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ID1201604600

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    Vokabeln: 10
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/16 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 16. Sitzung Bonn, Freitag, den 15. März 1991 Inhalt: Tagesordnungspunkt 3: a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen (Drucksachen 12/103, 12/204, 12/216, 12/255) b) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen (Drucksachen 12/105, 12/205, 12/214, 12/254) Herbert Helmrich CDU/CSU 1001 C Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 1004 D Herbert Helmrich CDU/CSU 1007 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger FDP 1008 B Dr. Wolfgang Ullmann Bündnis 90/GRÜNE 1010 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . . 1012A Jürgen W. Möllemann, Bundesminister BMWi 1013D Hans-Joachim Hacker SPD 1014 B Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/ CSU 1015 C Dr. Jürgen Schmude SPD 1015D Dr. Hans de With SPD 1017 B Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 1017D Otto Schily SPD 1018C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister BMJ . 1020 B Dr. Gerhard Riege PDS/Linke Liste (Erklärung nach § 32 GO) 1024 C Tagesordnungspunkt 8: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 9. November 1990 über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Drucksache 12/199) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 9. November 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Entwicklung einer umfassenden Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wirtschaft, Industrie, Wissenschaft und Technik (Drucksache 12/198) Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister AA 1025 B Gernot Erler SPD 1027 B Karl Lamers CDU/CSU 1030 C Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste . . . 1031 D Arno Schmidt (Dresden) FDP 1032 D Vera Wollenberger Bündnis 90/GRÜNE 1034 B Peter Kittelmann CDU/CSU 1035 C Otto Schily SPD 1036D Nächste Sitzung 1037 C Berichtigung 1037 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 1038* A Anlage 2 Amtliche Mitteilung 1038* D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1991 1001 16. Sitzung Bonn, den 15. März 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 15. Sitzung, Seite II, linke Spalte: Bei Tagesordnungspunkt 4 ist bei dem Namen „Hans-Joachim Fuchtel" statt „FDP" zu lesen: „CDU/CSU". Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Adam-Schwaetzer, Irmgard FDP 15. 03. 91 Andres, Gerd SPD 15. 03. 91 Augustin, Anneliese CDU/CSU 15. 03. 91 Bartsch, Holger SPD 15. 03. 91 Berger, Johann Anton SPD 15. 03. 91 Brandt, Willy SPD 15. 03. 91 Dr. Brecht, Eberhard SPD 15. 03. 91 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 15. 03. 91* Conradi, Peter SPD 15. 03. 91 Dempwolf, Gertrud CDU/CSU 15. 03. 91 Duve, Freimut SPD 15. 03. 91 Eimer (Fürth), Norbert FDP 15. 03. 91 Eylmann, Horst CDU/CSU 15. 03. 91 Dr. Fell, Karl H. CDU/CSU 15. 03. 91 Ferner, Elke SPD 15. 03. 91 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 15. 03. 91* Francke (Hamburg), Klaus CDU/CSU 15. 03. 91 Fuchs (Köln), Anke SPD 15. 03. 91 Funke, Rainer FDP 15. 03. 91 Gansel, Norbert SPD 15. 03. 91 Gattermann, Hans H. FDP 15. 03. 91 Dr. Gautier, Fritz SPD 15. 03. 91 Dr. von Geldern, Wolfgang CDU/CSU 15. 03. 91 Graf, Günter SPD 15. 03. 91 Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 15. 03. 91 Grünbeck, Josef FDP 15. 03. 91 Dr. Hauchler, Ingomar SPD 15. 03. 91 Hauser (Esslingen), Otto CDU/CSU 15. 03. 91 Dr. Haussmann, Helmut FDP 15. 03. 91 Dr. Hellwig, Renate CDU/CSU 15. 03. 91 Dr. Hennig, Ottfried CDU/CSU 15. 03. 91 Jeltsch, Karin CDU/CSU 15. 03. 91 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 15. 03. 91 Kastner, Susanne SPD 15. 03. 91 Kleinert (Hannover), Detlef FDP 15. 03. 91 Kolbe, Manfred CDU/CSU 15. 03. 91 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 15. 03. 91 Kossendey, Thomas CDU/CSU 15. 03. 91 Kraus, Rudolf CDU/CSU 15. 03. 91 Kubicki, Wolfgang FDP 15. 03. 91 Dr. Küster, Uwe SPD 15. 03. 91 Lange, Brigitte SPD 15. 03. 91 Leidinger, Robert SPD 15. 03. 91 Lenzer, Christian CDU/CSU 15. 03. 91* Lintner, Eduard CDU/CSU 15. 03. 91 Marten, Günter CDU/CSU 15. 03. 91 Meckel, Markus SPD 15. 03. 91 Dr. Mertens (Bottrop), Franz-Josef SPD 15. 03. 91 Michels, Meinolf CDU/CSU 15. 03. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 15. 03. 91* Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Müller (Schweinfurt), Rudolf SPD 15. 03. 91 Müntefering, Franz SPD 15. 03. 91 Oostergetelo, Jan SPD 15. 03. 91 Otto (Erfurt), Norbert CDU/CSU 15. 03. 91 Paintner, Johann FDP 15. 03. 91 Dr. Pflüger, Friedbert CDU/CSU 15. 03. 91 Poß, Joachim SPD 15. 03. 91 Dr. Reinartz, Bertold CDU/CSU 15. 03. 91 Reschke, Otto SPD 15. 03. 91 Reuschenbach, Peter W. SPD 15. 03. 91 Roth, Wolfgang SPD 15. 03. 91 Rühe, Volker CDU/CSU 15. 03. 91 Schätzle, Ortrun CDU/CSU 15. 03. 91 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 15. 03. 91 Schaich-Walch, Gudrun SPD 15. 03. 91 Schenk, Christa Bündnis 90/ 15. 03. 91 GRÜNE Schmidt (Spiesen), Trudi CDU/CSU 15. 03. 91 Dr. Schneider (Nürnberg), Oscar CDU/CSU 15. 03. 91 Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 15. 03. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 15. 03. 91* Dr. Thalheim, Gerald SPD 15. 03. 91 Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 15. 03. 91 Vergin, Siegfried SPD 15. 03. 91 Voigt (Frankfurt), Karsten D. SPD 15. 03. 91 Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 15. 03. 91 Vosen, Josef SPD 15. 03. 91 Graf von Waldburg-Zeil, Alois CDU/CSU 15. 03. 91 Weiß (Berlin), Konrad Bündnis 90/ GRÜNE 15. 03. 91 Werner (Ulm), Herbert CDU/CSU 15. 03. 91 Wettig-Danielmeier, Inge SPD 15. 03. 91 Dr. Wieczorek (Auerbach), Bertram CDU/CSU 15. 03. 91 Wieczorek-Zeul, SPD 15.03.91 Heidemarie Wissmann, Matthias CDU/CSU 15. 03. 91 Zierer, Benno CDU/CSU 15. 03. 91 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilung Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 12/152 Nr. 32, 38, 46 Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 12/210 Nr. 177
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. h.c. Gernot Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag leitet heute den Ratifizierungsprozeß für zwei außergewöhnlich wichtige Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ein. Er tut dies in einer Atmosphäre von Konsens über Inhalt und Wert dieser Verträge — das ist erfreulich — , allerdings auch ohne größere öffentliche Beachtung. Das ist ein wenig bedauerlich, wenn man den Stellenwert dieser Abkommen in der deutschen Nachkriegsgeschichte im Auge hat und wenn man daran denkt, wie leidenschaftlich sich noch vor wenigen Tagen die sowjetische Öffentlichkeit der Ratifizierungsdiskussion eben dieser Verträge gewidmet hat.
    Wir beraten heute über zwei Verträge aus einem Paket von insgesamt fünf Vereinbarungen zu unterschiedlichen, aber letztlich eng miteinander verbundenen Themen.
    In dem Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland vom 12. September 1990, allseits besser bekannt als Zwei-plus-Vier-Abkommen, haben die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges dem vereinigten Deutschland die Souveränität zurückgegeben. Nach intensiven, auch von der Bevölkerung mit großer Anteilnahme begleiteten Beratungen hat der Oberste Sowjet, das Parlament der Sowjetunion, dieses Dokument über den Abschluß einer Epoche am 4. März ratifiziert. Daß heute die Dokumente hinterlegt worden sind, ist für uns ein Anlaß, zu sagen: Wir freuen uns. Wir danken auch von dieser Stelle noch einmal allen, die dazu beigetragen haben, und ganz besonders denen, die dabei von bisherigen Vorstellungen und Plänen weit Abstand genommen haben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Die vier anderen Verträge lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Da ist zum einen der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR über die Bedingungen des befristeten Aufenthalts und die Modalitäten des planmäßigen Abzugs der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland — so der offizielle Titel — vom 12. Oktober 1990 und neben ihm das zugehörige Finanzierungskonzept als Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR über einige überleitende Maßnahmen, datiert vom 9. Oktober 1990. Dieses Vertragsduo beschreibt praktisch, wie bis Ende 1994 die Merkmale der Nachkriegsordnung aufgelöst werden sollen, unter denen sich die noch vor kurzem 380 000 Mann zählende Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte aus dem souverän gewordenen östlichen Teil Deutschlands in die sowjetische Heimat zurückziehen wird.
    Ganz anders das zweite Vertragstandem, das heute auf unserer Tagesordnung steht. Der Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR vom 9. November 1990 und der Vertrag zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR über die Entwicklung einer umfassenden Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wirtschaft, Industrie, Wissenschaft und Technik vom selben Tag widmen sich ganz bewußt der Zukunft, und zwar einer neuen Zukunft zweier Nachbarn mit einer wechselvollen Beziehungsgeschichte.
    1028 Deutscher Bundestag — 12.Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. März 1991
    Gernot Erler
    Bereits in der Präambel des Nachbarschaftsvertrages kommt der Wunsch zum Ausdruck, „mit der Vergangenheit endgültig abzuschließen", wobei der russische Vertragstext in wörtlicher Übersetzung ein uns noch geläufigeres Bild zeichnet. Dort ist von dem Wunsch die Rede, „einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen". Niemand kann vergessen, um welche Vergangenheit es sich hier handelt. Gemeint sind die 27 Millionen Kriegstoten, die 70 000 zerstörten Städte und Dörfer, die um Jahrzehnte zurückgeworfene, verwüstete Industrie, gemeint ist auch die Demütigung durch das Eindringen eines Feindes bis vor die Tore von Moskau und Leningrad, also die Folgen jenes deutschen Überfalls auf den Nachbarn, an dessen 50. Jahrestag wir uns in wenigen Wochen erinnern werden. Gemeint ist also das, was in der sowjetischen Geschichtsschreibung ebenso wie in der sowjetischen Alltagssprache bis heute als Großer Vaterländischer Krieg bezeichnet wird, getreu einer russischen Tradition, allen opferreichen Ereignissen der eigenen Lebenswelt die Eigenschaft „groß" zu verleihen.
    Der Strich wird aber nicht nur unter den Weltkrieg gezogen, von dem kein Land mehr betroffen war als die Sowjetunion, sondern auch unter ein System, das jahrzehntelang dafür sorgen sollte, daß eine solche Gefahr von dem deutschen Nachbarn technisch nicht mehr ausgehen konnte. Teilung und Entwaffnung, später Teilung und Einbeziehung der beiden Teile in zwei feindliche Allianzen, die in Deutschland aufeinanderstießen, so lautete das Stenogramm der Nachkriegsordnung. Sie war zugleich die einzige Prämie für den Sieg der Sowjetunion über Hitlers Heerscharen, das einzige, was Stalin außer Orden seinem Volk, den Veteranen, den Hinterbliebenen und Invaliden, anbieten konnte. Diese Nachkriegsordnung war eine politisch-technische Garantie gegen eine Wiederholung des 22. Juni 1941, erkauft mit millionenfachen Opfern.
    Der rasante Einigungsprozeß der beiden Deutschlands seit November 1989 mußte vielen Sowjetbürgern wie ein Alptraum erscheinen, sah es doch so aus, als werde der Sowjetunion diese einzige Siegprämie von 1945, diese „Nie wieder"- Garantie ohne Ersatz weggenommen. Technisch hätte Moskau die Möglichkeit gehabt, uns Deutschen die Rückgabe der Souveränität in der Einheit zu verwehren. Das 380 000-Mann-Argument der Westgruppe ihrer Streitkräfte wäre stark genug gewesen, die Nachkriegsordnung noch geraume Zeit aufrechtzuerhalten. Daß es anders kam, ist das bleibende Verdienst der sowjetischen Reformpolitik und ihres seit sechs Jahren mit wechselndem Erfolg kämpfenden Protagonisten Michail Gorbatschow. Allein deswegen haben wir dem sowjetischen Präsidenten und jenen, die seiner Politik gefolgt sind, zu danken.
    Die beiden Verträge, deren Ratifizierung wir heute angehen, drücken in komprimiertester Form aus, was inzwischen an die Stelle der „Nie wieder"-Garantie der Nachkriegsordnung, deren Markenzeichen die deutsche Teilung war, getreten ist, nämlich Vertrauen in — ich zitiere — „eine dauerhafte und gerechte europäische Friedensordnung einschließlich stabiler Strukturen der Sicherheit", so heißt es wörtlich im Nachbarschaftsvertrag, Vertrauen in die wechselseitige Verpflichtung, den Status quo in Europa, die territoriale Integrität aller europäischer Staaten uneingeschränkt zu achten und künftig alle Streitigkeiten ausschließlich mit friedlichen Mitteln zu lösen, erwartungsvolles Vertrauen schließlich auch darin, daß der „80-Millionen-Gigant im Westen", wie sich kürzlich der ehemalige sowjetische Botschafter in Bonn und jetzige stellvertretende Außenminister, Juli Kwizinski ausgedrückt hat, daß also Deutschland sein Potential und seine Erfahrungen bei der Verwirklichung der sowjetischen Wirtschaftsreformen und der Integration der Sowjetökonomie in die Weltwirtschaft einbringt.
    Die neue Botschaft der sowjetischen Führung an die eigenen Leute lautet also: Wir haben zwar keine Kontrolle mehr über diesen unheimlichen Nachbarn, und spätestens 1994 werden unsere Soldaten auch nicht mehr an der Oder stehen und wachen, aber wir haben vertragliche Zusagen über die Verringerung der deutschen Streitkräfte, über Gewaltverzicht, über friedliche Nachbarschaft, und wir haben eine umfangreiche Vereinbarung über wirtschaftliche, wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit, die uns Europa näherbringt, die uns hilft, unsere Reformpolitik voranzutreiben und die Täler unserer ökonomischen Krise schneller zu durchschreiten.
    Es war mutig, der eigenen Bevölkerung ein solches Angebot zu machen. Viele Wunden sind noch nicht verheilt. Für viele Sowjetbürger ist es ein neuer Gedanke, auf etwas anderes zu vertrauen, als auf die eigene militärische Stärke. Und es ist ein Kennzeichen jener Demokratie der ersten Generation, die wir jetzt in der Sowjetunion und übrigens auch sonst in Osteuropa beobachten können, daß es auf dem rechten Flügel des Spektrums auch Gruppen gibt, die mit dem Beklagen der Kontrollverluste aus der alten Ordnung auf Stimmenfang gehen. Diesen Mut zu belohnen, das sollten wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages uns jetzt vornehmen.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

    Das bedeutet, nicht nur die Hand zur Ratifizierung der beiden Gesetze zu heben, sondern auch mit äußerster Wachheit dafür zu sorgen, daß die Verträge im Sinne des Geistes, in dem sie formuliert wurden, auch umgesetzt und mit Leben erfüllt werden.
    Es ist kein Zufall, daß sich im sowjetischen Sprachgebrauch für den Nachbarschaftsvertrag der Begriff „bolschoj dogowor", großer Vertrag, durchgesetzt hat. Im Kopfe ist schnell die Verbindung zum Großen Vaterländischen Krieg hergestellt.
    Das, was Kanzler Kohl und Präsident Gorbatschow nach ihrer Begegnung im Kaukasus persönlich unterschrieben haben, ist in Wirklichkeit im Zusammenhang mit den vier anderen Verträgen ein kompletter Friedensvertrag. Aus unserer Geschichte wissen wir aber, daß sich in Friedensverträgen oft schon die Keime für künftige Entzweiungen verbergen. In Versailles war es die Demütigung der Verlierer, die den schrecklichen Gedanken der Revanche nährte.

    (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Sehr wahr!)




    Gernot Erler
    Wir haben heute die Chance, die Umkehrung dieser Situation in Form eines denkbaren Sieger-Versailles zu verhindern. Nur eine überzeugende Erfüllung und Weiterentwicklung des vor uns liegenden Vertrages wird verhindern, daß eines Tages die neue europäische Ordnung mit einem vereinten Deutschland in ihrer Mitte von den Nachfahren der Sieger von 1945 in Frage gestellt wird.
    Was heißt das aber konkret: Erfüllung und Weiterentwicklung des Nachbarschafts- und Kooperationsvertrages? Einige der Gedanken, die auf praktische Folgen abzielen, will ich hier dazu vortragen.
    Als erstes möchte ich das aufgreifen, was in den Ausschuß- und Plenumsberatungen des sowjetischen Parlaments bereits eine Rolle gespielt hat. Es ist die Frage, ob zu diesen fünf Pfeilern eines Friedensfachwerkes nicht gleichsam wie ein Schlußstein noch eine wiedergutmachende Entschädigung, sofern so etwas überhaupt möglich ist, für die sowjetischen Opfer des Nationalsozialismus hinzukommen muß, also finanzielle Kompensationen für jene, die gefoltert und verhöhnt, zu Zwangsarbeit herangezogen und in medizinischen Experimenten verstümmelt wurden.

    (Beifall des Abg. Schily SPD)

    Wir begrüßen, daß Gespräche über diese Möglichkeit begonnen haben und offenbar voranschreiten.
    Wir wissen natürlich, daß die Sowjetunion in einem Vertrag mit der DDR vom 22. August 1953 auf alle Reparationszahlungen verzichtet hat. Aber warum wollte man einen Unterschied zwischen den zwölf westlichen Staaten, die zwischen 1959 und 1964 im Rahmen von pauschalen Wiedergutmachungsabkommen etwa eine Milliarde DM erhalten haben, und der Sowjetunion machen, deren Bürger nicht weniger schlimmen Repressalien und Verletzungen ausgesetzt waren? Es wäre zu begrüßen, wenn der Deutsche Bundestag noch in diesem Jahr die Gelegenheit bekäme, auch hier einer abschließenden und überzeugenden Regelung seine Zustimmung zu geben.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Ein weiteres Thema beim Übergang in eine neue Zeit und bei der Verabschiedung einer 45jährigen Vergangenheit lautet — darauf hat auch der Außenminister hingewiesen — : Schaffen wir es, den Abzug der jetzt noch 360 000 Sowjetsoldaten mit ihren Familien aus den ostdeutschen Ländern so zu organisieren, daß da nicht 360 000 gebeugte Menschen in ein Niemandsland zurückkehren, das ihre Heimat werden soll, sondern daß 360 000 Botschafter einer neuen Partnerschaft als Multiplikatoren Inhalt und Geist der neuen deutsch-sowjetischen Beziehungen unterstützen?
    Lassen Sie mich hier einen Punkt ansprechen, der mich bedrückt. Über die realen Verhältnisse des SEDStaates haben wir in den letzten Monaten immer wieder erschütternde Fakten erfahren. Es läßt sich aber nicht leugnen, daß die DDR dem menschlichen und kulturellen Kontakt mit den sowjetischen Streitkräften einige Aufmerksamkeit schenkte. Rechnet man zusammen, was die Gemeinden für entsprechende Initiativen an Geldern bei den Kreisen abrufen konnten, was die Betriebe in ihren Kultur- und Sozialfonds für Finanzierungsmöglichkeiten hatten,

    (Krziskewitz [CDU/CSU]: Das stimmt doch alles gar nicht!)

    was dann noch die deutsch-sowjetischen Freundschaftsgesellschaften mit ihren 8 Millionen Mitgliedern auf die Beine stellen konnten, dann dürften Quellen im Umfang von 15 bis 20 Millionen DM jährlich für diese Zwecke gesprudelt haben. Heute hören wir, daß die kulturellen Kontakte der Gemeinden mit der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte schon aus finanziellen Gründen praktisch zum Erliegen kommen.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Der Vergleich, Herr Kollege, ist sehr abenteuerlich!)

    Im Sinne des Nachbarschaftsvertrags, über den wir hier sprechen, Herr Kollege, brauchen wir eine rasche Lösung; denn die Verabschiedung der Sowjetsoldaten — da gibt es einige Städte wie Magdeburg, Potsdam, Neuruppin und andere, die in diesem Jahr gleich 10 000 Leuten oder mehr Lebewohl sagen werden — sollte einen menschlichen, zivilisierten Rahmen finden und nicht in übertragenem Sinne als Fußtritt bei den Betroffenen im Gedächtnis bleiben.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)



Rede von Helmuth Becker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Erler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krziskewitz?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. h.c. Gernot Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich bin in zeitlicher Enge und möchte im Zusammenhang vortragen.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Bei 20 Minuten ist das aber sehr kleinlich!)

    Der Geist des Nachbarschaftsvertrages verlangt auch, daß die deutsche Seite nicht mit heimlicher Schadenfreude die Probleme der Fahnenflucht bei den sowjetischen Streitkräften beobachtet. Zur Vertrauensbildung gehört, daß beide Seiten ein voraussehbares und faires Verfahren für die Behandlung von Deserteuren vereinbaren.
    Außerdem taucht die Frage auf, ob alle Chancen genutzt werden, um jene Werte und Objekte optimal zu nutzen, die von den sowjetischen Streitkräften auf den ihnen zur Verfügung stehenden Liegenschaften in den letzten viereinhalb Jahrzehnten geschaffen wurden. Ich höre, daß gelegentlich Unmut aufkommt, wenn freiwerdende Gebäude der deutschen Seite übergeben werden sollen, diese aber mit der Abnahme zögert. Vertraglich ist ja eine Verrechnung der Werte, die diese von sowjetischer Seite gebauten Einrichtungen darstellen, mit den Schäden der Nutzung vorgesehen, die von anderer Seite geltend gemacht werden. Ungenutzte Gebäude steigen nicht im Wert, und das beeinflußt die Endabrechnung. Auch hier sollte die für solche Probleme eingesetzte deutschsowjetische Kommission bald einen Modus vivendi finden.
    Dabei kann man sich gut vorstellen, bestimmten sowjetischen Betrieben und Einrichtungen im Sinne des Kooperationsvertrages eine Zukunftschance als



    Gernot Erler
    deutsch-sowjetische Gemeinschaftsunternehmen zu geben. An der Frage des Eigentums an Grund und Boden sollten solche Möglichkeiten, die von sowjetischer Seite mit Recht in Verbindung mit dem hier zur Debatte stehenden Wirtschaftsvertrag gebracht werden, nicht scheitern.
    In einem anderen Punkt ist der heutige Tag in besonderer Weise Anlaß, uns zu etwas mehr Sensibilität zu verpflichten. Eine Spur von dem, was ich hier zum Abschluß aufgreifen möchte, weist uns die Erklärung des Obersten Sowjet der UdSSR vom 4. März dieses Jahres, also dem Tag, als das sowjetische Parlament die beiden Verträge und dazu das Zwei-plus-VierAbkommen ratifizierte. In dieser Erklärung heißt es — ich zitiere —:
    Der Oberste Sowjet der UdSSR geht davon aus, daß im vereinigten Deutschland die Menschenrechte strikt eingehalten und insbesondere jede Diskriminierung der Bürger der ehemaligen DDR aus politischen und anderen Motiven ausgeschlossen wird.
    Über die spektakuläre Ausreise von Erich Honekker ist seit gestern abend und auch heute hier viel gesagt worden. Ich sehe, ohne einen Ton der Billigung, sondern als Verstehensversuch, eine Verbindung von der soeben zitierten Erwartung des sowjetischen Parlaments und der Aktion, Honecker dem wartenden bundesdeutschen Haftbefehl zu entziehen. Es kann nicht um Strafvereitelung im Sinne krimineller Delikte gehen. Der Nachbarschaftsvertrag sieht ausdrücklich in Art. 19 eher eine Erweiterung des gegenseitigen Rechtshilfeverkehrs vor.
    Vielleicht sollte diese Aktion aber darauf hinweisen, daß unser Nachbar Sowjetunion es als Problem versteht, wenn politische und administrative Tätigkeit im real existierenden Sozialismus der DDR nachträglich mit der Meßlatte westlichen Rechtsempfindens auf rechtliche Beanstandung hin überprüft werden soll. Ich betone nochmals: Kriminelle Delikte hat hier auch die sowjetische Seite nicht im Auge.

    (Krziskewitz [CDU/CSU]: Das war doch kriminell!)

    Dieses Haus hat zu diesem in der Tat komplizierten Thema noch einen eigenen Beitrag zu leisten, und es ist gut, daß wir dabei auf den Rat der Kolleginnen und Kollegen hören können, die unmittelbarer als wir westdeutschen Abgeordneten betroffen sind.
    Die Liste von Vorschlägen, wie wir die Artikel der uns vorliegenden Gesetze zur Lebensfülle beatmen können, ließe sich fortsetzen. Die richtige Arbeit beginnt erst nach der Ratifizierung. Über die letztere sind wir uns einig. Ich hoffe, wir sind uns auch über die Bedeutung einig, die unsere Anstrengungen zur Umsetzung der beiden Gesetze für ein Europa des Friedens und des Vertrauens unter Vermeidung jeder Ausgrenzung des Nachbarn Sowjetunion haben.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)