Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was erforderlich ist, um Kranken zu helfen, entscheiden solche Menschen, die selbst keine Patienten verantwortlich behandeln. Hat die Meinung von Ärzten überhaupt noch Bedeutung für gesundheitspolitische Entscheidungen? Ich stelle mir diese Frage deshalb, weil ich denke, daß die parlamentarische Arbeit sich unter Umständen doch von den eigentlichen Problemen entfernt.
Probleme bei der Angleichung des Gesundheitswesens in den fünf neuen Ländern gibt es genug. Das ist bekannt. Es wäre deshalb sicher wünschenswert gewesen, wenn nicht von vornherein eine Regelung zu den Medikamentenpreisen im Einigungsvertrag festgelegt worden wäre, die weitere Probleme bereits vorprogrammierte. Es kam, was nach den Regeln der Marktwirtschaft — ein bißchen habe auch ich hier dazugelernt — kommen mußte. Für mich jedenfalls kam der Boykott der westlichen Pharmaindustrie zu Beginn des Jahres nicht überraschend.
Ja, ich habe am 2. Januar in Apotheken gestanden. Mehr will ich dazu nicht sagen. Auf der Seite der Patienten gab es Verunsicherung, Wut, Verzweiflung; die Probleme wurden unmittelbar auf Kranke abgewälzt, für viele Ärzte, die ohnehin durch die Gesamtheit der Veränderungen gestreßt sind, noch ein zusätzlicher belastender Effekt.
Ich gebe zu, daß das auch ungewohnte Probleme sind — wie immer man dies im Augenblick auch beurteilen mag. Ich hoffe auch, daß mir nicht verübelt wird, wenn ich sage, daß mich bedrückt, daß bei der Umgestaltung des Gesundheitswesens in den fünf neuen Ländern das Wort Patient kaum noch zu hören ist und schon gar nicht im Vordergrund steht. Die Patienten werden nicht gefragt.
Die Medikamentenlieferungen kommen wieder stockend in Gang. Da offenbart sich nun ein neuer Fakt. Die Bürgerinnen und Bürger wähnen sich vor der ungerechten Zuzahlung zu Arzneimitteln noch bis zum Juli dieses Jahres sicher, und doch verlangen die Apotheker Geld, die Zahlung des Differenzbetrages zum Arzneimittel mit Festbetrag. Die Apotheken berufen sich auf Verordnungen, die aus dem Einigungsvertrag resultieren sollen. Die Ärzte und selbst die Krankenkassen sind verwirrt.
Geht man der Sache auf den Grund, muß man feststellen, daß es leider so im Einigungsvertrag steht. Dort wird bestimmt, daß nur die Zuzahlungen erst ab 1. Juli zu leisten sind. Daß der Differenzbetrag zum Festpreis keine Zuzahlung ist und demzufolge extra hätte erwähnt werden müssen, wenn auch er erst ab 1. Juli zu zahlen wäre, geht mir erst heute auf. Und ich bin sicher nicht die einzige. Ob nun bewußt oder in der Hast der Einheit entstanden, zum Nutzen der Patienten in den fünf neuen Bundesländern, ist diese Verunsicherung wohl nicht.
Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, sofort Schritte zu unternehmen, auch diese Differenzzahlungen auszusetzen; denn z. B. die Ärzte sind noch gar nicht mit den dafür notwendigen Unterlagen ausgestattet und nicht mit der Vielfalt der Probleme vertraut, wenn es darum geht, ein Arzneimittel mit einem Preis unter oder in Höhe des Festbetrages zu verschreiben, damit ihren Patienten die Zuzahlung erspart bleibt.
Die Liste der negativen Wirkungen der Regelungen des Einigungsvertrages auf die gesundheitliche Betreuung ist noch etwas länger. Der Fakt, den ich vorgetragen habe, ist nur einer.
Statt einer grundlegenden Reform des Gesundheitswesens, die übrigens auch in den alten Bundesländern des öfteren gefordert wird, wird das System überteuerter Krankenversorgung nun einfach auf die neuen Länder übertragen. Ich kann davon wirklich ein Lied singen. Auch mein Mann ist im Moment dabei, sich niederlassen zu müssen.
— Das ist so. Darüber könnten wir uns noch etwas länger unterhalten.
Ob durch diese Regelungen die gesundheitliche Versorgung zügig und nachhaltig, wie es der Einigungsvertrag in Artikel 33 Abs. 1 aussagt, verbessert werden kann, halte ich für etwas zweifelhaft.
Wir sind gegen den eingebrachten Gesetzentwurf, weil wir nicht auf einen völlig unkalkulierbaren, zeitlich begrenzten Solidarbeitrag der Pharmaindustrie setzen, sondern schnellstens einen schrittweisen Übergang zu einer umfassenden Neuordnung des gesamten Gesundheitssystems fordern. Dazu gehört allerdings auch, daß die Pharmaindustrie im Hinblick auf ihre Preispolitik einer strengen Kontrolle durch medizinische und ökonomische Sachverständige unterworfen wird, die dem Parlament kontinuierlich Bericht erstatten sollten. Wir, die Abgeordneten der PDS/Linke Liste, meinen, daß Gesundheit und Krankheit nicht nur wirtschaftlichen Interessen zum Nachteil vieler Patienten unterworfen werden dürfen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.