Rede von
Dr.
Herta
Däubler-Gmelin
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist vernünftig, daß man sich zu einer Intervention melden kann, wenn in einer Debatte in der Tat neue Gedanken auftauchen. Das, was der Justizminister gesagt hat, was Justiz auf strafrechtlichem Gebiete bei der Bewältigung von Unrecht in den letzten 40 Jahren kann, ist es wirklich wert, daß wir darüber noch kurz nachdenken.
Sie haben recht, Herr Bundesjustizminister, es wäre vermessen, wenn wir meinen würden, Justiz, Strafjustiz könne all das aufarbeiten, was aufgearbeitet werden muß, oder könne alles das bestrafen, was an individuellem Unrecht damit verbunden war.
Ich stimme Ihnen zu, daß wir uns um die Opfer kümmern müssen — da nehmen wir Sie beim Wort; wir haben zugehört, was Sie gesagt haben —, und daß wir uns vor allem darum bemühen müssen, die Opfer in dem, was sie erlitten haben, und in dem, wie sie heute stehen, gerecht zu würdigen.
Deswegen wiederhole ich jetzt eine Bemerkung, die ich Ihnen gegenüber schon an anderer Stelle gemacht habe und die ich zu bedenken bitte. Gerechtigkeit oder das Bemühen darum — auch mit Hilfe der Justiz — kann auch eine Frage des Zeitpunktes sein. Wir sollten in der Tat darüber nachdenken, was Justiz kann und was sie nicht kann. Aber wir dürfen erst dann anfangen, laut darüber zu reden, ob wir bei der Verfolgung der Täter an die Grenzen stoßen, wenn für die Opfer nicht nur theoretisch deutlich, sondern auch unmittelbar erfahrbar ist, daß wir wirklich alles getan haben, um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Das ist nicht nur eine Frage der materiellen Entschädigung, also nicht nur eine Frage des Vorlegens eines Rehabilitierungsgesetzes, sondern es ist auch eine Frage der Strafverfolgung der Täter. Die Justiz muß wenigstens alles versucht haben, um individuelle Schuld zu erkennen, zu verfolgen, vor Gericht zu bringen und sie dort zu bestrafen.
Meine Bitte ist deshalb, nicht zu früh damit anzufangen, über die Grenzen der Strafjustiz nachzudenken. Das müßte die Akzeptanz unseres Rechtsstaates bei den Opfern eher behindern. Ich fürchte, daß, wenn Sie zu früh beginnen, Mißverständnisse unvermeidbar sind und die Fundamente, um die es Ihnen ebenso geht wie uns, für die Zukunft eher geschwächt als gestärkt werden, obwohl Sie das doch nicht wollen.
Danke schön.