Rede von
Friedrich
Bohl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eine gute Tradition, daß der Deutsche Bundestag zu Beginn einer Wahlperiode die Fortgeltung seiner Geschäftsordnung beschließt. Die Geschäftsordnung hat sich in der Vergangenheit bewährt, und es spricht viel dafür, daß dies auch in Zukunft so sein wird. Das schließt Änderungen selbstverständlich nicht aus, so wie wir dies
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 1. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Dezember 1990 11
Bohl
immer wieder getan haben, aber diese Änderungen müssen genau überlegt und auch sorgfältig beraten werden. Ablehnen oder zustimmen sollten wir deshalb heute keinem der vorgelegten Änderungsanträge, sondern wir sollten sie zur weiteren Beratung dem Ältestenrat überweisen. Ich glaube, das ist ein Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme.
Der entscheidende Antrag, der vorliegt, beschäftigt sich mit der Frage der Anerkennung des Fraktionsstatus. Die Frage ist: Sollen wir den beiden neuen Gruppierungen mit 17 bzw. mit acht Abgeordneten gleichfalls den Fraktionsstatus einräumen? Ich möchte an dieser Stelle aus meiner Sicht klarstellen: Gewählt werden nicht Fraktionen, sondern Abgeordnete, und das parlamentarische Leben beginnt nicht erst bei den Fraktionen, sondern bei den einzelnen Abgeordneten.
Darauf hat Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher in der vergangenen Wahlperiode dankenswerterweise auch immer hingewiesen.
Es fragt sich, ob nun besondere rechtliche Gründe vorliegen, die es erforderlich machen, auch den beiden neuen Parteien den Fraktionsstatus einzuräumen. Ich bin der Auffassung, daß das nicht der Fall ist. Beide Gruppierungen haben auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zwar die Fünf-Prozent-Klausel überschritten. Daraus folgt aber keineswegs, daß wir verpflichtet wären, die Fraktionsmindeststärke herabzusetzen; denn die Festsetzung der Fraktionsmindeststärke ist eine Frage der Autonomie des Bundestages, und dabei ist in erster Linie auf seine Funktionsfähigkeit zu achten.
Wenn wir nur den Parteien aus den fünf neuen Bundesländern eine niedrigere Fraktionsstärke einräumen wollen, wäre auch zu beachten, daß wir bei dieser Zweigleisigkeit nicht nur eine problematische, sondern auch eine rechtlich sicherlich anfechtbare Regelung schaffen würden.
Aber auch die allgemeine Herabsetzung der Fraktionsmindeststärke auf sieben oder acht Abgeordnete würde im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages durchaus problematisch sein; denn die Festsetzung der Fraktionsmindeststärke dient dazu, handlungsfähige politische Einheiten hier im Parlament zu schaffen. Wenn diese Zahl zu niedrig angesetzt wird, besteht ja durchaus die Gefahr, daß sich der Bundestag verzettelt und seinem verfassungsrechtlichen Auftrag insgesamt nicht mehr sachgerecht nachkommen könnte.
Würde man sieben Abgeordnete tatsächlich als ausreichend erachten, Herr Kollege Duve von der SPD, so könnte sich allein die SPD-Fraktion in 34 Fraktionen atomisieren. Das aber wollen wir weder der SPD noch uns zumuten, meine Damen und Herren.
— Ich will es gerne noch einmal wiederholen: Das wollen wir weder dem Bundestag noch der SPD zumuten, meine Damen und Herren.
An dieser Stelle ist auch noch ein weiterer Punkt zu erwähnen: Wir können sicherlich nicht durch Rechtsänderungen den Ausgleich dafür schaffen, daß Bündnis 90 und PDS bei den Wahlen einen geringeren Prozentsatz erzielt haben. Ich glaube, das wäre auch im Hinblick auf den Wählerwillen, der verfälscht würde, durchaus problematisch. Die CDU/CSU-Fraktion z. B. ist nun einmal 40mal größer als das Bündnis 90.
Meine Damen und Herren vom Bündnis 90, haben Sie eigentlich auch folgendes bedacht? Wenn Ihnen der Fraktionsstatus eingeräumt wird, könnten Sie wie alle anderen Fraktionen Mitglieder in die Ausschüsse des Deutschen Bundestages entsenden. Wie viele Mitglieder entsandt werden können, ergibt sich dann aus der Fraktionsstärke. Bündnis 90 würde aber zum ersten Mal in den Ausschüssen mit 42 Mitgliedern Berücksichtigung finden. Solche Ausschüsse haben wir bisher nicht, und wir wollen sie sicherlich auch nicht, weil solche großen Ausschüsse ineffektiv arbeiten.
Mit dem Zuerkennen des Fraktionsstatus wäre in dieser wichtigen Frage für Sie gar nichts gewonnen. Sie brauchen also nicht Konfektionsware, sondern Maßarbeit. Wir wollen Ihnen deshalb gerne helfen, damit Sie auch in den Ausschüssen entsprechend mitwirken können.
Ich halte es deshalb für richtig, daß wir uns im Ältestenrat über die Rechte für die neuen Gruppierungen im einzelnen unterhalten. Großzügig werden wir bei allen solchen Rechten sein, die Ihre verfassungsmäßigen Rechte betreffen. Bei Geschäftsordnungsregelungen sollten wir dagegen stets auch an die Funktionsfähigkeit des Parlaments
und an unser aller Zeitbudget denken.
Meine Damen und Herren, ich glaube, bei gutem Willen auf allen Seiten werden wir zu einer Regelung kommen, die es den neuen politischen Kräften ermöglicht, ihre Interessen und Wünsche im Deutschen Bundestag sachgerecht und angemessen zur Geltung zu bringen.
Vielen Dank.