Rede:
ID1200200700

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 7
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Graf: 1
    7. Lambsdorff.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/2 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 2. Sitzung Bonn, Montag, den 14. Januar 1991 Inhalt: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Lage in der Golfregion und in Litauen Dr. Kohl, Bundeskanzler 21 B Brandt SPD 24 C Dr. Bötsch CDU/CSU 28 D Dr. Vogel SPD 30 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 32 B Duve SPD 33 D Dr. Gysi PDS/LL 34 C Frau Wollenberger Bündnis 90/GRÜNE . 36A Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMVg . . 38B Dr. Seifert PDS/LL 40 A Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE (zur GO) 40 C Dr. Gysi PDS/LL (zur GO) 40 D Namentliche Abstimmung 40 D Frau Wieczorek-Zeul SPD (Erklärung nach §31 GO) 41A Nächste Sitzung 42 D Berichtigung 42 Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 43* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 2. Sitzung. Bonn, Montag, den 14. Januar 1991 21 2. Sitzung Bonn, den 14. Januar 1991 Beginn: 14.01 Uhr
  • folderAnlagen
    *) Das endgültige Ergebnis und die Namensliste werden als Anlage im Plenarprotokoll 12/3 am 17. 1. 1991 abgedruckt. Berichtigung 1. Sitzung, Seite 17 A*. In die Liste der entschuldigten Abgeordneten ist einzufügen: Dr. Schäuble, CDU/ CSU, 20. 12. 90. Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Böhm (Melsungen) CDU/CSU 14. 1. 91 * Buwitt CDU/CSU 14. 1. 91 Conradi SPD 14. 1. 91 Dr. Diederich (Berlin) SPD 14. 1. 91 Frau Fischer (Gräfenhainichen) SPD 14. 1. 91 Gattermann FDP 14. 1. 91 Grünbeck FDP 14. 1. 91 Kretkowski SPD 14. 1. 91 Dr. Modrow PDS 14. 1. 91 Rappe (Hildesheim) SPD 14. 1. 91 Rühe CDU/CSU 14. 1. 91 Dr. Schäuble CDU/CSU 14. 1. 91 Dr. Schöfberger SPD 14. 1. 91 Spilker CDU/CSU 14. 1. 91 Dr. Vondran CDU/CSU 14. 1. 91 Vosen SPD 14. 1. 91 Frau Wiechatzek CDU/CSU 14. 1. 91 Zierer CDU/CSU 14. 1. 91 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Nachrichten und die Bilder, die uns gestern aus Wilna erreicht haben, sind erschütternd und bedrückend zugleich. Unter dem Eindruck dieser Bilder und des Blutes, das in Wilna geflossen ist, spreche ich vor allem anderen auch an dieser Stelle den Opfern und ihren Angehörigen unser Mitleid und unser Mitgefühl

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    und denen, die versucht haben, das von ihnen gewählte Parlament und die Einrichtungen ihrer Republik mit ihren Leibern zu schützen, unsere Sympathie und unseren tiefen Respekt aus.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    Was immer auch in den nächsten Wochen und Monaten geschehen mag, eines ist gewiß: Mit Panzern und militärischer Gewalt läßt sich das Streben der Menschen nach Freiheit und Selbstregierung für einige Zeit, vielleicht sogar für Jahre unterdrücken. Auslöschen läßt sich dieses Bestreben nicht.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Das hat die Entwicklung in Ungarn seit den 50er und die Entwicklung in der Tschechoslowakei seit Ende der 60er Jahre, aber auch die Entwicklung in Polen nach der Verhängung des Kriegsrechts gezeigt. Das sollte denen Hoffnung geben, die jetzt von Enttäuschung und Verzweiflung überwältigt werden. Das sollten aber auch die begreifen, die den Befehl für die Militäraktion in Wilna gegeben haben und die damit jetzt zu den gleichen Mitteln greifen, die schon in Budapest und Prag versagt und in diesen Ländern nur zur inneren Lähmung und gegenüber der Sowjetunion zu Empörung und Ablehnung, ja zum Haß zwischen den Völkern geführt haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Für die deutsche Sozialdemokratie verurteile ich die Aktionen, die das sowjetische Militär bisher in Wilna und offenbar auch in anderen Städten Litauens unternommen hat, mit Entschiedenheit. Sie richten sich gegen ein frei gewähltes Parlament und die von ihm bestellte Regierung, also gegen Institutionen, die im Einklang mit den Prinzipien der Perestroika ins Leben getreten sind. Sie richten sich ferner gegen das Selbstbestimmungsrecht, also gegen einen völkerrechtlichen Grundsatz, der in der Charta der Vereinten Nationen verankert und in der KSZE-Schlußakte bekräftigt worden ist.
    Natürlich kann auch dieses Recht — wir wissen das aus unserer eigenen Geschichte der letzten 40 Jahre — nicht absolut gesetzt und ohne Rücksicht auf die jeweiligen Umstände und auf die Folgen um



    Dr. Vogel
    jeden Preis in vollem Umfang durchgesetzt werden. Natürlich spielt auch hier die zeitliche Dimension eine Rolle. Aber nichts erlaubt einer wie auch immer firmierenden Personengruppe, sich an die Stelle eines demokratisch gewählten Parlaments und einer demokratisch gewählten Regierung zu setzen und deren Befugnisse an sich zu reißen.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Nichts rechtfertigt es, gegen diejenigen, die ihre demokratischen Institutionen gewaltlos verteidigen, Panzer in Marsch zu setzen und andere militärische Gewaltmittel anzuwenden.
    Ein solches Vorgehen verstößt gegen die Prinzipien der KSZE, wie sie von der Sowjetunion und allen anderen KSZE-Mitgliedern zuletzt im November vergangenen Jahres in der Charta von Paris für ein neues Europa bekräftigt worden sind. Wir verurteilen die Militäraktionen schon aus diesem Grunde auf das entschiedenste und fordern, sie sofort zu beenden und nicht an anderer Stelle wieder aufzunehmen.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Zugleich fordern wir alle Beteiligten auf, erneut in Verhandlungen einzutreten und nach friedlichen Lösungen zu suchen. Die Reise einer Delegation des sowjetischen Föderationsrates nach Wilna und die Kontakte, die daraufhin offenbar zwischen dem litauischen Parlament und den Militärbehörden zustande gekommen sind, geben in dieser Hinsicht eine gewisse Hoffnung. Die Militäraktion zu beenden und zum Dialog zurückzukehren, das verlangt das Recht, das verlangen aber auch die politische Vernunft und die Sorge um den Frieden in Europa und in der Welt.
    Wer immer die Befehle für die Militäraktion gegeben hat, der muß wissen: Militärische Gewalt mildert die Nationalitätenkonflikte in der Sowjetunion nicht, sondern verschärft sie. Alle Völker der Sowjetunion, die Autonomie und Selbstregierung oder auch Selbständigkeit anstreben, werden jetzt fürchten, daß das, was in Wilna, in Litauen geschah, morgen auch bei ihnen geschehen kann. Der Weg, den Michail Gorbatschow zur Erneuerung der rechtlichen Grundlagen für die Zusammenarbeit der Völker der Sowjetunion, ihrer Staaten und Republiken bereits eingeschlagen hat, wird dadurch blockiert. Bürgerkrieg könnte an die Stelle von Verhandlungen und von Interessenausgleich treten. Was Bürgerkrieg in einem Land bedeuten könnte, in dem an vielen Orten noch immer atomare Waffen in großer Zahl lagern, bedarf wohl keiner näheren Erläuterung.
    Wer militärische Gewalt anwendet, muß weiter wissen, daß er damit das Vertrauen in die Reformpolitik der letzten Jahren erschüttert und den Eindruck erweckt, er wolle diese Politik beenden oder gar in die Vergangenheit zurückkehren. Das würde in der Sowjetunion selbst den erbitterten Widerstand derer hervorrufen, die die im Verlauf der Perestrojka gewonnenen Freiheiten nicht wieder verlieren und erneut gegen eine Diktatur eintauschen wollen. Es würde aber auch das aufs Spiel setzen, was in Europa und im Verhältnis zwischen Ost und West insgesamt,
    gerade auch auf Grund der Politik Gorbatschows seit 1985, an Verständigung, Kooperation und Friedenssicherung gewachsen ist.
    In beiden Richtungen haben die ernsten Mahnungen, die Eduard Schewardnadse anläßlich seines Rücktritts als Außenminister geäußert hat, durch die jüngsten Ereignisse eine besorgniserregende Bekräftigung erfahren. Ich bin tief überzeugt, daß die große Mehrheit der Menschen in der Sowjetunion das, was da in Europa gewachsen ist, nicht wieder preisgeben will. Ich sehe bis zur Stunde auch keine Beweise dafür, daß Michail Gorbatschow sein eigenes Friedenswerk in Frage stellen oder gar zerstören will.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Deshalb muß mit der eindringlichen Warnung an die Kräfte der Konfrontation die Bekräftigung unserer festen Absicht einhergehen, den reformerischen Kräften in der Sowjetunion weiterhin, ja sogar noch verstärkt zu helfen,

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    und zwar im Sinne einer gemeinsamen europäischen Anstrengung. Darum wäre es auch verfehlt, die humanitäre Hilfe für die Menschen der Sowjetunion jetzt einzustellen.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE)

    Im Gegenteil, gerade diese Hilfe macht deutlich, was Zusammenarbeit und wechselseitiges Verständnis bewirken und was der Rückfall in die Vergangenheit zerstören würde — auch an menschlichen Brücken, die durch diese Hilfe entstanden sind.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Die heutige Sitzung war zunächst allein dazu bestimmt, die Golfkrise zu debattieren. Über das Wochenende ist die litauische Krise hinzugekommen. Zwischen beiden besteht ein zeitlicher Zusammenhang. Die Gefahr für den Weltfrieden würde sich erhöhen, wenn beide Krisen darüber hinaus politisch zusammenfließen und zu einer Konfrontation der Weltmächte führen würden.
    Herr Kollege Brandt hat in unserem Namen bereits vor einem militärischen Automatismus und vor einem Krieg am Golf gewarnt. Ich wiederhole diese Warnung und sage: Das Recht muß gegen den irakischen Diktator mit Mitteln durchgesetzt werden, die das gegenwärtige Übel, das schlimm genug ist, nicht durch ein größeres, noch viel schlimmeres Übel mit unübersehbaren Risiken ersetzen.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE])

    Diese Risiken sind durch die Vorgänge in Litauen größer, keinesfalls aber geringer geworden.
    An die Kräfte der Konfrontation in der Sowjetunion richte ich die Warnung, den Golf-Konflikt nicht als Schutzschild für militärische Gewalt im eigenen Land zu mißbrauchen. Dies würde den Diktator in Bagdad ermutigen, ja vielleicht sogar auf einen Konflikt der



    Dr. Vogel
    Weltmächte hoffen lassen, der ihm nutzt. Wer so handelt, lüde in einer Situation, in der die Menschen ohnehin von Stunde zu Stunde mehr um den Frieden bangen, schwerste Verantwortung auf sich.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das vergangene Jahr war ein Jahr, in dem die Menschen in Europa, und nicht nur in Europa, Hoffnung schöpften, ein Jahr, in dem die Freiheit und die Demokratie vorankamen, Waffen verschrottet und alte Gräben eingeebnet wurden, das Jahr auch, in dem unser Volk zu seiner Einheit gefunden hat, und ein Jahr, in dem die Vision vom gemeinsamen europäischen Haus Gestalt gewann. Das darf uns nicht unter den Händen zerrinnen, das darf sich nicht als Fata Morgana erweisen.
    Deshalb müssen wir gemeinsam mit unseren europäischen Freunden, mit unseren Verbündeten und unseren Partnern jede Anstrengung unternehmen, damit in diesem Europa die Vernunft die Oberhand behält und Europa nicht wieder in die Zeiten der Konfrontation und des Ost-West-Gegensatzes zurückfällt.

    (Beifall bei der SPD)

    Es spricht alles dafür, daß die Fraktionen dieses Hauses, das Regierung und Opposition bei allem, was uns sonst trennen mag und auch in der Einschätzung der weiteren Entwicklung der Golfsituation trennen mag, in diesem Punkt so weit wie möglich zusammenarbeiten. Wir sind zu dieser Zusammmenarbeit bereit.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem Bündnis 90/GRÜNE)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Am Tage vor seinem Tode hat Friedrich Dürrenmatt geschrieben: „Eine furchtlose Vernunft ist das einzige, was uns in der Zukunft zur Verfügung stehen wird, diese möglicherweise zu bestehen, uns nach der Hoffnung Kants am eigenen Schopfe aus dem Untergang zu ziehen. "
    Meine Damen und Herren, es fällt schwer, Furchtlosigkeit zu fordern, wenn wir die von Angst und Schrecken erfüllten Gesichter der Menschen in Wilna sehen. Es fällt schwer, Vernunft zu erkennen, wenn Saddam Hussein heute wieder vom „heiligen Krieg", von der „großen siegreichen arabischen Schlacht" spricht. Wie können wir die Zukunft bestehen, die noch vor wenigen Wochen, wenigstens in Europa, so hell vor uns zu liegen schien? Können wir, dürfen wir all denen Furchtlosigkeit empfehlen, die doch nur zu begründete Angst vor dem Schrecken eines Krieges am Golf haben?
    Der Krieg mit Massenvernichtungsmitteln ist nicht mehr die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    Das war schon die Erkenntnis nach den Materialschlachten des Ersten Weltkrieges. Um wieviel mehr gilt es heute!
    Schließen wir also den Einsatz militärischer Mittel am Golf aus? Man kann, Herr Brandt, über ein längeres Embargo, über ein wirksameres Embargo, über mehr politischen Druck sprechen. Mir fällt es schwer, mich eines Wirtschaftsembargos zu erinnern, das schärfer kontrolliert durchgeführt und wirksamer gewesen ist als das gegen den Irak. Sollte es wirklich sein — dies ist nicht nur eine Nebenbemerkung —, daß auch dieses Embargo wie so viele andere, aber mit sehr viel geringerer Bedeutung, unterlaufen worden sein sollte, dann haben sich diejenigen, die das getan haben, schmählich gegen den Weltfrieden, gegen die Freiheit und die Sicherheit in der Welt vergangen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, dem Bündnis 90/GRÜNE und bei Abgeordneten der SPD)

    Wir wollen alles tun, was in unseren — allerdings sehr bescheidenen — Kräften steht, um doch noch eine friedliche Lösung zu erreichen. Aber, meine Damen und Herren, wenn es denn alles nichts hilft, wenn der Aggressor seine Beute nicht freigibt, lassen wir sie ihm dann, nehmen wir den Rechtsbruch hin und vergessen gerade wir Deutschen alle unsere Erfahrungen, wohin das Gewähren-Lassen eines Diktators endgültig führt oder führen kann? Es sind schwierige, es sind schlimme Fragen. Runde, glatte, befriedigende Antworten gibt es nicht, aber intellektuelle Ausflüchte gibt es auch nicht.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es gibt nur — und das ist wenig — den immer wiederholten Appell an die Vernunft Saddam Husseins. Aber ist seine Vernunft überhaupt unsere Vernunft? Dann hätte es den Krieg Iran-Irak wohl nicht geben dürfen und können. Im übrigen hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen dem luxemburgischen Außenminister heute berichtet und ihm gesagt, nach seiner, des Generalsekretärs, Überzeugung — seine Mission war erfolglos; das wissen wir — habe der Irak seine Entscheidung getroffen; das war die wörtliche Mitteilung.
    Meine Damen und Herren, die FDP würdigt die ebenso besonnene wie entschlossene Haltung der Bundesregierung, der Regierungen der Europäischen Gemeinschaft und des Bündnisses und ganz besonders die Haltung des Weltsicherheitsrates, des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen.
    Herr Brandt, Sie haben von dem europäischen Zwerg gesprochen, von den Schwierigkeiten auf dem Wege zur Europäischen Union und zur Europäischen Politischen Zusammenarbeit; die Ergebnisse seien mager. Gewiß, es ist immer schwierig gewesen, und es wird noch lange schwierig bleiben. Sie haben das Wort „leider" hinzugefügt. Wir müssen und wir werden diesen Weg weitergehen. Ich finde, daß wir ge-



    Dr. Graf Lambsdorff
    rade in den Fragen des mittleren Ostens, in den Fragen, mit denen wir uns hier beschäftigen, in den letzten Jahren innerhalb der Europäischen Gemeinschaft größere Übereinstimmung auf politischem, auch auf außenpolitischem Gebiet gefunden haben als in vielen anderen Fragen.

    (Duve [SPD]: Vor allen Dingen gegenüber dem Irak!)

    Erlauben Sie mir in dem Zusammenhang, daß ich auf den halbjährlichen Wechsel eingehe. Ich glaube, es ist ganz gut: ein halbes Jahr Ratstätigkeit mit der Verpflichtung und dem Ehrgeiz, etwas weiterzubewegen. Das kontinuierliche Element der Kommission und der Wechsel im Rat: So schlecht ist das nicht, Herr Brandt. Aber ich könnte mir vorstellen, daß Sie es kritisieren, wenn, wie eine italienische Agentur vor einer halben Stunde gemeldet hat, die europäischen Außenminister sich entschlossen haben, keine weitere Initiative in Bagdad zu unternehmen. Sie folgen auch hier dem Rat des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, der sie darauf aufmerksam gemacht hat, sie würden sich nur eine weitere Demütigung einhandeln.
    Die Resolutionen der Vereinten Nationen müssen ohne Bedingung befolgt werden. Wir halten eine internationale Konferenz zur Bewältigung der Probleme der Region Naher Osten einschließlich der Palästinenserfrage und des Existenzrechts des Staates Israel für erforderlich und wünschenswert. Den Weg dazu kann jetzt nur Saddam Hussein freimachen. Er blockiert. Er muß Kuwait räumen. Er blockiert die von ihm selbst gewünschte Konferenz. Ob er sie tatsächlich wünscht, ist nach den gestrigen Gesprächen in Bagdad ebenfalls zweifelhaft geworden.
    Meine Damen und Herren, die Freie Demokratische Partei unterstützt die Entscheidung des NATO-Rats und der Bundesregierung, Flugzeuge der Bundesluftwaffe in die Türkei zu verlegen. Dagegen vorgebrachte verfassungsrechtliche Einwände sind nicht stichhaltig. Wir haben sie auch nicht mehr gehört; das ist gut so.
    Wer ein integriertes Verteidigungssystem will, der gibt dabei Entscheidungsbefugnisse an das Bündnis ab. Die Piloten der Alpha-Jets der Bundesluftwaffe haben auf dem gleichen türkischen Flughafen schon oft geübt. Die Flugzeuge, der Typ der Flugzeuge und ihr jetziger Standort außerhalb der Reichweite der türkischirakischen Grenze, machen den defensiven Charakter dieses Einsatzes ganz klar. Wir alle wünschen uns, daß es nicht zum Ernstfall durch einen Angriff des Irak auf die Türkei kommt. Ich halte ihn — soviel Mut habe ich — für unwahrscheinlich. Es wäre ein Angriff Sadam Husseins auf die NATO.
    Wir sind beeindruckt — auch das sollte in dieser Stunde erwähnt werden — von dem Ernst, der Besonnenheit und dem Pflichtbewußtsein, mit dem die Soldaten des Jagdgeschwaders 43 ihrem Auftrag nachkommen, und wir danken ihnen dafür.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die FDP begrüßt die wirtschaftliche, die finanzielle Unterstützung, die die Bundesregierung dem NATO-Partner USA zugesagt hat. Die USA tragen die Hauptlast bei der Durchsetzung der UN-Resolutionen. Die amerikanische Administration würdigt die Leistungen der Bundesrepublik, der Bundesregierung. Die in den letzten Tagen im US-Kongreß geäußerte scharfe Kritik ist ungerecht. Ich denke in diesem Zusammenhang besonders an die Rede von Senator Byrd.
    Wir teilen die Friedenssehnsucht der Menschen in Deutschland und der Welt. Wir verstehen, daß für den Frieden demonstriert wird. Aber warum wird denn gegen die UNO, die USA und die Bundesregierung demonstriert? Der Aggressor sitzt in Bagdad.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Krieg gibt es doch längst, seit dem 2. August 1990, seit dem Einmarsch der Iraker in Kuwait.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    „Blut für Öl" , das ist eine unzulässige Verkürzung. Es geht auch um Öl — obwohl die Weltwirtschaft mit dem heutigen Zustand fertig werden kann. Wer Ölquellen gewaltsam erobert, der will ja nicht die Produktion stillegen, sondern anschließend Öl verkaufen. Aber vor allem geht es doch um internationales Recht, um die Verletzung der Souveränität eines kleinen Landes durch seinen militärisch mächtigen Nachbarn. Und — auch das sei in diesem Parlament gesagt — es geht um Menschenrechte. Der Bericht von „amnesty international" über irakische Grausamkeiten in Kuwait ist ein Dokument des Entsetzens. Ich empfehle niemandem, ihn zu lesen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)