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    Plenarprotokoll 11/236 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 236. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 22. November 1990 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Bundesministers Dr. Schwarz-Schilling 18861A Erweiterung der Tagesordnung 18861 A Zur Geschäftsordnung Such GRÜNE/Bündnis 90 18861 B Bohl CDU/CSU 18862 B Jahn (Marburg) SPD 18863 A Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 18930 B Außerhalb der Tagesordnung Dr. Ullmann GRÜNE/Bündnis 90 (Erklärung nach § 32 GO) 18930 C Dr. Heuer Gruppe der PDS (Erklärung nach § 32 GO) 18930 D Tagesordnungspunkt 1: Regierungserklärung des Bundeskanzlers zu den Ergebnissen des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der KSZE in Paris und zum bevorstehenden Europäischen Rat in Rom Dr. Kohl, Bundeskanzler 18863 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 18869A Dr. Bötsch CDU/CSU 18873 D Duve SPD 18874 A Frau Dr. Vollmer GRÜNE/Bündnis 90 . 18876 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 18879 D Frau Dr. Kaufmann Gruppe der PDS . . 18883 A Bahr SPD 18885 D Dr. Knabe GRÜNE/Bündnis 90 . . . 18887A Dr. Hornhues CDU/CSU 18890D Frau Kottwitz GRÜNE/Bündnis 90 . . . 18892 D Genscher, Bundesminister AA 18893 D Frau Unruh fraktionslos 18895 C Hoppe FDP 18896 D Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE/Bündnis 90 (Erklärung nach § 31 GO) 18897 C Tagesordnungspunkt 2: Aussprache zur Haltung der Bundesregierung zur Erhöhung von Steuern und Abgaben Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlan- des 18898 A Dr. Waigel, Bundesminister BMF . . . 18906 D Frau Matthäus-Maier SPD 18908 B Dr. Ullmann GRÜNE/Bündnis 90 . . . 18910 D Frau Matthäus-Maier SPD 18912 C Frau Vennegerts GRÜNE/Bündnis 90 . 18912 D Dr. Graf Lambsdorff FDP 18915 C Westphal SPD 18917 A Dr. Faltlhauser CDU/CSU 18917 C Dr. Gysi Gruppe der PDS 18919 B Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 18921 D Dr. Graf Lambsdorff FDP 18924 B Schäfer (Offenburg) SPD 18924 D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. November 1990 Frau Unruh fraktionslos 18925 A Dr. Blüm, Bundesminister BMA 18925D, 18927 C Dreßler SPD 18927 A Cronenberg (Arnsberg) FDP 18927 C Hoss GRÜNE/Bündnis 90 18928A Wüppesahl fraktionslos 18928 B Präsidentin Dr. Süssmuth 18931A Berichtigung 18932 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . .18933* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede des Abg. Glos (CDU/CSU) zu TOP 2 — Aussprache zur Haltung der Bundesregierung zur Erhöhung von Steuern und Abgaben 18933* D Anlage 3 Amtliche Mitteilung 18935* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. November 1990 18861 236. Sitzung Bonn, den 22. November 1990 Beginn: 10.01 Uhr
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    Berichtigung 235. Sitzung, Seite 18839B, Zeile 10 von unten: Statt „Es wird Überweisung an die zuständigen Ausschüsse beantragt." ist „Es wird Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß beantragt." zu lesen. Anlage i Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 22. 11. 90 * Antretter SPD 22. 11. 90 * Frau Becker-Inglau SPD 22. 11. 90 Beckmann FDP 22. 11. 90 Frau Beer GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Bindig SPD 22. 11. 90 Frau Birthler GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Börnsen (Ritterhude) SPD 22. 11. 90 Borchert CDU/CSU 22. 11. 90 Brunner CDU/CSU 22. 11. 90 Büchler (Hof) SPD 22. 11. 90 Frau Bulmahn SPD 22. 11. 90 Daweke CDU/CSU 22. 11. 90 Dörfler GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Frau Faße SPD 22. 11. 90 Francke (Hamburg) CDU/CSU 22. 11. 90 Frau Fuchs (Verl) SPD 22. 11. 90 Gattermann FDP 22. 11. 90 Graf SPD 22. 11. 90 Gröbl CDU/CSU 22. 11. 90 Grünbeck FDP 22. 11. 90 Dr. Haack SPD 22. 11. 90 Haack (Extertal) SPD 22. 11. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 22. 11. 90 Häfner GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 22. 11. 90 Hasenfratz SPD 22. 11. 90 Dr. Haussmann FDP 22. 11. 90 Frhr. Heereman von Zuydtwyck CDU/CSU 22. 11. 90 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 22. 11. 90 Frau Hürland-Büning CDU/CSU 22. 11. 90 Dr. Jobst CDU/CSU 22. 11. 90 Jung (Düsseldorf) SPD 22. 11. 90 Frau Kelly GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Kißlinger SPD 22. 11. 90 Koschnick SPD 22. 11. 90 Kossendey CDU/CSU 22. 11. 90 Kreuzeder GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Kühbacher SPD 22. 11. 90 Dr. Langner CDU/CSU 22. 11. 90 Maaß CDU/CSU 22. 11. 90 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 22. 11. 90 Meyer SPD 22. 11. 90 Dr. Modrow Gruppe 22. 11. 90 der PDS Dr. Müller CDU/CSU 22. 11. 90 * Platzeck GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Dr. Pohlmeier CDU/CSU 22. 11. 90 Reddemann CDU/CSU 22. 11. 90 * Regenspurger CDU/CSU 22. 11. 90 Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Frau Rehm CDU/CSU 22. 11. 90 Dr. Schäuble CDU/CSU 22. 11. 90 Schmidt (München) SPD 22. 11. 90 Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 22. 11. 90 Schütz SPD 22. 11. 90 Schulz GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Dr. Seifert Gruppe 22. 11. 90 der PDS Seiters CDU/CSU 22. 11. 90 Spilker CDU/CSU 22. 11. 90 Frau Trenz GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Vosen SPD 22. 11. 90 Waltemathe SPD 22. 11. 90 Frau Weiler SPD 22. 11. 90 Weinhofer SPD 22. 11. 90 Wiefelspütz SPD 22. 11. 90 Wischnewski SPD 22. 11. 90 Wissmann CDU/CSU 22. 11. 90 Dr. Wittmann CDU/CSU 22. 11. 90 Zeitlmann CDU/CSU 22. 11. 90 Dr. Zimmermann CDU/CSU 22. 11. 90 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede des Abgeordneten Glos (CDU/CSU) zu Tagesordnungspunkt 2 Aussprache zur Haltung der Bundesregierung zur Erhöhung von Steuern und Abgaben Glos (CDU/CSU): Die CDU/CSU plant keine Steuererhöhungen, weder eine höhere Mehrwertsteuer noch eine höhere Mineralölsteuer noch eine sonstige Steuererhöhung. Es gibt keinen Grund, unsere langjährig erfolgreiche Politik des knappen öffentlichen Geldes und der Verbreiterung des privaten Sektors unter dem Vorzeichen der Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland aufzugeben. Unsere Politik der Senkung der Steuerquote - wir haben 1990 mit rund 22,5 Prozent den niedrigsten Stand seit 30 Jahren - hat zum Beispiel entscheidend dazu beigetragen, daß wir - auf dem Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik - jetzt in das neunte Jahr ununterbrochenen Wirtschaftswachstums hineingehen. Im Gegensatz zur SPD - die eine 9prozentige Ergänzungsabgabe, eine Erhöhung der Mineralölsteuer um 50 Pfennig je Liter sowie zahlreiche sogenannte Ökosteuern fordert - ist die CDU/CSU der Auffassung, daß Steuererhöhungen das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen und damit die solideste aller Finanzierungsquellen verschütten würden. Entgegen der Äußerung von Graf Lambsdorff am Sonntag in „Bonn direkt" ist die CDU/CSU in Sachen Finanz- und Steuerpolitik mindestens so sattelfest wie die FDP. Anders als die FDP fordern CDU und CSU 18934* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. November 1990 zum Beispiel keine Vermehrung der Steuervielfalt um eine Klimasteuer. Wenn Graf Lambsdorff am vergangenen Wochenende meinte, feststellen zu müssen, daß die CDU/CSU in der Finanz- und Steuerpolitik wackelt, dann spricht er gegen besseres Wissen, denn die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und insbesondere die Finanz- und Steuerpolitiker haben nie gewackelt. In dieser hektischen Wahlkampfzeit ist seine Aussage nur als Profilierungsversuch zu werten, die FDP als bessere Steuererhöhungsverhinderungspartei darzustellen. Bedeutend mehr Freude macht uns natürlich, wenn der wirtschafts- und finanzpolitische Mentor der SPD, Professor Karl Schiller, vor zwei Wochen bei der von der SPD verlangten öffentlichen Anhörung zur Finanzierung der deutschen Einheit bestätigt hat, daß er — Schiller — nicht anders gehandelt hätte als unser CSU-Bundesfinanzminister Theo Waigel. Wir von der CDU/CSU verstehen ja, daß ein solches Lob aus der roten Ecke an die schwarze Adresse die FDP schmerzen muß. Ist es doch ihr Wirtschaftsminister, der seit langem jegliches Lob schmerzlich vermißt. Auf einem anderen Blatt steht die Notwendigkeit, die Leistungs- und Innovationskraft der Sozialen Marktwirtschaft verstärkt in den Dienst der Umwelt zu stellen. Unabhängig von der Finanzierung des Anpassungsprozesses in den neuen Bundesländern und seiner sozialen Absicherung ist eine breitere Anwendung des Verursacherprinzips mit marktwirtschaftlichen Maßnahmen geboten. Dazu können auch nichtsteuerliche Sonderabgaben gehören, wenn sie das Ziel verfolgen und auch geeignet sind, schädliche Umweltbelastungen zu verringern und bereits eingetretene Schäden zu beseitigen. Das Aufkommen solcher Sonderabgaben nimmt in dem Maße ab, in dem das Umweltziel erreicht wird. Eine solche Sonderabgabe hat also nichts mit Steuererhöhungen zur Aufbesserung der Staatseinnahmen zu tun, meine Damen und Herren von der Opposition! Steuererhöhungen schmälern die Investitionsbereitschaft und die Leistungsbereitschaft der Betriebe und der Berufstätigen. Sie wirken preistreibend. Dadurch wird eine verhängnisvolle Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt, die zwar kurzfristig inflationsbedingte Steuermehreinnahmen bringen kann, aber mittelfristig mit realen Wachstumsverlusten und folglich Steuerverlusten bezahlt werden muß. Die richtige Finanzpolitik im vereinten Deutschland heißt vor allem Ausgabendisziplin. Unabweisbare Mehrausgaben für die Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland müssen mit Ausgabeeinsparungen in den öffentlichen Haushalten verbunden werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt deshalb den Beschluß der Bundesregierung, den mittelfristigen Ausgabenanstieg im Bundeshaushalt auf durchschnittlich 2 Prozent jährlich zu begrenzen. Auf Grund der kurzfristig notwendigen Unterstützung des Anpassungsprozesses in den neuen Bundesländern ist auch eine vorübergehend höhere Nettokreditaufnahme im Bundeshaushalt erforderlich. Vor allem 1991 wird es zu Mehrbelastungen kommen, die aber auf der Grundlage der dynamischen Wirtschaftsentwicklung in den alten Bundesländern und des baldigen Aufschwungs in den neuen Bundesländern bewältigt werden können. Meine Damen und Herren! Der Wiederaufbau des östlichen Teils unseres Vaterlandes ist die größte und wichtigste Investition seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Auf mittlere Sicht wird der ökonomische Nutzen der deutschen Wiedervereinigung die zusätzlichen Belastungen von heute deutlich übersteigen. Auch aus diesem Grunde ist eine vorübergehend höhere Nettokreditaufnahme der bessere Weg als die von der SPD geforderten neuen Steuern und Abgaben. Karl Schiller hat der SPD in der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses am 7. November folgendes vorgerechnet: Die Einführung der SPD-Ergänzungsabgabe würde gerade diejenigen Steuerpflichtigen treffen, die die höchste Sparquote haben. Damit würde das Weniger an Kreditaufnahme des Staates auf ein Weniger an Kreditangebot der Privaten treffen und hätte deshalb keinerlei zinsentlastende Wirkung. Frau Matthäus-Maier sollte noch mal bei Herrn Schiller studieren; vielleicht ist er sogar bereit, ihr Privatunterricht zu geben. Noch eine Bemerkung an die Adresse von Graf Lambsdorff: Die privatwirtschaftliche Finanzierung und Durchführung von Investitionsprojekten soll nach dem Eckwertebeschluß der Bundesregierung, der vor 9 Tagen gefaßt wurde, für eine zusätzliche Entlastung der öffentlichen Haushalte sorgen. Soweit geeignete Objekte vorhanden sind, die Private besser als die öffentliche Hand erbringen können, sind die rechtlichen und sachlichen Voraussetzungen für eine privatwirtschaftliche Finanzierung baldmöglichst geschaffen. Dies ist die Beschlußlage, die die FDP im Kabinett mitgetragen hat. Es ist deshalb — zurückhaltend formuliert — unfair, wenn der Vorsitzende der FDP die Möglichkeit der privaten Finanzierung eines Autobahnbaus im östlichen Deutschland durch Gebühren als ein Marterinstrument bezeichnet und damit den Regierungsbeschluß konterkariert. Oder weiß Graf Lambsdorff nicht, daß die von ihm bevorzugte Vignette nach Schweizer Muster nichts anderes ist als eine Pauschalgebühr für die Autobahnbenutzung? Trotz des wahlkampfbedingten Geplänkels werden wir in der Koalition unsere bewährte Zusammenarbeit im Kampf gegen eine zu hohe Steuerbelastung für Bürger und Unternehmungen fortsetzen. Unsere Finanzpolitik hat die Angebotsbedingungen der Volkswirtschaft innerhalb von 8 Jahren nachhaltig verbessert, den Wohlstand der Bürger erhöht und die Selbstfinanzierungskräfte der Sozialen Marktwirtschaft gestärkt. Die glänzende Verfassung unserer Volkswirtschaft auf dem Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik ist ganz wesentlich ein Ergebnis unserer wachstums- und investitionsfreundlichen Finanz- und Steuerpolitik. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. November 1990 18935* Die Bürger und Bürgerinnen unseres Landes haben keinen Grund, ausgerechnet jetzt die Wirtschafts- und Finanzpolitik den Sozialisten als Experimentierfeld zu überlassen. Das SPD-Konzept eines völligen ökologischen Umbaus unseres Steuersystems verkennt grundlegende finanzpolitische Zusammenhänge. Ein Umkrempeln des Steuer- und Abgabesystems im Zeichen des Umweltschutzes würde irreparable Störungen unserer Wirtschafts- und Sozialordnung zur Folge haben. Dies kann sich das vereinte Deutschland, das international zunehmend in die Pflicht genommen ist, nicht leisten. Anlage 3 Amtliche Mitteilung Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 15. November 1990 ihren Entschließungsantrag auf Drucksache 11/8438 zurückgezogen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mit großer Aufmerksamkeit der Rede unseres Kollegen Bahr zugehört. Er hatte heute Gelegenheit, ein Ergebnis zu würdigen in der West-Ost-



    Bundesminister Genscher
    Politik und in der Abrüstungspolitik, an dessen Zustandekommen er einen beachtlichen Anteil hat. Ich möchte ihm an dieser Stelle für viele Jahre gemeinsamen außenpolitischen Weges danken, auf dem unsere Gemeinsamkeit auch dann nicht verloren ging, wenn wir uns innenpolitisch nicht auf derselben Linie befanden.

    (Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN/Bündnis 90 sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Gruppe der PDS)

    Ich möchte an dieser Stelle meinem Fraktionskollegen Hoppe danken für sein stetiges Eintreten für den KSZE-Prozeß von der ersten KSZE-Debatte, die wir im Deutschen Bundestag hatten, bis auf den heutigen Tag. Lieber Herr Hoppe, das bleibt unvergessen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und den GRÜNEN/Bündnis 90)

    Die Frau Kollegin Vollmer hat sich mit einer Rede verabschiedet, die dem entsprach, was ich zu ihren Reden immer gedacht habe: Ich kann ihr nicht in allen Punkten zustimmen, aber ich kann noch weniger ihr in allen Punkten widersprechen.
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden Sie alle hier vermissen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und den GRÜNEN/Bündnis 90)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, als 1975 die Schlußakte von Helsinki unterzeichnet wurde, war das eine Investition in die Zukunft. Das war Zukunftsvertrauen, was ausgedrückt wurde. Auch jetzt ist von uns wieder Zukunftsvertrauen verlangt. Es geht darum, daß wir nach dem bedeutsamen Ergebnis von Paris, der „Charta für das neue Europa", einen Stabilitätsbegriff in Europa entwickeln, der immer weniger militärisch definiert wird, bei dem die wirtschaftlichen, die ökonomischen, die ökologischen Fragen in den Vordergrund treten und bei dem wir erkennen, wie sehr Europa aufeinander angewiesen ist, wie sehr Europa zusammengehört.

    (Beifall bei der FDP)

    Wir sind uns ja wohl auch alle bewußt, daß die Werte, zu denen sich nun alle Staaten Europas bekennen, nicht einen Sieg der einen über die andere Seite bedeutet, nicht einen Sieg des Westens über den Osten, sondern eine Besinnung des ganzen Europa auf eine gemeinsame Kultur- und Geistesgeschichte. Das ist wirklich ein Akt europäischer Selbstbesinnung.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Es ist letztlich ein freiheitliches Bekenntnis zu einem Europa, das nicht irgendein Europa sein soll, sondern ein Europa der Menschenrechte, ein Europa der Demokratie, ein Europa der freien Wahlen, ein Europa der Marktwirtschaft. Der Begriff „Sozialismus" fehlt in dem Dokument von Paris.

    (Zuruf von der FDP: Das ist gut so!)

    Man kann also sagen: Es ist wirklich ein durch und durch liberales Zeitalter, vor dem wir stehen.

    (Beifall bei der FDP — Zuruf von der SPD)

    Deswegen fühlen wir uns sehr wohl. Es ist schön, wenn der Mensch so sehr in den Mittelpunkt europäischer Politik gerückt wird, wie das hier geschieht, und wenn soziale Gerechtigkeit zu einem gemeinsamen Ziel aller Staaten gemacht wird, soziale Gerechtigkeit, die eine wesentliche Voraussetzung auch der wirtschaftlichen und politischen Stabilität jedes Staates ist.
    Wir müssen lernen, daß dieses Europa, wenn es eins sein soll, nicht mehr ein Europa der West-Ost-Beziehungen ist, wie ich überhaupt finde, daß West und Ost wieder mehr zu geographischen Begriffen werden sollten und nicht zu politischen und ideologischen Unterscheidungsmerkmalen. Wir können das Verhältnis zwischen den verschiedenen Staaten Europas nicht mehr allein durch Handelsbeziehungen und Zusammenarbeit definieren. Wir müssen gemeinsame Einrichtungen schaffen. Damit meine ich nicht die Institutionen, die wir jetzt mit dem Dokument von Paris geschaffen haben; die sind wichtig, damit dieses größere Europa handlungsfähig wird. Wir müssen gemeinsame Verbindungen, gemeinsame Räume, den gemeinsamen europäischen Rechtsraum, eine gemeinsame europäische Infrastruktur, einen europäischen Verkehrsraum, einen europäischen Energieverbund, einen europäischen Kommunikationsverbund schaffen. Das alles müssen Angebote der westlichen Staaten an unsere östlichen Nachbarn sein, um ihnen den Eintritt in die Marktwirtschaft im Rahmen ihrer Reformprozesse zu erleichtern.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Wir können ihnen die Entscheidungen, die sie intern zu treffen haben, nicht abnehmen. Wir können ihnen aber durch ein solches gesamteuropäisches Angebot die Durchführung dieser Entscheidungen erleichtern. Zu diesem Angebot muß auch die Offenheit unserer Europäischen Gemeinschaft für unsere östlichen Nachbarn gehören.
    In diesen Tagen hat mich ein Außenminister eines unserer östlichen Nachbarn gefragt, wie es mit der Beitrittsperspektive aussehe. Ich habe ihm gesagt: Wir haben durchaus nicht den Ehrgeiz, für immer das östlichste Land der Europäischen Gemeinschaft zu bleiben, sondern wir möchten gern sehen, daß diese Europäische Gemeinschaft das wird, was ihr Name ausdrückt: eine Gemeinschaft europäischer Demokratien,

    (Bahr [SPD]: Ja!)

    eine Gemeinschaft europäischer, marktwirtschaftlich orientierter Länder. Sie heißt ja nicht Westeuropäische Gemeinschaft. Sie heißt Europäische Gemeinschaft.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN/Bündnis 90)

    Deshalb wird es wichtig sein, daß wir jetzt erkennen, daß in dieser neuen Phase des KSZE-Prozesses die Erwartungen des Ostens größer sein werden als die des Westens. Jetzt sind wir zur Leistung aufgefordert. Als wir 1975 im Deutschen Bundestag über die Schlußakte diskutierten, habe ich gesagt: Wenn diese Schlußakte Wirklichkeit wird, dann müssen nicht wir



    Bundesminister Genscher
    uns ändern, sondern unsere östlichen Nachbarn müssen sich ändern. Sie müssen das tun, was notwendig ist, um die hier übernommenen Verpflichtungen zu verwirklichen. Jetzt ist es an uns, darauf die Antwort zu geben. Auf die Reformpolitik des Ostens muß die Solidarität des Westens die gesamteuropäische Antwort sein.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und den GRÜNEN/Bündnis 90)

    Es ist ganz gewiß unser Ziel, diesen Reformprozeß unumkehrbar zu machen, aber es ist noch ein zerbrechlicher Prozeß. Es wird vieler Hilfe, großer Geduld und großer europäischer Solidarität bedürfen, damit die Unumkehrbarkeit Realität wird. Der Wille der Völker ist da, der Wille auch ihrer Repräsentanten ist da, aber die Fähigkeit, diesen Willen umzusetzen, können und müssen wir von hier aus unterstützen. Es ist das eine Europa, um das es geht. Es ist unser Europa. Was wir tun, ist auch eine Investition in die eigene, gemeinsame europäische Zukunft.
    Ich denke, daß die Politik des guten Beispiels des vereinigten Deutschlands sich gerade in dieser Frage bewähren muß. Wenn wir zeigen, daß wir die deutsche Einheit nicht als das Endziel unserer Politik betrachten, sondern daß für uns die deutsche Einheit ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur Einheit Europas ist und daß wir deshalb über den großen Problemen, die wir mit der wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Bundesländern haben, nicht vergessen, daß es noch größere Probleme östlich der deutschen Ostgrenze gibt. Dann werden wir auch in dieser Phase unsere europäische Bewährungsprobe bestehen.
    Wir haben uns auf dem Weg zur deutschen Einheit zu Recht für den europäischen Weg zur deutschen Einheit entschieden. Nun werden wir unter Beweis stellen, daß das vereinigte Deutschland diesen europäischen Weg weitergeht als einen gesamteuropäischen Weg, bei dem nicht vergessen wird, daß die Europäische Gemeinschaft die Grundlage unseres Handelns sein muß, daß sie der Stabilitätsanker für das ganze Europa ist, aber daß diese Europäische Gemeinschaft auch ein Angebot an alle Staaten Europas sein muß.
    Ich habe es sehr begrüßt, daß von allen Rednern die Bedeutung der Einbeziehung der Sowjetunion in dieses ganze Europa unterstrichen worden ist. Das ist wichtig, auch als eine Adresse an diesen großen Nachbarn im Osten, der so viel bedeutet für das Schicksal Europas, dessen Stabilität übrigens auch so viel bedeutet für das Schicksal Europas. Zu Recht ist gesagt worden, daß die Stabilität der Sowjetunion auch unsere Stabilität ist, die gesamteuropäische Stabilität. Deshalb ist der Aufruf, jetzt zu helfen, so wichtig: zu zeigen, daß für uns Solidarität eine Frage der Menschlichkeit ist, der guten Nachbarschaft, des guten Beispiels, daß wir aber darüber hinaus auch interessiert sind, über die aktuelle Hilfe hinaus das größere Europa zu schaffen durch die Verbindung von West und Ost in einem gemeinsamen europäischen Raum, der alle Aspekte des politischen, ökonomischen und menschlichen Lebens umfaßt.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, so ist der KSZE-Prozeß für uns Deutsche nicht nur ein europäischer Erfolg geworden. Der KSZE-Prozeß hat uns den Weg geebnet zur Einheit unseres Volkes in einem Staat, aber wir dürfen niemals vergessen, daß die Einheit unseres Volkes nur dann Bestand in Frieden und Freiheit haben wird, wenn sie eine Einheit ist in einem größeren Europa der Demokratie, der Freiheit und des Friedens. Deshalb bleibt es dabei, was wir immer gesagt haben: Wir wollen nicht ein deutsches Europa, sondern wir wollen ein europäisches Deutschland. Und dieses vereinigte Deutschland wird ein Deutschland des guten Beispiels sein in der Arbeit für ein größeres, für ein besseres Europa.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN/ Bündnis 90)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Unruh.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Gertrud Unruh


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (GRÜNE)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Sehr geehrte Präsidentin! Werte Volksvertreterinnen und Volksvertreter! Was Herr Genscher vorhin von sich gegeben hat, muß man vom Grundsatz her begrüßen, aber bitte nur, was den Anfang von KSZE und Verträgen betrifft, die geschlossen worden sind. Ansonsten sehe ich Herrn Genscher als einen Übervater,

    (Heiterkeit bei der FDP)

    der sich so darstellen kann, daß man oftmals nicht glaubt, daß er zur FDP gehört.
    Wenn ich die beiden Reden von Herrn Lambsdorff, dem Parteiführer der FDP, und Herrn Bahr vergleiche, einem Mann mit langjährigen Erfahrungen, mit 18 Jahren Deutscher Bundestag auf dem Rücken, dann muß ich als Parteivorsitzende der Grauen, initiiert vom Seniorenschutzbund Graue Panther,

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Bitte keine Werbung!)

    sagen: Wir stehen voll hinter dem, was Herr Bahr hier als seine — leider — letzte Rede von sich gegeben hat.

    (Heiterkeit bei der FDP)

    Aber jetzt haben Sie quasi eine Übermutter in der Politik vor sich stehen,

    (Heiterkeit im ganzen Haus)

    die nämlich folgendes in dieser Bundesrepublik Deutschland veranlassen konnte: daß sich unabhängige alte Politiker — ob mit oder ohne Parteibuch — noch einmal zusammengetan haben, um einfach daran mitzuwirken, ein Gesamteuropa zu gestalten. Jetzt kann ich Ihnen einmal vorlesen, was diese Altpolitiker, querbeet durch alle Parteibücher, und Parteilose sowie auch junge vierzig-, junge dreißigjährige Mitglieder von uns formuliert haben. Davon können sich die CDU, die CSU sowie die FDP einen ganz schönen Stiefel von Politik abschneiden.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Aber die SPD auch! Und ein bißchen die GRÜNEN!)

    — Ich denke da an Aussagen von Herrn Bahr und nicht an das dumme Gelächter von Herrn Stoltenberg.



    Frau Unruh
    Ich zitiere aus dem Wahlprogramm der Grauen:
    Drastische Senkung des Rüstungsetats. Sofortige Einstellung aller Tiefflüge und sonstiger Manöver. Keine neue Stationierung von Kampfhubschraubern, Giftbomben und atomaren Waffen in der BRD. Konsequente Weiterverfolgung einer offensiven Friedens- und Abrüstungspolitik, auch wenn sie mit einseitigen Abrüstungsschritten verbunden ist.
    — Siehe Bahr. —
    Anstelle der Pflichtbundeswehr oder sonstiger nationaler Kriegstruppen soll eine freiwillige Gesamteuropäische Ost-West-Friedens-Schutzorganisation geschaffen werden.
    Ferner heißt es in Punkt 14 unseres Wahlprogramms:
    Aufbau einer Europäischen Ost-West-Gemeinschaft, in der die besten

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — jetzt hören Sie bitte einmal zu —

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Wir können gar nicht anders, so laut sind Sie!)

    sozialen Regelungen aus allen Ländern — —
    Das Soziale liegt doch bei Ihnen so im argen, daß es einen schüttelt.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN/Bündnis 90)

    Also nochmals:
    Aufbau einer Europäischen Ost-West-Gemeinschaft, in der die besten sozialen Regelungen aus allen Ländern zum Standard erklärt werden müssen.
    Zum jeweiligen Standard in der Währung und der jeweiligen Nationalität.
    Und wenn wir über Europa, über Gesamteuropa hinaus denken:
    Genau wie Weltbank, Welthandel usw. sozialen Welt-Ausgleichsfonds schaffen.
    Ferner heißt es — und da kommen auch noch die Mittel her — :
    Streichung der Mittel für Militär- und Rüstungsforschung.
    Weiter heißt es mit Blick auf das menschliche Miteinander, letztlich nicht nur in Gesamteuropa, sondern später auch in der ganzen Welt:
    Geeignete Maßnahmen zum Abbau von Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhaß. In Europa ist jeder irgendwo ein Ausländer. Aber auch keine Besserstellung z. B. von Aussiedlern gegenüber förderungsbedürftigen Bundesbürgern. Das Asylrecht
    — für Nicht-Ost- und -West-Europäer — muß nach dem Grundgesetz ausgelegt werden.
    Ich glaube, Herr Bundesjustizminister, diese Programmpunkte sollte sich Herr Graf Lambsdorff, wenn
    er wirklich liberal denkt wie Herr Genscher, Ihr Übervater,

    (Dr. Feldmann [FDP]: Den hätten Sie wohl auch gern?!)

    zu eigen machen. Sie könnten die Zukunft für Gesamteuropa sein.
    Und ich warne wieder die SPD: Geht der FDP nicht auf den Leim.

    (Heiterkeit bei der FDP — Beifall bei der SPD)

    Stellen Sie sich einmal vor, Sie müßten mit der FDP koalieren, um an die politische Macht zu kommen. Was würden die Menschen da wohl denken,

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Welche Menschen?)

    auf der einen Seite einen Graf Lambsdorff zu erleben,

    (Dr. Feldmann [FDP]: Das wäre doch was!) der teilweise unmenschlich handelt,


    (Widerspruch bei der FDP)

    und auf der anderen Seite wieder eine SPD erleben zu müssen, die sagt: Wir wollen die Koalition ja nicht gefährden, deshalb müssen wir leider wieder unsoziale Taten — und dann für Gesamteuropa — vollbringen.

    (Widerspruch bei der SPD) Also bauen Sie die Grauen auf.


    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN/ Bündnis 90 — Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU und der FDP)