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    Plenarprotokoll 12/6 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 6. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1991 Inhalt: Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 95 A Rücknahme eines in der 5. Sitzung erteilten Ordnungsrufs 95 B Tagesordnungspunkt 1: Aussprache zur Erklärung der Bundesregierung Dr. Vogel SPD 95 B Dr. Dregger CDU/CSU 107 B Dr. Schmude SPD 112C Dr. Solms FDP 113 B Conradi SPD 116D Dr. Modrow PDS/Linke Liste 118B Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE . . . 121D Dr. Waigel, Bundesminister BMF . . . . 124 C Dr. Graf Lambsdorff FDP . . . . 126B, 168C Frau Matthäus-Maier SPD . . . . 129D, 154B Dr. Faltlhauser CDU/CSU 133B, C Genscher, Bundesminister AA 136B Gansel SPD 139C, 162C Dr. Graf Lambsdorff FDP 169A, 174B Dr. Biedenkopf, Ministerpräsident des Landes Sachsen 145 B Kühbacher, Minister des Landes Brandenburg 148B, 171C Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU . . . 150D Dr. Kohl, Bundeskanzler 152 C Dr. Krause (Börgerende) CDU/CSU 154A, 174B Möllemann, Bundesminister BMWi . . . 154 C Dr. Jens SPD 156C Gansel SPD 157B Rühe CDU/CSU 158D Genscher FDP 163A Möllemann FDP 163B, 166D Frau Lederer PDS/Linke Liste 163 C Roth SPD 165C, 169B Dr. Krause, Bundesminister BMV . . . 169B Dr. Ullmann Bündnis 90/GRÜNE . 172A, 177A Glos CDU/CSU 174C, 177B Walther SPD 176A, 180D Roth SPD 176D Dr. Briefs PDS/Linke Liste 177 C Dr. Weng (Gerlingen) FDP 178D Nitsch CDU/CSU 181 B Dr. Seifert PDS/Linke Liste 183 C Schäfer (Offenburg) SPD 184B Gibtner CDU/CSU 187B Baum FDP 188D Frau Braband PDS/Linke Liste 190D Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 191B Schäfer (Offenburg) SPD 193A Dr. Feige Bündnis 90/GRÜNE 193D Dr. Blüm, Bundesminister BMA 195C Dreßler SPD 198B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1991 Cronenberg (Arnsberg) FDP 204 B Dreßler SPD 204C, 209A, 220C Dr. Schumann (Kroppenstedt) PDS/Linke Liste 206 C Frau Rönsch, Bundesminister BMFS . . 207 B Dr. Ullmann Bündnis 90/GRÜNE . . . 208A, B Frau von Renesse SPD 208B, C Schwarz CDU/CSU 209 D Frau Schenk Bündnis 90/GRÜNE . . . 210C Frau Dr. Merkel CDU/CSU 212 C Frau Dr. Höll PDS/Linke Liste 213A Frau Bläss PDS/Linke Liste 213A Frau Becker-Inglau SPD 214B Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Bundesminister BMBau 217B Reschke SPD 218B Conradi SPD 219A Scharrenbroich CDU/CSU 219D Dr. Ortleb, Bundesminister BMBW . . . 222D Kuhlwein SPD 223 C Nächste Sitzung 224 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 225* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1991 95 6. Sitzung Bonn, den 31. Januar 1991 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Antretter SPD 31. 01. 91 * Bindig SPD 31. 01. 91 * Frau Blunck SPD 31. 01. 91 * Böhm (Melsungen) CDU/CSU 31. 01. 91 * Frau Brudlewsky CDU/CSU 31. 01. 91 Bühler (Bruchsal) CDU/CSU 31. 01. 91 * Buwitt CDU/CSU 31.01.91 Erler SPD 31.01.91 Frau Eymer CDU/CSU 31. 01. 91 Dr. Feldmann FDP 31. 01. 91 * Frau Fischer (Unna) CDU/CSU 31. 01. 91 * Francke (Hamburg) CDU/CSU 31. 01. 91 Gattermann FDP 31.01.91 Dr. Gysi PDS 31. 01. 91 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 31. 01. 91 Dr. Holtz SPD 31. 01. 91 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Kittelmann CDU/CSU 31. 01. 91 * Klinkert CDU/CSU 31.01.91 Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU 31. 01. 91 Matschie SPD 31.01.91 Dr. Müller CDU/CSU 31. 01. 91 * Dr. Neuling CDU/CSU 31. 01. 91 Pfuhl SPD 31.01.91 Reddemann CDU/CSU 31. 01. 91 * Repnik CDU/CSU 31.01.91 Dr. Schäuble CDU/CSU 31. 01. 91 Dr. Scheer SPD 31. 01. 91 * Schmidbauer CDU/CSU 31.01.91 von Schmude CDU/CSU 31. 01. 91 * Frau Simm SPD 31. 01. 91 Dr. Soell SPD 31. 01. 91 * Dr. Sperling SPD 31. 01. 91 Spilker CDU/CSU 31.01.91 Steiner SPD 31. 01. 91 * Frau Wieczorek-Zeul SPD 31. 01. 91 Frau Wollenberger Bündnis 31. 01. 91 90/GRÜNE Wonneberger CDU/CSU 31.01.91 Zierer CDU/CSU 31. 01. 91 *
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


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    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In seiner gestrigen Regierungserklärung hat der Bundeskanzler den Menschen in ganz Deutschland gleiche Lebensverhältnisse versprochen. Die dafür ins Auge gefaßten arbeitsmarktund sozialpolitischen Vorhaben lassen jedoch für das Niveau, auf dem diese Angleichung stattfinden soll, Schlimmes befürchten und taugen höchstens dazu, die durch den von der Bundesregierung zu verantwortenden Crashkurs angerichteten Schäden notdürftig zu kaschieren. Es ist vielmehr so, daß mit diesem Kurs der Regierung ein weiteres Auseinanderdriften der Lebensverhältnisse von Menschen in diesem Land, ein wachsendes Potential an sozialer Armut und von sozial Deklassierten ebenso vorprogrammiert ist wie der weitere Abbau von Arbeitnehmerinnenrechten. Allein die in der Koalitionsvereinbarung verabredete Aussetzung des § 613 a BGB für das Gebiet der ehemaligen DDR und damit die Aufkündigung des Entlassungsschutzes für solche Arbeitnehmerinnen, deren Betriebe verkauft werden, macht deutlich, daß Investitionsanreize auf Kosten von Arbeitnehmerinnenrechten durchgedrückt werden sollen, Freibriefe für Massenentlassungen gegeben werden.
    Auch darüber, wer die Massenarbeitslosigkeit in den alten und neuen Bundesländern finanzieren soll, braucht man sich nach der Regierungserklärung keine Illusionen zu machen. Weder wird die Wirtschaft in die Pflicht genommen noch werden die Änschlußprofiteure gedrängt, ihre Gewinne endlich zur Schaffung neuer Arbeitsplätze einzusetzen.

    (Richter [Bremerhaven] [FDP]: Das ist die Diktion der SED!)

    Nein, die Bundesregierung greift zu altbekannten Rezepten und bittet die Arbeitnehmerinnen zur Kasse. Es sei ein Gebot der Solidarität, füreinander einzustehen, sagt der Kanzler und begründet damit die Erhöhung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung um 2,5 %,

    (Richter [Bremerhaven] [FDP]: Das vergleichen wir einmal mit Volkskammerprotokollen! Jetzt tauchen sie wieder auf!)

    ein, wie ich finde, untauglicher Versuch, auch ohne unpopuläre Steuererhöhungen die Kosten der Einheit auf breite Kreise der Bevölkerung abzuwälzen und sich selbst aus der Verantwortung zu stehlen.
    Die mit der Koalitionsvereinbarung neu entfachte Debatte über die Privatisierung der Arbeitsvermittlung und die in Aussicht genommene Arbeitsgruppe zur Bekämpfung des Mißbrauchs bei Arbeitslosigkeit sind weitere Markierungspunkte eines menschenund arbeitnehmerinnenfeindlichen Konzepts. Insbesondere letzteres ignoriert die Tatsache, daß in der reichen BRD nicht Mißbrauch von Arbeitslosigkeit ein Problem ist, sondern das Faktum, daß mehr als ein Drittel aller Erwerbslosen keinen Anspruch auf Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit hat und häufig am Rande des Existenzminimums leben muß.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, die ehemalige DDR droht zum Armenhaus der Republik zu werden.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Die habt ihr zum Armenhaus gemacht! Das ist eine Unverschämtheit!)

    Schon heute zeichnet sich ab, daß auch hier die Armut weiblich ist. Frauen sind die eigentlichen Opfer des Anschlusses. Wachsende Arbeitslosigkeit, niedrige Wiedervermittlungsraten sowie die für den 1. Juli dieses Jahres aufgekündigte finanzielle Absicherung von Kindereinrichtungen in den fünf neuen Bundesländern sind bedrohliche Zeichen dafür, daß den Frauen auch dort mehr und mehr die Grundlagen für die Erwerbstätigkeit und damit eine eigenständige Sicherung der ökonomischen Existenz entzogen werden.
    So wichtig wir die Verbesserung der Erziehungsurlaubsregelung finden, aktuell bringt sie den in Bedrängnis geratenen Frauen keine Hilfe. Dafür leistet sie einer Argumentation Vorschub, mit der gegenwärtig eine entwickelte Infrastruktur an Kinderkrippen und -gärten bedenkenlos zerschlagen wird.

    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Dann stellen Sie schon mal Ihr Parteivermögen dafür zur Verfügung!)

    Ihre angekündigte Qualifizierungsoffensive für die fünf neuen Bundesländer sowie das Sonderprogramm zur Wiedereingliederung für Frauen nach der Familienphase muß auf Frauen in der ehemaligen DDR, deren Qualifikationsniveau bekanntermaßen sehr hoch ist und deren Erwerbstätigkeitsrate bei 91 % lag, als Verhöhnung wirken.
    Wie steht es mit Ihren Beschlüssen zum Arbeitsförderungsgesetz und zur Arbeitszeitordnung? Sie verbessern die Chancen nicht wirklich, sondern haben keinen anderen Sinn, als Frauenarbeit noch weiter zu flexibilisieren. Schon heute ist die große Mehrheit von Frauen gezwungen, sich auf alle Formen ungeschützter Arbeitsverhältnisse einzulassen. Und nun sollen sie auch noch nachts arbeiten dürfen. Wirklich die bil-



    Frau Bläss
    ligste, aber auch frauenfeindlichste Lösung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

    (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Frau Männle [CDU/CSU]: Das war doch bei Ihnen genauso!)

    Daß Sie sich nicht entschließen konnten, die gesetzliche Pflegesicherung einzuführen, geht in dieselbe Richtung: Privatisierung sozialer Probleme zu Lasten der Frauen.

    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Sie haben Sozialisierung von allem gemacht!)

    Der Bundesregierung geht es nicht um ein Selbstbestimmungsrecht der Frau, sie fordert eindeutig die Festschreibung traditioneller Rollenmuster. Was könnte besser unter Beweis stellen, daß es Ihnen nicht um die Würde von Frauen, um ihre selbstbestimmte Lebensplanung geht, als die frauenverachtende Debatte zum § 218 des Strafgesetzbuches. Eine Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, die Setzung von Fristen sowie jegliche Form der Zwangsberatung stellen einen schwerwiegenden Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Frau dar. Die PDS/Linke Liste wird sich daher mit Vehemenz für die ersatzlose Streichung des § 218 einsetzen.

    (Beifall bei der PDS/Linke Liste)



Rede von Helmuth Becker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Becker-Inglau das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ingrid Becker-Inglau


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich stelle fest: Je später der Abend, je geringer die Medienwirksamkeit, desto größer der Anteil der Rednerinnen.

    (Beifall bei der SPD, dem Bündnis 90/ GRÜNE und der PDS/Linke Liste)

    Aber so lassen wir Frauen uns nicht entmutigen. Wir folgen dem Prinzip Hoffnung und sagen lieber: Die letzten werden eines Tages die ersten sein.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste — Zuruf von der CDU/CSU: Ich stelle fest: eine Rüge an die SPD-Fraktionsführung!)

    — Ich sage das auch in Ihre Richtung. Ich habe heute morgen gar keine Ministerin gesehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wir haben wenigstens welche!)

    — Vielleicht haben wir sie beim nächsten Mal.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wenn Sie so weitermachen, sehe ich schwarz!)

    Aber nun zum Ernst der Sache, auch wenn die ironische Betrachtung der äußerlichen Situation des Augenblicks genau auf den Punkt des Inhalts führt. Blicke ich zurück auf die „Lehr-Formel" der 11. Legislaturperiode, so kann ich resümieren: Aus einem Bauchladen, sprich: Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit mit fast an Null grenzenden Entscheidungskompetenzen, hat es der Bundeskanzler geschafft, eine sogenannte Null-Lösung in eine Nullen-Lösung umzufunktionieren.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und beim Bündnis 90/GRÜNE — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja zynisch und frauenverachtend!)

    Ich weiß nicht, ob ich den betroffenen Kolleginnen zu ihrem neuen Amt wirklich gratulieren kann. Herr Bundeskanzler — ach, er ist ja auch gar nicht mehr da — ,

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Er wartet draußen auf Sie! — Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Der trifft sich mit dem Oppositionsführer!)

    Sie haben mit dieser seltsamen Vermehrung der Ministerien den Bürgern und Bürgerinnen unseres Landes eine der teuersten steuerverschwendenden Null-Lösungen bereitet.

    (Beifall bei der SPD)

    Den Frauen in den eigenen Reihen haben Sie vermutlich einen Bärendienst erwiesen

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das wird sich zeigen!)

    und denen, die sich ernsthaft um Gleichberechtigung und Gleichstellung bemühen, eine schallende und beschämende Ohrfeige erteilt.
    Es ist kaum zu glauben, was der Bundeskanzler unter Frauenförderung versteht. Er hätte wirklich ein Zeichen setzen können, wenn er wenigstens eines der klassischen Ministerien an eine Frau in seinem Kabinett vergeben hätte

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    oder ein wirkliches Frauenministerium eingerichtet hätte, das mit den erforderlichen weitreichenden Kompetenzen ausgestattet worden wäre.
    Statt dessen haben Sie mit den Frauen ein böses Spiel getrieben. Nachdem Sie nämlich alle Begehrlichkeiten der männlichen Kollegen mit dem Blick auf ein Ministerium befriedigt hatten, fiel Ihnen in letzter Sekunde auf, daß da noch die Frauen sind. Kurzum, da konnte nach seinem Weltbild am besten das Bauchladenministerium herhalten. Jeder „Dumme" kann nun glauben, daß auch die Regierung auf dem Weg ist, die Frauen an Ämtern und Funktionen angemessen zu beteiligen.

    (Zuruf von der SPD: Leider wahr! — Kauder [CDU/CSU]: Das ärgert Sie, gell? — Lachen bei der SPD)

    Ich hätte mich, glaube ich, dazu nicht zur Verfügung gestellt.
    Wie unsinnig diese Zellteilung eines Ministeriums den Kennern erscheint, will ich am folgenden Beispiel verdeutlichen. Ich frage: Wäre der Bundeskanzler jemals auf die Idee gekommen, das riesengroße Verteidigungsministerium vielleicht zu zersägen und für jede Waffengattung einen zuständigen männlichen Minister zu ernennen,

    (Zuruf von der SPD: Nein!)




    Frau Becker-Inglau
    z. B. einen Luftfahrtminister oder Heeresminister oder gar einen Marineminister?

    (Beifall bei der SPD — Roth [SPD): Keine

    Vorschläge mehr! Das macht er! Wenn mehr
    Posten herauskommen, macht er das! — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wirklich eine
    Büttenrede!)
    Nein, Männern mutet er offensichtlich eine solche Lösung nicht zu. Aber gegenüber Frauen hat er dabei keinerlei Skrupel. Und ich kann Ihnen sagen: Dagegen protestieren nicht nur wir Frauen energisch.
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, nur zu gerne hätte ich als frauenpolitische Sprecherin meiner Fraktion die Aussagen des Bundeskanzlers zur Frauenpolitik positiv gewürdigt. Leider hat er mir dazu nicht den geringsten Anlaß gegeben.
    Im Gegenteil: Das Fünf-Punkte-Programm, auf das sich die Koalitionspartner geeinigt haben, erfüllt mich mit Skepsis und tiefer Sorge um das Wohl und die Zukunft der Frauen in den alten und — ich muß leider sagen — noch mehr in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland.
    Diese Sorge ist in der bisherigen Haltung des Kanzlers zur Frauenpolitik begründet. In den 8 Jahren seiner Regierungszeit hat er keine einzige Initiative zur Gleichstellung von Frau und Mann im Arbeitsleben eingebracht. Herr Bundeskanzler, jahrelang haben Sie sich gegen eine gesetzliche Verankerung der Frauenförderung gesträubt, haben unseren Entwurf eines Gleichstellungsgesetzes in allen seinen Bestandteilen vehement abgelehnt.
    Deshalb fällt es mir wirklich schwer zu glauben, daß er tatsächlich vorhat, ein „Artikelgesetz zur Gleichberechtigung von Mann und Frau" vorzulegen, das gesetzliche Regelungen zur Frauenförderung vorsieht. Gewiß, seine Beraterinnen und Berater haben ihm zu Recht nahegelegt, dem Auftrag des Einigungsvertrages zu entsprechen und die Weiterentwicklung der Gesetzgebung zur Gleichberechtigung von Mann und Frau anzukündigen. Aber wie ernst sind eigentlich seine Ankündigungen gemeint? Wie ernst nimmt der Kanzler die Frauenförderung in seiner eigenen Partei, wenn ich sehe, daß seine Fraktion mit der CSU den geringsten Frauenanteil, nämlich 13 % im Parlament stellt?

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Wie will er Frauenförderung nun gesetzlich verankern, wenn bereits führende Politikerinnen seiner Partei im letzten Parlament geäußert haben — ich zitiere da Frau Männle — :
    Gleichberechtigung auf dem Verordnungsweg führt in die Sackgasse .. .

    (Richtig! bei der CDU/CSU)

    Oder bei der Debatte um das Gleichstellungsgesetz:
    Im Gegensatz zur Oppositionsfraktion ist die Koalition der Auffassung, daß die Fragen der Gleichstellung nicht durch ein Sammelgesetz geregelt werden sollten.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Und jetzt kommt der Bundeskanzler mit einem solchen Vorschlag „wie Kai aus der Kiste", der uns und mich ganz besonders an seiner Glaubwürdigkeit zweifeln läßt.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Loben Sie einmal!)

    Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben mit unserem Entwurf eines Gleichstellungsgesetzes vorgemacht, wie man Frauenförderung im 20. Jahrhundert gestalten kann.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie der Kollege Farthmann?)

    Wir werden Ihren Vorschlag an unserem Gesetzentwurf messen. Für uns ist es beispielsweise unverzichtbar, Diskriminierung am Arbeitsplatz empfindlich zu bestrafen. Wir meinen auch, daß Frauen im öffentlichen Dienst, solange sie in bestimmten Positionen und Bereichen so eindeutig unterrepräsentiert sind, bei Einstellung und Beförderung bevorzugt werden müssen, wenn sie die gleiche Qualifikation und auch die gleichwertige Qualifikation wie die männlichen Bewerber vorweisen können.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste und des Bündnisses 90/GRÜNE)

    Vor allem treten wir dafür ein, daß im Bereich der Ausbildung von Frauen und Männern die gleichen Kriterien gelten müssen. Ich füge hinzu: Hier muß der öffentliche Dienst Vorbild für die Frauenförderung der privaten Wirtschaft werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Bundeskanzler hätte an dieser Stelle die Chance ergreifen können, Frauen, vor allem den Alleinerziehenden, im Zuge der Beseitigung und Verhinderung von Frauenarbeitslosigkeit besonders in den neuen Ländern durch eine gezielte finanzielle Unterstützung, zum Beispiel von Klein- und Mittelbetrieben, durch Poolbildungen für Ersatzkräfte bei Erziehungsurlaub von Müttern und Vätern und auch bei deren Beurlaubung zur Pflege kranker Kinder, eine Perspektive für die Zukunft zu eröffnen.
    Statt dessen strafen Sie Frauen durch weitere Untätigkeit. So deuten Sie nicht einmal mit einem Satz an, wie sich die soziale Sicherung der Frau im Alter gestalten soll. Weder die Abschaffung der ungeschützten Arbeitsverhältnisse noch den Versuch einer rentenrechtlichen Lösung für Frauen, die häusliche Pflege übernehmen wollen oder müssen, haben Sie in Ihre Verhandlungen zum Einigungsvertrag, in die Koalitionsvereinbarungen oder gestern in die Regierungserklärung aufgenommen.

    (Dr. Geißler [CDU/CSU]: Im CDU-Programm haben wir es!)

    — Das haben Sie aber nirgendwo in den letzten Vereinbarungen.
    Zynisch formuliert, lautet die Botschaft der Regierungserklärung: Wir fahren mit der Politik der Benachteiligung von Frauen fort,

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)




    Frau Becker-Inglau
    nachdem sich in den vorhergehenden Regierungsjahren die Streichung des Schüler-BAföG, das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz — das sich nachweislich als Mittel zum Heuern und Feuern herausgestellt hat — oder die Streichung der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten für Hausfrauen als nachteilig für Frauen erwiesen haben. Sie provozieren und tolerieren mit den neuen Regierungsvorhaben den Weg in die zunehmende Armut von Frauen.
    Das von Ihnen großartig propagierte Sonderprogramm zur Wiedereingliederung von Frauen nach der Familienphase, das innerhalb von fünf Jahren maximal 3 000 Frauen zugutekommen soll, wirkt geradezu lächerlich angesichts der Arbeitslosenzahlen im letzten Monat.

    (Beifall bei der SPD)

    800 000 Frauen in den neuen Bundesländern und über 350 000 in den alten Bundesländern sind zur Zeit arbeitslos. Ich weiß nicht, was angesichts dieser Zahlen noch lächerlich wirken soll, wenn nicht dieses Sonderprogramm.
    Nun zu den Forderungen der Frauen nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf! Der Einigungsvertrag sieht dazu — das finde ich hervorragend — eine Rechtsangleichung in den alten und neuen Bundesländern vor. Die Formulierung, daß Sie eine Änderung der Arbeitszeitordnung anstreben, hätte ja dann auch hoffen lassen können, daß Sie ganz allgemein im Sinne einer Humanisierung der Arbeitswelt zum Beispiel Vorschläge für die Gestaltung von Schichtplänen oder Modelle für die Verlängerung der Urlaubszeit für Mütter und Väter unterbreitet hätten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Haben wir doch!)

    Statt dessen wollen Sie, wie in den Koalitionsvereinbarungen deutlich wird, als Krönung die Aufhebung des Nachtarbeitsverbots für Arbeiterinnen durchsetzen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Gleichstellung!)

    Das verkaufen Sie dann auch noch als eine weitere Errungenschaft auf dem Weg zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Ich finde das unglaublich.

    (Beifall bei der SPD)

    Bei einer ehrlichen Absicht zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hätten die Frauen erwarten können, daß Sie auf die positiven Regelungen in der ehemaligen DDR eingegangen wären und neue Finanzierungsmodelle zur Schaffung fehlender und notwendiger Kindergarten- oder Kindertagesstättenplätze zur Verfügung gestellt hätten. Wie wollen Sie die noch vorhandenen Kindergärten in den neuen Bundesländern erhalten, und wie wollen Sie die Finanzierung sicherstellen? Dazu ist in Ihren Ausführungen nichts zu lesen.

    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das hat die Frau Minister doch gerade gesagt!)

    Ihre Ankündigung in der Regierungserklärung, im neuen Jugendhilferecht den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zu verankern, erscheint wie
    Hohn, nachdem Sie gerade im letzten Jahr den diesbezüglichen Antrag der SPD-Fraktion abgelehnt haben.

    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Weil Ihre Länder das auch abgelehnt haben!)

    Der Eindruck, daß hier in Bausch und Bogen nur kosmetische Tünche betrieben wird, bleibt bestehen, solange keine vernünftigen Finanzierungsvorschläge unterbreitet werden.

    (Dr. Geißler [CDU/CSU]: Das ist natürlich Ländersache!)

    Sie hätten natürlich, statt auf die Ländersache zu reflektieren, auch eigene Vorstellungen und Modelle entwickeln können, um diesen Punkt zu regeln.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich kann nicht immer nur auf andere abschieben, sondern ich muß auch selber gestaltend wirken. Hier hätte der Kanzler eine Möglichkeit gehabt.
    Über die bisher aufgeführten Punkte hinaus vermisse ich ein klares Wort zu der Frage, durch welche gesetzlichen Maßnahmen die Gewalt gegen Frauen und Kinder eingedämmt werden soll. Auch hier müssen wir feststellen: Fehlanzeige.

    (Dr. Geißler [CDU/CSU]: In Rheinland-Pfalz gibt es einen Rechtsanspruch!)

    — Ich will das nicht nur auf ein Bundesland beziehen; ich möchte es bundesweit geregelt haben. Sie hätten das als Beispiel nehmen können, Herr Geißler.
    Weder präventiver Schutz durch das Strafrecht noch Opferschutz für vergewaltigte und geschlagene Frauen durch Frauenhäuser stehen in Ihrem Programm.
    Ein letzter Punkt: Die inhaltliche Ausgestaltung der künftigen Regelung des § 218 war, wie vereinbart — und dafür danke ich besonders dem Engagement meiner Kollegin Herta Däubler-Gmelin —,

    (Beifall bei der SPD)

    in den strittigen Verhandlungen zum Einigungsvertrag ausgeklammert.
    Eines stimmt mich allerdings doch bedenklich: Wenn ich mir die willkürliche Zuschneidung der Ministerien ansehe, ist es gänzlich unbegreiflich, daß die gesetzliche Neuregelung der Schwangerschaftskonflikte beim Ministerium für Familie und Senioren angesiedelt werden soll

    (Heiterkeit bei der SPD)

    und nicht dort, wo sie hingehört, nämlich zum Frauenministerium.
    Offensichtlich erscheint die aus dem neuen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern stammende Frauenministerin dem Bundeskanzler für dieses politisch heiße Eisen als zu unzuverlässig. Da legt er lieber die Gesetzgebungsarbeit in die für ihn politisch verläßlicheren Hände der Kolleginnen Rönsch und Verhülsdonk — ich kann den Kanzler da wirklich verstehen —, deren Einstellungen zum § 218 weithin bekannt sind



    Frau Becker-Inglau
    und in das Weltbild des Bundeskanzlers zu passen scheinen.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: In Ihres anscheinend nicht!)

    Überhaupt haben Sie die Problematik der Schwangerschaftsabbrüche völlig ausgeklammert. Dabei ist selbst den an Politik nur mäßig interessierten Bürgerinnen und Bürgern klar, daß eine Rechtsangleichung der Schwangerschaftsabbruchregelungen zu den wesentlichsten Gesetzgebungsaufgaben in den vor uns liegenden Jahren gehört.
    Ich hoffe, daß Sie, den wissenschaftlichen Erkenntnissen folgend, einen wirksamen Schutz des werdenden Lebens auf dem Prinzip „Hilfe statt Strafe" basieren lassen.
    Insgesamt, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann ich nur feststellen: Wir Frauen sind enttäuscht

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die SPD-Frauen sind enttäuscht!)

    über die dürftigen und nahezu unverbindlichen Aussagen in den Koalitionsvereinbarungen und in der Regierungserklärung des Kanzlers. Aber wir werden nicht lockerlassen, unsere Forderungen hier ins Hohe Haus einzubringen.
    Deshalb melden wir jetzt schon an, daß die neu zu bildende Kommission, die die künftige Verfassung unseres geeinten Deutschlands erarbeitet, paritätisch mit Frauen und Männern besetzt werden möge.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    Mit Stolz verweise ich auf die richtungsweisende Arbeit der Sozialdemokratin Elisabeth Seibert, die dafür gesorgt hat, daß die Frauen 1949 in unserer gültigen Verfassung in Art. 3 einen Platz gefunden haben. Hätte sie das nicht getan, hätten wir damit rechnen müssen, daß die Frauen vergessen werden. Wir wollen die Arbeit von Elisabeth Selbert weiterführen.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)