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    Plenarprotokoll 11/236 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 236. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 22. November 1990 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Bundesministers Dr. Schwarz-Schilling 18861A Erweiterung der Tagesordnung 18861 A Zur Geschäftsordnung Such GRÜNE/Bündnis 90 18861 B Bohl CDU/CSU 18862 B Jahn (Marburg) SPD 18863 A Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 18930 B Außerhalb der Tagesordnung Dr. Ullmann GRÜNE/Bündnis 90 (Erklärung nach § 32 GO) 18930 C Dr. Heuer Gruppe der PDS (Erklärung nach § 32 GO) 18930 D Tagesordnungspunkt 1: Regierungserklärung des Bundeskanzlers zu den Ergebnissen des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der KSZE in Paris und zum bevorstehenden Europäischen Rat in Rom Dr. Kohl, Bundeskanzler 18863 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 18869A Dr. Bötsch CDU/CSU 18873 D Duve SPD 18874 A Frau Dr. Vollmer GRÜNE/Bündnis 90 . 18876 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 18879 D Frau Dr. Kaufmann Gruppe der PDS . . 18883 A Bahr SPD 18885 D Dr. Knabe GRÜNE/Bündnis 90 . . . 18887A Dr. Hornhues CDU/CSU 18890D Frau Kottwitz GRÜNE/Bündnis 90 . . . 18892 D Genscher, Bundesminister AA 18893 D Frau Unruh fraktionslos 18895 C Hoppe FDP 18896 D Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE/Bündnis 90 (Erklärung nach § 31 GO) 18897 C Tagesordnungspunkt 2: Aussprache zur Haltung der Bundesregierung zur Erhöhung von Steuern und Abgaben Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlan- des 18898 A Dr. Waigel, Bundesminister BMF . . . 18906 D Frau Matthäus-Maier SPD 18908 B Dr. Ullmann GRÜNE/Bündnis 90 . . . 18910 D Frau Matthäus-Maier SPD 18912 C Frau Vennegerts GRÜNE/Bündnis 90 . 18912 D Dr. Graf Lambsdorff FDP 18915 C Westphal SPD 18917 A Dr. Faltlhauser CDU/CSU 18917 C Dr. Gysi Gruppe der PDS 18919 B Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 18921 D Dr. Graf Lambsdorff FDP 18924 B Schäfer (Offenburg) SPD 18924 D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. November 1990 Frau Unruh fraktionslos 18925 A Dr. Blüm, Bundesminister BMA 18925D, 18927 C Dreßler SPD 18927 A Cronenberg (Arnsberg) FDP 18927 C Hoss GRÜNE/Bündnis 90 18928A Wüppesahl fraktionslos 18928 B Präsidentin Dr. Süssmuth 18931A Berichtigung 18932 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . .18933* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede des Abg. Glos (CDU/CSU) zu TOP 2 — Aussprache zur Haltung der Bundesregierung zur Erhöhung von Steuern und Abgaben 18933* D Anlage 3 Amtliche Mitteilung 18935* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. November 1990 18861 236. Sitzung Bonn, den 22. November 1990 Beginn: 10.01 Uhr
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    Berichtigung 235. Sitzung, Seite 18839B, Zeile 10 von unten: Statt „Es wird Überweisung an die zuständigen Ausschüsse beantragt." ist „Es wird Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß beantragt." zu lesen. Anlage i Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 22. 11. 90 * Antretter SPD 22. 11. 90 * Frau Becker-Inglau SPD 22. 11. 90 Beckmann FDP 22. 11. 90 Frau Beer GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Bindig SPD 22. 11. 90 Frau Birthler GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Börnsen (Ritterhude) SPD 22. 11. 90 Borchert CDU/CSU 22. 11. 90 Brunner CDU/CSU 22. 11. 90 Büchler (Hof) SPD 22. 11. 90 Frau Bulmahn SPD 22. 11. 90 Daweke CDU/CSU 22. 11. 90 Dörfler GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Frau Faße SPD 22. 11. 90 Francke (Hamburg) CDU/CSU 22. 11. 90 Frau Fuchs (Verl) SPD 22. 11. 90 Gattermann FDP 22. 11. 90 Graf SPD 22. 11. 90 Gröbl CDU/CSU 22. 11. 90 Grünbeck FDP 22. 11. 90 Dr. Haack SPD 22. 11. 90 Haack (Extertal) SPD 22. 11. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 22. 11. 90 Häfner GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 22. 11. 90 Hasenfratz SPD 22. 11. 90 Dr. Haussmann FDP 22. 11. 90 Frhr. Heereman von Zuydtwyck CDU/CSU 22. 11. 90 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 22. 11. 90 Frau Hürland-Büning CDU/CSU 22. 11. 90 Dr. Jobst CDU/CSU 22. 11. 90 Jung (Düsseldorf) SPD 22. 11. 90 Frau Kelly GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Kißlinger SPD 22. 11. 90 Koschnick SPD 22. 11. 90 Kossendey CDU/CSU 22. 11. 90 Kreuzeder GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Kühbacher SPD 22. 11. 90 Dr. Langner CDU/CSU 22. 11. 90 Maaß CDU/CSU 22. 11. 90 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 22. 11. 90 Meyer SPD 22. 11. 90 Dr. Modrow Gruppe 22. 11. 90 der PDS Dr. Müller CDU/CSU 22. 11. 90 * Platzeck GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Dr. Pohlmeier CDU/CSU 22. 11. 90 Reddemann CDU/CSU 22. 11. 90 * Regenspurger CDU/CSU 22. 11. 90 Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Frau Rehm CDU/CSU 22. 11. 90 Dr. Schäuble CDU/CSU 22. 11. 90 Schmidt (München) SPD 22. 11. 90 Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 22. 11. 90 Schütz SPD 22. 11. 90 Schulz GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Dr. Seifert Gruppe 22. 11. 90 der PDS Seiters CDU/CSU 22. 11. 90 Spilker CDU/CSU 22. 11. 90 Frau Trenz GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Vosen SPD 22. 11. 90 Waltemathe SPD 22. 11. 90 Frau Weiler SPD 22. 11. 90 Weinhofer SPD 22. 11. 90 Wiefelspütz SPD 22. 11. 90 Wischnewski SPD 22. 11. 90 Wissmann CDU/CSU 22. 11. 90 Dr. Wittmann CDU/CSU 22. 11. 90 Zeitlmann CDU/CSU 22. 11. 90 Dr. Zimmermann CDU/CSU 22. 11. 90 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede des Abgeordneten Glos (CDU/CSU) zu Tagesordnungspunkt 2 Aussprache zur Haltung der Bundesregierung zur Erhöhung von Steuern und Abgaben Glos (CDU/CSU): Die CDU/CSU plant keine Steuererhöhungen, weder eine höhere Mehrwertsteuer noch eine höhere Mineralölsteuer noch eine sonstige Steuererhöhung. Es gibt keinen Grund, unsere langjährig erfolgreiche Politik des knappen öffentlichen Geldes und der Verbreiterung des privaten Sektors unter dem Vorzeichen der Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland aufzugeben. Unsere Politik der Senkung der Steuerquote - wir haben 1990 mit rund 22,5 Prozent den niedrigsten Stand seit 30 Jahren - hat zum Beispiel entscheidend dazu beigetragen, daß wir - auf dem Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik - jetzt in das neunte Jahr ununterbrochenen Wirtschaftswachstums hineingehen. Im Gegensatz zur SPD - die eine 9prozentige Ergänzungsabgabe, eine Erhöhung der Mineralölsteuer um 50 Pfennig je Liter sowie zahlreiche sogenannte Ökosteuern fordert - ist die CDU/CSU der Auffassung, daß Steuererhöhungen das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen und damit die solideste aller Finanzierungsquellen verschütten würden. Entgegen der Äußerung von Graf Lambsdorff am Sonntag in „Bonn direkt" ist die CDU/CSU in Sachen Finanz- und Steuerpolitik mindestens so sattelfest wie die FDP. Anders als die FDP fordern CDU und CSU 18934* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. November 1990 zum Beispiel keine Vermehrung der Steuervielfalt um eine Klimasteuer. Wenn Graf Lambsdorff am vergangenen Wochenende meinte, feststellen zu müssen, daß die CDU/CSU in der Finanz- und Steuerpolitik wackelt, dann spricht er gegen besseres Wissen, denn die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und insbesondere die Finanz- und Steuerpolitiker haben nie gewackelt. In dieser hektischen Wahlkampfzeit ist seine Aussage nur als Profilierungsversuch zu werten, die FDP als bessere Steuererhöhungsverhinderungspartei darzustellen. Bedeutend mehr Freude macht uns natürlich, wenn der wirtschafts- und finanzpolitische Mentor der SPD, Professor Karl Schiller, vor zwei Wochen bei der von der SPD verlangten öffentlichen Anhörung zur Finanzierung der deutschen Einheit bestätigt hat, daß er — Schiller — nicht anders gehandelt hätte als unser CSU-Bundesfinanzminister Theo Waigel. Wir von der CDU/CSU verstehen ja, daß ein solches Lob aus der roten Ecke an die schwarze Adresse die FDP schmerzen muß. Ist es doch ihr Wirtschaftsminister, der seit langem jegliches Lob schmerzlich vermißt. Auf einem anderen Blatt steht die Notwendigkeit, die Leistungs- und Innovationskraft der Sozialen Marktwirtschaft verstärkt in den Dienst der Umwelt zu stellen. Unabhängig von der Finanzierung des Anpassungsprozesses in den neuen Bundesländern und seiner sozialen Absicherung ist eine breitere Anwendung des Verursacherprinzips mit marktwirtschaftlichen Maßnahmen geboten. Dazu können auch nichtsteuerliche Sonderabgaben gehören, wenn sie das Ziel verfolgen und auch geeignet sind, schädliche Umweltbelastungen zu verringern und bereits eingetretene Schäden zu beseitigen. Das Aufkommen solcher Sonderabgaben nimmt in dem Maße ab, in dem das Umweltziel erreicht wird. Eine solche Sonderabgabe hat also nichts mit Steuererhöhungen zur Aufbesserung der Staatseinnahmen zu tun, meine Damen und Herren von der Opposition! Steuererhöhungen schmälern die Investitionsbereitschaft und die Leistungsbereitschaft der Betriebe und der Berufstätigen. Sie wirken preistreibend. Dadurch wird eine verhängnisvolle Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt, die zwar kurzfristig inflationsbedingte Steuermehreinnahmen bringen kann, aber mittelfristig mit realen Wachstumsverlusten und folglich Steuerverlusten bezahlt werden muß. Die richtige Finanzpolitik im vereinten Deutschland heißt vor allem Ausgabendisziplin. Unabweisbare Mehrausgaben für die Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland müssen mit Ausgabeeinsparungen in den öffentlichen Haushalten verbunden werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt deshalb den Beschluß der Bundesregierung, den mittelfristigen Ausgabenanstieg im Bundeshaushalt auf durchschnittlich 2 Prozent jährlich zu begrenzen. Auf Grund der kurzfristig notwendigen Unterstützung des Anpassungsprozesses in den neuen Bundesländern ist auch eine vorübergehend höhere Nettokreditaufnahme im Bundeshaushalt erforderlich. Vor allem 1991 wird es zu Mehrbelastungen kommen, die aber auf der Grundlage der dynamischen Wirtschaftsentwicklung in den alten Bundesländern und des baldigen Aufschwungs in den neuen Bundesländern bewältigt werden können. Meine Damen und Herren! Der Wiederaufbau des östlichen Teils unseres Vaterlandes ist die größte und wichtigste Investition seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Auf mittlere Sicht wird der ökonomische Nutzen der deutschen Wiedervereinigung die zusätzlichen Belastungen von heute deutlich übersteigen. Auch aus diesem Grunde ist eine vorübergehend höhere Nettokreditaufnahme der bessere Weg als die von der SPD geforderten neuen Steuern und Abgaben. Karl Schiller hat der SPD in der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses am 7. November folgendes vorgerechnet: Die Einführung der SPD-Ergänzungsabgabe würde gerade diejenigen Steuerpflichtigen treffen, die die höchste Sparquote haben. Damit würde das Weniger an Kreditaufnahme des Staates auf ein Weniger an Kreditangebot der Privaten treffen und hätte deshalb keinerlei zinsentlastende Wirkung. Frau Matthäus-Maier sollte noch mal bei Herrn Schiller studieren; vielleicht ist er sogar bereit, ihr Privatunterricht zu geben. Noch eine Bemerkung an die Adresse von Graf Lambsdorff: Die privatwirtschaftliche Finanzierung und Durchführung von Investitionsprojekten soll nach dem Eckwertebeschluß der Bundesregierung, der vor 9 Tagen gefaßt wurde, für eine zusätzliche Entlastung der öffentlichen Haushalte sorgen. Soweit geeignete Objekte vorhanden sind, die Private besser als die öffentliche Hand erbringen können, sind die rechtlichen und sachlichen Voraussetzungen für eine privatwirtschaftliche Finanzierung baldmöglichst geschaffen. Dies ist die Beschlußlage, die die FDP im Kabinett mitgetragen hat. Es ist deshalb — zurückhaltend formuliert — unfair, wenn der Vorsitzende der FDP die Möglichkeit der privaten Finanzierung eines Autobahnbaus im östlichen Deutschland durch Gebühren als ein Marterinstrument bezeichnet und damit den Regierungsbeschluß konterkariert. Oder weiß Graf Lambsdorff nicht, daß die von ihm bevorzugte Vignette nach Schweizer Muster nichts anderes ist als eine Pauschalgebühr für die Autobahnbenutzung? Trotz des wahlkampfbedingten Geplänkels werden wir in der Koalition unsere bewährte Zusammenarbeit im Kampf gegen eine zu hohe Steuerbelastung für Bürger und Unternehmungen fortsetzen. Unsere Finanzpolitik hat die Angebotsbedingungen der Volkswirtschaft innerhalb von 8 Jahren nachhaltig verbessert, den Wohlstand der Bürger erhöht und die Selbstfinanzierungskräfte der Sozialen Marktwirtschaft gestärkt. Die glänzende Verfassung unserer Volkswirtschaft auf dem Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik ist ganz wesentlich ein Ergebnis unserer wachstums- und investitionsfreundlichen Finanz- und Steuerpolitik. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. November 1990 18935* Die Bürger und Bürgerinnen unseres Landes haben keinen Grund, ausgerechnet jetzt die Wirtschafts- und Finanzpolitik den Sozialisten als Experimentierfeld zu überlassen. Das SPD-Konzept eines völligen ökologischen Umbaus unseres Steuersystems verkennt grundlegende finanzpolitische Zusammenhänge. Ein Umkrempeln des Steuer- und Abgabesystems im Zeichen des Umweltschutzes würde irreparable Störungen unserer Wirtschafts- und Sozialordnung zur Folge haben. Dies kann sich das vereinte Deutschland, das international zunehmend in die Pflicht genommen ist, nicht leisten. Anlage 3 Amtliche Mitteilung Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 15. November 1990 ihren Entschließungsantrag auf Drucksache 11/8438 zurückgezogen.
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


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    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalition, die Bundesregierung, der Bundesfinanzminister und allen voran der Bundeskanzler haben versucht, sich von den Wählerinnen und Wählern einen Blankoscheck ausstellen zu lassen.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Aber jetzt nicht wieder die alte Rolle!)

    Heute sehen wir die Risiken, wenn man es dieser Bundesregierung überläßt, erst nach der Wahl die Beträge in einen vorzeitig unterschriebenen Scheck einzusetzen. Viele werden überfordert. Deshalb verlangen wir heute Klarheit über Absichten und Wege der künftigen Finanzpolitik, vor allem über die soziale Verteilung der Belastungen, die auf viele Bürgerinnen und Bürger zukommen.

    (Beifall bei der SPD und der Gruppe der PDS)

    Ob es Ihnen paßt oder nicht, meine Damen und Herren von der Koalition:

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Und Helmut Schmidt!)

    Der Versuch des Sich-Durchlügens bis zum Wahltag ist ein für allemal gescheitert.

    (Beifall bei der SPD und der Gruppe der PDS — Kittelmann [CDU/CSU]: Unerhört, dieser Vorwurf!)

    Ob freiwillig oder unfreiwillig, dies ist die Konsequenz aus den Wochenendäußerungen der Herren Kohl und Waigel.
    Um den Verdacht zu zerstreuen, der Rückzug des Entwurfs zum Bundeshaushalt 1991 im Sommer diesen Jahres habe etwas mit Verschleierung zu tun, erklärte der Herr Bundeskanzler in einem Fernsehinterview Anfang August, rechtzeitig vor dem Wahltag werde die „Kassenlage" offengelegt. „Der Wähler muß darüber Klarheit haben." Soweit das Zitat.
    Jetzt, nach Vorlage der sogenannten Eckwertebeschlüsse der Bundesregierung zum Bundeshaushalt 1991 in der vergangenen Woche, wissen wir: Diese Aussage war der Steuerlüge erster Teil.

    (Beifall bei der SPD)

    Denn die Eckwerte bringen keine Klarheit. Es handelt sich bei dieser Mogelpackung nicht um Eckwerte, sondern allenfalls um Versteckwerte.

    (Beifall bei der SPD)

    Nicht einmal das für 1991 geplante Ausgabenvolumen wird genannt. Bei der Staatsverschuldung wird getrickst, um die Nebentöpfe zu verschleiern.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Reden Sie von der Verschuldung des Saarlands?)

    Und was die angeblich zu erzielenden Einsparungen angeht: Zwar wird ein Betrag von 35 Milliarden DM genannt, aber Sie sagen nicht, in welchen Bereichen das Geld eingespart werden soll.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Kürzen Sie bei Ihrem Koch!)

    Als der Bundesfinanzminister die Lippen spitzte, erinnerte er — das werden Sie vielleicht nicht verstehen, meine Damen und Herren von der Koalition — an die Gruppe „Milli Vanilli",

    (Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN/ Bündnis 90)

    eine Gruppe, die zeitweise durchaus Erfolg hatte, bei der aber irgendwann herauskam, daß sie, als sie die Lippen spitzte, gar keine Töne von sich gab.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN/Bündnis 90 — Kittelmann [CDU/CSU]: Was haben Sie zu „Marie Claire" zu sagen?)

    Statt einer wahrhaftigen Aussage darüber, was man denn bereit ist, einzusparen,

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Wie es Helmut Schmidt getan hat!)

    werden diffuse Einzelmaßnahmen — so wörtlich die Pressemitteilung des Finanzministeriums — „in Erwägung gezogen" . Meine Achtung, meine Damen und Herren: Sie ziehen wirklich Einsparungen in Erwägung. Das erscheint mir angesichts der Haushaltslage

    (Bohl [CDU/CSU]: Welche Schulden haben Sie hinterlassen?)

    wirklich eine beachtliche Aussage, die ich ohne jede Einschränkung für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands anerkenne. Kompliment!

    (Beifall bei der SPD — Bohl [CDU/CSU]: Wie viele Schulden haben Sie im Saarland, Herr Lafontaine?)

    Scherz beiseite: Statt Klarheit herrscht heilloses Durcheinander.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Im Saarland!)

    Die Bundesregierung ist gegenüber Parlament und Öffentlichkeit wortbrüchig geworden.

    (Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Wieso denn?)




    Ministerpräsident Lafontaine (Saarland)

    Der Steuerlüge Teil 2 handelt von der Frage: Wird es Mehrbelastungen für die Bürgerinnen und Bürger geben? Ja oder nein?

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Eine hinreißende Rede! — Kittelmann [CDU/CSU]: Ein wahrer Staatsmann!)

    Die Aufführung dieses Aktes hat viele Bilder und Szenen.

    (Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: „Marie Claire " ! )

    Es lohnt sich, sie einmal nachzuzeichnen.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Das Haushaltsbuch des Saarlands!)

    Szene 1 des Koalitionstheaters: Gibt es die deutsche Einheit zum Nulltarif? Monatelang haben uns die Bundesregierung und besonders der Bundeskanzler, zuletzt bei der Fernsehansprache zum 1. Juli 1990, stereotyp vorgegaukelt — ich zitiere — : „Keiner wird wegen der Vereinigung Deutschlands auf etwas verzichten müssen. "

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Auf was haben Sie verzichtet?)

    Wirklich ein historischer Satz.

    (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Er ist so schön. Man kann ihn gar nicht oft genug wiederholen: „Keiner wird wegen der deutschen Einheit auf etwas verzichten müssen. "

    (Glos [CDU/CSU]: Haben Sie auf Ihren Koch verzichtet?)

    Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger wußte von Anfang an, daß dies nicht stimmt.

    (Clemens [CDU/CSU]: Wenn man sich nicht bewußt war, darf man sich nicht wundern!)

    Das Eigentliche, das hier anzumerken ist, ist, daß derjenige, der vorgaukelt, die Einheit sei zum Nulltarif zu haben,

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Und Ihr Koch!)

    an einer entscheidenden Stelle einen Fehler macht, weil er eben ein solidarisches Miteinander zum richtigen Zeitpunkt nicht einfordert.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN/ Bündnis 90 — Lachen bei der CDU/CSU — Bohl [CDU/CSU]: Da muß er ja selber lachen! — Kittelmann [CDU/CSU]: Er ist nur ein Spieler! — Bohl [CDU/CSU]: Er bringt nicht mal ein Pokerface hin!)

    Warum sollte jemand bereit sein, Opfer zu bringen, wenn es laut Bundeskanzler auch ohne Verzicht geht? Wie kann man Opfer bringen ohne Verzicht?
    Die Bürgerinnen und Bürger sind zu Opfern bereit. Aber sie wollen Klarheit haben, auf was sie verzichten müssen.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Verzichten können sie auf die SPD! — Clemens [CDU/CSU]: Auf Oskar werden sie verzichten müssen!)

    Sie müssen auch ihre privaten Einnahmen und Ausgaben planen können. Sie müssen wissen, daß das
    Ziel des Opfers den Preis wert ist. Sie müssen vor allem wissen, daß die auf sie zukommenden Belastungen sozial gerecht verteilt werden.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN/Bündnis 90 — Kittelmann [CDU/CSU]: Auf Ihren Koch!)

    Viele, dankenswerterweise auch in den Unionsparteien, waren und sind nicht bereit, dem Zickzackkurs des Bundeskanzlers zu folgen. Sie fordern den Bundeskanzler auf, von seinem Nulltarifversprechen abzurücken.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Sie hätten sich lieber das ZDF-Politbarometer ansehen sollen! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Man soll nie von sich auf andere schließen, Herr Lafontaine!)

    Und diese Forderungen hatten Wirkung: Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, einen Tag nach der Vereinigung, erklärte der Bundeskanzler, der bisher den Satz, niemand müsse auf etwas verzichten, immer wiederholte, wörtlich: Das wird uns große Anstrengungen abfordern, und dafür werden wir auch Opfer bringen müssen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)

    Wie bringen wir das jetzt zusammen, zuerst die Behauptung, niemand müsse auf etwas verzichten, und dann den Appell, wir alle müßten Opfer bringen? Ich glaube, daß hier ein Mann das Opfer der Tatsache geworden ist, daß er rechtzeitig darauf verzichtet hat, gründlich nachzudenken. Anders ist dieser Widerspruch logisch nicht aufzulösen.

    (Beifall bei der SPD)

    Szene zwei, die behandelt werden muß: Gibt es Steuererhöhungen? Meine Damen und Herren, aus Rücksicht erspare ich es Ihnen und uns, die täglich höhere Latte von Steuererhöhungsforderungen aus Kreisen der Union zu zitieren.

    (Glos [CDU/CSU]: Der SPD!)

    Der Herr Bundeskanzler wollte keine Steuererhöhungsdiskussion, weil sie ihn gezwungen hätte, vor der Wahl Roß und Reiter zu nennen, weil er Angst hat, konkret zu sagen, welche breiten Schichten der Bevölkerung letztendlich zahlen müssen. Deshalb hat er am Montag voriger Woche vergeblich versucht, die Front zu begradigen. Der CDU-Vorstand — Biedenkopf, Späth und Rommel hin und her — kündigte an: Es wird keine Steuererhöhungen geben.

    (Zuruf von der SPD: Einstimmig! — Kittelmann [CDU/CSU]: Gibt es auch nicht!)

    Der Versuch, den sächsischen Ministerpräsidenten im CDU-Vorstand zum Schweigen zu bringen, erwies sich bereits zwei Tage später als Pyrrhussieg. Gegenüber der „Sächsischen Zeitung" vom darauf folgenden Mittwoch erklärte Biedenkopf zur Möglichkeit einer generellen Steuererhöhung nach der Bundestagswahl: Das ist eine ganz andere Frage; über die haben wir überhaupt nicht gesprochen. — Auf der Sitzung der CDU-Spitze am Montag seien jedoch eine ganze Reihe von Risiken besprochen worden, aus denen sich Steuererhöhungen ergeben könnten. Diese könnten sich aus den internationalen Beziehungen,



    Ministerpräsident Lafontaine (Saarland)

    beispielsweise einer Verschärfung der Golfkrise, aus ökologischen Problemen oder der Aufbauarbeit im Osten Europas, so in der Sowjetunion und Polen, ergeben. Würden diese hinzutreten, so ändere sich die Situation, habe auch Bundeskanzler Kohl bemerkt.
    Herr Bundeskanzler, sagen Sie nicht nur hinter den verschlossenen Türen des CDU-Vorstandes, sagen Sie heute hier vor dem Bundestag klipp und klar, was Sie eigentlich vorhaben!

    (Beifall bei der SPD)

    Szene drei der Komödie: Steuererhöhungen wofür? Nachdem sich der Bundeskanzler in einen Wust von Äußerungen zu verstricken drohte, schien er in der Fernsehsendung „Was nun, Herr Kohl?" den Gordischen Knoten durchgeschlagen zu haben.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Da war er hervorragend! — Besser als Sie! — Spitze!)

    — Deswegen war auch dieser Defekt beim TED, weil der Herr Bundeskanzler an diesem Tag so hervorragend war.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Er schien den Gordischen Knoten durchschlagen zu haben. Steuererhöhungen für die deutsche Einheit: niemals, für andere Sachen, UdSSR-Hilfe, Golf, Europa: vielleicht. So die neue Linie des Herrn Bundeskanzlers, als ginge es nicht um ein und denselben Topf, den Bundeshaushalt 1991.
    Wenn uns die deutsche Einheit eben in der nächsten Zeit mindestens 100 Milliarden DM pro Jahr kostet,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wollen Sie sie nicht, die Einheit?)

    dann muß das Geld aufgebracht werden. Ich bin dafür, dieses Geld aufzubringen. Jede Mark, auch die gepumpte, kann nur einmal ausgegeben werden.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Die neue Linie bei Ihnen! — Kittelmann [CDU/CSU]: Die SPD als größter Schuldenmacher — und dann diese Ratschläge!)

    Wenn das Geld falsch verwendet wird, fehlt es an anderer Stelle. Es geht insofern nicht um die Finanzierung der deutschen Einheit; es geht um den Bundeshaushalt 1991 und die Finanzplanung von Bund, Ländern und Gemeinden für die nächste Legislaturperiode.

    (Beifall bei der SPD)

    Es geht darum, die vor uns stehenden Aufgaben zu lösen. Dafür brauchen wir die Mittel, dafür brauchen wir das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sehen können, daß wir sorgsam mit ihrem Geld umgehen,

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Das von der SPD; das ist ja wohl nicht wahr!)

    und vor allem, daß wir ehrlich mit ihnen umgehen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN/ Bündnis 90 — Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist unredlich! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Da hilft auch kein Mut-Zuklatschen!)

    Der Bundeskanzler behauptete dieser Tage, er habe Steuererhöhungen nie grundsätzlich, sondern stets nur als Mittel zur Finanzierung der deutschen Einheit ausgeschlossen.

    (Glos [CDU/CSU]: Richtig!)

    Auch diese Behauptung entspricht nicht der Wahrheit.

    (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Aber Helmut Schmidt hat recht!)

    Noch am 19. Juni dieses Jahres hat der Bundeskanzler im ZDF die Frage nach Steuererhöhungen wie folgt beantwortet:
    Wir haben immer gesagt — und ich bleibe dabei —,
    — ich bleibe dabei! —
    daß beim Zustand unserer Wirtschaft, die sich in einer glänzenden Verfassung präsentiert, wir keine Steuererhöhungen brauchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    — Halten Sie mit Ihrem Beifall noch zurück; ich bin mit dem Zitat noch nicht zu Ende.
    Steuererhöhungen bedeuten doch eine Einschränkung der Investitionsbereitschaft.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

    Der Bundeskanzler schloß also Steuererhöhungen noch im Juni ohne jede Einschränkung aus.
    Es ist nun keine Schande, wenn ein Politiker seine Meinung ändert,

    (Kittelmann [CDU/CSU]: So oft wie Sie?)

    wenn er sich geirrt hat, selbst wenn ihm fundamentale Fehleinschätzungen unterlaufen sind.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Kläglich, kläglich!)

    Aber er sollte sich dazu bekennen, wenn er durch immer neue Irrungen und Wirrungen die Öffentlichkeit zu täuschen versucht.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Es ist eine Schande, wenn er vorgibt, er habe alles fest im Griff, wo jedermann das finanzpolitische Chaos schon sehen kann.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU: Wo denn? — Glos [CDU/CSU]: Nur im Saarland! — Kittelmann [CDU/CSU]: Was sagen Sie denn zu Helmut Schmidt, Herr Lafontaine?)

    Meine Damen und Herren, wenn in der „Herald Tribune " beispielsweise steht,

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Da hat Helmut Schmidt das Interview nicht gegeben!)

    daß die Kosten der Einheit zehnmal so hoch sind,

    (Unruhe — Glocke der Präsidentin)

    wie Sie, verehrter Herr Bundeskanzler, geschätzt haben — ich wiederhole: zehnmal so hoch — , dann sollte das doch vielleicht einmal Veranlassung sein, nicht immer nur zu lärmen und in Albernheit zu flüchten,



    Ministerpräsident Lafontaine (Saarland)

    sondern nun wirklich einmal über eine seriöse Finanzierung in den nächsten Jahren zu reden.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: Habt ihr keinen Besseren?)

    Die Szene vier, meine Damen und Herren, spielte am Wochende. Steuererhöhungen: nein; aber Abgaben sollten es jetzt sein.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommt er zum Thema!)

    Auch hier war der Akteur kein Geringerer als der Herr Bundeskanzler persönlich. Gegenüber dem „Kölner Stadtanzeiger" am Samstag brachte er die Abgabenerhöhungen ins Spiel:

    (Frau Geiger [CDU/CSU]: Famoses Pressearchiv, wie?)

    Der Bürger werde in der nächsten Legislaturperiode, so der Bundeskanzler, an dem einen oder anderen Punkt mehr zahlen müssen; beispielsweise könne dies für die Umwelt erforderlich werden,

    (Glos [CDU/CSU]: Ja, so ist das Leben!) etwa in Form einer Kohlendioxidabgabe.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Zwar bekannte Kohl erfreulicherweise wörtlich:

    Der Unterschied zwischen Steuern und Abgaben ist für den Bürger nicht so relevant;

    (Lachen bei der SPD)

    er muß aus demselben Portemonnaie zahlen.
    Man könnte das in der Sprache des Bundeskanzlers noch fortsetzen: Entscheidend ist für die Bürgerinnen und Bürger, was hinten herauskommt. — So einfach ist das!

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU: Na, na, na! — Kittelmann [CDU/CSU]: Sehr zweideutig!)

    Ihm gefalle der Weg der Abgabe besser, so immer noch der Bundeskanzler, als der der Steuern, weil derjenige, der sich rechtzeitig umgestellt hat und nun weniger Schaden verursacht, belohnt werde, sagt der Bundeskanzler. „Und das kostet Geld." Er habe, heißt es dann abschließend — das kennen wir ja nun schon —, nicht gesagt, es gebe keine Steuer- und Abgabenerhöhungen. Wörtlich: „Ich sage: Es gibt keine Steuerhöhungen im Blick auf die deutsche Einheit. " — Wahrscheinlich wegen der Karnickelplage in Australien oder so! Aber wegen der deutschen Einheit gibt es keine Steuererhöhungen!

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Ha, ha, ha!)

    — Meine Damen und Herren, mit dieser Formel „Es gibt keine Steuererhöhungen wegen der deutschen Einheit" machen Sie sich doch nur noch lächerlich!

    (Beifall bei der SPD) Rücken Sie doch von dieser Formel ab!


    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

    Am gleichen Tag wiederholte Helmut Kohl auf dem CSU-Kongreß in München — zwei Orte, zwei Quellen, der gleiche Inhalt; ich zitiere — :
    Wir werden nicht umhin kommen, in der kommenden Legislaturperiode in einigen Bereichen über die Erhöhung von Abgaben zu reden.
    Auch in „Bild am Sonntag" sagt er:
    An dem einen oder anderen Punkt müssen die Deutschen mehr zahlen.
    Ich habe hier wörtlich zitiert;

    (Zuruf von der CDU/CSU: Den Helmut Schmidt oder wen?)

    denn die Kurskorrektur des Bundeskanzlers schlug in der Öffentlichkeit und auch in der Koalition wie eine Bombe ein. Bundeskanzler Helmut Kohl und auch der Bundesfinanzminister seien — so ließ Graf Lambsdorff am Montag verlauten „von allen guten Geistern verlassen".

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Wo er recht hat, hat er recht!)

    Ich sage es noch einmal: Bundeskanzler Helmut Kohl und auch der Bundesfinanzminister seien von allen guten Geistern verlassen,

    (Bundesminister Dr. Waigel: Dafür hat er sich schon entschuldigt!)

    weil sie 14 Tage vor der Wahl im Zusammenhang mit den Kosten der deutschen Einheit eine Debatte um Abgaben und Steuern eröffnet haben.
    Bedauerlich ist nur, daß sich der Graf weniger über den Inhalt der Ankündigungen als über den Zeitpunkt ärgerte.

    (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN/Bündnis 90, der Gruppe der PDS sowie der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

    Dies läßt auf einiges schließen. Der Graf hätte nichts dagegen gehabt, wenn nach der Wahl die Wahrheit gesagt worden wäre. Aber vor der Wahl den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit zu sagen, so Graf Lambsdorff, da muß man doch von allen guten Geistern verlassen sein.

    (Beifall bei der SPD)

    Süffisant bemerkte der Graf halb entschuldigend, halb bissig: Der Bundeskanzler habe in München schließlich frei gesprochen.

    (Heiterkeit bei der SPD — Beifall der Abg. Frau Dr. Vollmer [GRÜNE/Bündnis 90])

    Als dies nun passiert war, sahen sich Bundeskanzleramt und CDU/CSU-Bundestagsfraktion veranlaßt, eine ganze Batterie von Nebelkerzen zu zünden: Sie verstünden diese Aufregung überhaupt nicht. Der Bundeskanzler habe doch weiterhin Steuererhöhungen ausgeschlossen und Abgaben nur im Sinne des Wahlprogramms für den Umweltschutz gefordert.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Genauso ist es!)

    Auch dies stimmt zwar nicht genau, aber immerhin: Ungefähr so etwas hat er auch gesagt.
    Ein einfacher Blick auf die zitierten Äußerungen von Samstag beweist das Gegenteil. Die CO2-Abgabe wie auch der Umweltschutz wurden vom Bundes-



    Ministerpräsident Lafontaine (Saarland)

    kanzler ausdrücklich nur als ein Beispiel für die Erschließung zusätzlicher Finanzierungsquellen genannt. Andere hat er auch nicht ausgeschlossen.
    Nun wären wir natürlich sehr dankbar, verehrter Herr Bundeskanzler, wenn Sie einmal so nett wären, hier vorne hinzukommen und zu sagen, an welchen Punkten die Bürgerinnen und Bürger denn noch Steuern zahlen müssen.

    (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN/Bündnis 90, der Gruppe der PDS sowie der Abg. Frau Unruh [fraktionslos] — Kittelmann [CDU/CSU]: Das macht er erst, wenn Sie Ihren Koch mitbringen!)

    Aber wir lassen uns ja gerne überraschen. Wir haben Geduld. Wir haben Zeit. Deshalb lade ich Sie herzlich ein, in irgendeinem Zusammenhang, verehrter Herr Bundeskanzler, vor der Wahl doch so nett zu sein und den Bürgerinnen und Bürgern zu sagen, wo und an welchen Punkten sie, wenn Sie im Amt bleiben,

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Was heißt „wenn"?)

    mehr Steuern, mehr Abgaben oder mehr Gebühren zahlen müssen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Auf jeden Fall weniger als bei Ihnen!)

    Nun zur FDP. Graf Lambsdorff empfiehlt die FDP als einzigen Garanten gegen Steuererhöhungen. Das ist wirklich beachtlich. Die Profilierungsübungen von Ihnen, Herr Graf Lambsdorff, beim Steuerthema sind allerdings etwas unglaubwürdig. Sie haben vielleicht vergessen, daß der Bundeswirtschaftsminister noch vor wenigen Tagen im Kabinett für die Einführung einer Klimaschutzsteuer geworben hat. Ich habe schon immer bewundert, wie Sie es fertigbringen, an einem Tag Presseerklärungen über die Einführung einer Klimaschutzsteuer loszulassen und noch am selben Tag zu tönen, Sie seien gegen jedwede Steuererhöhungen. Ich habe das immer wieder bewundert. Kompliment, Graf Lambsdorff; wirklich: Kompliment.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Der hat für das Koalitionsklima gearbeitet!)

    Ich zitiere den Sprechzettel des Bundeswirtschaftsministers vom 7. November.
    ... eine Klimaschutzsteuer, die ich für besonders geeignet erachte, nachhaltige Einsparungen und Substitionsanreize auszulösen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Fortschritt 90!)

    Nun war diese Steuererhöhungsankündigung auf dem Markt, und Graf Lambsdorff eierte herum. Da ist er auf einmal auf die Idee gekommen, zu sagen: aber nur dann, wenn sie auf der anderen Seite den Bürgerinnen und Bürgern zurückgegeben werden.

    (Aha! bei der SPD)

    Das ist nun wirklich toll, Graf Lambsdorff. Ich habe
    Ihnen wochen- und monatelang zugehört, wie Sie unser Konzept „Fortschritt 90" in ungezählten Presseerklärungen diffamiert haben, wie Sie uns als Steuererhöhungspartei bezeichnet haben

    (Zuruf von der CDU/CSU: Rückschritt 90!)

    und wie Sie auf der anderen Seite gesagt haben: Wer sagt, er werde das zurückgeben, der wird gar keinen Umwelteffekt erzielen können. — Nun kratzen Sie die Kurve und schreiben bei uns ab. Das ist wirklich keine starke Vorstellung, Graf Lambsdorff. Das ist wirklich keine starke Vorstellung!

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

    Dies öffnet den Vorhang zur Szene fünf: Wie vielfältig ist die Phantasie der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien für die Erschließung zusätzlicher Finanzierungsquellen?
    Der Bundesfinanzminister hat im „Spiegel" -Gespräch dieser Woche durchaus Kreativität bewiesen. Er sprach vom Sonderopfer für Beamte, und er verbreitete sich über die Privatisierungen z. B. bei der Telekom. Die Idee, die Telekom zu privatisieren

    (Glos [CDU/CSU]: Ist eine gute Idee!)

    — Maggie Thatcher läßt grüßen! — zeigt, — —

    (Zurufe von der SPD: Ließ grüßen! — Ein Abschiedsgruß!)

    — Ich wollte das durchaus in einen Zusammenhang stellen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN/Bündnis 90)

    Die Idee, die Telekom zu privatisieren, zeigt, daß der Bundesregierung das Wasser bis zum Halse steht.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Sie will jetzt das Tafelsilber verscherbeln. Für die Sozialdemokraten sage ich den Beschäftigten der Bundespost: Wir werden uns gegen solche Kurzschlußreaktionen zur Wehr setzen.

    (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Was sagt Helmut Schmidt dazu?)

    Bei dem Erfindungsreichtum lesen wir auch über die Vorteile privat finanzierten Autobahnbaus und über Autobahngebühren. Das wäre im übrigen auch eine Steuererhöhung, weil ja damit das Mineralölsteueraufkommen und die Kraftfahrzeugsteuer für andere Zwecke genutzt werden könnten.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Um wieviel wollten Sie das Benzin verteuern? — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Haben Sie nichts anderes auf dem Kasten?)

    Wir lesen über Umweltabgaben, und bemerkenswert genug: Die Frage, ob er eine Mehrwertsteuererhöhung ausschließe, hat Waigel nicht etwa verneint, sondern er hat dem „Spiegel" mit einer Gegenfrage geantwortet. Er fragte: Schließen Sie aus, daß mit dieser Frage die Auflage des „Spiegel" sinkt? — Warum war er nicht zu einer klaren Antwort fähig, wenn Sie hier lärmend und lautstark verkünden, Sie seien gegen jedwede Form der Steuererhöhung?

    (Abg. Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr wahr!)




    Ministerpräsident Lafontaine (Saarland)

    Wem glauben Sie diese Lüge eigentlich noch auftischen zu können? Das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern!

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN/Bündnis 90 — Kittelmann [CDU/CSU]: Sie machen sich doch über sich selbst lustig, Herr Lafontaine, und lachen auch noch darüber!)

    Auf die Frage nach den geplanten Beitragserhöhungen für die Arbeitslosenversicherung — es geht ja weiter; Ihr Erfindungsreichtum ist noch lange nicht zu Ende — wollte der Bundesfinanzminister die Erhöhungen so nicht bestätigen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Der Schmidt hat doch recht! — Der Schmidt weiß, wovon er redet!)

    Er hat auch guten Grund dazu; denn uns liegen Informationen vor, nach denen der Bundesfinanzminister vorhat, den Beitragssatz um zwei Punkte zu erhöhen. Er hat vor, diesen Beitragssatz um zwei Punkte zu erhöhen — solche Informationen liegen uns aus den Ministerien vor—, während der Beitrag für die Rentenversicherung nur um einen Punkt gesenkt wird: unter dem Strich also eine glatte Beitragserhöhung um elf Milliarden DM.

    (Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)

    In Anlehnung an die berechtigten Hinweise des Bundeskanzlers, daß für die Bürgerinnen und Bürger der Unterschied zwischen Steuern und Abgaben unerheblich sei, gilt dies erst recht für die Beitragserhöhung.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN/Bündnis 90)

    Hinzu kommt, daß Sie nicht nur den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Belastungen aufbürden wollen — die Sie jetzt verschweigen wollen oder im Nebel unsichtbar werden lassen wollen — , sondern auch in die Rentenkasse greifen. Dieser Griff in die Rentenkasse bedeutet, daß die Rentnerinnen und Rentner in Zukunft weniger Rente zu erwarten haben.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN/Bündnis 90 — Unruhe bei der CDU/CSU — Kittelmann [CDU/CSU]: Jetzt beginnt die Rentenlüge! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Das Ganze ist ein konzeptionsloser Selbstbedienungsladen.

    (Glos [CDU/CSU]: Das war zu billig! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Der Helmut Schmidt weiß, wovon er redet! — Weitere Zurufe — Anhaltende Unruhe bei der CDU/ CSU — Glocke der Präsidentin)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Entschuldigen Sie, Herr Ministerpräsident!

(Anhaltende Zurufe)

Hier wird eine Debatte geführt. Diese dient dazu, daß
man sich den Redner anhört. Dabei sind auch Zwischenrufe erlaubt, aber nicht ununterbrochen, so daß
der Redner seine Stimme derartig anstrengen muß, um überhaupt noch gehört zu werden.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Ich bitte Sie jetzt wirklich sehr nachdrücklich darum, sich etwas zurückzuhalten und dem Redner die Möglichkeit zu geben, sich hier zu artikulieren.

(Beifall bei der SPD)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Das Ganze ist ein konzeptionsloser Selbstbedienungsladen:

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Das hat Helmut Schmidt nicht gesagt!)

    ein bißchen Umwelt, ein bißchen Autofahrer, dann Sonderopfer für Beamte. Der Bundesfinanzminister wirft ein paar Brocken hin. Nichts Genaues weiß man nicht. Über das, was kommt, wird ein Mantel von Nebel und Verschleierung gehängt. Ich frage mich: Wie lange müssen sich die Bürgerinnen und Bürger das eigentlich noch gefallen lassen?

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Ihre Rede oder wen?)

    Eröffnen Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, endlich eine seriöse Diskussion über die Finanzierung der deutschen Zukunftsaufgaben.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der Gruppe der PDS — Kittelmann [CDU/ CSU]: Das war nicht seriös!)

    Mit den Eckwerten der Bundesregierung ist das nicht geschehen. Diese Eckwerte beinhalten einen Milliardenverschiebebahnhof von der Rentenkasse hin zur Arbeitslosenversicherung. Dies als Einsparung zu verkaufen ist eine Zumutung.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und was sagt Helmut Schmidt?)

    — Meine Damen und Herren, damit Sie sich beruhigen: Ich bin wirklich überrascht, wie hoch Altbundeskanzler Schmidt bei Ihnen noch im Ansehen steht.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Kittelmann [CDU/CSU]: Ja, er hat aufgeholt!)

    Er steht auch in meinem Ansehen. Aber bei nicht freigegebenen Äußerungen kann man sich irren. Ein Beleg dafür sitzt etwas weiter hinten in Form des verehrten Herrn Bundeskanzlers. Über ihn sagte ein anderer:
    Ich halte Herrn Kohl, den ich trotz meines Wissens um seine Unzulänglichkeit um des Friedens willen als Kanzlerkandidaten unterstützt habe ... Er wird nie Kanzler werden; er ist total unfähig; ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen, ihm fehlt alles dafür.
    Sie sehen, Männer können sich auch einmal irren. Der Beweis: die Wienerwald-Rede des Kanzlerkandidaten.

    (Heiterkeit bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Das war eine Fälschung!)

    Die Verschiebung ist finanzpolitisch eine folgenschwere Fehlentscheidung. Auf Grund der absehba-
    18904 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Donnerstag, don 22. November 1990
    Ministerpräsident Lafontaine (Saarland)

    ren Bevölkerungsentwicklung mit einem immer weiter steigenden Anteil älterer Menschen und einer entsprechenden Zunahme des Finanzbedarfs der Rentenversicherung haben SPD, CDU/CSU und FDP mit der Rentenreform in einer gemeinsamen Kraftanstrengung, die wir alle gebilligt haben, die Grundlagen dafür geschaffen, daß die Rentenversicherung auch Mitte der 90er Jahre die notwendigen Finanzreserven besitzt. Das war unsere Absicht. Insofern sind die Einwände, die vorgetragen wurden, wirklich an der falschen Stelle vorgetragen.
    Nach dem, was jetzt von der Bundesregierung beschlossen wurde, ist diese Vereinbarung durchbrochen. Wir nennen das einen Griff in die Rentenkasse. Dies haben wir mit Ihnen nicht vereinbart!

    (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN/Bündnis 90 und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos])

    Auch hier haben Sie Ihr Wort gebrochen. Noch am 17. Mai 1990 hat der Bundessozialminister verkündet:
    Die Anschubhilfe für den Aufbau einer vergleichbaren sozialen Sicherheit in der DDR ist eine gesamtstaatliche Aufgabe und darf nicht den Beitragszahlern in der Bundesrepublik aufgebürdet werden. Sie erfolgt deshalb aus Steuermitteln.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Diesen Standpunkt habe ich immer vertreten. Es gibt keinen Zweifel, daß dies die Position der gesamten Bundesregierung und der Koalition ist.
    Meine Damen und Herren, hier haben Sie Ihr Wort gebrochen! Das kann man auch nicht mit Albernheiten zukleistern wollen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN/Bündnis 90)

    Ich frage den Bundesarbeitsminister: Wie steht es nun mit dem regierungsamtlichen Griff in die Rentenkasse und der Äußerung, die ich gerade zitiert habe, sofern sie nicht falsch zitiert worden ist? Dann würde ich mich im nachhinein entschuldigen; das passiert schon einmal.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aber erst mit Dreck schmeißen!)

    Es kann ja sein, daß die Presse Sie falsch wiedergegeben hat. Dann haben Sie die Gelegenheit, das zu erklären.
    Ich frage Sie, Herr Blüm: Wie steht es jetzt mit Ihrer Aussage von damals? Haben wir alle — das ist unsere Frage — die gemeinsame Kraftanstrengung zur Sicherung der Renten gemacht, damit Sie jetzt einseitig die Axt anlegen? Das ist die Frage, um die es geht.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich hatte bereits eingangs darauf hingewiesen, daß es sich bei den Eckwerten um eine Mogelpackung handelt, die nicht einmal das beabsichtigte Ausgabenvolumen benennt. Das hat einen guten Grund: Bei dem von der Bundesregierung für die nächsten Jahre angegebenen Ausgabenanstieg von 2 % ergibt sich rechnerisch für den Bundeshaushalt 1991 ein Ausgabevolumen von 404 Milliarden DM. Dem stehen Gesamteinnahmen von nur 321 Milliarden DM gegenüber. Daraus ergibt sich im nächsten Jahr im Bundeshaushalt ein Finanzierungsdefizit von 83 Milliarden DM. Dieses Defizit liegt um 13 Milliarden DM höher als die vom Bundesfinanzminister genannte Nettokreditaufnahme von 70 Milliarden DM. In den folgenden Jahren bis 1994 steigt dieses verheimlichte Defizit auf 25 Milliarden DM an.

    (Jaunich [SPD]: Der Rest sind die Abgaben!)

    Offensichtlich wollte die Bundesregierung diese ungedeckte Finanzierungslücke deshalb verbergen, um sich der Frage zu entziehen, wie sie diese Lücke zu schließen beabsichtigt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Der Herr Professor Schiller hat es gesagt!)

    Die Bundesregierung weist die gesamtstaatliche Neuverschuldung mit 140 Milliarden DM aus. Frau Kollegin Matthäus-Maier hat Ihnen vorgerechnet, daß die Finanzierungslücke unter Berücksichtigung aller Nebentöpfe und Blindbuchungen für 1991 mehr als 200 Milliarden DM beträgt.

    (Glos [CDU/CSU]: Die hat schon viel falsch gerechnet! — Kittelmann [CDU/CSU]: Deshalb hat sie heute Sprechverbot!)

    Meine Damen und Herren, wenn Sie einmal ein bißchen ehrlich wären,

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    dann würden Sie zugeben, daß die Einschätzung der ausländischen Presse, daß Sie sich um einen Faktor 10 verschätzt haben, richtig ist und daß niemand vor einigen Monaten hier geglaubt hätte, daß wir einmal über Finanzierungslücken von 200 Milliarden DM zu reden hätten, niemand!

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN/ Bündnis 90)

    — Graf Lambsdorff, da nützt auch kein Kopfschütteln!
    In früheren Jahren sind Finanzminister wegen einiger Milliarden zurückgetreten. Das war in früheren Jahren so, aber seit 1982 gibt es ja das demokratische Institut des Ministerrücktritts nicht mehr. Dies ist auch eine bemerkenswerte Feststellung.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Der hier erwähnte Sachverhalt ist viel gravierender. Wir werden in den nächsten Jahren dreistellige Milliardensummen zu decken haben — ich hoffe, daß Sie dies bald einmal begriffen haben —, über deren genaues Volumen und über deren Deckung sich die Bundesregierung bis zum heutigen Tage ausgeschwiegen hat.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ein Oberlehrer!)

    Und das können wir doch nicht durchgehen lassen! Unsere Rechnungen basieren auf Fortschreibungen der bisherigen Politik. Wie stellt sich das zu deckende Finanzvolumen eigentlich dar, wenn wir die Zukunftsaufgaben, die Lösung der Infrastrukturprobleme in den neuen Ländern, dazunehmen? Es ist für



    Ministerpräsident Lafontaine (Saarland)

    uns ein Skandal, wenn wir Milliarden aufwenden, um Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit zu finanzieren, statt mit Investitionsprogrammen etwa in die Sanierung der Umwelt, der Telekommunikation, des Wohnungswesens, des Verkehrssektors Arbeit zu finanzieren und zu organisieren.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN/ Bündnis 90 — Zuruf von der CDU/CSU: Sozialismus!)

    Im Berliner Wahlkampf plakatiert die CDU — man höre und staune — : „Wir packen's an! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! " — Ihre Partei, Herr Bundeskanzler, fordert gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Ja, als Zukunftsoption!)

    Ich halte das für Berlin und für ganz Deutschland kurzfristig für viel zu viel versprochen, solange die Produktivität so weit auseinanderläuft.

    (Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Richtig!)

    Aber wer so etwas in einem Wahlkampf verspricht, der ist in diesem Wahlkampf völlig unglaubwürdig.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [fraktionslos] — Kittelmann [CDU/CSU]: Jetzt macht er Berliner Wahlkampf! Dann reden wir von Momper!)

    Das kann für den öffentlichen Dienst nicht verwirklicht werden. Wir haben vor Monaten schon auf die Folgen hingewiesen.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Was sagen Sie dann zu der 10-%-Forderung?)

    Dies hätte gravierende Folgen für die gewerbliche Wirtschaft.
    Wäre es nicht sachdienlich, ehrlich über das zu reden, was auf uns zukommt, und offen anzusprechen, daß es große Schwierigkeiten gibt, statt eine Serie von Versprechungen zu machen?
    Große Haushaltsrisiken bestehen aber nicht nur in Verbindung mit der deutschen Einheit und den kostspieligen Fehlentscheidungen der Bundesregierung. In allen Programmen, die wir jetzt lesen und die auf dem Markt sind, werden Versprechungen gemacht, die zusätzliche enorme Finanzmittel erfordern.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Bisher hat er nur geschimpft!)

    Die Bundesregierung ist bis zum heutigen Tage eine Antwort schuldig geblieben, wie sie das, was sie zusätzlich verspricht, finanzieren will. Ob Steuern, Abgaben oder Gebühren, die Mittel müssen aufgebracht werden, wenn die Wahlversprechen eingelöst werden sollen.
    Zukunftsaufgaben stellen sich nicht nur in den neuen, sondern auch in den alten Bundesländern.

    (Clemens [CDU/CSU]: Insbesondere im Saarland!)

    Eine wichtige Aufgabe bleibt, daß wir Maßnahmen gegen die Dauerarbeitslosigkeit, für Arbeitsplätze für Jugendliche und für Behinderte ergreifen.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Erst einmal zu Hause Ordnung schaffen!)

    Wir Sozialdemokraten wollen auch die ungerechte Steuerpolitik korrigieren. Daß Sie den Weihnachtsfreibetrag gestrichen haben, bedauern wir. Wir werden ihn wieder einführen.

    (Beifall bei der SPD — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr gut!)

    Wir haben Finanzierungsvorschläge vorgelegt.
    Die ruinöse Staatsverschuldung der Bundesregierung ist gefährlich. Ich halte mich hier nicht mit klugen abstrakten Rechnereien über Staatsverschuldungsanteile am Bruttosozialprodukt und dergleichen auf. Im Kern geht es bei der realistischen Beurteilung der Staatsverschuldung um drei Seiten: um die fiskalische, die ökonomische und die soziale.
    Die ausufernde Staatsverschuldung, die wir in diesem Ausmaß noch niemals hatten, hat finanzpolitisch schwerwiegende Folgen. Die zunehmende Zinsbelastung der öffentlichen Haushalte schnürt die Handlungsfähigkeit des Staates immer weiter ein. Bereits in diesem Jahr betragen die Zinszahlungen von Bund, Ländern und Gemeinden nach Angaben der Bundesregierung 67,5 Milliarden DM.

    (Glos [CDU/CSU]: Sie schreiben doch von 100 Milliarden in Ihren Zeitungsanzeigen!)

    Weitere Zinsen kommen hinzu. Wer so tief in die Staatsverschuldung greift, macht den Staat fiskalpolitisch handlungsunfähig, und er beraubt sich in der Zukunft der Gestaltungsfähigkeit.

    (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU] : Wer das Saarland so verschuldet hat, sollte nicht über Finanzen reden!)

    Die Staatsverschuldung in der geplanten Größenordnung ist auch ökonomisch gefährlich. Sie wirkt zinstreibend. Die Höhe des Zinssatzes und nicht irgendwelche anderen Rechnereien sind jetzt das ökonomisch Entscheidende. Es ist bedauerlich, daß wir jetzt eine Steuerdebatte führen. Das ist ökonomisch völlig verfehlt. Wir bräuchten eine Zinsdebatte; denn sie würde über Investitionen und neue Arbeitsplätze entscheiden.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Dr. Vollmer [GRÜNE/Bündnis 90])

    Der Präsident der Bundesbank hat Ihnen ins Stammbuch geschrieben, meine Damen und Herren, daß ein hoher Zins in dieser Form folgendes heißt: Einbruch der Investitionen, weil sich das angelegte Kapital besser und sicherer verzinst als das investierte, als Folge davon eine deutliche Abbremsung der Konjunktur, als Folge davon Preiserhöhungen und weitere Zinstreiberei, weil der Kapitalmarkt bereits jetzt überfordert ist.

    (Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Schlesinger sagt etwas anderes!)




    Ministerpräsident Lafontaine (Saarland)

    Nichts anders urteilt der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten, das in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde. Die Sachverständigen weisen darauf hin, daß die Bauherrn durch die hohen Zinsen stark belastet würden

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: So ist es!)

    und mit erheblichem Preisanstieg am Bau — sie erwarten für das kommende Jahr 8 % Preisanstieg — zu rechnen sei.
    Diese Tatsachen zeigen, daß der scheinbar so bequeme Weg über die astronomische Staatsverschuldung in den kommenden Jahren schwerwiegende Folgen haben wird.
    Ungehemmte Staatsverschuldung hat schließlich eine soziale Seite: Die Spaltung unserer Gesellschaft in jene, die von hohen Zinsen leben können, und andere, die für die Zinsen arbeiten müssen. Wir haben folgende Alternativen formuliert:
    Erstens. Für Steuersenkung für Unternehmen und Spitzenverdiener sehen wir keinen Raum.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN/Bündnis 90 und der Gruppe der PDS)

    Zweitens. Es bedarf nun endlich drastischer Einschnitte in den Verteidigungsetat.

    (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN/Bündnis 90 und der Gruppe der PDS)

    Drittens. Die teilungsbedingten Ausgaben in der Bundesrepublik sind auf die neuen Länder umzubuchen. Das ist nicht populär, aber gleichwohl richtig.

    (Beifall bei der Gruppe der PDS)

    Viertens. Das Vermögen von SED/PDS und ihren früheren Blockparteien CDU und FDP muß unverzüglich eingezogen und für den Aufbau der neuen Bundesländer eingesetzt werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Mittlerweile wird nicht mehr nur über die Millionenschiebereien der PDS geschrieben, sondern auch über die Millionenschiebereien der Ost-CDU.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Parteivorsitzende könnte sich vielleicht dazu äußern.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN/ Bündnis 90 sowie bei Abgeordneten der Gruppe der PDS)

    Auch bei der FDP ist die Frage erlaubt, ob sie wirklich glaubwürdig ist. Sie, Graf Lambsdorff, haben hier ein besonderes Beispiel dafür gegeben. Als die Millionenschiebereien der PDS ruchbar wurden, sagten Sie voller Empörung: Mir fehlen die Worte.

    (Lachen bei der SPD)

    Es wäre besser gewesen, Sie hätten gesagt: An dieser Stelle halte ich die Klappe. — Dann wären Sie sich des Beifalls der großen Mehrheit der Bevölkerung sicher gewesen.

    (Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der SPD sowie Beifall bei den GRÜNEN/Bündnis 90 und bei Abgeordneten der Gruppe der PDS)

    Wir sagen: Es ist heute nicht mehr die Frage, ob es Mehrbelastungen für die Bürgerinnen und Bürger gibt. Die Frage ist vielmehr, welche Mehrbelastungen es geben wird. Wir Sozialdemokraten sagen Ihnen: Wir lassen nicht zu, daß in erster Linie bei den kleinen Leuten abkassiert wird, weil Sie solch schwere Fehler gemacht haben.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN/Bündnis 90)

    Ihre Vorschläge ignorieren, daß insbesondere in der ehemaligen DDR noch Nettolöhne von 600 DM gezahlt werden und daß es dort eine Mindestrente von 495 DM gibt, die Sie jetzt teilweise erhöhen wollen.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist eine Inflation der Worte!)

    Deshalb geht es um dieses Thema: Wir brauchen eine solide Finanzpolitik, wir brauchen aber auch mehr soziale Gerechtigkeit. Um diese soziale Gerechtigkeit werden wir in den nächsten Monaten ringen.
    „Reaganomics" und „Thachterismus" sind gescheitert.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Und auch Sozialismus!)

    Sie haben die erste Runde „Reaganomics" durch die gigantische Staatsverschuldung, die in erster Linie in konsumtive Ausgaben floß, bereits gedreht. Es wird unsere Aufgabe sein zu verhindern, daß hier in der Bundesrepublik in der zweiten Runde nun „Thatcherismus" praktiziert wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, wir haben erlebt, was es heißt, wenn diese Bundesregierung Steuerbeschlüsse faßt. Es geht immer nach demselben Muster: Es wird von unten nach oben umverteilt. Die Bürgerinnen und Bürger haben die Wahl. Wir entscheiden uns dafür, vor der Wahl die Wahrheit zu sagen.

    (Beifall bei der SPD — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

    Wir entscheiden uns dafür, eine solide Finanzpolitik zur Grundlage unserer weiteren Arbeit zu machen. Und wir entscheiden uns dafür, soziale Gerechtigkeit durchzusetzen, wenn alle — das ist wahr und das haben wir immer gesagt — Opfer bringen müssen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und Beifall bei den GRÜNEN/Bündnis 90)