Rede von
Prof. Dr.
Peter
Glotz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es kann nicht unsere Aufgabe sein — das hat eben auch der Kollege Irmer gesagt — , den Jugoslawen vorzuschreiben, wie sie sich staatlich organisieren sollen. Aber — hier stimme ich absolut mit ihm überein — wir sollten zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft helfen, wo wir helfen könnten. Die Prinzipien, an denen wir diese Hilfe ausrichten sollten, möchte ich in vier Punkten beschreiben.
Erstens. Wir fühlen uns alle in diesem Hause strikt an die Grundsätze der KSZE gebunden, was Minderheitenrechte betrifft, noch einmal verdeutlicht in Kopenhagen im Juli 1990. Aus diesem Grunde müssen wir, gerichtet an die serbische sozialistische Partei und an Slobodan Milošević sagen können: Die Art, wie in Kosovo mit dem albanischen Bevölkerungsteil umgegangen wird, ist ein nationalistisches Verbrechen, das man verurteilen muß und mit dem man sich öffentlich auseinandersetzen muß.
Zweitens. Ich denke, wir alle bekennen uns auch zum Selbstbestimmungsrecht der Völker. Dieses Selbstbestimmungsrecht ist allerdings kein Patentrezept. Es verpflichtet uns z. B. keineswegs, für die Loslösung des Baskenlandes von Spanien oder Frankreich oder Nordirlands von Großbritannien einzutreten. Selbstbestimmung ist nicht automatisch Lostrennung, sondern Selbstbestimmung heißt Abwägung, eine Abwägung, in die nicht nur das Volk einbezogen werden kann, das sich lostrennen möchte, sondern
auch der gesamte Verband einbezogen werden muß. Hier stimme ich Herrn Kollegen Irmer zu.
Am deutlichsten kann man das an der mazedonischen Frage sehen. Ich denke an die dortige panmazedonische Bewegung. Wenn es wirklich dazu kommen sollte, daß wir wieder tiefe Konflikte, vielleicht sogar kriegerische Konflikte um Gebietsforderungen an Bulgarien, an Griechenland und an Jugoslawien bekommen, dann wäre das in der Tat ein Rückfall in die Zwischenkriegszeit, den wir keinesfalls begrüßen können.
Dritte Bemerkung. Das bedeutet allerdings, daß wir uns als Mitglied der EG eindeutig gegen Gewaltanwendung in jeder Richtung engagieren müssen. Das heißt, wenn sich die reicheren Slowenen und Kroaten aus dem Staatsverband lösen wollen, kann ich durchaus verstehen, was das für den gesamten Verband bedeutet und warum andere dagegen sind. Aber den Versuch, solche Probleme mit militärischen Mitteln zu lösen, dürfen wir unter gar keinen Umständen unterstützen.
Vierte und letzte Bemerkung: Ich denke, wir sollten mit Sympathie die Versuche des Vorsitzenden der Jugoslawischen Föderation, Ante Marković, betrachten, Jugoslawien zusammenzuhalten. Wo die Europäische Gemeinschaft im ökonomischen Bereich helfen kann, sollte sie helfen. Die Chance mag gering sein, aber die Beteiligten und Betroffenen mögen bedenken, daß ein Zerfall Jugoslawiens in der Tat die Lebensqualität von Millionen von Menschen nach unten drücken würde.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wenn es eine naheliegende Folgerung für mich gibt, die man aus diesen Problemen in Jugoslawien ziehen muß, dann ist es die, dafür zu sorgen, daß wir im Rahmen der KSZE einen Konfliktschlichtungsmechanismus zustande bekommen, später einmal in einer zweiten Phase vielleicht sogar mit Blauhelmen, aber in einer ersten Phase zur Antizipierung und zur Verhütung von Konflikten, damit wir nicht zusehen müssen, meine Damen und Herren, wie in einem Europa, von dem wir gehofft haben, daß es friedlicher wird, Minderheiten sozusagen gedrückt und vielleicht sogar ausgemordet werden. Denn das wäre schrecklich.