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ID1200201600

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    Plenarprotokoll 12/2 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 2. Sitzung Bonn, Montag, den 14. Januar 1991 Inhalt: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Lage in der Golfregion und in Litauen Dr. Kohl, Bundeskanzler 21 B Brandt SPD 24 C Dr. Bötsch CDU/CSU 28 D Dr. Vogel SPD 30 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 32 B Duve SPD 33 D Dr. Gysi PDS/LL 34 C Frau Wollenberger Bündnis 90/GRÜNE . 36A Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMVg . . 38B Dr. Seifert PDS/LL 40 A Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE (zur GO) 40 C Dr. Gysi PDS/LL (zur GO) 40 D Namentliche Abstimmung 40 D Frau Wieczorek-Zeul SPD (Erklärung nach §31 GO) 41A Nächste Sitzung 42 D Berichtigung 42 Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 43* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 2. Sitzung. Bonn, Montag, den 14. Januar 1991 21 2. Sitzung Bonn, den 14. Januar 1991 Beginn: 14.01 Uhr
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    *) Das endgültige Ergebnis und die Namensliste werden als Anlage im Plenarprotokoll 12/3 am 17. 1. 1991 abgedruckt. Berichtigung 1. Sitzung, Seite 17 A*. In die Liste der entschuldigten Abgeordneten ist einzufügen: Dr. Schäuble, CDU/ CSU, 20. 12. 90. Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Böhm (Melsungen) CDU/CSU 14. 1. 91 * Buwitt CDU/CSU 14. 1. 91 Conradi SPD 14. 1. 91 Dr. Diederich (Berlin) SPD 14. 1. 91 Frau Fischer (Gräfenhainichen) SPD 14. 1. 91 Gattermann FDP 14. 1. 91 Grünbeck FDP 14. 1. 91 Kretkowski SPD 14. 1. 91 Dr. Modrow PDS 14. 1. 91 Rappe (Hildesheim) SPD 14. 1. 91 Rühe CDU/CSU 14. 1. 91 Dr. Schäuble CDU/CSU 14. 1. 91 Dr. Schöfberger SPD 14. 1. 91 Spilker CDU/CSU 14. 1. 91 Dr. Vondran CDU/CSU 14. 1. 91 Vosen SPD 14. 1. 91 Frau Wiechatzek CDU/CSU 14. 1. 91 Zierer CDU/CSU 14. 1. 91 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS/LL)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der PDS hat die Zuspitzung der innenpolitischen Auseinandersetzung in der UdSSR, insbesondere in Litauen, den Einsatz militärischer Gewalt und den Verlust von Menschenleben mit großer Sorge und tiefer Betroffenheit aufgenommen. Wir lehnen den Einsatz militärischer Mittel grundsätzlich ab.

    (Zustimmung bei der PDS/LL — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Respekt!)

    Wir wissen, daß die gegenwärtige Entwicklung der UdSSR unerhört kompliziert verläuft und in jedem Falle weitestreichende Konsequenzen für die Perspektive von Sicherheit und Stabilität nicht nur in der Sowjetunion selbst, sondern in der ganzen Welt hat. Die weitere Verschärfung der politischen, sozialen und ökonomischen Probleme im Land, die sich auch in wachsendem Maße in nationalem Hader widerspiegeln, untergräbt die 1985 eingeleitete Politik der Umgestaltung, den Fortbestand der Union und gefährdet die Chance eines friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens der europäischen Staaten und Völker.
    Das Zusammenleben aller Völker der UdSSR, die freie Entwicklung und Selbstbestimmung der Menschen im Lande waren und sind Grundanliegen der Politik des Neuen Denkens. Das erfordert politische Weitsicht, Toleranz, sehr viel Geduld und Aufeinanderzugehen.
    Wir erwarten von den Beteiligten, alles zu unternehmen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern, die Lage in Litauen zu entspannen sowie die entstandenen Probleme mit friedlichen Mitteln zu lösen. Ein Ende der Perestroika wäre eine Katastrophe für alle. Die Erhaltung der Sowjetunion kann nur auf politisch-demokratischem Weg und nicht mit militärischen Mitteln gesichert werden.
    Für uns bedeutet das aber auch, daß Deutschland nicht Lehrmeister wird und daß es eine Außenpolitik der guten Nachbarschaft gegenüber der UdSSR fortsetzt.
    Die größte Gefahr für die Menschheit aber besteht gegenwärtig in der Golfregion. Der Irak hat den Kuwait besetzt, hat eine Aggression verübt. Dabei ist es unerheblich, ob uns die gesellschaftlichen Systeme im Kuwait oder im Irak gefallen. Ich lehne das feudale System im Kuwait ebenso ab wie die menschenverachtende Diktatur des Herrn Hussein im Irak. Beiden Völkern wünsche ich, daß sie ihr Selbstbestimmungsrecht verwirklichen und demokratische und soziale Gesellschaftsstrukturen aufbauen können.



    Dr. Gysi
    Aber das alles kann nicht rechtfertigen, daß verschiedene Staaten, insbesondere die USA, jetzt einen Krieg gegen den Irak entfachen wollen. Und niemand soll so tun, als ob das international üblich war und ist. Als die USA z. B. Panama und Grenada besetzten, kam glücklicherweise kein Staat auf die Idee, die USA deshalb anzugreifen. Allerdings gab es nicht einmal Embargobeschlüsse oder ähnliches, was durchaus möglich und gerechtfertigt gewesen wäre.
    Das Problem ist, daß die Einhaltung des Völkerrechts von bestimmten Großmächten nur dann durchgesetzt wird, wenn es eigenen Vorstellungen entspricht. Und das genau ist Willkür und nicht Recht.
    Es gibt viele nicht erfüllte UN-Sicherheitsratsresolutionen, auch und gerade für den Nahen Osten. Seit Jahren wird zur Lösung der Gesamtprobleme im Nahen Osten einschließlich der Sicherheit Israels und des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser eine Friedenskonferenz von verschiedenen Seiten gefordert, ohne daß die Weltgemeinschaft auch nur ihr Zustandekommen erreicht hätte.
    Ein Krieg der USA und anderer Staaten in der Golfregion wäre eine menschliche, ökologische und ökonomische Katastrophe; er birgt riesige Gefahren für alle Kontinente, auch den europäischen, in sich. „Kein Blut für Öl" , diese Losung bringt das Mißtrauen der Menschen zum Ausdruck, daß es einigen Mächtigen weniger um das Völkerrecht und mehr um ökonomische und politische Einflußsphären geht. Auch deshalb unsere Forderung: Kein Krieg am Golf. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Dieser Krieg wird, wenn er stattfindet, auch ein Krieg der Ersten gegen die Dritte Welt. Die reichen Länder nehmen sich das Recht heraus, die Dritte Welt nach ihren Vorstellungen zu gestalten, auch militärisch.
    Was kann die Bundesrepublik Deutschland gegen den Krieg tun? Zunächst sollte durch die Annahme der von uns beantragten Entschließung klargestellt werden, daß es keine Beteiligung, keine Unterstützung durch Deutschland an einem bzw. für einen Krieg am Golf geben wird, weder militärisch noch finanziell noch materiell noch auf andere Weise.

    (Beifall bei der PDS/LL)

    Es reicht, daß zumindest Lastwagen und anderes militärisches Gerät aus der früheren DDR und, was noch schlimmer ist, Giftgasfabriken aus der früheren BRD im Irak nun kriegerisch eingesetzt werden bzw. eingesetzt werden könnten. Es besagt viel, wenn der stellvertretende Regierungssprecher Dieter Vogel zu diesen Fabriken erklärt: Ich möchte Ihnen die Namen der Firmen schon deshalb nicht nennen, weil ich sie nicht kenne; aber ich glaube, auch wenn ich sie kennen würde — man könnte sich ja kundig machen —, würde ich sie nicht öffentlich nennen. — Da weiß man, wer wen schützt.

    (Beifall bei Abgeordneten der PDS/LL — Bohl [CDU/CSU]: Was soll das? Wirr!)

    Die deutschen Soldaten und deutsches Gerät sind unverzüglich aus diesem Raum zurückzuziehen, gerade auch aus der Türkei, die — nebenbei gesagt — die Gelegenheit nutzt, ihre Menschenrechtsverletzungen gegen den kurdischen Teil der Bevölkerung zu forcieren.
    Was mich bei vielen Erklärungen und Zeitungsberichten entsetzt, ist die selbstverständliche Art, mit der plötzlich über Krieg, über Beginn des Krieges oder Notwendigkeit des Krieges so gesprochen oder geschrieben wird, als ob der Krieg doch die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist.
    Und im Innern? Als erster Akt ein Strafverfahren gegen den GRÜNEN Eberhard Walde, d. h. gegen jemanden, der gegen den Krieg aufruft, nicht etwa gegen Kriegsbefürworter. Die Disziplinierung beginnt also sehr früh. Dabei ist doch klar, daß niemand gegen seinen Willen zur Beteiligung an einem solchen Krieg gezwungen und daß dieser Wille auch durch Flugblätter beeinflußt werden darf.
    Deutschland würde schon einen großen Beitrag leisten, wenn es klipp und klar erklärte, sich nicht an einem Krieg zu beteiligen. Es wird für die US-Administration von Bedeutung sein, daß Deutschland ausscheidet.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, eben!)

    Führende deutsche Politiker könnten sich — ich würde mich, obwohl ich nicht zur genannten Gruppe gehöre, gerne daran beteiligen — als wirksames menschliches Schild gegen den Krieg —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!)

    — ich bin nicht sicher, ob es Ihnen immer erspart bleibt; aber das ist eine andere Frage — nach Bagdad oder Jersualem begeben.

    (Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Haben Sie auch an der Mauer gestanden, als geschossen wurde! — Jäger [CDU/CSU]: Das trieft vor Selbstgerechtigkeit!)

    Nach zwei Weltkriegen, die in unserem Jahrhundert von Deutschland ausgingen, und nach der Erlangung der Einheit Deutschlands ist außenpolitische Selbstbescheidung zumindest dergestalt geboten, daß eine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an einem Krieg, ohne daß sie selbst angegriffen worden ist, ausgeschlossen wird,

    (Beifall bei der PDS/LL)

    auch und gerade eine Beteiligung an diesem bevorstehenden Golfkrieg. Kein Krieg der Ersten gegen die Dritte Welt, keine Beteiligung deutscher Soldaten und deutschen Gerätes an einem solchen Krieg!
    Lassen Sie uns nicht über den Krieg, sondern über den Frieden nachsinnen. Embargomaßnahmen werden irgendwann ihren Einfluß ausüben, um die Aggression des Irak gegen den Kuwait zu beenden. Aber der Beginn des Golfkrieges wäre eine Katastrophe für die ganze Menschheit: in humaner Hinsicht, in ökologischer und in ökonomischer Hinsicht. Niemand hat das Recht, eine solche Katastrophe zu beginnen oder heraufzubeschwören.

    (Zuruf von der CDU/CSU: 2. August!)

    Deshalb appelliere ich an Sie: Leisten wir alle gemeinsam unseren Beitrag, um diesen Krieg in letzter Minute zu verhindern, und versuchen wir nicht jetzt schon, Rechtfertigungen dafür zu finden, daß er stattfindet und daß und von wem er begonnen wurde.
    36 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 2. Sitzung. Bonn, Montag, den 14, Januar 1991
    Dr. Gysi
    Danke.

    (Beifall bei der PDS/LL)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wollenberger.

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    Rede von Vera Wollenberger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit dem 29. November befindet sich die Welt im Niemandsland zwischen Krieg und Frieden. Wochenlang hatten sich Politiker und Kommentatoren bemüht, den Eindruck zu erwecken, als wäre dieser Krieg allein ein Problem der Wüstenregion, in der er geführt werden soll, und die europäische und nordamerikanische Bevölkerung könnte zuschauen, wie weit hinten in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen, wenn auch — im Unterschied zu Goethes Studenten — vielleicht mit Unbehagen.
    Am Vorabend des Ablaufs des Ultimatums wird klar, daß die Politiker im Begriff sind, die Schwelle zu einem Krieg zu überschreiten, der bereits im Vorfeld deutliche Zeichen eines Dritten Weltkrieges trägt und der in seinen Auswirkungen mit tödlicher Sicherheit global sein wird.
    Fast reaktionslos hat die Welt zugesehen, wie ein riesiges militärisches Potential im Nahen Osten zusammengezogen wurde. Mit 8 000 Panzern, die jetzt in der Wüste stationiert sind, könnte die größte Panzerschlacht aller Zeiten geführt werden. Aber vorher soll es einen Enthauptungsschlag aus der Luft geben, einen Blitzkrieg mit den neuen Wunderwaffen, kurz: Wir erleben die schaurige Wiedergeburt des Wunderglaubens an die Allmacht des Militärischen, die wir in Europa vor kurzem noch für so gut wie überwunden hielten.
    Diese Mißgeburt soll nun helfen, eine Frage gar nicht erst zuzulassen, da sie auch in Bagdad gestellt wird: Gibt es den Nahost-Konflikt, gibt es besetzte Territorien in der Region erst, seitdem irakische Truppen in Kuwait einmarschiert sind? — Wenn die Besetzung Kuwaits unerträglich ist, dann ist auch die Besetzung von Teilen Syriens, des Libanons, der Westbank und Gazas unerträglich. Die Eroberung des Kleinstaates Kuwait unter fadenscheinigen Vorwänden macht die Eroberung des Kleinstaates Panama unter ähnlich fadenscheinigen Vorwänden nicht besser.

    (Duve [SPD]: Das ist aber nicht als 51. Staat einverleibt worden! — Bohl [CDU/CSU]: Ja, ein kleiner Unterschied!)

    Wenn die irakischen C-Waffen unerträglich sind, dann sind es die syrischen und die libyschen, die ägyptischen und die israelischen auch.

    (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und bei Abgeordneten der SPD)

    Wenn die irakische Atomwaffenforschung unerträglich ist, dann sind es die israelischen Atombomben nicht minder, dann sind es auch die amerikanischen und die sowjetischen. Im politischen Urteil darf es nicht zweierlei Maß geben.
    All das macht klar, daß es keinen Kriegsgrund gibt, kein Ziel, das mit diesem Krieg erreicht, kein Problem, das mit ihm gelöst werden könnte.
    Diese Tatsache wird durch das Dilemma verdeckt, daß es im Irak einen Diktator gibt, der gestoppt werden muß. Es gibt einen eindeutigen Bruch des Völkerrechts, den man nicht dulden kann, und das in einer Region, in der das Völkerrecht seit Jahrzehnten mit Füßen getreten wird, und zwar von einer Macht, die jahrelang von allen Seiten gehätschelt und gerüstet wurde, die sieben Jahre lang einen blutigen, menschenverachtenden Krieg gegen das gefürchtete Khomeini-Regime geführt hat, eine Macht, die mit Hilfe deutscher Grundstoffe produzierte chemische Waffen, bereits im Krieg gegen den Iran, gegen die eigene Opposition und gegen die Kurden eingesetzt hat, ohne daß es nennenswerte Proteste internationaler Politiker gegeben hätte und ohne daß es zu einem Stopp der internationalen Rüstungslieferungen gekommen wäre.
    Deshalb stehen wir heute vor der Situation, daß die Soldaten der multinationalen Truppen und auch die deutschen Soldaten auf dem türkischen Militärflughafen in Erhac mit Waffen aus deutscher Produktion bedroht werden. Der Irak verfügt über die Panzerabwehrsysteme HOT und MILAN und über das Flugzeugabwehrsystem Roland, Waffen, die auch von der Bundeswehr benutzt werden.
    Wer Saddam Hussein heute zu Recht verurteilt — wir tun das mit allem Nachdruck — , muß gleichzeitig deutlich machen, daß dieser Diktator seine verhängnisvolle weltpolitische Rolle all jenen verdankt, die ihn offen oder verdeckt unterstützt haben: den USA, der Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien, Deutschland — Ost und West — , Italien und etlichen anderen. Saddam Hussein ist das Produkt des kollektiven Versagens der Spitzenpolitiker aller an der Weltpolitik beteiligten Nationen.

    (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE)

    Der Zeitraum des Ultimatums wurde maximal für die Kriegsvorbereitung genutzt und nur minimal, um eine friedliche Lösung des Konfliktes herbeizuführen. Selbst diese minimalen Bemühungen versagten auf ganzer Linie. Dieses Versagen war durch eine Politiksprache vorprogrammiert, die mit den militärischen Drohgebärden korrespondierte. Als ob er die Situation absichtlich festfahren wollte, damit der Krieg auch geführt werden kann, erhöhte Präsident Bush, als Saddam Hussein erste schwache Zeichen des Einlenkens erkennen ließ, seinen Pokereinsatz am Golf um 200 000 Soldaten, um der Weltöffentlichkeit dann eine Friedensgeste nach Bagdad zuzumuten, die da lautete: „Gib auf, du Ratte, oder ich zerquetsche dich! ". Dies ist die Sprache der Eskalation, nicht des Friedenswillens.
    Und dann vollzog Bush in seinem Brief an Hussein eine haarsträubende Kehrtwendung: Es läge nunmehr allein in Husseins Händen, ob dieser Konflikt ohne Gewalt enden kann oder nur ein Vorspiel für weitere Gewalt wird. Einem Nahost-Hitler die Entscheidung über Krieg und Frieden zu überlassen — deutlicher kann eine Bankrotterklärung nicht sein.

    (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS/LL)




    Frau Wollenberger
    Aber während jeder ehrliche Bankrotteur seinen Bankrott anmeldet, sich aus dem Geschäft zurückzieht und Fähigeren das Feld überläßt, soll ein Schlachtfeld das Versagen verdecken — ein Schlachtfeld übrigens, meine Damen und Herren, das zur Hälfte von Kindern bewohnt wird. Pro Soldaten werden auf diesem Schlachtfeld mindestens sechs Kinder sterben. Das ist die Quintessenz der grausigen Logik von Politikern, die mit Hilfe eines Krieges ihr Gesicht wahren wollen.
    Aber die irakischen und kuwaitischen Kinder werden nicht die einzigen Opfer sein. Der durch die Abschreckungspolitik in die Enge getriebene Diktator hat selbst die wirksamsten Abschreckungsmittel in der Hand: erstens Terroranschläge überall auf der Welt; zweitens Unterbindung der Ölzufuhr aus Nahost; drittens Existenzbedrohung für Israel; viertens globale ökologische Folgen eines Brandes der Ölfelder. Nimmt man diese Drohungen ernst — und wir haben allen Grund dazu — , werden Terroranschläge gegen Zentren der Industriestaaten zum Merkmal des drohenden Krieges gehören.
    Vor zwei, drei Jahren begannen deutsche Wissenschaftler die Verwundbarkeit moderner Industriegesellschaften genauer zu untersuchen. Die nüchternen und zugleich erschreckenden Ergebnisse, u. a. Ende 1988 in Berlin und im Juni 1990 in Hamburg diskutiert, führen zu dem eindeutigen Schluß, daß eine moderne Gesellschaft weder zur Kriegführung noch zu einer sinnvollen militärischen Verteidigung ihres eigenen Territoriums in der Lage ist.

    (Zustimmung bei Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE)

    Aber die Erkenntnis, daß die Industriegesellschaft mit ihrem hochempfindlichen Organismus gerade durch ihre innere Struktur kategorisch gezwungen ist, eine unter allen Umständen friedliche Politik zu machen, wird von den Politikern, den Militärs und der Rüstungsindustrie weiterhin ignoriert. Allein die Drohung, den Ölstrom aus dem Nahen Osten im Ernstfall absichtlich längerfristig zum Versiegen zu bringen, müßte jedem Politiker der vom Nahost-OL abhängigen Industriestaaten einen Schauer über den Rücken jagen.
    Meine Damen und Herren, es geht hier nicht darum, den Verlauf des zweiten Golfkrieges prognostizieren zu wollen. Es geht auch nicht darum, einschätzen zu wollen, wie Hussein wirklich reagieren wird, wenn er aufs äußerste bedrängt ist. Es geht darum, eine durch die Verminung der Ölfelder glaubhaft gemachte, auf die Spitze getriebene Abschreckung ernst zu nehmen. Man kann nicht davon ausgehen, daß Hunderte oder gar Tausende brennende Ölfelder innerhalb einiger Monate gelöscht werden können, selbst wenn die Kampfhandlungen wider Erwarten rasch beendet werden sollten. Bereits nach wenigen Monaten wären die Rauchmengen in der Atmosphäre denen gleich, die bei einem großen Atomkrieg entstehen könnten.
    Es gibt kein Beispiel für eine solche Katastrophe in der überlieferten Geschichte; dies muß mit allem Ernst und Nachdruck gesagt werden. Niemand kann sicher sein, welches Ausmaß sie wirklich annehmen könnte. Es besteht das reale Risiko, daß die großen Biotope der Erde in ihrer heutigen Form nicht überleben könnten. Es besteht die Gefahr, daß außerhalb der Konfliktregion wesentlich mehr Menschen an den indirekten Folgen des Golfkrieges sterben als durch die Kampfhandlungen. Obwohl viele Wissenschaftler inzwischen entsprechende Studien vorgelegt haben, sind diese Erkenntnisse bisher politisch nicht wirksam geworden — ein weiteres Glied in der Kette des Versagens der Politiker.
    Als wäre das alles nicht genug, besteht die reale Gefahr, daß im Golfkrieg Atomwaffen eingesetzt werden. Erst gestern hat Israel sein Recht, sich mit eigenen Mitteln gegen Hussein zu wehren, bekräftigt. Husseins Drohung, die Juden zu vergasen, ist ein psychologischer Schockangriff, der angesichts der realen Existenzbedrohung die in Israel ohnehin vorhandene Neigung zu einem Präventivschlag verstärkt hat. Die Erinnerung an den Holocaust des jüdischen Volkes in den Gaskammern des Dritten Reiches setzt die psychische Barriere, einen Atomschlag zu führen, drastisch herab.
    Das bringt die anderen Atommächte in die prekäre Lage, die Entscheidung über einen möglichen eigenen Kernwaffeneinsatz nicht mehr in der Hand zu haben. Explodiert eine Atomwaffe über irakischem Territorium, so wird Hussein alle noch verbleibenden Optionen eines Gegenschlages einsetzen, da sie binnen weniger Minuten verlorengehen könnten. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß sich Israelis und Amerikaner beschießen, da es keinerlei Abstimmung zwischen ihnen gibt.
    Was sich hier ankündigt, ist die schockierend einfache Fortschreibung jener militärischen Konzeption, die mit den demonstrativen Atomangriffen auf Hiroshima und Nagasaki das kapitulationsreife Japan zum Kotau zwang und die Welt mit einem brutalen Tritt ins Atomzeitalter beförderte.
    Am Vorabend des Golfkrieges ist die herkömmliche Politik in einer tödlichen Sackgasse. Welche Chancen gibt es, das Unheil abzuwenden? Vor einem Jahr haben wir erlebt, wie scheinbar festgefügte Diktaturen innerhalb weniger Wochen wie Kartenhäuser zusammenbrachen, weil ihnen massenhaft die Akzeptanz entzogen wurde. Wir brauchen jetzt etwas ähnliches. Dem Golfkrieg muß massenhaft die Akzeptanz entzogen werden. Wir brauchen eine Bürgerbewegung gegen das Außen- und Sicherheitspolitikmonopol der Regierung.

    (Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE)

    Wir dürfen den Politikern nicht länger die Entscheidung über Krieg und Frieden überlassen.
    Was wir jetzt brauchen, ist die tägliche Montags-Demo für den Frieden in allen Orten. Die Erfahrungen des gewaltlosen Widerstandes in Osteuropa haben gezeigt, wie wirkungsvoll es ist, wenn er nur konsequent angewendet wird.
    Meine Damen und Herren, auch dieses Parlament — so spät es auch zusammengetreten ist — kann noch etwas tun. Wer an diesem Krieg nicht mitschuldig werden will, den fordere ich auf, über die Parteischranken hinweg gemeinsam Wege aus dem Unheil zu suchen. Über die in unserem Entschließungsantrag



    Frau Wollenberger
    gemachten Vorschläge hinaus, bitte ich Sie dringend um Unterstützung unserer Initiativen. Willy Brandt hat bereits darauf hingewiesen, daß längst nicht alle friedlichen Mittel zur Konfliktbeilegung ausgeschöpft sind. Im Augenblick ist es das Wichtigste, zu verhindern, daß nach Ablauf des Ultimatums sofort die Waffen sprechen.
    Um dies zu unterstützen, schlagen wir vor, daß der Deutsche Bundestag sofort eine Delegation von Mitgliedern aller Fraktionen in den Irak und nach Israel entsendet — als ein Signal, daß das erste frei gewählte deutsche Parlament nicht gewillt ist, sich dem Automatismus des Krieges zu beugen.

    (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und der PDS/LL)

    Die Delegation sollte in allen beteiligten Staaten Gespräche führen mit dem Ziel einer Nahost-Friedenskonferenz unter Beteiligung der Palästinenser und der Kurden. Parallel dazu könnte der Bundestag Präsident Mitterrand und Außenminister Poos bitten, sofort in den Irak zu fahren und Verhandlungen aufzunehmen.
    Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung gesagt, daß er Saddam Hussein aufgefordert hat, sich jetzt zum Rückzug zu entschließen. Der Bundestag sollte heute beschließen, diese Aufforderung mit einer Geste des unbedingten Friedenswillens des ersten frei gewählten deutschen Parlaments zu begleiten: dem sofortigen Rückzug der Bundeswehreinheiten aus der Türkei.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und der PDS/LL sowie bei Abgeordneten der SPD)