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    Plenarprotokoll 12/22 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 22. Sitzung Bonn, Freitag, den 19. April 1991 Inhalt: Tagesordnungspunkt 13: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 1991 der Bundesregierung (Drucksache 12/223) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresgutachten 1990/ 1991 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache 11/8472) Jürgen W. Möllemann, Bundesminister BMWi 1421B Wolfgang Roth SPD 1426 D Matthias Wissmann CDU/CSU 1431 B Bernd Henn PDS/Linke Liste 1435 A Josef Grünbeck FDP 1438 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste 1441 B Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 1442 B Rainer Brüderle, Minister des Landes Rheinland-Pfalz 1445 A Wolfgang Roth SPD 1446C, 1460 B Dr. Uwe Jens SPD 1447 B Dr. Walter Hitschler FDP 1449A, 1458D, 1462 C Josef Grünbeck FDP 1450B, 1464 C Rudolf Kraus CDU/CSU 1451 B Dr. Elke Leonhard-Schmid SPD 1453 D Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF 1456 A Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD 1457 C Friedhelm Ost CDU/CSU 1459 D Herbert Meißner SPD 1462 A Dr. Hermann Pohler CDU/CSU 1463 D Gerd Andres SPD 1465 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 1467 B Nächste Sitzung 1468 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1469* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 13 a und b (Jahreswirtschaftsbericht 1991 der Bundesregierung, Jahresgutachten 1990/1991 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) Peter Kittelmann CDU/CSU 1469* D Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 1472* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1991 1421 22. Sitzung Bonn, den 19. April 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 19. 04. 91 Austermann, Dietrich CDU/CSU 19. 04. 91 Börnsen (Börnstrup), CDU/CSU 19. 04. 91 Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 19. 04. 91 Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 19. 04. 91 Burchardt, Ursula SPD 19. 04. 91 Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 19. 04. 91 Peter Harry Clemens, Joachim CDU/CSU 19. 04. 91 Conradi, Peter SPD 19. 04. 91 Daubertshäuser, Klaus SPD 19. 04. 91 Dörflinger, Werner CDU/CSU 19. 04. 91 Doss, Hansjürgen CDU/CSU 19. 04. 91 Ehrbar, Udo CDU/CSU 19. 04. 91 Engelhard, Hans A. FDP 19. 04. 91 Eylmann, Horst CDU/CSU 19. 04. 91 Feilcke, Jochen CDU/CSU 19. 04. 91 Fuchs (Köln), Anke SPD 19. 04. 91 Gattermann, Hans H. FDP 19. 04. 91 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 19. 04. 91 Genscher, Hans Dietrich FDP 19. 04. 91 Gerster (Mainz), CDU/CSU 19. 04. 91 Johannes Dr. Glotz, Peter SPD 19. 04. 91 Dr. Götte, Rose SPD 19. 04. 91 Graf, Günter SPD 19. 04. 91 Haack (Extertal), SPD 19. 04. 91 Karl-Hermann Hämmerle, Gerlinde SPD 19. 04. 91 Hampel, Manfred Eugen SPD 19. 04. 91 Dr. Haussmann, Helmut FDP 19. 04. 91 Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 19. 04. 91 Ibrügger, Lothar SPD 19. 04. 91 Jaunich, Horst SPD 19. 04. 91 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 19. 04. 91 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 19. 04. 91 Jungmann (Wittmoldt), SPD 19. 04. 91 Horst Kiechle, Ignaz CDU/CSU 19. 04. 91 Klinkert, Ulrich CDU/CSU 19. 04. 91 Köhler (Hainspitz), CDU/CSU 19. 04. 91 Hans-Ulrich Kohn, Roland FDP 19. 04. 91 Kolbe, Manfred CDU/CSU 19. 04. 91 Koltzsch, Rolf SPD 19. 04. 91 Koschnik, Hans SPD 19. 04. 91 Kossendey, Thomas CDU/CSU 19. 04. 91 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 19. 04. 91 Günther Dr. Graf Lambsdorff, Otto FDP 19. 04. 91 Lamers, Karl CDU/CSU 19. 04. 91 Leidinger, Robert SPD 19. 04. 91 Dr. Leonhard-Schmid, SPD 19. 04. 91 Elke Lohmann (Witten), Klaus SPD 19. 04. 91 Lowack, Ortwin CDU/CSU 19. 04. 91 Mascher, Ulrike SPD 19. 04. 91 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Meckel, Markus SPD 19. 04. 91 Meckelburg, Wolfgang CDU/CSU 19. 04. 91 Dr. Mertens (Bottrop), SPD 19. 04. 91 Franz-Josef Müller (Pleisweiler), SPD 19. 04. 91 Albrecht Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 19. 04. 91 Ostertag, Adolf SPD 19. 04. 91 Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 19. 04. 91 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 19. 04. 91 Pützhofen, Dieter CDU/CSU 19. 04. 91 Rappe (Hildesheim), SPD 19. 04. 91 Hermann Rauen, Peter Harald CDU/CSU 19. 04. 91 Reschke, Otto SPD 19. 04. 91 Reuschenbach, Peter W. SPD 19. 04. 91 Dr. Riedl (München), CDU/CSU 19. 04. 91 Erich Schäfer (Mainz), Helmut FDP 19. 04. 91 Schaich-Walch, Gudrun SPD 19. 04. 91 Schmalz-Jacobsen, FDP 19. 04. 91 Cornelia Schmidbauer (Nürnberg), SPD 19. 04. 91 Horst Schmidt (Aachen), Ursula SPD 19. 04. 91 Schmidt (Nürnberg), SPD 19. 04. 91 Renate Schmidt (Spiesen), Trudi CDU/CSU 19. 04. 91 Schmidt-Zadel, Regina SPD 19. 04. 91 Seehofer, Horst CDU/CSU 19. 04. 91 Skowron, Werner H. CDU/CSU 19. 04. 91 Dr. Sperling, Dietrich SPD 19. 04. 91 Spilker, Karl-Heinz CDU/CSU 19. 04. 91 Stiegler, Ludwig SPD 19. 04. 91 Voigt (Frankfurt), SPD 19. 04. 91 Karsten D. Dr. Voigt (Nordheim), CDU/CSU 19. 04. 91 Hans-Peter Vosen, Josef SPD 19. 04. 91 Welt, Hans-Joachim SPD 19. 04. 91 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 19. 04. 91 Wieczorek-Zeul, SPD 19.04.91 Heidemarie Wimmer (Neuötting), SPD 19. 04. 91 Hermann Wittmann (Tännesberg), CDU/CSU 19. 04. 91 Simon Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 13 a, b (Jahreswirtschaftsbericht 1991 der Bundesregierung, Jahresgutachten 1990/1991 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) Peter Kittelmann (CDU/CSU): Der Jahreswirtschaftsbericht 1991 steht ganz im Zeichen der deut- 1470* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1991 schen Einigung im vergangenen Jahr. Nachdem die Mauer gefallen und die politische Einheit vollzogen ist, gilt es nun, die wirtschaftliche Mauer einzureißen und die Wohlstandsbarriere zwischen den neuen und alten Ländern aufzuheben. Mit dem 1. Januar 1993 öffnen sich darüber hinaus weitere Schranken — der gemeinsame Markt Europas entsteht. Unser gemeinsames Ziel ist darum: 1. gleiche Lebensverhältnisse für die Menschen in ganz Deutschland herzustellen und 2. die neuen Länder mit der wirtschaftlichen Schubkraft der alten Bundesrepublik auf den Binnenmarkt vorzubereiten; ein ebenso ehrgeiziges wie notwendiges Ziel. Unsere Ausgangsposition ist trotz aller zu überwindender Durststrecken eine denkbar gute. Die äußerst dynamische und leistungsfähige deutsche Wirtschaft kann sich der Herausforderung stellen. Auch nach der Einigung zeigt sich die Bundesrepublik im Vergleich der westlichen Industrieländer immer noch extrem preisstabil. Veränderungen zeigen sich hingegen für den bisherigen Exportweltmeister Bundesrepublik in der Ein- und Ausfuhr. Hier zeigt sich die Bilanz von — verstärktem Import (einer Steigerung um 4,7 %) — und nur noch leicht ansteigendem Export (2,2 %) geprägt. Mit dem Abbau der Leistungsbilanz, die stark durch den rückläufigen Export bedingt ist, entspricht die Bundesrepublik — zwangsweise — den Forderungen ihrer Handelspartner. Die europäischen Partner haben wiederholt nach einer deutschen Anpassung verlangt, um ihrerseits von einem daraus resultierenden Wachstumsimpuls zu profitieren. Die für den Abbau des Überschusses verantwortliche Binnennachfrage hat unterdessen in den Unternehmen der deutschen Industrie für Hochstimmung gesorgt, die sich mit Sicherheit positiv auf die Investitionsentwicklung auswirken wird. Von diesem Wachstumsprozeß müssen nun die neuen Länder profitieren. Dort muß den erheblichen Beschäftigungseinbußen durch neu zu schaffende Arbeitsplätze, vor allem in der Bauwirtschaft und dem Dienstleistungssektor, entgegengewirkt werden. Auch wenn viele unserer Bürger aus den neuen Ländern enttäuscht und mit den bestehenden Verhältnissen — zu Recht meine Damen und Herren — unzufrieden sind, muß doch eines klar sein: Die aktuelle wirtschaftliche Lage, wie sie sich den Bürgern der neuen Länder zeigt, ist Resultat einer sozialistischen Kommando- und Planwirtschaft und deren einseitiger Ausrichtung. Die so strukturierte Wirtschaft hätte in jedem Falle in die wirtschaftliche Katastrophe geführt — die Situation ohne Einigung wäre weit fataler als heute. Nun wird es darauf ankommen, den neuen Ländern zu einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft zu verhelfen, die sie nicht nur am Wohlstand teilhaben läßt, sondern auch für den Binnenmarkt Ende '92 rüstet. — Die reduzierten Beziehungen mit den ehemaligen COMECON-Staaten, — die mangelnde europäische und internationale Wettbewerbsfähigkeit — und das fehlende Kapital haben in den neuen Ländern zu einem Einfuhrrückgang von 44,5 % und einem Ausfuhrrückgang von 7,4 % gegenüber dem Vorjahr geführt — diese Zahlen müssen sich schnellstens ändern; im Interesse der neuen Bundesländer und im Interesse der Exportwirtschaft der gesamten Bundesrepublik. Meine Damen und Herren, wir wissen, daß die Währungsunion und die Einigung die traditionellen Warenströme in und aus den neuen Ländern verlagert hat. Wirtschaftliche Schwierigkeiten in den ehemaligen RGW-Ländern, vor allem der Sowjetunion, sorgen für besondere und vor allem — und dies muß betont werden — unvorhersehbare Härten. Der Wegfall des Transferrubels zur Abwicklung des bisherigen Handels hat einen Aktivsaldo gegenüber der Bundesrepublik entstehen lassen, über den von der Bundesregierung mit der Sowjetunion verhandelt wird. Hinzu kommen in der UdSSR massive Schwierigkeiten mit der Dezentralisierung im administrativen Bereich, z. B. bei der Übertragung des Devisenregimes auf die Republiken. Solche, vorher nicht kalkulierbare, Schwierigkeiten sind es, die den außenwirtschaftlichen Anpassungsprozeß der neuen Länder verzögern und ihren Warenaustausch behindern. Ich frage Sie: Was nützen den neuen Ländern z. B. Schiffe in den Werften, die die Sowjetunion nicht bezahlen kann? Die Verträge mit der Sowjetunion bereiten uns hier besondere Schwierigkeiten. Nicht zuletzt darum wird es wichtig sein, die konkreten Zusagen, die der Sowjetunion gemacht worden sind, auch einzulösen. Hier ist die Glaubwürdigkeit von Politik und Wirtschaft gleichermaßen gefragt. Die Zusagen enthalten Risiken, aber auch positive Optionen. Meine Damen und Herren, wenn ich von der Glaubwürdigkeit von Politik und Wirtschaft spreche, erlauben Sie mir noch einen Hinweis auf ein in der Öffentlichkeit sehr heikles Thema: den Rüstungsexport. Wir haben in den letzten Monaten miteinander gerungen, zügig das Kriegswaffenkontroll- und daß Außenwirtschaftsgesetz zu verschärfen. Die neuen restriktiven Regelungen sind hier beschlossen worden. Jetzt aber müssen wir zu unserer Verwunderung feststellen, daß der Bundesrat das Gesetz aufhält. Ich möchte den Bundesrat darum von dieser Stelle aus nachdrücklich auffordern, seine Einsprüche schnell zu formulieren, denn wir alle wissen: es besteht dringender Handlungsbedarf. Wir haben in diesem Zusammenhang von unserer Seite aus Wert darauf gelegt, daß die personellen und sachlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die notwendigen Genehmigungsverfahren wegen möglicher Wettbewerbsverzerrung zügig durchgeführt werden. Das Bundesministerium für Wirtschaft und das Bundesamt für Wirtschaft sollten nun auch in engster Kooperation die Genehmigungsbegehren behandeln. Es häufen sich die konkreten Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1991 1471* Klagen, daß diese Verfahren äußerst langwierig sind. Dies kann nicht im Interesse unserer Exportwirtschaft sein. Der Bundeswirtschaftsminister hat hier Zusagen gemacht, und ich hoffe, daß die verzögerten Genehmigungen nur Übergangsprobleme sind. Die CDU/ CSU-Fraktion wird auf dieses Problem im Wirtschaftsausschuß und im Plenum zurückkommen. Im übrigen muß die unverhältnismäßige Polemik einzelner Medien aus den Vereinigten Staaten gegen deutsche illegale Rüstungsexporte in den Irak endlich einmal energisch zurückgewiesen werden. Die, die hier pauschal andere verurteilen, haben um ein Vielfaches mehr in den Irak exportiert und daher scheinheilig argumentiert. Ich hoffe, solche berechnende Emotionalisierung wird sich in der Zukunft nicht wiederholen. Es kann nicht angehen, daß die deutsche Wirtschaft prinzipiell zum Sündenbock gemacht wird — gerade von solchen, die sich selbst etwas haben zuschulden kommen lassen. Meine Damen und Herren — ich habe auf die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes hingewiesen. Wie überall zeigt sich gerade im Kontext der wirtschaftlichen Entwicklung, wie sehr wir heute in die europäische Integration eingebunden sind. Nationale Konzepte allein gehören der Vergangenheit an. Der Ministerrat konnte bei über 70% der Vorschläge der EG-Kommission für den Binnenmarkt Einigung erzielen. Nun aber muß die Bundesregierung darauf drängen, das ehrgeizige Binnenmarktprogramm erfolgreich zum Abschluß zu bringen. Dazu sind noch weitere Harmonisierungen und Liberalisierungen bei den — Grenzkontrollen, — den Dienstleistungen, — den indirekten Steuern — und der Abgabenbelastung im Straßenverkehr notwendig. Eine liberale Handelspolitik mit verstärktem Wettbewerb bleibt unabdingbares Ziel. Unzumutbare Härten für die neuen Bundesländer müssen aber abgedämpft werden. Wenn wir auch nachdrücklich für eine wirkungsvolle Kontrolle der Beihilfen eintreten, bleibt doch eines sicher: Die extrem strukturschwachen Regionen der neuen Länder brauchen eine regionalpolitische Unterstützung, die ihnen auf die Beine hilft. Die europäische Leitmaxime der Subsidiarität läßt hier für nationales Handeln genügend Spielraum. Darüber hinaus können die neuen Bundesländer in den Jahren 1991 bis 1993 mit insgesamt 6 Milliarden D-Mark aus dem Gemeinsamen Förderkonzept der Europäischen Gemeinschaft rechnen. Die Europäische Gemeinschaft tut ihr Möglichstes, um die neuen Länder auf das gemeinsame Europa vorzubereiten. Aber auch die Bundesregierung muß hier verstärkt die Initiative ergreifen. So, wie wir den Mittelstand der alten Bundesrepublik durch zahlreiche Initiativen auf den Binnenmarkt vorbereiten, muß dies umso stärker in den neuen Ländern geschehen. Ich fordere darum die Bundesregierung auf, engagiert ensprechende Binnenmarktaktionen anzugehen. Im europäischen Kontext wird es darauf ankommen 1. die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion parallel mit der politischen Union voranzubringen. Der erfolgreiche Abschluß der beiden Regierungskonferenzen ist für die Außenwirtschaft von immenser Wichtigkeit. Die Voraussetzungen sind unantastbar: — Konvergenz der Wirtschaftspolitiken und — ein unabhängiges autonomes Zentralbanksystem, das dem Ziel der Geldwertstabilität verbunden ist. 2. muß eine freiheitliche Welthandels- und Wirtschaftsordnung garantiert sein. Wichtigster Schritt bleibt darum zunächst der Abbau von Subventionen und jeder Form des gedeckten Protektionismus. Beides bedeutet für die Bundesrepublik langfristig eine Existenzfrage. Aus diesem Grunde muß die Bundesregierung alles Erdenkliche tun, um den erfolgreichen Abschluß der Uruguay-Runde im Rahmen des GATT zu erreichen. Nicht nur die USA können von den EG-Ländern eine konsequente Subventionsstreichung erwarten. Auch die Dritte Welt und Südamerika bauen hier auf eine Lösung. Jahrzehntelange, mühsam errungene Erfahrungen des Welthandels sind hier in Gefahr. Viele Länder würden sich nicht mehr ernstgenommen fühlen, wenn die Uruguay-Runde nicht erfolgreich abgeschlossen werden könnte. Afrika, Asien und Lateinamerika wollen am internationalen Welthandel teilhaben, und das GATT muß auf diese Wünsche reagieren. Hier stellen sich für die kommende Zeit große Herausforderungen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß wir die Entwicklungsländer in der Zukunft mehr unterstützen und in den Welthandel integrieren müssen; auch die Einbindung Mittel-, Ost- und Südosteuropas muß im GATT sehr viel intensiver forciert werden. Wir müssen diese Verantwortung ernst nehmen und daneben die hoffnungsvollen Reformen der jungen Demokratie tatkräftig unterstützen. Dies geschieht zum einen im Interesse unserer eigenen Wirtschaft. Zum anderen aber können wir nur so unserer neuen Rolle in Europa und der Welt gerecht werden. Die Entscheidung für demokratische Reformen und damit die Marktwirtschaft beinhaltet für die Staaten im Osten harte Anpassungsphasen und Lernprozesse. Für ein friedliches Europa und einen liberalen Welthandel, an dem alle teilhaben, sind wir verpflichtet, all unsere Kraft einzusetzen. Stellen wir uns dieser verantwortungsvollen Aufgabe! 1472* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1991 Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 22. März 1991 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen. Gesetz zur Änderung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung und bei der Bundesanstalt für Arbeit (BeitrS. RV/BA ÄndG) Erstes Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen (SpTrUG) Gesetz zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt: Der Bundesrat stimmt dem Gesetz zu und begrüßt, daß es nunmehr zusätzliche Ausnahmen vom Restitutionsprinzip vorsieht. Er weist jedoch zu Artikel 12 auf folgendes hin: Die Erweiterung des § 4 Abs. 3 des Umweltrahmengesetzes wird als notwendige Erleichterung der Unternehmensansiedlung und Privatisierung begrüßt. Aus der Freistellung von Grundstücks- und Unternehmensbesitzern von Altlasten werden aber Kosten in einer kaum abschätzbaren Höhe auf die neuen Länder zukommen, die sie bei der gegebenen Finanzsituation nicht allein tragen können. Der Bundesrat hält daher eine substantielle Kostenbeteiligung des Bundes für unerläßlich, um den mit der Regelung angestrebten Abbau von Investitionshemmnissen tatsächlich wirksam werden zu lassen. Weiter erleichtert würde die verwaltungsmäßige Umsetzung des Gesetzes durch die Vorlage eines bundeseinheitlichen Prioritätenkataloges für die Sanierung von Altlasten, einschließlich von Kriterien, nach denen Grundstücke für bestimmte Zeiträume oder auf Dauer von der Altlastensanierungspflicht befreit werden können. Der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung hat mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Drucksache 12/210 Nr. 137 Drucksache 12/269 Nr. 2.31
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    Rede von Dr. Hermann Pohler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich danke für die Erkenntnis. Mir war diese Zahl noch nicht bekannt.
    Einige Bemerkungen zur Treuhand. Die Arbeit der Treuhand insgesamt ist nach Anlaufschwierigkeiten durchaus ein positiver Bestandteil der Arbeitsmarktentwicklung. Allein im ersten Quartal 1991 konnten 150 000 Arbeitsplätze dauerhaft gesichert sowie Investitionen von 8 Milliarden DM vereinbart werden. Insgesamt sind durch die Treuhand 341 000 Arbeitsplätze gesichert und Investitionen von 50 Milliarden DM angeschoben worden. Ich glaube, auch dies muß man bei aller Kritik an die Adresse der Treuhand und bei dem Vorwurf, daß manches schneller gehen könnte, fairerweise einmal feststellen.
    Dies und auch die Tatsache, daß man an den Wochentagen in Leipzig und anderen Städten kaum noch Hotelzimmer erhält, weil sie mit Geschäftsleuten belegt sind, halte ich für ein deutliches Zeichen eines beginnenden Aufschwungs.
    Es sollte auch nicht übersehen werden, daß wir nicht alleinstehen. Auch seitens der Europäischen Gemeinschaften werden erhebliche Kraftanstrengungen beim Aufbau der neuen Länder unternommen. Die Kommission hat kürzlich für die neuen Bundesländer und den Ostteil Berlins ein Konzept beschlossen, das ein Fördervolumen von rund 6,2 Milliarden DM für den Zeitraum 1991 bis 1993 beinhaltet.
    Noch einige Bemerkungen zur Arbeitslosigkeit. Sie ist nicht nur die Folge der Umstrukturierung der Wirtschaft, sondern auch die Folge der vormals nur verdeckten hohen Arbeitslosigkeit, die jetzt immer off ener zutage tritt. Wir sollten aber dennoch nicht verschweigen, daß bereits über eine Million Arbeitsplätze in den neuen Ländern geschaffen wurden und daß diese Menschen damit wieder eine feste Beschäftigung erhalten haben.
    Bei all diesen sichtbaren Erfolgen und ersten Zeichen eines beginnenden Aufschwungs in den neuen Ländern kann und darf die Situation nicht schöngeredet werden. Noch immer gibt es bedeutende Hemmnisse im Bereich der Investitionen und der Wirtschaft. Als ein wesentlicher Störfaktor wird in der Regel die nicht ausreichende Verwaltung genannt. Die Verwaltungshilfe durch die alten Bundesländer will nicht so recht in Gang kommen. Auch der Austausch von Beamten zum Zweck der Qualifizierung hält sich in bescheidenem Rahmen. Ohne massiven Transfer von verwaltungstechnischem Know-how werden die großen Aufgaben jedoch nicht bewältigt werden können.



    Dr. Hermann Pohler
    Bei der Beurteilung dieser Maßnahmen ist allerdings auch zu berücksichtigen, daß sie viel Zeit in Anspruch nehmen, Zeit, die wir in den neuen Ländern nicht haben. Zur Reduzierung des Verwaltungsaufwands sollte daher über eine weitere Vereinfachung gesetzlicher Grundlagen nachgedacht werden. Andernfalls besteht durchaus die Gefahr, daß die für die neuen Länder zur Verfügung gestellten und dringend benötigten Mittel nur teilweise abgerufen werden.
    Ausgehend von den sich abzeichnenden guten Ergebnissen der direkt in die Kommunen gelangten Investitionspauschale sollte auch geprüft werden, ob weitere Mittel aus dem Programm Aufschwung Ost auf gleichem Wege bereitgestellt werden können.
    Dringend notwendig ist auch die Beseitigung der gewaltigen Infrastrukturengpässe. Ich meine, daß das von Minister Krause erarbeitete Konzept, auch auf diesem Gebiet die private Wirtschaft einzubeziehen, nicht uninteressant ist.
    Bezüglich der Fernsprechverbindungen — auch ein nicht unwesentlicher Faktor für die Belebung der Wirtschaft — meine ich, daß Telekom erste Erfolge verbuchen kann. Was vor kurzem noch schwierig war, ist jetzt problemlos möglich, z. B. das Telefonieren zwischen Leipzig und den Regionen der alten Länder. Auch in anderen Städten ist bereits eine spürbare Verbesserung zu verzeichnen.
    Die aufgezeigten ersten Ergebnisse wie auch die noch vorhandenen Probleme zeigen, daß der von uns eingeschlagene marktwirtschaftliche Kurs konsequent beizubehalten und an erster Stelle das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost umzusetzen ist.
    Den Ausschlag für einen schnelleren oder langsameren Erfolg werden jedoch immaterielle Aspekte geben, nämlich die Leistungsbereitschaft, die Kreativität und der Eigenverantwortungswille der Menschen.
    Danke schön.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Helmuth Becker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, es liegen noch zwei Wortmeldungen vor. Nächster Redner ist unser Kollege Gerd Andres.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. h.c. Gerd Andres


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wahr: Über 40 Jahre kommunistische Mißwirtschaft ist für den desolaten Zustand in den fünf neuen Bundesländern verantwortlich. Aber genauso wahr ist, daß diese Bundesregierung entgegen allen Warnungen, entgegen allem ökonomischen, sozialen und finanziellen Sachverstand gemeint hat, allein auf die kapitalistische Marktwirtschaft setzen zu können.
    Meine Damen und Herren von der Koalition und der Bundesregierung, Sie haben verhängnisvolle Fehler gemacht. Dazu gehört die Regelung der Eigentumsfrage als ein Beispiel. Ich sage Ihnen hier: Auch die Kinkel-Regelung hilft hier kaum weiter, weil sich unsere Warnungen in den Anhörungsverfahren, die verfahrensmäßigen Probleme, die sich ergeben, würden die ganze Angelegenheit weiter behindern, bewahrheitet haben.
    Ich sage Ihnen: Das Gesetz zur Förderung von Investitionen wird auch in den vor uns liegenden Wochen und Monaten nicht zu dem von Ihnen gewünschten Erfolg führen. Dazu gehören Regelungen wie die Frage der Altlasten, die Sie im Staatsvertrag getroffen haben; dazu gehören schlichte Unterlassungssünden, die Sie in diesem Hause über Wochen und Monate vorgetragen haben. Ich denke, das, was meine Kolleginnen und Kollegen bisher dazu geäußert haben, ist leider wahr. Aus dieser Verantwortung können Sie sich bei allen schönen Reden nicht herausstehlen.
    Im Jahreswirtschaftsbericht finden wir den bemerkenswerten Satz:
    Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sind wichtige Elemente der Sozialen Marktwirtschaft.
    Es geht weiter mit der Formulierung:
    Im Vordergrund müssen dabei die Verbesserung der Beschäftigungsentwicklung und die Flankierung des Umstellungsprozesses in den neuen Bundesländern stehen.
    Beiden Sätzen stimme ich ausdrücklich zu.
    Aber im gleichen Jahreswirtschaftsbericht verfällt die Bundesregierung in den Fehler, den sie bereits 1990 gemacht hat: Die Entwicklung auf dem gesamtdeutschen Arbeitsmarkt wird geschönt, Risiken werden bagatellisiert. Dies gilt besonders für die Beschäftigungsentwicklung. Aus der Luft gegriffen prognostiziert die Bundesregierung in diesem Jahreswirtschaftsbericht eine Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern zwischen 1,1 und 1,4 Millionen Menschen. Der Bundesarbeitsminister, der bekanntermaßen dem Wirtschaftskabinett angehört, hat bereits in einem Artikel im „Handelsblatt" vom 9./10. Februar die mögliche Arbeitslosigkeit in den fünf neuen Bundesländern auf bis zu 50 % geschätzt.
    Das Sondergutachten der Sachverständigen hat — neben vielen Dingen, die ich massiv kritisieren muß — die Arbeitsmarktentwicklung, wie ich glaube, noch relativ realistisch eingeschätzt. Dort heißt es: Ende 1991 werden vermutlich 1,7 Millionen Personen arbeitslos sein. Die dann folgenden Prognosen sind doch für uns bei einer Debatte des Jahreswirtschaftsberichts besonders wichtig.
    Hier steht:
    Auch bei einem raschen Strukturwandel und einem baldigen Durchbruch der Auftriebskräfte wird sich die Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern nur allmählich, über Jahre hinweg, abbauen. Nicht jeder Arbeitslose wird in das Berufsleben zurückfinden. Langzeitarbeitslosigkeit wird sich herausbilden.
    Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Bei den Erfahrungen mit der westdeutschen Arbeitsmarktentwicklung und einer sich mehr und mehr steigernden Langzeitarbeitslosigkeit ergeben sich daraus bestimmte Schlußfolgerungen, zu denen ich jetzt etwas sagen möchte.
    Ich denke, es ist unbedingt notwendig, in den nächsten Wochen und Monaten Massenentlassungswel-



    Gerd Andres
    len, die die neuen Bundesländern treffen werden, zu verhindern.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Wir werden am 1. Juli die Situation haben, daß 700 000 Menschen aus den Warteschleifen des öffentlichen Dienstes, 400 000 Menschen aus der Landwirtschaft, Hunderttausende aus dem Bergbau und möglicherweise rund 1 Million Menschen aus der metallverarbeitenden Industrie von Arbeitslosigkeit betroffen sein werden, weil die Kündigungsschutzregelungen, die bis jetzt vorhanden sind, dann entfallen.
    In dem Zusammenhang eine Zwischenbemerkung. Ich finde es sozusagen zynisch, und ich finde es doppelzüngig, wenn man solche Regelungen, die die Gewerkschaften in Wahrung ihrer Verantwortung, die sie den Menschen gegenüber haben, dort getroffen haben, in Form einer ideologischen Wadenbeißerei immer öffentlich attackiert, wie Herr Wissmann und andere es getan haben. Ich denke, alle Kraftanstrengungen sind notwendig, um diese Wellen von Massenarbeitslosigkeit, die auf uns zukommen, zu verhindern. Wir müssen verhindern, daß viele Hunderttausende von Menschen in Arbeitslosigkeit versinken, deren Einzelschicksale gesellschaftlich überhaupt nicht mehr erfaßt werden können.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu gehört die Verlängerung der Kurzarbeitergeld-Regelung; dazu gehören ganz massive AB-Maßnahmen. Ich finde es auch doppelzüngig, wenn sich der Herr Grünbeck hier hinstellt und an die freie und Soziale Marktwirtschaft appelliert, die Anfragen beim Messestand der Treuhand zitiert, die ja nichts weiter besagen, als daß es 7 000 Anfragen und nicht 7 000 konkrete Projekte gegeben hat, und gleichzeitig in Seitenbemerkungen, wie die FDP das immer so schön kann, AB-Maßnahmen und andere beschäftigungswirksame Schutzmaßnahmen attackiert. So kommen wir in der Angelegenheit nicht weiter.
    Was mich verrückt macht, ist nicht die Position Privatisierung. Ich bin sehr für Privatisierung; ich würde mir wünschen, viel mehr privates Kapital ginge in die neuen Bundesländer. Was mich verrückt macht, sind die Privatisierungsideologen, die hier immer auftreten und damit andere sinnvolle Schutzmaßnahmen attakkieren und öffentlich zu desavouieren versuchen.
    Für mich gehört auch — dazu hätte ich in der Diskussion eines Jahreswirtschaftsberichtes gerne mehr gehört — eine Verzahnung von regionaler und struktureller Industriepolitik dazu. Wo legt diese Bundesregierung eine Konzeption für Industriepolitik in den neuen Bundesländern vor; wo ist sie bitte?
    Ich bin sehr einverstanden, wenn der Bundeswirtschaftsminister in die Sowjetunion fährt und dort über bestimmte Möglichkeiten, die wir alle für richtig gehalten haben, Aufträge über tausend Eisenbahnwaggons in die neuen Bundesländer holt.
    Aber wo sind entsprechende Maßnahmen für die Maschinenbauindustrie, für die chemische Industrie, für andere große Industriekomplexe, die wir in den
    neuen Bundesländern haben? Wo ist die Konzeption der Bundesregierung, mit einer solchen Maßnahme Standorte zu erhalten? Ich sage ausdrücklich dazu: Es geht nicht darum, diese Standorte auf Dauer durch solche Maßnahmen zu erhalten, weil ich denke, daß Privatisierung sinnvoll sein kann.
    Aber es muß doch jetzt darum gehen, in der Übergangsphase, in den großen Strukturanpassungskrisen dafür zu sorgen, daß nicht ganze Industriestandorte einfach verschwinden. Denn wenn sie einmal platt gemacht worden sind, die Belegschaften sich wegentwickelt haben und in anderen Beschäftigungssektoren landen, ist es nicht mehr möglich, sie irgendwie wieder ins Leben zu rufen.
    Es muß darum gehen, darüber zu streiten und zu diskutieren, welche Unternehmensstandorte, welche Industriestandorte bei möglicherweise zugegebenen betriebswirtschaftlichen Problemen, die sie momentan haben, über bestimmte Phasen hinweg erhalten werden können. Denn wer sagt Ihnen denn, daß ein Unternehmen, das momentan betriebswirtschaftlich nicht rentabel ist, durch entsprechende Stützungs-
    und Hilfsmaßnahmen nicht in einem, anderthalb oder zwei Jahren wieder rentabel arbeiten kann?
    Der Kollege Wolfgang Roth hat viele Beispiele aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland genannt. Ich hielte es für verhängnisvoll, wenn man hier einer ideologischen Auffassung von Marktwirtschaft folgt, die meint, man müsse Privatisierungsprozesse, für die wir uns im Westen in der Folge der Bewältigung von Nachkriegsproblemen 10, 20, 30 und mehr Jahre Zeit gelassen haben, nun in den neuen Bundesländern innerhalb geringer Zeitspannen übers Knie brechen und damit dafür sorgen, daß nicht nur die Menschen in Massenarbeitslosigkeit fallen, sondern auch die industrielle Infrastruktur kaputtgemacht wird.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Dazu gehören auch Stützmaßnahmen für den Osthandel. Ich sage Ihnen: Ich weiß, wovon ich rede. Ich will das einmal im Zusammenhang mit einer sektoralen und strukturpolitischen Frage einfach formulieren: Es gab in der ehemaligen DDR einen großen Produzenten von Filmen. Das ist die Filmfabrik Wolfen, Orwo. Wir wissen, daß die Filmfabrik Orwo personalmäßig hoffnungslos überbesetzt war; darüber streiten wir nicht. Dort sind notwendige Personalanpassungsmaßnahmen zu treffen; sie sind aber sozial flankiert durchzuführen.
    Jetzt stellt sich die Frage: Gibt es Chancen und Möglichkeiten, diesen einzigen Standort der Filmproduktion dort sinnvoll zu erhalten, oder gibt es sie nicht? Da kann man natürlich aus Wettbewerbsgründen mit der schlichten Philosophie herangehen: Das bißchen machen Bayer und andere aus dem Westen doch mit; also machen wir die Fabrik doch platt. Nur gibt es dort ein Potential von Menschen, die in diesem Betrieb über Jahrzehnte gearbeitet haben, die über Produktivkräfte, über Fertigkeiten verfügen, die in diesem Betrieb ihr Arbeitsleben verbracht haben, auch jüngere Menschen.



    Gerd Andres
    Es wäre doch sinnvoll, zu prüfen, ob nicht durch Hilfen und Stützungsmaßnahmen — auch beispielsweise für die Abwicklung von Ostaufträgen — , auch durch staatliche Hilfsmaßnahmen und durch staatliche Politik dieser Industriestandort in einer verkleinerten und sinnvollen Kapazität erhalten bleiben kann.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Wenn man alles den freien Kräften der so Sozialen Marktwirtschaft überläßt, werden viele sinnvolle Standorte, die möglicherweise überleben können, in den nächsten Wochen und Monaten verschwinden.
    Wenn diese Bundesregierung hierzu keine Konzeption vorlegt, trägt sie die Verantwortung dafür, daß hunderttausendfach, millionenfach Menschen in den fünf neuen Bundesländern in die Hoffnungslosigkeit entlassen werden.

    (Abg. Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS/Linke Liste] meldet sich zu einer Zwischenfrage)