandersetzungen miteinander geführt; wir haben gegeneinander kandidiert, und wir haben uns ganz gewiß auch gegenseitig nichts geschenkt. Wir haben uns — lassen Sie mich das so offen bekennen, wie ich es empfinde, vielleicht auch Sie — eine ganze Weile recht schwergetan, uns aneinander zu gewöhnen. Das ist aber am Ende doch gelungen.
    Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Als Sie jetzt — das ist sehr symptomatisch und typisch für Sie — , noch bevor Sie aus dem Amt schieden, den Abschiedsbesuch bei mir machten, war meine Empfindung die, die ich jetzt hier wiedergeben kann: nämlich daß Jochen Vogel in diesen Jahren nicht nur irgendein Parteisoldat war, sondern versucht hat, mit seinen Möglichkeiten unserer Republik zu dienen. Wir waren oft unterschiedlicher Meinung. Aber da ich selbst einmal Vorsitzender der Oppositionsfraktion war und insofern neben Ihnen der einzige Spezialist auf diesem Gebiet mit Erfahrung im jetzigen Hause bin, kann ich sehr wohl ermessen, was Sie für Ihre Partei und Ihre Fraktion, aber auch für die Idee der freiheitlichen Demokratie geleistet haben. Dafür möchte ich ausdrücklich meinen Respekt bekunden.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

    Ich wende mich in einem sehr persönlichen und herzlichen Wort auch an meinen Freund Alfred Dregger, den langjährigen Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, an einen Mann, der in diesen Jahren einen ganz entscheidenden Beitrag geleistet hat und ohne dessen Wirken — das gilt auch für Wolfgang Mischnick, der zu einem früheren Zeitpunkt sein Amt aufgegeben hat — die erfolgreiche Regierungspolitik nach dem 1. Oktober 1982 so nicht möglich gewesen wäre. Sie haben es in der Ihnen eigenen Weise getan, Herr Dregger: loyal, kameradschaftlich, freundschaftlich. Sie haben sich mehr als andere mit Zerrbildern und Feindbildern in der deutschen Politik auseinandersetzen müssen. Wer Sie kennt, weiß, daß Sie in Wirklichkeit eigentlich nichts mit diesen Zerrbildern zu tun haben. Sie haben auch im menschlichen Miteinander immer wieder das richtige Wort gefunden. Ich darf Ihnen für die Bundesregierung, aber auch ganz persönlich für diese Unterstützung, Kameradschaft und Freundschaft und für den Dienst an der Sache sehr herzlich danken.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Herr Kollege Klose, ich bin in der glücklichen Lage, daß ich in bezug auf Ihre Wahl die richtige Prognose abgegeben habe, wie einige Ihrer Kollegen wissen. Daraus können Sie entnehmen, wie meine Würdigung Ihrer bisherigen Arbeit war und ist. Ich kenne Sie noch aus Ihren Jahren als Hamburger Bürgermeister. Ich wünsche Ihnen — im Rahmen dessen, was meinem Amt, besser gesagt: meinen Ämtern gemäß ist — Erfolg,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

    und zwar vor allem auch eine glückliche Hand im Umgang mit den Kollegen aller Fraktionen. Ich glaube, daß die Rolle des Fraktionsführers der stärksten Oppositionsfraktion so ist, wie ich es eben schon
    in Würdigung von Jochen Vogel zum Ausdruck gebracht habe, nämlich ungewöhnlich schwierig. Ihre heutige Rede ist ja auch ein Beweis dafür.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

    Man muß alle Mitglieder und alle Strömungen in der Fraktion unter einen Hut bringen; man muß gleichzeitig versuchen, seine eigene Identität nicht zu verlieren und verleugnen. Wer selbst einmal in solcher Lage war, hat sehr viel Verständnis dafür, selbst wenn er es dann anschließend kritisiert.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich wende mich mit einem persönlichen Wort an meinen Freund Wolfgang Schäuble. Bei ihm sage ich ganz einfach: Ich wünsche Ihnen viel Glück und Segen in diesem neuen Amt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Herr Kollege Klose, ich habe, wie viele andere, Ihre Rede heute natürlich besonders aufmerksam angehört. In der Kürze der Zeit kann ich nicht auf alles eingehen. Aber bei einigen Äußerungen fand ich Sie doch erstaunlich uninformiert; ich will es freundlich so formulieren, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie schon in der Jungfernrede als Fraktionsvorsitzender solche Äußerungen wider besseres Wissen gemacht haben könnten.
    Zunächst einmal freue ich mich natürlich, daß Sie die Brasilien- und die Chile-Reise freundlich gewürdigt haben.

    (Zuruf von der SPD)

    — Herr Kollege, er hat einen anderen Ton angeschlagen. Vielleicht folgen Sie dem Vorsitzenden nach. Das Haus hat einen Gewinn davon, glauben Sie mir.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich freue mich darüber, daß Sie ein freundliches Wort gefunden haben. Nur kann ich zwei Bemerkungen nicht verstehen.
    Das erste ist, daß Sie im Zusammenhang mit meinem Eintreten für die Menschenrechte im chilenischen Parlament das Thema Türkei angesprochen haben. Diese Bundesregierung braucht sich in Sachen Menschenrechte und zu dem, was sie zu diesem Thema in Ankara immer wieder gesagt hat, keine Vorhaltungen machen zu lassen. Der Bundesaußenminister, der hier vor allem tätig war, und ich können Ihnen ohne weiteres eine ganze Summe von Einzelaktivitäten der Bundesregierung zugunsten kurdischer Flüchtlinge, für die Achtung der Menschenrechte nennen. Wenn Sie nur einigermaßen aufmerksam die verfaßte öffentliche Meinung in der Türkei auch während des Wahlkampfes dort verfolgt hätten, würden Sie unschwer festgestellt haben, daß wir, die deutsche Bundesregierung, mehr als andere angegriffen worden sind mit dem Vorwurf, wir würden uns in innere Angelegenheiten der Türkei einmischen. Das ist genau das Gegenteil dessen, was Sie uns vorhalten.
    Das zweite, was ich nicht verstehen kann, ist, daß Sie uns im Zusammenhang mit dem Thema Ökologie und tropische Regenwälder Versäumnisse vorwerfen. Man kann ernsthaft darüber reden, ob nicht die ge-



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Samte westliche Welt sich zu diesem Thema zu wenig engagiert hat — etwa auf den Konferenzen der G 7, der großen Industrienationen, und die begannen nicht mit Helmut Kohl, sondern mit Helmut Schmidt. Diese Behauptung kann man durchaus aufstellen und darüber diskutieren. Aber wahr ist doch, daß seit Mitte der 80er Jahre niemand unter den Regierungschefs der großen Industrienationen mit größerer Entschiedenheit für dieses Thema eingetreten ist, als gerade ich es getan habe. Die von mir geführte Bundesregierung hat den Zusammenhang zwischen ökologischem Handeln und Schuldenerlaß — etwa in afrikanischen Ländern — als erste deutlich hervorgehoben. Daß wir dabei insgesamt noch sehr viel mehr tun müssen, ist klar. Klar ist auch, daß wir beispielsweise im Kreise der G 7 leider Gottes bis zu dieser Stunde noch keineswegs bei allen Partnern den gleichen Erkenntnisstand haben — und ich bin nicht sicher, ob es uns bis München im nächsten Juni gelingen wird. Ich nenne bewußt das wichtige Land im Fernen Osten, das etwa beim Verbrauch von tropischen Harthölzern weit über dem liegt, was die gesamte EG nutzt, und dennoch bisher nicht bereit war, die notwendigen Maßnahmen mit zu ergreifen. Das ist leider so. Aber wir können niemanden zwingen, sondern nur den Versuch unternehmen, durch einen mühsamen Prozeß der Überzeugung dafür zu werben, daß wir unbedingt etwas tun müssen. Und wir werden es tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Dritter Punkt. Lieber Herr Klose, daß Sie hier die Pflegeversicherung angemahnt haben, verstehe ich überhaupt nicht. Denn was haben Sie eigentlich getan? Sie sind seit vielen Jahren im Bundestag. Sie waren Bürgermeister von Hamburg und hatten Sitz und Stimme im Bundesrat. Sie haben zwischen 1969 und 1982 bei einer gleichermaßen ungünstigen demographischen Situation in Deutschland, was die Entwicklung des Altersaufbaus betrifft, die Gelegenheit gehabt, zu handeln. Sie haben nichts getan. Wenn wir uns jetzt vorgenommen haben, in dieser Legislaturperiode dieses Thema anzupacken, was notwendig und überfällig ist und ein Stück sozialer Sicherheit und Stabilität des Landes gewährleistet, dann brauchen wir keine Anmahnung, wann wir den Entwurf vorlegen. Wir haben zugesagt, daß wir es in dieser Periode erledigen, und wir werden es erledigen. Wir haben darüber eine Diskussion. Es ist die normalste Sache der Welt, daß man sich in einer so schwierigen, in die Generationen, die nach uns kommen, hineinwirkenden Frage vernünftigerweise berät.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Daß wir so vorgehen, halte ich für selbstverständlich.
    Vierter Punkt, und da haben Sie unsere volle Zustimmung. Sie haben ein freundliches, gutes und ermutigendes Wort für die Polizei gefunden. Herr Abgeordneter Klose aus Hamburg, ich hätte mir gewünscht, daß Sie das in Hamburg in bezug auf den Einsatz von Polizeibeamten in der Hafenstraße auch einmal so deutlich sagen würden.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Zu der Wirtschaftsprognose, die Sie abgegeben haben, will ich nichts sagen, weil Sie da hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben sind. Ich habe Sie in den letzten Jahren und Monaten eigentlich immer als einen Mann erlebt, der weit vor vielen Kollegen aus der eigenen Fraktion die Erkennntnis hatte, wie sich die Entwicklung in den neuen Bundesländern wirklich darstellt, übrigens auch in der Gesamtökonomie unseres Landes.
    Aber das gehört zu dem, was ich schon sagte: Man muß als Oppositionsführer alle Gruppen aus den eigenen Reihen hinter sich versammeln. Wenn man viel Beifall haben will, muß man auch Erklärungen abgeben, von deren Richtigkeit man nicht völlig überzeugt ist. Ich sage das so offen, weil es mir ähnlich ging. Meine Situation war noch komplizierter, weil ich darüber hinaus noch meine besonderen Erfahrungen als Vorsitzender der gemeinsamen Fraktionen von CDU und CSU machen durfte. Das fehlt Ihnen; das merkt man auch.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist morgen zwei Jahre her, daß ich von diesem Platz aus das sogenannte Zehn-Punkte-Programm zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas vorgestellt habe.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Da wir in einer ungewöhnlich schnellebigen Zeit leben und weil auch viele dabei sind, ihre Politik in diesen zwei Jahren etwas zu vernebeln, ist es wichtig, bei der Generalaussprache über den Etat 1992 kurz auf dieses Thema zu sprechen zu kommen; denn vieles von dem, was wir jetzt als Probleme lösen müssen, und vieles von dem, was sich jetzt glücklicherweise als Lösung anbietet, war ja nur möglich, weil die deutsche Einheit kam.
    Damals, in den Tagen und Wochen nach der Öffnung der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze, bot sich uns eine einmalige Chance, und wir haben sie genutzt. Seitdem haben sich vorher kaum glaubliche Veränderungen ergeben. Ich denke, es wird Ihnen wie mir gegangen sein: Als in diesen Tagen der erste frei gewählte Präsident Rußlands, Boris Jelzin, bei uns war, als wir die Fahne Rußlands sahen und die Hymne Rußlands hörten, haben wir gespürt, welch eine im Wortsinne säkulare Veränderung sich ergeben hat.
    Ich habe vor zwei Jahren an dieser Stelle erklärt:
    Wie ein wiedervereinigtes Deutschland schließlich aussehen wird, das weiß heute niemand. Daß aber die Einheit kommen wird, wenn die Menschen in Deutschland sie wollen, dessen bin ich sicher.
    Ich sagte dann:
    Die Wiedervereinigung, d. h. die Wiedergewinnung der staatlichen Einheit Deutschlands, bleibt das politische Ziel der Bundesregierung.
    Ich kann nur sagen: Wir haben dieses Ziel erreicht, und wir sind dankbar dafür.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Meine Damen und Herren, ein Teil unseres Problems, wenn wir — durchaus auch mit unterschiedlicher Meinung — über die Entwicklung und die Lage in den neuen Bundesländern diskutieren, besteht darin, daß sich nicht wenige im Lager der Opposition einfach nicht mehr daran erinnern lassen wollen, daß sie in ihrer geschichtlichen Einschätzung völlig neben der Entwicklung lagen. Wie soll der Ministerpräsident eines Bundeslandes heute völlig unbefangen über die Fragen der Leistungen, auch im Materiellen, für die neuen Bundesländer diskutieren, wenn er — wie Herr Schröder — noch im September 1989 erklärte, eine auf Wiedervereinigung gerichtete Politik sei reaktionär und hochgradig gefährlich?
    Ich sage dies nicht, um jetzt bei Herrn Schröder nachzukarten, sondern ich sage das nur, weil die Unbefangenheit fehlt, jetzt einfach aufeinander zuzugehen — etwa zwischen Bund und Ländern — und das Notwendige zu tun. Herr Farthmann hat Ihnen dann ja auch ins Stammbuch geschrieben — als langjähriger Vorsitzender der SPD-Fraktion im nordrheinwestfälischen Landtag kennt er seine SPD — , er sei traurig und schockiert darüber, daß viele seiner Parteifreunde so kühl und distanziert gegenüber dem deutschen Einigungsprozeß blieben.
    Deswegen, so finde ich, müssen wir mit der Geschichte leben, die wir zu vertreten haben, und Sie mit der Ihren, auch in den letzten Jahren.
    Es ist einfach nicht wahr, daß vor der deutschen Einheit über die Opfer und über das, was auf uns zukommen würde, nicht gesprochen wurde. Die Fama wird zwar immer wieder verbreitet — der Sprecher der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE hat es eben wieder getan —, aber es ist einfach nicht die Wahrheit. Wir alle waren uns doch darüber im klaren und haben es in vielen Reden gesagt — der eine mehr, der andere weniger — , daß dies eine gewaltige geschichtliche Herausforderung sei und daß wir uns bei der Herstellung der deutschen Einheit an kein Vorbild halten könnten. Wir könnten nicht fragen, auch nicht in der öffentlichen Verwaltung: Wie ist das früher gemacht worden? Wir mußten völlig neue Wege gehen.
    Dabei ergaben sich auch auf Grund der zeitlichen Bedrängnis und der Notwendigkeit schneller Entscheidungen Fehlerquellen und Fehler. Ich habe nie angestanden zu sagen, daß selbstverständlich auch ich in diesen Jahren Fehler gemacht habe. Aber ich bleibe bei meiner Grundthese — ich bleibe bei meiner Grundthese! — , die da lautet, daß wir in einer gemeinsamen Kraftanstrengung unseres Volkes, auch unserer Volkswirtschaft, die neuen Bundesländer in einer relativ kurzen Zeit von drei, vier, fünf Jahren — je nach Branche und Landschaft verschieden — an das Niveau der alten Bundesländer herangeführt haben werden. Ich bleibe bei dieser These, und sie wird sich als richtig erweisen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Eine ganz andere Frage, meine Damen und Herren — und ich finde, auch das gehört in diese Debatte, damit wir nicht nur von Geld und Wirtschaft reden —, ist — und ich räume hier ein, das habe ich mir als schwierig vorgestellt, aber nicht als so schwierig, wie es sich jetzt offensichtlich erweist — das Miteinander und Zusammenleben der Menschen im früher geteilten Deutschland, zwischen denen aus der früheren DDR, den neuen Bundesländern, wie wir jetzt sagen, und denen aus der alten Bundesrepublik.
    40 Jahre Trennung, das bedeutet weit mehr, als diese Zahl aussagt; das waren gleichsam zwei Welten, eine Trennung bis in die Begrifflichkeit und den persönlichen Erfahrungsschatz hinein. Wenn wir jetzt in einem dramatischen Umbruch den Weg nach Europa gehen, wenn wir jetzt vor dem Maastricht-Gipfel stehen — ich will gleich darüber sprechen — , dann macht es natürlich einen Unterschied, ob man wie ich vom Rhein kommt, ob man in seiner Heimat, in der Pfalz, die Aussöhnung von Deutschland und Frankreich erlebt hat, förmlich hineingeboren wurde in das, was mit Namen wie Konrad Adenauer, Robert Schuman und anderen verbunden ist, oder ob man in Rostock gelebt hat, über Jahrzehnte hinweg durch eine Propaganda beeinflußt, wonach dieses zusammenwachsende Europa eine Institution des Wirtschaftskapitalismus zur Ausbeutung der Massen sein werde.
    Wir müssen aufeinander zugehen. Wer das Glück hatte, im Westen geboren zu sein und zu leben, hat, wie ich finde, die Aufgabe und die Pflicht, das größere Wegstück zurückzulegen. Wir müssen lernen, besser zuzuhören. Wir müssen aber auch entschieden widersprechen, wenn beispielsweise -- wie jetzt wieder; auch heute war manches hier im Saal zu hören — die Soziale Marktwirtschaft diffamiert wird und der Versuch unternommen wird, das verbrecherische SED-Regime von Schuld freizuwaschen und diejenigen, die jetzt den Konkurs ausbaden müssen, schuldig zu sprechen. Das ist nur eines der Beispiele.
    Beim Umgang mit der Vergangenheit im SED-Regime müssen die Deutschen im Westen die notwendige Zurückhaltung üben, wenn sie die Verhältnisse von Menschen beurteilen, die in einer ganz anderen Lage waren. Wer in Freiheit gelebt hat, muß sich ehrlich fragen, wie er sich in einer Diktatur verhalten hätte, ob er sich in eine Nische zurückgezogen hätte. Wer weiß schon, wieviel Mut er selbst gehabt hätte. Ich will das hier nicht alles im einzelnen ausführen.
    Mir mißfällt es, daß in dieser Frage noch viel zu viele so tun — und zwar in allen politischen Lagern — , als hätten sie ganz genau gewußt, wie sie sich selbst verhalten hätten. Die Situation heute ist auch nicht ohne weiteres vergleichbar mit den Erfahrungen nach 1945. Auch da hatten wir eine Erfahrung, aber sie war dennoch anders.
    Meine Bitte, die ich hier ganz nachdenklich in diese Debatte einbringen kann, ist, daß wir uns jetzt nicht gegenseitig vorhalten, daß wir sozusagen die besseren Demokraten in den neuen Bundesländern seien, sondern daß wir diesen Lernprozeß gemeinsam durchschreiten. Jeder wird dabei von seiner Geschichte eingeholt. Das gilt für die Christlich Demokratische Union genauso wie für die Freie Demokratische Partei; das gilt auch für die Sozialdemokratische Partei. Es ist für mich interessant, daß eine Sache, die kein Ausländer versteht, sich als schwierig erweist, nämlich die zum Reichstag führende Straße umzubenennen, damit sie nicht länger Otto-Grotewohl-Straße heißt. Ich bringe dieses Beispiel, weil es sehr sympto-



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    matisch für die Schwierigkeit im Umgang mit der Geschichte ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Bei der Debatte spielt natürlich das Ökonomische eine zentrale Rolle. Aber wir denken nicht nur über die ökonomischen Entwicklungen nach, sondern auch über das, was die Menschen unmittelbar ganz erheblich bewegt. Wir haben — darüber kann es gar keinen Zweifel geben — im Ökonomischen eine gute Ausgangsposition. In den alten Bundesländern sind die Aussichten gut, daß auch die Konjunktur nach der jetzigen Atempause im kommenden Jahr wieder an Fahrt gewinnt.
    Herr Fraktionsvorsitzender der SPD, wenn Sie über das Thema „Arbeitslosigkeit in den alten Bundesländern" reden, reden Sie doch zumindest zu einem großen Teil an der Wirklichkeit des Landes vorbei.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Es geht wirklich nicht an, das Schicksal der Menschen in den neuen Bundesländern, wo wir eine völlige Veränderung der Strukturen erleben, mit dem zu vergleichen, was bei uns in der alten Bundesrepublik auf diesem Feld deutlich wird. Eine Million neue Arbeitsplätze binnen Jahresfrist hat es doch wirklich deutlich gemacht. Wir haben einen Beschäftigungsrekord von fast 30 Millionen. Das gab es in der Geschichte der alten Bundesrepublik nicht. Die Realeinkommen sind nicht zuletzt dank der Stabilitätserfolge der Koalition heute erheblich höher als zu Beginn der 80er Jahre. Dies ist übrigens ein entscheidender Grund, daraus zu lernen, daß die Stabilität der D-Mark das wichtigste Ziel unserer Politik sein muß. Auch das folgt ja daraus.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben, gemessen an unseren Nachbarn und Freunden, ein beachtliches Wirtschaftswachstum in diesen Jahren gehabt. Wir sehen, daß andere Probleme haben, die wir etwa im Export ebenfalls verspüren. Wir haben durch eine kluge Politik seit dem Beginn der 80er Jahre, mit der erfolgreichen Politik der Sozialen Marktwirtschaft gute Voraussetzungen geschaffen; aber niemand von uns hat 1982, 1983, 1984 gewußt, daß wir 1989/90 die Chance haben würden, die deutsche Einheit herbeizuführen.
    Wir haben überhaupt keinen Grund, die Probleme zu verniedlichen. Aber, Herr Kollege Klose — und da hat Wolfgang Schäuble doch recht —, wir haben noch viel weniger Grund, die Probleme in einer Weise zu dramatisieren, daß die Menschen Angst bekommen und uns die Kompetenz zur Lösung absprechen, daß wir sie lösen können. Das ist eine Diskussion, die doch nur bei uns stattfindet. Jeder Besucher aus dem Ausland, der heute nach Bonn kommt, und jede entscheidende Persönlichkeit, mit der man in anderen Ländern spricht, pflegt zu sagen, wenn man vorträgt, wo unsere Probleme sind: Eure Probleme möchte ich haben. Das ist doch die übliche Reaktion.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Das ändert nichts an der Tatsache, daß wir die Probleme haben. Aber — Theo Waigel hat es dieser Tage immer wieder gesagt — wenn die deutsche Einheit nicht gekommen wäre, hätten wir jetzt für die alte Bundesrepublik eine phantastische Bilanz vorzulegen. Aber Gott sei Dank haben wir die Bilanz der deutschen Einheit. Das ist doch sehr viel wichtiger als alles andere. Und deswegen bleiben wir bei unserer Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir sind in den neuen Bundesländern gut vorangekommen: bei den Arbeitsplätzen, der Gründung und der Sanierung von Betrieben. Aber wahr ist — das gehört natürlich in die Bilanz —, daß sich viele große Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen, daß sie Arbeitsplätze verloren haben, daß sie vor einer ungesicherten Perspektive stehen. Deswegen ist es ungeheuer wichtig, daß die Menschen wissen, daß diese Sorge bei uns gut aufgehoben ist, daß wir unserer Verantwortung gerecht werden und ihnen helfen.
    Um so wichtiger ist es, daß wir leistungsfähige Betriebe ausbauen, unterstützen, neu aufbauen und daß wir so schnell wie möglich das beseitigen, was die Schwäche der neuen Bundesländer ist, nämlich das Fehlen eines dynamischen Mittelstands. Mit das Schlimmste in der Veränderung der Gesellschaft durch den Sozialismus und Kommunismus des SED-Regimes war die Zerschlagung des Mittelstandes. Eine wirklich funktionierende Soziale Marktwirtschaft ist letztlich nur mit einem dynamischen Mittelstand möglich. Das ist doch die Erfahrung, die wir haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben allen Grund, davon überzeugt zu sein, daß der Aufbau der neuen Strukturen erfolgreich sein wird. Das gilt auch für solche Kernbereiche, die sich jetzt zunächst besonders schwer tun. Natürlich bleibe ich bei meiner These, daß, wenn die deutsche Chemie einen weiteren Standort außerhalb der alten Bundesrepublik sucht, dieser Standort im Chemiedreieck um Halle liegen muß. Es gibt doch ganz eindeutige Hinweise darauf, daß in einer Veränderung der Struktur in diesem Bereich Mitteldeutschlands diese Strukturen der Chemie neu entstehen werden, zum Teil sicherlich in einer anderen Fasson.
    Wahr ist auch, meine Damen und Herren, daß wir gerade jetzt in dieser Übergangszeit im betrieblichen Bereich angesichts der Sorgen der Arbeitnehmer wirksame Maßnahmen zur Flankierung ergreifen müssen. Wer jetzt kommt — ich spreche es jetzt einmal so aus, wie ich es gelegentlich in der Debatte empfinde — und sozusagen nach dem Lehrbuch der reinen Marktwirtschaft sagt, es muß alles über den Markt gelöst werden, der verkennt sicherlich die Erhard'sche Wirtschaftspolitik; denn Ludwig Erhard sprach nicht von Marktwirtschaft, sondern von Sozialer Marktwirtschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Ich lege darauf großen Wert, und zwar gerade schon deswegen, Herr Kollege Klose, weil mir Ihre Vorgänger von diesem Pult aus gelegentlich Nähe zum Thatcherismus oder zur Politik des früheren amerikani-



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    schen Präsidenten vorgehalten haben. Das war nie unsere Politik. Unser geistiger Pate war nie Milton Friedman, sondern wir bleiben Erhardianer. Das hat sich als das beste erwiesen, was wir tun können.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Die Aus- und Fortbildung von über 800 000 Teilnehmern, der ABM-Bereich mit rund 400 000 Plätzen, beides ist doch ein Beweis dafür, daß hier das Notwendige geschieht. Herr Kollege Klose, ich hätte es auch gern gesehen — das muß ich Ihnen ganz offen sagen —, wenn Sie heute in Ihrer Übersicht über die Probleme einmal erwähnt hätten, was für eine gewaltige gemeinschaftliche Leistung unseres Landes jetzt erbracht wurde, indem das Problem der Lehrlinge in den neuen Bundesländern weitgehend gelöst werden konnte ohne Zwang durch den Staat, ohne neue Gesetze, ohne neue Verordnungen, auf dem Weg des Mittuns von vielen in allen Bereichen der Wirtschaft, der Mittelständler genauso wie der großen Unternehmen und der Gewerkschaftler. Ich finde, das ist eine großartige Leistung, vergleichbar mit der, die wir in den 80er Jahren in der alten Bundesrepublik hatten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Im Hinblick auf Ihren Vorwurf, die Bundesregierung würde sich — ich sage es jetzt mit meinen Worten — nur unzureichend um die soziale Situation der Menschen kümmern, habe ich mir in der Zwischenzeit noch einmal die Zahlen beschafft. Wie sehen die Tatsachen aus? Insgesamt fließen 1991 netto, d. h. nach Abzug der Einnahmen, 111 Milliarden DM an öffentlichen Leistungen in die neuen Bundesländer. 1992 steigt dieser öffentliche Transfer von West nach Ost auf rund 140 Milliarden DM. Einen vergleichbaren Transfer dürfte es in der Wirtschaftsgeschichte wohl kaum geben. Das ist doch immerhin auch eine Leistung der Menschen in der alten Bundesrepublik. Das soll bei dieser Gelegenheit doch auch einmal deutlich gesagt sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

    Herr Kollege Klose, im Hinblick auf Ihre Behauptung stelle ich als Tatsache fest, daß sich 1992 die Leistungen aus dem Bundeshaushalt, die den Menschen in ihrer sozialen Situation in den neuen Bundesländern unmittelbar zugute kommen, auf 28 Milliarden DM belaufen. Sie reichen von der Kriegsopferversorgung über das Vorruhestandsgeld bis hin zum Erziehungs- und Kindergeld. Hinzu kommen mehr als 30 Milliarden DM, mit denen die Bundesanstalt für Arbeit die notwendige aktive Arbeitsmarktpolitik im östlichen Teil Deutschlands betreibt. 400 000 ABM-Plätze sind z. B. eine Leistung, die in der Geschichte der alten Bundesrepublik ohne Beispiel ist. Dafür werden 8 Milliarden DM bereitgestellt. Wir haben das nach langen Diskussionen getan, wohl wissend — das will ich auch aussprechen — , daß das nur eine Übergangslösung sein kann und daß für uns AB-Maßnahmen nicht Dauerparkplätze sind, sondern Voraussetzung für vernünftige Arbeitsmarktpolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Rentenversicherung und der Bundeshaushalt bringen zusammen rd. 20 Milliarden DM für die Rentner in Ostdeutschland auf, um die Angleichung der unterschiedlichen Rentensysteme möglich zu machen. Das ist ein gewaltiger Posten, den ich mit Nachdruck unterstütze und vertrete, weil ich — das spreche ich offen aus — entsprechend meiner Empfindung und meiner Überzeugung denke, daß die Zuwendung — nicht nur die materielle, sondern auch die geistigseelische — gegenüber den Älteren noch ein viel bedeutsameres Stück Miteinander in Deutschland ist als das, was wir für Lehrlinge tun. Es ist richtig, daß die Schulabgänger eine Ausbildung erhalten. Aber es ist für mich noch wichtiger, daß die Generation der Rentner und Pensionäre, die keine berufliche Zukunftschance mehr hat, für die der berühmte Silberstreif am Horizont im Berufsleben nicht mehr Wirklichkeit wird, spürt, daß sie in die Solidaritätsgemeinschaft aller Deutschen mit aufgenommen ist. Ich halte das für einen ganz zentralen Punkt.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    Auch das Thema „Frauen in den neuen Bundesländern" hat hier seine Bedeutung. Richtig ist, daß die tiefgreifende Veränderung in den neuen Ländern auch viele Frauen vor schwierige Aufgaben stellt. Richtig ist aber auch, daß die durchschnittliche Rente für Frauen in den neuen Bundesländern 1992 durch die Angleichung der Rentensysteme höher sein wird als in Westdeutschland. Das hängt mit der dort im Durchschnitt höheren Zahl von Berufsjahren der Frauen zusammen. Aber dies zeigt auch, daß wir die soziale Situation unserer Landsleute sehr wohl begriffen haben und im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen, das Notwendige zu tun.
    Ich habe soeben schon gesagt: Entscheidend für die zukünftige Entwicklung wird die Stabilität der D-Mark sein. Lassen Sie mich hier deswegen ein sehr offenes Wort zu diesem Thema sagen, auch auf die Gefahr hin, daß ich wieder Schelte beziehe, ich würde mich hier in die Tarifautonomie einmischen. Das ist schon deswegen falsch, weil ich das nicht will. Die Vorstellung, daß der Staat, die Regierung Tarife beschließt, ist für mich eine völlig absurde Vorstellung. Aber: Wahr ist auch, daß die Bundesregierung, die Bundesrepublik Deutschland — Bund, Länder und Gemeinden — Tarifpartner ist und Tarifverantwortung trägt.
    Meine Damen und Herren, jeder spürt — auch viele, die in den Gewerkschaften in der Verantwortung sind — , daß eine stabile Währung zentrale Grundlage unseres wirtschaftlichen Erfolgs ist. All das, was hier heute über das Ansehen unserer Republik, über die Stellung Deutschlands in der Welt und auch über die außenpolitische Position mit Recht gesagt wurde, könnten wir vergessen, wenn die D-Mark eine instabile Währung würde. Eine stabile Währung ist eines der wertvollsten Güter unseres Landes nach innen und nach außen. Sie sichert Wohlstand und sichere Arbeitsplätze. Das muß Vorrang vor allem anderen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wenn die D-Mark heute zur zweitwichtigsten Anlage- und Reservewährung geworden ist, so ist das



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    eine Aussage, die nicht nur unseren Stolz erregen, sondern vor allem auch die Verpflichtung stärken sollte, dies so zu erhalten. Das setzt voraus, meine Damen und Herren, daß wir bei den jetzt beginnenden Tarifrunden die Gesamtentwicklung von Staat und Gesellschaft im Auge haben, auch beim öffentlichen Dienst, daß wir bei den Tarifabschlüssen bedenken: Welche Wirkung hat dies in den neuen Bundesländern? Welche Wirkung hat das in einer Phase abgeschwächter Weltkonjunktur auf unsere Konkurrenzfähigkeit? Welche Wirkung hat dies insonderheit auf einzelne Unternehmen in schwierigen Branchen?
    Wir sind ein Land — ich spreche jetzt vor allem von der alten Bundesrepublik — , das sich durch gemeinsame Arbeit einen beachtlichen Wohlstand geschaffen hat. Da dies so ist, wollen wir ihn behalten, wollen wir ihn sichern. Aber „sichern" heißt, daß wir zum richtigen Zeitpunkt die Gesamtverantwortung sehen, daß wir stabilitätsgerechte Lohnabschlüsse bekommen und daß wir vor allem das Ziel im Auge behalten, daß die Tarife, die wir in den alten Bundesländern, in der alten Bundesrepublik abschließen, in ihrer Wirkung auf Rostock ebenso wie auf Dresden und auf Zwickau genau bedacht werden. Denn Solidarität kann keine Einbahnstraße sein. Solidarität muß heißen, daß wir auch bei dem Tarifgeschehen an das ganze Land denken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dazu gehört ein Weiteres. Herr Kollege Klose, Sie haben schon vor Monaten gemeinsam mit dem Bürgermeister von Hamburg eine Reihe von Bemerkungen gemacht, von denen ich hoffe, daß wir sie aufnehmen können — auch im Verhältnis zwischen Bundesrat und Bundestag und zwischen jeweiligen Mehrheiten und Bundesregierung. Gemeint ist die Frage nach dem Standort Deutschland. Meine Damen und Herren, in 13 Monaten wird der große Markt mit 340 Millionen Menschen aus der EG und 40 Millionen aus dem Bereich der EFTA Wirklichkeit. Wir werden in diesem Markt eine gewaltige Dynamik erleben. Wir, die Bundesrepublik Deutschland insgesamt, gehen in einer guten Verfassung in diese Entwicklung.
    Dennoch wird bei uns — das muß ich befürchten, wenn ich andere Länder, ich denke immer wieder an Spanien als Beispiel, im Vergleich sehe — viel zuwenig über die Konsequenzen der Entwicklung des Standortes Deutschland in Europa nachgedacht. Alles in allem — und ich sage dies ohne Kritik; denn ich vertrete als Kanzler diesen Haushalt natürlich in erster Linie — müssen wir uns fragen, ob wir genug in die Zukunft investieren, ob wir nicht bei vielem vor allem Gegenwart und Vergangenheit bedenken, ob die Vorbereitungen in Deutschland auf den europäischen Binnenmarkt unter verschärfter Konkurrenz, unter veränderten Bedingungen wirklich ausreichend sind. So verstehe ich die Diskussion über das Steueränderungsgesetz und die Unternehmensteuerreform überhaupt nicht. Denn, meine Damen und Herren, alle meine Kollegen in EG-Europa — auch die, die aus den sozialistischen Parteien kommen — , haben selbstverständlich ihre Pflicht darin gesehen, ihre Länder jeweils auf diese Entwicklung vorzubereiten. In unserer Nachbarschaft, in den Niederlanden, hat die Koalition
    zwischen den christlichen Demokraten und den Sozialisten in den letzten Monaten nach stürmischen Parteitagen der niederländischen Sozialisten ganz erstaunliche Beschlüsse gefaßt. Das ist für mich kein Vorbild; ich bringe es nur als Beispiel, von dem ausgehend man darüber nachdenken kann, was andere im Blick auf die Zukunft bereits tun.
    Meine Bitte an Sie alle lautet — auch im Blick auf Regierung und Opposition — , daß wir das, was wir bisher erreicht haben, nicht nur als erreicht, abgehakt und gesichert betrachten sollten, sondern auch als eine Chance, das Erreichte zu sichern und zu mehren, auch im Blick auf die neuen Bundesländer und für die nächste Generation. Die Grundlagen, die jetzt geschaffen werden, haben enorme Wirkungen für die Generationen junger Leute, die noch nicht Mitglied dieses Hohen Hauses sein können. Doch ist es unsere Pflicht, an sie zu denken.
    Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, von dem ich glaube, daß er für die Position Deutschlands auch international von größter Bedeutung ist. Gemeint ist die gegenwärtige Runde der GATT-Verhandlungen. Offene Märkte und freier Welthandel, meine Damen und Herren, sind für uns unverzichtbar. Angesichts einer Exportquote von 35 % hängt hierzulande fast jeder vierte Arbeitsplatz vom Export ab. Allein das ist schon ein Grund dafür, daß wir Deutsche am Erfolg von GATT interessiert sein müssen. Doch nehme ich ganz bewußt Ihr Beispiel auf, Herr Klose. Wir können noch so viele Mittel für Entwicklungshilfe bereitstellen: Die Folgen eines Scheiterns der GATT-Runde könnten auch durch sämtliche Mittel des Entwicklungshilfeetats bei weitem nicht ausgeglichen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Ich denke in diesem Zusammenhang nicht nur an die Dritte Welt, die uns zuerst in den Sinn kommt. Ich denke genauso an Polen. Ich denke genauso an das, was jetzt in der Sowjetunion geschieht. Ich denke an unsere Nachbarn in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Wenn wir uns abschotten, wenn die genannten Länder ihre Produkte — das gilt genauso für die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas — bei uns nicht absetzen können, werden sich das Elend dort und der Nord-Süd-Konflikt verschärfen. Wenn wir uns dann — Wolfgang Schäuble hat das Notwendige zu diesem Thema bereits gesagt, ich will mich darauf beziehen — die weltweite Völkerwanderung vergegenwärtigen, so kann ich nur sagen: Wir brauchen uns über Asyl- und Asylantenprobleme gar nicht zu unterhalten, wenn die Völker nicht in der Lage sind, ihre Waren in den Industrieländern abzusetzen. Deswegen ist das eine der zentralen Fragen der deutschen, der europäischen, der internationalen Politik.
    Aber das heißt auch — das muß auch gesagt werden, so wie ich es gestern mittag George Bush in einem Telefonat noch einmal gesagt habe — , daß der Kompromiß natürlich von allen Seiten gewollt sein muß. Man kann es nicht so sehen, wie es gelegentlich in den USA — auch auf Grund der innenpolitischen Situation — geäußert wird: Die Europäer haben eine Bringschuld, und wir selbst warten ab. — Ich bedauere beispielsweise, daß die Verhandlungen jetzt



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    für beinahe 14 Tage unterbrochen wurden. Die Zeit läuft uns davon. Mein Wunsch ist, daß man so schnell wie möglich weiterverhandeln möge. Mein Wunsch ist — die Bundesregierung wird das Notwendige tun —, daß die EG-Kommission in einer vernünftigen Weise Angebote macht. Aber mein Wunsch ist auch, meine Damen und Herren, daß wir aufhören, die gesamte Problematik des GATT ausschließlich auf die Ebene der Landwirtschaft zu schieben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es gibt eine ganze Reihe von anderen Punkten, bei denen auch die amerikanische Seite, die japanische Seite und andere eine Bringschuld haben.
    Es gibt eine verständliche Loyalität und Solidarität gegenüber den europäischen und den deutschen Bauern; auch das will ich in diesem Zusammenhang sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die schwierigen Verhandlungen — und die Verhandlungen sind nicht nur von Beifall begleitet worden; ich sage das auch im Blick auf meine eigene Partei — in der Kohlerunde sind jetzt zu einem Abschluß gekommen. Das ist — wenn ich das von der finanziellen Seite aus betrachte — immerhin eine beachtliche Leistung des Staates, des Steuerzahlers, auch über die Kohlegebiete hinaus.
    Wer dem zustimmt, der muß auch in bezug auf die Hilfe für die Bauern die gleiche Loyalität aufbringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es kann nicht so sein — es muß für den Übergang gehandelt werden —, daß die einen aufgegeben werden, die anderen aber nicht. Die deutschen Bauern — das müssen wir hier gemeinsam bekennen, zumindest die Parteien aus der alten Bundesrepublik — befinden sich wegen der EG-Agrarpolitik in einer Entwicklung, an der alle demokratischen Parteien der alten Bundesrepublik ihren Anteil haben.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das stimmt!) Das muß man doch selbstkritisch sagen.

    Es traten auch Fehlentwicklungen auf. Die Fehlentwicklungen, die es gegeben hat, kann man aber jetzt doch nicht dem einzelnen Bauern anlasten. Wenn ich, meine Damen und Herren, bei den Bergarbeitern, den Kumpels, sage, daß dort Entwicklungen korrigiert werden müssen, wenn wir helfen wollen, dann gilt das gleiche in vollem Umfang auch für die Bauern in Deutschland.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch eine kurze Bemerkung zu zwei anderen Themen. Zum Thema Jugoslawien: Wir haben hier eine besonders schwierige Lage. Wie kompliziert die deutsche Außenpolitik gerade nach der Wiedervereinigung geworden ist, kann man an diesem Beispiel besonders leicht erkennen. Sie haben recht, Herr Abgeordneter Klose, die Geschichte hat uns einmal mehr eingeholt.
    Deswegen ist es doch ganz klar — darüber braucht man wirklich nicht zu sprechen; ich habe es immer
    wieder gesagt, auch die Bundesregierung hat es gesagt —, daß es in Europa — wie man auch über einen Truppeneinsatz in Jugoslawien entscheiden mag — einige Gebiete gibt — dazu gehört mit Sicherheit auch Jugoslawien —, bei denen man sich nicht vorstellen kann, daß dort deutsche Soldaten eingesetzt werden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Das ist keine Diskriminierung der Deutschen; das ist ein Akt politischer Vernunft. Ich glaube, das muß man doch gemeinsam erkennen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Wenn man die EG kritisiert und sagt, die Europäer seien unfähig und handlungsunwillig, dann muß man aber auch einmal die Frage stellen: Hat die EG einen Rechtsrahmen, damit sie überhaupt handlungsfähig ist? Man kann sich sicherlich darüber streiten, ob in der EG, in den einzelnen Gremien, von Anfang an die richtige Erkenntnis vorhanden war.
    Diese Frage läßt sich übrigens auch im Hinblick auf Belgrad, Zagreb und andere Orte in Europa stellen, nämlich ob die Einstellung und die Erwartungen hinsichtlich der Entwicklung der Situation realistisch waren.
    Angesichts der besonderen Verbundenheit, die viele in unserem Volk für Jugoslawien und seine Völker empfinden, und angesichts der Bilder, die wir Tag für Tag im Fernsehen sehen, gehen wir Deutschen nicht nur theoretisch an dieses Thema heran. Wir wissen, was zerstörte Dörfer und Städte bedeuten.
    In unserem Land leben 700 000 jugoslawische Bürger — Ausländer, die wir geholt haben, damit sie uns helfen, unser Bruttosozialprodukt zu erwirtschaften —, von denen rund zwei Drittel Kroaten sind. Das hat in unserem Land eine ganz besondere Wirkung — und ich habe das gestern abend in Brüssel einigen Kollegen gesagt. Wenn gelegentlich in den Hauptstädten Europas und außerhalb Europas — ich spreche dies offen an — so getan wird, als resultiere es aus den Erinnerungen der Deutschen an vergangene Zeiten, wenn hier eine besondere Sympathie für die Selbstbestimmung der Völker Jugoslawiens besteht, dann ist das abwegig. Dahinter steht nicht das Denken des Jahres 1941 — um es klar und deutlich auszusprechen — , sondern die Erfahrung unseres Volkes, das gerade auf dem Weg der Selbstbestimmung mit der Zustimmung aller Nachbarn — das war ja das Große und das Großartige an der deutschen Einheit — seine Einheit gewonnen hat. Dementsprechend haben wir als Bundesregierung wirklich den Wunsch, keine Alleingänge zu unternehmen. Das wäre eine völlig fatale und ganz ungute Entwicklung. Deswegen unterstützen wir die Bemühungen des Sonderbeauftragten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Cyrus Vance, des Vorsitzenden der Haager Friedenskonferenz, Lord Carrington, damit sich hier in der nächsten Zeit die Dinge wirklich bewegen. Es geht darum, daß die von der EG beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionen diejenigen Konfliktparteien treffen, die den Friedensprozeß durch brutale Gewaltaktionen torpe-



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    dieren, und nicht die, die den Frieden wollen. Auch das ist ja eine der Gefahren, die jetzt bestehen.
    Demgegenüber glauben wir, daß sich die Republiken, die sich konstruktiv an der Friedenssuche beteiligen, nicht nur von den Sanktionen ausgenommen werden müssen, sondern daß wir sie durch positive Maßnahmen fördern sollten.
    Wir wollen als Bundesregierung in einem engen Schulterschluß mit unseren Partnern zu einer dauerhaften Friedenslösung beitragen. Es geht darum, daß alle Völker Jugoslawiens über ihre Zukunft frei entscheiden können, daß die Menschenrechte geachtet werden, daß die Minderheiten geachtet und geschützt werden. In diesem Sinne werden wir uns weiter dafür einsetzen, daß die völkerrechtliche Anerkennung derjenigen Republiken, die dies wünschen, nicht durch Blockierung der Friedensbemühungen auf die lange Bank geschoben wird.
    Wir müssen sehen, daß die Zeit davongeeilt ist. Auch unsere Freunde und Kollegen in der Europäischen Gemeinschaft müssen wissen, daß für die Bundesregierung ein Zwang zu einer Einstimmigkeit in dieser Frage nicht gegeben ist. Das, was wir uns wünschen, ist, daß eine möglichst große Zahl der europäischen Länder einen Weg beschreitet, der die Selbstbestimmung respektiert. Ich füge hinzu — ganz einfach gesagt —, daß ich glaube, daß man vor dem Weihnachtsfest in dieser Frage zu einer Entscheidung kommen muß. Ebenso klar füge ich hinzu, daß ich ein anderes Datum, bei dem wir über europäische Dinge zu sprechen haben, nicht notwendigerweise mit diesem Thema verbunden haben will. Ich würde das sonst für einen schweren Fehler halten. Aber ich glaube, daß zwischen der Zusammenkunft in Maastricht und dem Weihnachtsfest ein Zeitraum liegt, in dem wir uns in der EG einzeln erklären müssen — auch andere in Europa — , wie wir die Entscheidung treffen wollen.
    Damit, meine Damen und Herren, bin ich bei dem anderen, letzten Thema, das aber letztlich wahrscheinlich das Thema des Jahrzehnts ist, wenn ich das unter europäischer Perspektive sehe: die Konferenz von Maastricht.
    Wolfgang Schäuble hat schon darauf hingewiesen — ich will es wiederholen; ich hoffe, hier sind wir einer Meinung; ich glaube es jedenfalls, denn es entspricht ja auch dem Denken der deutschen Sozialdemokraten seit vielen Jahrzehnten — : Wir würden einen historischen Fehler begehen, wenn die deutsche Einheit für sich isoliert bliebe und die europäische Einigung nicht Hand in Hand mit der deutschen Einheit kommen würde.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Hand in Hand bedeutet natürlich nicht: auf den Tag. Aber es bedeutet angesichts tatsächlicher oder vermeintlicher und herbeigeredeter Ängste — dabei ist Angst manchmal auch ein anderes Wort für Wirtschaftsneid — wegen der unterschiedlichen Größenordnungen in Europa und in der Europäischen Gemeinschaft, daß die Antwort der Deutschen lauten muß: Wir wollen das vereinte Deutschland — das haben wir glücklicherweise erreicht — , und wir wollen die politische Einigung Europas.
    Maastricht ist — wenn Sie so wollen — ein Markstein auf diesem Weg. Dabei muß man ehrlicherweise sagen: Noch vor zehn Jahren hätten die wenigsten geglaubt, daß wir überhaupt zu einem solchen Datum kommen. Wir haben trotz aller Schwierigkeiten phantastische Erfolge erreicht. Wer noch einmal auf die siebziger Jahre oder auf den Anfang der achtziger Jahre zurückblickt, als „Eurosklerose" im Hinblick auf die EG das am meisten gebrauchte Wort war, der muß doch zugeben, daß die Tatsache, daß der europäische Binnenmarkt in 13 Monaten vollendet ist, eine wirklich phantastische Sache ist: ein Raum ohne Binnengrenzen für 340 Millionen Menschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Ich füge hinzu — ich denke, auch darin sind wir uns einig — , daß die EG kein Closed Shop sein darf. Wir müssen vielmehr offen sein für diejenigen, die zur Gemeinschaft kommen wollen. Alles, was wir jetzt in Maastricht besprechen, muß deshalb auch schon unter der Perspektive gesehen werden, daß, wie ich hoffe, Österreich und Schweden der Gemeinschaft im Jahre 1995 beitreten werden. Ich bin zwar kein Prophet, aber ich erwarte, daß das Wirkung auf Norwegen und Finnland haben wird. Dann wird niemand mehr sagen können, die EG sei südlastig, sondern dann ist Nordeuropa ein integraler Bestandteil der Gemeinschaft.
    Unser Bestreben muß auch sein — ich will wiederholen, was ich kürzlich von diesem Pult aus schon sagte —, daß wir beim Thema „EG-Erweiterung" auch an die Nachbarn CSFR, Polen und Ungarn denken, wenn auch für diese Länder ein Beitritt nicht zum gleichen Zeitpunkt in Frage kommen kann wie bei den genannten EFTA-Staaten. Hierin will ich einem meiner Vorredner ausdrücklich widersprechen. Es würde der Gemeinschaft nicht gut bekommen, wenn die Unterschiede in der sozialen und wirtschaftlichen Struktur ihrer Mitgliedstaaten so gravierend wären, daß einige der Mitgliedstaaten reine Almosenempfänger wären. Das wäre auch psychologisch nicht gut. Aber man kann ja Übergangslösungen schaffen; man kann Assoziierungen vereinbaren; man kann praktische Möglichkeiten des Miteinanders eröffnen.
    Wir haben vor über einem Jahr die Regierungskonferenzen zur Wirtschafts- und Währungsunion und zur Politischen Union eingesetzt. Deren Ergebnisse liegen in Kürze vor. Anschließend geht es natürlich darum, die Ergebnisse umzusetzen. Dabei werden wie immer bei solchen Fragen Kompromisse notwendig. Manche glauben, es gehe um das Prestige. Nationale Parlamente in Europa beschäftigen sich inzwischen mit Fragen wie: Welche Kompetenzen verlieren wir, wer übt die parlamentarische Kontrolle aus usw.? Solche Fragen sind ganz und gar verständlich.
    Meine Damen und Herren, wer jedoch nach Maastricht geht nach dem Motto: Mein Konzept ist das allein seligmachende, und das, was die anderen bieten, ist inakzeptabel, der braucht gar nicht dorthin zu gehen. Auch für die politische Kultur Europas gilt, daß



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    wir zu vernünftigen Kompromissen fähig sein müssen.
    Ich nenne nur zwei Beispiele — Wolfgang Schäuble hat eines davon heute in seiner Rede schon angesprochen — : Ich hielte es für das Beste, wenn wir uns in der Frage der Drogenbekämpfung und in der Frage des Asylrechts, auf eine Gemeinschaftskompetenz einigten. So wie ich die Dinge nach dem Stand von heute mittag — das wird, vermute ich, heute abend nach dem Besuch von John Major nicht anders sein — sehe, können wir auf diesen beiden ganz wichtigen Feldern jedoch nur über eine intergouvernementale Zusammenarbeit Einvernehmen erzielen. Das ist immerhin die zweitbeste Lösung — besser als ein völliges Scheitern. Aber vielleicht sollte der Versuch unternommen werden — ich will ihn jedenfalls machen — , in den Vertrag eine Öffnungsklausel aufzunehmen, wonach nach dem Ablauf von 5 oder 6 Jahren auch diese Materie zur Gemeinschaftsmaterie wird.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Das ist immer noch viel besser, als wenn wir jetzt sagen — zumal es sich um drängende Probleme handelt — : Wir machen gar nichts.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. R. Werner Schuster [SPD])

    Herr Kollege Klose, ähnlich wird es in bezug auf das Europäische Parlament sein. Da haben Sie uns ganz zu Unrecht gescholten. Sie sollten mit Ihrem Herrn Parteivorsitzenden jetzt einmal zu einer Sitzung der europäischen Sozialisten fahren und dort pädagogisch tätig werden. Das Erstaunliche ist, daß sich konservative Regierungen — ich spreche jetzt nicht von christlich-demokratischen Regierungen — und sozialistische Regierungen hier zum Teil sehr viel schwerertun als wir, die wir mehr aus der politischen Mitte kommen.

    (Lachen bei der SPD)

    — Ich habe Ihnen ganz korrekt unseren Standort beschrieben, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Für die europäischen christlichen Demokraten und für die europäischen Liberalen ist die Bejahung der Frage, ob das Europäische Parlament mehr Rechte erhalten soll, kein Problem, weil wir erkannt haben, daß die Politische Union eine umfassende parlamentarische Kontrolle braucht und daß es absurd wäre, die Bürger der EG 1994 erneut zu einer freien, geheimen und direkten Europa-Wahl aufzufordern, um die Zusammensetzung eines Parlaments zu bestimmen, das nicht die notwendigen Rechte hat. Ich glaube, das braucht man hier im Deutschen Bundestag nicht näher zu begründen. Da gibt es keine Meinungsunterschiede zwischen uns. Nach dem jetzigen Stand glaube ich, daß wir auch hier wohl nur in zwei Schritten vorankommen. Ich plädiere dafür, daß wir in einem ersten Schritt das tun, was für die Legislaturperiode ab 1994 möglich sein wird, und daß auf dieser Grundlage für die Legislaturperiode ab 1999 die Rechte des Europäischen Parlaments weiter ausgebaut werden. Das ist immer noch besser, als in dieser wichtigen Frage überhaupt nicht voranzukommen.
    Nicht viel anders, meine Damen und Herren, ist es mit der Initiative von Staatspräsident Mitterrand und mir. Ich habe mit großem Behagen gehört, Herr Abgeordneter Klose, daß Sie die Besorgnisse der Amerikaner erwähnt haben. Ich freue mich, wenn die deutschen Sozialdemokraten jetzt wieder die Besorgnisse der Amerikaner so ernst in ihre Überlegungen aufnehmen. Auch das ist eine Veränderung, und diese nehmen wir dankbar zur Kenntnis.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Aber ich muß Ihnen sagen: Das, was François Mitterand und ich vorgeschlagen haben, wendet sich in keiner Weise gegen wohlverstandene amerikanische Interessen. Präsident Bush hat die Initiative ja auch ausdrücklich begrüßt. Es geht einfach darum, daß wir im Rahmen der Politischen Union etwas für die Verteidigungsidentität unseres alten Kontinents tun. Das ist kein Gegensatz zur NATO. Wir sind einer Meinung, daß wir die NATO noch auf lange Sicht brauchen. Wie lange, weiß niemand von uns, aber auf lange Sicht bestimmt. Es geht darum, dem in einer vernünftigen Weise Rechnung zu tragen.
    Meine Damen und Herren, jetzt frage ich Sie: Was würde eigentlich dagegen sprechen, wenn sich nach kurzer Zeit dem deutsch-französischen Korps — auf deutsche Verhältnisse übertragen ist es nur eine Division — etwa Belgier und Spanier anschließen würden? Wenn die Europäische Verteidigungsgemeinschaft 1954 nicht gescheitert wäre, hätten wir heute eine völlig andere Perspektive. Weil dies so ist, muß dieser Versuch unternommen werden. Er dient darüber hinaus in hohem Maße auch dem menschlichen Miteinander in Europa, nicht zuletzt auch bei der jungen Generation.
    Bei den Regierungskonferenzen haben wir ein Problem, bei dem wir uns leichtertun als andere und über das wir uns in Bundestag und Bundesrat völlig einig sind. Es betrifft die föderale Struktur des neuen Europa. Wir Deutschen haben ein historisch gewachsenes positives Verhältnis zum Föderalismus. Die klassischen Zentralstaaten Europas hingegen tun sich schon mit diesem Begriff schwer. Man muß einfach wissen, daß der Begriff „föderalistisch" oder „föderal" im angelsächsischen Politikverständnis genau das Gegenteil von dem besagt, was er bei uns bedeutet. Die Engländer geraten bei dem Gedanken, daß Europa „föderal" wird, ziemlich in Rage, weil sie darunter etwas Zentralistisches verstehen. Wir Deutschen wollen jedoch keineswegs ein Europa, in dem alles und jedes von einer Zentrale aus reguliert wird. Im Gegenteil, wir haben vielleicht mehr und schneller als andere die Erfahrung gemacht, daß beispielsweise Begriffe wie „Region" oder, um es einmal mit etwas Wärme zu versehen, wie „Heimat" an Bedeutung gewinnen. Nach meiner felsenfesten Überzeugung wird es keinen wirklichen Frieden in Europa geben, wenn es dort nicht eine enge Zusammenarbeit der Regionen gibt. Das, was an der deutsch-französischen Grenze, was zwischen Saarland, Lothringen und Luxemburg möglich war, muß genausogut in Frankfurt an der Oder mit den benachbarten Regionen Polens oder



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    zwischen Bayern und der CSFR möglich sein; ich kann die Liste solcher Beispiele beliebig fortsetzen.
    Dazu gehört auch das für uns wichtige Prinzip der Subsidiarität. Das ist nicht irgendein Thema, sondern es ist ein Grundsatz, der das moderne Verfassungsdenken unseres Landes entscheidend geprägt hat. Die Erfahrung zeigt, daß eine moderne Industriegesellschaft auf dieser Grundlage besonders bürgernah gestaltet werden kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Mit einem Wort, meine Damen und Herren: Es bleibt noch sehr viel zu tun, bis hin zu den sich gut entwickelnden Verhandlungen im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion. Aber damit das ganz klar ist: Hier gibt es Positionen, die nicht zur Disposition stehen können, etwa die Unabhängigkeit einer allein der Geldwertstabilität verpflichteten Europäischen Zentralbank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Dazu gehört, daß wir jetzt in Maastricht klar sagen, daß wir die dritte Stufe wollen, und die endgültige Entscheidung nicht auf das Jahr 1996 verschieben.

    (Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Nicht nur wollen, auch wie sie dann aussehen muß!)

    — Ja, das ist ja ein Teil des geplanten Vertrages, Graf Lambsdorff. Ich glaube, da sind wir ganz einig. Das Problem besteht ja nicht hier im Haus, sondern es besteht mit einer Reihe unserer Freunde und Partner, die eine andere geschichtliche Entwicklung genommen haben und die sich deshalb verständlicherweise schwertun. Wer die Debatte im britischen Unterhaus verfolgt hat, konnte ja hören und lesen, was hier an Argumenten aus der Vergangenheit bis zurück zu der Zeit von 1914 vorgetragen wurde.
    Ich sage dies hier nicht abwertend. Wir Deutschen sollten uns stets überlegen, wie wir die Dinge sähen, wenn wir auf vergleichbare geschichtliche Erfahrungen zurückblicken würden. Wer gerecht ist, muß sehen, daß unsere Partner in dieser Frage einen weiteren Weg als wir — vor allem psychologisch — zurückzulegen haben.
    Für mich selbst — lassen Sie mich das persönlich zum Schluß sagen — ist gerade in diesen Tagen sehr wichtig, an einen Satz von Konrad Adenauer zu erinnern, den er damals unmittelbar vor der Abstimmung über den EVG-Vertrag in Paris — die dann leider Gottes, wie Sie wissen, kein gutes Ende nahm — gesprochen hat. Er hat damals, 1954, den Europäern zugerufen: Wenn dieser Vertrag scheitert, wird es länger als eine Generation dauern, bis wir wieder in der Lage sind, ein solches Werk zu schaffen.
    1954 —1991: Man muß kein Prophet sein, um zu sagen: Wenn wir es jetzt nicht schaffen, den Prozeß der politischen und ökonomischen Einigung Europas unumkehrbar zu machen, dann wird es länger als eine Generation dauern, bis wir diese Chance wieder haben. Es werden sich neue Nationalismen in Europa auftun, und wir, die Deutschen, sollten nicht sagen, wir seien davor gefeit. Es werden sich neue Ängste und neue Komplexe bilden.
    Wir haben jetzt eine geschichtliche Chance. Wir haben von 1989 bis zum 3. Oktober 1990 die einmalige Chance gehabt, die deutsche Einheit zu erreichen. Ich bin ganz sicher, daß wir jetzt die einmalige Chance haben, die europäische Einigung zu erreichen.
    Sehen Sie, meine Damen und Herren: Die Kollegen, die jetzt von ihren Ämtern als Fraktionsvorsitzende zurückgetreten sind — das gilt für den Kollegen Vogel und den Kollegen Dregger — , stellen — ich habe es bei uns in der Fraktion gesagt — die Brücke von der Kriegsgeneration zu der heute nachwachsenden Generation dar. Die Botschaft, die sich in diesen Persönlichkeiten und in ihrem Lebensweg zeigt, ist doch, daß wir jetzt das wahr machen, was die besten Geister Europas nach dem Krieg gesagt haben: Nie wieder Krieg — keine Rückkehr zum Nationalstaat vergangener Zeiten! Wir wollen die politische Einigung Europas. Dies ist, glaube ich, unsere historische Pflicht, übrigens eine Pflicht, die, wie auch die deutsche Einheit, Freude bereitet. Ich möchte uns einladen, dabei mitzutun.

    (Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Renate Schmidt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Nun hat der Kollege Wolfgang Thierse das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ach, wäre es schön, wenn man in diesem Hause nicht mehr die Gespenster der Vergangenheit gegen die Probleme der Gegenwart aufbieten würde!

    (Beifall bei der SPD)

    Wer hat was wann wofür oder wogegen gesagt? Das haben wir heute vormittag von Herrn Schäuble und vom Herrn Bundeskanzler verschiedentlich gehört.
    Ich müßte mich jetzt eigentlich gezwungen sehen, mit den entsprechenden apokryphen Zitaten von Ihnen zu kontern, also an die 10 Punkte zur Konföderation oder an das Gespräch mit diesem oder jenem zu erinnern. Was soll das? Es reicht mir, immer wieder dasselbe Spiel mitspielen zu sollen oder immer wieder dem Vorwurf zu begegnen, wir hätten bei der deutschen Einigung nicht die rechte Andacht gezeigt. Muß ich denn immer wieder für mich selbst und die Sozialdemokraten betonen, mit welcher Leidenschaft — individuell sicher unterschiedlich — auch wir die deutsche Einheit gewollt haben? Der Streit war einer über den Weg und über die Schritte, nicht über das Ziel.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Bei Ihnen ja, Herr Thierse! Aber sonst?)

    Der Herr Bundeskanzler hat vorhin — ich erwähne dies, weil er uns gerne frühere Zitate entgegenwirft — wieder ein Versprechen abgegeben. Herr Bundeskanzler, ich garantiere Ihnen: Ich werde Sie daran erinnern, und Sie werden mir wieder sagen, Sie hätten es nicht gesagt. Drei, vier, fünf Jahre, haben Sie diesmal angegeben, wird der Prozeß dauern,

    (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Das habe ich immer gesagt!)




    Wolfgang Thierse
    dann werden die neuen Länder an das Niveau der Bundesrepublik herangeführt sein — wörtlich.

    (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ökonomisch! — Uta Würfel [FDP]: Das war eine Feststellung!)

    Ich erinnere mich an entsprechende Sätze, die Sie im Jahre 1990 im Wahlkampf gesagt haben. Diese wollen Sie jetzt nicht mehr wahrhaben. Sie werfen uns üble Nachrede vor, wenn wir sie zitieren. Nein, Sie müssen sich an Ihre eigenen Worte erinnern lassen.

    (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Zitieren Sie doch einmal! Dann werden Sie ganz verblüfft sein, was Sie finden werden!)

    Andacht war verlangt worden. Aber ich denke, die Andacht von gestern und auch die von heute hilft doch gar nicht bei der Lösung der deutschen Probleme. Da helfen nur nüchterne, ja schmerzliche Analyse und der konkrete Vorschlag. Andacht und Erfolgstrunkenheit sind da eher von Übel. Die Probleme von heute bekommen durch sie durchaus gespenstische Ausmaße. Die ständige Erinnerung an die Fehlleistungen der anderen, der Opposition, setzt sich dem Verdacht aus, wer das betreibt, der betreibt Rechtfertigungsdemagogie für verfehlte Politik heute.

    (Beifall bei der SPD)

    Darf man in diesem Hause trotz allem noch Marx zitieren?

    (Dr. Reinhard Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Als Philosophen können Sie ihn zitieren! — Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Sie müssen aber nicht!)

    — Nein, nein! Aber ich tue es ja freiwillig. Es gibt von ihm eine ganz passende Bemerkung:
    Im Grunde genommen
    — heißt es bei Marx in der „Deutschen Ideologie" —
    stellt sich die Menschheit nur Aufgaben, wo die
    Bedingungen zu ihrer Lösung herangereift sind.
    Dies zu Ihrer Forderung, Herr Schäuble, was die SPD in den 70er Jahren schon hätte alles erledigen sollen, um Ihnen die Aufgabe zu erleichtern.
    Ich schließe mit einem Bibelzitat an — wegen der Ausgewogenheit:

    (Heiterkeit bei der SPD)

    „Laßt die Toten ihre Toten begraben!" Wenden wir uns also der lebendigen Gegenwart zu!
    Dabei noch zwei Bemerkungen zu Ihnen, Herr Schäuble, und zu Ihnen, Herr Bundeskanzler. Ausländerfeindlichkeit, haben Sie gesagt, sei nicht gesinnungsethisch, sondern wirkungsvoll nur verantwortungsethisch zu begegnen. Das ist gewiß richtig. Aber wie kann Verantwortung gesinnungslos, charakterlos wahrgenommen werden?

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wer macht das?)

    Aus Ihren Reihen stammt doch der furchtbare Satz:
    Mit der Asylfrage werde die SPD jede nächste Wahl
    verlieren — eine schlimme Drohung. Diese parteipolitische, wahltaktische Instrumentierung von Ängsten, von wirklichen Ängsten nenne ich charakterlos.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Lassen Sie uns das Problem lösen, dann brauchen wir nicht mehr zu streiten!)

    Sie warnen vor apokalyptischen Reden, Sie warnen vor Dramatisierungen. Es gehe um eine Politik Schritt für Schritt. Dem ist zuzustimmen.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Gut!)

    Aber welche Schritte, und in welche Richtung sollen sie gegangen werden? Dazu haben Sie sich nicht sehr ausführlich geäußert.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Doch!)

    Sie haben eben keine Vorlage eines Handlungskonzepts geboten, sondern einen allgemeinen Appell, der nicht konkret zu werden vermag. Aber das Gegenteil von Apokalypse muß doch nicht illusionäre Schönfärberei sein.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das sagt auch niemand!)

    Handlungsfähigkeit ist gefordert.
    Noch eine kleine Nebenbemerkung: Mich macht besorgt, wenn ich den Eindruck gewinnen muß — das scheint unumgänglich zu sein — , daß, wenn Sie von Handlungsfähigkeit reden, eigentlich Einsatzbereitschaft militärischer Art gemeint ist. Sie haben in diesem Zusammenhang gesagt, darüber müßte man in einer Verfassungsdebatte reden. Eine Verkürzung der Reformbedürftigkeit und des Anpassungsbedarfs des Grundgesetzes auf diesen einseitigen Aspekt finde ich beängstigend.

    (Beifall bei der SPD)

    Gestern hat ein Kollege der Regierungsfraktionen gesagt, dieser Haushalt, den wir diskutieren, sei ein Beleg beginnender Normalität in diesem gesamtdeutschen Staat. Ein erstaunlicher Satz! Ich verstehe ihn nicht. Er scheint mir allzusehr im Widerspruch zu einer Wirklichkeit zu stehen, die für so viele Menschen problematisch und beängstigend sowie irritierend chancen- und risikobesetzt erscheint. Aber vielleicht war mit dieser Bemerkung nur gemeint, daß es endlich wieder gelungen sei, die widerspenstige Wirklichkeit auf vertraute Denkschablonen und die üblichen Urteilsmuster zu stutzen.
    Ich will dem ein Beispiel von Normalisierung in der deutschen Wirklichkeit entgegenhalten. Seit über zwei Wochen streikt die Belegschaft des Stahlwerks Hennigsdorf. Zur gleichen Zeit streiken Bergleute im Aachener Revier. In Hennigsdorf streikt die Belegschaft, weil sie einer Verkaufsentscheidung der Treuhandanstalt mißtraut. Man glaubt, der eine Interessent werde weniger Arbeitsplätze sichern als der andere, der aber den Zuschlag der Treuhandanstalt nicht erhalten soll.
    Der Streik in Hennigsdorf belegt ein Stück Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland auf durchaus paradoxe Weise. Mich freut dieser Streik trotzdem, weil er eine Normalisierung der Lebensein-



    Wolfgang Thierse
    stellung signalisiert, die ich begrüße: Die Arbeitnehmer in den neuen Ländern haben zu kämpfen begonnen.

    (Beifall bei der SPD)

    Arbeitsplatzvernichtung wird auch dort in Zukunft nicht mehr so leicht sein, hoffe ich. Dem Kampf um die Erhaltung chancenreicher Arbeitsplätze gilt meine volle Solidarität in den alten wie in den neuen Ländern.
    Der Konflikt in Hennigsdorf wirft übrigens ein Schlaglicht auf die Treuhand. Mir ist nicht ersichtlich, warum die Anstalt eine Präferenz für einen Anbieter hat; ich kenne die Gründe und die Konzepte nicht. Schlimmer ist, daß sie dies den Arbeitern nicht verständlich machen kann. Es mangelt offenbar noch immer an der nötigen Transparenz der Treuhandentscheidungen.
    Die Arbeiter von Hennigsdorf sind weder bockig noch nationalistisch. Ihr Kriterium ist nicht die Nationalität des Kapitals, sondern die Zahl der verbleibenden Arbeitsplätze. Das ist ein vernünftiges Kriterium. Es beweist auch: Die Leute wollen Arbeit, und sie wollen nicht auf Dauer am Geldtropf des Westens hängen. Sie wissen, was sie selber können, und wollen es auch tun — ganz normale Leute also!
    Normalität sonst? Wir leben zwar in einem geeinten Staat, aber in einem ökonomisch und sozial gespaltenen Land. Daß wir in einem gemeinsamen Staat leben — Gott sei Dank — und in diesem gemeinsamen Staat die ökonomische und soziale Spaltung zu überwinden haben, ist Risiko und Chance zugleich. Die Spaltung zu beschreiben ist also nicht Schwarzmalerei, sondern Aufgabenbeschreibung. Über Probleme zu reden ist nicht Defätismus. Wer den Deindustrialisierungsprozeß im östlichen Deutschland benennt, vertieft nicht die Spaltung Deutschlands — wie der thüringische Ministerpräsident gestern behauptet hat —, sondern nennt eine brutale Wirklichkeit beim Namen, um den Prozeß umzukehren.

    (Beifall bei der SPD)

    Beschweigen oder schönreden hilft nicht, sondern schadet nur.
    In diesem Sinne rufe ich ein paar nüchterne Daten in Erinnerung: Seit 1989 sind mindestens 500 000 Menschen von Ost nach West in Deutschland gewandert — zum Glück keine Flüchtlinge im früheren Sinne mehr. Im Westen Deutschlands hat die Zahl der Arbeitsplätze erheblich zugenommen; der Bundeskanzler hat die Zahl vorhin genannt. Die Produktion ist 1990 und im ersten Halbjahr 1991 gestiegen; die Unternehmensgewinne sind rasant gewachsen.
    Eine Meldung von heute: In Ostdeutschland gibt es einen Einkommensrückstand von mehr als zehn Jahren gegenüber Westdeutschland; das teilt das DIW mit. Von 1989 bis 1991 ist das Bruttosozialprodukt im Osten Deutschlands um rund ein Drittel geschrumpft und ist die Industrieproduktion um zwei Drittel gesunken. Die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze in Ostdeutschland ist von 9,6 Millionen auf 5,7 Millionen gesunken.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Trotzdem steigt das Einkommen!)

    Die versteckte und offene Arbeitslosigkeit einschließlich der durch befristete arbeitsmarktpolitische Maßnahmen aufgefangenen Personen liegt bei über 30 %. In einzelnen Regionen ist sie deutlich höher. Vergleicht man die direkte Arbeitslosigkeit, so ergibt sich im Westen eine Arbeitslosenquote von 5,4 %, wobei ich weiß, daß es auch hier Regionen gibt, wo die Arbeitslosigkeit dramatisch ist. Im Osten gibt es eine Arbeitslosigkeit von 11,9 %, bei Frauen 14,9 %, bei Männern 9 %.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Mittlerweile scheint die Talsohle der Produktion hinter uns zu sein, jedoch ist ein sich selbst tragender Aufwärtstrend immer noch nicht in Sicht. Machen wir uns nichts vor. Die Talsohle bei der Beschäftigung ist noch längst nicht erreicht.

    (Zuruf von der CDU/CSU:Im Frühjahr!)

    Im Osten Deutschlands steigen die Investitionen wieder, aber je Erwerbstätigen wird nach wie vor nur halb so viel im Osten Deutschlands investiert wie im Westen Deutschlands.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist der Dienstleistungssektor!)

    Dabei müssen wir doch einen Nachholprozeß organisieren. Da ist dieses eine alarmierende Zahl.
    Ich weiß, die Realeinkommen in Ostdeutschland sind kräftig gestiegen. Ich mache aber die Einschränkung: für einen Teil der Bevölkerung. Die Basis des Anstiegs des Einkommens ist nicht die Wirtschaftskraft in den neuen Ländern selbst, sondern zu einem großen Teil der enorme — die Zahlen hat auch der Herr Bundeskanzler genannt — Milliardentransfer von West nach Ost,

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Noch! Noch! Das ist ja ein Übergang!)

    nur zu einem kleinen Teil selbst erwirtschaftet. Das kann selbstverständlich nicht auf Dauer so bleiben, zumal es Anzeichen für eine Angleichung auch im Negativen gibt in Deutschland.
    Drastischer und schneller, als von vielen erwartet,
    — so schrieb die „Wirtschaftswoche" vor wenigen Tagen —
    hat sich der einsetzende westdeutsche Konjunkturabschwung auf dem deutschen Arbeitsmarkt niedergeschlagen. Fehlende Impulse aus dem Ausland, eine erlahmende Nachfrage aus den neuen Bundesländern sowie die zahlreichen Steuern und Abgaben, die den Westverbrauchern die Kauflust nehmen, würgten den Aufschwung in der zweiten Hälfte dieses Jahres ab.

    (Zuruf von der CDU/CSU: In welchem Land denn?)

    Finanzpolitisch aber sind wir auf einen Konjunktureinbruch und die sozialen Kosten für die Millionen Arbeitslosen nicht ausreichend vorbereitet. Das bedeutet, die ökonomische Lage wird bedrängender. Der Westen Deutschlands wird in Mitleidenschaft gezogen. Dabei ist doch klar — ich will das ausdrücklich



    Wolfgang Thierse
    betonen — : Die Stabilität der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung im Westen Deutschlands ist die Voraussetzung für den Nachhol- und Aufbauprozeß im Osten Deutschlands. Und eine vernünftige Politik für den Aufbau im Osten wirkt positiv zurück auf die Entwicklung im Westen. Das allerdings gilt auch. Jeder Fehler dort hat Wirkungen hier, kommt am Schluß alle in Deutschland teuer zu stehen. Da hilft keine Politik des Schönredens und der Versprechungen. Ich verlange keine Wunder, sondern die Korrektur von Fehlern. Das ist doch wohl das Mindeste:

    (Beifall bei der SPD)

    die Überwindung einer bornierten Politik, die beängstigende Folgen gezeigt hat.
    Ich will das nur an einem einzigen Beispiel verdeutlichen, weil nicht soviel Zeit ist: Die berühmten, berüchtigten ungeklärten Eigentumsverhältnisse im Osten Deutschlands sind — das ist eine hinlänglich bekannte Tatsache — ein elementares Investitionshemmnis. Zu diesem dramatischen Problem stehen die von der Regierung durchgesetzten — sogenannten — Lösungen im Einigungsvertrag und in den Nachbesserungsgesetzen in einem geradezu lächerlich absurden Mißverhältnis. Ich will gerne einmal vortragen, was notwendig ist, um ein Grundstück in den neuen Ländern zu erwerben, auf dem neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollen. Es müssen berücksichtigt werden: das Vermögensgesetz, das Vermögenszuordnungsgesetz, die Grundstücksvermögensordnung, die Anmeldeverordnung, die §§ 20 a und 20b des Parteiengesetzes der DDR, das Investitionsgesetz, das Verwaltungsverfahrensgesetz, das Verwaltungszustellungsgesetz, das Einigungsvertragsgesetz, die Grundbuchordnung, die Wertermittlungsverordnung, das Treuhandgesetz mit vier Durchführungsverordnungen, das Abkommen vom 9. Oktober 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR über einige überleitende Maßnahmen. Soll ich fortfahren aufzuzählen, welche Verwaltungsstellen alle eingeschaltet werden müssen und wer alles bei der Frage mitredet, welche Rechtswege noch möglich sind?

    (Dr. Reinhard Meyer zu Bentrup [CDU/ CSU]: Im Rechtsstaat ist das nun einmal so!)

    Ich denke, Sie müßten aus dieser Erfahrung endlich eine Konsequenz ziehen, den Grundsatz umkehren und nun menschlich angemessen verfahren. Es kann nicht bei dem Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung" bleiben.

    (Beifall bei der SPD)

    Diese bornierte Eigentumsregelung

    (Dr. Reinhard Meyer zu Bentrup [CDU/ CSU]: Das ist keine bornierte Regelung!)

    erzeugt Probleme, die auch beängstigenden sozialen Sprengstoff enthalten und die Gefahr einer neuerlichen Ost-West-Spaltung heraufbeschwören.
    In der DDR konnte man, um auf die andere Seite einzugehen, die viele Millionen Menschen betrifft — da geht es jetzt nicht um Investitionen —, Grundstücke nicht erwerben. Man wurde, insbesondere in den siebziger Jahren, nur Nutzer eines Hauses; das
    bedeutet praktisch, Eigentümer mit allen Rechten und Pflichten zu sein. Solche Menschen haben sich 20 Jahre lang als Eigentümer fühlen können. Sie haben vor allem unter großen Mühen Haus und Grundstück gepflegt und erhalten. Nun sind sie vom Verlust ihres Wohnsitzes bedroht, weil sie in eine rechtliche Situation geraten sind, die es eigentlich gar nicht gibt. Schutzlos sind sie den Ansprüchen früherer, im allgemeinen jetzt westlicher Eigentümer oder gar deren Erben ausgesetzt, die bis zum 3. Oktober 1990 niemals damit rechnen konnten, den früheren Besitz zurückzuerlangen. Sie benötigen ihn oft auch nicht, sondern spekulieren; ich weiß das aus Berlin und aus der Umgebung von Berlin.
    Manche der Nutzer haben ein Gesetz der ModrowRegierung vom März 1990, das vom Runden Tisch abgesegnet war, benutzt, um das Grundstück, auf dem sie leben, doch noch zu kaufen. Sie stehen nun im Geruch des unredlichen Erwerbs, weil ihnen laut aktueller Rechtslage hätte klar sein müssen, daß der Rücktritt Honeckers am 18. Oktober 1989 das Ende der DDR bedeutet habe, durch das jeglicher Rechtsverkehr hätte ruhen müssen. — Ich brauche das nicht weiter zu schildern.
    Ich fordere die Bundesregierung auf, die Stichtagsregelung des Vermögensgesetzes zu streichen und die Beweislast für angeblich unredlichen Erwerb umzukehren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

    Ich fordere, den Nutzern von Wohneigentum langfristig ein Bleiberecht unter Bedingungen zu sichern, die sie auch finanziell verkraften können, und schließlich auch beim privaten Hausbesitz Regelungen zu treffen, daß die Alteigentümer vorrangig entschädigt werden.

    (Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Machen wir doch!)

    Wir können nicht Hunderttausende wegen einiger zwar wichtiger, aber doch abstrakter Rechtsnormen um die Früchte ihrer Lebensleistung, um ein Stück Heimat, um ihre Wohnung bringen.

    (Beifall bei der SPD)

    Es würde die fortbestehende gesellschaftliche Spaltung in Deutschland weiter vertiefen, statt sie zu überwinden.
    Die Dimension dieses Problems ist enorm. Allein in Brandenburg sind von 300 000 Restitutionsansprüchen 200 000 Ansprüche auf private Häuser und Wohnungen. 200 000 betroffene Haushalte summieren sich schnell zu einer halben bis einer Million Menschen, die davon betroffen sind. Ich erlaube mir den Satz, daß demgegenüber bestimmte Rechtsnormen abstrakt genannt werden können.

    (Beifall bei der SPD)