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    Plenarprotokoll 12/13 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 13. Sitzung Bonn, Dienstag, den 12. März 1991 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 643 A Tagesordnungspunkt 1: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen (Drucksachen 12/204, 12/216) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen (Drucksachen 12/205, 12/214) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 12/206, 12/215) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Strafprozeßordnung (Drucksachen 12/209, 12/218) e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung und bei der Bundesanstalt für Arbeit (Drucksache 12/208) f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1991 (Drucksache 12/197) g) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP: Erneute Überweisung von Vorlagen aus früheren Wahlperioden (Drucksache 12/210) 643 C Tagesordnungspunkt 2: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1991 (Haushaltsgesetz 1991) (Drucksache 12/100) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1990 bis 1994 (Drucksache 12/101) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte sowie über strukturelle Anpassungen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Haushaltsbegleitgesetz 1991) (Drucksache 12/221) in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 12. März 1991 Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Kurt Faltlhauser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie dem Abgeordneten Hans H. Gattermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen im Beitrittsgebiet sowie zur Änderung steuerrechtlicher und anderer Vorschriften (Steueränderungsgesetz 1991) (Drucksache 12/219) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Kurt Faltlhauser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie dem Abgeordneten Hans H. Gattermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines befristeten Solidaritätszuschlags und zur Änderung von Verbrauchsteuer- und anderen Gesetzen (Solidaritätsgesetz) (Drucksache 12/220) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 645 A Oskar Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 656B Hans H. Gattermann FDP . 659C, 712A, 723B, 728A, 733 C Friedrich Bohl CDU/CSU 665 A Dr. Ulrich Briefs PDS/Linke Liste . 670A, 708C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP . . . 673B Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 677D Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD . . . 681 B Jochen Borchert CDU/CSU 687 C Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD 689C, 690C, 718A, 720C Ingrid Matthäus-Maier SPD 692 B Bernd Henn PDS/Linke Liste 692 C Werner Zywietz FDP 694 D Helmut Esters SPD 695 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP . 695D Hans-Eberhard Urbaniak SPD 696A Joachim Poß SPD 697 D Gunnar Uldall CDU/CSU 702 B Hans Peter Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 704 B, 708A, 713A Rudi Walther SPD 707C, 708B Ingrid Matthäus-Maier SPD 707 D Hermann Rind FDP 709 A Rudi Walther SPD 709 D Achim Großmann SPD 712D Dr. Emil Schnell SPD 713B Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 716D Ernst Schwanhold SPD 717 A Arnulf Kriedner CDU/CSU 719A Manfred Hampel SPD 721 A Arnulf Kriedner CDU/CSU 722A Dr. Hermann Otto Solms FDP 722 D Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 724 D Jürgen Koppelin FDP 725 C Reiner Krziskewitz CDU/CSU 728 C Gunnar Uldall CDU/CSU 730A Joachim Poß SPD 731 C Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU . . . 732A Dankward Buwitt CDU/CSU 732 D Beratung und Abstimmung über den Antrag der PDS/Linke Liste auf Änderung der Tagesordnung und des Tagesortes Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste 654 D Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU 655A Dr. Peter Struck SPD 655 B Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP . . 655 C Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 655 D Nächste Sitzung 734 C Berichtigung 734 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 735* A Anlage 2 Deichsicherheit an der Unterelbe angesichts der zu erwartenden Änderung der Tidedynamik MdlAnfr 68, 69 — Drs 12/159 —Dr. Margrit Wetzel SPD SchrAntw PStSekr Neumann BMFT 335* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 12. März 1991 643 13. Sitzung Bonn, den 12. März 1991 Beginn: 10.01 Uhr
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    Berichtigung 12. Sitzung, Seite III, linke Spalte, 6. Zeile von unten: Bei dem Namen ,Eimer (Fürth)' ist statt „SPD" „FDP" zu lesen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 12. 03. 91 * Augustin, Anneliese CDU/CSU 12. 03. 91 Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 12. 03. 91 ** Brandt, Willy SPD 12. 03. 91 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 12. 03. 91 * Dr. Däubler-Gmelin, SPD 12. 03. 91 Herta Doss, Hansjürgen CDU/CSU 12. 03. 91 Funke, Rainer FDP 12. 03. 91 Göttsching, Martin CDU/CSU 12. 03. 91 Grochtmann, Elisabeth CDU/CSU 12. 03. 91 Dr. Guttmacher, FDP 12. 03. 91 Karlheinz Dr. Hennig, Ottfried CDU/CSU 12. 03. 91 Heyenn, Günther SPD 12. 03. 91 Horn, Erwin SPD 12. 03. 91 ** Ibrügger, Lothar SPD 12. 03. 91 ** Jaunich, Horst SPD 12. 03. 91 Kossendey, Thomas CDU/CSU 12. 03. 91 Krause (Dessau), CDU/CSU 12. 03. 91 Wolfgang Dr. Kübler, Klaus SPD 12. 03. 91 Lowack, Ortwin CDU/CSU 12. 03. 91 ** Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 12. 03. 91 Erich Dr. Müller, Günther CDU/CSU 12. 03. 91 * Paintner, Johann FDP 12. 03. 91 Rawe, Wilhelm CDU/CSU 12. 03. 91 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 12. 03. 91 * Dr. Reinartz, Bertold CDU/CSU 12. 03. 91 Dr. Scheer, Hermann SPD 12. 03. 91 * Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 12. 03. 91 Dr. Schneider CDU/CSU 12. 03. 91 (Nürnberg), Oscar Schulte (Hameln), SPD 12. 03. 91 ** Brigitte Sielaff, Horst SPD 12. 03. 91 Dr. Sperling, Dietrich SPD 12. 03. 91 Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 12. 03. 91 Weiß (Berlin), Konrad Bündnis 90/ 12. 03. 91 DIE GRÜNEN Welt, Hans-Joachim SPD 12. 03. 91 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Neumann auf die Frage der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel (SPD) (Drucksache 12/159 Fragen 68 und 69): Zu Frage 68: Das Forschungsprojekt „Rezente Wasserstandsänderungen an der Deutschen Nordseeküste - Numerische Simulation" wurde vom Bundesminister für Forschung und Technologie (BMFT) für einen Zeitraum von drei Jahren (1. 7. 1987-30. 6. 1990) gefördert. Die Arbeiten haben gezeigt, daß die angewandten numerischen Modelle gute Ergebnisse bezüglich des Tideablaufs (Normaltiden und Sturmfluten) liefern und somit für die Vorhersage von Änderungen des Tideverhaltens in der Deutschen Bucht, verursacht durch einen Meeresspiegelanstieg, verwendet werden können. Die Simulationen eines erhöhten Meeresspiegels ergaben, daß insbesondere in den flachen Gebieten der Deutschen Bucht mit Änderungen der Tidedynamik zu rechnen ist. Dies trifft sowohl für Normaltiden als auch für Sturmfluten zu. Es ist mit Veränderungen der Erosions- und Sedimentationsmuster in den Wattengebieten und Verschiebungen der Brackwasserzonen in den Ästuaren (Flußmündungsgebiete) zu rechnen, die zur Quantifizierung jedoch weiterer Untersuchungen bedürfen. Unmittelbare Konsequenzen für den Deichbau ergeben sich aus den Ergebnissen des Vorhabens bisher nicht. Im zwischenzeitlich geförderten Anschlußprojekt „Simulationen von Wasserstandsänderungen an der Deutschen Nordseeküste und in den Ästuaren" sollen die Folgen eines beschleunigten Meeresspiegelanstiegs auf die Ästuare (z. B. Verlagerung der Schwebstoffzonen, Veränderung der Strömungsverhältnisse unter Berücksichtigung sich hydrologisch verändernder Bedingungen im Ober- und Unterlauf des Ästuars, Änderung der Windstaukurven und Strömungsverhältnisse bei Extremwetterlagen) untersucht werden. Auf die Frage, ob es möglich ist, zusätzliche Zerstörungspotentiale durch Veränderungen der Tidedynamik infolge einer Vertiefung der Unterelbe auf 15 m unter MTNV zu berechnen, ist folgendes zu sagen: Der Bundesminister für Verkehr läßt von der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes zur Zeit eine Fahrwasseranpassung der Elbe unterhalb von Hamburg aus Anlaß der weltweit gestiegenen Anforderungen des Containerschiffsverkehrs untersuchen. Verschiedene Fahrwasservarianten und deren Auswirkungen auf die Tideenergie werden nach dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik zuverlässig mit mathematischen Simulationsmodellen berechnet. Hiermit wird die Grundlage für die Optimierung von ökonomischen und ökologischen Fragestellungen der Verkehrsplanung ermöglicht. Der Begriff „Zerstörungspotentiale" ist fachwissenschaftlich nicht gebräuchlich und sollte in diesem Zu- 736* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 12. März 1991 sammenhang nicht verwendet werden. Zu der Frage, ob es Wasserbaumaßnahmen gibt, die grundsätzlich geeignet sind, dem Zerstörungspotential des allgemeinen Tidenhöhenanstiegs sowie sturmfluterzeugenden Windlagen entgegenzuwirken und umgekehrt, antworte ich folgendes: Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, durch Wasserbaumaßnahmen, wie z. B. Buhnen, die Rauheiten im Randbereich des Flußbettes zu erhöhen und damit eine entsprechend erhöhte Tideenergieumwandlung herbeizuführen. Dabei ist jedoch abzuwägen, ob diese Maßnahmen ökonomisch und ökologisch angemessen sind, insbesondere weil eine sehr geringe Änderung der mittleren Tidewasserstände zu erwarten ist. Eine abschließende Beurteilung wird nach Vorliegen der Untersuchungsergebnisse erfolgen. Bei Sturmfluten herrschen meteorologisch bedingt bereits stark erhöhte Wasserstände im Elbe-Ästuar, so daß bei diesen Bedingungen die örtlich nur im Fahrrinnenbereich vorgenommene Vertiefung einen noch geringeren Einfluß hat. Zu Frage 69: Meeresspiegeländerungen sind im Rahmen natürlicher Schwankungen seit langen Jahren bekannt. Gegenwärtig hat es den Anschein, als ob wir uns in einer Phase des Meeresspiegelanstiegs befinden. So ist seit Beginn dieses Jahrhunderts der Meeresspiegel im Bereich der Nordsee um 14 plus/minus 5 cm gestiegen. Ob hierfür ausschließlich natürlich oder auch durch menschliche Aktivitäten angestoßene Ursachen verantwortlich sind, kann derzeit — so sagen es die den Bundesminister für Forschung und Technologie beratenden Wissenschaftler — nicht eindeutig beantwortet werden. Auch sind sich die Wissenschaftler darin einig, daß die zukünftige Veränderung des Meeresspiegels neben geologischen Bedingungen (Hebungen/Senkungen der norddeutschen Tiefebene) ganz wesentlich auch von der künftigen Entwicklung des Klimas abhängt. In welchem Ausmaß aufgrund von Klimaänderungen der Meeresspiegel steigt, ist in der Wissenschaft allerdings umstritten. Prognosen reichen von 15 cm bis 150 cm für das kommende Jahrhundert. Die wohl komplexeste Modellrechnung u. a. zu diesem Themenkreis hat das Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Klimarechenzentrum kürzlich vorgelegt. Hier gehen die Wissenschaftler von einer thermisch bedingten Anhebung des Meeresspiegels von 16 cm für die nächsten 100 Jahre aus. Welche Folgen hiermit verbunden sind, soll im Rahmen eines BMFT-Förderschwerpunkts „Folgen einer möglichen Klimaänderung" wissenschaftlich bearbeitet werden. Zu der Frage, ,gibt es Maßnahmen zur Verhinderung einer Verschiebung der Brackwasser-Zonen, die aufgrund veränderter Tidedynamik entgegenwirken können, wenn ja, welche?' folgendes: Der Bundesregierung liegen abgesicherte Erkenntnisse über Verschiebungen der Brackwassergrenze in der Unterelbe bisher nicht vor. Alle Maßnahmen an Küstengewässern stellen einen Eingriff in äußerst sensible hydrodynamische und ökologische Systeme dar und bedürfen als Planungsgrundlage umfassender ökosystemarer Untersuchungen. Es wird auf die Antwort in Zusatzfrage 68.2 verwiesen. Die Frage, durch welche Maßnahmen ein Vordringen der Salzfront flußaufwärts und eine Beeinträchtigung des Grundwassers im Einflußbereich der Unterelbe zu verhindern wäre, kann ich sagen: Ökosystemare Untersuchungen schließen die Erkundung der Auswirkung einer potentiellen Verschiebung der Brackwasserzone auf das ufernahe Grundwasser mit ein. Eine Beurteilung wird nach Vorliegen entsprechender Untersuchungsergebnisse im Einvernehmen mit den für den Grundwasserschutz zuständigen Elbeanliegerländern erfolgen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Theodor Waigel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Nicht viel besser sieht es im Straßenwesen aus. Auch das früher vorbildliche S- und U-Bahn-System Berlins ist im östlichen Teil der Stadt seit 1939 nicht modernisiert worden.

    (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das fällt Ihnen erst heute ein? — Weiterer Zuruf von der SPD: Das wußten Sie doch vorher!)

    Bis zur Wiedervereinigung gab es in der früheren DDR nur 16 Telefone auf 1 000 Einwohner.
    Die größten Schäden — so hat es der Leipziger Gewandhauschef Wolfgang Masur sinngemäß ausgedrückt

    (Dr. Vogel [SPD] und Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Kurt, bitte!)

    — ich bitte um Entschuldigung; Sie haben recht — sind jedoch nicht bei den Straßen und in den Fabriken, sondern in den Köpfen der Menschen entstanden. Für viele unserer neuen Mitbürger ist es nach Jahren sozialistischer Indoktrination und Bevormundung schwer, sich auf die neuen Lebensumstände einzustellen.
    Wir diskutieren heute — gut fünf Monate nach dem 3. Oktober 1990 — über die finanzpolitische Bewältigung der Wiedervereinigungsaufgaben. Wer zu diesem Zeitpunkt eine umfassende Erfolgsbilanz erwartet, hat den Faktor „Zeit" völlig ausgeklammert.

    (Lachen und Zurufe von der SPD)

    Dabei müßte gerade die Opposition aus eigener Erfahrung wissen, wie lange es dauern kann, vergleichsweise geringe Struktureinbrüche und Strukturumbrüche ökonomisch zu überwinden.

    (Opel [SPD]: Seien Sie doch wenigstens ehrlich, Herr Waigel!)

    Nach den Ölpreiskrisen von 1973 und 1979 dauerte es jeweils zwei bis drei Jahre, bis der wirtschaftliche Erholungsprozeß langsam einsetzte.

    (Lennartz [SPD]: Ach nein!)

    Wenn dies bei nur externen Einflüssen so lange
    dauerte, dann, meine Damen und Herren, müssen Sie



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    zugeben, daß wir in einem Jahr sehr viel bewegt und keine Mühen und keine Kosten gescheut haben, um diesen ökonomischen Anpassungsprozeß voranzubringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Widerspruch bei der SPD)

    Zusätzliche Anforderungen an das wiedervereinigte Deutschland sind nicht auf den nationalen Rahmen beschränkt. Mit der Aufhebung der Teilung ist Deutschland unmittelbar zum gleichberechtigten souveränen Mitglied der Völkergemeinschaft geworden. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat uns im letzten Jahr „Partnerschaft in der Führung" angeboten. Aber das war keine schmeichelhafte Aussage zur Stärkung unseres nationalen Selbstbewußtseins.

    (Lennartz [SPD]: Eine Wahlhilfe war es!)

    Die Welt erwartet von uns — als einer der größten Industrienationen — einen noch größeren Beitrag zur Lösung internationaler Aufgaben und Konflikte.
    Wir waren auf diese zunehmenden Verpflichtungen eingestellt.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Wir haben — unmittelbar im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung und der Ost-West-Entspannung — der Sowjetunion 15 Milliarden DM für den Truppenabzug bis 1994 zugesagt. Wir haben durch Bürgschaften, Kredite und direkte finanzielle Unterstützung unseren Nachbarn im Osten auf dem Weg zu Marktwirtschaft und Demokratie Beistand geleistet.
    Meine Damen und Herren, jeder, der das kritisiert, muß sich fragen lassen, ob die Kosten dann, wenn wir diese Unterstützung nicht gewährten,

    (Matthäus-Maier [SPD]: Das kritisiert ja keiner!)

    nicht sehr viel höher wären,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Sie rechtfertigen sich, ohne angegriffen worden zu sein!)

    um auf dem Weg zu Demokratie und freier Marktwirtschaft künftig entscheidend voranzukommen.
    Allein in den Haushaltsjahren 1990/91 belaufen sich die Mittel für die Sowjetunion und die mittel- und südosteuropäischen Staaten auf 8,6 Milliarden DM. Hinzu kamen die — zumindest in ihrer Höhe — nicht vorhersehbaren Beiträge zur Finanzierung des UNO-Einsatzes am Golf. Die Forderung, einen solchen Betrag vor allem durch Einsparungen auszugleichen, ist eine finanz- und haushaltspolitische Illusion.
    Wir haben an Einsparungen und Entlastungen getan, was möglich war.

    (Matthäus-Maier [SPD]: Dummes Zeug! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Das ist kein dummes Zeug, Frau Kollegin Matthäus-Maier.

    (Zuruf von der SPD: Recht hat sie!)

    Sie haben in Ihrer Regierungszeit nie ein Konsolidierungsvolumen von 50 Milliarden DM in zwei Jahren erreicht. —

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Klein [München] [CDU/CSU]: Aber 27 Steuererhöhungen haben sie geschafft! — Lennartz [SPD]: Was sagt denn der Herr Möllemann? — Dr. Vogel [SPD]: Der will doch zurücktreten! Der tritt doch zurück!)

    Seit Beginn des Wiedervereinigungsprozesses wurden Haushaltsentlastungen mit einem Gesamtvolumen von fast 50 Milliarden DM beschlossen. 37 Milliarden DM hiervon entfallen auf den Entwurf des Bundeshaushalts 1991. Mehr als die Hälfte dieser 50 Milliarden DM sind Ausgabenkürzungen. Wer noch mehr verlangt, muß sagen, wen er meint und wo er ansetzen will.

    (Dr. Struck [SPD]: Bei den Staatssekretären fangen wir an, Herr Kollege Waigel!)

    — Lieber Kollege Struck, Ihre Parlamentarischen Staatssekretäre sind nicht einmal 1972, als das Parlament aufgelöst wurde, zurückgetreten. Ich kann mich noch gut an den Vorgang erinnern.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Struck [SPD]: Was ist denn das für ein Argument? — Matthäus-Maier [SPD]: Das ist doch kein Grund für Sie, 80 Regierungsmitglieder zu haben!)

    Der größere Anteil der vorgesehenen Einnahmeverbesserungen entfällt auf die Anhebung der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung.

    (Zuruf von der SPD: Etwas einsparen!)

    Wer im Zusammenhang mit dieser — und durch die Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge noch gemilderten — Beitragsanhebung polemisch vom „Abkassieren" spricht,

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Richtig!)

    der kann das Wort „Solidarität" nicht genügend begreifen.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Die Arbeitslosenversicherung war immer eine Solidargemeinschaft der Beschäftigten und der Arbeitssuchenden. Auch die frühere, sozialdemokratisch geführte Bundesregierung hat bei steigender Arbeitslosigkeit mit Beitragsanhebungen und Ausgabenkürzungen der Bundesanstalt für Arbeit reagiert.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das ist doch ein einmaliger Vorgang! Das ist doch keine normale Arbeitslosigkeit!)

    Neben den an erster Stelle stehenden Ausgabenbeschränkungen ist ein vorübergehender Anstieg der Kreditfinanzierung richtig und ökonomisch sinnvoll.

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ist doch nicht möglich!)




    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Es geht um Investitionen in die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes und um die Sicherung von Frieden, Freiheit und Demokratie. Nie zuvor in der deutschen Nachkriegsgeschichte sind Kredite sinnvoller eingesetzt worden als zur finanzpolitischen Flankierung der deutschen Einheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Im letzten Jahr ist uns die Frage nach zusätzlich erforderlichen Steuererhöhungen gestellt worden. Nach ökonomischen Kriterien und finanzpolitischen Vorgaben muß die Reihenfolge der Finanzierungsalternativen lauten: erstens Ausgabenbeschränkungen, zweitens Kreditaufnahme und erst dann, wenn alle anderen Instrumente ausgeschöpft sind, Steuererhöhungen. Ich habe das am 17. September 1990 bei einer öffentlichen Veranstaltung in München wie folgt umschrieben: Steuererhöhungen müssen das Letzte sein; sie dürfen nicht am Anfang stehen und nur dann erfolgen, wenn alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft sind.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

    Bemerkenswert ist nicht die Tatsache von Steuererhöhungen im Frühjahr 1991, sondern der Zeitraum, in dem wir ohne sie ausgekommen sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen und Zurufe von der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    — Meine Damen und Herren, die Gleichung ist ganz einfach: Die SPD hätte bereits im Herbst 1989, spätestens bei der Währungsunion die erste Steuererhöhung, bei der Vereinigung die zweite und jetzt die dritte und vierte durchgeführt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben drei Nachtragshaushalte mit Einsparungen, mit Umschichtungen finanziert und sind bis heute — das ist für die deutsche Volkswirtschaft gut — ohne Steuererhöhungen ausgekommen. Das ist der Unterschied zwischen unserer und Ihrer Steuerpolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Matthäus-Maier [SPD]: Steuerlüge ist das!)

    Meine sehr verehrten. Damen und Herren, weder nach dem ursprünglichen Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 1991 vom Juli letzten Jahres noch nach den Eckwertebeschlüssen vom November 1990 waren Steuererhöhungen erforderlich.

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Sie sind der größte Schuldenmacher!)

    Wir haben Milliardenbeträge auch für Osteuropa ohne Steuererhöhungen bereitgestellt.

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Auf Pump!)

    Noch Anfang Januar 1991, bei der Vorbereitung des Kabinettentwurfs, standen Steuererhöhungen nicht auf der Tagesordnung.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Bis zum Ausbruch des Golfkrieges habe ich niemandem den Auftrag gegeben, Steuererhöhungsoptionen zu erarbeiten.

    (Matthäus-Maier [SPD]: Steuerlüge!)

    Wenn die Ausgaben für den Golfkrieg nicht auf uns zugekommen wären,

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Schuldenmacher!)

    hätten wir im Jahre 1991 die Steuern nicht erhöht. Das ist die Wahrheit!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Matthäus-Maier [SPD]: Schon wieder eine Steuerlüge!)

    Alles, was im Jahre 1991 an zusätzlichen Finanzierungsaufgaben auf uns zukam, konnte beim besten Willen nur noch über eine Verbesserung der Einnahmen gedeckt werden. Auch andere Länder, die — wie Japan — nicht vor vergleichbaren nationalen Aufgaben standen, gehen den gleichen Weg.
    Wir hatten im letzten Jahr den Vereinigten Staaten und anderen beteiligten Ländern bereits über fünf Milliarden DM zur Unterstützung im Golfkonflikt zugesagt. Nach Ausbruch der bewaffneten Auseinandersetzung haben wir in diesem Jahr noch einmal 11,3 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Die Summe aus Golfhilfe und den Zahlungen an die osteuropäischen Staaten beläuft sich in diesem Jahr auf 17,7 Milliarden DM. Das entspricht genau den zusätzlichen Steuereinnahmen, die wir auf der Grundlage der jüngsten Beschlüsse 1991 erzielen werden. Hinzu kommen die kaum bezifferbaren Folgekosten aus dem Verfall des RGW-Handels.
    Diese Rechnung wird nicht durch die Einbeziehung der Golfkosten in den Regierungsentwurf in Frage gestellt. Der Golfbeitrag, der von der zeitlichen Reihenfolge her zuerst haushaltswirksam wurde und etatisiert werden mußte, hat den eigentlich für Wiedervereinigungsaufgaben vorgesehenen Spielraum belegt. Die haushaltstechnische Behandlung ändert nichts an der Notwendigkeit, für die zusätzlichen Aufgaben einen Ausgleich zu schaffen.

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Potenzierte Rabulistik!)

    — Zu beurteilen, was das ist, das überlasse ich Ihnen; Sie können anschließend darauf antworten.

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Darauf können Sie sich verlassen!)

    Sie werden es jedenfalls weder vom Ablauf und den Zahlen noch von der Begründung her widerlegen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Bei uns bleibt zwei mal zwei vier!)

    Der Solidaritätszuschlag entfällt ab 1. Juli 1992.

    (Zurufe von der SPD: Na, Na! — Dr. Struck [SPD]: Wer das glaubt, wird selig!)




    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    — Wenn Sie könnten, würden Sie den Zeitraum verlängern; wir werden ihn nicht verlängern. —

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wir würden von vornherein ehrlich sagen, was wir wollen!)

    Die Anhebung der Verbrauchsteuern und eine später eventuell notwendig werdende Anpassung bei der Mehrwertsteuer

    (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Anpassung? — Weitere Zurufe von der SPD: Aha!)

    sind auf Dauer angelegt. Damit wollen wir Vorsorge für die gestiegene internationale Verantwortung des wiedervereinigten Deutschlands schaffen. Es ist unser unmittelbares ökonomisches und politisches Interesse, Friktionen im Prozeß des marktwirtschaftlichen Wandels bei unseren östlichen Nachbarn zu begrenzen und so Absatzmärkte zu erhalten. In Europa kann es nur dann dauerhafte Stabilität und Prosperität geben, wenn die Gefahr gewaltiger Flüchtlingsströme und politischer Unruhen gebannt wird. Der mittelfristige steuerliche Beitrag kommt deshalb unseren Bürgern als Friedensinvestition zugute.
    Hier wird sehr klar, was der Kollege Schäuble und die Bundesregierung immer wieder gesagt haben: Wir müssen, um neue Völkerwanderungen in Europa zu verhindern, den Menschen helfen, damit sie in ihrer Heimat bleiben können. Auch das ist unser Beitrag für Frieden und für Freiheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Eine dauerhafte Zusatzaufgabe ist auch die Verbesserung der lange Zeit unterbrochenen oder vernachlässigten Ost-West-Verkehrsverbindungen in Deutschland. Da die Autobahngebühr keine Zustimmung gefunden hat,

    (Lachen bei der SPD)

    ist ein höheres Mineralölsteueraufkommen dafür ein geeignetes Finanzierungsinstrument.
    Eine stärkere Gewichtung der indirekten Steuern entspricht im übrigen der steuerpolitischen Leitvorstellung fast aller Industriestaaten. Wir werden deshalb die gewonnenen Spielräume auch für die notwendige Entlastung der Familien und der Betriebe nutzen.
    Die Kritik der SPD an unseren steuerpolitischen Beschlüssen

    (Dr. Struck [SPD]: Ist berechtigt!)

    ist reine Pflichtübung. Was wir vereinbart haben, bleibt in vielen Bereichen weit hinter früheren Parteitagsbeschlüssen der SPD zurück.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Die SPD wollte den Benzinpreis nicht um 25 Pfennig, sondern um 50 bis 60 Pfennig verteuern, und sie will

    (Zuruf von der SPD: Aber von den Besserverdienenden!)

    eine Ergänzungsabgabe von 15 %.
    Die SPD hat in ihren Oppositionsjahren über 40 Steuererhöhungsvorschläge auf den Tisch gelegt.
    In ihrer Regierungszeit wurden die indirekten Steuern um insgesamt 25 Milliarden DM erhöht. Im Verhältnis zum heutigen Bruttosozialprodukt entspräche das einer Steuererhöhung von nahezu 60 Milliarden DM jährlich.
    Der Unterschied zu heute besteht in folgendem: Damals ging es um die Finanzierung sozialistischer Experimente;

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Lachen bei der SPD — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wirtschaftsminister Lambsdorff!)

    heute dagegen setzen wir diese Mittel ein, um Frieden und Freiheit national und international zu unterstützen. Das ist der Unterschied zwischen unserer und Ihrer Finanzpolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Unsere steuerpolitischen Vereinbarungen sind sozial ausgewogen.

    (Lachen und Widerspruch bei der SPD)

    Sie stellen Wachstum, Stabilität und Beschäftigung nicht in Frage.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP)

    Durch die beiden wichtigsten Elemente, Verbrauchsteuererhöhungen und Solidaritätszuschlag zur Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer, werden alle Bevölkerungsgruppen angemessen beteiligt. Der Solidaritätszuschlag belastet höhere Einkommen am stärksten. Der Durchschnittslohn in den neuen Bundesländern wird dagegen durch diese Abgabe überhaupt nicht berührt. Berücksichtigt man die durchschnittliche Einkommensentwicklung, bleibt den meisten Steuerzahlern trotz der Steuererhöhungen ein spürbarer Einkommenszuwachs.

    (Lachen bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Das ist der Unterschied. Durch unsere Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik, durch ein Wachstum von acht Jahren sind wir in der Lage,

    (Zurufe von der SPD)

    trotz der Belastungen im Steuerbereich den Bürgern zu gewährleisten, daß sie auf Grund der Einkommenszuwächse im letzten und in diesem Jahr auch im Jahr 1991 über einen realen Einkommenszuwachs verfügen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das wäre unter Ihrer Regierung nicht der Fall gewesen.
    Unbestritten — auch ich will das überhaupt nicht bestreiten — bergen Steuererhöhungen immer auch konjunkturelle Risiken. Das war für uns der entscheidende Grund dafür, so lange wie möglich auf eine solche Maßnahme zu verzichten.

    (Matthäus-Maier [SPD]: Nach dem 2. Dezember! — Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Als die Wahl vorbei war!)




    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Die getroffenen Entscheidungen sind aber vor dem Hintergrund der erheblichen expansiven Impulse zu sehen, die sich aus der bisherigen Finanzierung der Wiedervereinigungsaufgaben ergeben. Im Saldo bleibt die Finanzpolitik auch in den Jahren 1991 und 1992 expansiv und stützt die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern.

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Blabla!)

    Die Einhaltung der in den Eckwertebeschlüssen festgelegten Obergrenze für die Kreditaufnahme von 70 Milliarden DM hat schon jetzt erkennbar zur Beruhigung an den Finanzmärkten beigetragen. Die Kapitalmarktzinsen sind in den letzten Wochen deutlich, um 0,5 Prozentpunkte, zurückgegangen. Damit verbessern sich insbesondere die Finanzierungsbedingungen für Investoren und Bauherren.
    Wer unsere steuerpolitischen Beschlüsse kritisiert, ist gut beraten, einmal über den nationalen Tellerrand zu sehen.

    (Zuruf von der SPD: Aha!)

    Unsere internationalen Partner analysieren genau, welche Konsequenzen die deutsche Wiedervereinigung für das eigene Wachstum und die eigene Beschäftigungssituation hat. Das zeigt sich deutlich beim IWF, bei den G 7 oder beim Ecofin-Ministerrat. Es kommt nicht von ungefähr, daß uns gerade in der letzten Woche der französische Finanzminister für die „policy-mix" dieser Bundesregierung ausdrücklich seine Anerkennung ausgesprochen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Roth [SPD]: Auf einmal gibt er damit an!)

    — Ich gebe mit Sozialisten nicht an. Lieber Kollege Roth, die meisten Sozialisten außerhalb Deutschlands verfügen über sehr viel mehr ökonomischen Sachverstand als Sie.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe und Lachen bei der SPD — Poß [SPD]: Tote!)

    — Nein, das sind Lebende. Pierre Bérégovoy würde sich mit Schrecken wenden, wenn er sich an Ihre Leitlinien zur Steuer- und Finanzpolitik halten müßte.

    (Matthäus-Maier [SPD]: Die Leute trauen Helmut Schmidt jedenfalls mehr zu!)

    Der Wachstumsprozeß in Deutschland hat die Exportbedingungen bei unseren Handelspartnern wesentlich verbessert. Der Export der EG-Länder in die Bundesrepublik hat um jeweils zweistellige Prozentsätze, im Fall Spaniens sogar um über 30 Prozent, zugenommen. Das wiedervereinigte Deutschland, insbesondere die neuen Bundesländer, bieten gute Investitionschancen in einem neu entstehenden Markt. Vom wiedervereinigten Deutschland geht kein Inflationsschub aus. Die Preissteigerungsrate hat sich seit Beginn des Vereinigungsprozesses kaum verändert. Das ist doch eine großartige Leistung,

    (Lachen bei der SPD)

    wenn man feststellen kann, daß der Beitritt eines so großen Teils Deutschlands ohne jede Friktion in der Stabilität bewältigt werden konnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Klein [München] [CDU/CSU]: Das kann sich die SPD nicht vorstellen!)

    Auch ein wiedervereinigtes Deutschland bleibt Stabilitätsanker in Europa. Deutschland bleibt auch in den kommenden Monaten ein wichtiger Faktor der Stabilität angesichts einer sich insgesamt abschwächenden Weltkonjunktur.
    Wir haben zur Zeit hinter Japan das zweitstärkste Wachstum unter den sieben größten Industrienationen. Wir halten den zweiten Platz auch bei der Industrieproduktion. Die Arbeitslosigkeit ist nur in Japan geringer. Allein im letzten Jahr konnten wir einen Beschäftigungszuwachs von 800 000 verzeichnen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    Eine vergleichbare Dynamik am Arbeitsmarkt — leider gespalten in West und Ost — hat es nur in den ersten Jahren des Wiederaufbaus gegeben.
    Auf der Grundlage einer starken und weiterhin kräftig expandierenden Volkswirtschaft können wir den neuen Bundesländern und unseren dort lebenden Mitbürgern geben, was notwendig und sinnvoll ist. Ich bin sehr froh, daß wir uns in den letzten Tagen und Wochen zwischen Bund und Ländern, zwischen Regierung und Sozialpartnern wirklich auf einen großen Pakt, auf eine große Kraftanstrengung im Hinblick auf Investitionen und Finanzausstattung in den neuen Bundesländern geeinigt haben.
    In den nächsten vier Jahren können Bürger, Unternehmen und öffentliche Haushalte im Beitrittsgebiet mit staatlichen Leistungen in einem Umfang von mehreren 100 Milliarden DM rechnen. Im Interesse eines raschen wirtschaftlichen Aufschwungs wurden bereits zahlreiche Investitions-, Existenzgründungsund Industrieansiedlungsprogramme mit einem Gesamtvolumen von 65 Milliarden DM aufgelegt.
    Der Fonds Deutsche Einheit sichert die Grundfinanzierung der Landeshaushalte in den nächsten Jahren. Die Deutsche Bundespost wird in den kommenden Jahren insgesamt 55 Milliarden DM investieren. Durch das heute ebenfalls zur Beratung stehende Steueränderungsgesetz 1991 führen wir neben der bereits bestehenden Investitionszulage eine Sonderabschreibung für Investitionen im Beitrittsgebiet in Höhe von 50 % ein.
    Auf die Erhebung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer soll in den neuen Bundesländern ab 1. Januar 1991 verzichtet werden.
    Ich glaube, niemand wird bestreiten, daß es nicht sinnvoll wäre, jetzt Tausende von Finanzbeamten für die Erarbeitung der Einheitswerte in den neuen Bundesländern heranzuziehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Über die Unternehmenssteuern in ganz Deutschland wird im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt nachgedacht und entschieden werden müssen. Wir werden im Sommer dieses Jahres das Gutachten der unabhängigen Sachverständigenkommission zu die-



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    sem Punkt erhalten, es genau studieren und dann politisch entscheiden. Politische Entscheidungen zu der Frage „Unternehmenssteuerreform" werden wir in Ruhe im Jahr 1992 vorbereiten und treffen.

    (Beifall des Abg. Glos [CDU/CSU])

    Dabei haben wir zugesagt, daß wir die Belange der Länder und der Gemeinden berücksichtigen werden. Das fand einvernehmliche Zustimmung im Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten. Es soll auch nicht in Vergessenheit geraten, daß die unabhängige Sachverständigenkommission — —

    (Matthäus-Maier [SPD]: Unabhängig? — Poß [SPD]: Da sind doch nur Unionspolitiker!)

    — Die sind unabhängig, weil sie bei der Begutachtung nicht an Aufträge gebunden sind.

    (Poß [SPD]: Wieder eine Täuschung! Noch eine Täuschung! — Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Parteibuch!)

    Außerdem sollte bedacht werden, daß bereits in den Thesen dieser Kommission auch die Gegenfinanzierung enthalten ist. Das heißt, daß die Finanzierung nicht zu Lasten der übrigen Steuerzahler gehen soll. Wir werden bei der politischen Entscheidung darauf achten, daß der Schwerpunkt der Erleichterung bei der Vermögensteuer jedenfalls im betrieblichen Bereich liegen wird.
    Auf dieser Grundlage können wir mit den geschaffenen Bedingungen nun darangehen, Investitionen anzureizen und die Lebensumstände in den neuen Bundesländern zu verbessern. Uns geht es um die Menschen.

    (Lachen bei der SPD — Dr. Feige [Bündnis 90/GRÜNE]: Um alle?)

    — Meine Damen und Herren, ich jedenfalls habe in den letzten Monaten einen Großteil meiner Arbeit darauf verwendet, mich um die Menschen im östlichen Teil Deutschlands zu kümmern, und ich habe darauf verzichtet, mich an irgendwelchen Sonnenstränden aufzuhalten.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Das gönne ich jedem von Herzen. Nur, ich habe darauf verzichtet, mich bräunen zu lassen, weil ich meine: Unsere Aufgabe besteht darin, uns jetzt diesen Dingen zu widmen und das Bestmögliche für die Menschen in den neuen Bundesländern zu tun. Das lassen wir uns von niemandem, auch nicht von Ihnen, absprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wo es um persönlichen Einsatz und um Argumente ging, haben wir uns mit ganzer Kraft engagiert.

    (Zuruf von der SPD: Pfui!)

    Wir haben mit den Kirchen, mit den Verbänden, mit Ländern und Gemeinden zusammengearbeitet, um das Los der 45 Jahre lang unterdrückten Menschen so schnell wie möglich zu verbessern.
    Auf unser Drängen hin haben die Länder in der vorletzten Woche einer vollen Beteiligung des Beitrittsgebiets am Umsatzsteueraufkommen zugestimmt. Damit können die neuen Bundesländer — trotz deutlich geringerer Wirtschaftskraft — je Einwohner ebensoviel ausgeben wie die alten Bundesländer. Die Gemeinden dort erhalten künftig doppelt so hohe Finanzzuweisungen wie die Gemeinden im Westen. Das ist notwendig.
    In der letzten Woche hat das Bundeskabinett zusätzlich das Gemeinschaftswerk „Aufschwung-Ost" beschlossen. Wir wollen den wirtschaftlichen Aufholprozeß noch stärker beschleunigen.

    (Zuruf von der SPD: Sehr früh!)

    Zugleich soll die Zeit bis zur Entstehung neuer Arbeitsplätze durch eine Beschäftigungsbrücke überwunden werden. Insgesamt hat das Gemeinschaftswerk in den Jahren 1991/92 ein Programmvolumen von 24 Milliarden DM. Zu den wichtigsten Elementen gehört die Förderung der kommunalen Investitionen durch eine einmalige Investitionspauschale des Bundes in Höhe von 5 Milliarden DM. Die Investitionen sollen der Instandsetzung insbesondere von Schulen, Krankenhäusern und Altenheimen dienen. Unser Appell geht an die Kommunalpolitiker in den neuen Bundesländern, die Aufträge möglichst schnell und unkompliziert zu erteilen, damit sich dort endlich mehr bewegt als bisher.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    — Ich habe niemandem Schuld vorgeworfen. Ich habe appelliert, das Geld, das bereits seit Wochen drüben ist, möglichst schnell vor allen Dingen an das private Baugewerbe zu geben, damit bei der Beschäftigung und der öffentlichen Nachfrage etwas Entscheidendes passiert.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Für zusätzliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden 1991 2,5 Milliarden DM und 1992 3 Milliarden DM bereitgestellt. Damit sollen zu den bislang vorgesehenen 130 000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Jahr 1991 zusätzlich 150 000 Förderungen erreicht werden.
    Die Verkehrsverhältnisse sollen als Voraussetzung für private Investitionen entscheidend verbessert werden. Für die Ost-West-Straßenverbindungen, Investitionen der Deutschen Reichsbahn und die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden stehen in den Jahren 1991/92 zusätzlich 5,6 Milliarden DM zur Verfügung.
    2,2 Milliarden DM haben wir für die Verbesserung des Wohnungsbestands, für die Privatisierung von Wohnungseigentum und für die Städtebauförderung vorgesehen.
    Weitere Programmpunkte betreffen die regionale Wirtschaftsförderung, die Werfthilfen Ost, Verbesserungen im Umweltschutz und die Sicherung des Bestands von Hochschulen. Schließlich haben wir eine weitere Verbesserung bei der bereits früher vereinbarten Investitionszulage beschlossen. Die Gewährung der Zulage wird ein halbes Jahr verlängert und kann künftig kumulativ zur Sonderabschreibung in Anspruch genommen werden.



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Was jetzt und bereits früher an Förderung beschlossen wurde, ist insgesamt ein Optimalprogramm. Das haben mir auch die Finanzminister der ostdeutschen Bundesländer in einem sehr konstruktiven Gespräch am Mittwoch letzter Woche bestätigt. Ich bin dankbar dafür, daß Sie auch, was die Mitleistungspflicht der Länder und der Kommunen anbelangt, mit mir zu einer Einigung gekommen sind, so daß dieses Programm wirklich laufen kann, und daß die Sozialpartner ihm voll zugestimmt haben und jetzt, wie ich meine, die bestmögliche Voraussetzung für die Entwicklung der Länder und der Kommunen drüben geschaffen wurde.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Eine noch weiter gehende Aufstockung der gezielten Wirtschaftsförderung und der staatlichen Infrastrukturinvestitionen ist weder sinnvoll noch möglich. Eine endlose Fortsetzung der Förderdiskussion wäre für den Bereich der privaten Investitionen sogar schädlich, weil die Investoren in der Hoffnung auf weitere Verbesserungen ihre Vorhaben sonst zurückstellen würden.
    Der Liquiditätseffekt der Investitionsförderung beläuft sich, wenn man alle Instrumente zusammenfaßt, im ersten Jahr auf rund 50 % der Anschaffungskosten. Ein noch höherer Prozentsatz würde das für den marktwirtschaftlichen Regulierungsprozeß unverzichtbare Eigenrisiko der Investoren zu stark gefährden und beeinträchtigen.
    Alle notwendigen und richtigen Maßnahmen zur gezielten Investitions- und Wirtschaftsförderung können nur greifen, wenn die Treuhandanstalt ihre Privatisierungsaufgabe wirksam und mit breiter Unterstützung der Öffentlichkeit bewältigen kann. Ich bedanke mich sehr auch bei den Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer für ihre positive Stellungnahme gestern zu der Arbeit der Treuhand gerade in den letzten Wochen.

    (Beifall des Abg. Glos [CDU/CSU])

    Die Umwandlung der ehemaligen Staatswirtschaft in eine dezentrale Wettbewerbswirtschaft steht und fällt mit der Privatisierungsaufgabe. Rund 90 % der Betriebe gehören zum Treuhandbereich. 80 % der Arbeitsplätze befinden sich in diesen Betrieben. Ich habe in der Aussprache in der vorletzten Woche schon darauf hingewiesen: Die Arbeit der Treuhandanstalt kann sich mit 700 Veräußerungen durchaus sehen lassen. Wir wissen, welche großen Probleme noch auf sie zukommen und wie ungeheuer schwierig es ist, mit dieser riesigen Aufgabe in relativ kurzer Zeit fertig zu werden.
    Entgegen mancher Kritik ist die Arbeit der Treuhandanstalt nicht gegen die Interessen der Beschäftigten gerichtet. Ich persönlich habe die Arbeit der Treuhandanstalt zu keinem Zeitpunkt als kaltes Finanzmanagement verstanden. Privatisierungspolitik muß wie jeder andere Politikbereich, wie die Wirtschaftspolitik insgesamt, die Sozialpolitik, die Forschungspolitik, die Landwirtschaftspolitik und die Umweltpolitik im Interesse der Menschen für soziale Sicherheit und steigenden Wohnstand bürgen.
    Um Beschäftigungseinbrüche zu begrenzen und einer weitgehenden Entindustrialisierung der neuen
    Bundesländer zu begegnen, soll künftig die Sanierungs- und Umstrukturierungsaufgabe der Treuhandanstalt noch stärker betont werden. Betriebe, die zur Zeit nicht privatisierungsfähig sind, aber ein tragfähiges Unternehmenskonzept entwickelt haben, sollen zu Wettbewerbsfähigkeit begleitet werden. Auch sollen die Entscheidungen der Treuhandanstalt eng mit der Regional-, Arbeitsmarkt- und Infrastrukturpolitik verzahnt werden.
    Nur über eines müssen wir uns im klaren sein: Strukturkonservierung um jeden Preis ist kein wirksames Mittel zur Arbeitsplatzsicherung, sondern bewirkt, wie uns die Wissenschaft und die Erfahrung immer wieder sagen, genau das Gegenteil. Die Arbeit der Treuhandanstalt muß auch bei Berücksichtigung von Beschäftigungsaspekten im Kern betriebswirtschaftlich rational bleiben.
    Der Ihnen vorliegende Bundeshaushalt 1991 steht im Zeichen der deutschen Einheit. Die Daten und Fakten des Haushaltsentwurfs 1991 sind nur dann richtig zu bewerten, wenn man die außergewöhnliche Situation des wiedervereinigten Deutschlands im Blickfeld behält. Im letzten Jahr vor der Wiedervereinigung, 1989, betrug das Haushaltsvolumen des Bundes noch knapp 300 Milliarden DM. Durch drei Nachtragshaushalte stiegen die Gesamtausgaben im letzten Jahr auf 380 Milliarden DM. In diesem Jahr sind es einschließlich der Maßnahmen für die neuen Bundesländer im Rahmen des Gemeinschaftswerks 411 Milliarden DM. Dem stehen Steuereinnahmen von 293,9 Milliarden DM gegenüber. Hinzu kommen die zuletzt beschlossenen Steuererhöhungen von rund 17 Milliarden DM. Der verbleibende Finanzierungsbedarf wird durch die sonstigen Einnahmen und eine Nettokreditaufnahme von knapp 70 Milliarden DM gedeckt. In unserer mittelfristigen Finanzplanung verpflichten wir uns, diese Nettokreditaufnahme bis 1994 systematisch und intensiv zurückzuführen. Damit haben wir die in den Eckwertebeschlüssen festgelegte Obergrenze für Kreditaufnahme eingehalten.
    Auch wenn wir die Ihnen vorliegende Finanzplanung bis 1994 an die nochmals gestiegenen Anforderungen anpassen, bleibt der durchschnittliche Ausgabenanstieg in den kommenden Jahren deutlich unter dem erwarteten Zuwachs des Bruttosozialprodukts. Die Aufgabe der Konsolidierung und der erneuten Begrenzung des Staatsanteils steht auch im wiedervereinigten Deutschland auf der Tagesordnung.
    Schwerpunkte der Haushaltsentlastung im Haushaltsentwurf 1991 und im Finanzplan sind Kürzungen bei den Verteidigungsausgaben um 7,6 Milliarden DM, Begrenzung des Bundeszuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit durch eine vorübergehende Anhebung der Beiträge und Minderausgaben —20,8 Milliarden DM — und Umlenkung von Investitionen in einer Größenordnung von 2 Milliarden DM. Darüber hinaus sind Kürzungen in zahlreichen Einzelpositionen vorgesehen.
    Verstärkt ab 1992 wollen wir eine weitere Haushaltsentlastung durch spürbaren Subventionsabbau verwirklichen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)




    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    In den jüngsten Beschlüssen zur Steuerpolitik haben wir das Subventionsabbauziel noch einmal von 6 auf jetzt 10 Milliarden DM angehoben. Berücksichtigt man darüber hinaus den Abbau der Berlin- und Zonenrandförderung und die vorgesehene Gegenfinanzierung zur ersten Stufe der Unternehmenssteuerreform in einem Volumen von etwa 8 Milliarden DM sowie die bereits verwirklichte Bereinigung im Steuerreformgesetz 1990, so ergibt sich im Gesamtzeitraum 1990 bis 1994 ein Subventionsabbauvolumen von über 40 Milliarden DM. Das ist weit mehr, als in irgendeiner Periode der Nachkriegszeit verwirklicht werden konnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Beim Abbau der Berlin- und der Zonenrandförderung haben wir nach meiner Einschätzung einen fairen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen gefunden. Wir halten am Ziel eines zügigen Abbaus der teilungsbedingten Kosten fest. Aber es wird keinen bruchartigen Entzug der Förderinstrumente geben. Dort, wo Gebiete auch nach Aufhebung der Teilung durch Grenzen benachteiligt sind — das gilt z. B. für den Grenzraum zur Tschechoslowakei —, bleibt die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" erhalten.
    Berlin wird insgesamt in die neuen steuerlichen Förderinstrumente Investitionszulage und Sonderabschreibungen einbezogen. Ich glaube im übrigen, die staatliche Förderung wird gerade in der neu erwachten Metropole und Hauptstadt Berlin bald keine große Rolle mehr spielen. Jedenfalls fand sich am 15. Februar 1991 der Berliner Senator für Stadtentwicklung in der „Welt" mit folgender Einschätzung wieder: Wir erleben einen beispiellosen Run der Investoren auf West-Berlin.
    Ausgabensteigerungen im Bundeshaushalt 1991 betreffen natürlich in erster Linie die Wiedervereinigungsaufgaben. Angesichts der krassen Unterschiede in der Ausstattung mit öffentlichen Dienstleistungen und dem Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West mußten wir klare Prioritäten setzen. Dennoch will ich auch einige Verbesserungen für die westlichen Bundesländer nicht unerwähnt lassen. Zu nennen wäre die Ausgabensteigerung bei der Agrarsozialpolitik um rund 300 Millionen DM. Der Mehrbedarf beim Kindergeld und Erziehungsgeld ist zum Teil auf die Ausdehnung auf das Beitrittsgebiet, zum anderen auf die im letzten Jahr wirksam gewordene Erhöhung des Kindergelds für das zweite Kind sowie auf die Verlängerung der Bezugsdauer des Erziehungsgeldes in den letzten beiden Jahren zurückzuführen. In den Koalitionsvereinbarungen haben wir eine weitere Verlängerung der Bezugsdauer des Erziehungsgeldes auf zwei Jahre ab 1993 vorgesehen. Dies ist ein großartiger Beitrag für eine fortschrittliche, in die Zukunft reichende Familienpolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Darüber hinaus wollen wir ab 1. Januar 1992 unser Ziel der völligen Freistellung der Kinderunterhaltskosten von der Besteuerung verwirklichen. Das Kindergeld für das erste Kind wird um 20 DM erhöht.

    (Matthäus-Maier [SPD]: Viel zuwenig!)

    Der Kinderfreibetrag wird auf rund 4 000 DM erhöht. — Was haben denn Sie in Ihrer Zeit getan? Sie haben die Kinderfreibeträge abgeschafft, Frau Kollegin Matthäus-Maier.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Matthäus-Maier [SPD]: Einstimmig, Herr Waigel, mit Ihrer Stimme!)

    In Ihrer Regierungszeit ist doch die Familienpolitik zur Unkenntlichkeit deformiert worden und fand überhaupt nicht mehr statt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Der Ansatz für die Hochschulsonderprogramme, vor allem zur Sicherung der Leistungsfähigkeit in besonders belasteten Fachrichtungen und zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, beansprucht zusätzlich 238 Millionen DM. Weitere 100 Millionen DM entfallen auf die Studentenwohnraumförderung.
    Daß dieser Bundeshaushalt ein außergewöhnlicher Haushalt ist, zeigt sich auch am Datum der heute beginnenden Beratungen. Auf Grund des Wiedervereinigungstermins am 3. Oktober 1990 konnte der Bundeshaushalt zum erstenmal seit 1983 nicht vor Beginn des Haushaltsjahrs verabschiedet werden. Sie haben uns damals kritisiert. Stellt es sich heute nicht als richtig heraus, die Zeit abzuwarten

    (Fuchs [Köln] [SPD]: Voraussehbar!)

    und am Beginn des Jahres einen Entwurf vorzulegen, der dann den Bedürfnissen und Notwendigkeiten des Jahres 1991 möglichst gerecht wird?

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Auch hier sind Ihre Befürchtungen und Unterstellungen eindeutig widerlegt worden. Wir haben durch den späteren Beratungstermin jetzt die Chance, alle voraussehbaren zusätzlichen Aufgaben im nationalen und internationalen Bereich in die Haushaltsplanung einzubeziehen. Wir werden für die zuletzt vereinbarten Maßnahmen keine Ergänzungsvorlage und keinen Nachtrag vorsehen. Die neuen Maßnahmen sollen vielmehr über die Berichterstatter im Haushalt umgesetzt werden. Dies ist der schnellste Weg, damit die zusätzlichen Instrumente zu Gunsten der neuen Bundesländer unmittelbar wirksam werden können.
    Wenn wir heute noch einmal in der Situation des Jahreswechsels 1989/90 stünden, würden wir wieder keinen anderen Weg gehen als den, den diese Bundesregierung — bei aller Differenzierung in Einzelfragen — gemeinsam und erfolgreich gegangen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Zurufe von der SPD)

    Es wäre verhängnisvoll gewesen, wenn wir uns vor einem Jahr in einer weltpolitischen Situation, in der die einmalige Chance zur Überwindung der Teilung bestand, geirrt hätten und wenn wir damals auf Ihre verhängnisvolle Losung „Langsamkeit" in diesem Bereich gesetzt und uns ihr angeschlossen hätten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    654 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 13. Sitzung, Bonn, Dienstag, den 12. März 1991
    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Wir haben im Herbst 1989 klar gesagt: Die deutsche Frage steht auf der Tagesordnung der Weltpolitik.
    Schon in wenigen Jahren wird niemand mehr über die uns heute so dringlich beschäftigenden Finanzierungs- und Steuerfragen sprechen. Aber unsere Entscheidung in der historischen Sekunde, in der die deutsche Einheit möglich war, zu handeln und zuzugreifen, wird Bestand haben. Der politische Wille, erkennbare Haushaltsrisiken und Belastungen in Kauf zu nehmen und für die Menschen .das Beste zu erreichen, war und bleibt richtig und wird am Ende überzeugen.
    Nach 40 Jahren der Frontstellung im Kalten Krieg kann Deutschland einen wichtigen Beitrag zu Frieden und Freiheit in der Welt leisten. In einem Interview mit der „Welt" vom 21. Mai 1990 sagte der sowjetische Deutschlandexperte Nikolai Portugalow zur Rolle des wiedervereinten Deutschland unter anderem:
    Es kann zur goldenen Brücke zwischen Ost und West werden, und dann sind wir in der Bringschuld: Ich verstehe allzugut, solange wir marktwirtschaftliche Strukturen nicht aus der Taufe gehoben haben, geht das so einfach nicht. Ich glaube aber, daß das uns, wenn auch mit vielen Schwierigkeiten, gelingen wird. Dann allerdings wird Deutschland zu eben einer solchen Brücke zwischen Ost und West werden und auf diese Weise zu seiner historischen jahrhunderte-, jahrtausendealten Mission zurückkehren.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es!)

    Wir haben jahrelang im ökonomischen Wettkampf der Systeme gestanden. Jetzt, da sich die Überlegenheit der freiheitlichen, marktwirtschaftlichen Ordnung erwiesen hat, wären Triumphgefühle und Überheblichkeit fehl am Platz. Der erneuerte wirtschaftliche Wettbewerb im nationalen wie im internationalen Bereich kommt allen Menschen zugute.
    Nur wir selbst, meine Damen und Herren, könnten uns in diesem Wettbewerb besiegen. Deshalb sollten wir uns nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft konzentrieren. Wir dürfen nicht einer vergangenen Idylle, einer scheinbaren Geborgenheit unter dem Schirm der früheren idologischen Auseinandersetzung nachtrauern.

    (Zuruf von der SPD: Plauderer!) Wer sich eingräbt, hat schon verloren.


    (Zuruf von der SPD: Richtig!)

    Statt dessen sollten wir auf die Worte des früheren Bundeswirtschaftsministers Ludwig Erhard hören.

    (Weitere Zurufe von der SPD)

    — Meine Damen und Herren von der SPD, wir brauchen uns Ludwig Erhards nicht zu schämen. Sie haben ihn bekämpft!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ludwig Erhard sagte am 9. Februar 1950:

    Nur dann, wenn wir aus der deutschen Wirtschaft und aus den deutschen arbeitenden Menschen durch alle Schichten hindurch die höchste Leistung, die überhaupt denkbar ist, herausholen,
    haben wir Aussicht, die deutsche Not zu bannen und unser Schicksal glücklich zu gestalten.
    Auch für die Deutschen in den alten Bundesländern, die im Vergleich zu den Menschen in anderen Regionen dieser Welt in relativem Wohlstand leben, gilt dieser Satz des früheren Bundeswirtschaftsministers. Was wir jetzt an geringfügigen Einschränkungen zu tragen haben, können wir durch mehr Initiative, durch Leistung und Einsatzwillen ausgleichen. Es besteht kein Anlaß zum Wehklagen. Wir sollten vielmehr dankbar sein für das, was uns die Geschichte, was uns aber zugleich unsere eigene Beharrlichkeit und unser Glaube an die Zukunft geschenkt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Bundesregierung legt mit diesem Bundeshaushalt ihr Programm zur Überwindung der Teilung vor.

    (Opel [SPD]: Offenbarungseid!)

    Alle Deutschen in Ost und West, in Nord und Süd sind aufgerufen, sich ebenfalls für die nationale Aufgabe der Einheit einzusetzen.
    Ich danke Ihnen.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, wie bereits heute morgen mitgeteilt, kommen wir jetzt zur Beratung und Abstimmung über den Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Änderung der Tagesordnung und des Tagungsortes. Danach soll die Debatte zum Haushaltsgesetz 1991 und zum Finanzplan 1994 auf die nächste Sitzungswoche vertagt werden und in Berlin stattfinden.
Wird zu diesem Antrag das Wort gewünscht? —Bitte, Frau Dr. Höll.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Barbara Höll


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

    Geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Verschiebung der Haushaltsdebatte um wenigstens eine Woche ist unseres Erachtens Voraussetzung dafür, daß wir unserer politischen Verantwortung gegenüber unseren Wählern und Wählerinnen gerecht werden können. Innerhalb der von der Geschäftsordnung vorgegebenen drei Tage fast 10 kg Papier mit mehreren tausend Zahlen und Zahlenrelationen zu bewältigen, d. h. tatsächlich inhaltlich durchzuarbeiten,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch die erste Lesung!)

    dürfte den meisten von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie auch mir sehr große Schwierigkeiten bereiten. Meine Wählerinnen und Wähler erwarten von mir detailliert Auskunft darüber, warum 70 Milliarden DM für die Rüstung ausgegeben werden sollen, die Finanzmittel für die Bewältigung strukturpolitischer und sozialer Probleme aber nicht ausreichen. Ich glaube zwar nicht, daß die Bundesregierung eine solche Notwendigkeit für Rüstungsausgaben begründen kann, aber Sie nehmen wir als Vertreterin der Opposition durch die formale Handhabung der Geschäftsordnung die Möglichkeit, die Gesetzesvorlage einer



    Dr. Barbara Höll
    gründlichen und sachkundigen Kritik zu unterziehen.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Überstunden machen!)

    Gerade im Hinblick auf die sich zuspitzenden sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Probleme in den neuen Bundesländern halte ich es für notwendig, daß sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages unmittelbar vor Ort mit den konkreten Haushaltsproblemen und den dazu anstehenden Wählermeinungen vertraut machen, ehe wir Haushaltsentscheidungen treffen. Deshalb sollte die Haushaltsdebatte unseres Erachtens in Berlin durchgeführt werden.

    (Beifall bei der PDS/Linke Liste)