Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als vor vier Jahren. die Föderative Sozialistische Volksrepublik Jugoslawien ihre Unterschrift unter die europäische Kulturkonvention setzte, haben viele in Europa gehofft, daß zu diesem Zeitpunkt eine neue Entwicklung beginnen könnte. Jugoslawien ist Mitglied im Rat für Kulturelle Zusammenarbeit geworden, als erstes jener Länder, die im Rahmen des Auflösungsprozesses des Warschauer Paktes erst im letzten Jahr dazugekommen sind. Es war übrigens damals neben Finnland das einzige Land außer den Mitgliedsländern des Europarates, das die Kulturkonvention unterschrieben hatte. Auch die bilaterale und transnationale Zusammenarbeit in verschiedenen Gremien wie etwa der Arbeitsgemeinschaft Alpen/Adria mit den Teilrepubliken Slowenien und Kroatien hat gezeigt, daß Jugoslawien auf dem Wege zu Europa war.
Im Februar 1989 hat auf einer ZK-Sitzung des Bundes der Kommunisten, der regierenden Partei, der damalige Vertreter Sloweniens, Milan Kucan, folgendes zu Protokoll gegeben:
Jugoslawien wird eine demokratische Gesellschaft werden oder nicht mehr existieren. Es kann keine Demokratie ohne politischen Pluralismus geben.
Ich glaube, das war eine sehr kluge Aussage auf dieser ZK-Sitzung. Nur, die Entwicklung, die wir seitdem erlebt haben, hat offensichtlich gezeigt, daß dies in Gesamtjugoslawien nicht möglich war.
Während in Slowenien und Kroatien der Weg zur Demokratie beschritten wurde, erlebten wir in anderen Teilen Rückschläge. In Serbien wurde gar ein gegenteiliger Weg beschritten. Unter Mißachtung selbst der gültigen Bundesverfassung wurden die beiden autonomen Provinzen Woiwodina und Kosovo ihrer Unabhängigkeit beraubt.
Lassen Sie mich hier nur eine kleine Nebenbemerkung zu dem Kollegen Verheugen machen: Ich gehe nicht so weit, zu sagen: Die große Leistung Titos besteht darin, daß er Jugoslawien zusammengehalten hat; denn es kommt immer auch auf die Methoden an, mit denen ein Staat zusammengehalten wurde.
Während Apartheid in Südafrika auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen wird, feiert sie im Kosovo fröhliche Urständ.
Wenn Sie sich einmal anschauen, wie Schulunterricht für Albaner heute abgehalten wird, wenn Sie berücksichtigen, daß 1 400 mittelständische Betriebe geschlossen wurden, dann wissen Sie, daß der Weg zu Pluralismus und Demokratie dort sicher nicht begangen wird.
Der Bund der Kommunistischen Partei Serbiens hat sich aufgelöst. Er hat sich zusammen mit der Sozialistischen Allianz zur Sozialistischen Partei Serbiens vereinigt. Er hat nebenbei auch über 100 Millionen DM an Vermögen dieser Parteien übernommen und führt die alte Politik unter einem neuen Namen im Grunde genommen weiter. An die Stelle des Kommunismus ist ein Nationalismus, Sozialismus, Populismus unter großserbischen Vorzeichen getreten.
Auch Serbien hat sich eine Verfassung gegeben, die nationalstaatlich ist. In Art. 72 heißt es, daß das serbische Parlament über Krieg und Frieden entscheidet und internationale Verträge ratifiziert.
Die Lage scheint explosiv zu sein. Wir können nur hoffen, daß es gelingt, daß diejenigen, die in diesem Teil Europas echte Reformen wollen, auf friedlichem Wege im Gespräch im Rahmen der KSZE mit Hilfe der Europäer noch zu einer solchen Vereinbarung kommen können.
In wenigen Stunden — kann man sagen — findet in Sarajewo ein nächster Krisengipfel der jugoslawischen Führung statt, genau dort, wo durch die Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand der Erste Weltkrieg ausgelöst wurde. Franz Ferdinand, ein Mann, der eine vorsichtige Förderung der individuellen und nationalen Bestrebungen der Völker der Donau-Monarchie damals unterstützt hat, wurde von großserbischen Verschwörern ermordet.
Dieses Menetekel von 1914 sollten alle Europäer, aber auch diejenigen, die in den nächsten Tagen beim Krisengipfel über die Zukunft Jugoslawiens verhandeln, immer im Hinterkopf haben.