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ID1202200400

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    Plenarprotokoll 12/22 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 22. Sitzung Bonn, Freitag, den 19. April 1991 Inhalt: Tagesordnungspunkt 13: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 1991 der Bundesregierung (Drucksache 12/223) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresgutachten 1990/ 1991 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache 11/8472) Jürgen W. Möllemann, Bundesminister BMWi 1421B Wolfgang Roth SPD 1426 D Matthias Wissmann CDU/CSU 1431 B Bernd Henn PDS/Linke Liste 1435 A Josef Grünbeck FDP 1438 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste 1441 B Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 1442 B Rainer Brüderle, Minister des Landes Rheinland-Pfalz 1445 A Wolfgang Roth SPD 1446C, 1460 B Dr. Uwe Jens SPD 1447 B Dr. Walter Hitschler FDP 1449A, 1458D, 1462 C Josef Grünbeck FDP 1450B, 1464 C Rudolf Kraus CDU/CSU 1451 B Dr. Elke Leonhard-Schmid SPD 1453 D Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF 1456 A Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD 1457 C Friedhelm Ost CDU/CSU 1459 D Herbert Meißner SPD 1462 A Dr. Hermann Pohler CDU/CSU 1463 D Gerd Andres SPD 1465 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 1467 B Nächste Sitzung 1468 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1469* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 13 a und b (Jahreswirtschaftsbericht 1991 der Bundesregierung, Jahresgutachten 1990/1991 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) Peter Kittelmann CDU/CSU 1469* D Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 1472* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1991 1421 22. Sitzung Bonn, den 19. April 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 19. 04. 91 Austermann, Dietrich CDU/CSU 19. 04. 91 Börnsen (Börnstrup), CDU/CSU 19. 04. 91 Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 19. 04. 91 Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 19. 04. 91 Burchardt, Ursula SPD 19. 04. 91 Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 19. 04. 91 Peter Harry Clemens, Joachim CDU/CSU 19. 04. 91 Conradi, Peter SPD 19. 04. 91 Daubertshäuser, Klaus SPD 19. 04. 91 Dörflinger, Werner CDU/CSU 19. 04. 91 Doss, Hansjürgen CDU/CSU 19. 04. 91 Ehrbar, Udo CDU/CSU 19. 04. 91 Engelhard, Hans A. FDP 19. 04. 91 Eylmann, Horst CDU/CSU 19. 04. 91 Feilcke, Jochen CDU/CSU 19. 04. 91 Fuchs (Köln), Anke SPD 19. 04. 91 Gattermann, Hans H. FDP 19. 04. 91 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 19. 04. 91 Genscher, Hans Dietrich FDP 19. 04. 91 Gerster (Mainz), CDU/CSU 19. 04. 91 Johannes Dr. Glotz, Peter SPD 19. 04. 91 Dr. Götte, Rose SPD 19. 04. 91 Graf, Günter SPD 19. 04. 91 Haack (Extertal), SPD 19. 04. 91 Karl-Hermann Hämmerle, Gerlinde SPD 19. 04. 91 Hampel, Manfred Eugen SPD 19. 04. 91 Dr. Haussmann, Helmut FDP 19. 04. 91 Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 19. 04. 91 Ibrügger, Lothar SPD 19. 04. 91 Jaunich, Horst SPD 19. 04. 91 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 19. 04. 91 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 19. 04. 91 Jungmann (Wittmoldt), SPD 19. 04. 91 Horst Kiechle, Ignaz CDU/CSU 19. 04. 91 Klinkert, Ulrich CDU/CSU 19. 04. 91 Köhler (Hainspitz), CDU/CSU 19. 04. 91 Hans-Ulrich Kohn, Roland FDP 19. 04. 91 Kolbe, Manfred CDU/CSU 19. 04. 91 Koltzsch, Rolf SPD 19. 04. 91 Koschnik, Hans SPD 19. 04. 91 Kossendey, Thomas CDU/CSU 19. 04. 91 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 19. 04. 91 Günther Dr. Graf Lambsdorff, Otto FDP 19. 04. 91 Lamers, Karl CDU/CSU 19. 04. 91 Leidinger, Robert SPD 19. 04. 91 Dr. Leonhard-Schmid, SPD 19. 04. 91 Elke Lohmann (Witten), Klaus SPD 19. 04. 91 Lowack, Ortwin CDU/CSU 19. 04. 91 Mascher, Ulrike SPD 19. 04. 91 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Meckel, Markus SPD 19. 04. 91 Meckelburg, Wolfgang CDU/CSU 19. 04. 91 Dr. Mertens (Bottrop), SPD 19. 04. 91 Franz-Josef Müller (Pleisweiler), SPD 19. 04. 91 Albrecht Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 19. 04. 91 Ostertag, Adolf SPD 19. 04. 91 Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 19. 04. 91 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 19. 04. 91 Pützhofen, Dieter CDU/CSU 19. 04. 91 Rappe (Hildesheim), SPD 19. 04. 91 Hermann Rauen, Peter Harald CDU/CSU 19. 04. 91 Reschke, Otto SPD 19. 04. 91 Reuschenbach, Peter W. SPD 19. 04. 91 Dr. Riedl (München), CDU/CSU 19. 04. 91 Erich Schäfer (Mainz), Helmut FDP 19. 04. 91 Schaich-Walch, Gudrun SPD 19. 04. 91 Schmalz-Jacobsen, FDP 19. 04. 91 Cornelia Schmidbauer (Nürnberg), SPD 19. 04. 91 Horst Schmidt (Aachen), Ursula SPD 19. 04. 91 Schmidt (Nürnberg), SPD 19. 04. 91 Renate Schmidt (Spiesen), Trudi CDU/CSU 19. 04. 91 Schmidt-Zadel, Regina SPD 19. 04. 91 Seehofer, Horst CDU/CSU 19. 04. 91 Skowron, Werner H. CDU/CSU 19. 04. 91 Dr. Sperling, Dietrich SPD 19. 04. 91 Spilker, Karl-Heinz CDU/CSU 19. 04. 91 Stiegler, Ludwig SPD 19. 04. 91 Voigt (Frankfurt), SPD 19. 04. 91 Karsten D. Dr. Voigt (Nordheim), CDU/CSU 19. 04. 91 Hans-Peter Vosen, Josef SPD 19. 04. 91 Welt, Hans-Joachim SPD 19. 04. 91 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 19. 04. 91 Wieczorek-Zeul, SPD 19.04.91 Heidemarie Wimmer (Neuötting), SPD 19. 04. 91 Hermann Wittmann (Tännesberg), CDU/CSU 19. 04. 91 Simon Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 13 a, b (Jahreswirtschaftsbericht 1991 der Bundesregierung, Jahresgutachten 1990/1991 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) Peter Kittelmann (CDU/CSU): Der Jahreswirtschaftsbericht 1991 steht ganz im Zeichen der deut- 1470* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1991 schen Einigung im vergangenen Jahr. Nachdem die Mauer gefallen und die politische Einheit vollzogen ist, gilt es nun, die wirtschaftliche Mauer einzureißen und die Wohlstandsbarriere zwischen den neuen und alten Ländern aufzuheben. Mit dem 1. Januar 1993 öffnen sich darüber hinaus weitere Schranken — der gemeinsame Markt Europas entsteht. Unser gemeinsames Ziel ist darum: 1. gleiche Lebensverhältnisse für die Menschen in ganz Deutschland herzustellen und 2. die neuen Länder mit der wirtschaftlichen Schubkraft der alten Bundesrepublik auf den Binnenmarkt vorzubereiten; ein ebenso ehrgeiziges wie notwendiges Ziel. Unsere Ausgangsposition ist trotz aller zu überwindender Durststrecken eine denkbar gute. Die äußerst dynamische und leistungsfähige deutsche Wirtschaft kann sich der Herausforderung stellen. Auch nach der Einigung zeigt sich die Bundesrepublik im Vergleich der westlichen Industrieländer immer noch extrem preisstabil. Veränderungen zeigen sich hingegen für den bisherigen Exportweltmeister Bundesrepublik in der Ein- und Ausfuhr. Hier zeigt sich die Bilanz von — verstärktem Import (einer Steigerung um 4,7 %) — und nur noch leicht ansteigendem Export (2,2 %) geprägt. Mit dem Abbau der Leistungsbilanz, die stark durch den rückläufigen Export bedingt ist, entspricht die Bundesrepublik — zwangsweise — den Forderungen ihrer Handelspartner. Die europäischen Partner haben wiederholt nach einer deutschen Anpassung verlangt, um ihrerseits von einem daraus resultierenden Wachstumsimpuls zu profitieren. Die für den Abbau des Überschusses verantwortliche Binnennachfrage hat unterdessen in den Unternehmen der deutschen Industrie für Hochstimmung gesorgt, die sich mit Sicherheit positiv auf die Investitionsentwicklung auswirken wird. Von diesem Wachstumsprozeß müssen nun die neuen Länder profitieren. Dort muß den erheblichen Beschäftigungseinbußen durch neu zu schaffende Arbeitsplätze, vor allem in der Bauwirtschaft und dem Dienstleistungssektor, entgegengewirkt werden. Auch wenn viele unserer Bürger aus den neuen Ländern enttäuscht und mit den bestehenden Verhältnissen — zu Recht meine Damen und Herren — unzufrieden sind, muß doch eines klar sein: Die aktuelle wirtschaftliche Lage, wie sie sich den Bürgern der neuen Länder zeigt, ist Resultat einer sozialistischen Kommando- und Planwirtschaft und deren einseitiger Ausrichtung. Die so strukturierte Wirtschaft hätte in jedem Falle in die wirtschaftliche Katastrophe geführt — die Situation ohne Einigung wäre weit fataler als heute. Nun wird es darauf ankommen, den neuen Ländern zu einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft zu verhelfen, die sie nicht nur am Wohlstand teilhaben läßt, sondern auch für den Binnenmarkt Ende '92 rüstet. — Die reduzierten Beziehungen mit den ehemaligen COMECON-Staaten, — die mangelnde europäische und internationale Wettbewerbsfähigkeit — und das fehlende Kapital haben in den neuen Ländern zu einem Einfuhrrückgang von 44,5 % und einem Ausfuhrrückgang von 7,4 % gegenüber dem Vorjahr geführt — diese Zahlen müssen sich schnellstens ändern; im Interesse der neuen Bundesländer und im Interesse der Exportwirtschaft der gesamten Bundesrepublik. Meine Damen und Herren, wir wissen, daß die Währungsunion und die Einigung die traditionellen Warenströme in und aus den neuen Ländern verlagert hat. Wirtschaftliche Schwierigkeiten in den ehemaligen RGW-Ländern, vor allem der Sowjetunion, sorgen für besondere und vor allem — und dies muß betont werden — unvorhersehbare Härten. Der Wegfall des Transferrubels zur Abwicklung des bisherigen Handels hat einen Aktivsaldo gegenüber der Bundesrepublik entstehen lassen, über den von der Bundesregierung mit der Sowjetunion verhandelt wird. Hinzu kommen in der UdSSR massive Schwierigkeiten mit der Dezentralisierung im administrativen Bereich, z. B. bei der Übertragung des Devisenregimes auf die Republiken. Solche, vorher nicht kalkulierbare, Schwierigkeiten sind es, die den außenwirtschaftlichen Anpassungsprozeß der neuen Länder verzögern und ihren Warenaustausch behindern. Ich frage Sie: Was nützen den neuen Ländern z. B. Schiffe in den Werften, die die Sowjetunion nicht bezahlen kann? Die Verträge mit der Sowjetunion bereiten uns hier besondere Schwierigkeiten. Nicht zuletzt darum wird es wichtig sein, die konkreten Zusagen, die der Sowjetunion gemacht worden sind, auch einzulösen. Hier ist die Glaubwürdigkeit von Politik und Wirtschaft gleichermaßen gefragt. Die Zusagen enthalten Risiken, aber auch positive Optionen. Meine Damen und Herren, wenn ich von der Glaubwürdigkeit von Politik und Wirtschaft spreche, erlauben Sie mir noch einen Hinweis auf ein in der Öffentlichkeit sehr heikles Thema: den Rüstungsexport. Wir haben in den letzten Monaten miteinander gerungen, zügig das Kriegswaffenkontroll- und daß Außenwirtschaftsgesetz zu verschärfen. Die neuen restriktiven Regelungen sind hier beschlossen worden. Jetzt aber müssen wir zu unserer Verwunderung feststellen, daß der Bundesrat das Gesetz aufhält. Ich möchte den Bundesrat darum von dieser Stelle aus nachdrücklich auffordern, seine Einsprüche schnell zu formulieren, denn wir alle wissen: es besteht dringender Handlungsbedarf. Wir haben in diesem Zusammenhang von unserer Seite aus Wert darauf gelegt, daß die personellen und sachlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die notwendigen Genehmigungsverfahren wegen möglicher Wettbewerbsverzerrung zügig durchgeführt werden. Das Bundesministerium für Wirtschaft und das Bundesamt für Wirtschaft sollten nun auch in engster Kooperation die Genehmigungsbegehren behandeln. Es häufen sich die konkreten Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1991 1471* Klagen, daß diese Verfahren äußerst langwierig sind. Dies kann nicht im Interesse unserer Exportwirtschaft sein. Der Bundeswirtschaftsminister hat hier Zusagen gemacht, und ich hoffe, daß die verzögerten Genehmigungen nur Übergangsprobleme sind. Die CDU/ CSU-Fraktion wird auf dieses Problem im Wirtschaftsausschuß und im Plenum zurückkommen. Im übrigen muß die unverhältnismäßige Polemik einzelner Medien aus den Vereinigten Staaten gegen deutsche illegale Rüstungsexporte in den Irak endlich einmal energisch zurückgewiesen werden. Die, die hier pauschal andere verurteilen, haben um ein Vielfaches mehr in den Irak exportiert und daher scheinheilig argumentiert. Ich hoffe, solche berechnende Emotionalisierung wird sich in der Zukunft nicht wiederholen. Es kann nicht angehen, daß die deutsche Wirtschaft prinzipiell zum Sündenbock gemacht wird — gerade von solchen, die sich selbst etwas haben zuschulden kommen lassen. Meine Damen und Herren — ich habe auf die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes hingewiesen. Wie überall zeigt sich gerade im Kontext der wirtschaftlichen Entwicklung, wie sehr wir heute in die europäische Integration eingebunden sind. Nationale Konzepte allein gehören der Vergangenheit an. Der Ministerrat konnte bei über 70% der Vorschläge der EG-Kommission für den Binnenmarkt Einigung erzielen. Nun aber muß die Bundesregierung darauf drängen, das ehrgeizige Binnenmarktprogramm erfolgreich zum Abschluß zu bringen. Dazu sind noch weitere Harmonisierungen und Liberalisierungen bei den — Grenzkontrollen, — den Dienstleistungen, — den indirekten Steuern — und der Abgabenbelastung im Straßenverkehr notwendig. Eine liberale Handelspolitik mit verstärktem Wettbewerb bleibt unabdingbares Ziel. Unzumutbare Härten für die neuen Bundesländer müssen aber abgedämpft werden. Wenn wir auch nachdrücklich für eine wirkungsvolle Kontrolle der Beihilfen eintreten, bleibt doch eines sicher: Die extrem strukturschwachen Regionen der neuen Länder brauchen eine regionalpolitische Unterstützung, die ihnen auf die Beine hilft. Die europäische Leitmaxime der Subsidiarität läßt hier für nationales Handeln genügend Spielraum. Darüber hinaus können die neuen Bundesländer in den Jahren 1991 bis 1993 mit insgesamt 6 Milliarden D-Mark aus dem Gemeinsamen Förderkonzept der Europäischen Gemeinschaft rechnen. Die Europäische Gemeinschaft tut ihr Möglichstes, um die neuen Länder auf das gemeinsame Europa vorzubereiten. Aber auch die Bundesregierung muß hier verstärkt die Initiative ergreifen. So, wie wir den Mittelstand der alten Bundesrepublik durch zahlreiche Initiativen auf den Binnenmarkt vorbereiten, muß dies umso stärker in den neuen Ländern geschehen. Ich fordere darum die Bundesregierung auf, engagiert ensprechende Binnenmarktaktionen anzugehen. Im europäischen Kontext wird es darauf ankommen 1. die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion parallel mit der politischen Union voranzubringen. Der erfolgreiche Abschluß der beiden Regierungskonferenzen ist für die Außenwirtschaft von immenser Wichtigkeit. Die Voraussetzungen sind unantastbar: — Konvergenz der Wirtschaftspolitiken und — ein unabhängiges autonomes Zentralbanksystem, das dem Ziel der Geldwertstabilität verbunden ist. 2. muß eine freiheitliche Welthandels- und Wirtschaftsordnung garantiert sein. Wichtigster Schritt bleibt darum zunächst der Abbau von Subventionen und jeder Form des gedeckten Protektionismus. Beides bedeutet für die Bundesrepublik langfristig eine Existenzfrage. Aus diesem Grunde muß die Bundesregierung alles Erdenkliche tun, um den erfolgreichen Abschluß der Uruguay-Runde im Rahmen des GATT zu erreichen. Nicht nur die USA können von den EG-Ländern eine konsequente Subventionsstreichung erwarten. Auch die Dritte Welt und Südamerika bauen hier auf eine Lösung. Jahrzehntelange, mühsam errungene Erfahrungen des Welthandels sind hier in Gefahr. Viele Länder würden sich nicht mehr ernstgenommen fühlen, wenn die Uruguay-Runde nicht erfolgreich abgeschlossen werden könnte. Afrika, Asien und Lateinamerika wollen am internationalen Welthandel teilhaben, und das GATT muß auf diese Wünsche reagieren. Hier stellen sich für die kommende Zeit große Herausforderungen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß wir die Entwicklungsländer in der Zukunft mehr unterstützen und in den Welthandel integrieren müssen; auch die Einbindung Mittel-, Ost- und Südosteuropas muß im GATT sehr viel intensiver forciert werden. Wir müssen diese Verantwortung ernst nehmen und daneben die hoffnungsvollen Reformen der jungen Demokratie tatkräftig unterstützen. Dies geschieht zum einen im Interesse unserer eigenen Wirtschaft. Zum anderen aber können wir nur so unserer neuen Rolle in Europa und der Welt gerecht werden. Die Entscheidung für demokratische Reformen und damit die Marktwirtschaft beinhaltet für die Staaten im Osten harte Anpassungsphasen und Lernprozesse. Für ein friedliches Europa und einen liberalen Welthandel, an dem alle teilhaben, sind wir verpflichtet, all unsere Kraft einzusetzen. Stellen wir uns dieser verantwortungsvollen Aufgabe! 1472* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. April 1991 Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 22. März 1991 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen. Gesetz zur Änderung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung und bei der Bundesanstalt für Arbeit (BeitrS. RV/BA ÄndG) Erstes Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen (SpTrUG) Gesetz zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt: Der Bundesrat stimmt dem Gesetz zu und begrüßt, daß es nunmehr zusätzliche Ausnahmen vom Restitutionsprinzip vorsieht. Er weist jedoch zu Artikel 12 auf folgendes hin: Die Erweiterung des § 4 Abs. 3 des Umweltrahmengesetzes wird als notwendige Erleichterung der Unternehmensansiedlung und Privatisierung begrüßt. Aus der Freistellung von Grundstücks- und Unternehmensbesitzern von Altlasten werden aber Kosten in einer kaum abschätzbaren Höhe auf die neuen Länder zukommen, die sie bei der gegebenen Finanzsituation nicht allein tragen können. Der Bundesrat hält daher eine substantielle Kostenbeteiligung des Bundes für unerläßlich, um den mit der Regelung angestrebten Abbau von Investitionshemmnissen tatsächlich wirksam werden zu lassen. Weiter erleichtert würde die verwaltungsmäßige Umsetzung des Gesetzes durch die Vorlage eines bundeseinheitlichen Prioritätenkataloges für die Sanierung von Altlasten, einschließlich von Kriterien, nach denen Grundstücke für bestimmte Zeiträume oder auf Dauer von der Altlastensanierungspflicht befreit werden können. Der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung hat mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Drucksache 12/210 Nr. 137 Drucksache 12/269 Nr. 2.31
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    Rede von Wolfgang Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, auch diese Wirtschaftsdebatte steht noch unter dem Eindruck der Ermordung von Detlev Rohwedder. Ich möchte heute aber nicht allein an ihn erinnern, der uns Sozialdemokraten besonders nahestand, sondern ich möchte an alle Unternehmerpersönlichkeiten erinnern, die Opfer der RAF wurden und von denen ich alle — bis auf einen — in den Jahren ihres Wirkens gut kennengelernt habe: Hanns Martin Schleyer, Jürgen Ponto, Ernst Zimmermann, Karl-Heinz Beckurts, Alfred Herrhausen und eben auch Detlev Rohwedder.
    Wenn die Killer der RAF glauben, sie würden durch diese niederträchtigen Mordanschläge irgendein fortschrittliches Signal aussenden, so irren sie sich total. Lassen Sie mich auf Grund meines eigenen persönli-



    Wolfgang Roth
    chen Eindrucks von den Ermordeten nur zwei Namen nennen: Rohwedder und Herrhausen. Beide haben sich um soziale Fragen gekümmert.
    Herrhausen hatte kurz vor seinem Tod beispielsweise einen Entschuldungsplan für die Dritte Welt erarbeitet, der gerade bei den engstirnigeren Interessenvertretern sehr bekämpft wurde. Rohwedder hatte sich in seiner Treuhandarbeit — davon haben wir uns oft überzeugen können — um die sozialen Fragen der Menschen im Osten nicht nur gekümmert, sondern es hat ihn umgetrieben, gerade auch nach seinen Erfahrungen in Dortmund vorher.
    Das heißt, diese Morde haben nicht nur hochqualifizierte Manager beseitigt, sondern auch den sozialen Interessen der Menschen in der großen gemeinsamen Bundesrepublik schwer geschadet. Ich gedenke gerade in Anbetracht dieser großen Leistung, im sozialen Sinne Unternehmer zu sein, ihrer beider und der anderen.
    Vor über einem Jahr habe ich an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß es nun in der Wirtschaftspolitik nicht mehr um eine Ideologiediskussion: Markt ja, Markt nein, Staat ja, Staat nein, gehe, sondern um die Bewältigung einer unendlich schwierigen Aufgabe, von den chaotischen Zuständen einer zerfallenden Kommandowirtschaft zu einer schließlich sozialen und ökologischen Marktwirtschaft zu kommen.
    Damals habe ich die Bundesregierung Kohl angesichts ihrer zögerlichen Haltung aufgefordert, die Chancen nicht zu verspielen, die in einem sehr schnellen Handeln liegen. Sie haben das damals in der Debatte mit dem törichten Argument zurückgewiesen, man dürfe der Regierung Modrow nicht helfen.

    (Zuruf von der SPD: So war es!)

    Das war ein seltsames Argument, zumal de Maizière ein Mitglied dieser Regierung war; daran muß man erinnern.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ihnen ist doch alles viel zu schnell gegangen!)

    Es ging damals nicht um pauschale Zuschüsse,

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Doch! Unbesehen!)

    sondern darum, die Infrastruktur zu finanzieren, Stadtsanierung anzupacken, ein Kommunikationsnetz zu finanzieren, so daß die Marktwirtschaft eine Chance bekam.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Sie haben verzögert, und deshalb ist 1990 nichts gelaufen. — Das war der katastrophale Fehler Nummer eins.

    (Friedrich Bohl [CDU/CSU]: So ein dummes Zeug! — Zuruf von der SPD: Das wollt ihr nicht hören!)

    Daß heute beispielsweise in der Bauwirtschaft der früheren DDR noch nicht wirklich Bewegung ist, ist Ihr Fehler. Ich will nur eine Zahl nennen: Im August 1990 betrug die Reichweite der Aufträge in der Bauwirtschaft 3,8 Monate; sie hatte für 3,8 Monate Beschäftigung. Im November war die Reichweite abgesunken — Daten des DIW — auf zweieinhalb Monate. Das heißt, gerade der Bereich, der regional kleine Wirtschaftskreisläufe schaffen würde, ist nicht entwickelt worden. — Das war der zweite katastrophale Fehler.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Tosender Beifall bei der SPD!)

    Diejenigen, die in den neuen Bundesländern in den harten weltwirtschaftlichen Wettbewerb befördert wurden, brauchten Hilfen, brauchten eine Übergangspolitik. Marktwirtschaft ist nach so langer Abschirmung von der Weltwirtschaft natürlich eine sehr komplizierte Sache. Aber Ihre Vorstellung, im freien Fall lerne man das Fliegen automatisch, hat die Menschen im Osten zum Absturz und nicht die Marktwirtschaft zum Aufbau gebracht. Das ist Realität.

    (Beifall bei der SPD)

    Nun beklagen Sie, beklagen wir im Osten Tendenzen zur Apathie, Tendenzen zur Aggressivität, auch Tendenzen, die Leistungschancen in einer Marktwirtschaft nicht so einzuschätzen, wie es notwendig wäre.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Beklagen Sie das wirklich?)

    Statt nun selbstkritisch mit den eigenen Fehlern umzugehen, fangen Sie jetzt an, die Menschen auf dem Gebiet der neuen Bundesländer zu beschimpfen, sie seien apathisch; das ist in den letzten Wochen aus Ihrem Kreis mehrfach geschehen.

    (Beifall bei der SPD — Matthias Wissmann [CDU/CSU]: Wer? — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Namen nennen! — Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Bitte einen Beleg, Herr Kollege Roth!)

    In den neuen Bundesländern bricht derzeit industrieller Betrieb um industrieller Betrieb zusammen;

    (Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Schon wieder Diffamierung!)

    Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit explodieren; zukunftträchtige Produktionen kommen nicht aus den Startlöchern; die Konzepte für den Übergang fehlen.
    Ich will einmal zitieren, wie Sie das vor einem Jahr, im letzten Jahreswirtschaftsbericht, gesehen haben, um deutlich zu machen, wo der Fehler lag — wörtliches Zitat — :
    Wirtschaftliche Dynamik mit ihren positiven Auswirkungen wird sich in der ehemaligen DDR sehr schnell entwickeln können, wenn die Kräfte dezentraler Entscheidungen genutzt und im Wettbewerb eingesetzt werden.

    (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist doch wahr!)

    Was ersieht man daraus? Es gab Beschwörungsformeln statt der Planung einer zukunftsorientierten Politik.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Gegen vielfältige Ratschläge auch der Sachverständigen wurde die Währungsunion durchgezogen,



    Wolfgang Roth
    ohne daß die entsprechende regionale und sektorale Strukturpolitik vorbereitet worden war,

    (Beifall der Abg. Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD])

    ohne daß der Treuhand, was die Wirtschaftspolitik betrifft, eine klare Aufgabe gegeben wurde.
    Meine Damen und Herren, was wir erleben, ist jetzt leider kein sich selbst verstärkender Aufschwung, das ist vielmehr zur Zeit ein Abschwung Ost, in den die Bundesregierung die Menschen in den neuen Bundesländern geführt hat.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Kennen Sie die Wirklichkeit tatsächlich nicht? Das ist doch ein bißchen stark, was da gesagt wird!)

    Meine Damen und Herren, nicht aus Rechthaberei, sondern um die Grundlagen für eine bessere Wirtschaftspolitik zu legen, will ich kurz die geistig-politischen Hintergründe Ihrer Fehlentscheidungen nennen. Sicherlich war die Währungsunion wegen der weggefallenen Grenzen unvermeidbar und sogar schnell notwendig.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ach, jetzt auf einmal?)

    Ich habe das immer vertreten, auch an dieser Stelle. Aber unter wirtschaftspolitischen und beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten war eine derartige Währungsunion natürlich an der Grenze des Verantwortbaren.
    Um so mehr war dann die Wirtschaftspolitik gefragt. Wenn ein Wirtschaftsgebiet im industriellen Sektor nur ein Viertel so leistungsfähig ist wie die Nachbarländer, in die es integriert wird — ich meine nicht nur die Bundesrepublik, sondern die ganze EG —,

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Vor zwei Jahren haben Sie gesagt, jetzt sei es ganz gut!)

    dann wird man vom Markt gefegt, wenn man keinen Wechselkursschutz hat.
    Die alte DDR hatte bis zum 1. Juli letzten Jahres einen Import-Export-Verrechnungskurs von i DM zu 4,40 Mark Ost. Seit dem 1. Juli lautet der Verrechnungskurs 1 : 1. Das heißt aber, wer keine Scheuklappen hatte, mußte wissen, daß die Mehrheit der Industrie regelrecht hinweggefegt werden würde

    (Josef Grünbeck [FDP]: Wie hätten Sie es denn gemacht?)

    — ich komme gleich darauf — , übrigens nicht nur in bezug auf den Export in den Osten, wie Sie immer behaupten, sondern auch in den Westen.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was ist denn in den Westen gelaufen?)

    — Fragen Sie doch einmal im Haus Quelle nach, wieviel sie eingekauft haben.
    Nicht nur hinsichtlich der Exporte in das Ausland, sondern gerade auf dem Binnenmarkt wurde man hinweggefegt. Das heißt, es gab eine regelrechte Importsubstitution. Bitte schön, das werfe ich Ihnen nicht vor;

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das können Sie auch nicht!)

    dieser ökonomische Vorgang war mit der Währungsunion verbunden. Ich werfe Ihnen vielmehr vor, daß Sie das nicht einmal analysiert und keine entsprechenden Antworten formuliert haben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordenten der PDS/Linke Liste — Josef Grünbeck [FDP]: Wie hätten Sie es denn gemacht?)

    Ich habe, wie gesagt, im letzten Jahr ständig dargestellt, daß die Industrie chancenlos sein wird.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Ihre Rezepte, Herr Roth!)

    Was haben Sie denn gesagt? Sie haben gemeint: Der Mittelstand macht es. Ich könnte dazu viele Zitate von Haussmann wiedergeben, der gehen mußte, weil er sich da verschätzt hat.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Nennen Sie lieber Ihre Rezepte!)

    Wie kann denn ein Mittelstand erfolgreich sein, wenn die Großindustrie — Leuna, Buna, Wartburg, Trabant, Zeiss und Robotron — praktisch Hunderttausende Arbeitsplätze verliert?

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wo ist denn da der Zusammenhang?)

    Wir wissen doch, daß ein funktionstüchtiger Mittelstand sehr stark auch von einer funktionstüchtigen Großindustrie abhängig ist. Schauen Sie sich einmal Baden-Württemberg an. Der schwäbische Mittelstand hängt natürlich auch mit an Daimler, an Bosch, ja, an den Großbetrieben der ganzen Bundesrepublik. Wie kann man sich denn vorstellen, daß ein Mittelstand aus sich heraus die Kraft hätte, in der Industrie erfolgreich zu sein?
    Meine Damen und Herren, statt sich nun klarzumachen — zum erstenmal hat heute von der Regierung her Herr Möllemann diesen Unterschied klargemacht; ich bin ihm dankbar dafür — , daß dieser Vergleich mit der Erhard-Ära völlig in die Irre führt, weil wir damals einen Außenschutz und ein exportorientiertes Wachstum hatten — 1 Dollar war 4,20 DM wert — , damals also eine völlig andere Situation herrschte, haben Sie den Träumen der 50er Jahre nachgehangen und so das Handeln vergessen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Meine Damen und Herren, Sie schreien zu Recht dazwischen: „Ihre Vorschläge! ". Die kommen jetzt.
    Erstens. Wenn ein Großteil der industriellen Basis sofort wegfällt, müssen unverzüglich kleine regionale Wirtschaftskreisläufe organisiert werden.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Vom Staat?)

    Das kann nur der Staat mit einer Stärkung der Nachfrage.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt haben wir's!)




    Wolfgang Roth
    In diesen Tagen hat der Altmeister der Wirtschaftspolitik in der derzeitigen Regierung, Herr Schlecht, in großer Unbefangenheit gesagt, daß bei einem derartigen Wirtschaftsumbruch natürlich der Staat in die Nachfragelücke eindringen und vorübergehend einen Anstoß geben muß, damit die mittlere Industrie aufwachsen kann.

    (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das geschieht mit Geld und mit Personal!)

    Gut gesagt, Herr Schlecht.
    An dieser Stelle will ich sagen: Dies ist die letzte Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht, bei der Sie auf der Regierungsbank sitzen. Leider wird mit Ihrer Pensionierung die Qualität der Regierung schlechter. Ich habe die Hoffnung, daß wir viele Gelegenheiten haben, an anderer Stelle mit Ihnen zu diskutieren und Ihren Rat zu hören. Fahren Sie gut, alter Fahrensmann! Viel Erfolg — und nicht nur Golf!

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Zweitens. Wenn im Osten industriell so viel wegbricht, ist durch Investitionszuschüsse und Sonderabschreibungen eine konsequente Förderung privater Investitionen notwendig, und zwar ab dem Tag, an dem die Währungsunion vollzogen wird. Ich habe damals Sofortabschreibungen gefordert. Jetzt haben Sie 50 % Sonderabschreibungen und zusätzlich einen Investitionszuschuß eingeführt — mit neun Monaten Verspätung. Ich bin ja froh, daß Sie meine Gedanken vom Juni vorigen Jahres, in diesem Hause vorgetragen, übernommen haben.
    Herr Möllemann hat recht: entweder Sofortabschreibungen zu 100 % oder eine Kombination aus 50 % Sonderabschreibungen und kumulativen Zuschüssen. Das wirkt gleichermaßen. Ich akzeptiere diese Variante der Regierung. Ich verstehe sehr gut, daß man die Oppositionsvorschläge nicht unbedingt völlig unverändert übernehmen will.
    Das ist ein richtiges Instrument. Ich unterstütze Sie in dieser Sache. Ich kann Ihnen nur sagen: Vor neun Monaten wäre dies das richtige Signal gewesen, das uns allen bei der Bewegung von privatem Kapital in Richtung Osten geholfen hätte.

    (Beifall bei der SPD — Josef Grünbeck [FDP])

    Drittens — das ist vielleicht der entscheidende Punkt — :

    (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Jetzt bleibt der Grünbeck stumm! — Detlev von Larcher [SPD]: Er schüttelt den Kopf!)

    Die Treuhandanstalt hatte den Auftrag, 8 000 Betriebe in neue Verantwortung zu überführen. Sie hatte außerdem die Aufgabe, viele Industriekombinate, die marode waren, auf eine gewisse Zeit durchzufinanzieren und, wo es möglich war, beispielsweise zu privatisieren.
    Meine Damen und Herren, statt diese Betriebe schrittweise in die Marktwirtschaft zu überführen — natürlich auch in den Fällen, in denen es möglich ist, sie sofort in private Hand zu geben — hat die Treuhandanstalt von der Bundesregierung völlig unrealistische Aufgaben zugeteilt bekommen, nämlich alles schnell zu privatisieren. Das war der erste Auftrag. Man kann nicht einerseits beklagen, daß eine Wirtschaft 40 Jahre unter Kommando stand, und dann die Illusion haben, man könne das blitzschnell unter private Dächer bringen. Das war schon vom geistig-politischen Ansatz her eine Fehleinschätzung.

    (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie schlagen sich mit den eigenen Worten! Vor zwei Minuten haben Sie anders geredet!)

    Meine Damen und Herren, damit wurde der Prozeß der Beseitigung von Arbeitsplätzen noch verschärft, statt ihn durch eine kluge Politik der Treuhandanstalt abzumildern. Natürlich ist es am besten — wer bestreitet das —, wenn man schnell einen privaten Investor findet,

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Also!)

    der die Struktur eines Betriebes erneuert. Das ist sozusagen die Traumkonstellation: privates Geld, privates Know-how, Management und die Nutzung leistungsfähiger Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Zählen Sie doch die Neugründungen!)

    Aber diese Traumkonstellation gibt es leider kaum.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Zählen Sie doch mal!)

    Deshalb braucht man andere Vorgaben und bessere Instrumente für die Treuhand. Hier gibt es jetzt noch Handlungsbedarf.
    Wir schlagen vor, daß die Treuhand die Aufgabe bekommt, nicht nur Eröffnungsbilanzen zu machen — die sind weitgehend fertig — , sondern auch Sanierungskonzepte bis Ende des Jahres für jedes einzelne Unternehmen vorzulegen, Sanierungskonzepte, die dann in der Tat Ausgangsbasis für Gespräche mit der privaten Wirtschaft sein können.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal, was das heißt!)

    Aber diese Sanierungskonzepte dürfen nicht nur an privatwirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet werden, sondern hier müssen arbeitsmarkt- und regionalpolitische Gründe genauso einbezogen werden. Das fehlt in Ihrem gesamten Denken.

    (Beifall bei der SPD)

    Damit muß erreicht werden, daß — aus regionalen Arbeitsmarktgründen — Arbeitsplätze an unverzichtbaren Industriestandorten auch dann vorübergehend erhalten werden, wenn das ohne eine mittelfristige Unterstützung des Staates nicht erreichbar ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Hier ist eine besonders enge Zusammenarbeit zwischen Treuhand, regionaler Politik bzw. Landespolitik, Arbeitsverwaltung und den Gemeinden erforderlich. Hier haben mittelfristig beispielsweise Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften eine besondere Bedeutung. Das gilt etwa für die Werftstandorte in Mecklenburg-Vorpommern, für Arbeitsplätze im Braunkohlegebiet und in den Stahlwerken in Brandenburg, für Chemiestandorte in Sachsen-Anhalt, für



    Wolfgang Roth
    die Mikroelektronik in Sachsen und den Kalibergbau in Thüringen.
    Beim Unternehmensverkauf sind in erster Linie die Zahl der gesicherten Arbeitsplätze und der Umfang der vorhersehbaren Investitionen wichtig. Das muß beim Preis bewertet werden. Die Höhe des erzielbaren Preises für die Treuhandanstalt ist erst nachrangig. Das ist unsere Alternative.
    Wir sind auch der Meinung, daß den Ländern im Osten das recht und billig sein muß, was wir im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg sehr oft gemacht haben. Ich erinnere an den Fall VIAG. Ich erinnere an Salzgitter. Ich erinnere an die Aktion für Krupp, heute ein gut dastehendes Unternehmen. Ich erinnere an die Aktion für AEG. Mit öffentlichen Sanierungsmitteln, Bürgschaften und Garantien haben wir die jahrelang am Leben gehalten. Ich finde, das ist jetzt auch im Osten notwendig.

    (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wir haben Dinge produziert, die verkaufbar waren!)

    Meine Damen und Herren, ich bin sehr zurückhaltend — ich sage das nochmals — gegenüber schlichten Ideen zur Beibehaltung unter staatlicher Kontrolle. Wo Privatisierung möglich ist, ist sie gut. Die Bundesländer im Osten wären mit einer dauerhaften industriellen Verantwortung auch überfordert.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Weise Erkenntnis!)

    Aber vielfältige Übergangsmodelle sind machbar, sind organisierbar und sind auch im Westen früher schon erprobt worden.
    Es ist falsch — ich möchte das hier ausdrücklich sagen — , dauernd auf der Treuhandanstalt herumzuklopfen.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Genau das haben Sie gemacht!)

    Ich habe von Herrn Rohwedder noch in den letzten Tagen seines Lebens ausdrücklich den Dank bekommen, daß die Sozialdemokraten im Gegensatz zu anderen nicht die Treuhand angegriffen haben, sondern die falschen Vorgaben, die die Bundesregierung der Treuhand gegeben hat.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste])

    Weil der Zwischenruf von vorhin in eine andere Richtung ging, will ich auch etwas zu meiner zurückhaltenden Kritik an der Person von Frau Breuel sagen.

    (Matthias Wissmann [CDU/CSU]: Zurückhaltend?)

    Ich habe mit Frau Breuel

    (Matthias Wissmann [CDU/CSU]: „Rücksichtslose Privatisierungspolitik" !)

    ein Erlebnis in einer ganz wichtigen Sanierungsproblematik gehabt. Die Betriebsräte von Hanomag hatten mich gebeten, ihre Interesse mit zu vertreten, als damals Hanomag in Hannover pleite war. Ich muß sagen: Ich bin bei Frau Breuel damals auf Granit gestoßen. Sie hätte den Bankrott von Hanomag zugelassen. Ich lobe unseren früheren Kollegen Ritz, den damaligen Finanzminister von Niedersachsen. — Ich weiß gar nicht, was er heute tut. Früher war er hier agrarpolitischer Sprecher. — Er hat als Finanzminister eingegriffen und Hanomag saniert, heute eine funktionstüchtige private Hannoveraner Firma. Diese Art von Politik will ich. Da habe ich kein Vertrauen zu Frau Breuel.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Würden Sie heute noch den Trabi produzieren? Sagen Sie das!)

    Aber Frau Breuel ist das jetzt, und jetzt wird aufgehört, an Frau Breuel herumzumäkeln.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Dann lassen Sie es!)

    Jetzt wird genau betrachtet, was Frau Breuel in ihrer Verantwortung tut, und nach einem halben Jahr wird das bewertet. Das ist mein Verhalten in dem Zusammenhang.

    (Beifall bei der SPD — Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Die Einsicht kommt spät!)

    Meine Damen und Herren, wir stehen nun vor neuen Gesprächen zwischen Regierung und Opposition. Wenn Herr Kohl die Unterstützung von uns will, dann müssen Korrekturen in der Wirtschaftspolitik durchgeführt werden. Korrekturen hat es ja schon gegeben. Ich habe hier ein paar erwähnt.
    Ich bin der Auffassung, daß drei Felder besonders wichtig sind:
    Erstens. Die Eigentumsfrage ist nicht abgehakt. Herr Möllemann, Sie haben zu Recht vor den Verhandlungen mit Kinkel gefordert: Entschädigung geht vor Rückgabe. Das ist nicht realisiert worden. Das Prinzip ist gleich geblieben. Herausgekommen ist eine sehr komplizierte Regelung, die funktionieren kann, erstens wenn der Unternehmer, der hinübergeht, ein ganzes Heer von Rechtsanwälten beschäftigt, die ihn aufklären, und zweitens wenn die Gemeinden und Länder tollkühn ins Rechtsrisiko gehen. Ich glaube, weitere Vereinfachungen sind notwendig. Hier müssen Sie sich korrigieren.
    Zweiter Punkt: Ich bin der Auffassung, daß Sie sich in einer zweiten Frage auf Ihre Ausgangsposition zurückbegeben müssen, die Sie jetzt offenbar klammheimlich aufgegeben haben. Sie hatten völlig recht mit der Forderung, daß die Treuhandanstalt vom Finanzministerium weg muß. Es ist einfach schon von der Größe und dem Umfang dieses Ministeriums her nicht akzeptabel, daß die da untergebracht wurde. Der Finanzminister macht nicht nur den Haushalt, er ist auch für die gesamte Finanzpolitik, Steuerpolitik zuständig. Er macht nicht nur internationale Finanzpolitik, nein, er ist auch für die Geldpolitik zuständig, er ist für die Bundesbank zuständig. Nun hat Herr Kohl dem Herrn Waigel auch noch die Treuhandanstalt übertragen. Man sieht schon, daß das Bundesfinanzministerium völlig die wirtschaftspolitische Kontrolle über die Treuhand verloren hatte. Sie war nicht mehr Einflußfaktor. Das ist falsch.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Meinung ist, Sie sollten einmal so mutig sein, wie Sie es nach Ihrer Operation wieder zeigen, was



    Wolfgang Roth
    das Springen vom Himmel anbetrifft. Bleiben Sie auf der Erde, und kämpfen Sie darum, daß die Treuhandanstalt in Ihr Ressort kommt. Sie haben volle Unterstützung von der Opposition.

    (Beifall bei der SPD — Josef Grünbeck [FDP]: Vorsicht!)

    Der letzte Grundsatzpunkt: Ich bin der Auffassung, Sie können mit uns nur ernsthaft verhandeln, wenn die Vermögensteuer und die Gewerbekapitalsteuer nicht beseitigt werden. Kooperation mit uns in der Wirtschafts- und Finanzpolitik für die neuen Bundesländer ist nur möglich, wenn die soziale Symmetrie stimmt. Meine Damen und Herren, soziale Symmetrie ist nicht möglich, wenn die Vermögensmillionäre Steuernachlaß bekommen, während der Durchschnittseinkommensbezieher die Zeche der deutschen Einheit zu zahlen hat.

    (Beifall bei der SPD — Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Altes Klassenkampfgerede!)

    Das sind die drei Voraussetzungen.
    Wir gehen in diese Gespräche mit einem konstruktiven Willen. Meine Kollegen werden noch einzelne Vorschläge über das hinaus machen, was ich hier in der beschränkten Zeit machen konnte.
    Meine Bitte ist, jetzt nicht zu taktieren, sondern wirklich Gemeinsamkeit suchen im Hinblick auf die 3 bis 3,5 Millionen Arbeitslosen im Osten, die vorausgesagt werden. Diese Zahl müssen wir gemeinsam verhindern.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wissmann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Matthias Wissmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses ist der erste Jahreswirtschaftsbericht, der sich mit der Wirtschaft in ganz Deutschland beschäftigt. Deswegen müssen wir hier jene Kontrastsituation analysieren, die sich in West- und Ostdeutschland gegenwärtig wirtschaftlich darstellt. Die westdeutsche Wirtschaft erlebt in den alten Bundesländern das neunte Jahr einer ausgeprägten Hochkonjunktur.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da gab es auch mal Minuswachstum!)

    Anhaltendes Wirtschaftswachstum, hohe Preisstabilität prägen die wirtschaftliche Entwicklung.
    Gestern noch hat der Zentralverband des Deutschen Handwerks mitgeteilt, daß allein im deutschen Handwerk 600 000 Stellen offen sind, 200 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen.

    (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    Mit anderen Worten, Westdeutschland ist die Konjunkturlokomotive Europas und mehr denn je eine der besten Wirtschaftsadressen in der Welt. Diese wirtschaftliche Dynamik brauchen wir auch, wenn wir die großen Herausforderungen in den neuen Bundesländern, die noch in einer wirtschaftlichen Talsohle stekken, bewältigen wollen.
    Es zeigen sich dort — wir haben das erst in diesen Tagen bei einem Besuch in Erfurt und Jena erlebt —
    große Umstellungsschwierigkeiten. Aber wen kann das verwundern? Ich meine, wir sollten aus unserer Verantwortung gegenüber den Mitbürgern in den neuen Bundesländern unbequeme Wahrheiten über den Zustand der ostdeutschen Wirtschaft offen aussprechen und dennoch den Menschen Mut für die Zukunft machen und ihnen für den zunächst dornigen Weg in die Marktwirtschaft eine positive Perspektive vermitteln.
    Herr Kollege Roth, ich halte auch nichts von Theoriediskussionen über Markt und Staat, sondern was wir brauchen ist ein gemeinsames unideologisches Anpacken. Der Markt ist der Kern einer freien Wirtschaftsordnung. Trotzdem weiß doch jeder, daß mit den Mitteln des Marktes allein die Herausforderung drüben nicht zu stemmen ist.

    (Dr. Uwe Jens [SPD]: Das steht im Godesberger Programm!)

    Wer es genau nachlesen will, der muß sich Ludwig Erhards berühmten Wiedervereinigungsartikel aus dem Jahre 1953 noch einmal vor Augen führen. Ludwig Erhard sagt dort:
    Die Produktivität der ostdeutschen Wirtschaft ist so rasch und so energisch zu bessern, daß der Prozeß der Leistungsangleichung auch zeitlich so kurz wie möglich bemessen werden kann.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das gilt heute noch!)

    Er sagt dann:
    Privates und öffentliches Kapital ist in ausreichendem Maße zu mobilisieren. Der Wirtschaft des Ostens muß der Staat dazu Hilfestellung geben.
    Also lassen wir doch die künstlichen Debatten weg — die helfen den Menschen nicht — , sondern schauen wir, daß wir an den Stellen anpacken, an denen die Herausforderungen am größten sind.
    Noch ein Wort zu manchen Demonstrationen der letzten Tage und zu manchen Bemerkungen auch aus Ihren Reihen: Versuchen Sie nicht, die Schwierigkeiten drüben damit zu begründen, daß wir jetzt die Wende zu Demokratie und Marktwirtschaft gemeinsam, West- und Ostdeutsche zusammen, unternehmen, sondern machen wir gemeinsam klar: Was wir hier vorfinden, ist ein Erbe von 40 Jahren Planwirtschaft und nicht von wenigen Monaten Marktwirtschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Kommunistische Kumpanei und Korruption!)

    Wer in diesen Tagen in Erfurt oder Dresden, in Schwerin oder Magdeburg Gespräche führt und Informationen sammelt, der bekommt die Sünden der alten Kommandowirtschaft in vollem Umfang zu spüren: die jahrzehntelange Abschottung gegen internationale Konkurrenz, die Vernachlässigung der Infrastruktur, die totale Bürokratisierung aller Lebensbereiche. Die hohe verdeckte Arbeitslosigkeit aus alten DDR-Tagen spiegelt sich jetzt in der Freisetzung von Arbeitskräften und in Kurzarbeit wider. Ganz besonders ungünstig wirkt sich der weitgehende Zusam-



    Matthias Wissmann
    menbruch der traditionellen Lieferbeziehungen zu den bisherigen RGW-Staaten aus.
    Aber es gibt nicht nur Schatten, sondern auch erstes Licht in der Wirtschaft der neuen Bundesländer. So hat seit Anfang 1990 rund 1 Million Menschen eine neue Beschäftigung gefunden. Über 300 000 Gewerbe sind in dieser Zeit neu angemeldet worden. Mit den bisherigen Privatisierungen der Treuhandanstalt sind 340 000 Arbeitsplätze gesichert und Investitionen in Höhe von 50 Milliarden DM angeschoben worden.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das sieht etwas anders aus, Herr Roth!)

    Herr Roth hat soeben von der Baunachfrage gesprochen. Natürlich wissen wir, daß die Schwierigkeiten noch groß sind. Aber gerade in diesen Tagen sagt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung auf Grund neuester Zahlen: Es gibt erste Anzeichen dafür, daß die Talsohle der Baunachfrage durchschritten wird. Das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, insbesondere die an die Gemeinden überwiesenen 5 Milliarden DM, helfen mit, daß jetzt auch die notwendigen öffentlichen Investitionen in Gang kommen, die wir gemeinsam dringend brauchen.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Herr Roth weiß, daß auch bei uns im Winter nicht gebaut wird!)

    Eine der Schlüsselfragen wird natürlich sein: Wie kommen die Verantwortlichen der Treuhand mit Privatisierung und Sanierung voran? Wenn man diesen etwas künstlichen Streit auf die Substanz zurückführen will, hilft ein Zitat des Sozialdemokraten Manfred Stolpe, der in diesen Tagen in einem Interview gesagt hat: Die beste Sanierung ist die Privatisierung,

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Ein guter Mann! — Zuruf des Abg. Wolfgang Roth [SPD])

    und der darauf hingewiesen hat, daß es jetzt — Herr Roth, das ist vielleicht auch für Sie wichtig — nicht darum geht, zu jammern, sondern darum, anzupakken.

    (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Und mitzuhelfen!)

    Er sagt: Wir schaffen es; wir brauchen keine große Koalition; wir brauchen den gemeinsamen Willen für das Aufbauwerk Ost. Und er schreibt dann manchen Demonstrationsagitatoren, auch der letzten Tage, ins Stammbuch: Ich rate den Gewerkschaften zu mehr Sensibilität im Umgang mit den neuen Bundesbürgern; ich warne vor Verhetzung und Demagogie; es darf kein Spiel mit dem Feuer werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wenn das die Grundlage für Gespräche zwischen der Regierung und den Sozialdemokraten ist, dann sind solche Gespräche nützlich. Aber es geht nicht an, Gespräche zu wollen und gleichzeitig an anderer Stelle Feuer anzuheizen. Wir wollen gemeinsam an Punkten anpacken, in denen wir Gemeinsames leisten können.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist das alte Spiel! — Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Das wird doch immer wieder versucht: Hier salbungsvoll und dort anders!)

    Die Treuhand benötigt bei Kaufangeboten, bei Privatisierungsverfahren und Entscheidungsträgern noch mehr Transparenz. Mit ihrer in der letzten Woche vorgestellten Unternehmensbörse und dem Mittelstandskonzept stellt die Treuhand die Weichen richtig. Sie schafft den Wettbewerb, der bei 3 000 Kaufangeboten von Mittelständlern nötig ist, um marktgerechte Preise und sinnvolle Unternehmenskonzeptionen zu entwickeln.
    Aber wir meinen, es können einige zusätzliche Schritte unternommen werden, um Sanierung und Privatisierung voranzubringen. Beispielsweise müssen noch mehr Investmentbanken oder Unternehmensmakler als bisher eingeschaltet werden, um durch Einbeziehung externen Sachverstands den Kreis potentieller Kaufinteressenten zu vergrößern. Darüber hinaus könnten für bestimmte Betriebe mehr als bisher Versteigerungsverfahren genutzt werden oder könnte das „management buy out" forciert werden, damit ein aktiver Mittelstand entstehen kann.
    Es hat mich in diesen Tagen in Thüringen tief beeindruckt, mit Vertretern großer Betriebe und den Managern dort und mit den Ausgründern und den Mittelständlern zu sprechen. Ich sage Ihnen ganz offen: Auf uns alle, die dort waren, hat am meisten jener mittelständische Geist Eindruck gemacht, der sich etwa in folgenden Worten eines der Ausgründer ausdrückte: Wir vertrauen auf unsere eigene Kraft; wir rufen nicht in erster Linie nach dem Staat; wir wollen mit Eigeninitiative den Weg machen; und ihr müßt dafür sorgen, daß die bürokratischen Fesseln beseitigt werden. Genau das ist richtig. Das ist der Weg in die Zukunft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ebenso sind die Möglichkeiten der Mitarbeiterbeteiligung stärker als bisher einzubeziehen. Wir können nicht im Westen die Beteiligung von Arbeitnehmern am Produktivkapital fördern und sie bei der Privatisierung im Osten ablehnen.
    Mehr und mehr an Bedeutung gewinnt in diesem Jahr die Privatisierung des von der ehemaligen DDR-Regierung übernommenen Grund und Bodens. Wir begrüßen die von der Bundesregierung beschlossenen Beschleunigungsmaßnahmen. Sie geben Städten und Kommunen die Möglichkeit, z. B. eine Vielzahl von bisher militärisch genutzten Objekten wie Kasernen oder Standortverwaltungen zusammen mit dem Bundesvermögensamt umgehend zu privatisieren.
    Eines ist aber auch klar geworden: Nötig sind dabei noch zügigere Verfahrens- und Entscheidungsabläufe. Die langwierigen Genehmigungsverfahren, die wir im Westen gewohnt sind, dürfen kein Maßstab für die Entscheidungen in den fünf neuen Bundesländern sein; denn gerade auf solchen bisher staatlichen Grundstücken können Gewerbeflächen, Gewerbehöfe , Handwerkerhöfe, Technologieparks entstehen, kann die Grundlage für einen Aufschwung auch und gerade im Mittelstand geschaffen werden. Dafür müssen jetzt die Breschen geschlagen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Matthias Wissmann
    Die Bundesregierung legt zu Recht auch auf die Sanierungsarbeit der Treuhandanstalt Gewicht. Wichtig ist, daß die Treuhand nun eine Auflistung der Betriebe nach ihrer Wettbewerbsfähigkeit vornimmt und die Sanierungskonzepte ständig durch unabhängige Sachverständige überprüfen läßt.
    Für eine kompetente Führung vieler Treuhandunternehmen müssen noch mehr erfahrene Manager gewonnen werden. Auch das sage ich ganz offen — das spürt man ja auch in Gesprächen mit vielen Arbeitnehmern drüben — : Noch zu häufig finden sich in der Führung von Betrieben die alten Wendehälse,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

    die außer Anpassungsfähigkeit wenig zu bieten haben. Ich verstehe die Empörung mancher Bürger in den neuen Bundesländern, wenn nicht selten — um die Sprache zu gebrauchen, die man dort hört — die alten roten Socken zuerst jene Mitarbeiter entlassen, die schon immer eine eigene Meinung hatten.
    Deswegen ist es notwendig, daß viele gute Leute aus dem mittleren Management drüben, aus der zweiten, dritten und vierten Reihe, jetzt eine Chance in der ersten Reihe des Managements bekommen und auf diese Weise Talente gefördert werden. Diese Leute aus dem mittleren Management müssen zusammen mit erfahrenen Managern aus dem Westen die Chance bekommen, Unternehmenskonzepte zu entwickeln, zu privatisieren, zu sanieren; denn, Herr Kollege Roth, daß die Treuhand für 6 000 Unternehmen eigene Unternehmenskonzepte entwickeln kann, ohne auf die Kenntnis in den Betrieben zurückzugreifen, halte ich schlichtweg für unmöglich. Es muß von unten kommen und von oben koordiniert werden, damit daraus ein sinnvolles Konzept wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Gegenwärtig wird viel darüber diskutiert, was getan werden kann, um Industriestrukturen drüben zu erhalten und die fünf neuen Bundesländer auch als Standort für Industrieproduktionen in die Zukunft zu führen. Jedermann, der die Dinge kennt, weiß: Es wird sehr bald einen Aufschwung im Gewerbe, im Handel, im Mittelstand, im Handwerk geben. Aber die große Herausforderung ist: Wie erhalten wir die fünf neuen Bundesländer als Standort für Industrieproduktionen?

    (Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS/Linke Liste]: Sehr richtig!)

    Wie verhindern wir, daß die fünf neuen Bundesländer einfach zur verlängerten Werkbank des Westens werden?

    (Albert Pfuhl [SPD]: Dann sage es einmal! — Wolfgang Roth [SPD]: Jetzt reden Sie ja wie ich vor einem Jahr!)

    Ich sage ganz deutlich: Das beste Konzept dafür ist nicht sektorale Strukturpolitik, also das, was wir aus dem Westen kennen, was wir bei Luftfahrt, Kohle, Werften in den letzten Jahrzehnten schlecht und recht bewältigt haben. Was wir vielmehr brauchen, ist eine innovative regionale Strukturpolitik, die etwa in Räumen wie Erfurt und Jena oder an der Küste

    (Wolfgang Roth [SPD]: Das ist doch sektoral!)

    oder in Chemnitz und Dresden den Teil der Industrieproduktion, der auf Dauer eine Chance hat, jetzt über die schwierigen Monate hinwegführt, dabei auch staatlich assistiert, aber mit dem Ziel, Hilfen für den Übergang, nicht Hilfen für eine lange Zeit zu geben. Subventionen sind sinnvoll, wenn sie Strukturen entwickeln, die sich im Markt behaupten können, aber nicht sinnvoll, wenn sie auf immer und ewig angelegt sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Wer bestreitet das denn?)

    Wir bitten den Bundeswirtschaftsminister, ein Konzept für eine solche innovative Regionalpolitik zusammen mit den Bundesländern „drüben" zu entwickeln. Denn das Ziel muß sein, auch in den fünf neuen Bundesländern relevante Produktionsstandorte im Interesse der Menschen zu erhalten.
    Meine Damen und Herren, jetzt geht es darum, daß das Geld des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost schnell umgesetzt wird und Investitionsvorhaben zügig realisiert werden. Das notwendige Geld steht zur Verfügung.
    Das Nadelöhr sind jetzt die Verwaltungsprobleme. 10 000 Beamte aus den alten Bundesländern arbeiten bisher in Ostdeutschland. Aber zwischen 20 000 und 40 000 erfahrene Verwaltungsfachleute werden vorübergehend benötigt werden, um die Aufbauarbeit zusammen mit den Menschen dort zu leisten.
    Ich begrüße die Einrichtung der Aufbaustäbe. Nun gilt es aber, unkonventionelle Wege zu gehen, um die Verwaltungsabläufe zu beschleunigen. Dazu gehört beispielsweise die vorübergehende Übernahme bestimmter Verwaltungsaufgaben, z. B. die Aufarbeitung der Grundbücher und die Durchführung von Planfeststellungsverfahren durch Kommunen, Städte und Landkreise in den alten Bundesländern.
    Der Aufbau benötigt Verwaltungsexperten aus den alten Bundesländern, die die Geschäftsbesorgung in den Entscheidungsgremien der Kommunen, Städte und Landkreise in den neuen Ländern zeitweise durchführen — nicht um sich als „Besser-Wessis" aufzuspielen, sondern um den Menschen „drüben" partnerschaftlich zu helfen, damit der Aufbau bewerkstelligt werden kann. Denn ohne effiziente Verwaltungen werden Investitionen nicht zügig umgesetzt werden. Wir brauchen die notwendigen Schritte bald und sind froh über die Vorschläge des Innenministers, die jetzt umgesetzt werden können, um die Dinge zu verbessern.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber die Entscheidung muß vorher getroffen werden! — Wolfgang Roth [SPD]: Also brauchen wir eine Bürokratie, um eine private Wirtschaft funktionieren zu lassen!)

    Meine Damen und Herren, wer Eigeninitiative stärken, den Eigentumsgedanken verankern und die Konjunktur ankurbeln will, muß dafür sorgen, daß möglichst viele Wohnungen „drüben" möglichst schnell privatisiert werden.



    Matthias Wissmann
    Die Stadt Freital in Sachsen hat sich in vorbildlicher Weise entschlossen, 11 000 von 20 000 städtischen Wohnungen zu verkaufen.

    (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Zwischen 60 % und 100 % der bisherigen Mieter dieser Häuser sind bereit, die Wohnungen zu niedrigen Preisen zu erwerben und sie schnellstens zu modernisieren. Ein solches Konzept schafft Wohnungseigentum und reduziert die Energiekosten. Denn eines ist klar: Wenn die neuen Eigentümer ihre Wohnungen nun renovieren, regen sie die Nachfrage nach Baustoffen an und geben so der Bauwirtschaft, insbesondere dem Bauhandwerk, neuen Schwung. Dieses Modell sollte Schule machen.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ja!)

    2,8 Millionen Wohnungen befanden sich Ende 1989 in der Hand des SED-Staates.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Unvorstellbar ist das !)

    Wir erwarten jetzt vom Wirtschaftsministerium und vom Wohnungsbauministerium Vorschläge, wie noch betehende faktische und rechtliche Hindernisse für eine zügige Privatisierung von Wohnungen in Ostdeutschland umgehend beseitigt werden können. Gerade in Zeiten der Kurzarbeit, gerade in Zeiten vorübergehender Arbeitslosigkeit, gerade in Zeiten, in denen wir das Bauhandwerk ankurbeln müssen, gerade in Zeiten, in denen die Wärmedämmung in den Wohnungen „drüben" fast nirgendwo mit der unsrigen vergleichbar ist, sollten wir den Menschen die Chance geben, Eigentum zu günstigen Bedingungen zu erwerben, damit sie selbst anpacken, damit sie mithelfen, daß ihre Wohnungen in Ordnung kommen, damit sie vor hohen Mieten geschützt sind und damit die Baukonjunktur angekurbelt wird, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Warum machen Sie das denn nicht? Vorschläge!)

    Ich glaube, dies ist dringend notwendig.
    Und wenn ich beim Thema Bau bin, meine Damen und Herren, dann will ich, an den Bundeswirtschaftsminister gerichtet, nur hinzufügen: Wir unterstützten alles, was mithilft, beim Wohnungsbauprogramm für die UdSSR — Volumen: 7,8 Milliarden DM — ostdeutsche Bauarbeiter so umfassend wie möglich zu beteiligen.
    Ich weiß, warum ich dies hier sage, meine Damen und Herren: Es wäre paradox, wenn Aufträge im Rahmen des 7,8 Milliarden-DM-Wohnungsbauprogramms an Unternehmen vergeben würden, in denen nur ein kleiner Teil ostdeutscher Bauarbeiter beteiligt ist, während „drüben" gleichzeitig Zehntausende von Menschen aus dem Bauhandwerk und dem Baugewerbe nach Arbeit suchen.

    (Beifall bei Abgeordenten der CDU/CSU)

    Wir müssen mit der Sowjetunion dafür sorgen, daß hier nicht nur eine gute Leistung für den Aufbau von Wohnungen für die in die Sowjetunion heimziehenden Truppen erfolgt, sondern gleichzeitig auch eine entscheidende Hilfe für die Menschen in den neuen
    Bundesländern. Wir bitten die Bundesregierung, alles zu tun, damit dies bei der Vergabe durch die Sowjetunion in jedem Falle gewährleistet wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, uns stellen sich aber nicht nur große wirtschaftspolitische Aufgaben; vielmehr haben wir in den alten und den neuen Bundesländern — dies kommt im Jahreswirtschaftsbericht vielleicht doch etwas zu kurz — auch die Aufgabe einer noch innovativeren Umweltpolitik. Ober 40 Jahre Sozialismus haben die neuen Bundesländern als ökologisches Trümmerfeld hinterlassen, dessen Altlasten eine schwere Hypothek für den Neuaufbau darstellen. Wie alle wissen: auch im Westen bleiben die Umweltherausforderungen groß. Globale Bedrohungen unserer Existenzgrundlage wie der Treibhauseffekt, das Ozonloch, die Vergiftung der Böden, die Verschmutzung von Luft und Weltmeeren machen die Entwicklung deutlich.
    Zur Zeit beruht der Stand der Umwelttechnik, wie man gemeinhin sagt, überwiegend auf dem Einsatz nachgeschalteter Reinigungstechniken, bei denen umweltbelastende Stoffe „end of pipe" oder „downstream", also am Ende des Schornsteins oder flußabwärts, gesammelt werden und dann mit hohem technischen und finanziellen Aufwand entsorgt werden müssen.
    Eine zukunftsorientierte Umweltpolitik aber erfordert Konzepte, die einen auf die Vermeidung von Umweltbelastungen ausgerichteten technischen Fortschritt in Gang setzen. Unser aller grundlegender Gedanke muß lauten: Vorsorge statt Nachsorge. Ansatzpunkte hierfür sind sogenannte integrierte Lösungen, die umweltbelastende Emissionen erst gar nicht entstehen lassen.
    Ein beeindruckendes Beispiel für den produktionsintegrierten Umweltschutz ist die Herstellung von aromatischen Aminen durch ein neues Verfahren. Dabei ist es gelungen — ich nenne nur eines von Hunderten von Beispielen — , ganze 237 Kilogramm Abfallstoff pro 100 Kilogramm Amine auf nur zwei zu reduzieren.
    Zahlreiche Anwendungen moderner Schlüsseltechnologien ermöglichen die ungeahnte Optimierung des Umgangs mit Ressourcen. Denkbar ist alles: von einer computerintegrierten Pflanzenproduktion in der Landwirtschaft bis hin zu Pkw-Motoren, die durch elektronische Steuerung nahezu emissionsfrei betrieben werden können.
    Um die Entwicklung und den Einsatz vorsorgender Umwelttechniken zu forcieren, benötigen wir noch stärkere wirtschaftliche Anreize. Forschungs-, Entwicklungs- und Existenzgründungsprogramme für eine solche Ausrichtung, auch steuerliche Anreize wie z. B. Sonderabschreibungen für Investitionen im vorsorgenden Umweltschutz müssen überlegt werden. Eine Vorrangstellung für integrierte Umweltschutzanlagen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge muß in Betracht gezogen werden, oder aber die Beseitigung von bürokratischen Hemmnissen bei Planung, Genehmigung und Bau integrierter Anlagen.



    Matthias Wissmann
    Mir geht es darum, daß wir Wirtschafts- und Umweltpolitik nicht künstlich trennen, daß wir vielmehr verstehen lernen: In den neuen Bundesländern wie in den alten Bundesländern werden wir mit marktwirtschaftlichen Mitteln die Umweltherausforderungen eher lösen können als allein mit bürokratischen und staatlichen. Die Zuständigkeit für ein Gesamtkonzept liegt beim Bundesminister für Wirtschaft. Seine Aufgabe wird es sein, Ordnungspolitik aus einem Guß ressortübergreifend zu koordinieren und marktwirtschaftlich zu konzipieren.
    Meine Damen und Herren, damit bin ich wieder beim Ausgangspunkt. Wir können an dem anknüpfen, was Ludwig Erhard 1953 zur Wirtschaft in Ostdeutschland und zur Lage in Westdeutschland gesagt hat — dies gilt auch für den Umweltschutz —: Soziale Marktwirtschaft, das ist kein mechanistisches Konzept, sondern eine Gesellschaftsordnung, ein Angebot für die Lösung von Wirtschafts-, Sozial- und Umweltfragen. Wenn wir in diesem Geist an die großen Herausforderungen in Ost- und Westdeutschland in Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik herangehen, dann werden wir die Herausforderungen meistern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)