Rede von
Dr.
Norbert
Blüm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich will mit einer Volksweisheit beginnen: Allzu spitz sticht nicht.
Ich weiß nicht, ob so eine Rede dem Lebensgefühl auch unserer Mitbürger in der ehemaligen DDR entspricht.
Ich nenne nur ein paar Stichworte. Er kann uns ja kritisieren. Welche Regierung ist denn fehlerlos? Er sagt: Nichts getan. Nichts getan? Allein in diesem Jahr haben wir über 100 Milliarden DM für die deutsche Einheit, die sozialstaatliche Einheit mobilisiert. Lieber Kollege Schreiner, ich erinnere mich an einen Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Damals hat Ihre Partei Wahlkampf durch Mobilisierung von Angst und Neid gemacht. Am 6. Mai, acht Tage vor der Wahl — hören Sie sich diese Schande an — , war genau aufgeschlüsselt, was die deutsche Einheit die Stadt Mülheim kostet — 44 Millionen DM — , die Stadt Duisburg oder Köln kostet. Dann stand kraftvoll darunter: Johannes Rau wird dies verhindern. Das war die Propaganda der Besitzbürger.
Heute kommt die Sozialdemokratische Partei und sagt, wir hätten zu wenig gemacht. Ich gebe zu, die finanziellen Folgen des Sozialismus sind schwer einzuschätzen. Ich nenne nur ein Beispiel. Hunderttausend Arbeitslose mehr oder weniger machen 1,4 Milliarden DM aus. Wenn die 1,5 Millionen Arbeitnehmer, die vom Zusammenbruch des Exports in den Ostblock betroffen sind, arbeitslos werden und Arbeitslosengeld bekommen, macht das 21 Milliarden DM aus. Wer steht hier auf und will die Folgen des Sozialismus auf Mark und Pfennig richtig einschätzen?
Ich will Ihnen eines sagen: Wenn wir den Empfehlungen Ihres Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine gefolgt wären, hätten wir uns nicht verschätzen können. Dann hätte die deutsche Einheit nämlich nicht stattgefunden.
Dann würden wir jetzt noch Fahrpläne studieren. Der
Zug ist längst abgefahren. Konföderieren, verzögern,
das war Ihre Melodie. Wenn ich schon vor der Wahl stehe, dann schätze ich lieber die Folgen falsch ein, als daß ich den Anlaß verschlafe.
Ich will einige weitere Stichworte aufnehmen. Die Sozialpolitik sei ein Mauerblümchen. Das Volumen des Bundeshaushalts betrug 1970 88 Milliarden DM. Das ist so viel, wie heute der Einzelplan 11, Arbeit und Soziales, umfaßt. Mauerblümchen: Die Leistungen an die Sozialversicherungen aus dem Einzelplan 11 machen 1991 56 Milliarden DM aus. So hoch war 1981 der gesamte Einzelplan 11. Ich sage ja nicht, daß wir hier in Westdeutschland ein Schlaraffenland hätten. Es gibt viele soziale Probleme, beispielsweise die Pflege. Das ist ein großes soziales Problem. Aber hier das Gemälde einer Elendsgesellschaft zu zeichnen, das heißt nun wirklich, betriebsblind zu sein. Wir haben viel erreicht, wenn es in ganz Deutschland den Sozialstaat gibt, den wir in Westdeutschland geschaffen haben. Das muß unsere Hauptaufgabe sein.
Ich fordere zu einer großen Konzentration solidarischen Ausgleichs in Deutschland auf. In einem Punkt stimmen wir völlig überein: Es darf nicht zwei Häuser geben, ein Armenhaus im östlichen Teil und ein Herrenhaus im westlichen Teil.