Rede:
ID1203601100

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 9
    1. Ich: 1
    2. erteile: 1
    3. das: 1
    4. Wort: 1
    5. dem: 1
    6. Abgeordneten: 1
    7. Dr.: 1
    8. Ulrich: 1
    9. Briefs.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/36 Deutscher Stenographischer Bericht 36. Sitzung Bonn, Dienstag, den 3. September 1991 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen des Vizepräsidenten Hans Klein und des Abgeordneten Claus Jäger 2981 A Verzicht des Abgeordneten Peter Zumkley auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 2981 B Eintritt der Abgeordneten Thea Bock in den Deutschen Bundestag 2981 B Begrüßung des neuen Direktors beim Deutschen Bundestag, Dr. Rudolf Kabel . . . 2981 B Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksache 12/1000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 (Drucksache 12/1001) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 2981D Ingrid Matthäus-Maier SPD 2991 C Jochen Borchert CDU/CSU 2998 C Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD 3002 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP 3004 A Dr. Ulrich Briefs PDS/Linke Liste 3007B Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 3009 C Ortwin Lowack fraktionslos 3011B Nächste Sitzung 3011D Berichtigung 3012 A Nachtrag zum Plenarprotokoll 12/34 vom 20. Juni 1991 3012A Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3013* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. September 1991 2981 36. Sitzung Bonn, den 3. September 1991 Beginn: 10.00 Uhr
  • folderAnlagen
    3012 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. September 1991 Berichtigung 34. Sitzung, Seite 2 847 D: Statt „Bücher (Speyer)" ist „Büchner (Speyer)" zu lesen. Nachtrag zum Plenarprotokoll 12/34 vom 20. Juni 1991 Zu Tagesordnungspunkt 15 — Anträge zum Parlaments- und Regierungssitz — wurde noch folgende Rede zu Protokoll gegeben: Dr. Jürgen Schmieder (FDP): Ich bedauere, daß die Entscheidung über den künftigen Sitz von Bundestag und Regierung zu einem reinen Städtewettkampf herabstilisiert wird. Man kann die beiden Städte ohnehin nicht einfach miteinander vergleichen. Bonn ist eine sehr sympathische Stadt mit kleinstädtischem Charakter — und Berlin wird auch ohne Regierung und Bundestag zu einer Weltstadt werden. Die Entscheidung Berlin oder Bonn ist doch vielmehr eine politische Entscheidung. Es geht hier vor allem um politische Glaubwürdigkeit Bonner Politik. Man kann nicht 40 Jahre lang die Vision Berlin zeichnen und Bonn als Provisorium betrachten und nun, nachdem die Deutsche Einheit vollzogen ist, plötzlich alles negieren und sich anders positionieren. Berlin ist für mich ein Synonym für deutsche Geschichte, insbesondere für die moderne Geschichte. In Berlin war die Trennung des deutschen Vaterlandes am deutlichsten spürbar und sichtbar durch die infame Mauer, die mitten durch Familien und die Herzen der Menschen ging. In Berlin sind auch die entscheidenden Ereignisse der politischen Wende in der ehemaligen DDR gelaufen. Deshalb kann für mich die Entscheidung nur Berlin heißen. Einen weiteren Aspekt der Glaubwürdigkeit der Bonner Politik sehe ich darin begründet: Bei einer Entscheidung des Bundestages pro Berlin wird zur Abschreckung von den Bonn-Befürwortern für die Zukunft Bonns ein düsteres Bild der Zukunft gezeichnet. Wie aber soll nun das ganze Land — insbesondere der Ostteil — glauben, daß die Bonner Politik in der Lage ist, die riesigen Probleme der Arbeitslosigkeit und der Umstrukturierung der Wirtschaft erfolgreich lösen zu können, wenn man schon vor einem an den Problemen des Ostens gemessenen kleinen Problem wie dem Fortbestand der Bonner Region kapituliert? Genau das will aber die Bonner Politik leisten. Jedenfalls sind die Vertreter aller Parteien dafür angetreten: Für den Fortbestand der Bonner Region und für das Aufblühen des Ostens. Deshalb kann die Entscheidung für mich nur Berlin heißen, weil diese Entscheidung nicht nur Glaubwürdigkeit, sondern auch Hoffnung vermittelt! Anlage zum Stenographischen Bericht (C) Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 03. 09. 91 Berger, Johann Anton SPD 03. 09. 91 Blunck, Lieselott SPD 03. 09. 91* Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 03. 09. 91* Doss, Hansjürgen CDU/CSU 03. 09. 91 Erler, Gernot SPD 03. 09. 91 Gries, Ekkehard FDP 03. 09. 91 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 03. 09. 91 Jungmann (Wittmoldt), SPD 03. 09. 91 Horst Koltzsch, Rolf SPD 03. 09. 91 Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 03. 09. 91 Marten, Günter CDU/CSU 03. 09. 91* Dr. Müller, Günther CDU/CSU 03. 09. 91* Opel, Manfred SPD 03. 09. 91 Pfuhl, Albert SPD 03. 09. 91 * Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Rahardt-Vahldieck, CDU/CSU 03. 09. 91 Susanne Rempe, Walter SPD 03. 09. 91 Reuschenbach, Peter W. SPD 03. 09. 91 Roth, Wolfgang SPD 03. 09. 91 Schäfer (Offenburg), SPD 03. 09. 91 Harald B. Dr. Scheer, Hermann SPD 03. 09. 91* Schütz, Dietmar SPD 03. 09. 91 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 03. 09. 91 Christian Dr. Sperling, Dietrich SPD 03. 09. 91 Dr. Sprung, Rudolf CDU/CSU 03. 09. 91 * Thierse, Wolfgang SPD 03. 09. 91 Verheugen, Günter SPD 03. 09. 91 Weisskirchen (Wiesloch), SPD 03. 09. 91 Gert Zierer, Benno CDU/CSU 03. 09. 91 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Weng


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident, auch von mir herzlichen Glückwunsch zu Ihrem 60. Geburtstag.
    Meine Damen und Herren! Nach Ende der Parlamentsferien können sich jetzt die Sommerlochfüller aller Couleur wieder in ihre tatsächliche Bedeutungslosigkeit zurückziehen. Fahrradsteuer, Luxussteuer, Hundesteuer nach Hubraum oder Beißkraft, das alles gehört jetzt in die Sommerlochvergangenheit. Das Parlament nimmt mit der heutigen Debatte seine Sacharbeit wieder auf und seine Aufgaben wieder wahr.
    Wir beraten in erster Lesung den Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 1992, den das Bundeskabinett am 10. Juli verabschiedet hat und der sich in den Rahmen der finanzpolitischen Vorgaben der Koalition, die wir im Zusammenhang mit der deutschen Einigung definiert haben, einfügt.
    Das ins Auge gefaßte Wachstum der Ausgaben gegenüber dem Vorjahr um 3 % auf ein Volumen von ca. 422 Milliarden DM ist maßvoll. Ich darf hier sagen: Der Herr Kollege Borchert hat an dieser Stelle ganz besonders recht gehabt. Wer die Ausgabenseite der Haushalte ansieht, der sieht, wo tatsächlich geordnete Finanzpolitik stattfindet. Da scheut der Bundeshaushalt keinen Vergleich mit irgendeinem anderen Etat.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Kollegin Matthäus-Maier hatte übrigens nur an einer einzigen Stelle recht. Die Geschichte mit dem Export von Rindfleisch nach Brasilien spottet wirklich jeder Beschreibung.
    Die Nettokreditaufnahme soll unter 50 Milliarden DM sinken, und der Finanzplan weist auch die vorgesehene weitere Rückführung der Nettoneuverschuldung auf.
    Alles bestens? Leider nein. Denn die Gesamtsituation ist schwieriger, als es der Etatentwurf deutlich macht.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Aha!)

    Spielräume sowohl bezüglich möglicher Risikoabsicherung als auch bezüglich politischer Handlungsfähigkeit sind außerordentlich klein geworden. Es ist eigentlich schade, daß die Bundesregierung die Chance notwendiger struktureller Veränderungen
    — mehr Privatisierung und mehr Deregulierung — nicht im wünschenswerten Umfang genutzt hat. Wir hatten das in der Koalitionsvereinbarung noch festgelegt. Aber an dieser Stelle ruht der See leider etwas
    — sicherlich auch wegen Arbeitsüberlastung, aber nicht nur. Es wäre, meine Damen und Herren, schon
    wünschenswert gewesen, wenn in den neuen Bundesländern in der Frage privaten Handelns eine echte Vorreiterrolle unterstützt und finanziert oder hierbei geholfen worden wäre. Das ist, wie gesagt, bisher nicht in wünschenswertem Umfang in Gang gekommen.

    (Beifall bei der FDP)

    Zusätzlich machen aber Entwicklungen außerhalb unserer Grenzen deutlich, daß die Anforderungen erheblich steigen könnten. Die Gratwanderung zwischen dem finanz- und auch wirtschaftspolitisch Vertretbaren und den unabweisbaren Notwendigkeiten wird immer schwieriger. Unser Bundesvorsitzender, Graf Lambsdorff, hat dankenswerterweise zu einem frühen Zeitpunkt darauf hingewiesen, daß sich die FDP der Verantwortung stellt, dieser Herausforderung gerecht zu werden, aber daß auch die Verantwortung der anderen, der Partner, angemahnt wird.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das hat er bei uns auch gemacht! — Dr. HansJochen Vogel [SPD]: Das kennen wir! Immer kurz vor Schluß!)

    Bequem ist es in dieser Situation nicht, Bundesfinanzminister und in dieser Eigenschaft federführend und für die Finanzlage hauptverantwortlich zu sein. Theo Waigel ist hierum also nicht zu beneiden. Trotzdem muß es unsere Aufgabe sein, ihn immer und immer wieder dazu aufzufordern, das praktische politische Handeln der Regierung in jedem Punkt der erkannten Problemlage anzupassen und entsprechend zu gestalten.

    (Franz Müntefering [SPD]: Sagen Sie doch einmal etwas zu Möllemann!)

    — Möllemann kommt noch, Herr Kollege. Ich kann nicht immer alle von uns loben, die gut sind,

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Da wären Sie aber schnell fertig!)

    aber ein paar schon. Sie können durchaus damit rechnen, daß Möllemann noch kommt.

    (Franz Müntefering [SPD]: Möllemann kommt?)

    — Persönlich kommt er sicher auch irgendwann.
    Der Finanzminister hat dafür nicht immer die wünschenswerte Hilfe. Es ist schade, daß selbst in der jetzigen Sondersituation fast kein Politikbereich davon Abstand nimmt, erfolgreiches Handeln durch Erhöhung von Ausgaben dokumentieren zu wollen. Dieser Satz ist auch als ein Appell an die Kollegen in den Fachausschüssen zu verstehen. Wir haben während der Beratung im Haushaltsausschuß — wenn ich mich recht erinnere — noch nie kostensparende Vorschläge von den Kollegen aus den Fachausschüssen bekommen, sondern es sind eigentlich fast immer dicke Bündel zusätzlicher Ausgabenwünsche zu uns gekommen. Vielleicht könnte man in der Sondersituation des Jahres 1991 und mit Blick auf das Jahr 1992 zurückhaltender sein.
    Eine rühmliche Ausnahme — das ist ja von der SPD schon angemahnt worden — kann eigentlich nur der



    Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

    Bundeswirtschaftsminister Möllemann für sich in Anspruch nehmen.

    (Franz Müntefering [SPD]: Aha! Können Sie das einmal wiederholen? — Ingrid MatthäusMaier [SPD]: Da muß ich Herrn Waigel in Schutz nehmen!)

    Sein vehementes Eintreten für die Reduzierung von Subventionen hat nicht nur einen deutlichen Einsparerfolg erbracht, sondern auch das öffentliche Bewußtsein für die Notwendigkeit des Subventionsabbaus wieder geschärft.

    (Beifall bei der FDP)

    Die Bereitschaft zu konsequenter Sparsamkeit scheint schon wieder ein wenig zu sinken. Deshalb muß die Forderung erfüllt werden, daß wenigstens das Volumen des vom Kabinett beschlossenen Subventionsabbaus unverändert bleibt, auch wenn einzelne Maßnahmen nach erneuter Überprüfung nicht wie geplant vollzogen werden können. Die Debatte in den Fraktionen hierüber ist ja, wie Sie wissen, noch nicht abgeschlossen.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Die Luftbuchungen in eurer Scheinfirma werden vorbereitet!)

    In der Frage der Finanzpolitik können wir im Augenblick das Verhalten anderer Gebietskörperschaften nicht unerwähnt lassen, weil das, was die Bundesbank gesagt hat, ja für alle öffentlichen Haushalte insgesamt gilt. Ich stelle heute erneut fest, daß das Verhalten des Bundes wesentlich besser ist als das der alten Bundesländer und daß sich ein Teil der Gebietskörperschaften, nämlich die wohlhabenden Gemeinden in der alten Bundesrepublik, außerordentlich rücksichtslos verhält. Meine Damen und Herren, nicht alle Gemeinden in der alten Bundesrepublik sind wohlhabend — das weiß ich auch — , aber unter dem Mantel, daß es einigen eben nicht gutgeht, verhalten sich andere, denen es gutgeht, gesamtwirtschaftlich wirklich rücksichtslos. Ich kann nicht verstehen, warum vielerorts für eine gewisse Zeit nicht die gebotene Zurückhaltung bei öffentlichem Konsum, aber auch bei öffentlichen Investitionen, oft mit entsprechenden Folgelasten, geübt wird. Beim Studium von Gemeinderatsbeschlüssen hat man manchmal den Eindruck, daß dort gerade jetzt die Stimmung aufkommt, es müsse besonders hektisch gehandelt werden.
    Leider ist gerade dort das von mir vorhin erwähnte Signal der Deutschen Bundesbank nicht ausreichend gewürdigt worden. Die Bundesbank wollte mit ihrem Warnschuß, einer Gott sei Dank leichten Erhöhung der Leitzinsen, ja gerade verhindern, daß einerseits die Inflationsschraube weitergedreht wird — die Inflation in diesem Jahr ist, das sei zugegeben, auch durch die Steuererhöhungen verursacht worden —, aber sie wollte andererseits darauf hinwirken, daß sich die auf Grund ihrer Schulden zinsabhängigen öffentlichen Haushalte hin zu einer sparsameren Ausgabenpolitik bewegen. Wir fordern insbesondere die angesprochenen Kommunen zu mehr gesamtstaatlicher Verantwortung auf.
    Die FDP-Fraktion bleibt bei der Meinung, daß die Geldwertstabilität für die Wohlfahrt unserer Bürger von allererster Bedeutung ist. Sie wird ihre Politik auch weiterhin in konsequenter Anlehnung an die Vorgaben der Deutschen Bundesbank gestalten. Es wäre unvorstellbar, welche zusätzlichen Probleme bewältigt werden müßten, wenn das internationale Vertrauen in die Stabilität der Deutschen Mark und damit in unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik schwinden und wenn die Mark in ihrer Funktion als Leitwährung Einbußen erleiden würde. Dies, meine Damen und Herren, würde unsere Probleme wesentlich vergrößern. Das darf nicht passieren.
    Die Deutsche Bundesbank hat auch eine klare Aussage zu den Tarifabschlüssen dieses Jahres gemacht. Die Tarifabschlüsse waren wirtschaftspolitisch nicht vertretbar. Dies gilt um so mehr unter dem Aspekt der schnelleren Angleichung des Einkommensgefüges in den neuen Bundesländern, mit all den Risiken, die für die dort Betroffenen damit verbunden sind. Wenn der sonstige wirtschaftliche Gleichstand nicht hergestellt ist, besteht ja immer die Gefahr, daß die Arbeitslosigkeit auf einem höheren Niveau bleibt, wenn die Anpassung zu schnell vollzogen wird.
    Ich fordere aber hier und heute mit Blick auf einen Teil der Verantwortung, die der Bund ganz besonders hat — ich meine seine Verantwortung als öffentlicher Arbeitgeber —, daß der Bund, daß die öffentlichen Arbeitgeber insgesamt als Tarifpartner nicht wieder eine Leitfunktion für volkswirtschaftlich zu hohe Abschlüsse übernehmen dürfen.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Hier wird mit Blick auf die Gesamtverantwortung härter verhandelt werden müssen, wenn die Verantwortlichen auf der Seite der Gewerkschaft keine Einsicht zeigen.

    (Zuruf von der FDP: Sehr richtig! — Detlev von Larcher [SPD]: Schimpfen Sie nicht immer über die Gewerkschaften!)

    Zum Regierungsentwurf gibt es natürlich eine Reihe positiver Anmerkungen, die ich nicht verschweigen will. Die notwendige Finanzierung des gewünschten Aufschwungs in den neuen Bundesländern entsprechend den Beschlüssen des vergangenen Jahres wird konsequent und ja auch erfolgreich fortgesetzt. Es bleibt die erste und zentrale nationale Aufgabe auch des kommenden Jahres, die Lebensumstände der durch die Wiedervereinigung zu uns gekommenen Bürger zum westlichen Wirtschaftsniveau hin zu entwickeln.
    Meine Damen und Herren, der Wert der gewonnenen Freiheit darf nicht auf längere Zeit durch den Frust von Untätigkeit und Hoffnungslosigkeit verringert werden. Daß dies fast zwangsläufig gewisse Einschränkungen im Westen bedeutet, war von Anfang an klar. Die Größe der Einschränkungen konnte natürlich niemand beziffern, weil die Größe der Aufgabe zwar zu sehen, aber der tatsächliche Kostenrahmen selbstverständlich nicht festzulegen war. Er kann auch heute noch nicht festgelegt werden. Das ist klar; es bleibt ja alles eine Aufgabe, die Schritt für Schritt



    Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

    erledigt werden muß. Es ist sicher eine Aufgabe eher für Jahrzehnte als eine kurz- und mittelfristige.
    Die FDP-Fraktion ist der Auffassung: Die jetzt gegebene Belastung für die Bürger ist vertretbar, auch für die Bürger in den alten Bundesländern. Läuft auch vieles im Osten noch nicht optimal, so gehen doch die notwendigen Dinge ersichtlich voran. Hier spielt die Politik der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition eine wesentliche Rolle. Der Aufbau der Verwaltung macht deutliche Fortschritte. Bei der Finanzverwaltung, Herr Staatssekretär Carstens, wäre es wünschenswert, wenn es noch ein bißchen besser und schneller gehen könnte, auch wegen der Einnahmenseite des Bundesetats.
    Die Investitionen im infrastrukturellen Bereich laufen planmäßig, und in einer ganzen Reihe von Branchen geht es auch mit den Investitionen mit Blick auf zukunftsträchtige Arbeitsplätze deutlich aufwärts.
    Daß der Weg der Umstrukturierung der dortigen Volkswirtschaft kein kurzer ist, ist uns bewußt. Er wird natürlich zusätzlich erschwert durch strukturelle Veränderungen, auf die wir keinen Einfluß haben. Es sind die Veränderungen, die im gesamten östlichen Wirtschaftssystem stattgefunden haben. Daß die wesentlichen Abnehmerländer der früheren DDR-Wirtschaft große Probleme mit ihrer Zahlungsfähigkeit haben, erschwert den Übergang natürlich ganz enorm. Ich glaube auch, mit einem solchen Zusammenbruch dieser Strukturen konnte zu Beginn des Einigungsprozesses nicht gerechnet werden.
    Diese Schwierigkeit gilt insbesondere für die Situation in der Sowjetunion. Dort werden der Demokratisierungsprozeß und die staatliche Neustrukturierung leider von einem massiven Rückgang des Sozialprodukts begleitet. Das ist außerordentlich bitter. Dieses ist natürlich nicht Schuld derer, die die neue Entwicklung dort in Gang gebracht haben, sondern Schuld der Vorgänger. Aber auch hier ist es wie so oft: Derjenige, der die Lasten zu tragen hat, muß hierfür geradestehen, auch wenn er sie selber nicht verursacht hat. In dieser Entwicklung in der UdSSR liegt auch eines der großen Risiken, die die deutsche Wirtschaft und eigentlich auch der Haushalt tragen müssen und die auf uns zukommen könnten.
    Natürlich kommen wir auch mit dem Haushalt 1992 entsprechend dem Regierungsentwurf allen Verpflichtungen nach, die wir im Zusammenhang mit den Zwei-plus-Vier-Verträgen eingegangen sind. Aber diese Leistungen allein werden nicht ausreichen, um den notwendigen Neuaufbau in der Sowjetunion zum Erfolg zu führen. Hierzu bedarf es z. B. zusätzlich wirtschaftlicher Großprojekte, die die Reichtümer der Sowjetunion erschließen helfen und deren Nutzung direkt mit massiven Investitionen verbinden. Ich stelle mir etwas Ähnliches vor wie das frühere Erdgas-Röhren-Geschäft, in vielleicht noch größeren Dimensionen. Für die genannte Entwicklung wird nicht nur deutsche Hilfe, sondern auch zusätzliche Unterstützung gebraucht.
    Ich kann zwar menschlich verstehen, meine Damen und Herren, daß unsere westlichen Verbündeten eine nicht ganz identische Interessenlage haben wie wir, vielleicht auch deswegen, weil sie nicht ganz so nahe dran sind, und sie durchaus gerne sehen, daß wir zunächst einmal Vorreiter sind. Das müssen und wollen wir auch sein. Ich meine jedoch, daß gerade der Gott sei Dank erfolglose Putsch in der Sowjetunion verdeutlicht hat, wieviel Schlimmeres hätte passieren können als die Notwendigkeit der Unterstützung wirtschaftlichen Aufbaus.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich will mir und damit Ihnen Schreckenszenarien ersparen, die man aufbauen könnte, wenn man sich vorstellt, daß nicht engagierte Demokraten und eine sich ihrer Rechte bewußt gewordene Bevölkerung den Putsch abgewehrt hätten. Den wohlwollenden Worten müssen jetzt Taten folgen, und zwar auch Taten unserer Alliierten.
    Die wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik ist gut. Das wirtschaftliche Wachstum auf der einen Seite und die Arbeitsmarktsituation in den alten Bundesländern auf der anderen Seite sind sehr günstig. Die genannte Zahl von nahezu 800 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen ist beeindruckend. Ich bin sicher, daß sich die zeitweilige Schwäche im Exportbereich schnell wieder verändern wird, wenn der Nachholbedarf auf dem Binnenmarkt erst einmal gedeckt ist und wenn sich die Wirtschaft dann wieder um die etwas schwierigeren internationalen Märkte in gleicher Weise bemüht, wie sie es vor der deutschen Einigung in vorbildlicher Weise getan hatte. Die große Zahl der zusätzlichen Arbeitsplätze sorgt natürlich auch für eine Entlastung unseres Haushalts und ermöglicht damit ohne einschneidende Wohlstandseinbuße für unsere Menschen — die manche vorausgesagt haben — ein öffentliches Haushalten beim Bund.
    Wir sind auch in der Lage — das beinhaltet der Entwurf der Bundesregierung — , die geplante Entlastung der Familien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie die Verbesserung der steuerlichen Bedingungen für die Wirtschaft zum Erhalt unserer Arbeitsplätze in der Finanzplanung zu berücksichtigen. Meine Damen und Herren, die Kollegin Matthäus-Maier hat in der Frage der Entlastung der Familien angemahnt, daß man sich über lange Jahre rechtswidrig verhalten hätte.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Sehr richtig!)

    Da sich sämtliche Regierungen der Vergangenheit in der Überzeugung rechtlichen Handelns in gleicher Weise verhalten haben, die jetzige Koalition aber

    (Zuruf von der SPD: Ihr wart ja immer dabei! — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Auch Frau Matthäus-Maier war immer dabei!)

    die tatsächliche Situation so gut gestaltet hat, wie sie noch nie vorher gewesen war, meine ich, daß diese Bemerkung der Frau Matthäus-Maier besonders doppelzüngig gewesen ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Man könnte fast von einer Maier-Lüge reden.


    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU — Detlev von Larcher [SPD]: Das ist aber eine klägliche Revanche für die „Steuerlüge" !)




    Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

    Bei allem notwendigen Sparen müssen zukunftsträchtige Dinge weiterhin finanziert werden können. Ich will ein kleines Beispiel geben. Ich glaube, daß der Herr Bundeskanzler nicht schlecht beraten ist, wenn er in Gesprächen mit den Länderchefs eine gewisse — wenn auch sparsame — Unterstützung für die Olympiade in Berlin oder für die Expo 2000 in Hannover signalisiert. Unser Bild nach außen kann weltweite Imagepflege nach der deutschen Einigung durchaus gut gebrauchen.
    Meine Damen und Herren, wenn der Bundesfinanzminister der eigenen Predigt auch zukünftig die konsequente Praxis folgen läßt, sind wir auf einem guten Weg. Der Haushalt des Bundes kann in der jetzigen Sondersituation nach der deutschen Einheit in einer Phase vor kurzem unvorstellbarer Umwälzungen in unserer direkten Nachbarschaft kein Füllhorn aller Wünsche sein. Unsere Arbeitsgruppe im Haushaltsausschuß wird sich an den gegebenen Notwendigkeiten orientieren und den Entwurf der Bundesregierung — sicher in der gewohnt guten Kooperation mit dem Koalitionspartner, den Kollegen der CDU/CSU — sorgfältig nach Einsparmöglichkeiten untersuchen. Ich hoffe sehr und bin überzeugt, daß wir dem Plenum des Deutschen Bundestages zur zweiten Lesung einen verbesserten Haushalt präsentieren können

    (Detlev von Larcher [SPD]: Da sind wir gespannt!)

    und daß wir damit unseren Beitrag zu einer weiteren guten Entwicklung unseres Landes, für seine Bürger, für unsere Menschen leisten.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Hans Klein
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Ulrich Briefs.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ulrich Briefs


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS/LL)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beratung des Bundeshaushalts 1992 findet in einer Zeit atemberaubenden politischen Umbruchs statt. In dieser Umbruchssituation sind wir tiefbefriedigt darüber, daß die Politik der Staatsstreichkräfte in der UdSSR gescheitert ist.

    (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Ist das einheitliche Meinung bei Ihnen?)

    Panzer gegen die Bevölkerung, Panzer gegen ein demokratisch gewähltes Parlament können niemals Mittel der Politik demokratischer Sozialisten sein.

    (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Jochen Borchert [CDU/CSU]: Was ist das denn?)

    Die Bundesrepublik ist, insbesondere durch den vollzogenen Anschluß der DDR, maßgeblich und vielfältig am Umbruch der Gegenwart beteiligt. Wer aber nun glaubt, daß die Bundesregierung ihrer Verantwortung auch wirtschaftlich und auch mit den Mitteln des Bundeshaushalts Rechnung tragen will, der täuscht sich. Auch der Haushalt 1992 ist ein Dokument der Plan- und Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung. Der damit verbundene Schlingerkurs der Bundesregierung droht die Staatsfinanzen gänzlich zu ruinieren.
    Der Feind ist abhanden gekommen, der Rüstungshaushalt bleibt unverändert hoch. Mehr als 52 Milliarden DM sollen auch im Jahre 1992 für Rüstung ausgegeben werden. Jede Mark, die dafür ausgegeben wird, ist zuviel. Sie wird dringlich für die ökologische und soziale Umkehr im Lande benötigt.
    Im Osten der Bundesrepublik bahnt sich derweil eine perspektivlose Beschäftigungskatastrophe an. Von der Bundesregierung wird nach wie vor beschäftigungspolitisch gekleckert und nicht geklotzt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nennen Sie so die ABM-Maßnahmen?)

    Die Not in der sogenannten Dritten Welt nimmt weiter zu — deshalb diskutieren wir ja über das Asylrecht — , und das reiche Deutschland steigert seine Entwicklungshilfe nach dem Entwurf für 1992 nicht einmal in dem Maße, wie die Preise wohl auch im Jahre 1992 steigen werden.
    Geklotzt wird dagegen im Bereich Verkehr, vor allem mit dem Ziel, im Osten gleiche Voraussetzungen für die Autowahngesellschaft — Autowahngesellschaft! — zu schaffen wie im Westen.
    Geklotzt wird bei Forschung und Technologie, um der im Geld schwimmenden Wirtschaft weitere Milliarden zukommen zu lassen,

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Damit es später wieder Steuern gibt!)

    Milliarden für Spitzentechnologien, die eben nicht selten die Umwelt gefährden bzw. Arbeitsplätze zerstören oder zwar raffiniert, aber ohne rechten Nutzen für die Menschen sind.
    Nicht geklotzt wird dagegen im Wohnungsbau. Die Menschen in den Ballungsgebieten, die wachsende Zahl der Obdachlosen, sie werden also weiter vergebens auf erschwinglichen Wohnraum warten müssen.
    Geklotzt wird dagegen bei der Bundesschuld. Die Verschuldungsorgie der Regierung Kohl und seines Finanzministers Waigel geht weiter.
    Nein, dieser Haushalt und auch die mittelfristige Finanzplanung zeugen von der vielfach bekannten und belegten Plan- und Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung. Die welthistorische Herausforderung des politischen Umbruchs in Osteuropa hat die Bundesregierung nicht dazu veranlaßt, energisch und mit einer klaren Konzeption für finanzpolitische Stabilität und nun endlich auch für eine dem Reichtum dieser Gesellschaft angemessene Versorgung der Bevölkerung bei dringlichen grundlegenden Voraussetzungen zu sorgen. Die Schlingerbewegung — ich habe es eben schon gesagt — der Politik der Bundesregierung hält an. Die finanzpolitischen Risiken gehen nicht zurück, sie steigen.
    Nur in einem bleibt sich die Bundesregierung treu — in einem! — : Zahlen sollen die Mittel- und Geringverdienenden, und weitere Vorteile sollen erhalten die Wirtschaft und die Reichen und Superreichen. Vehement wird insbesondere von der FDP das Dienstmädchen-Privileg verteidigt. Reiche Leute sollen sich zu Lasten der Staatskasse wieder Dienstboten und



    Dr. Ulrich Briefs
    Dienstmädchen halten können; gesellschaftspolitisch soll auch damit das Rad zurückgedreht werden.
    Dagegen weigert sich die Bundesregierung, der Treuhandanstalt eine wirkliche Beteiligung an Beschäftigungsgesellschaften im Osten zu ermöglichen, an Beschäftigungsgesellschaften, wie sie zu Recht von den Gewerkschaften gefordert werden, an Beschäftigungsgesellschaften, die zumindest im Ansatz im Zusammenhang mit Qualifizierungs- und Industriepolitikmaßnahmen einen wesentlichen Beitrag zur Abwendung der Dauerbeschäftigungskatastrophe im Osten leisten könnten.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das ist doch nicht Dauerbeschäftigung!)

    Die Treuhandanstalt ist überhaupt das Paradestück der Plan- und Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung.

    (Zuruf von der CDU: Wer hat die denn eingerichtet?)

    Die Bundesregierung hat kein Konzept für eine aktive Industriepolitik, im Osten nicht und auch im Westen nicht. Das ist übrigens wohl auch einer der Gründe für die steigende Preissteigerungsrate. Hätte die Bundesregierung über die Treuhand systematisch im Osten Arbeitsplätze geschaffen, durch planmäßige Förderung, Anregung und Schaffung entsprechender Produktionskapazitäten, so hätte die Wirtschaft im Westen nicht angesichts zunehmender Nachfrage aus dem Osten und steigender Kapazitätsauslastung im Westen die Kosten der Überbeanspruchung in den Preisen weitergeben können. Die Bundesbank hätte dann wiederum nicht die Leitzinsen auf das höchste Niveau der letzten Jahre heraufdrücken müssen, und Herr Waigel müßte nicht inzwischen, einschließlich der Schattenhaushalte, weit über 100 Milliarden DM allein für den Kapitaldienst ausgeben. Die dadurch ebenfalls in die Höhe gedrückte interne Verzinsung der Unternehmen würde nicht vor weiteren Investitionen im Osten abschrecken usw.
    Wie wir sehen, der zentrale Fehler ist das Fehlen einer industriepolitischen Konzeption für den Osten, einer energisch in die Tat umgesetzten Perspektive auf seiten der Bundesregierung. Statt dessen läßt die Bundesregierung zu, daß im Osten inzwischen über 2,7 Millionen Menschen arbeitslos sind oder kurzarbeiten, zumeist mit null Stunden. Die Arbeitslosigkeit im Osten hat damit bereits jetzt ein Ausmaß erreicht, wie es im Westen nie dagewesen ist. Für den Westen würde dieses Ausmaß etwa 6 Millionen Arbeitslose bedeuten. Wir sind im Westen zum Glück nie über etwa 3,5 Millionen Arbeitslose, einschließlich der stillen Reserve am Arbeitsmarkt, hinausgekommen.
    Was bietet die Bundesregierung in dieser Situation an? 5 Milliarden DM für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, angesichts von 2,7 Millionen Arbeitslosen allein im Osten! Angesichts von annähernd 5 Millionen Arbeitslosen in Gesamtdeutschland werden Mittel bereitgestellt, die lediglich ca. 200 000 Arbeitsplätze, nein Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen erlauben. Ein Tropfen auf den sprichwörtlichen heißen Stein, mehr nicht!
    Auch im Westen nichts Neues für den Arbeitsmarkt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die Konjunktur boomt!)

    Im Gegenteil, Umschichtung von Mitteln in den Osten und damit noch größere Perspektivlosigkeit, insbesondere für die weiter wachsende Zahl von Langzeitarbeitslosen im Westen.
    Nehmen wir die Ausgaben für Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsschutz insgesamt. Sie werden von 1992 bis 1995 von 15,15 Milliarden DM auf 14,15 Milliarden DM zurückgeführt. Der Anteil für diesen Bereich an den Gesamtaufwendungen geht damit von 3,6 % auf 3,15 % zurück. Angesichts der Tatsache, daß allein im Osten in diesem Winter weitere 600 000 Kündigungen kommen, ein wahnwitziges Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte der Marktwirtschaft oder einfach absolute soziale Kälte.
    Da, wie im Kapitalismus üblich, die sozial Schwächsten, die sozial Schwachen zuerst aus den Betrieben gedrängt werden, trifft es vor allem Frauen. Die Bundesregierung könnte allerdings einen Teil dieser Schwächen beheben, z. B. wenn sie Mittel für Kinderkrippen und ähnliches zur Verfügung stellt. Die läßt sie jedoch ganz bewußt im Osten kaputtgehen, weil es in ihr gesellschaftspolitisches Bild der Politik paßt, die Frau zurück an den häuslichen Herd zu bringen. Wir unterstützen daher die Forderung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Bund solle sich mit 20 bis 30 % an den Aufwendungen für entsprechende Programme der Erhaltung und Ausweitung dieser Einrichtungen in den neuen Bundesländern beteiligen.
    Wie geht die Bundesregierung mit dem anderen großen Problem der Menschen im neuen Deutschland, der Wohnungsnot, um? Von 1992 bis 1995 sollen jedes Jahr 2,76 Milliarden DM, ohne Wachstumsrate, für Finanzhilfen an den sozialen Wohnungsbau vergeben werden. Damit können jedes Jahr ca. 55 000 Wohnungen mit jeweils 50 000 DM gefördert werden, in vier Jahren also ganze 220 000, und es fehlen derzeit bereits ca. eine Million Wohnungen, u. a. weil die von Ihnen gehätschelten Gutverdienenden weiter Wohnungen luxusmodernisieren.
    Der Anteil der Förderung des sozialen Wohnungsbaus an den Gesamtausgaben geht von 1992 bis 1995 von 0,65 To der Gesamtausgaben auf 0,61 % zurück. Allein für die Weltraumfahrt und Luftfahrtforschung dagegen werden 1992 fast 2 Milliarden DM bereitgestellt. Während aber die Mittel für den sozialen Wohnungsbau Menschen in sozialer Not zugute kommen würden, kommen die Weltraum- und Luftfahrtforschungsmittel einer kleinen Zahl großer Konzerne zugute, an der Spitze der Daimler-Benz-Konzern, der derzeit 10 Milliarden DM als vagabundierendes Kapital in seinen Kassen hat.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Der investiert auch!)

    So sozial ausgewogen ist die Politik dieser Bundesregierung!
    Aber es kommt noch besser: auf der Einnahmenseite Verbrauchsteuererhöhungen, insbesondere die



    Dr. Ulrich Briefs
    Erhöhung der Mehrwertsteuer — zunächst um einen Punkt —, bei gleichzeitigem Festhalten an den geplanten Steuersenkungen für die Wirtschaft. Hier liegt ein Schlüssel für die ökonomische Fehlanlage der Regierungspolitik: Sie kassiert bei den Mittel- und Geringverdienenden und insbesondere den sozial Schwachen in der Masse ab, begünstigt die reiche Wirtschaft und verschärft nicht nur die sozialen Widersprüche, sondern auch die ökonomischen Widersprüche. Diese ökonomischen Widersprüche sind jetzt und in der Zukunft die typischen Widersprüche des hochentwickelten industriellen Kapitalismus. Der Brutto-Cash-Flow der Wirtschaft z. B. betrug im Jahre 1990 über 1 000 Milliarden DM. Nur etwa die Hälfte wurde für Anlageinvestitionen benötigt. In der Restgröße stecken insbesondere riesige Beträge, die als vagabundierende Kapitalien an die internationalen Geld- und Kapitalmärkte gelenkt bzw. als direkte Investitionen im Ausland — übrigens ganz überwiegend in den westlichen Industrieländern mit hohem Lohnniveau, nicht so sehr in der Dritten Welt — angelegt werden. Das sind übrigens Mittel, die auch recht gut im Osten hätten angelegt werden können, wenn die ökonomische Rationalität das nicht unterbunden hätte. Nur: Dann, wenn die privatwirtschaftliche Profitmacherei die Massenarbeitslosigkeit nicht beseitigt, dann ist die Bundesregierung eben gefordert, gefordert mit entsprechenden Auflagen, Geboten, Anreizen, Strukturprogrammen, Hilfen sonstiger Art: Beratung, Expertisen usw.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Planwirtschaft meinen Sie?!)

    Deshalb fordern wir — und werden wir immer wieder fordern — : Legen Sie Programme auf, die die Möglichkeit geben, ökologisch und sozial sinnvolle Arbeitsplätze zu schaffen! Unterstützen Sie Eigeninitiativen von Belegschaften, von Frauenprojekten, von alternativen Produktionen in Handwerk, Industrie und Landwirtschaft! Schaffen Sie dafür den entsprechenden Rahmen! Stellen Sie entsprechende Fonds bereit! Sie können damit mehr soziale Probleme lösen als dadurch, daß Sie hochkapitalintensive High-TechIndustrieansiedlung fördern, die geradezu aus naturwissenschaftlich-technischen Zusammenhängen heraus mit riesigen Investitionen nur relativ wenige Arbeitsplätze schaffen kann und mit der zudem die ökologischen Bedingungen häufig noch stärker als bisher gefährdet werden.
    Wir brauchen eine Umkehr in nahezu allen Bereichen der Haushalts- und Finanzpolitik. Wir fordern Sie auf, den gesellschaftlichen Reichtum dort abzuschöpfen, wo er im Überfluß vorhanden ist, in der Wirtschaft. Wir fordern Sie auf, den Druck auf die sozial Bedürftigen, die Niedrigverdienenden, die Randgruppen der Gesellschaft, die Asylanten und Asylantinnen aufzugeben und statt dessen den Bedürftigen die notwendigen und die — angesichts des Reichtums dieser Gesellschaft — möglichen Mittel zukommen zu lassen.
    Danke schön.

    (Beifall bei der PDS/Linke Liste)