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    Plenarprotokoll 12/36 Deutscher Stenographischer Bericht 36. Sitzung Bonn, Dienstag, den 3. September 1991 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen des Vizepräsidenten Hans Klein und des Abgeordneten Claus Jäger 2981 A Verzicht des Abgeordneten Peter Zumkley auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 2981 B Eintritt der Abgeordneten Thea Bock in den Deutschen Bundestag 2981 B Begrüßung des neuen Direktors beim Deutschen Bundestag, Dr. Rudolf Kabel . . . 2981 B Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksache 12/1000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 (Drucksache 12/1001) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 2981D Ingrid Matthäus-Maier SPD 2991 C Jochen Borchert CDU/CSU 2998 C Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD 3002 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP 3004 A Dr. Ulrich Briefs PDS/Linke Liste 3007B Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 3009 C Ortwin Lowack fraktionslos 3011B Nächste Sitzung 3011D Berichtigung 3012 A Nachtrag zum Plenarprotokoll 12/34 vom 20. Juni 1991 3012A Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3013* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. September 1991 2981 36. Sitzung Bonn, den 3. September 1991 Beginn: 10.00 Uhr
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    3012 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. September 1991 Berichtigung 34. Sitzung, Seite 2 847 D: Statt „Bücher (Speyer)" ist „Büchner (Speyer)" zu lesen. Nachtrag zum Plenarprotokoll 12/34 vom 20. Juni 1991 Zu Tagesordnungspunkt 15 — Anträge zum Parlaments- und Regierungssitz — wurde noch folgende Rede zu Protokoll gegeben: Dr. Jürgen Schmieder (FDP): Ich bedauere, daß die Entscheidung über den künftigen Sitz von Bundestag und Regierung zu einem reinen Städtewettkampf herabstilisiert wird. Man kann die beiden Städte ohnehin nicht einfach miteinander vergleichen. Bonn ist eine sehr sympathische Stadt mit kleinstädtischem Charakter — und Berlin wird auch ohne Regierung und Bundestag zu einer Weltstadt werden. Die Entscheidung Berlin oder Bonn ist doch vielmehr eine politische Entscheidung. Es geht hier vor allem um politische Glaubwürdigkeit Bonner Politik. Man kann nicht 40 Jahre lang die Vision Berlin zeichnen und Bonn als Provisorium betrachten und nun, nachdem die Deutsche Einheit vollzogen ist, plötzlich alles negieren und sich anders positionieren. Berlin ist für mich ein Synonym für deutsche Geschichte, insbesondere für die moderne Geschichte. In Berlin war die Trennung des deutschen Vaterlandes am deutlichsten spürbar und sichtbar durch die infame Mauer, die mitten durch Familien und die Herzen der Menschen ging. In Berlin sind auch die entscheidenden Ereignisse der politischen Wende in der ehemaligen DDR gelaufen. Deshalb kann für mich die Entscheidung nur Berlin heißen. Einen weiteren Aspekt der Glaubwürdigkeit der Bonner Politik sehe ich darin begründet: Bei einer Entscheidung des Bundestages pro Berlin wird zur Abschreckung von den Bonn-Befürwortern für die Zukunft Bonns ein düsteres Bild der Zukunft gezeichnet. Wie aber soll nun das ganze Land — insbesondere der Ostteil — glauben, daß die Bonner Politik in der Lage ist, die riesigen Probleme der Arbeitslosigkeit und der Umstrukturierung der Wirtschaft erfolgreich lösen zu können, wenn man schon vor einem an den Problemen des Ostens gemessenen kleinen Problem wie dem Fortbestand der Bonner Region kapituliert? Genau das will aber die Bonner Politik leisten. Jedenfalls sind die Vertreter aller Parteien dafür angetreten: Für den Fortbestand der Bonner Region und für das Aufblühen des Ostens. Deshalb kann die Entscheidung für mich nur Berlin heißen, weil diese Entscheidung nicht nur Glaubwürdigkeit, sondern auch Hoffnung vermittelt! Anlage zum Stenographischen Bericht (C) Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 03. 09. 91 Berger, Johann Anton SPD 03. 09. 91 Blunck, Lieselott SPD 03. 09. 91* Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 03. 09. 91* Doss, Hansjürgen CDU/CSU 03. 09. 91 Erler, Gernot SPD 03. 09. 91 Gries, Ekkehard FDP 03. 09. 91 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 03. 09. 91 Jungmann (Wittmoldt), SPD 03. 09. 91 Horst Koltzsch, Rolf SPD 03. 09. 91 Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 03. 09. 91 Marten, Günter CDU/CSU 03. 09. 91* Dr. Müller, Günther CDU/CSU 03. 09. 91* Opel, Manfred SPD 03. 09. 91 Pfuhl, Albert SPD 03. 09. 91 * Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Rahardt-Vahldieck, CDU/CSU 03. 09. 91 Susanne Rempe, Walter SPD 03. 09. 91 Reuschenbach, Peter W. SPD 03. 09. 91 Roth, Wolfgang SPD 03. 09. 91 Schäfer (Offenburg), SPD 03. 09. 91 Harald B. Dr. Scheer, Hermann SPD 03. 09. 91* Schütz, Dietmar SPD 03. 09. 91 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 03. 09. 91 Christian Dr. Sperling, Dietrich SPD 03. 09. 91 Dr. Sprung, Rudolf CDU/CSU 03. 09. 91 * Thierse, Wolfgang SPD 03. 09. 91 Verheugen, Günter SPD 03. 09. 91 Weisskirchen (Wiesloch), SPD 03. 09. 91 Gert Zierer, Benno CDU/CSU 03. 09. 91 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Theodor Waigel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem Monat feiern wir den Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Dieses historische Ereignis, die Überwindung der Grenzen zwischen Ost und West und der Sieg von Freiheit und Demokratie bestimmen die entscheidenden Ziele und Aufgaben unserer Politik. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik ist in diesem Zusammenhang an zentraler Stelle gefordert.
    Die dramatischen Ereignisse in der Sowjetunion in der vorletzten Woche unterstreichen die große Verantwortung, die wir mit der Wiedervereinigung für uns selbst, aber auch für die demokratische Welt jenseits unserer Grenzen übernommen haben.
    Hätte der russische Präsident Boris Jelzin in der vorletzten Woche gezögert, sich den noch einmal erhebenden Protagonisten des reaktionären kommunistischen Apparats entgegenzustemmen, wäre die Entwicklung zu Demokratie und Freiheit in Europa vielleicht um Jahre, wenn nicht um Jahrzehnte zurückgeworfen worden. Ebenso wäre die deutsche Einheit möglicherweise für immer vertan, wenn wir aus Angst vor möglichen Belastungen und Risiken im letzten Jahr nicht mit der Wirtschafts- und Währungsunion den Weg zur deutschen Einheit freigemacht hätten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben zugepackt und die einmalige historische Chance ergriffen. Wir haben gehandelt, als andere zögerten und zauderten, für Umwege plädierten und Irrwege predigten.



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Die jüngsten Ereignisse in der Sowjetunion zeigen, wie richtig und konsequent dieser Weg war. Nach dem Scheitern des Putsches besteht jetzt, trotz aller Unsicherheiten des Übergangs, die Chance für den endgültigen Durchbruch von Demokratie, Föderalismus und Marktwirtschaft in der Sowjetunion.
    Der Schlüssel zum wirtschaftlichen und politischen Neubeginn in der Sowjetunion liegt in der Klärung der politischen Strukturen, vor allem in der Form der Zusammenarbeit zwischen den nach Selbständigkeit strebenden Republiken.
    Ich verstehe das Mißtrauen der Republiken gegenüber der Zentrale, von der auch der Putsch ausging. Es wäre aber weder im Interesse der Menschen in der Sowjetunion noch im Interesse der westlichen Staaten, wenn es zu einer totalen Zersplitterung käme.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Das Streben nach Autarkie, die Errichtung von Zollgrenzen und die Schaffung einer Vielzahl von Kleinstaaten würden den wirtschaftlichen Neubeginn nicht erleichtern. Das wird auch von den politisch Verantwortlichen in der Sowjetunion zunehmend erkannt — wobei diese Bemerkung nicht für die völlig andere Situation im Baltikum gilt.
    Zur Übernahme der marktwirtschaftlichen Ordnung: Erst wenn die marktwirtschaftlichen Voraussetzungen stimmen, werden westliches Kapital und westliches Wissen in die Sowjetunion fließen,

    (Zuruf von der SPD: Dann ist es zu spät!)

    werden Milliarden investiert, werden Arbeitsplätze geschaffen, wird die sowjetische Wirtschaft modernisiert und werden die Menschen endlich mit dem Notwendigen versorgt werden können; und das ist die Voraussetzung wirksamer Hilfe für die Sowjetunion.
    Dazu gehört auch die Bereitschaft für die in der Vergangenheit eingegangenen Verpflichtungen, insbesondere für die Kredite und Bürgschaften, einzustehen. Eine gemeinsam mit IWF und Weltbank auszuarbeitende und anzuwendende makroökonomische Anpassungsstrategie, die vor allem die Stabilität des Geldwertes und der öffentlichen Finanzen sicherstellt, ist ebenfalls erforderlich.
    Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, stellt sich die Aufgabe, im Kreis der westlichen Industrienationen über wirksame Hilfe zur Selbsthilfe zu sprechen. Doch wenn dies geschieht — und die Sowjetunion ist auf dem Wege dahin — , dann ist der Westen auch gefordert. Insofern stellt sich das, was wir in London und zuvor gesagt haben, als richtig heraus, war unsere Strategie nicht überstürzt, sondern die richtige Antwort auf die Vorgänge in der Sowjetunion und in Osteuropa.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zustimmung der Abg. Ingrid MatthäusMaier [SPD])

    Dabei allein — auch darüber müssen wir uns klar sein — kann es nicht bleiben. Konkret werden wir sehr schnell Vorbereitungen für eine koordinierte Nahrungsmittelhilfe treffen. Wir wollen den Menschen in der Sowjetunion auch bei der medizinischen Versorgung helfen.
    Rasche Fortschritte der Sowjetunion auf dem Weg zu Demokratie und Marktwirtschaft entsprechen unserem nationalen Interesse. Die Bundesrepublik steht deshalb bei der Unterstützung der UdSSR und der anderen mittel- und osteuropäischen Staaten an der Spitze. Über die Hälfte aller westlichen Hilfen an die UdSSR in Form von Zuschüssen, Krediten und Bürgschaften wird von uns bereitgestellt. Durch die Zahlungen für den Truppenabzug und weitreichende Wirtschaftshilfe leisten wir über unser rein nationales Interesse hinaus einen wesentlichen Beitrag zur Festigung von Demokratie und Marktwirtschaft in ganz Europa.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Deshalb habe ich schon frühzeitig in allen Gesprächen mit unseren Partnern, zuletzt in London beim Weltwirtschaftsgipfel, in der G 24 und auf EG-Ebene, die Notwendigkeit einer globalen Lastenteilung unterstrichen. Das wiedervereinigte Deutschland ist zu seiner größeren Mitverantwortung in der Welt bereit. Zur größeren Mitverantwortung aber gehört eine gerechte globale Lastenteilung in allen Teilen der Welt, auch in Osteuropa und gegenüber der Sowjetunion.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Ich werde bald nach Moskau reisen, um in persönlichen Kontakten selber festzustellen, was wir tun können, damit westliche Hilfe auf fruchtbaren Boden fällt. Mein Kollege Lamont und zuletzt Premierminister Major haben bereits erste Gespräche in Moskau geführt. Aus dem Kreis der G 7 werden in Kürze weitere Finanzminister Einladungen nach Moskau folgen.
    Wir bedanken uns bei der britischen Regierung für die wichtige Rolle, die sie bei der Koordinierung der Gespräche und Verhandlungen mit der Sowjetunion gespielt hat. Als Gastgeber des kommenden Wirtschaftsgipfels 1992 in München werden wir ebenfalls alles tun, um im Prozeß der Hilfe für die Sowjetunion Fortschritte zu erzielen.
    Der Beitritt der Sowjetunion zum Internationalen Währungsfonds soll zunächst über den in London vereinbarten speziellen Status ohne Zeitverzögerung angestrebt werden. Angesichts der länger dauernden Verfahren, die zur Vollmitgliedschaft führen, ist der vorgesehene Sonderstatus der richtige Weg, eine Zusammenarbeit zwischen dem IWF und der Sowjetunion zu ermöglichen.
    Bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung setzen wir uns für die Aufhebung der bisher bestehenden Begrenzung der Kreditvergabe an die Sowjetunion ein. Es macht auf die Dauer keinen Sinn, einer solchen neu gegründeten Bank nur die Möglichkeit zu geben, der Sowjetunion Kredite in der Höhe zu gewähren, wie sie selber Einlage geleistet hat. Ich glaube, es ist richtig, wenn wir uns da weiter für eine Änderung der Statuten einsetzen.
    Die Sowjetunion steht angesichts der aktuellen Ereignisse im Mittelpunkt. Aber wir werden auch die anderen mittel- und osteuropäischen Staaten, insbesondere diejenigen, die den Prozeß der Wiederverei-



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    nigung nachhaltig unterstützt und geebnet haben, nicht vergessen.
    Unsere Strategie gegenüber den ehemaligen Ostblockländern war richtig. Unsere bisherige Strategie bei der Hilfe an die Sowjetunion war von dem Prinzip geprägt: Leistung und Gegenleistung. Der größte Teil der deutschen Leistungen zur Unterstützung des Reformprozesses in der Sowjetunion steht unmittelbar im Zusammenhang mit der Verwirklichung der deutschen Einheit. Die von der Bundesregierung gewährten Hermes-Bürgschaften erfolgten zu einem erheblichen Teil zur Förderung der Exporte ostdeutscher Unternehmen, die damit Beschäftigung aufrechterhalten konnten. Die Auszahlung der Mittel im Rahmen des Überleitungsabkommens erfolgt tranchenweise je nach Fortschritt des Truppenabzuges.
    Durch die Wiedervereinigung und die gewaltigen internationalen Aufgaben ist die Finanzpolitik täglich neu gefordert. Die Zusammenführung zweier bisher völlig gegensätzlicher Wirtschaftssysteme und die Bewältigung der Neuordnung Europas sind auch finanzpolitisch einmalige Aufgaben, für die es in den Lehrbüchern keine Rezepte oder Handlungsanweisungen gibt. Wir können nicht einfach so weitermachen wie bisher.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    — Ich bedanke mich herzlich für diesen Beifall. Ich nehme an, daß Sie in diesen Beifall nicht die Berner-kung des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten von gestern einschließen, ich hätte ihm, wenn die Mittel für die Strukturhilfe in die Ostländer umgeschichtet werden, 200 Millionen DM gestohlen. Denn heute muß man sich bei der Frage „Wo ist mein Nächster?" doch überlegen, ob mein Nächster, mein Mitbürger in Rheinland-Pfalz, in Nordrhein-Westfalen und in Bayern ist oder ob er nicht auch in den neuen Bundesländern ist und ob diese Mittel nicht dort hingehören, wo die Menschen sie wirklich brauchen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU und der FDP — Beifall des Abg. Werner Schulz [Berlin] [Bündnis 90/GRÜNE] und des Abg. Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD])

    — Ich bedanke mich, Herr Kollege Vogel, für den Beifall auch zu dieser Bemerkung zur Solidarität unter den Deutschen. Er hätte bei Ihnen allerdings etwas stärker aufkommen dürfen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Wer ist denn hier der Oberlehrer? Anscheinend Sie! — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ihr braucht wieder einmal ein Gruppenerlebnis!)

    — In der ersten Reihe sind Sie hier immer in einem gruppendynamischen Prozeß, Herr Kollege.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Ist doch gut! — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wir sind uns doch einig!)

    Wir brauchen die Unterordnung der Einzelinteressen unter das Gemeinwohl. In diesem Zusammenhang müssen wir alle Optionen einer Bündelung der nationalen Kräfte prüfen.
    Meine Damen und Herren, hier stellt sich wirklich die Frage, ob bei den Zusammenkünften beim Bundeskanzler mit den Tarifpartnern und mit den Ministerpräsidenten nicht nur über die Fragen, die in den neuen Bundesländern anstehen, diskutiert wird, sondern ob wir wie früher in einer konzertierten Aktion auch darüber nachdenken: Was ist allgemein gemeinwohlverträglich? Auf was müssen wir alle verzichten, um die Probleme der nächsten Jahre finanzpolitisch bewältigen zu können? Dazu gehört auch die Frage, wie Lohnentwicklungen in den nächsten Jahren stattfinden sollen, damit sie gemeinwohlbedingt und für uns alle finanzierbar sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Eine gesunde Wirtschaft und geordnete öffentliche Finanzen sind die entscheidenden Grundlagen für die Bewältigung der gewaltigen nationalen und internationalen Herausforderungen. Wir dürfen hier kein Risiko eingehen. Wer durch undisziplinierte Forderungen diese Grundlagen gefährdet

    (Lachen bei der SPD)

    und sich auf stabilitätspolitische Lippenbekenntnisse beschränkt, handelt letztlich verantwortungslos gegenüber der Gemeinschaft und den uns anvertrauten Bürgern.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Wir haben bisher unseren finanzpolitischen Kurs erfolgreich durchgesetzt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Siehe Möllemann!)

    — Hätten Sie Ihre Haushaltspolitik über 1982 hinaus fortsetzen können, dann hätten wir die finanzpolitischen Grundlagen für die Wiedervereinigung nicht gehabt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben auch in den letzten Jahren unsere Ausgabenansätze eingehalten. Der Solidaritätszuschlag wird, wie angekündigt, am 30. Juni 1992 auslaufen. Im letzten Jahr haben wir — wie in den vergangenen Jahren — die zur Verfügung stehenden Kreditermächtigungen nicht ausgeschöpft.
    In diesem Jahr ist bei sparsamer Ausgabengestaltung eine Haushaltsentlastung von voraussichtlich 6 bis 7 Milliarden DM zu erwarten. Davon wollen wir 5 Milliarden DM der Bundesanstalt für Arbeit über einen Nachtragshaushalt zur Verfügung stellen. Die veranschlagte Nettokreditaufnahme wird nicht überschritten.
    Durch dieses Verfahren werden zugleich die Fortführung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen — vor allem im Beitrittsgebiet — gesichert und die angekündigte Beitragssenkung bei der Arbeitslosenversicherung um 0,5 % ab 1992 ermöglicht.



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Wir haben uns trotz aller Herausforderungen nicht zuviel zugemutet.

    (Zuruf von der SPD: Sie sind eine Zumutung!)

    — Ob ich für Sie eine Zumutung bin oder nicht, das haben Sie nicht zu entscheiden.

    (Franz Müntefering [SPD]: Er hat feine Ohren! — Zuruf des Abg. Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD])

    — Nein, Herr Kollege Wieczorek, Sie waren es nicht. Ein so dummer Zwischenruf kommt von Ihnen nicht. Er war zwei Reihen weiter hinten. Sie brauchen nicht zu erschrecken, wenn ich zufällig in Ihre Richtung sehe.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber die Politik ist schon eine Zumutung!)

    — Was eine Zumutung ist, das wird sich erst anschließend herausstellen, wenn Sie wieder in Blau auftreten.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Aber Herr Waigel! Das war nicht gut!)

    — Entschuldigung, das war als Kompliment gedacht.

    (Zuruf von der SPD: Verunglückt!)

    Bei allem Verständnis für die Diskussion über die Kosten der Einheit sollten wir uns einmal fragen, was wir wirklich wollen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/GRÜNE)

    Wir haben die deutsche Einheit gefeiert. Wir haben uns in der vorletzten Woche gefreut, als die Putschisten in der Sowjetunion jämmerlich scheiterten. Wir freuen uns auch über die wiedergewonnene Souveränität der baltischen Staaten. Aber dann gehen viele zur Tagesordnung über und klagen — Sie an der Spitze — über die angeblich zu hohen Belastungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie sollten sich lieber den Ratschlag eines französischen Philosophen vor Augen führen, der einmal gesagt hat: Schweigen ist die zweckmäßigste Haltung für den, der sich selbst nicht sicher fühlt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Detlev von Larcher [SPD]: War das der Schlußsatz? — Weitere Zurufe von der SPD)

    Wir müssen uns entscheiden: War uns die Nachkriegsordnung, die scheinbare Idylle starrer politischer und gesellschaftlicher Strukturen, lieber als Frieden, Freiheit und Sicherheit in ganz Europa? Wäre es uns lieber, zusätzliche Milliardenbeträge in Rüstung investieren zu müssen, als jetzt unseren östlichen Nachbarn zu helfen, neue marktwirtschaftliche und demokratische Ordnungen zu errichten?
    Die Wiedervereinigung Deutschlands und die Neuordnung Europas haben ihren Preis. Dabei hat das
    — politisch notwendige — hohe Tempo der Integration die Finanzierungslasten noch erhöht. Für eine Übergangszeit steigen Löhne, Gehälter und Sozialleistungen schneller als die Produktivität. Diese Entwicklung wäre nur vermeidbar gewesen, wenn wir die von den Menschen aufgerissenen Grenzen wieder geschlossen hätten.
    Wir sorgen mit unserer Politik für die gerechte Verteilung der Lasten aus der deutschen Einheit. Wir gehen einen klaren Weg zur finanzpolitischen Bewältigung der Wiedervereinigungsaufgaben. Wir haben, wie es alle Fachleute fordern, auf der Ausgabenseite Einsparungen vorgenommen. Wir haben bis jetzt Entlastungsmaßnahmen mit einem Gesamtvolumen von 60 Milliarden DM beschlossen. Auch im Haushaltsentwurf 1992 konnten die Ansätze gegenüber dem Vorjahr um 10 Milliarden DM zurückgeführt werden.

    (Franz Müntefering [SPD]: Möllemann! — Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Möllemanns Drohung!)

    1992 wird der Ausgabenanstieg auf 3 % begrenzt. Bis 1995 sollen die Ausgaben wiederum nur um 2,3 % im Jahresdurchschnitt ansteigen.
    Das in den Koalitionsvereinbarungen festgelegte Ausgabenmoratorium muß immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Es gibt keinen Spielraum für zusätzliche ausgabenerhöhende Entscheidungen. Wer an einer Stelle mehr fordert, muß gleich hohe Einsparungs- oder Umschichtungsvorschläge präsentieren.
    Wir dürfen den Deckel auf den Ausgaben um keinen Millimeter lockern. Die Größenordnung der nationalen Finanzierungsaufgaben darf nicht zu einem Milliardenrausch verleiten. Im Gegenteil, auch wenn es immer wieder um Milliarden geht: Wir müssen gerade in diesen Tagen jede Mark zweimal umdrehen und uns fragen, ob alles, was wir finanzieren, unbedingt nötig und vordringlich ist.

    (Zuruf von der SPD: Das ist wohl richtig!)

    In diesem Jahr wird die Kreditaufnahme der öffentlichen Haushalte insgesamt mit 5,5 % des Bruttosozialprodukts vorübergehend deutlich höher ausfallen als in den letzten Jahren. Wir überschreiten mit dieser Verschuldungsquote jedoch nicht den Durchschnitt der europäischen Länder.
    Ab 1992 wird sowohl die Kreditaufnahme des Bundes als auch die des öffentlichen Gesamthaushalts schrittweise zurückgeführt. Im nächsten Jahr wollen wir mit 50 Milliarden DM, 1995 mit 25 Milliarden DM Kreditaufnahme auskommen.

    (Zuruf von der SPD: 1995 sind Sie nicht mehr dran!)

    — Das entscheidet der Wähler, nicht Sie!

    (Beifall bei der SPD — Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Richtig! Fortlaufend!)

    Wir haben uns dem Wähler seit 1983 mehrfach gestellt.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Immer weiter runter!)

    — Lieber Herr Kollege Vogel, Sie waren jedesmal auf der Seite der Unterlegenen, und das wird sich auch fortsetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Ja! Rheinland-Pfalz! Hessen! Niedersachsen! — Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Siehe Stolpe! — Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Ein guter Mann!)




    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Mangels eigener Konzeption greift die SPD wieder einmal zum Mittel der Diffamierung. Der Begriff „Lüge " wird als Totschlagsargument mißbraucht, um die eigene Konzeptionslosigkeit mühsam zu verdekken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Pflichtbeifall!)

    Ich wiederhole: Es war im letzten Jahr und ist auch heute noch unmöglich, alle Erblasten der sozialistischen Kommandowirtschaft und alle Folgekosten der zentralistischen Planwirtschaft abzuschätzen.
    Wir haben im Bundeshaushalt 1992 und in der Finanzplanung bis 1995 die Finanzierungsbereiche berücksichtigt, die erkennbar und quantifizierbar sind. Darüber hinaus bestehen gewisse Risiken. Ich nenne beispielsweise die Neufestsetzung der EG-Eigenmittel ab 1993, die Kriegsfolgengesetzgebung und die Hilfe für Osteuropa. Das größte Risiko bleibt die Erblast des Sozialismus. Ich habe überhaupt keine Veranlassung, die sich in diesem Zusammenhang möglicherweise einstellenden Zukunftsbelastungen zu verheimlichen oder zu verharmlosen. Wir verschieben nichts in Schattenhaushalte.

    (Widerspruch bei der SPD)

    — Es liegt alles offen.

    (Lachen bei der SPD)

    — Selbstverständlich! Wenn Sie Haushalte nicht lesen können, dann ist das nicht unsere Schuld.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Die öffentlichen Finanzen und alles, was damit im Zusammenhang steht, liegen offen auf dem Tisch. Wir alle wissen: Der Zustand der Reichsbahn erfordert noch Milliardeninvestitionen. Die Atomwirtschaft, der Braunkohlenbergbau und andere Produktionsbereiche haben im Beitrittsgebiet bisher gewaltige Umweltschäden verursacht, deren Beseitigung kaum abschätzbare Mittel beanspruchen wird.
    Die frühere DDR hat uns erhebliche Finanzschulden hinterlassen, die im Kreditabwicklungsfonds bestimmt, geordnet und auf die verschiedenen staatlichen Ebenen aufgeteilt werden müssen. Die Regelung des Transferrubelsaldos mit den früheren Ostblockstaaten wird noch für einige Zeit offenbleiben.
    Wir müssen auch noch für viele Jahre den Kapitaldienst für den Fonds Deutsche Einheit leisten, der nach dem gemeinsamen Willen von Bund und Ländern in den Anfangsjahren die Finanzierung der Haushalte der neuen Länder sicherstellt. Wir können und müssen offen über alle Risiken sprechen.
    Ich wehre mich jedoch mit allem Nachdruck dagegen, wenn die Opposition versucht, alle nur denkbaren Belastungen allein dem Bund anzulasten. Vielfach geht es — wie z. B. bei der Treuhandanstalt — um Verpflichtungen, die eindeutig, auch in der objektiven Darstellung des Statistischen Bundesamtes, dem privaten Unternehmenssektor zuzurechnen sind.
    Bei anderen Aufgaben, insbesondere beim Fonds Deutsche Einheit und beim Kreditabwicklungsfonds, stehen die öffentlichen Haushalte in der gemeinsamen Verantwortung. Der Bund hat für mögliche Risiken im Finanzplan globale Vorsorge getroffen.
    Im übrigen ergeben sich in den kommenden Jahren bei einigen Ausgabenblöcken, insbesondere bei den Verteidigungsaufwendungen, bei der Berlin- und Zonenrandförderung sowie bei der sozialpolitischen Übergangsfinanzierung in den neuen Bundesländern, gewisse Entlastungen.
    Wenn sich in den kommenden Jahren zusätzlicher Handlungsbedarf oder die Notwendigkeit zur Intensivierung bestimmter Maßnahmen ergibt, müssen wir vor allem versuchen, durch weitere Ausgabenkürzungen Spielräume zu schaffen. Das Kapitel Ausgabenkürzungen ist mit dem Entwurf des Bundeshaushalts 1992 und der laufenden Subventionsabbaurunde nicht abgeschlossen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP — Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Das ist wohl wahr!)

    Die jetzt von manchem geforderte, über den Beschluß der Bundesregierung hinausgehende weitere Anhebung der Mehrwertsteuer auf 16 % steht nicht zur Diskussion. Ein zweiter Prozentpunkt Mehrwertsteueranhebung kann angesichts der erheblichen Nachteile für die Preisstabilität nur als eiserne Reserve angesehen werden,

    (Zuruf von der SPD: Aha!)

    wenn unvorhersehbare große Zusatzaufgaben auch bei äußerster Anstrengung nicht durch zusätzliche Ausgabeneinsparungen aufzufangen sind.
    Die bereits seit Februar dieses Jahres angekündigte und von der Bundesregierung beschlossene Mehrwertsteuererhöhung um einen Prozentpunkt von 14 auf 15 % ist die angemessene Lösung. Auch im Rahmen der EG-Steuerharmonisierung ist die Anpassung um einen Prozentpunkt unvermeidlich, wenn wir den Abbau der Steuergrenzen für einen für uns tragbaren Kompromiß bei den indirekten Steuern voranbringen wollen.
    Der Widerstand der SPD-Bundestagsfraktion gegen unseren Mehrwertsteuervorschlag wird zunehmend unverständlich. Ich kann meiner Kollegin aus Schleswig-Holstein, Frau Simonis, nur zustimmen — —

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Herrn Geißler auch?)

    — Einen kleinen Moment! Lassen Sie uns doch zunächst zu unserer gemeinsamen Freundin Simonis kommen.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Gern! Und dann zu unserem gemeinsamen Freund Geißler!)

    — Ich wußte noch gar nicht, daß Heiner Geißler Ihr Freund ist.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Jetzt immer mehr!)




    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    — Da muß ich ihn zunächst fragen, ob die Liebe auch auf seiner Seite vorhanden ist. Aber lassen Sie mich Frau Simonis zitieren. Sie sagt wörtlich:
    Es ist finanzpolitisch schädlich, wenn sich die Opposition darauf beschränkt, zu allen Vorschlägen der Bundesregierung grundsätzlich nein zu sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE])

    Inzwischen wird die Beschlußlage der Sozialdemokraten zum Thema Mehrwertsteuererhöhung immer komplizierter. Die Sozialdemokraten seien nicht primär gegen eine höhere Mehrwertsteuer — so ihr Parteivorsitzender am gestrigen Montag. Allerdings trete die SPD für ein prinzipiell anderes Herangehen ein, das mehr Geld in die Kassen bringe.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Ein etwas komplizierter Satz, der volks- und finanzwirtschaftlich wohl noch etwas erläutert werden muß.
    In den vergangenen Wochen hatten sich bereits mehrere SPD-Ministerpräsidenten für unsere Mehrwertsteuervorschläge ausgesprochen. Zu der von der Opposition immer wieder behaupteten unsozialen Verteilungswirkung wird es nicht kommen. Wir haben durch die Beibehaltung des ermäßigten Steuersatzes von 7 % für Güter des täglichen Lebensbedarfs die Belastung der unteren Einkommensschichten in engen Grenzen gehalten.
    Der frühere Bundesfinanzminister Hans Apel hat am 21. April 1977 im Deutschen Bundestag zur Mehrwertsteuererhöhung klipp und klar festgestellt:
    Eines akzeptiere ich allerdings keineswegs, nämlich daß die Mehrwertsteuer eine unsoziale Steuer sei. Die Mehrwertsteuer trifft alle Bürger unseres Landes, . . .
    Soweit Hans Apel.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: 1977! Und was ist aus ihm geworden?)

    Mancher hat sich angewöhnt, den seit neun Jahren andauernden Aufschwung als selbstverständlich hinzunehmen. Tatsächlich sind aber die außerordentlich guten Wachstumsergebnisse, vor allem des letzten und des laufenden Jahres, das Ergebnis langjähriger Anstrengungen zur Verbesserung der Wachstumsvoraussetzungen, vor allem auch durch die Begrenzung des Staatssektors.
    Meine Damen und Herren, hätten wir nicht seit Ende 1982 konsequent Konsolidierungspolitik, Verringerung der Staatsquote und Verringerung der Abgaben- und Steuerlast betrieben, dann hätte sich nie und nimmer die längste Wachstumsphase der deutschen Volkswirtschaft seit 1949 ergeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Darum ist es wichtig, festzustellen: Wir werden Investoren aus unseren Nachbarländern, aus den Vereinigten Staaten oder aus Japan nur gewinnen, wenn wir die Steuerbelastung dem internationalen Standard anpassen. In den meisten europäischen Staaten ist die ertragsunabhängige Besteuerung der Betriebe
    deutlich geringer als in Deutschland. Dies hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das nicht gerade als ideologisch besonders nahe zur CDU/CSU oder FDP eingeschätzt werden kann, in einer Untersuchung aus dem Jahre 1989 eindeutig festgestellt.

    (Zuruf von der SPD: Das sagt aber noch nichts!)

    Wenn wir durch die steuerliche Entlastung der Betriebe und Arbeitsplätze künftiges Wachstum erreichen, geschieht das in erster Linie im Interesse der Arbeitssuchenden in Ost und West. Von einer unsozialen Umverteilungspolitik kann schon deshalb keine Rede sein. Darüber hinaus sollten die in Denkschablonen von gestern verharrenden Steuerpolitiker der SPD zur Kenntnis nehmen: Die wachstumsfördernden Steuersenkungen in einer Größenordnung von fast 7 Milliarden DM werden fast vollständig durch den Abbau von Steuersubventionen und die Rückführung der degressiven Abschreibung auf Wirtschaftsgebäude gegenfinanziert. Es ist unzulässig und falsch, diese notwendige Verbesserung der Rahmenbedingungen zur Schaffung von Arbeitsplätzen im europäischen Bereich mit der Mehrwertsteuer in Verbindung zu bringen. Die Gegenfinanzierung erfolgt aufkommensneutral durch den Abbau von Steuersubventionen. Das ist die Wahrheit, und das ist die richtige Sicht der Dinge.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Familien werden durch die Verbesserung des Familienlastenausgleichs um fast 7 Milliarden DM entlastet. Durch den auf rund 4 100 DM erhöhten Kinderfreibetrag und das um 20 DM verbesserte Erstkindergeld wird künftig das Existenzminimum der Kinder steuerfrei. Nachdem die SPD in ihrer Regierungszeit den Kinderfreibetrag auf Null zurückgeführt hatte, ist das — vor allem angesichts der gewaltigen Finanzierungsaufgaben der letzten Jahre und der Gegenwart — ein bemerkenswerter Erfolg der Steuerpolitik und der Familienpolitik dieser Bundesregierung.

    (Franz Müntefering [SPD]: So kann man das auch darstellen!)

    Es bleibt unser Ziel, die Steuerbelastung der Bürger und der Betriebe in Grenzen zu halten. Auch im Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Zinsbesteuerung sollen die normalen Sparer nicht schlechtergestellt werden. Ich weiß, meine Damen und Herren, wir alle stehen vor einer nicht ganz einfachen Aufgabe, dieses Problem zu lösen. Ich halte mich dabei an den Rat eines österreichischen Finanzexperten, der mir gesagt hat: „Es muaß was gscheng, aber es derf nix passiern. "

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Der spricht bayerisch!)

    Wir sind zur Zeit dabei, die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und die ab 1993 notwendigen Folgerungen im einzelnen zu prüfen. Drei Eckpunkte sind jedoch heute schon klar:

    (Rudi Walther [SPD]: Es darf nichts passieren!)




    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Wir wollen den Sparerfreibetrag von zur Zeit 600 DM für Ledige und 1 200 DM für Verheiratete deutlich anheben.
    Das Vertrauensverhältnis zwischen Anlegern im In- und Ausland zu den deutschen Kreditinstituten soll erhalten bleiben.
    Der deutsche Kapitalmarkt muß auch in Zukunft günstige Rahmenbedingungen für die Finanzierung privater Investitionen bieten können.

    (Peter Conradi [SPD]: Da darf auch nichts geschehen!)

    Ich bin den Banken und Instituten dankbar, daß sie nicht nur vor dem einen oder anderen gewarnt haben, sondern selber Vorschläge gemacht haben. Diese Vorschläge und auch andere Gedanken werden wir uns eingehend ansehen und dann Ende dieses Monats oder Anfang Oktober unsere Vorschläge dem Parlament zuleiten.

    (Rudi Walther [SPD]: Und dann passiert was?)

    — Dann passiert das Richtige.

    (Zuruf von der SPD: Da sind wir neugierig!)

    Eines ist ganz sicher, lieber Kollege Walther: Wenn Ihre Vorstellung von Kontrollmitteilungen durchkäme, dann würden Milliarden aus Deutschland abziehen, und genau das wollen wir nicht,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Wie in Frankreich und Amerika!)

    denn genau die brauchen wir für unseren Kapitalmarkt, um die Probleme dieses Jahres lösen zu können.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Das hören die Lohnsteuerzahler gerne, Herr Finanzminister! — Schön dumm, wer Steuern zahlt! Das ist doch wirklich die Höhe!)

    Die soziale Verantwortung, die Sorge um die Familien, um die Arbeitslosen und die wirtschaftlich Schwachen in unserer Gesellschaft stehen im Mittelpunkt unserer Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik. Wenn in diesem Jahr mit 145 Milliarden DM ein Drittel der Bundesausgaben für den Bereich der sozialen Sicherung zur Verfügung steht, ist das ausschließlich der erfolgreichen Wachstumspolitik der vergangenen neun Jahre zu verdanken. Im Jahr 1992 sollen die Ausgaben für die soziale Sicherung noch einmal um 7 % wachsen.
    Das Sozialhilfeniveau im Beitrittsgebiet liegt inzwischen bei 90 bis 100 % des Westniveaus. Ein erheblicher West-Ost-Transfer wird darüber hinaus im Rahmen der Sozialversicherung geleistet.
    Trotz gegenteiliger Behauptungen der Opposition: Die soziale Vereinigung ist eher noch weiter vorangekommen als die Integration im wirtschaftlichen Bereich. Das haben wir getan, um den Menschen in den Beitrittsländern gerecht zu werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Gegenüber 1989 sind die Realeinkommen im Beitrittsgebiet nach einer Untersuchung des If o-Instituts
    bei einem Vierpersonenhaushalt mit einem Verdiener um 33 %, bei einem Rentnerhaushalt sogar um 45 % gestiegen. Die Wiedervereinigung hat so — wie wir es vorhergesagt haben — auch schon kurzfristig erhebliche Vorteile gebracht. Dieser Realeinkommensgewinn und nicht der Vergleich mit den Verhältnissen in den westlichen Bundesländern ist der richtige Maßstab, um die Fortschritte seit der Wiedervereinigung zu messen. Ein vergleichbarer Zuwachs an Wohlstand konnte in keinem früheren Ostblockland erzielt werden.
    Allerdings muß sich die Schere zwischen produktiver Leistungskraft und Einkommen in den neuen Bundesländern so rasch wie möglich schließen.
    Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben in ihrem Frühjahrsgutachten unmißverständlich zu dem entscheidenden Faktor für die künftige wirtschaftliche Entwicklung im Beitrittsgebiet Stellung bezogen. Es heißt dort wörtlich:
    Es ist eine Illusion zu glauben, der Staat könne durch Löhne und Produktsubventionen über einen langen Zeitraum in einer ganzen Region die Arbeitsmarktbelastung in Grenzen halten. Er wäre damit überfordert, weil die Aufrechterhaltung so hoher Transfers von West nach Ost eine nachhaltige Dämpfung der Leistungsanreize sowohl hier als auch dort zur Folge hätte.
    Die Bundesregierung hat alle notwendigen Anstrengungen unternommen, um die Verwüstungen des Sozialismus zu beseitigen. Durch umfassende Investitionshilfen, Zuschüsse, Kredite und Bürgschaften, durch die im Steueränderungsgesetz 1991 beschlossenen steuerlichen Vergünstigungen, durch Beratung und vielfältige andere Hilfestellung haben wir entscheidend zu Existenzgründungen und Investitionen deutscher und ausländischer Betriebe im Beitrittsgebiet beigetragen.
    Im Mittelpunkt steht das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost mit einem Volumen von insgesamt 24 Milliarden DM in den Jahren 1991/1992. Nach der von mir gerade vorgelegten Zwischenbilanz sind die für 1991 vorgesehenen Mittel bereits zu über 50 % in konkrete Aufträge geflossen. Die beschäftigungswirksame Verwendung nahezu aller Mittel bis zum Jahresende ist gesichert. Ich halte das für einen großen Erfolg, weil doch eine zeitlang berechtigte Fragen bestanden, ob das wirklich in Investitionen umgesetzt werden kann. Das ist ein großer Erfolg für uns, aber auch für die in den neuen Beitrittsländern, die sich mit großem Engagement um die Verwirklichung dieser Projekte gekümmert haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Im Bereich der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur finanzieren wir praktisch alles, was innerhalb vorgegebener Zeiträume zu verwirklichen ist. Allein im Verkehrsbereich haben wir bis 1995 die Ansätze um 30 Milliarden DM auf 215 Milliarden DM aufgestockt. Von den zusätzlich bereitgestellten Mitteln fließt die Hälfte in die neuen Bundesländer. Im ganzen Bundesgebiet soll der öffentliche Personennahverkehr durch zusätzliche Zuweisungen an die Gemeinden von 1,5 Milliarden DM 1992 und 3 Milliarden DM 1993 spürbar verbessert werden.



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Ein weiterer Schwerpunkt im Bundeshaushalt 1992 ist die Unterstützung der deutschen Landwirtschaft. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe für Agrarstruktur und Küstenschutz einschließlich des Sonderrahmenplans stehen 1992 zusätzlich 730 Millionen DM für agrarstrukturelle Maßnahmen im Beitrittsgebiet bereit. Im Bereich der alten Bundesländer werden vor allem die Ausgaben für die Agrarsozialpolitik deutlich, nämlich um 6 %, zunehmen. Darüber hinaus ist mit 1,4 Milliarden DM Vorsorge getroffen, damit die 1991 auslaufende 3-%-Umsatzsteuerregelung in ganz Deutschland gleichwertig ersetzt werden kann. Wir werden damit dem gerecht, was wir der Landwirtschaft in dem Zusammenhang in einer schwierigen Situation zugesagt haben. Der soziostrukturelle Einkommensausgleich wird mit einem Volumen von 660 Millionen DM über 1992 hinaus weiter gewährt.
    Nun wird natürlich die Opposition nicht müde, uns zu späte und unzureichende Hilfe und Unterstützung für das Beitrittsgebiet vorzuwerfen. Ich empfehle Ihnen einmal die Lektüre des Deutschlandberichts der OECD vom Juli dieses Jahres. Die bekanntermaßen sehr auf ihre Unabhängigkeit und Objektivität bedachte, hochangesehene Organisation der führenden westlichen Industriestaaten schreibt:
    Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Bundesregierung in einer bemerkenswert kurzen Zeitspanne ein beachtliches Volumen an finanziellen und menschlichen Ressourcen zur Unterstützung der wirtschaftlichen Integration der beiden Teile Deutschlands mobilisiert hat. In den ostdeutschen Ländern wurden die für das reibungslose Funktionieren einer Marktwirtschaft nötigen Institutionen geschaffen. Dieser Prozeß vollzog sich ohne Gefährdung der gesamtwirtschaftlichen Stabilität in Westdeutschland.

    (Dr. Alfred Dregger [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    Soweit ein Urteil aus dem Ausland, das wohl niemand bestreiten wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Bundesrepublik Deutschland hat die Vereinigung auch makroökonomisch gemeistert. Wir liegen beim Wachstum in diesem Jahr hinter Japan an zweiter Stelle der bedeutenden Industrienationen. Im zweiten Quartal dieses Jahres ist das reale Bruttosozialprodukt wieder um 4,8 % kräftig gestiegen.
    Bei der Preissteigerung liegen wir unter dem internationalen Durchschnitt, obwohl eine Zahl über 4 natürlich immer auch Anlaß zur Frage und zur Besorgnis ist. Es besteht aber kein Anlaß, Inflationsgefahren zu dramatisieren oder von nachlassendem Stabilitätsbewußtsein zu sprechen.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Was hat denn da Herr Lambsdorff aufgeschrieben!?)

    Im August 1991 ist die Preissteigerungsrate wieder von 4,4 % auf 4,1 % zurückgegangen. Das spricht für ein weiterhin ruhiges Preisklima nach Auslaufen des Einmaleffekts durch die Verbrauchsteuererhöhung.
    Wir haben im westlichen Bundesgebiet in diesem Jahr einen Beschäftigungszuwachs von fast 800 000 Menschen zu verzeichnen.

    (Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    Der beste Beweis für die Effizienz unserer finanzpolitischen Strategie ist die gelassene Reaktion der Kapitalmärkte auf die gestiegene öffentliche Kreditnachfrage. Wir haben den Fonds „Deutsche Einheit" und den Kreditabwicklungsfonds für dieses Jahr praktisch schon finanziert; der Bedarf des Bundes bei der Kreditaufnahme ist zu zwei Dritteln gedeckt. Anspannungen an den Kreditmärkten haben sich nicht gezeigt.
    Das Vertrauen der Kreditmärkte in unsere Finanzpolitik zeigt sich auch in den unveränderten Realzinsen. Es ist der stabilitätsorientierten Geldpolitik, aber auch unserer stetigen Finanzpolitik zu verdanken, wenn die jüngste Anhebung der Leitzinsen bei der Rendite der langfristigen Anlagen eher eine Bewegung nach unten zur Folge hatte.
    Bundesbank und Bundesregierung arbeiten — wie bisher — bei der Verteidigung der inneren und äußeren Währungsstabilität eng zusammen. Wir sind bei den internationalen Konferenzen, G 7 und Internationalem Währungsfonds, gemeinsam und überzeugend aufgetreten. Ich habe erst am letzten Donnerstag beim Zentralbankrat ein sachliches und fruchtbares Gespräch über die gemeinsamen Zielsetzungen und die Verwirklichung einer glaubwürdigen Stabilitätspolitik geführt.
    Im Mittelpunkt der ökonomischen Neugestaltung des Übergangs zur Marktwirtschaft steht die Arbeit der Treuhandanstalt. Die zentrale Aufgabe der Treuhandanstalt ist die Herstellung marktwirtschaftlicher Strukturen als Grundlage des freien Wettbewerbs.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich auch an dieser Stelle sagen: Wir werden, auch wenn es schon einige Monate her ist, die Arbeit von Detlev Rohwedder nicht vergessen und uns seiner immer wieder dankbar erinnern.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    Der Treuhandanstalt sind mit dem Einigungsvertrag auch eine Reihe von Aufgaben übertragen worden, die außerhalb der unmittelbaren Privatisierungs-
    und Sanierungsarbeit liegen. So soll die Treuhandanstalt auch die Strukturanpassung der Wirtschaft, die originäre Aufgabe der Wirtschaftspolitik des Bundes und der Länder ist, fördern helfen.
    Später wurde das Engagement der Treuhandanstalt bei der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Neugestaltung der neuen Bundesländer noch erweitert. Ich nenne beispielhaft die Finanzierung von Sozialplänen, die Beteiligung an Beschäftigungsgesellschaften, die Bereitstellung von Mitteln für die Landwirtschaft, die Übernahme der Risiken aus ökonomischen Altlasten und die unentgeltliche Überlassung beträchtlicher Vermögenswerte an Kommunen und öffentliche Einrichtungen.
    Vor allem bei den großen Sanierungsvorhaben — Schiffbau, Chemie, Metall — sind allerdings strengste finanzielle Maßstäbe anzulegen. Im Interesse des



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    wirtschaftlichen Aufschwungs dürfen alte, durch Autarkie und Prestigestreben entstandene Strukturen — bei allem Bemühen um sozial verträgliche Lösungen — nicht unkritisch erhalten werden.
    Nur in der Verbindung schneller Sanierung und Privatisierung kleiner werdender Betriebe und äußerster Kostendisziplin ist die Restrukturierung der Unternehmen finanziell verkraftbar. Ich werde weiterhin mit Nachdruck für eine äußerste Kostenbegrenzung der Treuhandarbeit eintreten. Niemand kann heute voraussehen, was in der Schlußbilanz der Treuhandanstalt nach 10 oder 15 Jahren stehen wird. Zu gegebener Zeit müssen in eine solche Schlußbilanz auch die erheblichen positiven gesamtwirtschaftlichen Wirkungen eingestellt werden, die aus der Privatisierungs- und Sanierungsarbeit resultieren. Die Kreditaufnahme der Treuhandanstalt von heute wird sich in einer leistungsfähigen, modernen Volkswirtschaft von morgen rechtfertigen.
    Die Finanzierung des Vereinigungsprozesses ist von den Finanzmärkten und den realwirtschaftlichen Belastungen her, wie die Erfahrungen der letzten 20 Monate zeigen, verkraftbar. Schwierigkeiten wird es nur geben, wenn einzelne Institutionen und Haushaltsebenen überproportionale Aufgaben- und Ausgabenverpflichtungen auf sich nehmen müssen.
    Die Vereinigung Deutschlands ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Ich danke den westlichen Bundesländern für ihr verstärktes Engagement, das sie zuletzt durch ihre Zustimmung zur Neuverteilung der Umsatzsteuer unter Beweis gestellt haben. Ich bitte die Länder aber, angesichts der ab 1992 im Beitrittsgebiet bestehenden Probleme bei der Finanzierung der öffentlichen Haushalte um weitere Unterstützung.
    Bis zur Neuregelung des Finanzausgleichs 1995 brauchen die neuen Bundesländer aller Voraussicht nach eine weitere Stärkung ihrer Einnahmebasis. Der Bund hat hierzu sein Angebot unterbreitet: Wenn die alten Bundesländer der Umlenkung der Mittel aus dem Strukturhilfegesetz — 2,45 Milliarden DM — von West nach Ost zustimmen, ist der Bund bereit, weitere Finanzmittel in gleicher Höhe zur Verfügung zu stellen und außerdem einen Sonderbeitrag von 1 Milliarde DM zu leisten. Insgesamt könnten so die Einnahmen der neuen Länder 1992 um fast 6 Milliarden DM erhöht werden. Für die Jahre ab 1993 müssen wir mit den Ländern nach weiteren Verbesserungen suchen.
    Für 1991 werden wir für die Finanzierung begonnener Projekte in den alten Bundesländern zusätzlich 600 Millionen DM zur Verfügung stellen. Darüber hinaus sollen die Länder Saarland und Bremen im Rahmen der Bundesergänzungszuweisungen für 1992 und 1993 einen verbesserten Sondervorabbetrag erhalten. Für das Saarland stünden dann 150 Millionen DM, für Bremen 100 Millionen DM Sondervorabbetrag zur Verfügung.

    (Dr. Franz Möller [CDU/CSU]: Lafontaine!)

    — Wir tun das nicht aus Freundschaft den Regierungen dort, sondern den Menschen gegenüber.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen bei der SPD)

    Ich habe schon eingangs die notwendige Bemerkung zu dem gemacht, was Ministerpräsident Scharping gestern sagte. Wenn man sagt, ich hätte ihm 200 Millionen DM gestohlen, dann frage ich mich, wie man jemandem etwas stehlen kann, was ihm verfassungsrechtlich gar nicht mehr zusteht. Ich glaube, daran muß man endlich einmal erinnern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das haben Sie doch vereinbart!)

    — Ich befürchte, Frau Kollegin Matthäus-Maier, hier beginnt wieder das gleiche Spiel, das Sie und andere im vorigen Jahr bei der Landtagswahl in NordrheinWestfalen auch schon betrieben haben: Auf der einen Seite beschwören Sie die deutsche Einheit, und auf der anderen Seite rechnen Sie dann jeder Stadt vor, wenn ein Kindergarten wegen der deutschen Einheit und unserer Politik nicht gebaut werden darf.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dabei konnte der Kollege Schleußer in den Düsseldorfer Haushaltsberatungen stolz über die Finanzierung von 20 000 Kindergartenplätzen in NordrheinWestfalen berichten. Es ist schon ein starkes Stück, im Wahlkampf zu sagen, man könne das wegen der Kosten der deutschen Einheit nicht bauen, und dann zu sagen, 20 000 Kindergartenplätze habe man wieder fertiggestellt, das sei doch eine großartige Leistung.

    (Detlev von Larcher [SPD]: Ist das nichts?)

    Die Bundesregierung unterstreicht ihren Willen zur Zusammenarbeit mit Ländern und Gemeinden durch die Bereitschaft, den Truppenabzug der alliierten Streitkräfte und der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte sowie die Truppenreduzierung bei der Bundeswehr finanziell zu flankieren. Wir bieten an, ein Sonderprogramm innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" — Laufzeit bis 1997 — sowie zusätzlich ein Städtebauförderungsprogramm — Laufzeit bis zum Jahre 2001 — aufzulegen.
    Darüber hinaus hat die Bundesregierung die verbilligte Abgabe von Liegenschaften des Bundes erheblich erweitert. Preisnachlässe von 50 % werden bei der Verwendung von Grundstücken im sozialen Wohnungsbau und im Studentenwohnraumbau gewährt. In den neuen Ländern sind Preisnachlässe bis zu 75 möglich, wenn die Grundstücke unmittelbar für Verwaltungszwecke benötigt werden. Ich finde, es ist ein großartiges Angebot des Bundes, das ein wirklich wichtiger Beitrag auch zum sozialen Wohnungsbau und zur Bewältigung der strukturellen Probleme in den Städten und Gemeinden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es wäre angesichts der realen Entspannung unserer Zeit allerdings falsch, die nationale Verteidigungsfähigkeit und die NATO grundsätzlich in Frage zu stellen. Im Gegenteil: Kein Instrument und keine Gemeinschaft hat sich als so wirksam erwiesen wie die NATO, gerade auch wieder in den letzten Monaten und Jahren. Der Golfkrieg, die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Jugoslawien, aber auch der Versuch der sowjetischen Putschisten, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, haben die Notwendigkeit des westli-



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    chen Bündnisses unter Beweis gestellt. Vor allem die NATO kann in der jetzigen Phase stürmischer Umwälzungen militärische Sicherheit garantieren.

    (Peter Conradi [SPD]: Kein Wort zur KSZE!)

    — Entschuldigung, das sind zwei verschiedene Dinge. Die Ungarn, die Polen und auch andere wären froh, wenn sie im Moment in der NATO sein könnten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Insofern macht es überhaupt keinen Sinn, NATO und KSZE gegeneinander auszuspielen. Beide sind notwendige Instrumentarien für den Frieden in Europa und in der Welt.
    Mit der Wiedererlangung der vollen Souveränität ist das vereinigte Deutschland gleichberechtigtes, aber auch gleichverantwortliches Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft. Deshalb haben unsere Partner kein Verständnis, wenn wir unter Hinweis auf umstrittene Rechtsbestimmungen den Einsatz unserer Bundeswehr unter dem Dach internationaler Institutionen verweigern. Wer dies ablehnt, stellt mittelfristig auch die europäische Politische Union mit einer gemeinsamen Sicherheitspolitik in Frage.
    Die Welt braucht ein einiges Europa als weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Stabilitätsfaktor. Der Neuaufbau im Osten wird noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen und von lang andauernder Unsicherheit geprägt sein. Wir setzen auch in Zukunft auf die Wertegemeinschaft der westlichen Welt. In dieser Gemeinschaft muß Europa künftig noch stärker seine Verantwortung wahrnehmen.
    Wir sind bereit, den Weg zur europäischen Währungsunion konsequent zu Ende zu führen. Wir arbeiten daran, den neuen europäischen Vertrag auf dem Gipfel in Maastricht Anfang Dezember 1991 fertigzustellen.
    Doch wichtiger als Termine ist die Qualität des neuen Vertrages. Wir bekennen uns zu einer einheitlichen europäischen Währung. Diese darf jedoch der D-Mark an Stabilität nicht nachstehen. Wir würden es unseren Bürgern in Deutschland nicht verständlich machen können, wenn eine europäische Währung weniger stabil wäre, weniger auf Stabilität ausgerichtet wäre, als die D-Mark es ist. Eine künftige europäische Währung muß so stabil sein wie die Deutsche Mark und die Währungen der Stabilitätspartner um uns herum.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dazu ist es notwendig, daß die zukünftige europäische Zentralbank Zinsen und Geldumlauf uneingeschränkt kontrollieren können muß. Der der Regierungskonferenz vorliegende Entwurf für das Statut einer europäischen Zentralbank ist dafür eine gute Grundlage. Ich möchte mich auch hier bei dem früheren Bundesbankpräsidenten Pöhl, der daran als Vorsitzender maßgeblich mitgearbeitet hat, herzlich bedanken.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE)

    Die Haushaltspolitik darf diese Aufgabenstellung nicht unterlaufen. Der Vertrag muß alle an der Wirtschafts- und Währungsunion teilnehmenden Länder auf eine Haushaltspolitik verpflichten, die nicht im Widerspruch zur Geldwertstabilität steht.
    Die Teilnehmer an der Endstufe der Wirtschafts- und Währungsunion müssen sich durch entsprechende Konvergenz bei den Haushaltsdefiziten, der Preisstabilität und den Zinsen qualifizieren. Weil wir unserer eigenen Bevölkerung keine schlechtere Währung als heute zumuten, darf uns die stabilitätspolitische Verantwortung nicht durch geldpolitische Grauzonen aus der Hand genommen werden.
    Eine auf dauerhaften Bestand angelegte Wirtschafts- und Stabilitätsgemeinschaft erfordert auch die Herstellung einer Erfahrungsgemeinschaft im Rahmen einer politischen Union. Wirtschafts- und Währungsunion und politische Union müssen parallel vorankommen. Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips ist deshalb für uns unabdingbar.
    Die Schaffung einer politischen Union darf nicht gleichgesetzt werden mit dem Ziel, in der Gemeinschaft großflächige Umverteilungsmechanismen zu schaffen. Vor allem die Dynamik des großen Wirtschaftsraums ohne Währungsgrenzen wird den entscheidenden Beitrag zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt der Gemeinschaft leisten.
    Meine Kolleginnen und Kollegen, der Umbruch in Europa, die Wiedervereinigung Deutschlands, die friedlichen Revolutionen in den Staaten Ost- und Südosteuropas und der Vormarsch der freiheitlichen Ideen in der Sowjetunion haben sich in einem Tempo vollzogen, das bei vielen Menschen Angst und Beunruhigung hervorgerufen hat. Jahrelang fest im Be, wußtsein verankerte Feindbilder haben ihre Grundlage verloren. An die Stelle der strikten Abgrenzung der Systeme sowohl im Geistigen wie auch im Physischen tritt nun die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Der Westen öffnet sich und bietet die Hand zur Zusammenarbeit. Der Osten verwirft das Denken in marxistischen Kategorien und übernimmt statt dessen die Denk- und Verhaltensmuster des demokratischen Staates mit seiner offenen Gesellschaft und seiner dezentralen Marktwirtschaft.
    Was für die Neuordnung Europas allgemein gilt, das gilt für die Ausgestaltung der Einheit unseres Vaterlandes im besonderen. Während es in der praktischen Arbeit von der betrieblichen Zusammenarbeit über den Aufbau von Kontakten im Bereich der gesellschaftlichen Vereine und der wissenschaftlichen Institutionen bis hin zur Integration im Sport rasch zu Fortschritten gekommen ist, gibt es im Bewußtsein der Menschen immer noch Berührungsprobleme, Hemmschwellen und Zukunftsängste. Der notwendige Umdenkungsprozeß stellt die Menschen vor große geistige Herausforderungen. Viele im Westen müssen sich nach den erfolgreichen Revolutionen im Osten und nach der Auflösung des Warschauer Paktes von alten Feindbildern trennen. Andere werden sich mit dem Untergang des Sozialismus als konkreter Alternative zum politischen und wirtschaftlichen System des Westens abfinden müssen.
    Im Osten müssen sich die Menschen verstärkt marktwirtschaftlichen Denkkategorien zuwenden.



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Die einstmals von den kommunistischen Parteien betreuten Staatsuntertanen müssen Selbstverantwortung und Eigeninitiative entwickeln. Der Zusammenbruch des Sozialismus als Instanz der Sinngebung hinterläßt dabei bei vielen idealistischen Anhängern der alten Systeme Lücken, deren Beseitigung vor allem die Kulturschaffenden in Ost und West vor große Aufgaben stellt.
    Wer jedoch die Geschwindigkeit und die Kosten der Neuordnung Europas einschließlich der Probleme der Bewußtseinsveränderung beklagt, der sollte sich klarmachen, welche historischen Fortschritte in nur wenigen Jahren erzielt wurden. Unser Vaterland ist wiedervereinigt; das verbrecherische SED-Regime ist beseitigt; Mauer und Stacheldraht sind weg; mit der größten Solidaraktion in der Geschichte des deutschen Volkes werden die ökonomischen und ökologischen Altlasten der ehemaligen DDR aufgearbeitet und die Lebensverhältnisse in Deutschland schrittweise angeglichen. Die Ära des Kalten Krieges ist zu Ende.
    Bei den Bemühungen um Abrüstung, Rüstungskontrolle und sicherheitspolitische Zusammenarbeit wurde in den zurückliegenden Jahren ein historischer Durchbruch erzielt. Die Angst vor einem militärischen Ost-West-Konflikt nimmt ab. Der Warschauer Pakt als Symbol der Bedrohung des Westens wurde aufgelöst. Die über ein Drittel des Erdballs umfassende Vormachtstellung des Kommunismus mit seiner stalinistischen Zentrale in Moskau ist nach dem gescheiterten Putschversuch zusammengebrochen. Die Ideen der Freiheit und Demokratie, die Prinzipien der Marktwirtschaft und der offenen Gesellschaft werden sich in Gesamteuropa durchsetzen.
    Diese historische Neuordnung Europas bietet den kommenden Generationen Chancen, von denen die beiden Nachkriegsgenerationen nicht träumen konnten. Die Erschließung neuer Märkte im Osten, die Zusammenarbeit in Kultur und Wissenschaft und die Entwicklung einer neuen sicherheitspolitischen Kooperation bieten Chancen, die wir jetzt alle zusammen mutig und entschlossen ergreifen müssen.
    Die Neuordnung Europas verursacht neben den genannten geistigen Herausforderungen auch Kosten im ökonomischen Bereich. Für die Bürger im Westen bedeutet dies eine zeitlich begrenzte Belastung

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Aha!)

    zur finanziellen Unterstützung der Reformprozesse im Osten. Dem stehen erheblich höhere Kosten im Osten gegenüber, die sich aus dem Übergang zur Marktwirtschaft und den damit verbundenen Umstellungsprozessen in Form steigender Arbeitslosigkeit und zunächst sinkender Realeinkommen ergeben.
    Wer leichtfertig oder zynisch die diesbezüglichen ökonomischen Kosten als „Milliarden-Spiel" abtut, der hat offensichtlich die historische Dimension des gegenwärtigen Umbruchs in Europa nicht begriffen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Wer ist denn nun gemeint?)

    Der Umbruch in Europa kann nur gelingen, wenn beide Seiten, Ost und West, die erforderliche Verantwortung übernehmen und ihren Beitrag zum Gelingen des Umbruchs leisten.
    Nach zwei Weltkriegen, nach Hitler und Stalin, nach der Spaltung des alten Kontinents in zwei Macht- und Militärblöcke und nach dem jahrelangen Rüstungswettlauf stehen wir jetzt vor der großen Chance, den Frieden sicherer zu machen, vom Gegeneinander zum Miteinander zu gelangen und die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit aller Staaten vom Atlantik bis zum Ural im Interesse der Menschen positiv zu gestalten.
    Die Geschichte wirft nicht alle Tage das große Los. Deshalb ist es unsere politische Aufgabe, die große Chance unserer Zeit mit Mut und Entschlossenheit, mit Verantwortungsbewußtsein, aber auch mit dem erforderlichen Augenmaß aufzugreifen.
    Ich danke Ihnen.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ingrid Matthäus-Maier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle sind froh, daß der Putsch konservativer Kräfte in der Sowjetunion gescheitert ist.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE und der CDU/ CSU)

    Wir gratulieren dem russischen Volk und seinen mutigen Politikerinnen und Politikern, die durch ihren entschlossenen Widerstand die demokratische Entwicklung unumkehrbar gemacht haben. Heute steht hoffentlich fest: Freiheit und Demokratie haben auch in Osteuropa gesiegt.

    (Beifall bei der SPD, dem Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der FDP)

    Die Entwicklung in der Sowjetunion hat auch für uns Konsequenzen. Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren habe ich in der damaligen Haushaltsdebatte hier am Pult gesagt:
    Es liegt auch in unserem eigenen Interesse, daß die Reformpolitik in Osteuropa gelingt. Glasnost und Perestroika in den Ländern des Ostens bedeuten viel mehr Sicherheit in ganz Europa, als ein 100-Milliarden-Kampfflugzeug es je bringen kann.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE])

    Auch deshalb wäre es besser, auf den Jäger 90 zu verzichten und statt dessen die Reformpolitik in Osteuropa zu unterstützen.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE — Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Heute ist dieser Gedanke nicht weniger aktuell als vor zwei Jahren.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Richtig!)




    Ingrid Matthäus-Maier
    Er bedeutet: Der Westen muß der Sowjetunion schnell und unbürokratisch helfen.

    (Hans Peter Schmitz [Baesweiler] [CDU/ CSU]: Das sagen Sie mal den anderen!)

    Diese Hilfe darf aber nicht allein und nicht in erster Linie aus Geld bestehen. Was die Sowjetunion jetzt braucht, sind außer einer Nahrungsmittelhilfe vor allem die Vermittlung von marktwirtschaftlichem, technischem und wissenschaftlichem Know-how, die Unterstützung beim Aufbau eines modernen Banken- und Finanzsystems, die Öffnung unserer Märkte für Produkte aus Osteuropa und die Mitgliedschaft der Sowjetunion im Währungsfonds und in der Weltbank.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Soweit es auch um finanzielle Hilfe geht, steht fest, daß den Hauptanteil der umfangreichen bisherigen Finanzhilfen für die Sowjetunion die Bundesrepublik Deutschland geleistet hat und daß nun erst einmal die Japaner, die Amerikaner und die übrigen Europäer am Zuge sind, die sich bisher bei finanzieller Hilfe in sehr vornehmer Weise zurückgehalten haben.

    (Beifall bei der SPD — Zustimmung des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP])

    Kein Verständnis habe ich dafür, daß, kaum daß wir uns über die Niederschlagung des Putsches so richtig freuen konnten, Politiker aus CDU und FDP die Menschen mit dem Vorschlag der Anhebung der Mehrwertsteuer auf 16 Punkte zur Finanzierung der Hilfen für Osteuropa verschreckten. Offensichtlich gibt es in dei Koalition Politiker, denen jeder Vorwand, mal der Golfkrieg, mal die Osteuropahilfe, recht ist, um an der Steuerschraube zu drehen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Dieses widerspricht im übrigen auch unserem nationalen Interesse. Ein solches Vorpreschen würde die anderen westlichen Industrieländer aus ihrer Pflicht zu einer verstärkten Hilfe entlassen und die Verhandlungsposition der deutschen Bundesregierung bei den bevorstehenden internationalen Gesprächen schwächen.
    Nach dem Ende des Kalten Krieges heißt jetzt das Gebot der Stunde Abrüstung. Die Sowjetunion muß ihre gigantische Kriegsmaschinerie abbauen. Aber auch bei uns muß beim Verteidigungshaushalt kräftig gespart werden.
    Der Bundeskanzler hat vorige Woche in der Frankfurter Paulskirche darauf hingewiesen, daß bisher in dem Verteidigungshaushalt gebundene Gelder nun für eine friedliche Nutzung frei werden. Dies begrüßen wir Sozialdemokraten. Aber, Herr Bundeskanzler, wir fragen: Warum senken Sie dann nicht endlich die Verteidigungsausgaben, die bei Ihnen im nächsten Jahr genauso hoch sein sollen wie in diesem Jahr.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/ Linke Liste)

    Erneut 52,5 Milliarden DM, genausoviel wie in diesem Jahr! Gegenüber ihrer letzten Finanzplanung vom März hat die Bundesregierung für die nächsten drei Jahre die Verteidigungsausgaben sogar um 4,4 Milliarden DM heraufgesetzt.
    Ein Symbol für den mangelnden Willen zum Sparen bei dem Verteidigungshaushalt ist nun mal der unsinnige Jäger 90.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Bisher sollte ein einziges Flugzeug dieser Art 70 Millionen DM kosten; jetzt kostet es schon 100 Millionen DM, und es wird sicher noch teurer. Zum Vergleich: Für das Geld, das ein einziger Jäger 90 kostet, könnten 1 000 Sozialwohnungen gebaut werden, meine Damen und Herren. Diese brauchen wir doch angesichts der Wohnungsnot viel dringender.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Die Lage der Staatsfinanzen in der Bundesrepublik Deutschland ist besorgniserregend.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Immer dieselbe Leier!)

    Da hilft es auch nichts, daß der Bundeskanzler, fern jeder Realität, gesagt hat: Unser Markenzeichen — für seine Koalition — ist, daß wir keine Schulden machen. Der Bundesfinanzminister behauptet unentwegt, die Lage der Staatsfinanzen sei gesund, und er habe alles unter Kontrolle.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

    Wissen Sie, das kommt mir so vor wie das berühmte Pfeifen im Walde: Je unsicherer man ist, um so lauter muß man pfeifen.

    (Beifall bei der SPD)

    Angst und bange kann einem wirklich werden, wenn man Ihre Staatsfinanzen anschaut. Die Verschuldung des öffentlichen Sektors, einschließlich Bahn, Post, Treuhand, staatlicher Wohnungssektor in der ehemaligen DDR und der verschiedenen Schuldentöpfe, lag Ende 1990 bei 1,3 Billionen DM. Meine Damen und Herren, eine Billion sind 1 000 Milliarden, eine Billion ist eine 1 mit 12 Nullen.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Typisch für die SPD-Rechnung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

    Diese Staatsverschuldung ist etwa doppelt so hoch wie bei der Wende 1982.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Nicht nur in diesem Jahr, auch in den kommenden Jahren, bis 1995, werden wir Jahr für Jahr annähernd 200 Milliarden DM neue Schulden hinzubekommen. Die Folge ist: In den fünf Jahren bis 1995 werden die öffentlichen Schulden um eine weitere Billion, von jetzt 1,3 auf dann 2,3 Billionen DM, steigen.
    Ich frage Sie, Herr Bundesfinanzminister: Wie wagen Sie es eigentlich noch, angesichts dieser dramatischen jährlichen Zunahme der Staatsschulden davon zu sprechen, daß Ihre Neuverschuldung nur vorübergehend so hoch sei! Dabei sind doch die beängstigenden Haushaltsrisiken noch nicht berücksichtigt, die Ihnen Graf Lambsdorff erst neulich im Detail vorge-



    Ingrid Matthäus-Maier
    rechnet hat: bei den Bürgschaften, bei der Treuhand, beim Kreditabwicklungsfonds, bei der Europäischen Gemeinschaft oder beim steuerlichen Grundfreibetrag, von dem doch jeder weiß, daß er dringend erhöht werden muß.
    Nur nebenbei: Stellen wir uns doch einmal gemeinsam vor, wie Sie über uns herfallen würden, wenn Sozialdemokraten nur annähernd soviel Schulden machten, wie Sie sie dauernd machen.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Dann wäre was los!)

    Diese ausufernde Staatsverschuldung sehen wir Sozialdemokraten wie auch unsere Bürger, unsere Wirtschaft und die Bundesbank mit größter Besorgnis. Sie schlagen leider alle Mahnungen in den Wind. Die Folgen dieser enormen Staatsverschuldung sind für die öffentlichen Haushalte verheerend. Bereits in diesem Jahr muß der gesamte öffentliche Sektor einschließlich der Sondervermögen und Schuldentöpfe allein 111 Milliarden DM für Zinsen zahlen. Das sind 304 Millionen DM Zinsen Tag für Tag. Allein während Ihrer Rede, Herr Bundesfinanzminister, mußten die öffentlichen Hände etwa 14 Millionen DM Zinsen zahlen.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    In den nächsten Jahren wird das noch schlimmer: 1992 werden es schon 123 Milliarden DM Zinsen sein — übrigens, meine Damen und Herren, alles Zahlen aus dem Finanzministerium. Bis 1995 steigen die Zinsverpflichtungen der öffentlichen Hand auf 175 Milliarden DM an. Da bleibt doch für die eigentlichen öffentlichen Aufgaben viel zuwenig übrig.
    Die Ausgaben, die allein im Bundeshaushalt 1992 für Zinsen veranschlagt sind, sind höher als die gesamten Ausgaben für die Bundesministerien für Gesundheit, Umwelt, Frauen und Jugend, wirtschaftliche Zusammenarbeit, Forschung und Technologie, Bildung und Wissenschaft und Wohnungsbau.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Hört! Hört!)

    Der Staat braucht immer mehr Steuern allein dafür, daß er seine Zinsen bezahlen kann. Bereits heute muß jede sechste Steuermark für Zinsen ausgezahlt werden, 1995 wird es bereits jede fünfte Steuermark sein. Das kann doch nicht so weitergehen. Politiker, die diese Entwicklung so weitertreiben lassen, handeln unverantwortlich zu Lasten nicht nur unserer Kinder, sondern auch unserer Enkel.

    (Beifall bei der SPD)

    Daß die deutsche Einheit viel Geld kostet, war uns immer bewußt. Dieses Geld für den Aufbau der neuen Länder aufzubringen waren wir bereit und sind wir bereit. Das haben wir im Unterschied zu Ihnen vor der Bundestagswahl gesagt.
    Versuchen Sie bitte nicht länger, Ihre enorme Staatsverschuldung allein auf die deutsche Einheit zu schieben.

    (Beifall bei der SPD)

    Dieser Schuldenberg ist in erheblichem Umfang auch
    das Ergebnis Ihrer verfehlten Politik. Nur Beispiele:
    Sie haben die sogenannte Steuerreform auf Pump
    finanziert. Sie haben sich jahrelang gewehrt, den Verteidigungshaushalt zu kürzen. Sie haben jahrelang an unsinnigen und teuren Großprojekten wie Wackersdorf und dem Schnellen Brüter festgehalten.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Sie haben sich bei der Zinsbesteuerung nicht an das Gesetz gehalten und dadurch großen Steuerhinterziehern Milliarden geschenkt.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Leider wahr! Das Gericht mußte erst kommen, um euch Beine zu machen!)

    Sie haben durch Ihr Zaudern und Zögern bei der wirtschaftlichen Flankierung der Währungsunion mehr Menschen arbeitslos werden lassen, als es nötig gewesen wäre, und die deutsche Einheit damit unnötig teuer gemacht.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Sie waren beim Ausbruch des Golfkrieges voll und ganz damit beschäftigt, hier in Bonn gerade Minister- und Staatssekretärsposten zu verteilen.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Zweiundachtzig!)

    Um Ihr außenpolitisches Versagen wieder auszugleichen, haben Sie anschließend eine peinliche Scheckbuchdiplomatie betrieben, die unsere Steuerzahler teurer zu stehen kommt. 17 Milliarden DM für den Golfkrieg, ohne daß wir nur im mindesten mitreden können, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei der SPD — Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Ohne Abrechnung bisher! — Zuruf von der CDU/CSU: Was wollten Sie denn mitreden?)

    Sie haben beim Sparen und beim Subventionsabbau versagt. Ihre angeblichen Sparerfolge bestehen überwiegend aus Abgaben- und Gebührenerhöhungen. Den Bürgern aber Geld aus der Tasche zu holen, das ist kein Sparen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Darin wart ihr Weltmeister!)

    Sie haben schließlich seit 1983 Bundesbankgewinne in Höhe von 80 Milliarden DM kassiert.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Hört! Hört!)

    Statt mit dem Geld den Haushalt zu konsolidieren, haben Sie es leider mit vollen Händen ausgegeben.

    (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Das habt ihr gemacht!)

    — Das haben wir nicht gemacht, Herr Faltlhauser. Denn wir haben in 13 Jahren nur 13 Milliarden DM Bundesbankgewinne und Sie in neun Jahren 80 Milliarden DM kassiert, ohne damit zu konsolidieren.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Mit Ihrer Schuldenpolitik und Ihren Steuererhöhungen ist ein Anstieg der Inflationsrate auf über 4 % verbunden. Zu Recht hat der ehemalige Bundesbankpräsident Pöhl bei seiner Abschiedsrede in der Frank-



    Ingrid Matthäus-Maier
    furter Paulskirche diese Inflationsrate ausdrücklich als hausgemacht bezeichnet; denn weltweit gehen die Inflationsraten zurück.
    Die von der Politik genährte Inflationserwartung beschädigt aber die Grundlagen unserer Volkswirtschaft, und dies untergräbt das Vertrauen in die Stabilität der D-Mark im In- und Ausland. Ich hoffe nicht, daß der Finanzminister darauf spekuliert, daß mit steigender Inflation die drückende Schuldenlast des Staates leichter wird. Ich kann nur davor warnen, diesen unsozialen und wirtschaftspolitisch verhängnisvollen Weg in die Inflation weiterzugehen.
    Die Folge Ihrer Schuldenpolitik ist auch ein viel zu hohes Zinsniveau. Weltweit gehen die Zinsen zurück; bei uns aber steigen sie. Die Bundesbank hat die Zinsen doch nicht aus Jux und Dollerei erhöht. Die Zinsbeschlüsse der Bundesbank waren vor allem auch ein Warnsignal an diese Bundesregierung.
    Die hohen Zinsen schaden unserer Wirtschaft, für die das Investieren nun teurer geworden ist. Sie schaden auch dem Aufbau in den neuen Ländern. Schon ein Anstieg der Zinsen um nur einen Prozentpunkt kostet die Wirtschaft rund 14 Milliarden DM. Dies belastet sie weit mehr als die ganze Vermögensteuer und die ganze Gewerbekapitalsteuer, über die Sie dauernd lamentieren. Ich sage Ihnen: Von einer soliden Finanzpolitik, die zu niedrigen Zinsen führt, hat die Wirtschaft mehr als von unbezahlbaren Steuervergünstigungen.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE — Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Ihre Rede löst Kapitalflucht aus!)

    Die hohen Zinsen schaden auch dem Wohnungsbau. Sie bringen viele Eigenheimbesitzer in eine ausweglose Notlage, weil diese die mehrere hundert Mark zusätzliche Zinsbelastung im Monat für ihr Häuschen nicht mehr bezahlen können.
    Statt nun aber Ihre Politik zu ändern und endlich zu sparen, fahren Sie fort, die Lage der Staatsfinanzen schöner zu malen, als sie ist. Sie sagen z. B., die Neuverschuldung des Bundes würde bis 1995 auf 25 Milliarden DM zurückgehen. Schon diese 25 Milliarden DM stehen angesichts der Milliardenrisiken nur auf dem Papier. Außerdem verschweigen Sie die vielen Milliarden DM an Schulden, die Sie in den kunstvoll konstruierten Schattenhaushalten, Sondervermögen und Schuldentöpfen auslagern. Ich nenne nur den Fonds Deutsche Einheit, den Kreditabwicklungsfonds und die Treuhand. Sie verschweigen zugleich, daß die Verschuldung der Länder und Gemeinden vor allen Dingen im Osten dramatisch hochgeht. Hören Sie doch endlich auf mit dieser Schönfärberei! Die Wahrheit wird Sie auch an dieser Stelle einholen.

    (Beifall bei der SPD)

    Mit Ihrer heutigen Rede, Herr Bundesfinanzminister, haben Sie leider wieder die Chance vertan, einen ehrlichen und ungeschminkten Kassensturz vorzunehmen. Wie recht hatte doch die Zeitschrift „Die Zeit" , als sie in der letzten Woche unter der Überschrift „Verdrängte Wahrheiten" für die heutige Debatte vorhersagte:
    Doch zu dieser Stunde der Wahrheit wird es in der Parlamentsdebatte über den Bundeshaushalt 1992 nicht kommen. Statt dessen wird der Bürger aus dem Munde des Bonner Kassenchefs ein weiteres Mal hören, daß die Regierung alles im Griff habe und die Finanzpolitik auf Kurs sei.

    (Jochen Borchert [CDU/CSU]: Das ist auch zutreffend!)

    Der Finanzminister bleibt — so „Die Zeit" —
    ein Gefangener seiner Steuerlüge vom vergangenen Jahr.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    „Die Zeit" fährt fort:
    Danach kostet die Einheit den Bürger (West) nichts, und der Bürger (Ost) kann mit einem schnellen Aufschwung rechnen. Indes: Es ist der schlimmste Fehler Waigels, in den 28 Monaten seiner Amtszeit, die Bevölkerung nicht auf die Belastungen der Einheit vorbereitet zu haben und auch jetzt noch die Haushaltsprobleme zu verdrängen.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Der andere schlimme Fehler ist, daß die Bundesregierung einfach nicht ernst macht beim Sparen. Das hat doch zuletzt das Theater in der Sommerpause um den angeblichen Subventionsabbau gezeigt. Das Ziel eines Subventionsabbaus um 10 Milliarden DM wurde weit verfehlt. Ich zitiere nur einige Zeitungskommentare. Dort heißt es: „Mogelpackung", „Augenwischerei", „Luftbuchungen" , „Flickwerk" , „Ratlose Milliardenjongleure", „Papiertigerparade", „ohne große finanzpolitische Professionalität", „Massive Buchungstricks" ,

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Unerhörte Beschimpfungen!)

    „Mölles großer Bluff", „Subventionslüge". — Meine Damen und Herren, ich würde gar nicht wagen, solche Worte zu gebrauchen, denn es sind ja Beleidigungen, aber große Zeitungen haben das über Sie geschrieben.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/ GRÜNE])

    Ich füge nach diesen Zeitungskommentaren hinzu: Ihre Art von Subventionsabbau ist ökonomisch unvernünftig und sozial eine Zumutung. Ich nenne nur ein ganz konkretes Beispiel: Sie wollen 560 Millionen DM bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose kürzen. Die gleichen 560 Millionen DM geben Sie aber für das sogenannte Dienstmädchenprivileg für Spitzenverdiener aus, das Sie sogar noch weiter aufstocken wollen. Warum schaffen Sie nicht das Dienstmädchenprivileg ab und helfen statt dessen den Langzeitarbeitslosen? Dann haben Sie das Geld.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)




    Ingrid Matthäus-Maier
    Ich hoffe im übrigen auch, daß Wirtschaftsminister Möllemann seine Absicht aufgibt, bei der Kohlehilfe entgegen den bestehenden Verträgen zu kürzen. Es kann doch keine Rede davon sein, daß sich der Bergbau notwendigem Strukturwandel verschließt. Da werden doch bereits Jahr für Jahr Arbeitsplätze abgebaut. Aber der notwendige Strukturwandel darf doch nicht dazu führen, daß ganze Regionen ins Abseits geraten und bestehende Verträge ausgehebelt werden, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Werner Schulz [Berlin] [Bündnis 90/GRÜNE])

    Daß die Bundesregierung in dieser Situation der öffentlichen Haushalte mit der Senkung der Vermögensteuer und der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sogar noch neue Steuervergünstigungen einführt,

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD] und Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Unglaublich!)

    schlägt dem Faß den Boden aus.

    (Beifall bei der SPD)

    Diese neuen Steuergeschenke sind wirtschaftspolitisch unvernünftig. Mit Arbeitsplätzen hat das nichts zu tun, denn hier wird nicht das Investieren gefördert, sondern der Besitz von Vermögen und Kapital.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Großvermögen!)

    Auch der Mittelstand hat nichts davon.

    (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Sie haben von den Grundlagen keine Ahnung!)

    Wegen der hohen Freibeträge sind nämlich die meisten kleinen und mittleren Unternehmen von der Gewerbekapitalsteuer befreit.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: So ist es! Die Handwerker haben gar nichts davon!)

    Daß sie hier erneut eine Politik zugunsten der Großunternehmen betreiben, hat mittlerweile auch die Mittelstandsvereinigung der CDU bemerkt, die mit uns zusammen gegen die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Wie auch immer man es dreht und wendet: Sie greifen der großen Masse der Bürger in die Tasche durch höhere Arbeitslosenversicherungsbeiträge, durch die Ergänzungsabgabe, durch die Anhebung der Mineralölsteuer, die Anhebung der Tabaksteuer, die Anhebung der Versicherungsteuer, durch die Einführung der Telefonsteuer. Da ist doch Ihre Absicht, gleichzeitig die Vermögensteuer zu senken und die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen, eine glatte Zumutung.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Meine Damen und Herren, in den Programmen aller Parteien des Bundestages steht, daß zu den großen ungelösten Problemen unserer Wirtschaftsordnung die ungleiche Einkommens-und Vermögensverteilung gehört. Ja, wie kann man denn dann auf die Idee kommen, diesen Fehler, dieses Problem noch dadurch zu verstärken, daß man die Vermögensteuer senkt?
    Nein, meine Damen und Herren, die Unbelehrbarkeit, mit der diese Bundesregierung die Senkung von Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer betreibt, erschreckt mich. Wir hatten doch nach dem letzten Vermittlungsverfahren alle erwartet, daß diese Ihre Schnapsidee mittlerweile vom Tisch ist. Wir haben in unserem Lande doch wahrlich andere, dringlichere Probleme zu lösen.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Ich frage Sie: Warum widmen Sie angesichts von 2,5 Millionen fehlenden Wohnungen nicht die gleiche Energie, mit der Sie dauernd die Vermögensteuersenkung wollen, der Bekämpfung der Wohnungsnot?

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Oder warum setzten Sie sich nicht endlich mit der gleichen Energie für die Einführung einer Pflegeversicherung für ältere Menschen ein? Da liegen doch die Probleme.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE — Zurufe von der CDU/CSU: Das tun wir doch!)

    Herr Bundeskanzler, Sie sind zugleich Parteivorsitzender der CDU. Aber ich sage Ihnen: Eine Partei, die sich mit dieser Intensität um Steuersenkungen in Höhe von 6,4 Milliarden DM für Spitzenverdiener und Großunternehmen bemüht, gleichzeitig aber die Probleme der wachsenden Wohnungsnot und der Pflegebedürftigkeit von Millionen Menschen vernachlässigt, hat nicht mehr das Recht, sich eine Volkspartei zu nennen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    Besonders schlimm ist, daß Sie für die Senkung der Vermögensteuer und die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer die Mehrwertsteuer erhöhen wollen. Da Ihnen das so unangenehm ist — das hat ja auch Herr Geißler festgestellt, und Herr Dregger hat klargemacht, daß es auch bei Ihnen rumort — , sagen Sie, das würden Sie durch den Subventionsabbau finanzieren. Aber, meine Damen und Herren, wie soll man denn mit Luftbuchungen 6,4 Milliarden DM Steuersenkungen finanzieren? Das nimmt Ihnen doch kein Mensch ab.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Nein, Sie brauchen dazu die Anhebung der Mehrwertsteuer, und eine solche Anhebung der Mehrwertsteuer ist wirtschaftspolitisch verfehlt.

    (Hans Peter Schmitz [Baesweiler] [CDU/ CSU]: Das ist eine glatte Legende!)

    Noch vor wenigen Tagen hat Bundesbankpräsident Schlesinger die wirtschaftspolitischen Bedenken gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zusammengefaßt. Insbesondere — so führt er aus — führe ein solcher Schritt zu einem weiteren Anstieg des Preisniveaus, und davon seien auch Bund, Länder und Gemeinden als Nachfrager bei ihren Ausgaben betroffen. Deswegen bringe im Endergebnis fiskalisch die Mehrwertsteuererhöhung übrigens lange nicht das, was man sich von ihr verspreche. Darüber hinaus



    Ingrid Matthäus-Maier
    werde sich eine Mehrwertsteueranhebung in höheren Lohnforderungen niederschlagen, und damit seien erneut Gefahren für die Preisstabilität verbunden. — So die ernste Besorgnis des Bundesbankpräsidenten Professor Schlesinger.
    Auch die Präsidenten der Verbände von Handel und Handwerk lehnen die Mehrwertsteuererhöhung als mittelstandsfeindlich ab. Sie haben doch recht: Die Schwarzarbeit wird noch weiter zunehmen.
    Schließlich trifft die Mehrwertsteuererhöhung — da können Sie herumreden, solange Sie wollen, und wen auch immer zitieren — in erster Linie die kleinen Leute, die Arbeitnehmer mit kleinem Einkommen, die Familien mit Kindern, die Rentner und die Arbeitslosen, sehr viel mehr als die Bezieher hoher und höchster Einkommen. Dabei sieht doch jeder: Die Grenze der Belastbarkeit der Mehrheit unserer Bürger mit Steuern und Abgaben ist erreicht, bei vielen schon überschritten.
    Sie reden immer von Verzicht bei den Lohnerhöhungen. Das haben Sie auch heute morgen wieder gemacht, Herr Bundesfinanzminister. Ich sage Ihnen: Verzichten Sie auf die Senkung von Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer, dann können Sie, wenn Sie zusätzlich sparen, auf die Mehrwertsteueranhebung verzichten, und dann müssen nicht die Gewerkschaften das bei den Lohnerhöhungen wieder hereinholen.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Wie belastet die kleinen Leute mit Steuern sind, sieht man an Ihrer Ergänzungsabgabe. Denn diese Ergänzungsabgabe hat keine Einkommensgrenze. Das war ein großer Fehler. Schon vor der Einführung Ihrer Ergänzungsabgabe wurde in unserem Lande das Existenzminimum verfassungswidrigerweise besteuert. Schon aus diesem Grund hätte die Ergänzungsabgabe mit einer Einkommensgrenze verbunden sein müssen, damit kleine und mittlere Einkommen freigestellt werden.
    Sie schließen daraus, wir hätten etwas gegen Besserverdienende. Das ist Unsinn. Es sind vor allem zwei Gründe, die dafür sprechen, daß die Bürger mit den höheren Einkommen stärker zur Finanzierung der neuen Länder beitragen.
    Der eine Gedanke ist der des Lastenausgleichs. Nach dem Kriege war es selbstverständlich, daß die große und teure Aufbauleistung in erster Linie von den Bürgerinnen und Bürgern mit den starken Schultern finanziell getragen wurde. Warum soll dieser Gedanke nicht auch für die große Aufbauleistung der deutschen Einheit wieder zum Tragen kommen?
    Außerdem muß daran erinnert werden, daß — das ist der zweite Grund — bei der sogenannten Steuerreform 1990 allein 10 Milliarden DM Steuersenkung an Einkommen über 100 000 DM gegangen sind. Nachdem dieses Geld fehlt — denn Sie haben die Steuern auf Pump gesenkt — , ist es nur ein Gebot der Gerechtigkeit, dieses fehlende Geld bei den hohen und höchsten Einkommen herauszuholen und nicht bei den kleinen Leuten. Bei diesen ist durch Ihr massives Steuer- und Abgabenerhöhungspaket die Belastung ohnehin zu hoch und hat die gesamte Steuerentlastung der letzten Jahre zunichte gemacht. Das renommierte Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat Ihnen das unter der Überschrift „Umverteilung der Einkommen von unten nach oben" im einzelnen nachgewiesen.
    Meine Damen und Herren, die Finanzpolitik dieser Bundesregierung ist nicht auf Kurs, allenfalls auf Schlingerkurs. Dem Finanzminister laufen die Staatsfinanzen aus dem Ruder, und der Kapitän — sprich: der Bundeskanzler — kümmert sich gleich gar nicht um die Staatsfinanzen. Der kleinere Koalitionspartner FDP steuert zwar kräftig mit ins Abseits, hat aber schon die Rettungsboote fest im Auge.

    (Heiterkeit bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE sowie Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zuruf des Abg. Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU])

    — Herr Faltlhauser, es ist so ermüdend, wenn Sie immer dazwischenrufen. Stellen Sie doch einfach einmal eine Zwischenfrage.
    Meine Damen und Herren, wenn das Ruder nicht endlich herumgerissen wird, ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann das Schiff der Staatsfinanzen auf ein Riff laufen wird. Was wir brauchen, ist ein Kurswechsel in der Finanzpolitik.
    Unsere Alternativen liegen Punkt für Punkt auf dem Tisch:
    Erstens. Statt der Schönfärberei muß ein ehrlicher Kassensturz erfolgen.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Zweitens. Die Bundesregierung muß auf ihr unsinniges Vorhaben verzichten, für Großunternehmen und Spitzenverdiener die Vermögensteuer zu senken und die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen. Dann stehen 6,4 Milliarden DM zur Verfügung.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Drittens. Es muß endlich ernsthaft gespart werden, statt immer wieder die Steuern zu erhöhen. Wir können uns einen Verteidigungshaushalt wie zu Zeiten des kalten Krieges nicht mehr leisten.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/ Linke Liste)

    Viertens. Die notwendige Sparsamkeit muß auch bei geringeren Beträgen wieder zum Zuge kommen. Die kleinste Recheneinheit darf doch nicht länger die Milliarde sein. Weder brauchen wir 81 Minister und Staatssekretäre

    (Zuruf von der SPD: 81?)

    — 81! —, noch brauchen wir 450 Millionen DM für Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Der Bundesnachrichtendienst braucht auch keine 10 Millionen DM mehr.

    (Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Wenn das Herr Porzner hört!)




    Ingrid Matthäus-Maier
    Außerdem brauchen wir nicht zusätzliche Millionen für die Vertriebenenverbände.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Brauchen wir für die Betreuung von Herrn Schalck! — Widerspruch bei der CDU/CSU)

    — Also, daß Sie die Geschichte — das kann ich ja verstehen — mit dem BND angesichts des Durcheinander
    — ich nenne nur die Namen Schalck-Golodkowski, Strauß, März usw. — sehr ängstigt und aufregt, kann ich wohl verstehen, meine Damen und Herren. Aber deswegen brauchen die nicht mehr Geld.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE])

    Wir brauchen auch nicht zusätzliche Millionen für die Vertriebenenverbände. Auch bei den Weltraumprojekten kann abgespeckt werden. Und daß jetzt Soldaten mit 48 Jahren in den Ruhestand versetzt werden sollen, obwohl ihre Fähigkeiten an anderer Stelle im öffentlichen Dienst dringlich benötigt werden, versteht doch kein Mensch.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE)

    Meine Damen und Herren — jetzt werden vielleicht nicht viele klatschen —, für mich ganz persönlich füge ich hinzu: Mein Vorschlag, die Zahl der Bundestagsabgeordneten auf 500 zu begrenzen, den ich seit langem mache, hat für mich nicht nur etwas mit der Arbeitsfähigkeit des Parlaments und der Stärkung der Position des einzelnen Parlamentariers, sondern auch etwas mit Sparen zu tun.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der PDS/Linke Liste und des Bündnisses 90/GRÜNE — Friedrich Bohl [CDU/ CSU]: Sie können ja Ihr Mandat niederlegen, dann hätten wir ein Mandat weniger!)

    Fünftens. Es müssen endlich Subventionen auf allen Ebenen abgebaut werden — unsere Vorschläge liegen seit langem auf dem Tisch — , vom Dienstmädchenprivileg über die Bewirtungsspesen bis zum Flugbenzinskandal. Aber, meine Damen und Herren, Subventionen müssen auch in der Europäischen Gemeinschaft abgebaut werden, bei der wir ja schließlich die Hauptzahler sind.

    (Hans Peter Schmitz [Baesweiler] [CDU/ CSU]: Sie läßt aber auch keinen aus!)

    Dem Bürger ist nun wirklich nicht verständlich zu machen, warum mit unseren Steuergeldern aus der Europäischen Gemeinschaft 100 000 t Rindfleisch für 1 DM pro Kilo nach Brasilien exportiert werden,

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Ausgerechnet!)

    obwohl die Europäische Gemeinschaft das Kilo 6 DM kostet und wir damit außerdem noch die Exportmärkte für die Dritte Welt kaputtmachen. Das ist das Schlimme, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE)

    Allein durch diese sehr konkreten Einsparvorschläge und den Verzicht auf die Steuersenkung bei der Vermögen- und der Gewerbekapitalsteuer haben wir Sozialdemokraten ohne jede Steuererhöhung ein
    gleich großes Finanzvolumen zur Verfügung wie die Bundesregierung mit ihrer Mehrwertsteuererhöhung.

    (Zuruf des Abg. Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/ CSU] — Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Das ist die beste Lachnummer, Frau MatthäusMaier, wenn Sie dieses Papier meinen!)

    — Herr Faltlhauser, das finde ich jetzt langsam unhöflich: entweder fragen oder ein bißchen leiser sein. Im übrigen, Herr Uldall, ist es mit den Zwischenrufen so: Erst informieren, dann nachdenken und dann erst Zwischenrufe machen.

    (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Da steht ja nichts drin, worüber man sich informieren könnte!)

    Sechstens. Statt der Mehrwertsteuererhöhung der Bundesregierung will die SPD die Freistellung der kleineren und mittleren Einkommen von der Ergänzungsabgabe, ihre Umstellung in einen Zuschlag zur Lohn- und Einkommensteuer, so daß auch die Gemeinden und Länder davon etwas abbekommen, und ihre Befristung auf vier bis fünf Jahre — übrigens etwas, was wir vor der Bundestagswahl im Unterschied zu Ihnen alles bereits angekündigt hatten.
    Siebtens. Es muß Schluß damit sein, daß man bei angeblich hehren politischen Vorhaben nicht über das Geld reden darf. Das war so beim Golfkrieg, wo Sie mit der Begründung internationaler Solidarität voreilig und zuviel überwiesen haben. Das muß auch für alle anderen Entscheidungen gelten. Mit ihrem eigenen Geld können Politiker ja umgehen, wie sie wollen, aber nicht mit dem Geld der Steuerzahler.

    (Beifall bei der SPD)

    Achtens. Bevor man immer nach neuen Steuererhöhungen ruft, muß der Staat dafür sorgen, daß die Steuern, die ihm zustehen, auch tatsächlich hereinkommen. Eine Politik, die sehenden Auges hinnimmt, daß die Hinterziehung großer Steuerbeträge stattfindet, hat kein Recht, die ehrlichen Steuerzahler mit immer neuen Steuererhöhungen zur Kasse zu bitten.

    (Beifall bei der SPD)

    Unser Vorschlag zur Zinsbesteuerung liegt seit zwei Jahren auf dem Tisch, nämlich die Befreiung der Millionen Normalsparer von der Zinsbesteuerung durch eine kräftige Anhebung der Sparerfreibeträge auf 3 000 DM für Alleinstehende und 6 000 DM für Verheiratete und ein Stichprobenverfahren, das das Bankgeheimnis wahrt.
    Neuntens. Eine gerechte Steuerpolitik muß wieder Aufgabe der Bundesregierung sein. Es muß Schluß damit sein, Herr Finanzminister, daß die Bundesregierung zur Beseitigung bestehender Ungerechtigkeiten immer erst vom Bundesverfassungsgericht gezwungen wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Das war so beim Kindergeld, das war so bei der Zinsbesteuerung, das war so beim Finanzausgleich und in Kürze auch beim Grundfreibetrag.
    Zehntens. Leere Kassen dürfen keine Ausrede sein, um notwendige Reformen zu verhindern. Ref ormpoli-



    Ingrid Matthäus-Maier
    tik muß nicht unbedingt zusätzliches Geld kosten, wenn in den öffentlichen Haushalten intelligent umgeschichtet wird. Statt der Anhebung der ungerechten Kinderfreibeträge durch diese Bundesregierung, durch die ein Spitzenverdiener fast dreimal so viel erhält wie ein Niedrigverdiener, fordern wir Sozialdemokraten ein einheitliches Kindergeld von 230 DM vom ersten Kind an. Diese Reform ist aufkommensneutral finanzierbar durch eine Ersetzung dieses sehr bürokratischen und ungerechten Systems von Kinderfreibeträgen, Kindergeld, Einkommensgrenzen und Kinderzuschlag und durch eine maßvolle Reform des Ehegattensplitting.
    Meine Damen und Herren, dazu nur ein Satz: Daß nach dem geltenden Recht ein Ehepaar, auch wenn es keine Kinder hat, einen Splittingvorteil im Jahr von bis zu 22 842 DM erhält, und das jedes Jahr immer wieder, während eine Familie mit niedrigem Einkommen für ein Kind in 18 Jahren insgesamt nur eine Förderung von 21 168 DM erhält, also in 18 Jahren weniger als die Spitzenverdienerfamilie ohne Kinder in einem Jahr, das versteht doch kein Mensch. Ich fordere Sie hier auf, Herr Geißler und die Arbeitnehmervertreter: Warum machen Sie nicht endlich bei uns mit, dies zu ändern?

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    Wir fordern elftens als konkrete Alternative zu Ihrer Anhebung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge, von der Beamte, Minister, Abgeordnete und Selbständige nicht betroffen sind, die Einführung einer Arbeitsmarktabgabe, bei der die genannten Personengruppen mitbezahlen.
    Zwölftens. Die Finanzpolitik muß endlich zu einer bedarfsgerechten Finanzausstattung der Länder und Gemeinden führen, die doch für die deutsche Einheit auch erhebliche finanzielle Beiträge erbringen. Es muß Schluß damit sein, daß sich die Bundesregierung selber zusätzliche Einnahmen verschafft und gleichzeitig den Ländern und Gemeinden sogar noch Steuereinnahmen wegnimmt. Die Bundesregierung muß auch ihre Zusage an die Länder für ein Sonderprogramm zur Abfederung der Streitkräftereduzierung einhalten. Daß Finanzminister Waigel die Strukturhilfe fast übergangslos streichen will, verstößt, Herr Waigel, gegen alle Absprachen. Sie wissen, daß die Strukturhilfe 1988 eingeführt wurde,

    (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Erpreßt wurde!)

    um die Länder bei den enormen Kosten Ihrer Steuersenkungspolitik zu entlasten. Wenn Sie das jetzt streichen, dann sage ich Ihnen: Dann kommt der Vorschlag wieder auf den Tisch des Hauses, daß sich der Bund endlich zur Hälfte an den Sozialhilfeausgaben der Gemeinden beteiligt.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Ich fasse zusammen: Unser Land braucht einen Kurswechsel in der Finanzpolitik. Dazu gehört ein ehrlicher Kassensturz. Dazu gehört der Verzicht auf die Senkung der Vermögensteuer und die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer. Dazu gehört insbesondere kräftiges Sparen, damit die D-Mark nicht zu Schaden kommt. Dieser Kurswechsel ist längst überfällig. Er darf keinen Tag länger verschoben werden.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD — Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE)