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ID1202200600

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    Plenarprotokoll 12/22 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 22. Sitzung Bonn, Freitag, den 19. April 1991 Inhalt: Tagesordnungspunkt 13: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 1991 der Bundesregierung (Drucksache 12/223) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresgutachten 1990/ 1991 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache 11/8472) Jürgen W. Möllemann, Bundesminister BMWi 1421B Wolfgang Roth SPD 1426 D Matthias Wissmann CDU/CSU 1431 B Bernd Henn PDS/Linke Liste 1435 A Josef Grünbeck FDP 1438 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste 1441 B Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 1442 B Rainer Brüderle, Minister des Landes Rheinland-Pfalz 1445 A Wolfgang Roth SPD 1446C, 1460 B Dr. Uwe Jens SPD 1447 B Dr. Walter Hitschler FDP 1449A, 1458D, 1462 C Josef Grünbeck FDP 1450B, 1464 C Rudolf Kraus CDU/CSU 1451 B Dr. Elke Leonhard-Schmid SPD 1453 D Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF 1456 A Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD 1457 C Friedhelm Ost CDU/CSU 1459 D Herbert Meißner SPD 1462 A Dr. Hermann Pohler CDU/CSU 1463 D Gerd Andres SPD 1465 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 1467 B Nächste Sitzung 1468 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1469* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 13 a und b (Jahreswirtschaftsbericht 1991 der Bundesregierung, Jahresgutachten 1990/1991 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) Peter Kittelmann CDU/CSU 1469* D Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 1472* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1991 1421 22. Sitzung Bonn, den 19. April 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 19. 04. 91 Austermann, Dietrich CDU/CSU 19. 04. 91 Börnsen (Börnstrup), CDU/CSU 19. 04. 91 Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 19. 04. 91 Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 19. 04. 91 Burchardt, Ursula SPD 19. 04. 91 Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 19. 04. 91 Peter Harry Clemens, Joachim CDU/CSU 19. 04. 91 Conradi, Peter SPD 19. 04. 91 Daubertshäuser, Klaus SPD 19. 04. 91 Dörflinger, Werner CDU/CSU 19. 04. 91 Doss, Hansjürgen CDU/CSU 19. 04. 91 Ehrbar, Udo CDU/CSU 19. 04. 91 Engelhard, Hans A. FDP 19. 04. 91 Eylmann, Horst CDU/CSU 19. 04. 91 Feilcke, Jochen CDU/CSU 19. 04. 91 Fuchs (Köln), Anke SPD 19. 04. 91 Gattermann, Hans H. FDP 19. 04. 91 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 19. 04. 91 Genscher, Hans Dietrich FDP 19. 04. 91 Gerster (Mainz), CDU/CSU 19. 04. 91 Johannes Dr. Glotz, Peter SPD 19. 04. 91 Dr. Götte, Rose SPD 19. 04. 91 Graf, Günter SPD 19. 04. 91 Haack (Extertal), SPD 19. 04. 91 Karl-Hermann Hämmerle, Gerlinde SPD 19. 04. 91 Hampel, Manfred Eugen SPD 19. 04. 91 Dr. Haussmann, Helmut FDP 19. 04. 91 Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 19. 04. 91 Ibrügger, Lothar SPD 19. 04. 91 Jaunich, Horst SPD 19. 04. 91 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 19. 04. 91 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 19. 04. 91 Jungmann (Wittmoldt), SPD 19. 04. 91 Horst Kiechle, Ignaz CDU/CSU 19. 04. 91 Klinkert, Ulrich CDU/CSU 19. 04. 91 Köhler (Hainspitz), CDU/CSU 19. 04. 91 Hans-Ulrich Kohn, Roland FDP 19. 04. 91 Kolbe, Manfred CDU/CSU 19. 04. 91 Koltzsch, Rolf SPD 19. 04. 91 Koschnik, Hans SPD 19. 04. 91 Kossendey, Thomas CDU/CSU 19. 04. 91 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 19. 04. 91 Günther Dr. Graf Lambsdorff, Otto FDP 19. 04. 91 Lamers, Karl CDU/CSU 19. 04. 91 Leidinger, Robert SPD 19. 04. 91 Dr. Leonhard-Schmid, SPD 19. 04. 91 Elke Lohmann (Witten), Klaus SPD 19. 04. 91 Lowack, Ortwin CDU/CSU 19. 04. 91 Mascher, Ulrike SPD 19. 04. 91 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Meckel, Markus SPD 19. 04. 91 Meckelburg, Wolfgang CDU/CSU 19. 04. 91 Dr. Mertens (Bottrop), SPD 19. 04. 91 Franz-Josef Müller (Pleisweiler), SPD 19. 04. 91 Albrecht Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 19. 04. 91 Ostertag, Adolf SPD 19. 04. 91 Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 19. 04. 91 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 19. 04. 91 Pützhofen, Dieter CDU/CSU 19. 04. 91 Rappe (Hildesheim), SPD 19. 04. 91 Hermann Rauen, Peter Harald CDU/CSU 19. 04. 91 Reschke, Otto SPD 19. 04. 91 Reuschenbach, Peter W. SPD 19. 04. 91 Dr. Riedl (München), CDU/CSU 19. 04. 91 Erich Schäfer (Mainz), Helmut FDP 19. 04. 91 Schaich-Walch, Gudrun SPD 19. 04. 91 Schmalz-Jacobsen, FDP 19. 04. 91 Cornelia Schmidbauer (Nürnberg), SPD 19. 04. 91 Horst Schmidt (Aachen), Ursula SPD 19. 04. 91 Schmidt (Nürnberg), SPD 19. 04. 91 Renate Schmidt (Spiesen), Trudi CDU/CSU 19. 04. 91 Schmidt-Zadel, Regina SPD 19. 04. 91 Seehofer, Horst CDU/CSU 19. 04. 91 Skowron, Werner H. CDU/CSU 19. 04. 91 Dr. Sperling, Dietrich SPD 19. 04. 91 Spilker, Karl-Heinz CDU/CSU 19. 04. 91 Stiegler, Ludwig SPD 19. 04. 91 Voigt (Frankfurt), SPD 19. 04. 91 Karsten D. Dr. Voigt (Nordheim), CDU/CSU 19. 04. 91 Hans-Peter Vosen, Josef SPD 19. 04. 91 Welt, Hans-Joachim SPD 19. 04. 91 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 19. 04. 91 Wieczorek-Zeul, SPD 19.04.91 Heidemarie Wimmer (Neuötting), SPD 19. 04. 91 Hermann Wittmann (Tännesberg), CDU/CSU 19. 04. 91 Simon Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 13 a, b (Jahreswirtschaftsbericht 1991 der Bundesregierung, Jahresgutachten 1990/1991 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) Peter Kittelmann (CDU/CSU): Der Jahreswirtschaftsbericht 1991 steht ganz im Zeichen der deut- 1470* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1991 schen Einigung im vergangenen Jahr. Nachdem die Mauer gefallen und die politische Einheit vollzogen ist, gilt es nun, die wirtschaftliche Mauer einzureißen und die Wohlstandsbarriere zwischen den neuen und alten Ländern aufzuheben. Mit dem 1. Januar 1993 öffnen sich darüber hinaus weitere Schranken — der gemeinsame Markt Europas entsteht. Unser gemeinsames Ziel ist darum: 1. gleiche Lebensverhältnisse für die Menschen in ganz Deutschland herzustellen und 2. die neuen Länder mit der wirtschaftlichen Schubkraft der alten Bundesrepublik auf den Binnenmarkt vorzubereiten; ein ebenso ehrgeiziges wie notwendiges Ziel. Unsere Ausgangsposition ist trotz aller zu überwindender Durststrecken eine denkbar gute. Die äußerst dynamische und leistungsfähige deutsche Wirtschaft kann sich der Herausforderung stellen. Auch nach der Einigung zeigt sich die Bundesrepublik im Vergleich der westlichen Industrieländer immer noch extrem preisstabil. Veränderungen zeigen sich hingegen für den bisherigen Exportweltmeister Bundesrepublik in der Ein- und Ausfuhr. Hier zeigt sich die Bilanz von — verstärktem Import (einer Steigerung um 4,7 %) — und nur noch leicht ansteigendem Export (2,2 %) geprägt. Mit dem Abbau der Leistungsbilanz, die stark durch den rückläufigen Export bedingt ist, entspricht die Bundesrepublik — zwangsweise — den Forderungen ihrer Handelspartner. Die europäischen Partner haben wiederholt nach einer deutschen Anpassung verlangt, um ihrerseits von einem daraus resultierenden Wachstumsimpuls zu profitieren. Die für den Abbau des Überschusses verantwortliche Binnennachfrage hat unterdessen in den Unternehmen der deutschen Industrie für Hochstimmung gesorgt, die sich mit Sicherheit positiv auf die Investitionsentwicklung auswirken wird. Von diesem Wachstumsprozeß müssen nun die neuen Länder profitieren. Dort muß den erheblichen Beschäftigungseinbußen durch neu zu schaffende Arbeitsplätze, vor allem in der Bauwirtschaft und dem Dienstleistungssektor, entgegengewirkt werden. Auch wenn viele unserer Bürger aus den neuen Ländern enttäuscht und mit den bestehenden Verhältnissen — zu Recht meine Damen und Herren — unzufrieden sind, muß doch eines klar sein: Die aktuelle wirtschaftliche Lage, wie sie sich den Bürgern der neuen Länder zeigt, ist Resultat einer sozialistischen Kommando- und Planwirtschaft und deren einseitiger Ausrichtung. Die so strukturierte Wirtschaft hätte in jedem Falle in die wirtschaftliche Katastrophe geführt — die Situation ohne Einigung wäre weit fataler als heute. Nun wird es darauf ankommen, den neuen Ländern zu einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft zu verhelfen, die sie nicht nur am Wohlstand teilhaben läßt, sondern auch für den Binnenmarkt Ende '92 rüstet. — Die reduzierten Beziehungen mit den ehemaligen COMECON-Staaten, — die mangelnde europäische und internationale Wettbewerbsfähigkeit — und das fehlende Kapital haben in den neuen Ländern zu einem Einfuhrrückgang von 44,5 % und einem Ausfuhrrückgang von 7,4 % gegenüber dem Vorjahr geführt — diese Zahlen müssen sich schnellstens ändern; im Interesse der neuen Bundesländer und im Interesse der Exportwirtschaft der gesamten Bundesrepublik. Meine Damen und Herren, wir wissen, daß die Währungsunion und die Einigung die traditionellen Warenströme in und aus den neuen Ländern verlagert hat. Wirtschaftliche Schwierigkeiten in den ehemaligen RGW-Ländern, vor allem der Sowjetunion, sorgen für besondere und vor allem — und dies muß betont werden — unvorhersehbare Härten. Der Wegfall des Transferrubels zur Abwicklung des bisherigen Handels hat einen Aktivsaldo gegenüber der Bundesrepublik entstehen lassen, über den von der Bundesregierung mit der Sowjetunion verhandelt wird. Hinzu kommen in der UdSSR massive Schwierigkeiten mit der Dezentralisierung im administrativen Bereich, z. B. bei der Übertragung des Devisenregimes auf die Republiken. Solche, vorher nicht kalkulierbare, Schwierigkeiten sind es, die den außenwirtschaftlichen Anpassungsprozeß der neuen Länder verzögern und ihren Warenaustausch behindern. Ich frage Sie: Was nützen den neuen Ländern z. B. Schiffe in den Werften, die die Sowjetunion nicht bezahlen kann? Die Verträge mit der Sowjetunion bereiten uns hier besondere Schwierigkeiten. Nicht zuletzt darum wird es wichtig sein, die konkreten Zusagen, die der Sowjetunion gemacht worden sind, auch einzulösen. Hier ist die Glaubwürdigkeit von Politik und Wirtschaft gleichermaßen gefragt. Die Zusagen enthalten Risiken, aber auch positive Optionen. Meine Damen und Herren, wenn ich von der Glaubwürdigkeit von Politik und Wirtschaft spreche, erlauben Sie mir noch einen Hinweis auf ein in der Öffentlichkeit sehr heikles Thema: den Rüstungsexport. Wir haben in den letzten Monaten miteinander gerungen, zügig das Kriegswaffenkontroll- und daß Außenwirtschaftsgesetz zu verschärfen. Die neuen restriktiven Regelungen sind hier beschlossen worden. Jetzt aber müssen wir zu unserer Verwunderung feststellen, daß der Bundesrat das Gesetz aufhält. Ich möchte den Bundesrat darum von dieser Stelle aus nachdrücklich auffordern, seine Einsprüche schnell zu formulieren, denn wir alle wissen: es besteht dringender Handlungsbedarf. Wir haben in diesem Zusammenhang von unserer Seite aus Wert darauf gelegt, daß die personellen und sachlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die notwendigen Genehmigungsverfahren wegen möglicher Wettbewerbsverzerrung zügig durchgeführt werden. Das Bundesministerium für Wirtschaft und das Bundesamt für Wirtschaft sollten nun auch in engster Kooperation die Genehmigungsbegehren behandeln. Es häufen sich die konkreten Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1991 1471* Klagen, daß diese Verfahren äußerst langwierig sind. Dies kann nicht im Interesse unserer Exportwirtschaft sein. Der Bundeswirtschaftsminister hat hier Zusagen gemacht, und ich hoffe, daß die verzögerten Genehmigungen nur Übergangsprobleme sind. Die CDU/ CSU-Fraktion wird auf dieses Problem im Wirtschaftsausschuß und im Plenum zurückkommen. Im übrigen muß die unverhältnismäßige Polemik einzelner Medien aus den Vereinigten Staaten gegen deutsche illegale Rüstungsexporte in den Irak endlich einmal energisch zurückgewiesen werden. Die, die hier pauschal andere verurteilen, haben um ein Vielfaches mehr in den Irak exportiert und daher scheinheilig argumentiert. Ich hoffe, solche berechnende Emotionalisierung wird sich in der Zukunft nicht wiederholen. Es kann nicht angehen, daß die deutsche Wirtschaft prinzipiell zum Sündenbock gemacht wird — gerade von solchen, die sich selbst etwas haben zuschulden kommen lassen. Meine Damen und Herren — ich habe auf die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes hingewiesen. Wie überall zeigt sich gerade im Kontext der wirtschaftlichen Entwicklung, wie sehr wir heute in die europäische Integration eingebunden sind. Nationale Konzepte allein gehören der Vergangenheit an. Der Ministerrat konnte bei über 70% der Vorschläge der EG-Kommission für den Binnenmarkt Einigung erzielen. Nun aber muß die Bundesregierung darauf drängen, das ehrgeizige Binnenmarktprogramm erfolgreich zum Abschluß zu bringen. Dazu sind noch weitere Harmonisierungen und Liberalisierungen bei den — Grenzkontrollen, — den Dienstleistungen, — den indirekten Steuern — und der Abgabenbelastung im Straßenverkehr notwendig. Eine liberale Handelspolitik mit verstärktem Wettbewerb bleibt unabdingbares Ziel. Unzumutbare Härten für die neuen Bundesländer müssen aber abgedämpft werden. Wenn wir auch nachdrücklich für eine wirkungsvolle Kontrolle der Beihilfen eintreten, bleibt doch eines sicher: Die extrem strukturschwachen Regionen der neuen Länder brauchen eine regionalpolitische Unterstützung, die ihnen auf die Beine hilft. Die europäische Leitmaxime der Subsidiarität läßt hier für nationales Handeln genügend Spielraum. Darüber hinaus können die neuen Bundesländer in den Jahren 1991 bis 1993 mit insgesamt 6 Milliarden D-Mark aus dem Gemeinsamen Förderkonzept der Europäischen Gemeinschaft rechnen. Die Europäische Gemeinschaft tut ihr Möglichstes, um die neuen Länder auf das gemeinsame Europa vorzubereiten. Aber auch die Bundesregierung muß hier verstärkt die Initiative ergreifen. So, wie wir den Mittelstand der alten Bundesrepublik durch zahlreiche Initiativen auf den Binnenmarkt vorbereiten, muß dies umso stärker in den neuen Ländern geschehen. Ich fordere darum die Bundesregierung auf, engagiert ensprechende Binnenmarktaktionen anzugehen. Im europäischen Kontext wird es darauf ankommen 1. die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion parallel mit der politischen Union voranzubringen. Der erfolgreiche Abschluß der beiden Regierungskonferenzen ist für die Außenwirtschaft von immenser Wichtigkeit. Die Voraussetzungen sind unantastbar: — Konvergenz der Wirtschaftspolitiken und — ein unabhängiges autonomes Zentralbanksystem, das dem Ziel der Geldwertstabilität verbunden ist. 2. muß eine freiheitliche Welthandels- und Wirtschaftsordnung garantiert sein. Wichtigster Schritt bleibt darum zunächst der Abbau von Subventionen und jeder Form des gedeckten Protektionismus. Beides bedeutet für die Bundesrepublik langfristig eine Existenzfrage. Aus diesem Grunde muß die Bundesregierung alles Erdenkliche tun, um den erfolgreichen Abschluß der Uruguay-Runde im Rahmen des GATT zu erreichen. Nicht nur die USA können von den EG-Ländern eine konsequente Subventionsstreichung erwarten. Auch die Dritte Welt und Südamerika bauen hier auf eine Lösung. Jahrzehntelange, mühsam errungene Erfahrungen des Welthandels sind hier in Gefahr. Viele Länder würden sich nicht mehr ernstgenommen fühlen, wenn die Uruguay-Runde nicht erfolgreich abgeschlossen werden könnte. Afrika, Asien und Lateinamerika wollen am internationalen Welthandel teilhaben, und das GATT muß auf diese Wünsche reagieren. Hier stellen sich für die kommende Zeit große Herausforderungen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß wir die Entwicklungsländer in der Zukunft mehr unterstützen und in den Welthandel integrieren müssen; auch die Einbindung Mittel-, Ost- und Südosteuropas muß im GATT sehr viel intensiver forciert werden. Wir müssen diese Verantwortung ernst nehmen und daneben die hoffnungsvollen Reformen der jungen Demokratie tatkräftig unterstützen. Dies geschieht zum einen im Interesse unserer eigenen Wirtschaft. Zum anderen aber können wir nur so unserer neuen Rolle in Europa und der Welt gerecht werden. Die Entscheidung für demokratische Reformen und damit die Marktwirtschaft beinhaltet für die Staaten im Osten harte Anpassungsphasen und Lernprozesse. Für ein friedliches Europa und einen liberalen Welthandel, an dem alle teilhaben, sind wir verpflichtet, all unsere Kraft einzusetzen. Stellen wir uns dieser verantwortungsvollen Aufgabe! 1472* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1991 Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 22. März 1991 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen. Gesetz zur Änderung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung und bei der Bundesanstalt für Arbeit (BeitrS. RV/BA ÄndG) Erstes Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen (SpTrUG) Gesetz zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt: Der Bundesrat stimmt dem Gesetz zu und begrüßt, daß es nunmehr zusätzliche Ausnahmen vom Restitutionsprinzip vorsieht. Er weist jedoch zu Artikel 12 auf folgendes hin: Die Erweiterung des § 4 Abs. 3 des Umweltrahmengesetzes wird als notwendige Erleichterung der Unternehmensansiedlung und Privatisierung begrüßt. Aus der Freistellung von Grundstücks- und Unternehmensbesitzern von Altlasten werden aber Kosten in einer kaum abschätzbaren Höhe auf die neuen Länder zukommen, die sie bei der gegebenen Finanzsituation nicht allein tragen können. Der Bundesrat hält daher eine substantielle Kostenbeteiligung des Bundes für unerläßlich, um den mit der Regelung angestrebten Abbau von Investitionshemmnissen tatsächlich wirksam werden zu lassen. Weiter erleichtert würde die verwaltungsmäßige Umsetzung des Gesetzes durch die Vorlage eines bundeseinheitlichen Prioritätenkataloges für die Sanierung von Altlasten, einschließlich von Kriterien, nach denen Grundstücke für bestimmte Zeiträume oder auf Dauer von der Altlastensanierungspflicht befreit werden können. Der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung hat mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Drucksache 12/210 Nr. 137 Drucksache 12/269 Nr. 2.31
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    Rede von Matthias Wissmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses ist der erste Jahreswirtschaftsbericht, der sich mit der Wirtschaft in ganz Deutschland beschäftigt. Deswegen müssen wir hier jene Kontrastsituation analysieren, die sich in West- und Ostdeutschland gegenwärtig wirtschaftlich darstellt. Die westdeutsche Wirtschaft erlebt in den alten Bundesländern das neunte Jahr einer ausgeprägten Hochkonjunktur.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da gab es auch mal Minuswachstum!)

    Anhaltendes Wirtschaftswachstum, hohe Preisstabilität prägen die wirtschaftliche Entwicklung.
    Gestern noch hat der Zentralverband des Deutschen Handwerks mitgeteilt, daß allein im deutschen Handwerk 600 000 Stellen offen sind, 200 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen.

    (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    Mit anderen Worten, Westdeutschland ist die Konjunkturlokomotive Europas und mehr denn je eine der besten Wirtschaftsadressen in der Welt. Diese wirtschaftliche Dynamik brauchen wir auch, wenn wir die großen Herausforderungen in den neuen Bundesländern, die noch in einer wirtschaftlichen Talsohle stekken, bewältigen wollen.
    Es zeigen sich dort — wir haben das erst in diesen Tagen bei einem Besuch in Erfurt und Jena erlebt —
    große Umstellungsschwierigkeiten. Aber wen kann das verwundern? Ich meine, wir sollten aus unserer Verantwortung gegenüber den Mitbürgern in den neuen Bundesländern unbequeme Wahrheiten über den Zustand der ostdeutschen Wirtschaft offen aussprechen und dennoch den Menschen Mut für die Zukunft machen und ihnen für den zunächst dornigen Weg in die Marktwirtschaft eine positive Perspektive vermitteln.
    Herr Kollege Roth, ich halte auch nichts von Theoriediskussionen über Markt und Staat, sondern was wir brauchen ist ein gemeinsames unideologisches Anpacken. Der Markt ist der Kern einer freien Wirtschaftsordnung. Trotzdem weiß doch jeder, daß mit den Mitteln des Marktes allein die Herausforderung drüben nicht zu stemmen ist.

    (Dr. Uwe Jens [SPD]: Das steht im Godesberger Programm!)

    Wer es genau nachlesen will, der muß sich Ludwig Erhards berühmten Wiedervereinigungsartikel aus dem Jahre 1953 noch einmal vor Augen führen. Ludwig Erhard sagt dort:
    Die Produktivität der ostdeutschen Wirtschaft ist so rasch und so energisch zu bessern, daß der Prozeß der Leistungsangleichung auch zeitlich so kurz wie möglich bemessen werden kann.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das gilt heute noch!)

    Er sagt dann:
    Privates und öffentliches Kapital ist in ausreichendem Maße zu mobilisieren. Der Wirtschaft des Ostens muß der Staat dazu Hilfestellung geben.
    Also lassen wir doch die künstlichen Debatten weg — die helfen den Menschen nicht — , sondern schauen wir, daß wir an den Stellen anpacken, an denen die Herausforderungen am größten sind.
    Noch ein Wort zu manchen Demonstrationen der letzten Tage und zu manchen Bemerkungen auch aus Ihren Reihen: Versuchen Sie nicht, die Schwierigkeiten drüben damit zu begründen, daß wir jetzt die Wende zu Demokratie und Marktwirtschaft gemeinsam, West- und Ostdeutsche zusammen, unternehmen, sondern machen wir gemeinsam klar: Was wir hier vorfinden, ist ein Erbe von 40 Jahren Planwirtschaft und nicht von wenigen Monaten Marktwirtschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Kommunistische Kumpanei und Korruption!)

    Wer in diesen Tagen in Erfurt oder Dresden, in Schwerin oder Magdeburg Gespräche führt und Informationen sammelt, der bekommt die Sünden der alten Kommandowirtschaft in vollem Umfang zu spüren: die jahrzehntelange Abschottung gegen internationale Konkurrenz, die Vernachlässigung der Infrastruktur, die totale Bürokratisierung aller Lebensbereiche. Die hohe verdeckte Arbeitslosigkeit aus alten DDR-Tagen spiegelt sich jetzt in der Freisetzung von Arbeitskräften und in Kurzarbeit wider. Ganz besonders ungünstig wirkt sich der weitgehende Zusam-



    Matthias Wissmann
    menbruch der traditionellen Lieferbeziehungen zu den bisherigen RGW-Staaten aus.
    Aber es gibt nicht nur Schatten, sondern auch erstes Licht in der Wirtschaft der neuen Bundesländer. So hat seit Anfang 1990 rund 1 Million Menschen eine neue Beschäftigung gefunden. Über 300 000 Gewerbe sind in dieser Zeit neu angemeldet worden. Mit den bisherigen Privatisierungen der Treuhandanstalt sind 340 000 Arbeitsplätze gesichert und Investitionen in Höhe von 50 Milliarden DM angeschoben worden.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das sieht etwas anders aus, Herr Roth!)

    Herr Roth hat soeben von der Baunachfrage gesprochen. Natürlich wissen wir, daß die Schwierigkeiten noch groß sind. Aber gerade in diesen Tagen sagt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung auf Grund neuester Zahlen: Es gibt erste Anzeichen dafür, daß die Talsohle der Baunachfrage durchschritten wird. Das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, insbesondere die an die Gemeinden überwiesenen 5 Milliarden DM, helfen mit, daß jetzt auch die notwendigen öffentlichen Investitionen in Gang kommen, die wir gemeinsam dringend brauchen.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Herr Roth weiß, daß auch bei uns im Winter nicht gebaut wird!)

    Eine der Schlüsselfragen wird natürlich sein: Wie kommen die Verantwortlichen der Treuhand mit Privatisierung und Sanierung voran? Wenn man diesen etwas künstlichen Streit auf die Substanz zurückführen will, hilft ein Zitat des Sozialdemokraten Manfred Stolpe, der in diesen Tagen in einem Interview gesagt hat: Die beste Sanierung ist die Privatisierung,

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Ein guter Mann! — Zuruf des Abg. Wolfgang Roth [SPD])

    und der darauf hingewiesen hat, daß es jetzt — Herr Roth, das ist vielleicht auch für Sie wichtig — nicht darum geht, zu jammern, sondern darum, anzupakken.

    (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Und mitzuhelfen!)

    Er sagt: Wir schaffen es; wir brauchen keine große Koalition; wir brauchen den gemeinsamen Willen für das Aufbauwerk Ost. Und er schreibt dann manchen Demonstrationsagitatoren, auch der letzten Tage, ins Stammbuch: Ich rate den Gewerkschaften zu mehr Sensibilität im Umgang mit den neuen Bundesbürgern; ich warne vor Verhetzung und Demagogie; es darf kein Spiel mit dem Feuer werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wenn das die Grundlage für Gespräche zwischen der Regierung und den Sozialdemokraten ist, dann sind solche Gespräche nützlich. Aber es geht nicht an, Gespräche zu wollen und gleichzeitig an anderer Stelle Feuer anzuheizen. Wir wollen gemeinsam an Punkten anpacken, in denen wir Gemeinsames leisten können.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist das alte Spiel! — Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Das wird doch immer wieder versucht: Hier salbungsvoll und dort anders!)

    Die Treuhand benötigt bei Kaufangeboten, bei Privatisierungsverfahren und Entscheidungsträgern noch mehr Transparenz. Mit ihrer in der letzten Woche vorgestellten Unternehmensbörse und dem Mittelstandskonzept stellt die Treuhand die Weichen richtig. Sie schafft den Wettbewerb, der bei 3 000 Kaufangeboten von Mittelständlern nötig ist, um marktgerechte Preise und sinnvolle Unternehmenskonzeptionen zu entwickeln.
    Aber wir meinen, es können einige zusätzliche Schritte unternommen werden, um Sanierung und Privatisierung voranzubringen. Beispielsweise müssen noch mehr Investmentbanken oder Unternehmensmakler als bisher eingeschaltet werden, um durch Einbeziehung externen Sachverstands den Kreis potentieller Kaufinteressenten zu vergrößern. Darüber hinaus könnten für bestimmte Betriebe mehr als bisher Versteigerungsverfahren genutzt werden oder könnte das „management buy out" forciert werden, damit ein aktiver Mittelstand entstehen kann.
    Es hat mich in diesen Tagen in Thüringen tief beeindruckt, mit Vertretern großer Betriebe und den Managern dort und mit den Ausgründern und den Mittelständlern zu sprechen. Ich sage Ihnen ganz offen: Auf uns alle, die dort waren, hat am meisten jener mittelständische Geist Eindruck gemacht, der sich etwa in folgenden Worten eines der Ausgründer ausdrückte: Wir vertrauen auf unsere eigene Kraft; wir rufen nicht in erster Linie nach dem Staat; wir wollen mit Eigeninitiative den Weg machen; und ihr müßt dafür sorgen, daß die bürokratischen Fesseln beseitigt werden. Genau das ist richtig. Das ist der Weg in die Zukunft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ebenso sind die Möglichkeiten der Mitarbeiterbeteiligung stärker als bisher einzubeziehen. Wir können nicht im Westen die Beteiligung von Arbeitnehmern am Produktivkapital fördern und sie bei der Privatisierung im Osten ablehnen.
    Mehr und mehr an Bedeutung gewinnt in diesem Jahr die Privatisierung des von der ehemaligen DDR-Regierung übernommenen Grund und Bodens. Wir begrüßen die von der Bundesregierung beschlossenen Beschleunigungsmaßnahmen. Sie geben Städten und Kommunen die Möglichkeit, z. B. eine Vielzahl von bisher militärisch genutzten Objekten wie Kasernen oder Standortverwaltungen zusammen mit dem Bundesvermögensamt umgehend zu privatisieren.
    Eines ist aber auch klar geworden: Nötig sind dabei noch zügigere Verfahrens- und Entscheidungsabläufe. Die langwierigen Genehmigungsverfahren, die wir im Westen gewohnt sind, dürfen kein Maßstab für die Entscheidungen in den fünf neuen Bundesländern sein; denn gerade auf solchen bisher staatlichen Grundstücken können Gewerbeflächen, Gewerbehöfe , Handwerkerhöfe, Technologieparks entstehen, kann die Grundlage für einen Aufschwung auch und gerade im Mittelstand geschaffen werden. Dafür müssen jetzt die Breschen geschlagen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Matthias Wissmann
    Die Bundesregierung legt zu Recht auch auf die Sanierungsarbeit der Treuhandanstalt Gewicht. Wichtig ist, daß die Treuhand nun eine Auflistung der Betriebe nach ihrer Wettbewerbsfähigkeit vornimmt und die Sanierungskonzepte ständig durch unabhängige Sachverständige überprüfen läßt.
    Für eine kompetente Führung vieler Treuhandunternehmen müssen noch mehr erfahrene Manager gewonnen werden. Auch das sage ich ganz offen — das spürt man ja auch in Gesprächen mit vielen Arbeitnehmern drüben — : Noch zu häufig finden sich in der Führung von Betrieben die alten Wendehälse,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

    die außer Anpassungsfähigkeit wenig zu bieten haben. Ich verstehe die Empörung mancher Bürger in den neuen Bundesländern, wenn nicht selten — um die Sprache zu gebrauchen, die man dort hört — die alten roten Socken zuerst jene Mitarbeiter entlassen, die schon immer eine eigene Meinung hatten.
    Deswegen ist es notwendig, daß viele gute Leute aus dem mittleren Management drüben, aus der zweiten, dritten und vierten Reihe, jetzt eine Chance in der ersten Reihe des Managements bekommen und auf diese Weise Talente gefördert werden. Diese Leute aus dem mittleren Management müssen zusammen mit erfahrenen Managern aus dem Westen die Chance bekommen, Unternehmenskonzepte zu entwickeln, zu privatisieren, zu sanieren; denn, Herr Kollege Roth, daß die Treuhand für 6 000 Unternehmen eigene Unternehmenskonzepte entwickeln kann, ohne auf die Kenntnis in den Betrieben zurückzugreifen, halte ich schlichtweg für unmöglich. Es muß von unten kommen und von oben koordiniert werden, damit daraus ein sinnvolles Konzept wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Gegenwärtig wird viel darüber diskutiert, was getan werden kann, um Industriestrukturen drüben zu erhalten und die fünf neuen Bundesländer auch als Standort für Industrieproduktionen in die Zukunft zu führen. Jedermann, der die Dinge kennt, weiß: Es wird sehr bald einen Aufschwung im Gewerbe, im Handel, im Mittelstand, im Handwerk geben. Aber die große Herausforderung ist: Wie erhalten wir die fünf neuen Bundesländer als Standort für Industrieproduktionen?

    (Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS/Linke Liste]: Sehr richtig!)

    Wie verhindern wir, daß die fünf neuen Bundesländer einfach zur verlängerten Werkbank des Westens werden?

    (Albert Pfuhl [SPD]: Dann sage es einmal! — Wolfgang Roth [SPD]: Jetzt reden Sie ja wie ich vor einem Jahr!)

    Ich sage ganz deutlich: Das beste Konzept dafür ist nicht sektorale Strukturpolitik, also das, was wir aus dem Westen kennen, was wir bei Luftfahrt, Kohle, Werften in den letzten Jahrzehnten schlecht und recht bewältigt haben. Was wir vielmehr brauchen, ist eine innovative regionale Strukturpolitik, die etwa in Räumen wie Erfurt und Jena oder an der Küste

    (Wolfgang Roth [SPD]: Das ist doch sektoral!)

    oder in Chemnitz und Dresden den Teil der Industrieproduktion, der auf Dauer eine Chance hat, jetzt über die schwierigen Monate hinwegführt, dabei auch staatlich assistiert, aber mit dem Ziel, Hilfen für den Übergang, nicht Hilfen für eine lange Zeit zu geben. Subventionen sind sinnvoll, wenn sie Strukturen entwickeln, die sich im Markt behaupten können, aber nicht sinnvoll, wenn sie auf immer und ewig angelegt sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Wer bestreitet das denn?)

    Wir bitten den Bundeswirtschaftsminister, ein Konzept für eine solche innovative Regionalpolitik zusammen mit den Bundesländern „drüben" zu entwickeln. Denn das Ziel muß sein, auch in den fünf neuen Bundesländern relevante Produktionsstandorte im Interesse der Menschen zu erhalten.
    Meine Damen und Herren, jetzt geht es darum, daß das Geld des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost schnell umgesetzt wird und Investitionsvorhaben zügig realisiert werden. Das notwendige Geld steht zur Verfügung.
    Das Nadelöhr sind jetzt die Verwaltungsprobleme. 10 000 Beamte aus den alten Bundesländern arbeiten bisher in Ostdeutschland. Aber zwischen 20 000 und 40 000 erfahrene Verwaltungsfachleute werden vorübergehend benötigt werden, um die Aufbauarbeit zusammen mit den Menschen dort zu leisten.
    Ich begrüße die Einrichtung der Aufbaustäbe. Nun gilt es aber, unkonventionelle Wege zu gehen, um die Verwaltungsabläufe zu beschleunigen. Dazu gehört beispielsweise die vorübergehende Übernahme bestimmter Verwaltungsaufgaben, z. B. die Aufarbeitung der Grundbücher und die Durchführung von Planfeststellungsverfahren durch Kommunen, Städte und Landkreise in den alten Bundesländern.
    Der Aufbau benötigt Verwaltungsexperten aus den alten Bundesländern, die die Geschäftsbesorgung in den Entscheidungsgremien der Kommunen, Städte und Landkreise in den neuen Ländern zeitweise durchführen — nicht um sich als „Besser-Wessis" aufzuspielen, sondern um den Menschen „drüben" partnerschaftlich zu helfen, damit der Aufbau bewerkstelligt werden kann. Denn ohne effiziente Verwaltungen werden Investitionen nicht zügig umgesetzt werden. Wir brauchen die notwendigen Schritte bald und sind froh über die Vorschläge des Innenministers, die jetzt umgesetzt werden können, um die Dinge zu verbessern.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber die Entscheidung muß vorher getroffen werden! — Wolfgang Roth [SPD]: Also brauchen wir eine Bürokratie, um eine private Wirtschaft funktionieren zu lassen!)

    Meine Damen und Herren, wer Eigeninitiative stärken, den Eigentumsgedanken verankern und die Konjunktur ankurbeln will, muß dafür sorgen, daß möglichst viele Wohnungen „drüben" möglichst schnell privatisiert werden.



    Matthias Wissmann
    Die Stadt Freital in Sachsen hat sich in vorbildlicher Weise entschlossen, 11 000 von 20 000 städtischen Wohnungen zu verkaufen.

    (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Zwischen 60 % und 100 % der bisherigen Mieter dieser Häuser sind bereit, die Wohnungen zu niedrigen Preisen zu erwerben und sie schnellstens zu modernisieren. Ein solches Konzept schafft Wohnungseigentum und reduziert die Energiekosten. Denn eines ist klar: Wenn die neuen Eigentümer ihre Wohnungen nun renovieren, regen sie die Nachfrage nach Baustoffen an und geben so der Bauwirtschaft, insbesondere dem Bauhandwerk, neuen Schwung. Dieses Modell sollte Schule machen.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ja!)

    2,8 Millionen Wohnungen befanden sich Ende 1989 in der Hand des SED-Staates.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Unvorstellbar ist das !)

    Wir erwarten jetzt vom Wirtschaftsministerium und vom Wohnungsbauministerium Vorschläge, wie noch betehende faktische und rechtliche Hindernisse für eine zügige Privatisierung von Wohnungen in Ostdeutschland umgehend beseitigt werden können. Gerade in Zeiten der Kurzarbeit, gerade in Zeiten vorübergehender Arbeitslosigkeit, gerade in Zeiten, in denen wir das Bauhandwerk ankurbeln müssen, gerade in Zeiten, in denen die Wärmedämmung in den Wohnungen „drüben" fast nirgendwo mit der unsrigen vergleichbar ist, sollten wir den Menschen die Chance geben, Eigentum zu günstigen Bedingungen zu erwerben, damit sie selbst anpacken, damit sie mithelfen, daß ihre Wohnungen in Ordnung kommen, damit sie vor hohen Mieten geschützt sind und damit die Baukonjunktur angekurbelt wird, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Warum machen Sie das denn nicht? Vorschläge!)

    Ich glaube, dies ist dringend notwendig.
    Und wenn ich beim Thema Bau bin, meine Damen und Herren, dann will ich, an den Bundeswirtschaftsminister gerichtet, nur hinzufügen: Wir unterstützten alles, was mithilft, beim Wohnungsbauprogramm für die UdSSR — Volumen: 7,8 Milliarden DM — ostdeutsche Bauarbeiter so umfassend wie möglich zu beteiligen.
    Ich weiß, warum ich dies hier sage, meine Damen und Herren: Es wäre paradox, wenn Aufträge im Rahmen des 7,8 Milliarden-DM-Wohnungsbauprogramms an Unternehmen vergeben würden, in denen nur ein kleiner Teil ostdeutscher Bauarbeiter beteiligt ist, während „drüben" gleichzeitig Zehntausende von Menschen aus dem Bauhandwerk und dem Baugewerbe nach Arbeit suchen.

    (Beifall bei Abgeordenten der CDU/CSU)

    Wir müssen mit der Sowjetunion dafür sorgen, daß hier nicht nur eine gute Leistung für den Aufbau von Wohnungen für die in die Sowjetunion heimziehenden Truppen erfolgt, sondern gleichzeitig auch eine entscheidende Hilfe für die Menschen in den neuen
    Bundesländern. Wir bitten die Bundesregierung, alles zu tun, damit dies bei der Vergabe durch die Sowjetunion in jedem Falle gewährleistet wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, uns stellen sich aber nicht nur große wirtschaftspolitische Aufgaben; vielmehr haben wir in den alten und den neuen Bundesländern — dies kommt im Jahreswirtschaftsbericht vielleicht doch etwas zu kurz — auch die Aufgabe einer noch innovativeren Umweltpolitik. Ober 40 Jahre Sozialismus haben die neuen Bundesländern als ökologisches Trümmerfeld hinterlassen, dessen Altlasten eine schwere Hypothek für den Neuaufbau darstellen. Wie alle wissen: auch im Westen bleiben die Umweltherausforderungen groß. Globale Bedrohungen unserer Existenzgrundlage wie der Treibhauseffekt, das Ozonloch, die Vergiftung der Böden, die Verschmutzung von Luft und Weltmeeren machen die Entwicklung deutlich.
    Zur Zeit beruht der Stand der Umwelttechnik, wie man gemeinhin sagt, überwiegend auf dem Einsatz nachgeschalteter Reinigungstechniken, bei denen umweltbelastende Stoffe „end of pipe" oder „downstream", also am Ende des Schornsteins oder flußabwärts, gesammelt werden und dann mit hohem technischen und finanziellen Aufwand entsorgt werden müssen.
    Eine zukunftsorientierte Umweltpolitik aber erfordert Konzepte, die einen auf die Vermeidung von Umweltbelastungen ausgerichteten technischen Fortschritt in Gang setzen. Unser aller grundlegender Gedanke muß lauten: Vorsorge statt Nachsorge. Ansatzpunkte hierfür sind sogenannte integrierte Lösungen, die umweltbelastende Emissionen erst gar nicht entstehen lassen.
    Ein beeindruckendes Beispiel für den produktionsintegrierten Umweltschutz ist die Herstellung von aromatischen Aminen durch ein neues Verfahren. Dabei ist es gelungen — ich nenne nur eines von Hunderten von Beispielen — , ganze 237 Kilogramm Abfallstoff pro 100 Kilogramm Amine auf nur zwei zu reduzieren.
    Zahlreiche Anwendungen moderner Schlüsseltechnologien ermöglichen die ungeahnte Optimierung des Umgangs mit Ressourcen. Denkbar ist alles: von einer computerintegrierten Pflanzenproduktion in der Landwirtschaft bis hin zu Pkw-Motoren, die durch elektronische Steuerung nahezu emissionsfrei betrieben werden können.
    Um die Entwicklung und den Einsatz vorsorgender Umwelttechniken zu forcieren, benötigen wir noch stärkere wirtschaftliche Anreize. Forschungs-, Entwicklungs- und Existenzgründungsprogramme für eine solche Ausrichtung, auch steuerliche Anreize wie z. B. Sonderabschreibungen für Investitionen im vorsorgenden Umweltschutz müssen überlegt werden. Eine Vorrangstellung für integrierte Umweltschutzanlagen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge muß in Betracht gezogen werden, oder aber die Beseitigung von bürokratischen Hemmnissen bei Planung, Genehmigung und Bau integrierter Anlagen.



    Matthias Wissmann
    Mir geht es darum, daß wir Wirtschafts- und Umweltpolitik nicht künstlich trennen, daß wir vielmehr verstehen lernen: In den neuen Bundesländern wie in den alten Bundesländern werden wir mit marktwirtschaftlichen Mitteln die Umweltherausforderungen eher lösen können als allein mit bürokratischen und staatlichen. Die Zuständigkeit für ein Gesamtkonzept liegt beim Bundesminister für Wirtschaft. Seine Aufgabe wird es sein, Ordnungspolitik aus einem Guß ressortübergreifend zu koordinieren und marktwirtschaftlich zu konzipieren.
    Meine Damen und Herren, damit bin ich wieder beim Ausgangspunkt. Wir können an dem anknüpfen, was Ludwig Erhard 1953 zur Wirtschaft in Ostdeutschland und zur Lage in Westdeutschland gesagt hat — dies gilt auch für den Umweltschutz —: Soziale Marktwirtschaft, das ist kein mechanistisches Konzept, sondern eine Gesellschaftsordnung, ein Angebot für die Lösung von Wirtschafts-, Sozial- und Umweltfragen. Wenn wir in diesem Geist an die großen Herausforderungen in Ost- und Westdeutschland in Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik herangehen, dann werden wir die Herausforderungen meistern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Nun erteile ich dem Abgeordenten Henn das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Bernd Henn


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS/LL)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Aufforderung von Minister Möllemann müßte ich jetzt eigentlich beschämt schweigen. Da Sie das aber mit zwei Minuten schon bei Frau Wollenberger nicht ausgehalten haben, wüßte ich nicht, wie Sie 20 Minuten Schweigen überstehen sollten. Deswegen werde ich also reden.
    Ich will zunächst einmal feststellen, daß die Analyse des Kollegen Roth mit unserer Einschätzung über das vergangene Jahr völlig übereinstimmt. Ich sage das deshalb, weil es sich so wohltuend von der Schelte, die der Herr Streibl und heute auch der Herr Möllemann auf die Bürger der ehemaligen DDR losgelassen haben, abhebt.

    (Josef Grünbeck [FDP]: Hallo! Haben Sie nicht zugehört!)

    Hier die Menschen mit blinden Kindern zu vergleichen, kann wirklich nur jemandem einfallen, der viel mit Erziehung und Bildung zu tun hatte, aber die Menschen in der DDR haben genug davon, erzogen und von Leuten an die Hand genommen zu werden.
    Zum Jahreswirtschaftsbericht möchte ich als erstes feststellen, daß er aus unserer Sicht eine Bankrotterklärung für die ökonomische und soziale Entwicklung im Osten Deutschlands darstellt. Ich zitiere aus dem Bericht:
    Der um 16 Millionen Einwohner vergrößerte deutsche Binnenmarkt erfordert im Westen Deutschlands erhebliche Kapazitätserweiterungen.. .
    Weiter heißt es in diesem Bericht:
    Zwar entstehen ... vor allem im Dienstleistungsbereich neue Betätigungsfelder. Auch deuten
    Umfrageergebnisse auf deutlich verstärkte Investitionsengagements westdeutscher Firmen hin. Allerdings dürfte der größte Teil des daraus resultierenden unmittelbaren Produktionseffekts aus westdeutscher Produktion stammen.
    Das, so meine ich, ist eine Bankrotterklärung, denn den Erwartungen, die hier ausgesprochen werden, entsprechen die Projektionen hinsichtlich der Entwicklung der Arbeitslosigkeit: 5,5 % im Westen, bis zu 2 Millionen Arbeitslose im Osten.
    Was hat die Bundesregierung nun zu bieten, um gegenzusteuern? Die Frage ist erlaubt, ob sie das überhaupt will. Es bedurfte erst des Auftritts der Herren Biedenkopf und Kühbacher hier im Deutschen Bundestag und des von ihnen organisierten Drucks der Länder- und Gemeindevertreter, um eine Stabilisierung der öffentlichen Finanzen im Osten zu bewerkstelligen. Es waren letztlich die Demonstrationen der Arbeiter und Angestellten in Erfurt, in Leipzig, in Berlin und anderswo, die das sogenannte Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost in Gang gebracht haben. Es bedurfte also eines außerparlamentarischen Drucks, um die Bundesregierung zum Handeln zu bewegen.

    (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So sieht das einmal ein Kommunist!)

    Ich sage, es ist ein sogenanntes Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, denn schon der Titel ist irreführend. Es handelt sich nicht um ein Aufschwungprogramm, sondern um ein Programm, das allenfalls zu einer teilweisen sozialen Abfederung der Krise in den östlichen Ländern führen wird. Das heißt nicht, daß wir nicht auch erwarten, daß von den Sanierungs- und Qualifizierungsmaßnahmen und den Infrastrukturinvestitionen positive Wirkungen ausgehen. Insoweit ist dem Maßnahmenkatalog aus unserer Sicht durchaus zuzustimmen, aber Sanieren und Qualifizieren bleibt letztlich sinnlos, wenn es sich dabei um einen zwar wichtigen, aber nur vorübergehenden therapeutischen Effekt für die betroffenen Menschen handelt und wenn aus diesem Programm keine wirkliche Perspektive erwächst, eine Perspektive in dem Sinne, daß moderne internationale wettbewerbsfähige Produktionsstätten in der gewerblichen Wirtschaft und in der Landwirtschaft entstehen, eine Perspektive, die denen, die heute qualifiziert werden oder noch qualifiziert werden sollen, auch deutlich werden müßte.
    Hier hat die Bundesregierung nichts zu bieten außer vagen Erwartungen — wie es im Jahreswirtschaftsbericht heißt —,
    ... daß die wirtschaftlichen Auftriebskräfte im weiteren Verlauf des Jahres auf niedrigem Niveau und bei stark geänderter Produktionsstruktur allmählich die Oberhand gewinnen werden. Wann die Talsohle überwunden sein wird, läßt sich jedoch nicht vorhersagen.
    Hier schimmert die Grundauffassung durch, daß es der Markt schon richten werde. Ich bin jedoch überzeugt, daß die verantwortlichen Kräfte in der Bundesrepublik letztlich nicht einem so naiven Glauben an die Marktkräfte anhängen, wie es in diesen Worten zum Ausdruck kommt. Ich denke, Sie wissen sehr wohl, daß der fortschreitende Prozeß der Entindustrialisierung nur mit staatlicher Intervention zugun-



    Bernd Henn
    sten der DDR-Industriestandorte aufzuhalten ist. Genau an diesem Punkt steht die Regierung im Dilemma. Einerseits muß sie versuchen, den sozialen Protest in der Ex-DDR einigermaßen abzufangen und zu kanalisieren. In diesem Fall sind sogar die Gewerkschaften willkommen. Andererseits darf sie sich nicht mit ihren Freunden, mit ihren — um es vorsichtig zu formulieren — politischen Wegweisern in den westdeutschen Konzernzentralen anlegen. Denn es ist völlig klar: Wenn das Marktvolumen nicht über die 16 Millionen Neubürger hinauswächst und solange Osteuropa wegen fehlender kaufkräftiger Nachfrage als Markt ausfällt, bedeutet staatliche Intervention für Produktionsstandorte im Osten, daß man die Gesamtproduktionsmenge teilen muß, d. h. auf mehr Märkte, auf mehr Anbieter und auf mehr Wettbewerb aufteilen muß und damit auch möglicherweise sinkende Gewinne pro Unternehmen in Kauf nehmen muß.

    (Josef Grünbeck [FDP]: Haben Sie noch nicht genug von der Planwirtschaft? Nichts dazugelernt!)

    Dies kann nicht im Interesse der westdeutschen Industrie liegen. Dagegen hat die Ost-West-Wanderung von qualifizierten Fachkräften und von jungen leistungsfähigen Menschen durchaus Vorteile für die westdeutsche Wirtschaft. Der Druck auf den Arbeitsmarkt bleibt erhalten, berechtigte Einkommensforderungen der Gewerkschaften können begrenzt werden, und weitere Deregulierungen können durchgesetzt werden. Der Bankrott dieser Politik wird kommen. Aber wir als einzige noch konsequente Opposition verstehen unsere Aufgabe dennoch darin, Alternativen aufzuzeigen und auch Maßnahmen vorzuschlagen, die zur Stabilisierung und zur Verbesserung der sozialen Lage beitragen können.
    Ich möchte an erster Stelle sagen: Der Mammutkonzern im Gewande einer Behörde, genannt Treuhand, muß aufgelöst werden. Das gesamte Volksvermögen der ehemaligen DDR muß bis auf die Bereiche, in denen eine gezielte staatliche Industriepolitik betrieben werden muß, altschuldenfrei auf Länder und Kommunen übertragen werden. Dort kann man sehr viel besser aus Bürger- und aus Arbeitnehmersicht entscheiden, wie das Eigentum verwertet werden kann. Jeder, der sich in den östlichen Bundesländern umgesehen und umgehört hat, wird bereits damit konfrontiert worden sein, wie über die schleppende Behandlung von Sanierungsplänen und Konzepten bei der Treuhand geklagt wird, wie Vorgänge hin- und hergeschoben werden und daß kein Vorwärtskommen zu erkennen ist.
    Deshalb müssen die bezirklichen Treuhandstellen sofort den Ländern übertragen werden. Diese müssen in der Lage sein, endgültig über die Verwendungen des Eigentums zu entscheiden, und sie müssen, wo immer das sinnvoll und möglich ist, die Entscheidungsstrukturen noch weiter dezentralisieren, indem sie die Gemeinden und die Kreistage usw. einbeziehen.
    Es sollten dann nur noch diejenigen struktrubestimmenden Unternehmen solcher Schlüsselindustrien wie Stahl, Werften, Maschinenbau, Chemie, Bergbau und Textilindutrie im zentralen Treuhandbereich verbleiben, die im Rahmen eines industriellen Aufbaukonzepts, im Rahmen von Branchenkonzepten, getragen vom Bund und den jeweils betroffenen Ländern, bei paritätischer Mitbestimmung der Arbeitnehmer gemeinsam einer Modernisierung zugeführt werden müssen. Ohne ein industrielles Konzept wird Ostdeutschland der Sizilianisierung nicht entgehen.
    Eine Industriepolitik muß in erster Linie die Anlagenmodernisierung im Auge haben. Aber wir meinen, daß die Bundesregierung auch vorübergehend marktregulierende Maßnahmen, wo notwendig, in Abstimmung mit der Europäischen Gemeinschaft, einführen muß. Es muß dabei um Zielmarken für bestimmte Branchen gehen. Zum Beispiel müßte über eine Interventionsmarke für die Stahlindustrie geredet werden, die, grob formuliert, beinhaltet, daß auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ca. 7 Millionen t Rohstahl oder etwa 15 % der Rohstahlmenge der gesamten Bundesrepublik auch künftig geschmolzen werden. Dies ist so neu nicht. Wir haben das hier im Westen jahrelang gehabt. Hier wurden Mengen und Preise im Rahmen des EGKS-Vertrages reguliert. Das hat den Unternehmen gutgetan, und das ist auch den Regionen und den Menschen, die in den Stahlrevieren leben, gut bekommen.
    Man muß einen Interventionspunkt für die Textilindustrie finden, der als untere Linie für Produktionsmengen und für Beschäftigung gesetzt wird. 40 % der Arbeitsplätze in der Textilindustrie sind bereits innerhalb eines Jahres vernichtet worden. Ohne weitere Interventionen werden noch einmal über 100 000 Arbeitsplätze, vor allem Frauenarbeitsplätze, verlorengehen. In der Oberlausitz und in etlichen Regionen des Erzgebirges werden dann endgültig die Lichter ausgehen.
    Ich könnte die Reihe der Beispiele fortsetzen. Die Regulierung von Märkten in der Bundesrepublik Deutschland und in der Europäischen Gemeinschaft hat eine lange Tradition. Kohle, Stahl, Agrarwirtschaft und die Textilindustrie selbst sind dafür die besten Beispiele.
    Zweitens. Die industriepolitische Konzeption muß mit Umweltpolitik und mit Forschungspolitik verknüpft werden. Dies gilt insbesondere für die chemische Industrie. In Bitterfeld und Wolf en, in Leuna, Buna, Böhlen und Priesteritz müssen Umweltsanierung, Forschungsaktivitäten für neue Produktlinien und Anlagenmodernisierung in einem Gesamtkonzept zusammenfließen. Gegen die Großchemie der alten BRD gibt es ohne staatliche Unterstützung in einem mittelfristigen Zeitraum keine Chane, es sei denn, man würde das Zusammenschrumpfen der ehemals riesigen Kombinate auf die Größe von Kleinunternehmen als eine Perspektive ausgeben.
    In diesem Zusammenhang muß auch das wissenschaftliche Potential der ehemaligen DDR angesprochen werden; denn seit Monaten wird in Universitäten und Hochschulen, in Instituten der verschiedenen Akademien und in der Industrie über Abwicklung gestritten, Unsicherheit über künftige Arbeit verbreitet und die wissenschaftliche Arbeit in hohem Maße lahmgelegt. Dies gilt auch für den naturwissenschaftlichen Bereich. Die notwendige Unterstützung von Innovationen, Technologie und Erzeugnissen durch Wissenschaft wird damit gebremst. Diese Situation



    Bernd Henn
    gilt es sofort zu beseitigen und die wissenschaftlichen Kapazitäten für den wirtschaftlichen Aufschwung einzusetzen.
    Drittens. Investitionszulage, Sonderabschreibungen und insgesamt Maßnahmen der indirekten Investitionslenkung sind schön und gut gedacht, nur letztlich verfehlt, wenn die aus den Investitionen resultierenden Produktionseffekte in die westlichen Länder gehen, wie es der Jahreswirtschaftsbericht in den Perspektiven für 1991 ausweist. Daher schlagen wir eine Staffelung für die Gewährung von Finanzbeihilfen und von Steuererleichterungen für Investitionsmaßnahmen vor. Diese Staffelung soll davon abhängig sein, in welcher Größenordnung tatsächlich Arbeit für die Investitionsgüter und Dienstleistungen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR vergeben wird. Damit könnte eine Stärkung des wirtschaftlichen Binnenkreislaufes auf dem Gebiet der ehemaligen DDR erreicht werden.
    Viertens. Als weitere Finanzierungsquelle für Investitionsmaßnahmen im Osten ist das Gesetz über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft vom 7. Januar 1952 wieder einzuführen. Der damals einmal aufzubringende Betrag — übrigens war das Gesetz auf Vorschlag der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände zustande gekommen — betrug 1 Milliarde DM. Dieser Betrag würde heute, entsprechend der gestiegenen Wirtschaftskraft, eine Summe von ca. 17 Milliarden DM ergeben.
    Fünftens. Zur Exportsubventionierung wie überhaupt zur Stärkung vor allem des traditionellen Osthandels hat die PDS schon einiges an Vorschlägen gemacht. Ich will das hier um einen konkreten Vorschlag ergänzen: Herr Minister Möllemann, Sie sollten darüber nachdenken, inwieweit es nicht sinnvoll wäre, im Rahmen einer energiewirtschaftlichen Konzeption, die Sie ja angekündigt haben, eine kräftige Steigerung des Anteils von Erdgas am Primärenergieverbrauch in der ehemaligen DDR durchzusetzen. Dieser Erdgasanteil lag im Vergleich zur alten Bundesrepublik Deutschland ohnehin nur auf dem Niveau von etwas mehr als der Hälfte. Jede zusätzliche Menge Erdgas, die aus der Sowjetunion bezogen würde, würde eine Erhöhung des Devisenfonds der Sowjetunion bedeuten, die damit wiederum Erzeugnisse aus der ehemaligen DDR, die sie dringend braucht, beziehen könnte, ohne sich immer weiter verschulden zu müssen. Ein solcher Weg würde beiden Handelspartnern, der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion, Vorteile bringen.

    (Josef Grünbeck [FDP]: Das ist schon lange im Gange!)

    Sechstens. In Ergänzung der sozialpolitischen Flankierung des Umbruchs in der ehemaligen DDR sollte für die gesamte Wirtschaft die Frühpensionierung ab 55 Jahre ermöglicht werden. Wir sind gegen Sonderopfer für Beamte; aber wir sind für die Arbeitsmarktabgabe aller Erwerbstätigen einschließlich der Beamten, der Angestellten, die über der Beitragsbemessungsgrenze liegen, und der Selbständigen. Die Arbeiter und Angestellten hatten bereits Opfer zu erbringen, indem sie das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium ABM, das im Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost kräftig ausgedehnt wurde, durch die
    Erhöhung ihrer Beiträge letztlich finanzieren. Die Arbeitsmarktabgabe, nicht die Beamtenzulage für hohe und höchste Staatsdiener, die im Osten eingesetzt werden, ist das Gebot der Stunde.
    Eine 55er-Regelung, wie sie im Westen bei Kohle und Stahl üblich ist, ließe sich auf diese Weise in Angriff nehmen. Ich denke, wenn alle Teile der Gesellschaft, die Wirtschaft, die Selbständigen und die Beamten, ihr besonderes Scherflein für den Aufbau des Ostens beitragen würden, wie es die Arbeiter und Angestellten es bereits jetzt tun, dann, aber auch nur dann hätten Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, das Recht, über tarifpolitische Überlegungen für eine Solidaritätsabgabe zu reden — ich glaube, dann kann man auch darüber reden —, die im übrigen, wenn sie geschaffen würde, auch in Fonds für Frühpensionierungsmaßnahmen einmünden könnte.

    (Rudolf Kraus [CDU/CSU]: Für SED-Funktionäre!)

    Als der Herr Verteidigungsminister vor einigen Jahren einen Beförderungsstau bei Offizieren ausgemacht hatte, war die Regierung mit Frühpensionierungen von Offizieren schon ab 45 Jahren fix bei der Hand. Ein Chemiearbeiter in Wolfen, der seine Gesundheit in der Zellulosefertigung gelassen hat, muß in die Arbeitslosigkeit, auch wenn er schon Mitte 50 ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er Ihnen zu verdanken!)

    Hier sind angesichts der Massenarbeitslosigkeit großzügige Regelungen sinnvoll. Ältere Arbeitnehmer, auf freiwilliger Basis selbstverständlich, in die Frühpensionierung, Arbeit für die jungen, das wäre eine sinnvolle Ergänzung zur Wirtschaftspolitik.

    (Beifall bei der PDS/Linke Liste)

    Die Vertreter der PDS/Linke Liste glauben natürlich nicht, daß diese Regierung soziale Politik und Politik zugunsten der arbeitenden Menschen in Gang setzt, wenn auf der anderen Seite mächtige Kapitalinteressen im Spiel sind. Ich habe eingangs bereits auf den Zusammenhang zwischen dem Druck von unten aus den östlichen Ländern und der leichten Kurskorrektur hingewiesen. Ich denke, so wird es auch mit unserer Forderung nach einer aktiven Industriesanierungspolitik gehen, einer Forderung, die von den Gewerkschaften ebenso erhoben wird wie von der SPD. Eine Kurskorrektur in der Wirtschaftspolitik wird nur kommen, wenn der Druck der Straße, der Druck in den Betrieben wieder zunimmt.
    Nach der Wahnsinnstat von politischen Wirrköpfen gegen den Chef der Treuhand glaubt die Regierung, die ihr unliebsamen Demonstrationen und die Aufrufer diskreditieren zu können, leider nicht ganz ohne Erfolg.
    Die Gewerkschaften — auch das will ich sagen — eiern herum. Ein Teil gibt sich mit den wenigen Tropfen sozialen Öls durch das sogenannte Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost zufrieden, andere haben zu Recht nach wie vor zu Montagsdemonstratio-



    Bernd Henn
    nen aufgerufen. Solche Uneinigkeit läßt viele Menschen resignieren.

    (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Durch Demonstrationen sind noch nie Arbeitsplätze geschaffen worden!)

    Aber bei aller Kritik, die wir an einem Teil der Gewerkschaften haben, was ihre augenblicklich zurückhaltende Rolle als soziale Bewegung für die abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen in dieser Gesellschaft betrifft, ist es unerträglich, wie der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Herr Friedrich Bohl, die ÖTV und die IG Metall angeht. Der Brief an die Vorsitzende der ÖTV, an die Kollegin Wulf-Mathies, beweist, daß der Herr Bohl, wie das Herbert Wehner einmal formulierte, gut beraten wäre, die Bauzeichnung unserer Demokratie noch einmal zu studieren.

    (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: Das sagen Sie! — Das ist eine Perversion in höchster Potenz!)

    — Lieber Herr Kollege, ich habe schon so viele Demonstrationen und Streiks organisiert, daß ich mir erlauben kann, davon zu reden.

    (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Seit wann denn? Früher konnte doch überhaupt nicht demonstriert werden! Sie sind doch Kommunist! Reden Sie doch nicht an der Sache vorbei! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — An Ihrer Sprache merkt man, daß Sie aus dem tiefsten Bayern kommen. Sie sollten bei meiner Rede gehört haben, daß ich aus Niedersachsen komme.

    (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aber Kommunist sind Sie! — Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Das ist kein positiver Zug, daß Sie aus Niedersachsen kommen!)

    Im Rahmen der Möglichkeiten, die wir hatten, konnten wir dort in den letzten Jahrzehnten in der Tat politische und auch gewerkschaftliche Demonstrationen organisieren.

    (Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Das hätten Sie mit Harry Tisch machen können!)

    Vielleicht lassen Sie sich da einmal aufklären.
    Ich bleibe dabei: Herbert Wehner hat auf die Bauzeichnung — —

    (Unruhe — Erneuter Zuruf des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])