Rede von
Dr.
Hans
Modrow
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS/LL)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS/LL)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Debatte findet in einer Zeit statt, in der die Menschheit durch den Krieg am Golf an den Rand eines vernichtenden Weltbrandes gestoßen wird. Aber es ist auch an der Zeit, auf die Bedrohung des inneren Friedens zu achten. Im Osten Deutschlands wird die Wirtschaft zerstört, werden Millionen Bürgerinnen und Bürger ihrer sozialen Existenzgrundlage beraubt.
Im Westen unseres Landes werden die sozialen und finanziellen Folgen der Anschlußpolitik von Woche zu Woche deutlicher.
In einer solchen Zeit ist die Regierung in besonderem Maße verpflichtet, für den äußeren und inneren Frieden unseres Landes zu wirken. Dieser hohen Verpflichtung wird die Regierungserklärung leider nicht gerecht.
Nach der Herausbildung einer Zweidrittelgesellschaft in den alten Bundesländern ist die Politik der Bundesregierung auf dem besten Wege, in den ostdeutschen Bundesländern sogar eine Eindrittelgesellschaft zu Ungunsten von zwei Dritteln der Bevölkerung zustande zu bringen, was natürlich seine negativen Rückwirkungen auf die anderen Bundesländer hätte.
Die „Frankfurter Allgemeine" überschreibt am 17. Januar ihren Leitartikel zur Entwicklung in den ostdeutschen Ländern mit folgenden Worten: „Auf langer Talfahrt" und stellt fest:
Die Stimmung ist gedrückt, der große Geldstrom nach der Währungsunion verebbt, Produktion und Beschäftigung sinken weiter, die Zukunft besteht vorwiegend aus Verheißungen, deren Realitätsgehalt schwer zu prüfen ist.
Meine Damen und Herren, wenn die PDS im Bundestagswahlkampf so etwas gesagt hat, beschuldigten Sie uns stets der Schwarzmalerei.
Aber wie man sieht: Nach den Wahlen dürfen auch diejenigen, die den Regierungsparteien nahestehen, die Realitäten zur Kenntnis nehmen.
Nun haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, für diese Misere immer eine sehr einfache Erklärung zur Hand:
die vierzigjährige Kommandowirtschaft.
Diese Formel kennzeichnet schon eine wesentliche Ursache. Aber sie gibt keine Antwort darauf, warum es nicht gelungen ist, in den ostdeutschen Ländern den für die Zeit nach der Währungsunion versprochenen, dann für die Zeit nach dem Beitritt zur BRD zugesicherten und schließlich aber ganz bestimmt für die Zeit nach den Bundestagswahlen vorausgesagten Wirtschaftsaufschwung zustande zu bringen.
Da muß man doch die Frage stellen — sie muß erlaubt sein — , ob das bewußt falsche Versprechungen waren oder ob die Regierung diesen Aufschwung nicht zustande bringen konnte.
Wenn man immer davon spricht, man habe den Wunsch, die Weichen richtig zu stellen, muß ich Sie fragen: Wer hat denn bisher überhaupt die Strecke dafür gelegt?