Rede:
ID1200605300

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 12006

  • date_rangeDatum: 31. Januar 1991

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/6 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 6. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1991 Inhalt: Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 95 A Rücknahme eines in der 5. Sitzung erteilten Ordnungsrufs 95 B Tagesordnungspunkt 1: Aussprache zur Erklärung der Bundesregierung Dr. Vogel SPD 95 B Dr. Dregger CDU/CSU 107 B Dr. Schmude SPD 112C Dr. Solms FDP 113 B Conradi SPD 116D Dr. Modrow PDS/Linke Liste 118B Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE . . . 121D Dr. Waigel, Bundesminister BMF . . . . 124 C Dr. Graf Lambsdorff FDP . . . . 126B, 168C Frau Matthäus-Maier SPD . . . . 129D, 154B Dr. Faltlhauser CDU/CSU 133B, C Genscher, Bundesminister AA 136B Gansel SPD 139C, 162C Dr. Graf Lambsdorff FDP 169A, 174B Dr. Biedenkopf, Ministerpräsident des Landes Sachsen 145 B Kühbacher, Minister des Landes Brandenburg 148B, 171C Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU . . . 150D Dr. Kohl, Bundeskanzler 152 C Dr. Krause (Börgerende) CDU/CSU 154A, 174B Möllemann, Bundesminister BMWi . . . 154 C Dr. Jens SPD 156C Gansel SPD 157B Rühe CDU/CSU 158D Genscher FDP 163A Möllemann FDP 163B, 166D Frau Lederer PDS/Linke Liste 163 C Roth SPD 165C, 169B Dr. Krause, Bundesminister BMV . . . 169B Dr. Ullmann Bündnis 90/GRÜNE . 172A, 177A Glos CDU/CSU 174C, 177B Walther SPD 176A, 180D Roth SPD 176D Dr. Briefs PDS/Linke Liste 177 C Dr. Weng (Gerlingen) FDP 178D Nitsch CDU/CSU 181 B Dr. Seifert PDS/Linke Liste 183 C Schäfer (Offenburg) SPD 184B Gibtner CDU/CSU 187B Baum FDP 188D Frau Braband PDS/Linke Liste 190D Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 191B Schäfer (Offenburg) SPD 193A Dr. Feige Bündnis 90/GRÜNE 193D Dr. Blüm, Bundesminister BMA 195C Dreßler SPD 198B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1991 Cronenberg (Arnsberg) FDP 204 B Dreßler SPD 204C, 209A, 220C Dr. Schumann (Kroppenstedt) PDS/Linke Liste 206 C Frau Rönsch, Bundesminister BMFS . . 207 B Dr. Ullmann Bündnis 90/GRÜNE . . . 208A, B Frau von Renesse SPD 208B, C Schwarz CDU/CSU 209 D Frau Schenk Bündnis 90/GRÜNE . . . 210C Frau Dr. Merkel CDU/CSU 212 C Frau Dr. Höll PDS/Linke Liste 213A Frau Bläss PDS/Linke Liste 213A Frau Becker-Inglau SPD 214B Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Bundesminister BMBau 217B Reschke SPD 218B Conradi SPD 219A Scharrenbroich CDU/CSU 219D Dr. Ortleb, Bundesminister BMBW . . . 222D Kuhlwein SPD 223 C Nächste Sitzung 224 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 225* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1991 95 6. Sitzung Bonn, den 31. Januar 1991 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Antretter SPD 31. 01. 91 * Bindig SPD 31. 01. 91 * Frau Blunck SPD 31. 01. 91 * Böhm (Melsungen) CDU/CSU 31. 01. 91 * Frau Brudlewsky CDU/CSU 31. 01. 91 Bühler (Bruchsal) CDU/CSU 31. 01. 91 * Buwitt CDU/CSU 31.01.91 Erler SPD 31.01.91 Frau Eymer CDU/CSU 31. 01. 91 Dr. Feldmann FDP 31. 01. 91 * Frau Fischer (Unna) CDU/CSU 31. 01. 91 * Francke (Hamburg) CDU/CSU 31. 01. 91 Gattermann FDP 31.01.91 Dr. Gysi PDS 31. 01. 91 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 31. 01. 91 Dr. Holtz SPD 31. 01. 91 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Kittelmann CDU/CSU 31. 01. 91 * Klinkert CDU/CSU 31.01.91 Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU 31. 01. 91 Matschie SPD 31.01.91 Dr. Müller CDU/CSU 31. 01. 91 * Dr. Neuling CDU/CSU 31. 01. 91 Pfuhl SPD 31.01.91 Reddemann CDU/CSU 31. 01. 91 * Repnik CDU/CSU 31.01.91 Dr. Schäuble CDU/CSU 31. 01. 91 Dr. Scheer SPD 31. 01. 91 * Schmidbauer CDU/CSU 31.01.91 von Schmude CDU/CSU 31. 01. 91 * Frau Simm SPD 31. 01. 91 Dr. Soell SPD 31. 01. 91 * Dr. Sperling SPD 31. 01. 91 Spilker CDU/CSU 31.01.91 Steiner SPD 31. 01. 91 * Frau Wieczorek-Zeul SPD 31. 01. 91 Frau Wollenberger Bündnis 31. 01. 91 90/GRÜNE Wonneberger CDU/CSU 31.01.91 Zierer CDU/CSU 31. 01. 91 *
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    Rede von Norbert Gansel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesaußenminister! Die Bundesrepublik befindet sich heute als Folge von Rüstungsexporten in einer schweren außenpolitischen Krise. Sie hat auch ihre innenpolitische Seite.
    Wir Sozialdemokraten haben wie Sie, wie Herr Spranger, wie Herr Rühe vor wenigen Tagen bei einem Besuch in Israel die Wut und auch die Verachtung der Menschen erlebt, die von Saddam Hussein mit Giftgas und Raketen bedroht werden. Daß wir Sozialdemokraten die Bundesregierung vor diesen Gefahren seit Jahren gewarnt haben, machte das Erlebnis für uns nicht leichter. Die Vorwürfe trafen uns ja als Deutsche. Es gibt eben wieder Anlaß zu Kollektivscham. Ich finde es gut, daß Sie, Herr Solms, es genauso empfunden haben wie wir.
    Wir haben uns in Israel nicht mit Angriffen auf die Bundesregierung verteidigt. Die innenpolitische Auseinandersetzung soll nach Möglichkeit nicht im Ausland geführt werden. Aber hier im Deutschen Bundestag muß sie geführt werden.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Da geht es um die Klärung von Sachverhalten und um Konsequenzen. Es geht aber auch um die politische Verantwortung der Mitglieder der Bundesregierung. Ich beginne deshalb mit einem Zitat aus der Rabta-Debatte vom 18. Januar 1989. Sie werden sich erinnern. Damals versuchte die Bundesregierung , die Berichte amerikanischer Zeitungen über die Beteiligung deutscher Firmen beim Bau einer Giftgasfabrik in Libyen als eine antideutsche Pressekampagne wegzuwischen. Das war Antiamerikanismus, Herr Bundeskanzler; denn die Wirklichkeit, der wir durch den sogenannten Schäuble-Bericht im Bundestag näher kamen, übertraf jede Reportage.
    Ich beginne mit einem Zitat; denn wir haben es mit einem Wiederholungsfall zu tun, also auch mit Wiederholungstätern, und zwar in der Bundesregierung. Was haben Sie gewußt, und wann haben Sie es gewußt?

    (Beifall bei der SPD — Lowack [CDU/CSU]: Welche Ministerien waren denn beteiligt?)

    So lautet die Frage in einem berühmten Kommentar eines amerikanischen Journalisten, der überschrieben war: „Auschwitz im Wüstensand?"



    Gansel
    Inzwischen ist ein Teil dieser Horrorvision Wirklichkeit geworden. Die Überlebenden der Gaskammern Nazideutschlands, ihre Kinder und Enkelkinder flüchten sich in die versiegelten Schutzräume und legen Gasmasken an, weil sie Angst haben müssen in ihrem Land vor Raketen und Giftgas, an denen deutsche Firmen und Deutsche mitgewirkt haben, aus der Bundesrepublik und aus der ehemaligen DDR, aus kapitalistischer Profitgier und im Auftrage des Stasireiches.
    Gewiß, niemand hat das gewollt. Wer aber Warnungen in den Wind geschlagen hat, wer Gefahren verharmlost hat und wer nicht alle Mittel des Rechtsstaates mobilisiert hat, der hat versagt.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Er hat auch die Lehre aus der deutschen Geschichte vergessen, die Willy Brandt nicht zufällig am 9. November 1988 in dem Satz zusammengefaßt hat: „Nie mehr wegschauen, wenn Unrecht geschieht. "

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    „Was haben Sie gewußt, und wann haben Sie es gewußt?" Seit 1984, dem ersten Giftgaseinsatz durch Saddam Hussein im Krieg gegen den Iran — ihm folgten weitere Giftgaseinsätze gegen die Kurden — , besaß die Bundesregierung Hinweise auf die Beteiligung Deutscher bei der Giftgasproduktion im Irak. Seit 1984 haben Sozialdemokraten und die GRÜNEN im Bundestag in Debatten und in parlamentarischen Anfragen, mit Anträgen und Gesetzentwürfen auf die Gefahren hingewiesen und Gegenmaßnahmen verlangt.

    (Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Unglaublich!)

    Der Bundesaußenminister war noch nicht einmal bereit, den Irak beim Namen zu nennen, als er Giftgas verwendet hatte. Vielmehr haben Sie, Herr Minister, die Verwendung von Giftgas im Krieg allgemein verurteilt. Es reicht aber nicht aus, nur das Verbrechen zu bezeichnen, wenn der Täter identifiziert und in aller Brutalität auch noch geständig ist wie Saddam Hussein.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Wegen der Beteiligung Deutscher an der Giftgasentwicklung im Irak wurde seit 1984 durch eine Oberfinanzdirektion ermittelt, als ob es sich dabei um den Schmuggel von Zigaretten handelte. Erst 1987 wurde eine Staatsanwaltschaft eingeschaltet. 1990 wurden die ersten Manager in Untersuchungshaft genommen. Das war vier Tage nach dem Einmarsch Saddam Husseins in Kuwait. Welch ein Zufall!
    Wir wissen nicht genau, seit wann die Bundesregierung vom Export deutscher Raketentechnologie in den Irak weiß. In der Bundestagssitzung vom 18. Mai 1988 ist die Bundesregierung jedenfalls von uns zu nachrichtendienstlichen Hinweisen befragt worden. Ich habe seinerzeit gefragt — ich zitiere aus dem Bundestagsprotokoll —, ob die Bundesregierung die Hinweise des Geheimdienstes eines mit ihr befreundeten Landes nicht aufgenommen hat,
    daß diese — deutschen —
    Raketentechniker im Irak die sowjetischen ScudRaketen so modernisiert haben, daß diese nun
    mit einer Reichweite von 900 km nicht nur Teheran, sondern auch Jerusalem und Tel Aviv erreichen können.
    Staatssekretär Riedl antwortete damals, daß es sich nach seinen Informationen — ich zitiere wiederum —
    offensichtlich um Raketen zur Luftverteidigung Bagdads handle.
    Im übrigen wies er bezüglich der Reisetätigkeit deutscher Raketentechniker in den Irak darauf hin — ich zitiere wieder —,
    daß Bürger der Bundesrepublik Deutschland eine völlige Bewegungsfreiheit haben und von der Ausreisefreiheit, die durch das Grundgesetz gewährt wird, natürlich ungebrochen Gebrauch machen.
    Immer wieder haben wir nach den Scud-Raketen im Bundestag gefragt, und wir haben schnelle Maßnahmen angemahnt. Beschleunigt wurde die Gesetzgebungsarbeit des Bundestages aber erst durch einen Mahnbrief der amerikanischen Regierung vom Mai 1990 an die Bundesregierung. Welch eine Souveränität!
    Dann ging es etwas schneller. Aber die Verordnung, die die Tätigkeit deutscher Raketentechniker unter Genehmigungspflicht stellt, trat erst eine Woche nach dem Einmarsch Saddam Husseins in Kuwait in Kraft. Welch ein Zufall!
    Die Bundesregierung meint, das seien alles Zufälle; sie habe alles ihr Mögliche getan. Aber wir wollen die Aufklärung dieser Vorgänge nicht auch noch dem Zufall überlassen.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Deshalb beantragen wir heute, daß dem Bundestag wie im Falle Rabta ein schriftlicher Bericht zum irakischen Raketen- und Giftgaskomplex vorgelegt wird. Wir werden die von der Bundesregierung angekündigten Gesetzesinitiativen auf der Grundlage dieses Berichtes sorgfältig prüfen. Dann werden wir entscheiden, ob die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses erforderlich ist.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Wir haben auf diesem Gebiet nämlich Spezialisten und ein gutes Gedächtnis.
    Der Bundeskanzler hat gestern gesagt — ich zitiere — , auch die Verantwortlichen der Wirtschaft müßten das Ihrige tun, um diejenigen zu ächten, die in illegale Rüstungsgeschäfte verwickelt seien. Dabei fällt mir jetzt zufällig der Auftritt des Bundeskanzlers im U-Boot-Untersuchungsausschuß ein. Ich erwarte vom Bundeskanzler keine Selbstächtung, aber eine Entschuldigung könnte nicht schaden; denn verwikkelt war er in ein illegales Rüstungsgeschäft allemal,

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/ Linke Liste — Kittelmann [CDU/CSU]: Unerhört!)




    Gansel
    übrigens in ein Rüstungsgeschäft, das mit dem Bruch des UN-Embargos gegen Südafrika zu tun hatte, eines Rüstungsembargos, das die gleiche Qualität hatte wie das Rüstungsembargo gegen den Irak. Im Bundeskanzleramt haben Staatssekretäre und Chefberater monatelang die Frage geprüft, ob ein ganzes U-Boot wohl eine Kriegswaffe sei, die unter ein Rüstungsembargo fallen könnte.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Das Versagen der Bundesregierung in der Rüstungsexportkontrolle zwingt die Sozialdemokratie heute dazu, von ihrer ständigen Forderung „Keine Rüstungsexporte in den Nahen Osten" abzuweichen. Wir bekennen uns zu diesem Widerspruch.
    Seit Tagen und Nächten ist Israel Ziel von Raketenangriffen Saddam Husseins und Adressat von Drohungen mit Giftgas. Die Bundesrepublik Deutschland muß Israel bei seinem Schutz und bei seiner Verteidigung helfen. Das ergibt sich aus der besonderen Verpflichtung Deutschlands gegenüber Israel und zusätzlich daraus, daß die Bundesregierung durch ihre verantwortungslose Rüstungsexportpolitik die gegenwärtige Notlage mit verursacht hat.
    Das vereinigte Deutschland trägt nicht nur die Bürde der deutschen Vergangenheit. Es haftet auch für die Fehler seiner Regierung aus der jüngsten Gegenwart. Und wir haften mit, auch mit unseren Grundsätzen.
    Unser Vorschlag, ein Rüstungsexportverbot in Staaten außerhalb des eigenen Bündnisses im Grundgesetz zu verankern, bleibt bestehen. Aber es muß klar sein, daß die Verteidigungshilfe für Israel nicht dazu führt, daß nun auch die Schranken für Waffenexporte in andere Länder des Nahen Ostens geöffnet werden: erst Israel, dann Saudi-Arabien, Ägypten, Syrien und in zwei Jahren wieder der Irak. Man kennt die Methoden der deutschen Rüstungsexportlobby.

    (Sehr gut! bei der SPD)

    Solidarität mit Israel wird übrigens auch zu finanziellen Hilfen führen müssen. Das öffentliche und wirtschaftliche Leben Israels ist durch die tägliche Bedrohung gefährdet und gestört. Da reicht die peinliche Präsentation von wohltätigen Schecks auf Pressekonferenzen nicht aus.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Die deutschen Banken können übrigens auch einiges tun, um den angeschlagenen Ruf der deutschen Wirtschaft wiederherzustellen, indem sie die normalen Geschäftsbeziehungen in dieser Situation nicht dadurch erschweren, daß sie unter Berufung auf das Kriegsrisiko in Israel zusätzliche Sicherheiten verlangen. Herr Kollege Dregger, wenn Sie schon bei den Rüstungsexporten und ihren Wirkungen keine Scham empfinden — wie Herr Solms und ich das tun —, dann bitte ich Sie: Nutzen Sie Ihre Schneidigkeit wenigstens dazu, die Herren in den Vorstandsetagen der Banken dazu zu bringen, daß Israel in dieser Situation nicht noch zusätzliche Schwierigkeiten kriegt.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE — Zuruf von der CDU/CSU: Und was ist mit Ministerpräsident Schröder?)

    Lassen Sie mich, weil es dazugehört, an dieser Stelle sagen — ich wiederhole das, was ich in einer anderen Debatte des Bundestages ein Jahr nach dem Beginn des Intifada-Aufstandes in den besetzten Gebieten gesagt habe — : Unsere Aufgabe muß es sein, eine Politik zu machen, die proisraelisch und propalästinensisch ist.

    (Zuruf von der PDS/Linke Liste)

    Deshalb ist das, was wir jetzt zu leisten haben, keine Parteinahme gegen das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung.

    (Beifall bei der SPD — Lowack [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal, wie das aussehen soll!)

    In der Presse gibt es Spekulationen über die Haltung der SPD zum Golf-Krieg.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: „Spekulationen" ist nett untertrieben!)

    Herr Dregger hatte das heute morgen ausgebreitet. Es gebe Meinungsunterschiede, die Haltung sei nicht klar.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!)

    Politik beginnt damit, daß man sagt, was ist und was man will. Es ist Krieg. Wir wollen Frieden. Wer will von all denen, die uns jetzt zuhören, nicht auch den Frieden? Wir sind unsicher in der Frage, wie wir zu einem sicheren Frieden baldmöglichst kommen können, zur Einstellung der Kampfhandlungen, zum Ende des Tötens und des Sterbens, das mit anzusehen die Zensur der Kriegsberichterstattung uns nicht erlaubt.
    Der Krieg schafft jeden Tag neue Fakten und neue Bedrohungen. Täglich werden politische Optionen zerstört. Der französische Staatspräsident hat schon vor Monaten vor der Logik zum Kriege gewarnt. Jetzt scheint die Logik des Krieges zu herrschen. Wenn wir dieser furchtbaren Logik nicht widerstehen, dann besteht die Gefahr, daß sich das politische Handeln endgültig den vermeintlichen militärischen Sachzwängen unterordnet. Das können wir nicht mitmachen.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Die Bundesrepublik Deutschland ist an der Kriegführung nicht beteiligt. Noch nicht? Die SPD ist in der Opposition.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!)

    Aber wir ringen so um unsere Position, als ob wir voll in der Verantwortung wären.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Ich meine, das ehrt meine Partei, und das stärkt sie, solange es sie nicht zerreißt.

    (Lowack [CDU/CSU]: Ihr seid voll in der Verantwortungslosigkeit!)

    Am 7. August 1990, wenige Tage nach dem Einmarsch Saddam Husseins in Kuwait, hat die SPD- Bundestagsfraktion erklärt — ich zitiere — :

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aber auf der Straße waren Sie nicht!?)




    Gansel
    Niemand darf sich der Täuschung hingeben, daß Saddam Hussein durch die Eroberung Kuwaits gewissermaßen saturiert sein könnte. Wer aus der Geschichte lernen will, muß wissen, daß Saddam Hussein sich nach einem internationalen Arrangement über Kuwait nicht anders verhalten würde als Hitler nach dem Münchener Abkommen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Wir haben deshalb die Sanktionsbeschlüsse des UN-Sicherheitsrates begrüßt und am selben Tag erklärt — ich zitiere — :
    ... von der Bereitschaft, diese Sanktionen dauerhaft bestehenzulassen und sie vor allen Dingen lückenlos einzuhalten, wird es abhängen, ob es gelingt, eine militärische Eskalation des Krieges zu verhindern.
    Heute quält mich die Frage, ob die Eskalation des Krieges nicht deshalb erfolgte, weil sich der Westen ein länger dauerndes Embargo nicht durchzuhalten traute.
    Ein Arrangement mit Saddam Hussein kann es heute weniger denn je geben, nachdem er die kriegerische Eskalation willentlich herausgefordert hat, sie mit einer Kette von Völkerrechtsverstößen begleitet und versucht, auf das an der UN-Aktion nicht beteiligte Israel das Kriegsgeschehen auszudehnen.
    Wir sind gleichwohl für eine Feuerpause, damit jetzt nach zwei Kriegswochen erneut der Politik Raum gegeben wird. Es müssen alle Chancen für einen Frieden genutzt werden, auch wenn sie noch so gering erscheinen mögen; denn von der Forderung nach dem Abzug von Kuwait können wir, dürfen wir nicht abgehen.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der FDP)

    Es muß auch gewährleistet sein, daß Saddam Hussein eine Feuerpause nicht mißbraucht, um sich neue militärische Optionen zu eröffnen und Israel erneut anzugreifen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Aber ich sage Ihnen: Das Wagnis einer Feuerpause, einer Besinnungspause für eine politische Lösung kann unter den Bedingungen der alliierten Luftherrschaft eingegangen werden. Der Versuch muß doch gewagt werden.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE — Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Das kostet das Leben amerikanischer Soldaten! — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch lächerlich!)

    Für diesen Versuch hat sich mein Partei- und Fraktionsvorsitzender Hans-Jochen Vogel mit einem erneuten Appell an die UNO eingesetzt. Es geht schlicht und einfach darum, die Logik des Krieges zu durchbrechen,

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE — Lowack [CDU/CSU]: Die Logik Saddam Husseins zu durchbrechen!)

    so wie Willy Brandt noch am 14. Januar 1991 mit seinem beschwörenden Appell den Versuch gemacht hat, die Logik zum Krieg zu durchbrechen.
    Die Bundesrepublik Deutschland ist an den Kampfhandlungen des Golfkrieges mit Soldaten nicht beteiligt.

    (Dr. Graf Lambsdorff [FDPJ: Deswegen können Sie auch so reden!)

    — Graf Lambsdorff, wenn Sie satisfaktionsfähig wären, würde ich Sie für diesen Zwischenruf fordern.

    (Dr. Fell [CDU/CSU]: Unverschämt! — Unruhe bei der CDU/CSU)

    Die Bundesrepublik Deutschland ist an den Kampfhandlungen des Golfkrieges mit Soldaten nicht beteiligt.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sind denn solche Beteiligungen möglich? — Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Wo sind Sie eigentlich gelandet, Herr Gansel?)

    Da rief Graf Lambsdorff dazwischen: Deswegen können Sie hier auch so reden.
    Verteidigungsminister Stoltenberg hat sich gestern in einem Fernsehinterview auf unsere Verfassungsbestimmungen berufen. Damit auch das klar ist: Wir verstecken uns nicht hinter dem Grundgesetz nach der Devise: Wir wären gerne dabei, aber wir dürfen nicht.

    (Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Aber hinter Grobheiten verstecken!)

    Denn das Grundgesetz ist schließlich eine Lehre daraus, daß unsere Nachbarvölker in diesem Jahrhundert zweimal Opfer deutscher Armeen geworden sind. Ob wir in den letzten 40 Jahren für die neuen Pflichten des geeinten Deutschlands in den Vereinten Nationen dazugelernt haben, bedarf einer ernsthaften Selbstprüfung.
    Der NATO-Vertrag ist ein regionales Verteidigungsbündnis, das ausschließlich der Verteidigung bei Angriffen dient. Es ist kein Instrument zur Kriegsführung außerhalb des Bündnisbereiches. Es ist auch nicht dazu da, militärische Rückendeckung für kriegerische Operationen außerhalb des Bündnisbereiches zu geben, auch wenn diese durch das Völkerrecht und jetzt durch die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates gedeckt sind.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Sie widersprechen führenden Vertretern der SPD! Ihr solltet euch einigen, was ihr eigentlich wollt!)

    Manche sprechen in diesem Zusammenhang von einem gerechten Krieg. Im Zeitalter der Massenvernichtungsmittel kommt es auf den Unterschied zwischen dem gerechten und dem ungerechten Krieg nicht mehr an.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Es geht darum, ob ein Krieg vermeidlich oder unvermeidlich ist.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/ Linke Liste)




    Gansel
    Unvermeidliche Kriege dürfen auch nicht als Schicksal oder als Verhängnis hingenommen werden. Es wäre das Ende unserer Welt.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Ich bin nicht sicher, ob dieser Krieg vermeidbar war. Hätte das Embargo mehr Zeit gehabt, hätte es seine strangulierende Wirkung erzielen können — übrigens auch Gewalt —, so wäre nicht ausgeschlossen gewesen, daß Saddam Hussein zu einem militärischen Verzweiflungsschlag ausgeholt hätte.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Sprechen Sie für die SPD oder für sich?)

    Mich quält die Frage, ob ihm ein langdauerndes Embargo nicht möglicherweise die Zeit gegeben hätte, die Atombombe zur Einsatzreife zu bringen, bei der auch Deutsche mitgeholfen haben.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Aber falsch war es, ihm ein Ultimatum zu setzen, weil sich die UNO-Koalition dadurch selbst unter militärischen Zugzwang setzte.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Das ist Geschichte, und sie ist nur noch so viel wert, wie wir daraus für die Zukunft lernen können. Deshalb frage ich die Bundesregierung: Wo waren Sie, als diese Entscheidung in den Vereinten Nationen fiel?

    (Zuruf von der CDU/CSU: In ständigem Kontakt!)

    Der Herr Bundeskanzler hat gestern gesagt — ich zitiere — : „Ich habe Verständnis für die Angst, die manchen bei uns angesichts der Entwicklung am Golf erfaßt." Es ist gut, daß er das gesagt hat. Besser wäre es gewesen, er hätte auch Verständnis für die Menschen gezeigt, die in diesen Tagen zu hunderttausenden gegen den Krieg demonstriert haben.

    (Beifall bei der SPD, bei der PDS/Linke Liste und beim Bündnis 90/GRÜNE)

    Warum sagt er nicht ein Wort der Entschuldigung dafür, daß Sprecher der Bundesregierung und seiner Partei die Demonstrationen als antiamerikanisch und antiisraelisch diffamiert hatten, bevor diese überhaupt stattfanden?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Man muß doch die Wahrheit noch sagen können!)

    Antiamerikanisch und antiisraelisch war im Ergebnis eine Rüstungsexportpolitik, die es zugelassen hat, daß Saddam Hussein so stark wurde, daß ihm jetzt amerikanische Soldaten und israelische Zivilisten zum Opfer fallen.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Sie haben das gewiß nicht gewollt, und ich bin auch überzeugt, daß Sie das Entsetzen über die Folgen von Unterlassung und Verharmlosung ergriffen hat. Aber die Friedensbewegung hat seit vielen Jahren davor gewarnt, und das kann durch bösartige Antikampagnen nicht verdrängt werden.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE — Kittelmann [CDU/CSU]: Sie differenzieren nicht, Herr Gansel, das ist das Schlimme!)

    Ich habe in diesen Tagen — wahrscheinlich wie Sie auch — viele nachdenkliche und besorgte Stimmen aus der Bundeswehr gehört. Da war kein Ton von Hurra-Gefühl oder gar von Kriegslüsternheit.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch gut!)

    Daß sich Soldaten zu dieser besorgten Nachdenklichkeit öffentlich bekennen, ist die Zivilcourage des Bürgers in Uniform, und ich finde das gut.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE)

    Die Sozialdemokratie, die sich zur Landesverteilung bekennt, hat immer für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung gekämpft. Das ist eine individuelle Gewissensentscheidung und muß es bleiben. Für manchen Soldaten mag sich diese Gewissensentscheidung jetzt eindringlicher stellen als je zuvor. Schon im Vorfeld solcher Entscheidungen — das fordere ich aus ganz aktuellem Anlaß — sollte die Bundesregierung wenigstens keine Wehrpflichtigen ohne deren ausdrückliches Einverständnis in die Türkei schicken.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Dregger, Sie haben das auch so gesehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und gesagt, nicht nur so gesehen!)

    Vielleicht können wir helfen, daß es so geschieht.
    Meine Damen und Herren, die Gefahr des Krieges und das Erlebnis des Krieges führen zu existentiellen Situationen, in denen übrigens auch mancher Kriegsdienstverweigerer zum Kriegsfreiwilligen geworden ist. Mancher Emigrant, der von Hitler seines Pazifismus wegen verfolgt wurde, hat in einer Armee gegen Hitler gekämpft, als es keine andere Alternative mehr zum Appeasement gab.
    Die individuelle Gewissensentscheidung muß respektiert werden, in jedem Fall. Sie darf nicht organisiert werden. Die SPD wird sich an keiner Kampagne zur Kriegsdienstverweigerung oder Desertion beteiligen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir werden deshalb den sich abzeichnenden Verfassungskonflikt auch nicht auf den Schultern der Soldaten austragen. Wir bleiben bei unserer Auffassung, daß über den Bündnisfall und den damit verbundenen Einsatz deutscher Streitkräfte der Bundestag mit Zweitdrittelmehrheit entscheiden muß.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Abwägen!)

    In dem Fall, der hoffentlich nicht eintritt, muß gegebenenfalls das Bundesverfassungsgericht eine juristische Entscheidung vor der parlamentarischen treffen. Aber der Klarheit wegen stelle ich fest: Der Streit über die Verfassung und über die richtige Politik darf nicht Soldaten gegenüber zum Anlaß für eine Verweigerungskampagne genommen werden. Für die Soldaten der Bundeswehreinheiten, die jetzt verlegt werden, ist die Belastung ernst genug. Wir wünschen für sie und



    Gansel
    ihre Familien, daß sie bald gesund und heil zurückkommen, und die gleichen Wünsche gelten für die britischen und amerikanischen Soldaten aus der Bundesrepublik.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der FDP)

    Die SPD hat es als eine Fehlentscheidung bezeichnet, daß Flugzeuge und Soldaten der Bundesluftwaffe im Rahmen eines NATO-Verbandes Anfang Januar in die Türkei entsandt worden sind. Eine Bedrohung durch irakische Übergriffe gab es für die Türkei nicht. Wenn es sie gegeben hätte, dann hätte man multinationale Bodenstreitkräfte schicken müssen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Man hätte ...!) Das hat die Türkei ausdrücklich nicht gewollt.

    Jetzt gibt es Anlaß zur Sorge über manche Äußerungen türkischer Politiker, ob die Türkei durch eine Beteiligung an der UNO-Aktion nicht auch eigene Interessen verfolgen sollte. Dazu darf die NATO nicht mißbraucht werden.
    Mit der Entsendung weiterer Bundeswehreinheiten — jetzt zur Flugzeugabwehr — in die Türkei setzt die Bundesregierung die Kette ihrer Fehlentscheidungen fort. Die eine ist die Konsequenz der anderen. So beginnt die Logik zum Kriege. Wo hört sie auf?
    Die Entscheidungen der Bundesregierung sind hastig und unter Druck von außen getroffen worden. Das ist nicht die Souveränität, die Deutschland braucht. Wir halten die Entscheidungen der Bundesregierung für falsch. Sie können sich verhängnisvoll auswirken. Saddam Hussein will eine Ausweitung des Konflikts. Die nächste Dimension des Krieges ist nach seiner Strategie der revolutionäre und militärische Flächenbrand im Nahen Osten. Diese Dimension kann auch durch eine Beteiligung der NATO erreicht werden. Aus einem Krieg der UNO-Koalition gegen den Irak würde dann ein Konflikt zwischen westlichen und arabischen Staaten werden. Aber es geht nicht um West gegen Ost, es geht nicht um Nord gegen Süd, es geht nicht um Abendland gegen Orient, es geht um die Befreiung Kuwaits und die Wiederherstellung des Völkerrechts.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch bei euch unklar, Norbert Gansel!)

    Deshalb ist die Eindämmung des Krieges jetzt das erste Ziel. Die Bundesregierung kann dazu einen Beitrag leisten, wenn sie sich nicht weiter in ein militärisches Engagement hineinziehen läßt.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE)

    Ich weiß, daß die Verbündeten in der NATO diese Sicht nicht teilen. Wir nehmen die Bundesregierung aber vor ungerechtfertigter ausländischer Kritik in Schutz.

    (Lamers [CDU/CSU]: Wie großzügig!)

    Daß sich die Bundesrepublik nicht militärisch am
    Golfkrieg beteiligt, berührt nicht die Zuverlässigkeit
    der Bundesrepublik als Bündnispartner für die Bündnisfälle, für die die NATO geschaffen ist. Diese Zuverlässigkeit gilt auch für die Pflichten, die sich nicht aus dem Bündnisvertrag sondern aus der faktischen Verbindung der Bündnispartner ergeben. Einen provozierten Bündnisfall aber, wie der FDP-Fraktionsvorsitzende Solms in einem Presseinterview gesagt hat, darf es in der Türkei nicht geben.

    (Beifall bei der SPD — Lowack [CDU/CSU]: Was ist denn der „provozierte Bündnisfall" ?)

    Meine Damen und Herren, die Sorgen über den Krieg und über die Gefahren seiner weiteren Eskalation versperren den Blick auf die Zeit danach und auf andere Probleme der Gegenwart, die ja nicht schon dadurch gelöst sind, daß mit dem Krieg ein noch größeres Problem dazugekommen ist. Dazu hätte ich gerne im einzelnen noch etwas gesagt. Bei anderen Debatten wird dazu Gelegenheit sein.

    (Lowack [CDU/CSU]: Nicht zu lange, Kollege Gansel! Karsten Voigt ist schon rausgegangen!)

    Aber ich möchte doch sagen, daß wir auch in dieser Stunde an die Menschen in der Sowjetunion denken, die für ihr Recht auf Selbstregierung und auf Selbstbestimmung kämpfen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE)

    Wir sind am Zusammenhalt der Sowjetunion interessiert. Wir ermuntern keine Republik zur Sezession, aber im gemeinsamen Haus Europa darf es niemanden geben, der in einen Seitenflügel eingesperrt wird.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE])

    Meine Damen und Herren, wir diskutieren heute im Bundestag das erste Mal im geeinten Deutschland über das Programm einer Bundesregierung, die aus gemeinsamen Wahlen hervorgegangen ist. Diesen gemeinsamen Grund zur Freude — bei allen Gegensätzen zwischen Regierung und Opposition — wollen wir uns durch die Sorgen über den Golfkrieg nicht nehmen lassen. Unsere gemeinsame Verantwortung ist gewachsen. Ihr müssen wir auch in der öffentlichen Debatte des Bundestages gerecht werden.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Das merkt man an Ihrem Beitrag nicht!)

    Es gibt auch Situationen, Herr Bundesaußenminister, in denen Konsultationen erforderlich sind. Es gibt Konflikte, die außen- und innenpolitisch Schaden anrichten, die aber hätten vermieden werden können, wenn man rechtzeitig Informationen und Meinungen ausgetauscht hätte.

    (Zuruf von der FDP: Das müssen Sie sich mal überlegen, gerade Sie!)

    Die Opposition wird sich von der Bundesregierung durch Vertraulichkeit nicht vereinnahmen lassen. Der Platz der Entscheidung ist das Plenum des Bundestages. Wo Gemeinsamkeit helfen kann, den Frieden zu bewahren, sind wir zur Zusammenarbeit bereit. Wo aber kriegerische Gefahren in Kauf genommen wer-



    Gansel
    den oder Chancen zur Friedensstiftung vertan werden, da werden Sie auf unseren entschlossenen Widerstand stoßen.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundesaußenminister, es sind schwere Zeiten. Wir wünschen Ihnen eine glückliche Hand. Das sind Wünsche einer Partei, die in ihrer langen internationalen Geschichte nie vor Diktaturen kapituliert hat und die doch immer ihr Gewicht — mal größer und mal weniger groß — für den Frieden in die Waagschale geworfen hat.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD und Beifall bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort zu einer Kurzintervention hat Graf Lambsdorf.

(Abg. Dr. Graf Lambsdorff [FDP] geht zum Rednerpult.)

— Graf Lambsdorff, darf ich bitten: Die Kurzintervention findet im Regelfall vom Saal aus statt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Vielleicht ist das kein Regelfall!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Gansel, Sie haben einen Zwischenruf von mir nicht beantwortet und als Begründung dafür angegeben, wenn ich denn satisfaktionsfähig wäre, dann würden Sie dies tun. Die beleidigende Absicht in dieser Formulierung ist nicht zu übersehen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! — Pfui! )

    Sie haben ganz offensichtlich zwei Zwischenrufe nicht verstanden. Sie haben ausgeführt, daß Sie für einen Waffenstillstand im Irak-Krieg seien. Sie wissen, daß es darüber unterschiedliche Meinungen in Ihrer Partei gibt. Sie brauchen ja nur Ihren rechten Nachbarn und Parteivorsitzenden anzusehen.
    Ich bin der Auffassung, daß ein Waffenstillstand Saddam Hussein Anlaß und Möglichkeit gibt, sich neu zu formieren, und habe den Zwischenruf „Ihr Vorschlag kostet amerikanische Soldaten das Leben!" gemacht.

    (Gansel [SPD]: Nein, nein!)

    Dann kam Ihre Bemerkung: „Deutsche Soldaten sind nicht dabei." Ich habe weiter zwischengerufen: „Deswegen können Sie so reden, weil deutsche Soldaten nicht betroffen sind! Aber amerikanische und alliierte Soldaten sind betroffen von Ihren Vorschlägen! "

    (Beifall bei der FDP und CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: Das haben wir alle mitgehört! — Entschuldigen Sie sich wenigstens! — Gansel [SPD]: Das nächste Mal sage ich „Herr Baron"!)