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    Plenarprotokoll 12/26 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 26. Sitzung Bonn, Dienstag, den 4. Juni 1991 Inhalt: Gedenkworte für den durch ein Attentat ums Leben gekommenen früheren indischen Ministerpräsidenten Rajiv Gandhi . 1841 A Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Müller (Wesseling) 1841B Ausscheiden des Abg. Lowack aus der Fraktion der CDU/CSU 1841B Überweisung eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung an verschiedene Ausschüsse 1841 C Tagesordnungspunkt I: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1991 (Haushaltsgesetz 1991) (Drucksachen 12/100, 12/494) Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksachen 12/501, 12/530) 1841D Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksachen 12/502, 12/530) Helmut Esters SPD 1842 A Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU 1844 D Dr. Ulrich Briefs PDS/Linke Liste . . . 1847 A Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP . . 1847 D Dr. Peter Struck SPD 1848 D Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksachen 12/503, 12/530) 1849D Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (Drucksachen 12/511, 12/530) Rudolf Dreßler SPD 1850 A Hans-Gerd Strube CDU/CSU 1855 C Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste . . . 1858A Petra Bläss PDS/Linke Liste 1859 A Ina Albowitz FDP 1860 D Vera Wollenberger Bündnis 90/GRÜNE 1863 A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 1864 D Rudolf Dreßler SPD 1866 C Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . 1868A Uta Würfel FDP 1868B Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit (Drucksachen 12/515, 12/530) Uta Titze SPD 1869B Uta Würfel FDP 1870 D Arnulf Kriedner CDU/CSU 1872 B Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 1873 B Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste 1874A, 1875 A Arnulf Kriedner CDU/CSU 1874 D Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP . . 1875 B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Juni 1991 Gerda Hasselfeldt, Bundesministerin BMG 1876B Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 1876D, 1878 D Klaus Kirschner SPD 1877 B Einzelplan 17 Geschäftsbereich des Bundesministers für Frauen und Jugend (Drucksachen 12/517, 12/530) Dr. Konstanze Wegner SPD 1879 B Susanne Jaffke CDU/CSU 1883 C Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 1884 D Ina Albowitz FDP 1885 C Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ 1886 C Einzelplan 18 Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Senioren (Drucksachen 12/518, 12/530) Ingrid Becker-Inglau SPD 1889 B Ina Albowitz FDP 1890 A Irmgard Karwatzki CDU/CSU 1892 D Ingrid Becker-Inglau SPD 1893 B Dr. Konstanze Wegner SPD 1893 C Margot von Renesse SPD 1895 A Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . . 1896 B Dr. Sigrid Hoth FDP 1897 B Hannelore Rönsch, Bundesministerin BMFuS 1898C, 1901B Margot von Renesse SPD 1901 A Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz (Drucksachen 12/507, 12/530) in Verbindung mit Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht (Drucksachen 12/519, 12/530) Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD . 1901D, 1914 A Michael von Schmude CDU/CSU . . . . 1905 C Dr. Wolfgang Ullmann Bündnis 90/GRÜNE 1907 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP . . . 1908 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . . 1909 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister BMJ . . 1910B, 1914 C Dr. Hans de With SPD (zur GO) 1913 C Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 1913D Nächste Sitzung 1915 D Berichtigungen 1916 Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1917* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Juni 1991 1841 26. Sitzung Bonn, den 4. Juni 1991 Beginn: 15.00 Uhr
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    1916 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Juni 1991 Berichtigungen 25. Sitzung (Nachtrag): Auf der ersten Seite ist bei „Anlage 3" zu lesen: „Endgültiges Ergebnis und Namenslisten der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/580". Auf Seite II ist bei „Anlage 10" zu lesen: „Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink FDP". Seite 1806, Anlage 3: In der zweiten Zeile der Überschrift ist statt „Änderungsantrag" „Entschließungsantrag" zu lesen. Auf Seite 1825 A ist bei dem Namen „Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink" statt „(SPD)" „(FDP)" zu lesen. Auf Seite 1839 D (Anlage 40) ist bei „Haushaltsausschuß" statt „Drucksache 11/360 Nummer 3.13, 2.13" zu lesen: „Drucksache 12/269 Nummer 2.12, 2.13". Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 04.06.91 * * Blunck, Lieselott SPD 04.06.91* * Büchler (Hof), Hans SPD 04.06.91 * * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 04.06.91 * * Catenhusen, SPD 04.06.91 Wolf-Michael Diller, Karl SPD 04.06.91 Francke (Hamburg), CDU/CSU 04.06.91 Klaus Genscher, Hans Dietrich FDP 04.06.91 Haack (Extertal), SPD 04.06.91 Karl-Hermann Haschke CDU/CSU 04.06.91 (Großhennersdorf), Gottfried Dr. Hauchler, Ingomar SPD 04.06.91 Hauser CDU/CSU 04.06.91 (Rednitzhembach), Hansgeorg Kittelmann, Peter CDU/CSU 04.06.91 * * Klappert, Marianne SPD 04.06.91 Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 04.06.91 Klaus W. Lummer, Heinrich CDU/CSU 04.06.91 * * Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 04.06.91 * * Erich Marten, Günter CDU/CSU 04.06.91 * * Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) SPD entschuldigt bis einschließlich Matschie, Christoph 04.06.91 Meckel, Markus SPD 04.06.91 Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 04.06.91 Dr. Meyer zu Bentrup, CDU/CSU 04.06.91 * * Reinhard Michels, Meinolf CDU/CSU 04.06.91 * * Dr. Müller, Günther CDU/CSU 04.06.91 * * Pfuhl, Albert SPD 04.06.91 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 04.06.91 * * Rau, Rolf CDU/CSU 04.06.91 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 04.06.91* Reimann, Manfred SPD 04.06.91* * von Schmude, Michael CDU/CSU 04.06.91 * * Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 04.06.91 Seesing, Heinrich CDU/CSU 04.06.91 Singer, Johannes SPD 04.06.91 Dr. Soell, Hartmut SPD 04.06.91 * * Stachowa, Angela PDS 04.06.91 Dr. Stavenhagen, Lutz G. CDU/CSU 04.06.91 Steiner, Heinz-Alfred SPD 04.06.91 * * Terborg, Margitta SPD 04.06.91 * * Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 04.06.91 Vogel (Ennepetal), CDU/CSU 04.06.91 * * Friedrich Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 04.06.91 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 04.06.91 Zierer, Benno CDU/CSU 04.06.91 * *' * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Herta Däubler-Gmelin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden in diesem Jahr zum drittenmal über die Aufgaben dieser Bundesregierung auf dem Gebiet der Rechtspolitik. Die Debatte über den Justizhaushalt — auf den möchte ich mich im Augenblick beschränken — gibt Gelegenheit zu einer Bilanz — es kann im Augenblick nur eine Zwischenbilanz sein — und zu einer ersten Bewertung, ob wenigstens das, was angekündigt wurde, auf einem guten Weg ist.
    Die Debatten zur Regierungserklärung im Februar und auch die Auseinandersetzung bei der ersten Lesung des Justizhaushalts haben, Herr Bundesjustizminister, die Übereinstimmung zwischen den beiden Seiten des Deutschen Bundestages aufgezeigt. Sie haben aber auch die Unterschiede deutlich gemacht.
    Ich will das ganz kurz rekapitulieren. Wir alle waren uns einig, daß es zu den Schwerpunkten der Rechtspolitik in dieser Legislaturperiode gehören muß, alles zu tun, damit die Teilung in Deutschland auf dem Gebiet des Rechts überwunden wird. Wir waren uns einig, daß es wichtig ist und ebenfalls zu den Schwer-



    Dr. Herta Däubler-Gmelin
    punkten gehören muß, das Vertrauen hauptsächlich der Menschen in den neuen Ländern in die rechtsstaatliche Justiz aufzubauen, dafür zu werben, das Unsere dafür zu tun, damit das gelingen kann. Wir waren uns auch darin einig, daß das Unrecht aus den letzten 40 Jahren wiedergutgemacht werden muß, soweit es irgendwie geht.
    Nicht einig waren wir, unterschieden haben wir uns und auch auseinandergesetzt haben wir uns über die Frage, welche Wege hin zu diesen Zielen einzuschlagen sind und was dabei Vorrang haben soll. Wir haben vier Bereiche, die Vorrang genießen sollten, aufgezählt. Wir sagen zum ersten, daß wir schnell eine Entschädigung der Opfer, ein Rehabilitierungsgesetz brauchen. Wir brauchen zum zweiten Klarheit bei den Eigentums- und Vermögensfragen, bei denen wir der Meinung waren, daß unser Weg „Entschädigung vor Rückgabe" der richtige Weg sei, Sie aber an dem Ihren festhalten. Wir haben zum dritten gesagt: Es muß Hilfe her, damit sich die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern in diesem Wust von neuen Gesetzen und Rechtsvorschriften überhaupt zurechtfinden können. Viertens muß alles getan werden, damit in den neuen Ländern möglichst bald eine rechtsstaatliche Justiz entstehen kann, d. h. es muß ein beim Aufbau einer rechtsstaatlichen Justiz geholfen werden.
    Heute stellen wir fest, daß — ich darf sagen: trotz Ihres persönlichen Engagements gerade in bezug auf diese Fragen, Herr Bundesjustizminister, und trotz erster Schritte durchaus in die richtige Richtung — bei der Überwindung der Teilung auf dem Gebiet des Rechts hier in Deutschland längst nicht alles getan worden ist, was möglich gewesen wäre. Wir stellen fest, daß wir nicht so weit sind, wie es möglich gewesen wäre. Das Ziel ist noch lange nicht erreicht. Es ist noch nicht einmal eine zufriedenstellende Zwischenetappe erreicht worden. Es geht alles viel zäher und langsamer vonstatten, als es im Interesse der Bürgerinnen und Bürger liegt und als es notwendig gewesen wäre.
    Herr Bundesjustizminister und meine Herren Kollegen von den Regierungsparteien, das liegt nicht nur an den objektiven Schwierigkeiten und den objektiven Widrigkeiten, die wir natürlich auch sehen, sondern auch daran, daß Sie zum Teil falsche Wege gehen und wir zwar viele Ankündigungen vorgesetzt bekommen — an denen mangelt es ja nun wirklich nicht — , konkrete Schritte aber immer noch vermissen. Deswegen, meine Damen und Herren, sind wir nicht in der Lage, dem Justizhaushalt zuzustimmen.
    Wir bedauern, gerade was den Schwerpunkt Eigentumsfragen angeht, daß Sie an Ihrem falschen Weg festhalten. Wir haben uns mit Ihnen immer wieder darüber gestritten, warum er falsch ist. Wir haben Ihnen gesagt: Ihr Weg kann nicht vernünftig sein. Er muß Investitionen blockieren, weil diese Flut von Rückgabeanträgen — Sie wissen ja, es sind Hunderttausende, ja, mehr als eine Million — einfach nicht bearbeitet werden kann, ohne die Verwaltungen zu überfordern. Diese Flut von Anträgen muß die Privatisierung und auch Investitionen blockieren. Meine Damen und Herren, das hat sich eben auch nicht geändert, nachdem Sie — gegen unsere Stimmen — das sogenannte Reparaturgesetz verabschiedet haben, allem zum Trotz, was Sie den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Ländern oder auch in diesem Haus versprochen haben.
    Ich will als Beispiel dafür nur eine Meldung der vergangenen Tage zitieren. „Vor Gericht gerät die Privatisierung ins Stocken — Prozesse hemmen die Arbeit der Treuhandanstalt" ; das war am 3. Juni in der „Süddeutschen Zeitung" zu lesen. Das ist völlig richtig. 200 Prozesse hat die Treuhand schon jetzt am Hals, obwohl das neue Recht erst seit dem 1. April gilt.
    Meine Damen und Herren, Behörden stöhnen über die Kompliziertheit der Rechtsvorschriften; sie wissen mit ihnen nichts anzufangen.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Lieber einfaches Unrecht?)

    — Lieber Herr Weng, wenn Sie nur einmal ein bißchen zuhören würden, dann wären wir alle im Interesse der Bürger wirklich weiter, denn Ihre Einwände, die wir nun schon seit einem Dreivierteljahr hören, führen ja nicht weiter. Wenn Sie sich wenigstens darum kümmern würden, lieber Herr Weng, daß wenigstens die Bundesbehörden mit der Flut der Anträge, die sie zu bearbeiten haben, z. B. nach dem Zuordnungsgesetz, fertig würden, auch dann wären alle schon einen Schritt weiter. Allein bei den Oberfinanzdirektionen und bei den Bundesvermögensämtern sind jetzt über 60 000 Anträge anhängig. Es ist keine Rede davon, daß auch nur Ihre Zusage, die Zuordnung könne in einem vernünftigen Zeitraum bewältigt werden, eingehalten werden kann.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE])

    Wir kritisieren das, meine Damen und Herren, und fordern Sie deshalb auf — obwohl ich schon an Ihrer Reaktion sehe, daß Sie es nicht mehr hören können —, den Grundsatz schnell zu ändern. Ich sage Ihnen: Im Herbst wird das sowieso wieder auf dem Tisch des Hauses liegen, und bis dahin wird wieder ein halbes Jahr verloren sein, bis dahin wird die Investitionsblokkade verlängert, bis dahin werden dann noch mehr Menschen in den neuen Ländern arbeitslos sein.

    (Zuruf von der SPD: Dank dieser Regierung!)

    Das alles tut der Einheit in Deutschland nicht gut.

    (Vorsitz: Vizepräsident Helmuth Becker)

    Ich komme zum zweiten Punkt. Wir bedauern, daß es mit der Rehabilitierung so langsam vorangeht. Ich glaube, was den Grundsatz anbelangt, sind wir uns einig. Darüber haben wir in diesem Haus ja schon häufig genug geredet.
    Ich brauche Sie auch nicht daran zu erinnern, daß wir Sozialdemokraten wirklich alles getan haben, um hier die schwierigen Probleme mit aufzuarbeiten, den Weg aufzuzeigen und auch zu sagen, wohin die Reise gehen muß.
    Am 24. Oktober des letzten Jahres haben wir einen Anfang gemacht, weil wir die Verpflichtung des Einigungsvertrags ernstgenommen haben, der ja festlegt: Es muß die Aufgabe des ersten gesamtdeutschen Bundestages sein, sich um die Opfer von stalinisti-



    Dr. Herta Däubler-Gmelin
    scher Diktatur und kommunistischem Unrecht, die 40 Jahre dauerten, zu kümmern.

    (Detlef Kleinert [Hannover] [FDP]: Wegweisend!)

    — Wir haben die Große Anfrage eingebracht, Herr Kollege Kleinert, und es wäre gut, wenn auch Sie sich gelegentlich damit beschäftigen könnten.
    Drittens. Dem Rechtsausschuß liegt ein Antrag vor, der Ihre Bewertung „wegweisend" in seiner vollen Bedeutung verdient. Wir sagen dort: Laßt uns doch folgendermaßen vorgehen: Das, was wir jetzt regeln können, laßt uns auch jetzt machen, und zwar durch ein Vorabgesetz, das die Zuständigkeiten begradigt, die Unklarheiten der geltenden Regelungen beseitigt und vor allen Dingen mit der Verhöhnung der Opfer aufhört, die dadurch geschieht, daß wir ihnen — wenn sie zu Unrecht im Gefängnis gesessen haben oder zu Unrecht in psychiatrischen Anstalten eingesperrt waren — gerade 1 DM pro Tag an Entschädigung zuerkennen.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Herr Bundesjustizminister, wir hören sehr wohl, was Sie uns ankündigen. Aber ich darf Ihnen noch einmal vortragen, was mir Betroffene in Bautzen gesagt haben; Herr Staatssekretär Göhner, auch Sie waren dort. Sie werden mir zustimmen: Die Menschen, die Betroffenen, die Opfer werden älter. Sie können nicht mehr lange warten.
    Sie werden ebenfalls zustimmen, daß diese Menschen zunehmend bitterer werden, je länger sie warten müssen. Sie sagen: Es darf doch wohl nicht wahr sein, daß in diesem Rechtsstaat, zu dem wir jetzt gehören, für alles mögliche Geld oder auch Arbeitskapazität und Ressourcen vorhanden sind — z. B. für den unglücklichen Versuch einer Amnestierung von StasiSpionen, auch für die Erarbeitung eines Entschädigungs- und Ausgleichsgesetzes bei Eigentumsentziehung —, während wir warten sollen.
    Sie wissen doch, daß die Menschen genau so argumentieren.
    Dieser Bundestag steht in der Pflicht; auch diese Bundesregierung steht in der Pflicht. Deswegen werden wir Sie beim Wort nehmen.
    Unsere Forderung heißt: Wir wollen nicht nur unsere Große Anfrage vor der Sommerpause beantwortet haben, sondern — Herr Bundesjustizminister, wir nehmen Sie persönlich beim Wort — vor der Sommerpause soll dieser erste Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht werden, damit wir den Opfern, diesen alten Menschen, sagen können: Wir haben euch nicht vergessen, wir meinen es nicht nur so, was wir sagen, sondern den Worten werden auch Taten folgen.
    Wir fordern Sie auch auf mitzuhelfen, damit die Menschen — ich habe das gerade schon angesprochen — in den neuen Ländern mit dem Recht, das jetzt für sie gilt, besser zurechtkommen.
    Auch Sie bekommen doch Briefe, auch Sie lesen doch die Berichte, auch Sie reden doch mit sehr vielen dieser Bürgerinnen und Bürger, wenn Sie in den neuen Ländern sind, und wissen, wie dringend nötig Hilfe ist.
    Man hat manchmal den Eindruck, daß alle Geschäftemacher, die es in den westlichen Ländern zu nichts bringen, die neuen Länder mit dem Wilden Westen verwechseln, dort wie die Heuschrecken einfallen und versuchen, möglichst viele Leute möglichst hemmungslos übers Ohr zu hauen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, da muß doch Abhilfe geschaffen werden. Heute ist Rat, ist Hilfe dort kaum einzuholen. Die Menschen kommen auch mit ihren Rechten nicht zu Rande; sie kennen sie meistens gar nicht. Herr Kleinert, sie kennen auch die Zuständigkeiten nicht, und sie wissen auch nicht, wohin sie sich wenden sollen. Und wenn sie das dann herausgefunden haben, sind die Betrüger über alle Berge, oder die Betroffenen kommen mit den Voraussetzungen für Anträge oder schlicht mit unseren Formularen schon gar nicht zurande. Deswegen wiederhole ich hier die Forderung, die wir schon häufig, zuletzt auch in den Arbeitsgruppen, aufgestellt haben: Was wäre denn eigentlich leichter, als in jeder Stadt ein Informations-, Beratungs- und auch Hilfsservicezentrum einzurichten, in jeder Stadt? Warum gibt es die noch nicht?

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Natürlich weiß ich, daß die Zuständigkeit dafür nicht beim Bund liegt. Aber ich sage Ihnen, die Möglichkeit, das zu organisieren, die Möglichkeit, Verbände dafür zu interessieren, vom Mieterbund über Sozialverbände bis hin zum Anwaltsverein, die hat der Bund, die hat der Justizminister besser als jeder andere. Das Geld und die Organisationskapazität dafür könnte er und sollte er auch zur Verfügung stellen.
    Daß beim Aufbau einer rechtsstaatlichen Justiz eine Menge geschehen ist, das wissen wir. Da ist von seiten der Länder eine Menge passiert; das erkennen wir dankbar an. Wir sehen auch, daß der Bund, daß Sie, Herr Bundesjustizminister, sich hier sehr engagieren; es gibt Geld, und es gibt Personalhilfe.

    (Beifall des Abg. Detlef Kleinert [Hannover] [FDP])

    Aber klar ist auch, daß noch eine Menge getan werden muß; es klemmt ja noch überall. Es klemmt im nichtrichterlichen Personalbereich; es klemmt bei der Aus- und Fortbildung, und es klemmt auch bei der Sach- und bei der Materialhilfe. Wir fordern Sie deshalb dazu auf, die Hilfe festzusetzen und auszubauen. Aber das ist nicht alles.
    Wir sagen auch: Wer beim Aufbau der Justiz in den neuen Ländern helfen will, der muß auch überlegen, wie hier im Westen Kapazitäten freigemacht werden können. Und damit bin ich jetzt bei einem sehr heiklen Punkt angekommen.
    Die Landesjustizminister haben ja mit ihrem Vorschlag eines — wie sie es nannten — Justizvereinfachungsgesetzes einen Stein ins Wasser geworfen, der geradezu Schockwellen ausgelöst hat. Ich habe mit leichtem Vergnügen registriert, daß Sie, Herr Justizminister, von einer vorsichtigen Befürwortung — ich



    Dr. Herta Däubler-Gmelin
    habe das der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" entnommen — mehr ins Lager der Kritiker dieses Gesetzes abgewandert sind. Ich verstehe das gut, weil es eine Menge an diesen Entwürfen zu kritisieren gibt. Ich habe auch ein großes Maß an Verständnis dafür, daß die Berufsverbände, sei es nun der Anwaltsverein, seien es die Anwaltskammern, sei es der Strafverteidigertag oder auch der Richterbund, sagen: So geht es nicht.

    (Detlef Kleinert [Hannover] [FDP]: Sagen Sie es Herrn Krumsiek!)

    Aber, meine Damen und Herren und vor allen Dingen werter Herr Kollege Kleinert, das allein nützt nur sehr begrenzt; Kritik kann nämlich nur das eine sein, was von uns erwartet wird — auch von Ihnen.

    (Detlef Kleinert [Hannover] [FDP]: Die Möglichkeiten scheinen begrenzt zu sein!)

    Erwartet wird jedoch erheblich mehr: die Prüfung der Frage nämlich, ob wir in den westlichen Ländern, ob wir im gesamten westlichen Teil die Ressource Recht nicht nur rechtsstaatlich genug und bürgerfreundlich genug einsetzen, sondern ob wir dies auch effizient genug tun.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Unserer Meinung nach braucht im Westen weder alles so zu bleiben, wie es jetzt ist, noch kann es so bleiben. Denn Realisten, die wir sind, wissen wir ganz genau: Noch mehr Richterstellen werden wir nicht bekommen; noch mehr nichtrichterliches Personal werden wir nicht bekommen. Und die Kompliziertheit unserer eigenen Gesetze — auch der Verfahren — ist ebenfalls nicht immer das Gelbe vom Ei. Deswegen wiederhole ich: Gefragt ist von den Berufsverbänden nicht nur Kritik, sondern gefragt sind auch Vorschläge, wie die Ressource Recht vernünftiger, gerechter, rechtsstaatlicher und bürgerfreundlicher eingesetzt werden kann.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Hans de With [SPD]: Aber auch vom Justizminister!)

    Wir sind ebenfalls bereit, bis zum Anhörungsverfahren, das wir für den September, wenn ich es richtig sehe, Herr Kollege Dr. de With, im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages beantragen werden, unsere Vorstellungen vorzulegen.
    Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, Vorschläge werden wir auch von Ihnen erwarten, vor allen Dingen auch von Ihnen, Herr Bundesjustizminister. Ich wundere mich überhaupt, daß dazu aus dem Bundesjustizministerium noch nicht mehr gekommen ist.

    (Detlef Kleinert [Hannover] [FDP]: Der Vorgang ist 30 Jahre alt!)

    — Sie sprechen von 30 Jahren. Ich bin ein bißchen bescheidener und gehe auf das Jahr 1984 zurück

    (Detlef Kleinert [Hannover] [FDP]: Der Grund ist einleuchtend!)

    — damals waren Sie auch schon beteiligt; sehen Sie sich vor, Herr Kleinert —,

    (Detlef Kleinert [Hannover] [FDP]: Das habe ich auch nicht bestritten!)

    weil wir lange vor der staatlichen Einheit in Deutschland gesagt haben: Wir brauchen eine Reform der Justiz. Wir haben damals das Justizministerium aufgefordert, uns Vorschläge für eine Strukturreform vorzulegen. Diese liegen doch jetzt vor. Nun müssen sie umgesetzt werden.

    (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Es muß gehandelt werden! — Detlef Kleinert [Hannover] [FDP]: Aber sofort!)

    — Jetzt muß gehandelt werden; ganz herzlichen Dank. Sonst wird nämlich alles, was wir sagen, Lippenbekenntnis bleiben.

    (Detlef Kleinert [Hannover] [FDP]: Das war 1975 genauso!)

    Meine Damen und Herren, Herr Justizminister, über diese Schwerpunkte sind wir uns einig. Aber ich glaube, wir sollten uns auch darüber einig sein, daß das nicht alles sein kann, was eine gute Rechtspolitik ausmacht. Wir haben Sorge, daß auf anderen Gebieten der Rechtspolitik derzeit zu wenig passiert. Wir werden Sie deshalb auch in Zukunft bedrängen, andere Bereiche der Rechtspolitik nicht zu vergessen.
    Ich nenne eine Reihe von Beispielen, fünf an der Zahl, die ich durchaus fortsetzen könnte.
    Die Bekämpfung der Drogenkriminalität. Es ist doch wahr, was wir im Februar festgestellt haben:

    (Dr. Hans de With [SPD]: Zwei Jahre verschlafen!)

    daß wir auf diesem Gebiet das Schlußlicht in Europa bilden.

    (Dr. Hans de With [SPD]: Leider wahr!)

    Wir haben immer noch keine wirksamen und vernünftigen Strafvorschriften gegen die Geldwäsche, obwohl sie x-mal angekündigt wurden.
    Im Jugendstrafrecht liegt vieles im argen. Da gibt es jetzt wieder einen hervorragenden Bericht, der leider bestätigt, was wir schon seit langem sagen: daß man als junger Mensch schneller eingesperrt wird, länger eingesperrt bleibt und häufiger ins Gefängnis kommt denn als Erwachsener. Da müssen doch Änderungen her.

    (Dieter Wiefelspütz: [SPD]: Skandalös!)

    Als dritten Bereich nenne ich den „modernen Schuldturm". Es geht um die Hilfe bei Überschuldung von Privatpersonen. Wie viele Jahre haben wir schon versucht, Ihnen dabei zu helfen — um es freundlich auszudrücken — , endlich für diese Menschen in Not etwas zu tun! Natürlich, Herr Göhner, haben wir uns gefreut, daß Sie sagen: Da kommt etwas. Aber wir möchten es gern konkret auf dem Tisch liegen haben.
    Der vierte Punkt, den ich nennen will, ist das Nichtehelichenrecht. Auch da: Ankündigungen. Auch da: keine konkreten Schritte, obwohl niemand bestreiten kann, daß sie längst überfällig sind.



    Dr. Herta Däubler-Gmelin
    Im Medizinrecht, beim Transplantationsrecht, in der Justizausbildung, bei den Verfassungsaufgaben: überall da sind große leere Flecken in Ihrer Politik, Herr Justizminister.
    Mir macht auch Sorge, daß ich überhaupt nicht sehen kann, wo denn eigentlich Ihre rechtsstaatlichen Konzepte zur Bekämpfung dieser gefährlichen, schrecklichen modernen Kriminalitätsformen wie der organisierten Kriminalität zu finden sein könnten. Ich betone: Ich spreche von den rechtsstaatlichen Bekämpfungsmöglichkeiten.
    Statt dessen wird da vieles laufengelassen. Man sieht, daß das Polizeirecht langsam in das Strafprozeßrecht einwandert. Wir sehen, daß die Staatsanwaltschaft langsam, aber sicher die Herrschaft über das Verfahren verliert.
    Da streitet sich der Justizminister — in diesem Detailpunkt haben Sie meine volle Sympathie — mit dem Innenminister darüber, ob verdeckte Ermittler Strafgesetze verletzen dürfen, milieubedingte Kriminalität begehen dürfen. Was ist denn das für ein Vorschlag! Das ist doch unmöglich: eine staatliche Lizenz für Polizeibeamte, Straftaten zu begehen. Das darf doch wohl nicht wahr sein.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE — Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wo bleibt die Rechtsstaatlichkeit?)

    Wir wünschen uns einen Justizminister, der hier endlich in die Offensive geht, auch im Grundsatz. Wir wünschen uns einen Justizminister, der mutig unter rechtsstaatlichen und unter Effizienzgesichtspunkten das gesamte Instrument des verdeckten Ermittlers problematisiert. Wir wünschen uns auch einen Justizminister, der endlich einmal Laut gibt, wenn die Bundesregierung rechtsstaatlich außerordentlich problematische Gesetze auf den Weg bringt.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Den haben wir!)

    Da meine ich die Vorschläge zum Außenwirtschaftsgesetz ebenso wie die zum Rentenüberleitungsgesetz.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE])

    Wir lassen uns auch nicht damit abspeisen, daß man nicht alles auf einmal haben kann. Richtig: Man muß gewichten; man muß seine Ressourcen und die Arbeitskapazität richtig einsetzen. Wir wissen, daß die Beamten des Justizministeriums viel arbeiten. Wir anerkennen das auch.

    (Dr. Hans de With [SPD]: Richtig!)

    Aber ein Blick in den Justizhaushalt, Herr Bundesjustizminister, zeigt auch, daß Sie eine Außenstelle mit, wenn ich richtig gezählt habe, 87 Köpfen in Berlin haben, deren Aufgaben, Sachkompetenzen, Zuständigkeit und Sacharbeit bisher nicht so recht erkennbar sind. Ist es nicht so, daß auch Sie die „manpower" in Ihrem Haus besser einteilen müssen? Ich glaube, da muß, da kann noch eine Menge geschehen und verbessert werden.
    Ich fasse zusammen: Wir stimmen dem Justizhaushalt nicht zu, weil Ihre Schritte zur Überwindung der Teilung großteils nicht konsequent genug angelegt sind und die übrigen Gebiete der Rechtspolitik nicht so bearbeitet werden, wie wir es uns wünschen. Wir hoffen, das wird in Zukunft anders.
    Einen letzten Satz, und zwar zum Einzelplan 19. Ich glaube, Sie werden nichts anderes erwarten: Selbstverständlich stimmen wir dem Haushalt des Bundesverfassungsgerichts zu.
    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)



Rede von Helmuth Becker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat jetzt unser Kollege Michael von Schmude.

(Dr. Hans de With [SPD]: Wo sind denn Ihre Kollegen vom Rechtsausschuß? frage ich! Eine große Leere!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Michael von Schmude


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Däubler-Gmelin, auch mir geht manches nicht so schnell, wie ich es haben möchte, was den Wiederaufbau der Rechtsstaatlichkeit in den neuen Bundesländern angeht. Aber wir müssen Realisten sein. Wir können das, was über Jahrzehnte dort eben nicht vorhanden war, nicht von heute auf morgen aus dem Boden stampfen.
    Der Haushalt, mit dem wir uns hier auseinandersetzen, bringt die notwendigen Voraussetzungen in materieller und personeller Hinsicht mit, um dieser Aufgabe ein großes Stück näherzukommen. Wir haben in der Vergangenheit ein sehr maßvolles Wachstum des Justizhaushaltes gehabt und stehen jetzt vor der Situation, daß die Ausgaben um fast 42 % auf 692,6 Millionen DM anwachsen. Der Planstellenanstieg von 4 586 auf 5 117 macht auch deutlich, daß vor allem die personellen Kapazitäten für den Aufbau des Rechtsstaats in den neuen Bundesländern ausgeweitet werden.
    Mit einem Sofortprogramm von 117,7 Millionen DM ermöglicht die Bundesregierung noch in diesem Jahr die Entsendung von insgesamt 2 300 Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern in den Osten Deutschlands.

    (Dr. Hans de With [SPD]: Die hätten schon längst da sein sollen!)

    Ich habe das in Ihren Ausführungen vorhin vermißt. Denn hiermit wird natürlich ein ganzes Stück Zuarbeit geleistet, um dieses Aufbauwerk voranzubringen.
    Jetzt sind — und da stimmen wir überein — vor allem die alten Bundesländer gefordert, qualifizierte Kräfte für dieses dreijährige Unterstützungsprogramm bereitzustellen. Die Zeit drängt; denn in der Beurteilung gibt es keine zwei Meinungen: Die Situation des Rechtsstaats in den neuen Ländern ist teilweise katastrophal. Negative Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau sind personalbedingt verursacht, insbesondere auch durch den großen Stau bei den Grundbuchämtern. Aber auch in der übrigen Gerichtsbarkeit gibt es ganz erhebliche Schwierigkeiten.
    Die alten Bundesländer haben bei der Lösung dieser Probleme zu helfen versucht, in der Tat, aber doch



    Michael von Schmude
    mit stark unterschiedlichem Engagement. So hat z. B. das vom neuen SPD-Bundesvorsitzenden regierte Schleswig-Holstein im Jahre 1990 — eher halbherzig als hilfsbereit — die lächerliche Größenordnung von vier Richtern für Mecklenburg als ausreichend erachtet. Ich halte das für beschämend.
    Die Notwendigkeit einer massiven Unterstützung wird bei einem Zahlenvergleich deutlich: In Nordrhein-Westfalen mit 17 Millionen Einwohnern gibt es allein 5 000 Richter, in den neuen Bundesländern ganze 1 000. In Nordrhein-Westfalen gibt es 1 200 Staatsanwälte, in den neuen Ländern ganze 900. In Nordrhein-Westfalen haben wir 3 000 Rechtspfleger; eine solche Einrichtung gab es in den neuen Bundesländern überhaupt nicht. Wenn man dann noch bedenkt, daß die Überprüfung von Staatsanwälten und Richtern nicht abgeschlossen ist, so muß man bei diesem Personenkreis doch noch erhebliche Ausfälle mit einkalkulieren.
    Dramatisch ist auch die Situation bei der Arbeitsgerichtsbarkeit. Hier wird ein rasanter Anstieg der Verfahren registriert, so daß zur Zeit mehr als 10 000 unerledigte Fälle anstehen. Die Aufarbeitung ist von hoher Dringlichkeit.
    Bei den Rehabilitierungsverfahren gibt es mehr als 20 000 unerledigte Vorgänge. Hier unterliegen wir in der Tat einer besonderen Verantwortung und Pflicht gegenüber den Opfern der Willkür des DDR-Unrechtsstaates und des Stalinismus in der früheren sowjetischen Besatzungszone.
    Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteilsspruch vom 23. April den Gesetzgeber auch an seine diesbezüglichen Pflichten erinnert. Alle Betroffenen haben einen rechtlichen, moralischen und politischen Anspruch darauf, daß ihre Unrechtsurteile schnellstmöglich aufgehoben werden. Ihr persönliches Schicksal verdient unsere Solidarität und Hilfe auch bei einer Wiedergutmachung, soweit dies materiell möglich ist.
    Für diesen Personenkreis ist es in der Tat unerträglich und unzumutbar, daß ein Großteil der Verantwortlichen für die Unrechtstaten von einst wieder — von der Justiz noch unbehelligt — neuen, oft sogar sehr einträglichen beruflichen Betätigungen nachgeht. Über die Weiterbeschäftigung und Eignung früherer Richter und Staatsanwälte der ehemaligen DDR muß deshalb umgehend entschieden werden. An deren rechtsstaatlichem Denken und Handeln darf es in Zukunft keinerlei Zweifel mehr geben.
    Durch Stasi-Vergangenheit Belastete sollten deshalb von sich aus die Konsequenzen ziehen, so wie es im mecklenburgischen Landtag soeben sieben Abgeordnete taten. Der dortige CDU-Fraktionsvorsitzende Rehberg hat übrigens zum Fall Modrow festgestellt — ich zitiere —:
    Es ist unzumutbar, daß wir in den neuen Ländern unsere Parlamente ausräumen und daß der Deutsche Bundestag mit so einem Mann belastet ist.
    Es ist nachweisbar: Die Chefs der SED-Bezirksleitungen waren direkt weisungsberechtigt für die Staatssicherheit in ihren Bezirken. -

    (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist wahr!)

    Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
    Die Lage bei der Strafgerichtsbarkeit, meine Damen und Herren, wird sich weiter verschärfen durch die zunehmende Aufdeckung von Straftaten. Hier geben nicht nur Stasi-Akten Hinweise, sondern auch gezielte Prüfungen bei Unternehmen der Treuhand. Darunter fällt auch in der DDR verübte Wirtschaftskriminalität zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland, beispielsweise Subventionsbetrug, wobei in der früheren DDR zumindest mit staatlicher Duldung Ursprungszeugnisse gefälscht wurden, um Zoll- und Steuerhinterziehungen in der Bundesrepublik zu ermöglichen.
    Der Zustand der Rechtsstaatlichkeit in den neuen Bundesländern erfordert hochqualifizierte, erfahrene Juristen und Rechtspfleger. Der Wiederaufbau, meine Damen und Herren, darf aber nicht ausschließlich zu einer Angelegenheit der älteren Generation werden. Ich sehe mit großer Sorge, daß nicht nur im Bereich der öffentlichen Verwaltung, sondern auch in der Wirtschaft viel zu wenig jüngere Menschen ihre berufliche und persönliche Lebenschance im Osten Deutschlands suchen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Die materiellen Voraussetzungen für den Wiederaufbau des Rechtsstaats im Osten sind nun gegeben. Jetzt gilt es auch, vorurteilsfrei zu prüfen, ob der Sitz des einen oder anderen obersten Gerichtes nicht in absehbarer Zeit von West nach Ost verlagert werden kann.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Hans de With [SPD]: Da stimmen wir Ihnen zu! Machen Sie einen Vorschlag!)

    In derartige Überlegungen, sehr geehrter Herr Kollege With, muß auch der Bundesfinanzhof mit einbezogen werden. Die Berichterstatter im Haushaltsausschuß haben darüber hinaus einvernehmlich auch eine Untersuchung vorgeschlagen, ob nicht das Institut für Ostrecht z. B. nach Sachsen oder Thüringen verlegt werden kann. An Geld kann und darf eine funktionierende Rechtspflege in ganz Deutschland nicht scheitern.

    (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP] — Dr. Hans de With [SPD]: Was ist mit dem Vorschlag: Verfassungsgericht nach Weimar?)

    — Auch das kann man überprüfen.
    Die Menschen in den fünf neuen Ländern haben nicht nur die Freiheit gewählt, sondern wollten nach Jahrzehnten der Unterdrückung auch Recht und Gerechtigkeit für sich.
    Diese Erwartungshaltung gilt in ganz besonderer Weise hinsichtlich der Regelung offener Vermögensfragen. Wir haben auf der Grundlage des Einigungsvertrages und, Frau Däubler-Gmelin, auch auf dem Boden des Grundgesetzes gesetzliche Regelungen getroffen, die jetzt nach dem jüngsten Karlsruher Urteil noch ergänzt werden müssen um eine Ausgleichsregelung für die während der sogenannten Bodenreform zwischen 1945 und 1949 entschädigungslos Enteigneten. Dieser Personenkreis, dem im Gegensatz zu den später Enteigneten der Anspruch auf Rückgabe



    Michael von Schmude
    versagt bleibt, muß angemessene Ausgleichsleistungen erhalten. Hier muß im Einzelfall auch der Rückerwerb des früheren Eigentums möglich sein.
    Wichtig ist in der Tat jedoch nicht nur eine umfassende gesetzliche Regelung der offenen Vermögensfragen, sondern auch deren praktische Umsetzung. Inzwischen liegen den zuständigen Behörden, wie hier schon ausgeführt, rund eine Million Anträge auf Rückerstattung vor. Die Bearbeitung verläuft schleppend und führt zu großem Unmut der Betroffenen. Hier sind vor allem Länder- und Kommunalverwaltungen in den alten Bundesländern gefordert, um mit personellen Hilfen zur Lösung der Problematik beizutragen.
    Einigungsbedingte Mehrbelastungen ergeben sich aber nicht nur für das Ministerium selbst, sondern auch für dessen nachgeordnete Behörden. Ich will in diesem Zusammenhang auf das Bundeszentralregister in Berlin eingehen. Dort ist die Zahl der täglich eintreffenden Anträge auf Erteilung von Führungszeugnissen von zuvor 8 000 auf jetzt 14 000 angestiegen. Einer derartigen Entwicklung kann nicht allein mit der Forderung nach zusätzlichen Planstellen, schon gar nicht etwa auf der Grundlage von Hochrechnungen, begegnet werden. Hier ist zusätzlich auch die Überprüfung der Organisationsstruktur dringend erforderlich.

    (Dr. Hans de With [SPD]: Da stimmen wir zu!)

    Seit nunmehr fast zehn Jahren wird vor allem durch die Mitglieder des Haushaltsausschusses beanstandet, daß durch die mangelnde oder mangelhafte Erfassung der Anträge von Gemeinden auf Führungszeugnisse fehlerhafte Abrechnungen erfolgen, wodurch dem Bund Millionenbeträge verlorengehen. Trotz mehrfacher Aufforderung und Anmahnung ist das Bundeszentralregister bis heute nicht in der Lage, die Anträge der Gemeinden auf Erteilung von Führungszeugnissen zu registrieren. Man verläßt sich darauf, daß die Kommunen am Jahresende von sich aus die Zahl der gestellten Anträge mitteilen.
    Das Ergebnis sieht wie folgt aus: Die beim Bundeszentralregister 1989 ausgefertigten Führungszeugnisse hätten uns Einnahmen in Höhe von 12 409 000 DM bringen müssen. Tatsächlich gingen auf Grund der Erklärungen der Gemeinden jedoch nur 10 948 000 DM ein. Der Fehlbetrag von 1,46 Millionen DM entspricht somit fast 12 % des gesamten Gebührenaufkommens.
    Noch dramatischer zeigt sich die Situation 1990. In jenem Jahr gingen uns Einnahmen in einer Größenordnung von 2,65 Millionen DM verloren, was schon 19 % des gesamten Gebührenaufkommens ausmacht. Bei den Registerauszügen ergibt sich ein Fehlbetrag von 312 000 DM. Insgesamt gingen uns 1990 beim Bundeszentralregister also 3 Millionen DM verloren.
    Offensichtlich spricht es sich bei den Kommunen bereits herum, daß es bei dieser Behörde keine geordnete Buchführung gibt. Dieser Mißstand kann von uns nicht länger hingenommen werden.

    (Zuruf von der FDP: Richtig!)

    Der Bundesrechnungshof ist während der Haushaltsberatungen aufgefordert worden, umgehend eine Überprüfung des Bundeszentralregisters vorzunehmen. Man darf nun gespannt darauf sein, ob dieser Zustand, den ich nur als Schlamperei bezeichnen kann, auf Unfähigkeit oder Unwilligkeit zurückzuführen ist.

    (Dr. Hans de With [SPD]: Hört! Hört!)

    Der Bundesjustizminister ist aufgefordert, diese Angelegenheit umgehend zur Chefsache zu machen.

    (Beifall des Abg. Dr. Hans de With [SPD])

    Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums möchte ich an dieser Stelle für ihren vorbildlichen Einsatz bei der Bewältigung der enormen Mehrarbeit, die durch die deutsche Einheit gerade auf das Justizministerium zugekommen ist, herzlich danken.
    Meine Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen stimmen dem Justizhaushalt ohne Einschränkung zu.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Hans de With [SPD]: Trotz der Schlamperei, die es da gibt!)