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    Berichtigungen zu Plenarprotokollen Deutscher Bundestag Berichtigungen zu Stenographischen Berichten Nachtrag zur 34. Sitzung, erste Seite, linke Spalte: Statt „Klaus Brähning" ist „Klaus Brähmig" zu lesen. Auf Seite 2861 C, zweiter Absatz, letztes Wort: Statt „wurden" ist „würden" zu lesen. (In Nachdruckexemplaren bereits korrigiert.) 35. Sitzung: Auf der ersten Seite, rechte Spalte sowie auf Seite 2960 B ist statt „Gottfried Haschke (Großhennersdorf) " „Udo Haschke (Jena)" zu lesen. Plenarprotokoll 12/35 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 35. Sitzung Bonn, Freitag, den 21. Juni 1991 Inhalt: Erinnerung an die 50. Wiederkehr des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion . . . 2927 A Verabschiedung des Platzmeisters beim Deutschen Bundestag Karl-Heinz Schmitt 2928 C Begrüßung einer Delegation des Ausschusses für Sozialordnung des polnischen Sejm 2929 A Bestimmung des Abg. Dr. Willfried Penner in den Rundfunkrat des Deutschlandfunks als Nachfolger des ausgeschiedenen Abg. Dr. Wilhelm Nöbel 2929 A Erweiterung der Tagesordnung 2929 B Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde, den Richtlinien für Aktuelle Stunden und der Vereinbarung über die Befragung der Bundesregierung in der Sitzungswoche ab 2. September 1991 2929 A Tagesordnungspunkt 16: a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz — RÜG) (Drucksachen 12/405, 12/630, 12/786, 12/826, 12/812) b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über vorgezogene Regelungen zur Herstellung der Rechtseinheit in der Renten- und Unfallversicherung (Renten-Vorschaltgesetz) (Drucksachen 12/724, 12/786, 12/826, 12/813) Heinz Rother CDU/CSU 2930 A Ulrike Mascher SPD 2933 B Dr. Gisela Babel FDP 2936 A Petra Bläss PDS/Linke Liste 2940 D Christina Schenk Bündnis 90/GRÜNE . 2943 A Heinz-Adolf Hörsken CDU/CSU 2945 A Rudolf Dreßler SPD 2947 C Volker Kauder CDU/CSU 2950 D Renate Jäger SPD 2953 C Joachim Graf von Schönburg-Glauchau CDU/CSU 2956 A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU 2956 A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 2957 C Heinz-Jürgen Kronberg CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 2959 C Gottfried Haschke (Großhennersdorf) CDU/ CSU (Erklärung nach § 31 GO) 2960 B Ottmar Schreiner SPD (Erklärung nach § 31 GO) 2960 D Zusatztagesordnungspunkt 13: Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU: Entsendung eines Ersatzbewerbers als Beobachter in das Europäische Parlament (Drucksache 12/828) . 2962 D Zusatztagesordnungspunkt 14: Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses: Übersicht 2 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache 12/807) . . 2962 D II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1991 Zusatztagesordnungspunkt 15: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 22 zu Petitionen (Drucksache 12/808) . . 2962 D Zusatztagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Günther Bredehorn, Johann Paintner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Förderung einer einjährigen Flächenstillegung im Wirtschaftsjahr 1991/1992 (Flächenstilllegungsgesetz 1991) (Drucksachen 12/721 [neu], 12/821, 12/822) 2963 A Zusatztagesordnungspunkt 11: Aktuelle Stunde betr. Hunger und Bürgerkrieg im Sudan Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 2963 C Verena Wohlleben SPD 2964 C Arno Schmidt (Dresden) FDP 2965 A Dr. R. Werner Schuster SPD 2966 A Hans-Peter Repnik, Parl. Staatssekretär BMZ 2966 D Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . 2968 B Christoph Matschie SPD 2969 A Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . 2970B Ulrich Irmer FDP 2971 A Volker Neumann (Bramsche) SPD . . . 2971D Joachim Graf von Schönburg-Glauchau CDU/CSU 2972 D Dr. Volkmar Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU 2973 C Nächste Sitzung 2974 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2975* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatztagesordnungspunkt 12 — Flächenstillegungsgesetz 1991 — Siegfried Hornung CDU/CSU 2975* C Jan Oostergetelo SPD 2976* D Ulrich Heinrich FDP 2978* B Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ Linke Liste 2979* B Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1991 2927 35. Sitzung Bonn, den 21. Juni 1991 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Becker-Inglau, Ingrid SPD 21. 06. 91 Blunck, Lieselott SPD 21. 06. 91 Dr. Fell, Karl H. CDU/CSU 21. 06. 91 Formanski, Norbert SPD 21. 06. 91 Ganschow, Jörg FDP 21. 06. 91 Gattermann, Hans H. FDP 21. 06. 91 Dr. Gautier, Fritz SPD 21. 06. 91 Genscher, Hans Dietrich FDP 21. 06. 91 Dr. Glotz, Peter SPD 21. 06. 91 Dr. Gysi, Gregor PDS 21. 06. 91 Hasenfratz, Klaus SPD 21. 06. 91 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 21. 06. 91 Köhler (Hainspitz), CDU/CSU 21. 06. 91 Hans-Ulrich Dr. Köhler (Wolfsburg), CDU/CSU 21. 06. 91 Volkmar Kolbe, Regina SPD 21. 06. 91 Kriedner, Arnulf CDU/CSU 21. 06. 91 Dr. Mertens (Bottrop), SPD 21. 06. 91 Franz-Josef Dr. Meseke, Hedda CDU/CSU 21. 06. 91 Mischnick, Wolfgang FDP 21. 06. 91 Dr. Modrow, Hans PDS 21. 06. 91 Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 21. 06. 91 Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 21. 06. 91 Pfuhl, Albert SPD 21. 06. 91 Rawe, Wilhelm CDU/CSU 21. 06. 91 Reichenbach, Klaus CDU/CSU 21. 06. 91 Dr. Riege, Gerhard PDS 21. 06. 91 Dr. Scheer, Hermann SPD 21. 06. 91* Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 21. 06. 91 Sielaff, Horst SPD 21. 06. 91 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 21. 06. 91 Dr. Frhr. von Stetten, CDU/CSU 21. 06. 91 Wolfgang Terborg, Margitta SPD 21. 06. 91 Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 21. 06. 91 Vosen, Josef SPD 21. 06. 91 Welt, Hans-Joachim SPD 21. 06. 91 Zierer, Benno CDU/CSU 21. 06. 91* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatztagungsordnungspunkt 12 - Flächenstillegungsgesetz 1991 - Siegfried Hornung (CDU/CSU): Die Beratung zum Agrarbericht hat uns wieder deutlich vor Augen geführt, daß bei ungebremster Agrarproduktion die Betriebseinkommen der Bauern nicht steigen, sondern zunehmend rückläufig sind. Hauptursache sind übervolle Märkte, zurückgehender Verbrauch von Nahrungsmitteln, damit einhergehend sinkende Preise. Die „Stabilisierungskonzepte" der EG haben bislang zuwenig Augenmerk auf die Mengenrückführung gelenkt, vielmehr schlug die Preissenkungsautomatik voll durch. Mit mehr als 25 Millionen Tonnen Getreide derzeit in den Lagern Europas stehen wir auch bei den GATT-Verhandlungen mit dem Rücken an der Wand. Ein auch für unsere Bauern erfolgreicher Abschluß dieser Runde ist nur möglich, wenn die EG ernsthafte Anstrengungen zur Mengenanpassung an den EG-Markt unternimmt. Nur dann ist auch die leidige Frage der Getreidesubstitute positiv zu lösen. Solange ein Teil unserer Agrarproduktion nicht in den „Nonfoodbereich" als nachwachsender Rohstoff einfließt, wobei wir diesem Thema der nachwachsenden Rohstoffe ohnehin in der Agrar- und Umweltpolitik einen besonderen Schwerpunkt widmen werden, muß jede andere Chance der Mengenregulierung genutzt werden. Dabei führt nun einmal „Nichtproduktion" am schnellsten in diese Richtung. Obligatorische Regelungen wären hierbei EG-weit der sicherste Weg, er ist aber nicht durchsetzbar. Deshalb ist es der erste richtige Schritt neben der bisherigen fünfjährigen Flächenstillegung, nunmehr mit dem Sonderprogramm einer einjährigen Flächenstillegung eine Akzeptanz auf freiwilliger Ebene EG-weit zu erreichen. Bundesminister Kiechle hat nach langen und zähen Verhandlungen einen wichtigen Durchbruch gegenüber dem bisherigen Konzept beim Agrarrat erreicht. Wer weiter ungehemmt in einen nicht mehr vorhandenen Markt produziert, muß die erhöhte MVA von 5 % entrichten - künftig vielleicht sogar noch mehr -, andererseits erhält er bei der Teilnahme am Programm die 5%ige MVA voll erstattet. Dies wird nun auch für die Hauptgetreideproduzenten der EG wie Großbritannien und Frankreich interessant. Bisher hatten diese EG-Partner mit 0,6 % sich nur bescheiden an der Reduzierung der Getreideproduktion beteiligt, während in der Bundesrepublik mit über 300 000 ha in den alten Ländern und mit ca. 600 000 ha in den neuen Bundesländern eine überproportionale Teilnahme an der Flächenstillegung zu verzeichnen war. Das hat natürlich im Blick auf „Marktanteile" auch zu Spannungen und entsprechenden Diskussionen bei unseren Marktpartnern geführt. 2976* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1991 Nach dem Brüsseler Beschluß haben wir nun rasch gehandelt und die EG-Verordnungen in nationales Recht umgesetzt. Da dies im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe nicht möglich war, haben wir uns zur 100%igen Finanzierung des nationalen Anteils durch den Bund bereit erklärt. Bei der Annahme, daß etwa 350 000 ha über dieses Programm aus der Produktion genommen werden, entstehen Kosten in Höhe von rund 84 Millionen DM. Als Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten freut es mich ganz besonders, daß wir den Koalitionsentwurf so zügig von einer Woche auf die andere beraten konnten — hier sage ich allen Ausschußmitgliedern Dank — , so daß er heute schon zur Abstimmung vorliegt und morgen die Landwirte bereits ein Angebot auf dem Tisch haben. Sie haben jetzt mit der Verabschiedung des Gesetzes vor der Sommerpause, dann die Gelegenheit, sich für die Teilnahme zu entscheiden und in die Betriebskalkulation sowie den Anbauplan aufzunehmen. Die Bedingungen sind gerade für die getreidestarken Betriebe attraktiv: Gestaffelt nach Ertragsmeßzahl beträgt die Prämie zwischen 240 DM und 1059 DM/ha, das heißt ab einer EMZ von 10 gibt es je weiteren Punkt einen Zuschlag von 13 DM/ha bis zur vorgenannten Obergrenze. Im Schnitt rechnen wir mit 720 DM/ha. Die im Vergleich zum fünfjährigen Programm etwas geringere Prämie wird durch die im Gegensatz zur Fünfjahresregelung volle Erstattung der MVA in Höhe von 5 % teilweise mehr als kompensiert. Beträgt z. B. der Getreideanteil des Betriebes 80 % der Marktordnungsfläche, so können bei vollem Vermarktungsanteil im oberen Bereich der Bodenbonitäten bis 1 550 DM/ha erreicht werden. Die Mindeststillegung beträgt 15 % der Marktfruchtfläche, ab 50 ha stillgelegter Fläche — das entspricht einer Betriebsgröße von ca. 330 ha — wird die Prämie um 25 gekürzt. Ab 100 ha stillgelegter Fläche (entsprechend etwa 650 ha Betriebsgröße), erfolgt eine Kürzung um 50 %. Bei diesen Größenordnungen können Fixkosten und Lohnkosten eingespart werden, weshalb die degressive Ausgestaltung gerechtfertigt ist. Bei den sicher mit mehr Fläche ausgestatteten Betriebsstrukturen in den neuen Bundesländern sehe ich auch da keine Nachteile in der Anwendung des Programms. Kritikern der Flächenstillegung möchte ich entgegnen, daß es keine andere Möglichkeit gibt, jetzt schnell von den Überschüssen herunterzukommen. Außerdem darf ich erinnern, noch nach dem Krieg wurden von ca. 1/3 der landwirtschaftlichen Nutzfläche unsere Zugtiere ernährt. Und im Rahmen der Dreifelder-Wirtschaft war die Brache eine Selbstverständlichkeit, da die heutigen Produktionsmittel nicht vorhanden waren. Damals aber war im Gegensatz zu heute Not und Hunger an der Tagesordnung. Nicht zuletzt sind auch aus diesem Grunde die römischen Verträge 1957 zu einer gemeinsamen EG-Agrarpolitik geschlossen worden. Das allerdings scheinen viele in unserer heutigen Gesellschaft vergessen zu haben. Selbstverständlich würde eine flächendeckende Extensivierung der zunehmenden Bedeutung um die Erhaltung unserer Kulturlandschaft als Lebensraum — neben der Ernährungssicherung — näher kommen. Deshalb unterstütze und werbe ich auch für das baden-württembergische Modell eines Marktentlastungs- und Kulturausgleichs-Programms, das möglicherweise noch mehr als das vor einigen Jahren aufgelegte Grünbrachenmodell Niedersachsens richtungweisend in die Agrarpolitik Eingang findet. Aber auch das einjährige Flächenstillegungsprogramm, daß faktisch einer Rotationsbrache gleichkommt, dient den Umweltaspekten, da nach den Bestimmungen weder Dünge- noch Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden dürfen. Ein Vorteil gegenüber dem fünfjährigen Programm ist auch, daß die Strukturveränderungen nicht behindert sind und dennoch auf dem Pachtmarkt keine größeren negativen Auswirkungen zu befürchten sind. Es wird sich nun zeigen, ob das ein Anfang für ein langfristig angelegtes System einer Produktionsregelung sein wird, wie es in den USA schon seit längerer Zeit praktiziert wird, oder ob es im Rahmen der EG-Agrarreform mehr zu einer Extensivierung der Landwirtschaft kommt. Das eine ist in den letzten Jahren jedenfalls immer deutlicher geworden: Ohne Mengenreduzierung werden die Erzeugerpreise immer weiter zurückgehen und die Kosten der Exporterstattung ansteigen. Damit ist aber niemandem, vor allem aber nicht den Bauern gedient. Lassen Sie mich zum Schluß in diesem Zusammenhang auch noch auf die Verflechtung mit den Entwicklungsländern hinweisen. Es ist im höchsten Maße verantwortungslos, daß die Industrieländer mit ihren Überschußmengen und dann entsprechenden Exporterstattungen den Ländern der Dritten Welt die Agrarpreise vorgeben und ihnen jede Möglichkeit nehmen, auf dem Weltmarkt zu bestehen. Ich möchte unserem Bundesminister Ignaz Kiechle für die positiven Verhandlungsergebnisse recht herzlich danken und die Bundesregierung auffordern, den begonnenen Weg der Marktentlastung auch für die Betriebe, die hier nicht angesprochen sind, konsequent weiterzugehen. Dem Gesetz werden wir zustimmen. Jan Oostergetelo (SPD): Der vorliegende Gesetzentwurf über die Förderung einer einjährigen Flächenstillegung im Wirtschaftsjahr 1991/92 ist einmal mehr ein Zeichen der Hilflosigkeit. Die katastrophale Lage auf den Agrarmärkten zwingt zum Handeln. Die Bundesregierung jedoch doktert herum, ohne das Übel an der Wurzel zu packen. Sicher, lieber heute als morgen muß etwas gegen die Überproduktion getan werden. Wir zweifeln allerdings daran, ob die Flächenstillegung allein der richtige Weg ist. Um den Produktionszuwachs auf ± Null zu halten, müßten jährlich rund 2,6 Prozent der Getreidefläche — und das permanent — zusätzlich stillgelegt werden. Die Reform der EG-Agrarpolitik kann nach jahrzehntelangen vergeblichen Bemühungen nicht mehr aufgeschoben werden. Nur eine Bündelung geeigneter Maßnahmen kommt hierfür in Frage. Ein Allheilmittel gibt es nicht. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1991 2977* Wieder einmal müssen wir befürchten, daß vor allem deutsche Landwirte fleißig Flächen stillegen. Dieses Sonderprogramm muß jetzt zwar in allen EG-Ländern angeboten werden; da der zuständige Bundesminister aber keine EG-einheitliche Prämiengewährung in Brüssel durchgesetzt hat, wird die ungleichgewichtige Teilnahme an diesem Programm bestehen bleiben. Die Überschüsse bei Getreide werden weiter steigen, die Getreidepreise bleiben niedrig oder geben weiter nach. Die vom BML vorgesehene Prämiengestaltung zuzüglich der Rückerstattung der Mitverantwortungsabgabe verspricht relativ hohe Beträge pro Hektar, so daß bestimmt viele deutsche Getreideerzeuger mitmachen werden. Und wieder gehen wertvolle Marktanteile zugunsten anderer EG-Partner verloren! Eine Erzeugerpreissteigerung durch Mengenrückführung, wie sie die Regierung erhofft und — verständlicherweise — die Landwirte erwarten, kann jedoch nur erreicht werden, wenn sich alle EG-Partner konsequent und gleichgewichtig an Programmen zur Mengenrückführung beteiligen. Die Produktion muß an den innergemeinschaftlichen Verbrauch angepaßt werden. Nur dann kann der EG-Markt wieder ins Gleichgewicht kommen, nur dann können entsprechende Preise erzielt werden! Unerläßliche Rahmenbedingung für das Funktionieren des vom Bundeslandwirtschaftsminister favorisierten Modells wäre ein hoher Außenschutz für den EG-Markt, der in den GATT-Verhandlungen erst einmal durchgesetzt werden müßte. Einheitliche Prämien hat er bisher nicht durchgesetzt. Ob er für die GATT-Verhandlungen mehr Durchsetzungsvermögen haben wird, darf man wohl anzweifeln. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Solange vorwiegend die deutschen Landwirte Mengenrückführung betreiben, geschieht das voll zu ihren Lasten. Frankreich denkt nicht daran, seine Getreideproduktion zu drosseln. Die Politik des Bundeslandwirtschaftsministers ist Stückwerk. Zunächst hat er die Quotenregelung bei Milch propagiert. Wohin das führt, zeigen die permanenten Kürzungen, die uns auch jetzt wieder bevorstehen. Dann hat er propagandistisch auf nachwachsende Rohstoffe gesetzt, bisher auch mit wenig Erfolg. Jetzt setzt er einseitig auf Flächenstillegung und eine aktive Preispolitik. Weiterhin sehe ich strukturpolitische Gefahren: Die Prämien und die Rückerstattung der Mitverantwortungsabgabe zusammen bieten vor allem flächenstarken Betrieben mit hohem Anteil an Getreidevermarktung Anreize zur Flächenstillegung. Diese Betriebe liegen vor allem in Nord- und Ostdeutschland. Die schon jetzt großen beschäftigungspolitischen Probleme in den Agrarstandorten der neuen Länder werden drastisch zunehmen. Dabei werden besonders dort Initiativen benötigt, die Arbeitsplätze erhalten oder schaffen — und nicht überflüssig machen! Für strukturschwache Räume bedeutet ein Anreiz zur Flächenstillegung geradezu eine Bedrohung. Sicher, auf brachliegenden Flächen können keine Überschüsse produziert werden, aber was sollen die Menschen tun, die vorher dort gearbeitet haben? Entweder wirtschaften sie auf den verbleibenden Äckern um so intensiver — mit allen umweltschädlichen Folgen —, oder sie sind schlicht arbeitslos. Deshalb schließe ich mich den Bedenken des nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsministers Matthiesen an, der — ich zitiere — „arge Zweifel am Sinn eines Agrarkonzepts hat, das in der Bundesrepublik stillgelegte landwirtschaftliche Modellregionen schafft, in denen keine Landwirte mehr wohnen und arbeiten". Die Politik der Flächenstillegung hat deshalb auch nicht zu unterschätzende psychologische Folgen. Noch ein Einwand gegen den Gesetzentwurf: Wo bleibt die Kontrolle der Substituteeinfuhr? Wer verhindert, daß eine reduzierte Getreideproduktion im Inland nicht automatisch durch vermehrten Import von Substituten kompensiert wird — womöglich auf Kosten der Länder in der Dritten Welt? Dort verhungern die Menschen, während wir ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse für wenig Geld erwerben und an unser Vieh verfüttern. Solange der Schlund der Substituteinfuhren noch offen ist, erscheint mir jede Mengenrückführung im Inland wirkungslos. Nebenbei bemerkt: Ich halte die Kostenkalkulation der Regierungsparteien für gewagt: Woher nehmen sie die Sicherheit, von 350 000 ha stillgelegter Fläche auszugehen? Wie schnell können hier zig Hektar hinzukommen, und die nationalen Aufwendungen schnellen in die Höhe! Und das beim nahezu täglich von Mitgliedern dieser Regierung lauthals angekündigten Subventionsabbau! Allein diese Argumente bestätigen, daß wir mit unserer Forderung „Extensivierung vor Flächenstillegung" richtig liegen. Im Interesse der Menschen, die im ländlichen Raum leben und arbeiten, aber auch derer, die dort Erholung suchen, und im Interesse der Umwelt ist die nötige Produktionsrückführung vor allem in der Fläche vorzunehmen, durch Extensivierung und in gewissem Umfang durch den Anbau von Nichtlebensmitteln und Umwidmungen aller Art, z. B. für Aufforstungen oder Freizeit- und Erholungsflächen. Ich will diese Forderung an Hand eines hoffentlich überzeugenden Beispiels für alle nachvollziehbar machen: Die Mutterkuhhaltung ist eine — inzwischen zunehmend verbreitete — Form extensiver Viehhaltung. Im Vergleich zur Flächenstillegung leistet sie unvergleichlich mehr für den Erhalt des ländlichen Raumes bei gleichzeitiger Rückführung der Erzeugung. Nehmen wir zunächst den offensichtlichsten Aspekt der Landschaftsgestaltung. Sagen Sie selbst, was ansprechender ist: eine brachliegende Fläche, auf der im Verlauf der „Selbstbegrünung" Unkraut wuchert, oder der Anblick einer Grünfläche, auf der sich (glückliche) Kühe samt Nachwuchs tummeln? Auch die beschäftigungspolitische Seite klingt nicht schlecht: Bei Förderung der Mutterkuhhaltung bleibt der Landwirt weiterhin Landwirt: Er muß die Mutterkuhherde managen und ihre „Erzeugnisse" — Kalb und Kuh — gewinnbringend vermarkten. Er bleibt also weiterhin als Landwirt gefordert, was bei stillgelegten Flächen nicht der Fall ist. Selbst das Abweidenlassen derselben durch Schafe ist bereits „prämienschädlich". 2978* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1991 Weiterhin werden durch Mutterkuhhaltung keine Überschüsse erzeugt: Das Kalb verbraucht die Milch der Kuh, die so den Markt nicht belastet, und pro Hektar wird wesentlich weniger Fleisch produziert. Ich weiß natürlich auch, daß davon nicht alle Bauern, die heute auf diesen Flächen intensiv wirtschaften, weiter existieren können. Ein Wechsel in der Struktur wird nicht zu umgehen sein. Aber wir können es uns auch leisten, dem Mutterkuhhalter mehr Geld in Form direkter Einkommensübertragung zu geben. Denn wir sparen nicht unerhebliche Beträge bei den Marktordnungskosten ein, die wir jetzt den Bauern direkt einkommenswirksam zukommen lassen können. Letztlich freut sich auch der Verbraucher: Das Fleisch extensiv aufgezogener Rinder garantiert ihm Qualität und Gesundheit. Die Tierschützer sind zufrieden, da die Tiere artgerecht gehalten werden. Auch die Umwelt profitiert: Ein geschlossener Kreislauf, bei dem auf zusätzlichen Energie- und Stickstoffimport verzichtet werden kann, belastet weder Boden noch Grundwasser, da Dauergrünland Voraussetzung ist. Ich habe das jetzt sehr gedrängt dargestellt. Die Vorteile der Extensivierung liegen auf der Hand. Wir wollen doch auch in Zukunft einen lebendigen, vielfältigen ländlichen Raum und Landwirte, die darin befriedigende Arbeit finden. Sie werden sich zunehmend ihrer Doppelrolle als Produzent und Erbringer ökologischer Dienste bewußt. Die gesamtgesellschaftlichen Anforderungen und nicht zuletzt die Marktentwicklung verlangen das zunehmend. Wir enthalten uns der Stimme. Wir können der ungleichgewichtigen Politik der Bundesregierung, die dieser Gesetzentwurf manifestiert, nicht zustimmen. Wir wollen allerdings auch den Landwirten nicht die Segnungen vorenthalten, zumal in einer Zeit, in der aufgrund einer verfehlten Agrarpolitik der Bundesregierung die landwirtschaftlichen Einkommen um 25 Prozent zurückgehen. Nein, diese Politik hat keine Perspektive! Wir haben unsere Auffassung hierzu in einem Entschließungsantrag zusätzlich aufgezeigt, für den ich um Zustimmung bitte. Damit unterstützen wir zugleich die dringend erforderliche Reform der EG-Agrarpolitik. Ulrich Heinrich (FDP): Das Gesetz zur einjährigen Flächenstillegung hat die Mengenbegrenzung zum Ziel. Es muß vor dem Hintergrund der ständig steigenden Überschüsse und immer mehr unter Druck geratenden Preissituation auf den Agrarmärkten gesehen werden. Mit der Verabschiedung und Umsetzung dieses Gesetzes können mit Sicherheit nicht alle Probleme auf den Agrarmärkten auf einen Schlag gelöst werden. Es ist jedoch ein redlicher Versuch, der unser aller Unterstützung verdient. Wir sitzen in der EG inzwischen auf einem Getreideberg von etwa 20 Millionen Tonnen. Davon werden alleine in der Bundesrepublik 9,3 Millionen Tonnen gelagert, was einem Anteil von 46 Prozent entspricht. Die Lagerkapazitäten sind erschöpft und das preisstabilisierende Instrument der Intervention in Gefahr. Von einem weiteren drastischen Anstieg der Lagerbestände ist auszugehen. Rechnet man nämlich für dieses Jahr — bei einer durchschnittlichen Ernte — in der EG mit einer Getreidemenge von etwa 175 Millionen Tonnen (davon elf Millionen Tonnen in den neuen Bundesländern), so steht dem nur ein Verbrauch von etwa 141 Millionen Tonnen gegenüber (davon acht Millionen Tonnen in den neuen Bundesländern).Daraus ergibt sich die zwingende Notwendigkeit schnellgreifender Maßnahmen zur Verringerung der Überschüsse. Ein gangbarer Weg, um durch Extensivierungsmaßnahmen zu deutlichen, mit der Flächenstillegung vergleichbaren Produktionssenkungen zu kommen, gibt es noch nicht. Die unterschiedlichsten Modelle führen alle nur zu einer prozentual nicht ausreichenden Rückführung der Produktion. Selbst ein so ausgereiftes Modell wie das Kulturlandschaftsprogramm in Baden-Württemberg kann nur zu einer Produktionssenkung von maximal ca. zwei Prozent führen. Der in der Gemeinschaft inzwischen angehäufte Getreideberg verursacht jährliche Kosten von etwa zehn bis zwölf Milliarden DM. Und das, obwohl allein im Wirtschaftsjahr 1989/90 in der EG mit dem fünfjährigen Flächenstillegungsprogramm etwa 430 000 ha aus der Produktion genommen wurden. Die Bundesrepublik Deutschland beteiligte sich daran mit rund 57 000 ha. Im vergangenen Jahr stieg die stillgelegte Fläche in den alten Bundesländern auf rund 90 000 ha, im Beitrittsgebiet sogar auf 600 000 ha. Der Anteil der stillgelegten Fläche an der Ackerfläche stieg damit im gesamten Bundesgebiet auf 7,6 Prozent. Mit dieser großen Resonanz auf das Flächenstillegungsprogramm können wir uns im EG-Vergleich mehr als nur sehen lassen. Es zeigt sich aber auch deutlich, daß das fünfjährige Stillegungsprogramm für unsere EG-Nachbarn, vor allem für die Franzosen und Engländer, nicht attraktiv genug ausgestaltet wurde. So beteiligten sich diese beiden großen Agrarländer im Wirtschaftsjahr 1989/90 nur mit zusammen rund 90 000 ha an der Flächenstillegung. Bei den EG-Preisverhandlungen ist es nun das erste Mal auf dem Getreidesektor gelungen, einen betriebsbezogenen Zusammenhang zwischen produzierter Menge und Preis herzustellen. Wir bedienen uns dabei des Instruments der Mitverantwortungsabgabe (MVA), indem sie auf fünf Prozent erhöht wird. Die Entrichtung dieser MVA entfällt für einen Betrieb erst, wenn er sich mit mindestens 15 Prozent seiner Marktordnungsfläche an einem einjährigen Flächenstillegungsprogramm beteiligt. Diese grundlegende Richtungsänderung im Bemühen um eine spürbare Mengenbegrenzung innerhalb der Gemeinschaft wird von mir ausdrücklich begrüßt und wird zu einer stärkeren Beteiligung unserer EG-Nachbarstaaten an der Flächenstillegung führen. Es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Dieses Programm, wenn es von den Landwirten entsprechend angenommen wird, kann auch einen Beitrag zur Preisstabilisierung auf dem Getreidemarkt leisten. Bei der einjährigen Flächenstillegung wird es nicht bleiben. Sie ist ein Einstieg in weitere Jahresprogramme. Diese klare Perspektive sollen und müssen wir unseren Landwirten geben. Die Flächenstillegung als Instrument zur Beseitigung von Überschüssen ist meines Erachtens noch so lange erforderlich, bis es uns gelingt, unseren Landwirten wirkliche Produktionsalternativen im „non food"-Bereich anzubieten. In vielen Bereichen, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1991 2979* insbesondere der nachwachsenden Rohstoffe, gibt es hier hoffnungsvolle Ansätze. Was aber soll nun mit dem Programm der fünfjährigen Flächenstillegung geschehen? Ich bin der Auffassung, sie sollte in naher Zukunft in eine noch längerfristigere Flächenstillegung umgewandelt werden. Hierbei sollten in erster Linie Grenzertragsböden aus der Produktion genommen werden und für Forst-, für landschaftsgestaltende, vor allem aber für Umweltschutzmaßnahmen zum Beispiel in Feucht- und Trockenbiotopen Verwendung finden. Diese Flächen sind dann allerdings mit einer geringeren Beihilfe zu versehen. Die einjährige Flächenstillegung ist aber auch aus umweltpolitischer Sicht ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die Flächen dürfen nicht gedüngt werden, weder organisch noch anorganisch, und Pflanzenschutzmittel dürfen nicht angewendet werden. Im weiteren sind Meliorationsmaßnahmen untersagt, und Grünland darf auch nicht in Ackerland umgewandelt werden, um es dann anschließend stillzulegen. Die Flächen sind zu begrünen und dienen somit zur Auflockerung und Streckung unserer ohnehin zu engen Fruchtfolgen. Negative Begleiterscheinungen des laufenden fünfjährigen Programmes werden mit dem neuaufgelegten Programm zudem vermieden. Es kommt nämlich nicht zur bisher zu beobachtenden Störung des Pachtmarktes durch Stillegung ganzer Betriebe. Neben diesen willkommenen Begleiterscheinungen dient dieses Programm aber in erster Linie der Reduzierung der nicht mehr finanzierbaren Überschüsse und der damit einhergehenden Exportsubventionen. Der sicherlich berechtigte Stein des Anstoßes und der Kritik bei den laufenden GATT-Verhandlungen dürfte damit ein entscheidendes Stück weggerückt werden. Nicht aus den Augen verlieren dürfen wir aber die Entwicklung der Getreidesubstitute. Mengen, die wir auf dem Getreidesektor reduzieren, dürfen nicht mit Substituten aufgefüllt werden. Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke Liste): Im Gesetz über die Forderung einer einjährigen Flächenstillegung werden gesetzliche Regelungen geschaffen, die als Folge einer EG-Ratsverordnung notwendig geworden sind. Sie sind damit auch Ausdruck agrarpolitischer Leitlinien der EG, die gegenwärtig vorrangig darin gesehen werden, das seit 1958 bestehende agrarpolitische Leitbild zu erhalten. Unter diesem Gesichtspunkt ist das vorliegende Gesetz eine notwendige Schlußfolgerung. Meine prinzipielle Kritik orientiert sich deshalb nicht an der unmittelbaren Gesetzesvorlage, sondern am Grundanliegen. Erstens weiß ich natürlich auch, daß Ernährungsprobleme der Menschheit nicht allein mit Nahrungsmittelexporten gelöst werden können, sondern vor allem durch Lösungen vor Ort, d. h. durch die betroffenen Menschen selbst. Trotzdem erscheint es widersinnig, wenn in der gesamten EG Milliardenbeträge und in der Bundesrepublik 84 Millionen allein 1992 für die vorliegenden Gesetzesmaßnahmen aus Haushaltsmitteln ausgegeben werden sollen, um Nahrungsmittelproduktionen zu begrenzen. Es geht dabei nicht darum, daß ich vielleicht den Bauern die Einnahmen aus dieser Gesetzesvorlage nicht gönne, ganz im Gegenteil. Es ist ohnehin mehr eine Berufung als nur ein Beruf, in der Landwirtschaft zu arbeiten. Das ist gut so, weil auch ich der Meinung bin, daß man Landwirtschaft ohne innerer Beziehung zu Boden, Pflanze und Tier nicht betreiben kann oder nicht betreiben sollte, aber sie wird nicht ausreichend honoriert und anerkannt. Rein betriebswirtschaftlich bedeutet deshalb dieses Gesetz eine Lösungsmöglichkeit, Preise zu halten und Einkommen zu sichern. Als Betriebswirtschaftler sage ich auch, es rechnet sich vor allem für Betriebe mit hohem Marktanteil an Getreide durch die Rückerstattung der 5%igen Mitverantwortungsgabe, auch wenn mit einem Einjahresprogramm kaum Einsparungen bei fixen Kosten erreicht werden können, und deshalb die Staffelung der Stillegungsprämien für größere Betriebe diskriminierend wirkt. Hier wird erneut ein untauglicher Versuch angestellt, politische Forderungen mit betriebswirtschaftlichen Erwägungen zu begründen. Wenn schon dieses Gesetz, dann wäre es eine Möglichkeit gewesen, „good will" zu zeigen, um den Strukturwandel positiv zu begleiten. Das hätte mich auch zu einer anderen Haltung zu diesem Gesetz bewogen. Zweitens. Flächenstillegung wird immer wieder als ökologische Maßnahme gepriesen. Natürlich stimmt es, daß auf stillgelegten Flächen keine Chemikalien ausgebracht werden. Das hat jedoch nicht dazu geführt, den Einsatz insgesamt zu verringern. Die Erfahrungen zeigen, daß Flächenstillegungen einerseits Intensivierung auf anderen Flächen bewirkt haben. Dafür sind nicht zuletzt die Prämien aus der Stillegung verwandt worden. Wenn schon Mengenbegrenzungen in der Produktion, dann über allgemeine Extensivierung. Das ist ökologisch sinnvoller und könnte außerdem noch ein Beitrag zur Erhaltung von Arbeitsplätzen sein. Lassen Sie mich deshalb als Punkt 3 der Kritik anbringen: 15 % Flächenstillegung bedeuten auch Verlust von Arbeitsplätzen, und zwar stärker in den fünf neuen Ländern als in den alten Ländern. Ich rechne mit 10 000 Arbeitsplätzen allein in den fünf neuen Ländern durch diese gesetzliche Regelung. Insgesamt halte ich also den begangenen Weg für untauglich und dringend reformbedürftig in der gesamten EG, nicht nur in Deutschland, zumal ohnehin zweifelhaft ist, ob sich alle Länder in der EG so diszipliniert daran halten.
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    Rede von Christina Schenk


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Politiker und Politikerinnen dieses Landes haben in den letzten anderthalb Jahren mit dem Adjektiv „historisch" nicht gegeizt. Aber wenn man die Dinge verfolgt, bekommt man den Eindruck, daß sich das eher auf ihre persönliche Befindlichkeit als auf die politischen Konzepte bezog, mit denen die anstehenden Probleme der deutschen Einheit angegangen werden sollen. Insbesondere in dem vorliegenden Renten-Überleitungsgesetz ist ein solcher historischer Geist zumindest von mir nicht zu entdecken.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wo waren Sie bei den Beratungen?)

    Daß ein einheitliches Rentenrecht ein Erfordernis ist, bedarf keiner Begründung und auch keiner besonderen Erwähnung. Es ist immer die Frage, wie ein einheitliches Rentenrecht zustande kommt, also auf welche Art und Weise und mit welchem Ergebnis es zustande kommt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie mitgewirkt?)

    Eine tatsächliche Zusammenführung beider Rentensysteme, nämlich desjenigen der alten BRD und desjenigen der ehemaligen DDR, wäre der Situation angemessener gewesen. Die Einheit Deutschlands hätte ja die Chance geboten, gravierende strukturelle Defizite des lohn- und beitragsbezogenen Rentensystems zu beseitigen, Defizite, die darin bestehen, daß Altersarmut nicht verhindert wird und daß eine eigenständige Absicherung für Frauen fehlt.
    Aber wie in vielen anderen Bereichen wurde auch hier nicht auf ost-westlichen Erfahrungsaustausch gesetzt, sondern es wurde der technokratische Weg purer Überstülpung westlicher Strukturen beschritten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie hätten das einbringen können! Sie haben gefehlt!)

    Eine Auseinandersetzung um grundsätzliche Fragestellungen wurde verweigert, und zwar mit dem Verweis auf Festlegungen im Einigungsvertrag und auf die Debatte in der letzten Legislaturperiode, die der westdeutschen Rentenreform vorausgegangen war.
    Das Gesetz zur Rentenreform wurde damals zufälligerweise genau an dem Tag verabschiedet, als in Berlin die Mauer fiel. Seitdem, so heißt es dann tatsächlich in der Begründung zum Überleitungsgesetz, hätten sich keine grundlegenden neuen Gesichtspunkte ergeben. Ich finde schon überaus erstaunlich, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wie man zu einer solchen Feststellung kommen kann. Als ob die Tatsache, daß es in der DDR Mindestrenten und eine eigenständige, existenzsichernde Altersversorgung für Frauen gegeben hat, für die Auseinandersetzung um die Ausgestaltung eines gemeinsamen Rentenrechts völlig unerheblich wäre!
    Daß die Übertragung des westlichen dynamischen Rentensytems auch Vorteile für die Rentnerinnen und Rentner in neuen Bundesländern bringt, ist hier schon so oft gesagt worden, daß ich es nicht wiederholen will. Mit den interfraktionellen Änderungsanträgen, die heute erstmals von den Regierungsfraktionen zusammen mit der SPD vorgelegt wurden und die erst in dieser Woche hinter verschlossen Türen ausgeheckt worden sind, werden die unmittelbarsten negativen Auswirkungen des Gesetzentwurfs etwas entschärft. So soll es den Sozialzuschlag in abgewandelter Form etwas länger geben. Der Bestandsschutz wird etwas ausgebaut. Der Bund entlastet die Länder bei den ihnen zufallenden Kosten etwas. Aber grundsätzlich hat sich an der frauenfeindlichen Konzeption des Überleitungsgesetzes nichts geändert.
    Eine prinzipielle Kritik daran: Die Überleitung des westlichen Rentenrechts wird, bedingt durch die zu erwartenden regelmäßigen Anpassungen an die Lohn- und Gehaltsentwicklung, für manche Rentner und Rentnerinnen nominelle Vorteile bringen. Gleichzeitig sind damit aber gravierende strukturelle Nachteile für die Frauen in den neuen Bundesländern verbunden. Wenn Strukturelemente des ehemaligen DDR-Rentenrechts wie Mindestrenten, Mindestbeträge, Rentenansprüche für Pflege sowie Zurechnungszeiten für Kinder zukünftig entfallen, sind das spürbare Veränderungen in der Bewertung der Arbeit von Frauen.
    Bei der Neubewertung auf der Basis der westlichen Rentenformel werden vor allem Renten aus niedrigeren Einkommen oder kürzeren Versicherungszeiten schlechtergestellt. In den östlichen Bundesländern trifft auch das fast auschließlich die Frauen, wenngleich vor allem die Frauen der späteren Generation in der Tat längere Erwerbszeiten nachweisen können als die Frauen im Westen.
    Wie das Ganze in der Zukunft aussehen wird, läßt sich schwer abschätzen. Aber der Trend ist deutlich, daß es zu einer zunehmenden Verdrängung und Mar-



    Christina Schenk
    ginalisierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt kommen wird — und das mit den entsprechenden Auswirkungen auf ihre Rentenbezüge.
    Die hauptsächlichen Gesichtspunkte möchte ich an zwei Beispielen illustrieren. Nehmen wir zwei Frauen, die 15 Jahre erwerbstätig waren und dabei unterdurchschnittlich oder auch durchschnittlich verdient haben. Nehmen wir an, daß eine von den beiden Frauen — nennen wir sie Frau Schulz — schon vor Juli 1990 Rente bezogen hat, während die andere — Frau Meier genannt — erst nach dem 1. Januar 1992 bzw. entsprechend der neuen Fassung bis zum 1. Januar 1994 in Rente geht.
    Nach dem ehemaligen DDR-Recht stünde Frau Schulz eine Mindestrente zu, die sich vor Juli 1990 auf 330 DM belaufen hat. Das war zwar kein üppiges Alterseinkommen, aber unter den gegebenen Lebensverhältnissen immerhin existenzsichernd. Das ist eine Tatsache, die immer sehr gerne vergessen oder verdrängt wird. Seitdem sind die Renten mehrmals angepaßt worden, so daß Frau Schulz zum 1. Juli 1991 inklusive Sozialzuschlag eine Rente von ca. 600 DM beziehen würde. Diesen Betrag erhält sie nun weiter, obwohl unklar bleibt, was nach dem 31. Dezember 1996 aus dem Sozialzuschlag wird.
    Für Frau Meier, die im Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis zum 1. Januar 1994 in Rente geht, würde sich nach dem SGB-Rentenrecht aktuell eine Ostrente in Höhe von 225 bis ca. 300 DM errechnen, je nachdem, ob sie unterdurchschnittlich oder durchschnittlich verdient hat. Frau Meier stünde sich damit also wesentlich schlechter als mit der bisher noch fortgeschriebenen und angepaßten Mindestrente nach dem DDR-Recht.
    In diesem Fall greift zwar in der Übergangszeit die Bestandsschutzregelung, der zufolge eine Vergleichsberechnung nach altem Recht und neuem Recht vorgenommen werden muß und der jeweils höhere Rentenzahlbetrag dann auch ausgezahlt wird. Die Differenz zwischen der aus altem — in diesem Fall: dynamisierte Mindestrente plus Sozialzuschlag — und neuem Recht errechneten Rente wird als Auffüllbetrag gewährt, der sich aber nicht erhöht und ab 1. Januar 1996 abgebaut wird. Der Sozialzuschlag wird nur noch bis Ende 1996 gezahlt. Danach gibt es in jedem Fall eine Rentensenkung, auch wenn bis dahin der eigentliche SGB-Rentenanteil dynamisiert wurde und inzwischen angestiegen sein wird.
    Derartige Aufstellungen und Zusammenstellungen haben keinen großen Unterhaltungswert. Aber es ist damit schon zu demonstrieren, was auf die Bürger und insbesondere auf die Bürgerinnen zukommt.
    Zurück zu grundsätzlichen Überlegungen. Ich beziehe mich auf die Ursprungsfassung; denn neue Berechnungen liegen seit gestern abend noch nicht vor. Die Rentenversicherungsträger haben errechnet, 90 % der Frauen stünden sich ohne die für die Übergangszeit vorgesehenen Auffüllbeträge bei der Neubewertung auf der Basis der westlichen Rentenformel schlechter als bei der Anwendung des DDR-Rentenrechts.
    Das macht, auch wenn nun zeitliche Verschiebungen durch den Änderungsantrag eintreten, eines
    deutlich: Mit der Überleitung wird die strukturelle Benachteiligung von Frauen im lohn- und beitragsbezogenen Rentenrecht grundsätzlich auf den Osten übertragen. Das ist mittlerweile auch von einer breiten Öffentlichkeit heftig kritisiert worden. Um davon abzulenken, wird eine neue Information aus derselben Quelle, also von den Rentenversicherungsträgern, nachgeschoben, die Ostfrauen kämen mittlerweile zu 90 % an das Niveau der Westfrauen heran, während das Rentennivau der Männer im Osten erst knapp oberhalb von 50 % der Männer im Westen liege. Dazu müßte dann allerdings gesagt werden, daß das durchschnittliche Rentenniveau der Arbeiterinnen im Westen bei ca. 550 DM und das der Arbeiter bei 1 434 DM liegt.
    Im Hintergrund wurden schon Stimmen laut, die monieren, daß die Frauen im Osten auf Grund ihrer wesentlich längeren Erwerbsbiographien bald schon höhere eigenständige Renten haben könnten als die Frauen im Westen. Die damit zum Ausdruck gebrachten Befürchtungen erscheinen mir allerdings völlig widersinnig, da sie aus derselben Ecke kommen, in der bisher immer die sogenannte Leistungsgerechtigkeit beschworen wurde.
    Ich möchte abschließend einen weiteren Punkt erwähnen; diese Kritik geht jetzt auch an die SPD. Die Übertragung des westlichen Rentenrechts bringt auch eine Ausweitung der Ansprüche auf Witwen- und Witwerrenten. Von dieser Neuregelung werden vor allen Dingen Frauen profitieren, die kaum eigene Ansprüche erworben haben und mit gutverdienenden Männern verheiratet waren. Gleichzeitig kommen künftig auch verstärkt Männer in den Genuß einer solchen Leistung.
    Das Problem aber ist, daß hier eine Umschichtung vorgenommen wird, daß die Ausweitung abgeleiteter Ansprüche mit einer Verschlechterung bei eigenständig erworbenen Renten einhergeht. Noch viel entscheidender ist folgendes: Solange es eine abgeleitete Rente für Frauen gibt, wird das immer ein Argument gegen die eigenständige Sicherung von Frauen sein.
    Jetzt hätte es die Chance gegeben, gerade in dieser Richtung etwas zu tun, nicht die abgeleitete Witwenrente zu übertragen, sondern dem Osten die eigenständige Sicherung der Frauen beizubehalten und auf den Westen zu übertragen. Dies hätte konsequenterweise einen schrittweisen Abbau der Witwenrenten nach sich gezogen. Aber warum sollten Frauen einer vom Mann abgeleiteten Rente nachtrauern, wenn sie auf eigenen Füßen stehen könnten?
    Mit dem Renten-Überleitungsgesetz sind wir also, wie ich denke, ganz eindeutig, rückwärts — statt vorwärts gegangen.

    (Horst Günther [Duisburg] [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

    Zum Schluß möchte ich noch eine Bemerkung zum Entschließungsantrag der Gruppe Bündnis 90/ GRÜNE machen. Bei der Ausarbeitung dieses Ent-



    Christina Schenk
    schließungsantrages lag der Änderungsantrag der CDU/CSU, SPD und FDP noch nicht vor.

    (Julius Louven [CDU/CSU]: Sie stimmen also zu?)

    Wir möchten nun die Punkte I.5. und I.6. auf den Seiten 5 bis 7 unseres Antrages zurücknehmen, da sie
    durch die jetzt erfolgten Diskussionen überholt sind.
    Danke.

    (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der SPD — Julius Louven [CDU/CSU]: Wenigstens eine Einsicht!)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Heinz Hörsken.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Heinz-Adolf Hörsken


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst für das Protokoll eine redaktionelle Vorbemerkung machen: In unserem Änderungsantrag muß auf Seite 5 hinter der Ziffer 7 „ausgeübt wurde. " angefügt werden.
    Ich möchte eine weitere Vorbemerkung machen: Frau Kollegin Bläss, Sie sprachen hier darüber, daß wir entsolidarisieren, daß wir Willkürliches machen und daß hier nicht darüber geredet werden könnte. Ich möchte Ihnen dazu sagen: Sie hatten früher einmal als Parteisymbol Hammer und Zirkel. Ich empfehle Ihnen wirklich in aller Dringlichkeit, nehmen Sie ein neues: Sack und Asche täte Ihnen gut, bevor Sie mit uns über Solidarität und Entsolidarisierung reden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen vor einer ganz wichtigen Entscheidung. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes gehen wir einen weiteren Schritt in Richtung auf Herstellung gleicher Lebensverhältnisse in den alten und neuen Bundesländern, gleicher Lebensverhältnisse in Gesamtdeutschland. In einem vereinten Deutschland kann es für alle Bürgerinnen und Bürger nur ein einheitliches Recht geben; denn die Bürgerinnen und Bürger in einem Staat müssen gleichbehandelt werden. Mit dem Renten-Überleitungsgesetz wird ein weiterer wichtiger Schritt zur Verwirklichung des vereinigten Sozialstaates Bundesrepublik Deutschland getan.
    Am 1. Januar 1992 soll das Rentenrecht, wie es mit der Rentenreform 1992 beschlossen wurde, auf die neuen Bundesländer übergeleitet werden. Am 9. November 1989, einem wahrhaft denkwürdigen und historischen Tag, hat hier im Deutschen Bundestag die Verabschiedung des Rentenreformgesetzes 1992 auf der Grundlage eines breiten Konsens stattgefunden. An diesem Tag, der für unser Volk von so unendlicher Bedeutung ist, gab es diese gemeinsame sachliche Entscheidung. Wohl niemand hat damals jedoch daran gedacht, daß man nach so kurzer Zeit bereits wieder über die Renten reden muß.
    Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist ein Glücksfall, daß wir die beschlossenen Ergebnisse der Rentenreform 1992 als Teil VI des Sozialgesetzbuches
    gleichzeitig in der gesamten wiedervereinigten Bundesrepublik Deutschland in Kraft setzen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dieses gemeinsame Rentenrecht ist am 9. November 1989 mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP beschlossen worden.
    Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist richtig, daß wir an dieser Stelle feststellen: Auch die Oberleitung wollen wir im Konsens der politischen Kräfte in diesem Hause verwirklichen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Wir können jetzt den Bürgerinnen und Bürgern in der ehemaligen DDR nicht eine jahrelange Diskussion über ein neues Rentenrecht zumuten; die Bürgerinnen und Bürger wollen vielmehr ihre Verbesserungen jetzt, und darauf haben sie ein Anrecht. Entscheidungen sind nun gefragt. Wir wollen nämlich nicht, daß der Konsens bei der Rentenreform aufgehoben und in Frage gestellt wird.
    Nach 40 Jahren SED-Herrschaft und SED-Betrug müssen wir nunmehr für eine neue rechtliche Grundlage für die Bürgerinnen und Bürger in den fünf neuen Bundesländern Sorge tragen. Wir können jetzt keine langwierigen, wenn auch manchmal sicherlich überlegenswerten Diskussionen führen.
    Wir müssen festhalten: Für erbrachte Lebensleistungen erwarten die älteren Menschen mit Recht einen verläßlichen Alterslohn. Sie erwarten keine willkürlichen Leistungen nach dem SED-Zufallsprinzip, sondern verläßliche Werte. Die Sicherung des Lebensstandards im Alter muß doch selbstverständlich sein, und sie ist es ja nach unserer Auffassung.
    In unserem Rentensystem erhält ein Durchschnittsverdiener nach 45 Versicherungsjahren rund 70 % des durchschnittlichen Nettoeinkommens der Arbeitnehmer. Ein solches Rentenniveau hat es in der früheren DDR nie gegeben. Die Rentenanpassungen standen dort im Gutdünken der kommunistischen Machthaber. Bei den SED-Herrschern waren die Rentner Bittsteller und Almosenempfänger.
    Jetzt erhalten die Rentner beitrags- und leistungsbezogene Renten. Rente ist verdienter Alterslohn. Nachdem die staatliche Einheit erreicht ist, wird nun auch die wirtschaftliche und soziale Einheit geschaffen.

    (Ottmar Schreiner [SPD]: Sind Sie der Erfinder der Rentenversicherung?)

    Ich wende mich an die SPD, Herr Schreiner. Ich bin zunächst einmal außerordentlich dankbar dafür, daß wir in dieser für unser wiedervereinigtes Volk so wichtigen Sache zu einem Konsens gekommen sind. Dennoch gibt es unterschiedliche Positionen. Diese müssen ausgesprochen werden. Bei diesem Konsens darf nicht nach der Methode verfahren werden: Wir haben die Verbesserungen gemacht und die anderen die Verschlechterungen. Konsens bedeutet, daß wir keine Rosinenpickerei betreiben, sondern zu diesem Konsens stehen.
    Deswegen stelle ich nochmals fest: Bei Ihnen, meine Damen und Herren, besteht oftmals die Nei-



    Heinz-Adolf Hörsken
    gung, über die Lösung noch länger zu diskutieren. Nur, den älteren Menschen in den neuen Bundesländern ist damit nicht gedient.
    Ich erinnere daran, daß wir das Rentenrecht, das wir jetzt überleiten, 1989 gemeinsam als Konsens verabschiedet haben. Es kann nicht angehen, daß Pressemeldungen nach dem Motto und nach der alten Manier „Schwarzmalerei und Ängste schüren" verbreitet werden und daß auf der anderen Seite behauptet wird, das Überleitungsgesetz sei ein Kürzungsgesetz. Da müssen wir schon genauer hinsehen. Ich möchte dazu einige Beispiele nennen.
    Durch die Übertragung unseres Hinterbliebenenrechts werden in den neuen Bundesländern rund 900 000 Witwenrenten verbessert und 150 000 zum erstenmal ausgezahlt. Für die Verbesserungen werden 1992 erstmals 4 Milliarden DM aufgewandt.
    Die ehemalige DDR kannte das Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrecht nicht. Mit der flexiblen Altersgrenze für Männer, die bisher erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres eine Altersrente beziehen konnten, ist ein neuer Schritt gemacht worden; ein früherer Rentenbeginn ist möglich.
    Bei den Arbeitslosen setzt die flexible Altersgrenze bereits mit 63 Jahren ein. Dies betrifft auf Anhieb 200 000 Versicherte. Die entstehenden zusätzlichen Belastungen werden sich auf 2 bis 2,5 Milliarden DM im Jahr belaufen.
    Wenn das Kürzungen sein sollen, meine Damen und Herren, stelle ich fest: Das hat nichts mit Politik zu tun, sondern da fehlt das notwendige Wissen in der Mathematik.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Durch die Übertragung wird sich die Zahl der Invalidenrenten in den neuen Ländern um etwa 50 % erhöhen. Die Kosten hierfür belaufen sich auf 1 bis 1,5 Milliarden DM. Und da behaupten Sie, es werde gekürzt. Keine einzige Rente — keine Frauenrente, keine Männerrente — wird aus Anlaß der Verabschiedung dieses Überleitungsgesetzes gekürzt.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Die Durchschnittsrente in der ehemaligen DDR betrug zum 30. Juni 1990 — vor der Sozialunion —493 DM. Am 1. Juli 1990, zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Sozialunion, betrug sie 620 DM; am 1. Januar 1991 betrug sie 713 DM, und am 1. Juli 1991 werden es rund 800 DM sein. Das ist eine Rentensteigerung um 66 %. Das ist einmalig in der ganzen Nachkriegsgeschichte. Dies muß doch gewürdigt und festgehalten werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, in den nächsten Jahren muß die Rentensteigerung in der ehemaligen DDR weitaus kräftiger ausfallen als in den alten Bundesländern,

    (Konrad Gilges [SPD]: Was ist mit den Lebenshaltungskosten?)

    denn sonst könnten wir ja nie Gleichheit herstellen. Das erfordert Solidarität und e i n Rentenrecht, eine Rentenversicherung und e i n Rentenniveau.
    Wir haben mit der Aufholjagd begonnen. Wir haben bereits ein gutes Stück des Weges hinter uns.

    (Ottmar Schreiner [SPD]: Zwei mal zwei sind sieben! — Heribert Scharrenbroich [CDU/ CSU]: Bei Herrn Schreiner!)

    Wir machen Druck, weil wir bei den Rentnern der ehemaligen DDR in der Pflicht stehen. 40 Jahre SED-Willkür sind lange genug. Jeder Tag, den das alte Recht noch gilt, ist ein neuer Tag des Betruges. Deshalb handeln wir schnell und zum Wohle der Rentner.
    Diese große Aufgabe wird auch von der großen Oppositionspartei SPD erkannt. Darüber bin ich froh.

    (Konrad Gilges [SPD]: Mit den Sprüchen lade ich ihn zum nächsten 1. Mai ein!)

    Auf Grund unserer gegenseitigen Hartnäckigkeit im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und auf Grund der Verhandlungen außerhalb dieses Ausschusses haben wir ein gutes Ergebnis erreicht.
    Dieses Gesetz stellt uns aber auch vor die schwierige Aufgabe, neben der Überleitung der Renten, was eine Verbesserung für Millionen von Menschen bedeutet, auch das schwierige Thema der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme zu behandeln und die bestehenden Probleme zu lösen. Die 63 Rentensondersysteme und Zusatzversorgungssysteme sind zu einem Teil Ausdruck der perversen Gesinnung der ehemaligen SED-Machthaber. Sie waren zum Teil willkürlich und von SED-Kadern abhängig. Die Leistungen waren zum Teil Prämien für systemnahe oder gar systemstützende Verhaltensweisen. An diesem Thema wird die Frage Schuld, Mitschuld, Unschuld festgemacht. Meine Damen und Herren, dieses Thema müssen wir mit großer Sensibilität behandeln.

    (Zuruf von der SPD: Die haben Sie nicht!)

    Wir stehen vor der Lösung schwieriger Probleme. Der Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz aus Halle schreibt in seinem beachtenswerten Buch „Der Gefühlsstau" — ich zitiere — :
    Der real existierende Sozialismus hat wirklich 40 Jahre bestehen können. Die Wahlfarce wurde von 99 % der Bevölkerung mitgemacht. Millionen Menschen haben sich regelmäßig an großen Jubelmärschen beteiligt. Die überwiegende Mehrzahl war Mitglied der Jungen Pioniere, der FDJ, ging zur sozialistischen Jugendweihe und hat im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund die eigenen Interessen verraten.
    Meine Damen und Herren, nun wäre es relativ einfach .— sofern wir in diesem Zusammenhang überhaupt von Verschulden sprechen dürfen — , die Schuldfrage ohne Rücksicht auf die Empfindungen und Nöte der Menschen in den neuen Bundesländern abzuwälzen. Doch wie kommt gerade jemand wie ich, der als Kind im Krieg und während der Naziherrschaft groß geworden ist und der später in Freiheit, Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit leben durfte und konnte, dazu, den Menschen in der ehemaligen DDR



    Heinz-Adolf Hörsken
    die Schuldfrage zu stellen? Die Menschen in der ehemaligen DDR mußten viel aushalten: nach braunem Terror roter Terror. Betrachte ich dann auch noch unsere Generation generell, uns, die wir selbst zwar nicht direkt mit der nationalistischen Epoche verbunden waren — allerdings war die Generation vor uns zum Teil in das nationalistische Getriebe eingebunden — , dann kann ich mich doch heute nicht hinstellen und die Menschen in der ehemaligen DDR auch nur im Ansatz verurteilen.
    Mit dem Gesetz, über das wir heute beraten und das wir verabschieden wollen, betreiben wir keine Bestrafung durch das Sozialrecht.

    (Ottmar Schreiner [SPD]: Schön wär's!)

    Dafür stehen dem Rechtsstaat andere rechtsstaatliche Mittel zur Verfügung.
    Aber wir sind auch gegen Prämien für Stasi-Leute und SED-Herrscher. Unser soziales Rechtsempfinden zwingt uns zu folgender Entscheidung: Es darf nicht sein, daß Führungskader der ehemaligen DDR überhöhte Renten erhalten. Privilegien für diese Gruppe werden abgelehnt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Auf jeden Fall von CDU und FDP!)

    Ich sage es deutlich: Honecker und Konsorten bekommen von uns keine Rente geschickt. Wir schicken sie ihm nicht nach Moskau nach!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

    Dies wird mit uns nicht gehen. Daß Sie als Oppositionsparteien das wollten, unterstelle ich Ihnen übrigens auch nicht.
    Wir haben die Stasi-Renten erneut gekürzt. Die Regierung Modrow hatte sie auf 1 200 DM festgesetzt, die Volkskammer hat sie auf 990 DM gekürzt. Nun, im Gesetz, haben wir eine weitere Kürzung vorgenommen; wir haben sie auf 800 DM herabgesetzt. Wir wären gerne noch einen Schritt weitergegangen, konnten uns damit aber nicht durchsetzen.

    (Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Bei der SPD!)

    — Bei der SPD.
    Bei den Sonder- und Zusatzversorgungssystemen ist es insbesondere darum gegangen, akzeptable Regelungen zu schaffen.

    (Zurufe von der SPD)

    — Ich bin doch da mit Ihnen einer Meinung. Warum müssen Sie denn immer dazwischenbellen?
    Nicht jeder, der Leistungen aus einem der 63 Sonder- und Zusatzsysteme erhalten hat, war oder ist ein Unterdrücker und Staatsverbrecher. Doch diese Einschätzung darf nicht für die Führungskader der ehemaligen DDR gelten.

    (Ottmar Schreiner [SPD]: Was ist denn mit den Nazi-Größen gewesen?)

    Zum Abschluß noch einmal die Feststellung: Wir betreiben keine Bestrafung durch das Sozialrecht. Dafür sieht der Rechtsstaat andere rechtsstaatliche
    Mittel vor. Aber wir sind gegen Prämien für ehemalige SED-Herrscher. Ich will in aller Deutlichkeit sagen: Mit uns geht dies nicht!
    Schönen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)