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    Plenarprotokoll 11/236 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 236. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 22. November 1990 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Bundesministers Dr. Schwarz-Schilling 18861A Erweiterung der Tagesordnung 18861 A Zur Geschäftsordnung Such GRÜNE/Bündnis 90 18861 B Bohl CDU/CSU 18862 B Jahn (Marburg) SPD 18863 A Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 18930 B Außerhalb der Tagesordnung Dr. Ullmann GRÜNE/Bündnis 90 (Erklärung nach § 32 GO) 18930 C Dr. Heuer Gruppe der PDS (Erklärung nach § 32 GO) 18930 D Tagesordnungspunkt 1: Regierungserklärung des Bundeskanzlers zu den Ergebnissen des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der KSZE in Paris und zum bevorstehenden Europäischen Rat in Rom Dr. Kohl, Bundeskanzler 18863 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 18869A Dr. Bötsch CDU/CSU 18873 D Duve SPD 18874 A Frau Dr. Vollmer GRÜNE/Bündnis 90 . 18876 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 18879 D Frau Dr. Kaufmann Gruppe der PDS . . 18883 A Bahr SPD 18885 D Dr. Knabe GRÜNE/Bündnis 90 . . . 18887A Dr. Hornhues CDU/CSU 18890D Frau Kottwitz GRÜNE/Bündnis 90 . . . 18892 D Genscher, Bundesminister AA 18893 D Frau Unruh fraktionslos 18895 C Hoppe FDP 18896 D Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE/Bündnis 90 (Erklärung nach § 31 GO) 18897 C Tagesordnungspunkt 2: Aussprache zur Haltung der Bundesregierung zur Erhöhung von Steuern und Abgaben Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlan- des 18898 A Dr. Waigel, Bundesminister BMF . . . 18906 D Frau Matthäus-Maier SPD 18908 B Dr. Ullmann GRÜNE/Bündnis 90 . . . 18910 D Frau Matthäus-Maier SPD 18912 C Frau Vennegerts GRÜNE/Bündnis 90 . 18912 D Dr. Graf Lambsdorff FDP 18915 C Westphal SPD 18917 A Dr. Faltlhauser CDU/CSU 18917 C Dr. Gysi Gruppe der PDS 18919 B Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 18921 D Dr. Graf Lambsdorff FDP 18924 B Schäfer (Offenburg) SPD 18924 D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. November 1990 Frau Unruh fraktionslos 18925 A Dr. Blüm, Bundesminister BMA 18925D, 18927 C Dreßler SPD 18927 A Cronenberg (Arnsberg) FDP 18927 C Hoss GRÜNE/Bündnis 90 18928A Wüppesahl fraktionslos 18928 B Präsidentin Dr. Süssmuth 18931A Berichtigung 18932 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . .18933* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede des Abg. Glos (CDU/CSU) zu TOP 2 — Aussprache zur Haltung der Bundesregierung zur Erhöhung von Steuern und Abgaben 18933* D Anlage 3 Amtliche Mitteilung 18935* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. November 1990 18861 236. Sitzung Bonn, den 22. November 1990 Beginn: 10.01 Uhr
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    Berichtigung 235. Sitzung, Seite 18839B, Zeile 10 von unten: Statt „Es wird Überweisung an die zuständigen Ausschüsse beantragt." ist „Es wird Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß beantragt." zu lesen. Anlage i Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 22. 11. 90 * Antretter SPD 22. 11. 90 * Frau Becker-Inglau SPD 22. 11. 90 Beckmann FDP 22. 11. 90 Frau Beer GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Bindig SPD 22. 11. 90 Frau Birthler GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Börnsen (Ritterhude) SPD 22. 11. 90 Borchert CDU/CSU 22. 11. 90 Brunner CDU/CSU 22. 11. 90 Büchler (Hof) SPD 22. 11. 90 Frau Bulmahn SPD 22. 11. 90 Daweke CDU/CSU 22. 11. 90 Dörfler GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Frau Faße SPD 22. 11. 90 Francke (Hamburg) CDU/CSU 22. 11. 90 Frau Fuchs (Verl) SPD 22. 11. 90 Gattermann FDP 22. 11. 90 Graf SPD 22. 11. 90 Gröbl CDU/CSU 22. 11. 90 Grünbeck FDP 22. 11. 90 Dr. Haack SPD 22. 11. 90 Haack (Extertal) SPD 22. 11. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 22. 11. 90 Häfner GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 22. 11. 90 Hasenfratz SPD 22. 11. 90 Dr. Haussmann FDP 22. 11. 90 Frhr. Heereman von Zuydtwyck CDU/CSU 22. 11. 90 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 22. 11. 90 Frau Hürland-Büning CDU/CSU 22. 11. 90 Dr. Jobst CDU/CSU 22. 11. 90 Jung (Düsseldorf) SPD 22. 11. 90 Frau Kelly GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Kißlinger SPD 22. 11. 90 Koschnick SPD 22. 11. 90 Kossendey CDU/CSU 22. 11. 90 Kreuzeder GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Kühbacher SPD 22. 11. 90 Dr. Langner CDU/CSU 22. 11. 90 Maaß CDU/CSU 22. 11. 90 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 22. 11. 90 Meyer SPD 22. 11. 90 Dr. Modrow Gruppe 22. 11. 90 der PDS Dr. Müller CDU/CSU 22. 11. 90 * Platzeck GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Dr. Pohlmeier CDU/CSU 22. 11. 90 Reddemann CDU/CSU 22. 11. 90 * Regenspurger CDU/CSU 22. 11. 90 Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Frau Rehm CDU/CSU 22. 11. 90 Dr. Schäuble CDU/CSU 22. 11. 90 Schmidt (München) SPD 22. 11. 90 Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 22. 11. 90 Schütz SPD 22. 11. 90 Schulz GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Dr. Seifert Gruppe 22. 11. 90 der PDS Seiters CDU/CSU 22. 11. 90 Spilker CDU/CSU 22. 11. 90 Frau Trenz GRÜNE/ 22. 11. 90 Bündnis 90 Vosen SPD 22. 11. 90 Waltemathe SPD 22. 11. 90 Frau Weiler SPD 22. 11. 90 Weinhofer SPD 22. 11. 90 Wiefelspütz SPD 22. 11. 90 Wischnewski SPD 22. 11. 90 Wissmann CDU/CSU 22. 11. 90 Dr. Wittmann CDU/CSU 22. 11. 90 Zeitlmann CDU/CSU 22. 11. 90 Dr. Zimmermann CDU/CSU 22. 11. 90 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede des Abgeordneten Glos (CDU/CSU) zu Tagesordnungspunkt 2 Aussprache zur Haltung der Bundesregierung zur Erhöhung von Steuern und Abgaben Glos (CDU/CSU): Die CDU/CSU plant keine Steuererhöhungen, weder eine höhere Mehrwertsteuer noch eine höhere Mineralölsteuer noch eine sonstige Steuererhöhung. Es gibt keinen Grund, unsere langjährig erfolgreiche Politik des knappen öffentlichen Geldes und der Verbreiterung des privaten Sektors unter dem Vorzeichen der Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland aufzugeben. Unsere Politik der Senkung der Steuerquote - wir haben 1990 mit rund 22,5 Prozent den niedrigsten Stand seit 30 Jahren - hat zum Beispiel entscheidend dazu beigetragen, daß wir - auf dem Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik - jetzt in das neunte Jahr ununterbrochenen Wirtschaftswachstums hineingehen. Im Gegensatz zur SPD - die eine 9prozentige Ergänzungsabgabe, eine Erhöhung der Mineralölsteuer um 50 Pfennig je Liter sowie zahlreiche sogenannte Ökosteuern fordert - ist die CDU/CSU der Auffassung, daß Steuererhöhungen das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen und damit die solideste aller Finanzierungsquellen verschütten würden. Entgegen der Äußerung von Graf Lambsdorff am Sonntag in „Bonn direkt" ist die CDU/CSU in Sachen Finanz- und Steuerpolitik mindestens so sattelfest wie die FDP. Anders als die FDP fordern CDU und CSU 18934* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. November 1990 zum Beispiel keine Vermehrung der Steuervielfalt um eine Klimasteuer. Wenn Graf Lambsdorff am vergangenen Wochenende meinte, feststellen zu müssen, daß die CDU/CSU in der Finanz- und Steuerpolitik wackelt, dann spricht er gegen besseres Wissen, denn die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und insbesondere die Finanz- und Steuerpolitiker haben nie gewackelt. In dieser hektischen Wahlkampfzeit ist seine Aussage nur als Profilierungsversuch zu werten, die FDP als bessere Steuererhöhungsverhinderungspartei darzustellen. Bedeutend mehr Freude macht uns natürlich, wenn der wirtschafts- und finanzpolitische Mentor der SPD, Professor Karl Schiller, vor zwei Wochen bei der von der SPD verlangten öffentlichen Anhörung zur Finanzierung der deutschen Einheit bestätigt hat, daß er — Schiller — nicht anders gehandelt hätte als unser CSU-Bundesfinanzminister Theo Waigel. Wir von der CDU/CSU verstehen ja, daß ein solches Lob aus der roten Ecke an die schwarze Adresse die FDP schmerzen muß. Ist es doch ihr Wirtschaftsminister, der seit langem jegliches Lob schmerzlich vermißt. Auf einem anderen Blatt steht die Notwendigkeit, die Leistungs- und Innovationskraft der Sozialen Marktwirtschaft verstärkt in den Dienst der Umwelt zu stellen. Unabhängig von der Finanzierung des Anpassungsprozesses in den neuen Bundesländern und seiner sozialen Absicherung ist eine breitere Anwendung des Verursacherprinzips mit marktwirtschaftlichen Maßnahmen geboten. Dazu können auch nichtsteuerliche Sonderabgaben gehören, wenn sie das Ziel verfolgen und auch geeignet sind, schädliche Umweltbelastungen zu verringern und bereits eingetretene Schäden zu beseitigen. Das Aufkommen solcher Sonderabgaben nimmt in dem Maße ab, in dem das Umweltziel erreicht wird. Eine solche Sonderabgabe hat also nichts mit Steuererhöhungen zur Aufbesserung der Staatseinnahmen zu tun, meine Damen und Herren von der Opposition! Steuererhöhungen schmälern die Investitionsbereitschaft und die Leistungsbereitschaft der Betriebe und der Berufstätigen. Sie wirken preistreibend. Dadurch wird eine verhängnisvolle Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt, die zwar kurzfristig inflationsbedingte Steuermehreinnahmen bringen kann, aber mittelfristig mit realen Wachstumsverlusten und folglich Steuerverlusten bezahlt werden muß. Die richtige Finanzpolitik im vereinten Deutschland heißt vor allem Ausgabendisziplin. Unabweisbare Mehrausgaben für die Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland müssen mit Ausgabeeinsparungen in den öffentlichen Haushalten verbunden werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt deshalb den Beschluß der Bundesregierung, den mittelfristigen Ausgabenanstieg im Bundeshaushalt auf durchschnittlich 2 Prozent jährlich zu begrenzen. Auf Grund der kurzfristig notwendigen Unterstützung des Anpassungsprozesses in den neuen Bundesländern ist auch eine vorübergehend höhere Nettokreditaufnahme im Bundeshaushalt erforderlich. Vor allem 1991 wird es zu Mehrbelastungen kommen, die aber auf der Grundlage der dynamischen Wirtschaftsentwicklung in den alten Bundesländern und des baldigen Aufschwungs in den neuen Bundesländern bewältigt werden können. Meine Damen und Herren! Der Wiederaufbau des östlichen Teils unseres Vaterlandes ist die größte und wichtigste Investition seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Auf mittlere Sicht wird der ökonomische Nutzen der deutschen Wiedervereinigung die zusätzlichen Belastungen von heute deutlich übersteigen. Auch aus diesem Grunde ist eine vorübergehend höhere Nettokreditaufnahme der bessere Weg als die von der SPD geforderten neuen Steuern und Abgaben. Karl Schiller hat der SPD in der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses am 7. November folgendes vorgerechnet: Die Einführung der SPD-Ergänzungsabgabe würde gerade diejenigen Steuerpflichtigen treffen, die die höchste Sparquote haben. Damit würde das Weniger an Kreditaufnahme des Staates auf ein Weniger an Kreditangebot der Privaten treffen und hätte deshalb keinerlei zinsentlastende Wirkung. Frau Matthäus-Maier sollte noch mal bei Herrn Schiller studieren; vielleicht ist er sogar bereit, ihr Privatunterricht zu geben. Noch eine Bemerkung an die Adresse von Graf Lambsdorff: Die privatwirtschaftliche Finanzierung und Durchführung von Investitionsprojekten soll nach dem Eckwertebeschluß der Bundesregierung, der vor 9 Tagen gefaßt wurde, für eine zusätzliche Entlastung der öffentlichen Haushalte sorgen. Soweit geeignete Objekte vorhanden sind, die Private besser als die öffentliche Hand erbringen können, sind die rechtlichen und sachlichen Voraussetzungen für eine privatwirtschaftliche Finanzierung baldmöglichst geschaffen. Dies ist die Beschlußlage, die die FDP im Kabinett mitgetragen hat. Es ist deshalb — zurückhaltend formuliert — unfair, wenn der Vorsitzende der FDP die Möglichkeit der privaten Finanzierung eines Autobahnbaus im östlichen Deutschland durch Gebühren als ein Marterinstrument bezeichnet und damit den Regierungsbeschluß konterkariert. Oder weiß Graf Lambsdorff nicht, daß die von ihm bevorzugte Vignette nach Schweizer Muster nichts anderes ist als eine Pauschalgebühr für die Autobahnbenutzung? Trotz des wahlkampfbedingten Geplänkels werden wir in der Koalition unsere bewährte Zusammenarbeit im Kampf gegen eine zu hohe Steuerbelastung für Bürger und Unternehmungen fortsetzen. Unsere Finanzpolitik hat die Angebotsbedingungen der Volkswirtschaft innerhalb von 8 Jahren nachhaltig verbessert, den Wohlstand der Bürger erhöht und die Selbstfinanzierungskräfte der Sozialen Marktwirtschaft gestärkt. Die glänzende Verfassung unserer Volkswirtschaft auf dem Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik ist ganz wesentlich ein Ergebnis unserer wachstums- und investitionsfreundlichen Finanz- und Steuerpolitik. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. November 1990 18935* Die Bürger und Bürgerinnen unseres Landes haben keinen Grund, ausgerechnet jetzt die Wirtschafts- und Finanzpolitik den Sozialisten als Experimentierfeld zu überlassen. Das SPD-Konzept eines völligen ökologischen Umbaus unseres Steuersystems verkennt grundlegende finanzpolitische Zusammenhänge. Ein Umkrempeln des Steuer- und Abgabesystems im Zeichen des Umweltschutzes würde irreparable Störungen unserer Wirtschafts- und Sozialordnung zur Folge haben. Dies kann sich das vereinte Deutschland, das international zunehmend in die Pflicht genommen ist, nicht leisten. Anlage 3 Amtliche Mitteilung Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 15. November 1990 ihren Entschließungsantrag auf Drucksache 11/8438 zurückgezogen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Antje Vollmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzten 500 Jahre europäischer Zivilisation kannten neben unzähligen Kriegen auch vier große europäische Friedenskonferenzen: Den Westfälischen Frieden, den Wiener Kongreß, den Versailler Frieden und nun den KSZE-Gipfel von Paris. Auch aus dem letzten, diesem Kalten Krieg kriechen die Völker Europas heraus wie aus einer zu langen und zu kalten Frostperiode. Sie begreifen die neue Ordnung noch nicht und wissen noch nicht: Wird dieser Frieden nun von Dauer sein?
    Einiges ist diesmal sicher anders als früher und vielleicht hoffnungsvoller: Auf dem Schlachtfeld des Kalten Krieges blieben nicht Millionen Tote zurück wie früher, wenn auch immer noch zu viele Verluste und Schädigungen von Menschen zu beklagen sind. Und es sind diesmal nicht die Sieger, die die Landkarte Europas im Rausch ihres Erfolges neu entwerfen. Formal jedenfalls waren sie alle gleichberechtigt, die am Runden Tisch in Paris Platz nahmen. Es gab also keine Sieger mit Waffen; das ist wahr. Trotzdem hat es so etwas wie Gewinner gegeben, und wir Deutschen gehören dazu. Die Frage aber, die in Paris als Schrift groß an der Wand stand, ist nicht beantwortet worden: Wird es auch keine Verlierer geben?
    Paris war vorerst nur der Abschluß einer Epoche, deren Ordnung berechenbar, waffenstarrend und ungerecht war. Ob es in der unsicheren Zukunft Europas wirklich keine Verlierer geben wird, hängt ganz und gar davon ab, ob es gelingt, eine gerechte Zukunftsordnung für dieses neue europäische Haus zu entwerfen.

    (Beifall bei den GRÜNEN/Bündnis 90 und bei Abgeordneten der SPD)

    Dieser Frage will ich in acht Punkten nachgehen. Diese achte Punkte kann man — je nach Blickwinkel — als Ausdruck von Sorge oder als umgestülpte Hoffnungen ansehen.
    Zum ersten: Entstehen die neuen europäischen Ideen wirklich schneller, als die alten europäischen Wahnideen zurückkehren? Es erscheint keineswegs



    Frau Dr. Vollmer
    zufällig, daß sich mitten im risikoreichen Geburtsvorgang eines neuen Verhältnisses der Völker Europas zueinander wieder die alten Gespenster melden. Mit den Waffen und Techniken der Alten und der Neuen Welt droht — wir haben schon darüber gesprochen — Kriegsgefahr am Golf. Und wieder geht es dabei — neben anderen Gründen — auch um den Anspruch Europas auf Energieressourcen, wie in vielen europäischen Konflikten der früheren Jahrhunderte auch.
    Und da ist die nicht endenwollende Krise der Entkolonialisierung der Sowjetunion mit ihren wild aufbrechenden Nationalitätenkonflikten; da sind Krawalle, Verschärfung der sozialen Konflikte und drohende Hungerrevolten in den großen Städten Osteuropas, und da gibt es wieder Fremdenhaß und Pogrome.
    Dies alles erzeugt ungeheure Anforderungen an die Politik. Sie muß in der Lage sein, durch Selbstfesselung den drohenden Kriegsausbruch zu verhindern. Sie muß in der Lage sein, Hoffnungen gerade aus Osteuropa zu erfüllen, von denen wir nicht einmal wissen, ob es überhaupt möglich ist, sie nicht allzu sehr zu enttäuschen; und sie muß praktisch die Menschenrechte schützen und Toleranz stärken.

    (Beifall bei den GRÜNEN/Bündnis 90 und der SPD)

    Zum zweiten. Michail Gorbatschow hat in seiner Rede am 9. November gesagt: Wir brauchen eine ganz neue Kategorie in den internationalen Beziehungen, das Vertrauen! — Vertrauen ist gut, meinte schon Lenin, aber er konnte hinter diesen Satz keinen Punkt setzen; Kontrolle ist besser, hat er darum gleich hinter's Semikolon gesetzt. Gleiches tun heute alle die, die meine, die Einheit Europas immer noch mit Waffen bewachen zu müssen. Vertrauen ist gut, sagt Gorbatschow, Kontrolle ist besser, murmelt Herr Bush und murmelte Frau Thatcher, die gerade zurückgetreten ist, und murmelt auch Herr Wörner.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat auch Herr Gorbatschow gesagt!)

    Gegenüber der ungeheuren Risikobereitschaft der Selbstauflösung des Warschauer Pakts erscheint die NATO quasi als eine Agentur des Mißtrauens, quasi als letzte Zentrale dieses lenistischen Denkens.

    (Frau Geiger [CDU/CSU]: Das ist wohl ein Witz!)

    Es ist im übrigen bemerkenswert, zu welch romantischen Landschaftsskizzen sich auch die sonst so kühl-rationale FAZ aufwirft, wenn es um die NATO geht. Da schreibt Karl Feldmeyer am 19. November, die NATO gewährleiste „die Teilhabe an der Tiefe des strategischen Raums". — Aha, Teilhabe an der Tiefe des strategischen Raums also! Wer denkt dabei nicht an Napoleon, von anderen Feldherren ganz zu schweigen! Denkt man auch an ihr Ende?

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Wir denken, der Kalte Krieg ist vorbei, aber Sie lassen ihn wieder auferstehen!)

    Zum dritten. NATO und KSZE können auf Dauer keine Partner sein, so wie gewaltfreie Politik und Gewaltpolitik nie Brüder sein können.
    Ob wir mutig genug sind, die Waffen aus der Hand zu legen, oder so feige, daß wir Vertrauen pur nicht ertragen können, daran, glaube ich, entscheidet sich die Zukunft Europas. Was wir brauchen ist nicht mehr und nicht weniger als eine radikale Umwertung aller politischen Werte. Solange uns der ältlich-stählerne Charme der NATO als Stärke und das mutige und idealistische Gebilde KSZE als zu schwach erscheint, solange, glaube ich, bleiben wir weiterhin Kinder des 20. Jahrhunderts.

    (Beifall bei bei den GRÜNEN/Bündnis 90 und der SPD — Frau Geiger [CDU/CSU]: Die bleiben wir sowieso!)

    Rein realpolitisch gibt es für mich aus diesen Überlegungen nur folgende Konsequenz: Entweder löst sich die NATO in absehbarer Zeit zugunsten eines über die KSZE entstehenden gesamteuropäischen neuen Sicherheitssystems auf, in dem alle Länder Europas Mitglied sein können, oder alle osteuropäischen Staaten, inklusive der Sowjetunion, erhalten die Möglichkeit, Mitglied der NATO zu sein, was eine völlige Umkrempelung der NATO bedeuten würde und somit faktisch auf dasselbe hinausliefe.

    (Beifall bei der GRÜNEN/Bündnis 90 und der SPD)

    Zum vierten: Was fangen die Deutschen mit ihrer neuen Rolle in der Mitte Europas an? — Mein altes Thema. Mit der deutschen Vereinigung ist ein neues Machtzentrum entstanden, genauer, ein altes hat eine neue Qualität bekommen. Das neue Deutschland ist eben nicht die BRD plus ein bißchen. Das Neue besteht nicht nur darin, daß Deutschland jetzt auch ökonomisch noch stärker wird. Das eigentlich Neue liegt auch nicht allein in der günstigen Brückenstellung zwischen Ost und West. Vielmehr ist so etwas wie ein neuer ideologischer Leitstern am Horizont Europas erschienen, der die sowjetische Jahrhundertvision vom proletarischen Weltreich, aber eben auch die Leitfunktion des American way of life ablöst.

    (Duve [SPD]: Ablösen könnte!)

    Von gefährlicher Faszination erstrahlt also nun der „German way of life" eine Lebensart, in der sich Mercedes und die Grünen, Seidenhemden und soziale Sicherung friedlich zu verbinden scheinen.

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Die fahren sogar da drin, Frau Kollegin!)

    Die amerikanische Art zu leben, die noch zu Kennedys Zeiten höchst erfolgreich war und seine Politik begleitet hat, hat drei Kennzeichen, die sie heute offenbar zu einem auslaufenden Modell macht.

    (Frau Würfel [FDP]: Nach Ihrer Meinung!)

    Erstens. Die Spaltung zwischen Arm und Reich ist tief und brutal.
    Zweitens. Der Energieverbrauch ist so grotesk hoch, daß diese Art der Verschwendung im beginnenden Zeitalter der Ökologie allzu deutlich die Zeichen ihres eigenen notwendigen Untergangs trägt.



    Frau Dr. Vollmer
    Drittens. Die Neigung der amerikanischen Politik zum Militärischen und zur Weltpolizistenrolle erscheint unausrottbar.

    (Hornung [CDU/CSU]: Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie reden!)

    Dagegen, nur dagegen erscheint Deutschland heute vergleichsweise zurückhaltend, intelligent, effizient und stark. Dieses Bild macht Deutschland im Wortsinn zu einem Fluchtpunkt mitten in Europa, zu einem Punkt, wohin man fliehen will. Doch — darauf bestehe ich — ist dieser „German way of life" nicht die Spitze der globalen Hoffnung, sondern nur ihre am besten funktionierende Illusion. Und doch ist er eher das schillernde und damit gefährliche Ende einer Epoche als der Beginn einer neuen.

    (Hornung [CDU/CSU]: Der antisozialistische Markt hat den Kommunismus besiegt! So ist das!)

    Wir sind derzeit nur das lustigste und eleganteste Bluesorchester auf der Titanic der Weltgesellschaft.

    (Beifall bei der GRÜNEN/Bündnis 90 und der SPD)

    Wie soll daraus ein gemeinsamer Aufbruch zur Überwindung der ökonomischen und sozialen Spaltung Europas entstehen? Das ist die Hauptaufgabe. Wie sollen damit die dunklen Wolken der Armut von Osteuropa vertrieben werden, von denen Tadeusz Mazowiecki gesprochen hat? Das Gegenteil geschieht: Im Osten bahnt sich im Augenblick ein gnadenloser Kampf um einen der wenigen Plätze im Rettungsboot Europa an.

    (Frau Geiger [CDU/CSU]: Warum müßt ihr alles so schwarzsehen? Das ist ja furchtbar!)

    Bei uns werden im Geist und in den Gesetzesschmieden neue Mauern konstruiert. Die Wirkung des westlichen Modells auf den Osten ist mittlerweile so, daß die Menschen dort wie Ertrinkende beginnen, sich von allem zu trennen, was auf dem schnellen Weg zum Westen oder zur Kopie des Westens hinderlich sein könnte.
    Der erste Impuls von West nach Ost war wirklich die Freiheit und die Demokratie, der zweite scheint Brutalität und Egoismus zu sein. Dazu gehört auch die beispiellose Geschichtsvergessenheit, daß wir ausgerechnet die sowjetischen Juden, die zu uns reisen wollen — das ist erstaunlich genug — , zurückweisen. Dagegen bitten wir Sie, unseren Antrag zu unterstützen.

    (Beifall bei den GRÜNEN/Bündnis 90 und bei Abgeordneten der SPD)

    Zum fünften. Wir müssen bei uns anfangen. Wir brauchen einen historischen Kompromiß mit Osteuropa, und wir brauchen einen neuen Begriff von einer europäischen und von einer Weltbürgergemeinsamkeit.
    In bezug auf die Menschenrechte und die politischen Freiheiten konnten die westlichen Demokratien tatsächlich ein Vorbild für Osteuropa sein. In bezug auf die Ökonomie — darauf bestehen wir GRÜNEN — dürfen wir kein Vorbild sein. Darum müssen gerade
    die westlichen Staaten ökonomisch abrüsten. Sie müssen ihren Krieg gegen die Natur, die Zerstörung des Bodens durch die Agrarindustrie und die Überflutung der Erde mit Gift und Abfall beenden.

    (Beifall bei den GRÜNEN/Bündnis 90 und bei Abgeordneten der Gruppe der PDS)

    Oder wollen wir demnächst die Deponie Schönberg erst nach Polen, dann in die Sowjetunion und schließlich nach Afrika exportieren?

    (Hornung [CDU/CSU]: Nach Joschka Fischer!)

    Sicherheit wird auch die KSZE in Zukunft nur noch dann schaffen können, wenn sie die Ökologie in den Mittelpunkt rückt. Die KSZE braucht einen vierten Korb, einen grünen Korb, einen Korb eigens und ausdrücklich für die Ökologie.

    (Beifall bei den GRÜNEN/Bündnis 90)

    Nebenbei bemerkt: Daß man ausgerechnet die Frauen einfach mit ins erste Körbchen hineinlegt, kann doch wohl nicht der Beitrag der KSZE zur Emanzipation der Frauen sein.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das wird das Kernproblem der KSZE gewesen sein!)

    Noch zwei weitere Vorschläge. Nach dem Vorbild des Club of Rome sollte es einen Club of Bitterfeld — oder wie immer man ihn nennen will — , einen Zusammenschluß westeuropäischer Wissenschaftler, Unternehmer, Gewerkschafter, Umweltschützer und Banker zur Planung und Durchführung der ökologischen Erneuerung der Industrien und Landwirtschaften Osteuropas, geben. Und man sollte die demütigende Nutzlosigkeit der sowjetischen Soldaten auf dem Boden der ehemaligen DDR beenden.

    (Beifall bei den GRÜNEN/Bündnis 90)

    Sie könnten mit einer großzügigen handwerklichen und ökologischen Ausbildung umgeschult werden und damit wichtige Initiativen zur Ausbildung in ihrem Land leisten.

    (Beifall bei den GRÜNEN/Bündnis 90 sowie bei Abgeordneten der SPD und der Gruppe der PDS)

    Das wäre dann eine Konversion menschlicher Fähigkeiten, die auch allen anderen Soldaten guttäte, insbesondere auch den amerikanischen, die im Augenblick Bremerhaven und Frankfurt Nacht für Nacht zur Drehscheibe im Golfkrieg machen.

    (Beifall bei den GRÜNEN/Bündnis 90 und der Gruppe der PDS sowie des Abg. Dr. Soell [SPD])

    Der sechste Punkt. Zur Lösung der Zukunftsaufgaben der zukünftigen Europäer müssen wir alte Lasten loswerden, vor allem die Bürokratien, die durch den Kalten Krieg gewachsen sind. Die Bürokratien sind der neue Feudaladel Europas. Die UdSSR ist unter der Last von 17 Millionen Bürokraten zusammengebrochen, auch ökonomisch.

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Sagen Sie den Satz noch einmal ganz langsam zum Mitschreiben!)




    Frau Dr. Vollmer
    Ich befürchte, daß auch dies ein gesamteuropäisches Problem ist. Die überflüssige Nomenklatura wegzukriegen, die überflüssige NATO aufzulösen und den die EG-Bürokratie auf ein rationelles Maß zurückzustutzen, auch das sind gigantische Zukunftsaufgaben für Europa.

    (Beifall bei den GRÜNEN/Bündnis 90 sowie bei Abgeordneten der SPD und der Gruppe der PDS)

    Weitergehende Abrüstung in Europa wäre dazu der wichtigste Schritt und eine doppelte Befreiung: von den Kosten und von den Sicherheitsapparaten. Warum also geschieht das nicht? Warum geht die mächtige, starke Bundesrepublik da nicht voran? Ich glaube, CDU und FDP können es nicht, weil sie — wie schon die Rüstungsexporte gezeigt haben — mit den Militärbürokratien und -industrien seit Jahrzehnten zu sehr verbrüdert sind. Es fehlt ihnen der Mut, alte Freunde in die Bedeutungslosigkeit zu entlassen; es mangelt ihnen manchmal auch an pazifistischer Phantasie.
    Sie, Herr Genscher, haben in Ihrer Rede letzte Woche die gleichzeitige Anwesenheit von Offizieren verschiedener Pakte

    (Bundesminister Genscher: Soldaten!)

    — oder Soldaten — in ein und derselben Stadt als die Spitze der europäischen Sicherheitspartnerschaft skizziert. Ich kann nur sagen: Die Spitze ist erst erreicht, wenn sich diese Soldaten als Zivilisten begegnen.

    (Beifall bei den GRÜNEN/Bündnis 90 und der Gruppe der PDS)

    Wie lange, Herr Bundeskanzler, müssen wir eigentlich noch auf Ihre Phantasie warten, sich endlich einmal bei der Friedensbewegung zu bedanken?

    (Beifall bei den GRÜNEN/Bündnis 90, der SPD und der Gruppe der PDS — Duve [SPD]: Bei der er sogar den Slogan geklaut hat!)

    Der siebte Punkt: Der KSZE-Gedanke muß ausgebaut und mit wirklicher Macht ausgestattet werden. Am Anfang der KSZE waren nur die Träumer klug. Die Zweifler waren damals die historisch Dummen. Die CDU gehörte — das hat der Bundeskanzler dankenswerterweise anerkannt — zu den letzteren, zu den Dummen.
    Grundlage des KSZE-Prozesses war ursprünglich nämlich eine Fiktion — eine Fiktion des guten Willens aller Vertragsparteien, eine Fiktion, die zunächst naiv und idealistisch schien, mittlerweile aber geschichtsträchtig geworden ist. Auch in Zukunft geht es bei der KSZE um eine Fiktion, um eine Fiktion des Runden Tisches und der Gleichheit aller Beteiligten. Hoffentlich ist diese Fiktion ebenso erfolgreich, hoffentlich führt sie zu einer Gleichheit unter den Menschen Europas und damit auch inhaltlich zu einer Ablösung des sozialistischen Ideals von Gleichheit.
    Dazu aber ist eine Stärkung dieses Gremiums nötig, die mit den jüngsten Beschlüssen allenfalls angedeutet, aber noch keinesfalls eingeleitet wurde. Die Idee einer europäischen Konföderation ist hier am meisten zu fördern, weil sie am meisten auf diesem Prinzip der Gleichberechtigung besteht.
    Aber eine Konföderation braucht kein Machtzentrum. Europa besteht heute aus mehr als 30 Staaten. Morgen schon können es 40 oder 50 sein, je nachdem, wie sich Jugoslawien, die Sowjetunion, aber auch manche Länder Westeuropas entwickeln werden. Allein schon diese Zahlen zeigen: Jeder Versuch eines gesamteuropäischen Zentralismus fördert nur die alten Großmachtrivalitäten und kann deswegen nur schiefgehen.
    Der letzte Punkt: Das gilt auch für jede Art von neuer europäischer Weltbeglückungsaktion. Was auch immer wir in Europa machen — es darf nur die Hälfte unserer Kraft beanspruchen. Die eigentliche Aufgabe wird immer mehr das Verhältnis zum Süden sein.
    Peter Sloterdijk hat gesagt: Die Pointe des 20. Jahrhundert ist, daß die Dinge so weit gekommen sind, daß der imperiale Ring um den Erdkreis geschlossen ist.
    Durch unsere Wirtschaftsweise wird heute aus jedem Geiselnehmer auch eine Geisel und aus jedem Erpresser auch ein Erpreßter. Das wird das Schicksal der Nationen im 3. Jahrtausend bestimmen.
    Wir werden uns einleben müssen — so Peter Sloterdijk —
    in einer Welt, in der die fremden Lebenden wichtiger werden als die eigenen Toten.
    Das wäre dann auch das Ende der nationalen Egoismen, und genaugenommen ist gerade das eine der größten Hoffnungen für Europa.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei den GRÜNEN/Bündnis 90, bei der Gruppe der PDS und der SPD)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Kollegin Dr. Vollmer, Sie gehören zu denjenigen, die jetzt ihre letzte Rede in diesem Parlament gehalten haben. Da ich weiß, daß die Präsidentin am Schluß unserer heutigen Tagesordnung uns alle, die wir hier ausscheiden, in besonderer Weise ansprechen will, bitte ich Sie um Verständnis dafür, daß ich jetzt dazu nichts sage.
Graf Lambsdorff ist der nächste Redner.

(Frau Garbe [GRÜNE/Bündnis 90]: Ist das auch seine letzte Rede?)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist in der Tat nicht meine letzte Rede in diesem Parlament. Aber es muß ja auch für die Frau Kollegin Vollmer nicht die letzte sein; es kann ja einmal eine Legislaturperiode lang unterbrochen werden. Wer weiß denn, was alles noch geschieht.

    (Hornung [CDU/CSU]: Nur für Gysi wird es die letzte sein!)

    — Für wen auch immer. Jeder hier in diesem Hause hat sicherlich seine Wünsche und wünscht sich manchen als letzten Redner in seiner letzten Legislaturperiode. Da ist der Phantasie keine Grenze gesetzt.
    Meine Damen und Herren, die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden und in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, das sind die



    Dr. Graf Lambsdorff
    Ziele, die das Grundgesetz den Deutschen und insbesondere den politisch Handelnden vorgegeben hat. Für die FDP hat es nie einen Zweifel daran gegeben, daß sie ihre ganze Kraft für die Erfüllung dieser Aufträge einsetzen wird.
    Seit dem 3. Oktober leben die Deutschen wieder in einem Staat mit einer Verfassung, einem Parlament und einer Rechts- und Wirtschaftsordnung. Den ersten Auftrag unseres Grundgesetzes haben wir damit erfüllt.
    In den vergangenen Tagen haben die europäischen Staaten, die USA und Kanada in Paris gemeinsam die Fundamente für eine Friedensordnung in Europa gelegt und in der Charta für Europas Zukunft Einvernehmen über wesentliche Elemente der Konstruktion des gemeinsamen europäischen Hauses gefunden.
    Die europäische Friedensordnung ist damit keine Vision mehr, sondern ein konkretes Handlungsprogramm. Die Entwicklung in Europa seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes hat es nicht immer einfach gemacht, sich den Glauben daran zu erhalten, daß die Einheit Deutschlands und eine europäische Friedensordnung Ziele sind, die durch konkretes politisches Handeln verwirklicht werden können.
    1967, sechs Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer und ein Jahr vor der Niederschlagung des Prager Frühlings, schrieb der Westen im Harmel-Bericht das Konzept dessen auf, was jetzt Wirklichkeit geworden ist:
    Die Entwicklung der sowjetischen und osteuropäischen Politik berechtigt zu der Hoffnung, daß diese Regierungen schließlich die Vorteile erkennen werden, die auch ihnen aus der gemeinsamen Erarbeitung einer friedlichen Regelung erwachsen.
    Und weiter:
    Jede derartige Regelung muß die unnatürlichen Schranken zwischen Ost- und Westeuropa beseitigen, die sich in der Teilung Deutschlands am deutlichsten und grausamsten offenbaren.
    Zu dieser Zeit regierte in Bonn die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD. Beide Parteien zogen außen- und deutschlandpolitisch mit großer Energie in entgegengesetzte Richtungen und sorgten so für Unbeweglichkeit. Die FDP bemühte sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, auf die Notwendigkeit einer neuen Ostpolitik hinzuweisen.
    1969 ermöglichte der Wähler die Bildung der sozialliberalen Koalition, die den deutschen Beitrag zur Schaffung einer europäischen Friedensordnung einleiten konnte.
    Die Regierung Brandt/Scheel schloß die Verträge mit der Sowjetunion, mit Polen, mit der Tschechoslowakei und mit der DDR. Sie waren ein entscheidender Beitrag zur Herstellung der noch schwankenden Vertrauensbasis, die die Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluß des ersten KSZE-Gipfels 1975 in Helsinki war.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Die Ostverträge und die Einleitung des KSZE-Prozesses mußten damals gegen den heftigen Widerstand der CDU/CSU durchgesetzt werden.
    Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, erinnern Sie sich noch daran, wie Sie das KSZE-Dokument von Helsinki damals charakterisiert haben? Sie sagten: „Supermarkt von Attrappen. "

    (Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Der Herr Bötsch war das!)

    — Herr Bötsch hat das alles heute so in Watte verpackt.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das ist jetzt die Abteilung Binnenwahlkampf!)

    — Meine Damen und Herren, zum Thema „Binnenwahlkampf" kann ich nur sagen: Der Kollege Bötsch hat mir vor ein paar Minuten gesagt, die FDP bekomme bald die absolute Mehrheit. Ich habe ihm gesagt: Noch ein paar CSU-Wahlkongresse, dann könnten wir das vielleicht schaffen.

    (Heiterheit und Beifall bei der FDP)

    Selbstverständlich; war auch uns nicht verborgen
    geblieben, daß die Schlußakte von Helsinki nicht viel mehr als ein politisches Programm war, das im Rahmen eines langfristigen Prozesses mit konkretem, vertraglich fixiertem Inhalt ausgefüllt werden mußte. Wir machten uns an die Arbeit.
    Der Pariser Gipfel zeigt, daß wir uns auf den richtigen Weg begeben hatten. Die Sowjetunion war erst unter Präsident Gorbatschow bereit, die Perspektiven des KSZE-Prozesses wirklich auszuloten. Er erkannte die Möglichkeiten, die sich aus den Rahmenbedingungen des KSZE-Prozesses für die Sowjetunion ergeben. Er verzichtete darauf, anderen Völkern mit Gewalt seinen Willen aufzuzwingen. Er verschaffte den Menschenrechten in der Sowjetunion Geltung, und er entsprach damit wesentlichen Forderungen der KSZE-Vereinbarungen. Dies ist sein historisches Verdienst.
    Der von ihm eingeleitete Wandel der sowjetischen Politik machte 1986 den ersten großen Erfolg der KSZE-Sicherheitspolitik möglich: die Stockholmer Vereinbarungen über vertrauensbildende Maßnahmen. 1987 folgte die Vereinbarung über die beiderseitige und vollständige Beseitigung der Mittelstreckenwaffen. Der NATO-Doppelbeschluß, den wir in der Regierung Schmidt gemeinsam mit der SPD gefaßt hatten, wurde zum Erfolg und zugleich zum entscheidenden Beweis für die Veränderung der Politik der Sowjetunion.

    (Beifall bei der FDP)

    Die SPD hatte in dieser wie auch in anderen Fragen schon während der Regierung Schmidt den Mut verloren, und sie hat ihn bis heute nicht wiedergefunden. Auch deswegen hat Helmut Schmidt recht: Oskar Lafontaine hat einen Wahlsieg nicht verdient.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, man muß nicht nur die richtigen politischen Ideen haben, sondern auch den Mut haben, durchzuhalten, wenn es schwierig wird.



    Dr. Graf Lambsdorff
    Ich frage mich schon, Herr Bahr, wie Ihnen zumute ist, wenn Sie nachlesen, was Sie damals — 1988 — in der Veranstaltung „Nachdenken über Deutschland" in den Münchener Kammerspielen gesagt haben: „Wer dabei die deutsche Frage aufwirft, der stört Europa."

    (Zuruf von der CDU/CSU: Übelst!)

    — Nicht übel, aber es war eine Fehleinschätzung. — Jetzt ist die Frage gelöst, und niemand ist gestört.
    Der entscheidende Durchbruch des KSZE-Prozesses kam mit der Wiener Folgekonferenz, die im Januar 1989 mit einem richtungsweisenden Schlußdokument abgeschlossen wurde. Zwei Elemente dieses Dokuments sind hervorzuheben: die Festschreibung der Menschen- und Bürgerrechte und die Einsetzung von Verhandlungen über konventionelle Abrüstung in Europa.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Betonung der Menschen- und Bürgerrechte hat den Reformgruppen in den Staaten Ost- und Südosteuropas den Rücken gestärkt und dazu beigetragen, daß sie sich binnen weniger Monate durchsetzen konnten.
    Die Revolution in der früheren DDR, die den Weg zur Überwindung der Teilung Deutschlands mit friedlichen Mitteln freikämpfte, konnte sich auf die Erklärung zu den Menschenrechten der KSZE-Dokumente und auf das ungarische Beispiel stützen.

    (Hornung [CDU/CSU]: Und auf das Festhalten am Verfassungsauftrag!)

    — Vor allen Dingen auch auf das Festhalten an der einheitlichen Staatsbürgerschaft, die Herr Lafontaine abschaffen wollte.
    Die Deutschen haben ihre Einheit mit Zustimmung und Unterstützung der Vier Mächte und mit Zustimmung und Unterstützung aller ihrer Nachbarn und aller ihrer Partner vollenden können. Es gibt keinen besseren Beweis dafür, daß wir das Vertrauen der Völkergemeinschaft wiedergewonnen haben.
    Das Vertrauen gilt in ganz besonderem Maße dem deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Seine Außenpolitik der Verantwortung und Berechenbarkeit machte die schnelle Verständigung mit den Vier Mächten über die deutsche Einheit möglich. Jeder, der sieht, wie schwierig manches in den Ländern östlich unserer Grenzen heute wird, kann nur glücklich darüber sein,

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    wie schnell wir den Zwei-plus-Vier-Prozeß in trokkene Tücher gebracht haben, daß wir von allen möglichen Entwicklungen nicht mehr beeinträchtigt werden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Der römische Gipfel und eigentlich auch die KSZE-Veranstaltung sollten die deutsche Einheit ja noch gewissermaßen absegnen und billigen; man hat nur noch den Vollzug billigend zur Kenntnis nehmen können. Das war schon eine große Leistung.
    Es wird mit der FDP, mit dem Außenminister Genscher auch in Zukunft nationale Alleingänge der Deutschen nicht geben. Der KSZE-Gipfel in Paris hat die Vereinigung Deutschlands als Beitrag zur europäischen Stabilität zur Kenntnis genommen, und er hat die Einbettung der deutschen Einheit in den Aufbau der europäischen Friedensordnung unterstrichen.
    Wie weit wir auf dem Weg von der Konfrontation zur Kooperation vorangekommen sind, zeigt die von den 22 Mitgliedstaaten der NATO und des Warschauer Pakts auf dem Pariser Gipfel abgegebene feierliche Erklärung, die einen Gewaltverzicht zwischen beiden Bündnissen ausspricht und ein neues Verhältnis ihrer Mitgliedstaaten zueinander vorzeichnet.
    Meine Damen und Herren, man muß sich ja immer mühen, noch dreimal die Augen aufzureißen und die Ohren aufzumachen, um das überhaupt alles zu begreifen, was sich in den letzten zwölf Monaten entwickelt hat.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Aber der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten konnte sich noch im Januar dieses Jahres eine solche Entwicklung nicht vorstellen. Wie sonst wäre zu erklären, daß er die Einbindung eines vereinten Deutschland in die NATO für anachronistisch hielt — so wörtlich.

    (Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Hört! Hört! — Kuhlwein [SPD]: Sie wußten es im Januar auch noch nicht!)

    — In dem Zeitpunkt sind wir für die Einbindung des vereinten Deutschlands in die NATO eingetreten, aber Herr Lafontaine hat uns gesagt, das sei eine anachronistische Vorstellung. Der Anachronist und das Provisorium ist er.

    (Zuruf von der FDP: So ist es!)

    Die Bedeutung der Beteiligung der USA und Kanadas bei der Gestaltung des Friedens auf dem europäischen Kontinent unterstreicht die Transatlantische Erklärung, die die zwölf EG-Staaten und die USA und Kanada während des Pariser Gipfels unterzeichnet haben. Die amerikanische Präsenz hat in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend zur Friedenssicherung und zur Stabilität in Europa beigetragen. Gerade in der Zeit des Wandels und der Neuorientierung in Europa können und wollen wir auf diese Präsenz nicht verzichten; das europäische Haus braucht eine nordamerikanische Einliegerwohnung.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Weichen für die Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Union sind gestellt. Wir wollen die Vertiefung der Europäischen Gemeinschaft. Der Reformprozeß in der Sowjetunion, Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei und den anderen Staaten Osteuropas muß unumkehrbar werden, und er muß zu einem vollen Erfolg werden. Deshalb muß die Gemeinschaft offen sein für die neuen Demokra-



    Dr. Graf Lambsdorff
    tien und Marktwirtschaften, die schon jetzt die Perspektive einer Integration in die EG brauchen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Bahr [SPD])

    Die FDP ist — anders als der Herr Bundeskanzler — der Meinung, daß wir Deutschen geradezu verpflichtet sind, den Ungarn, den Polen, den Tschechoslowaken den Weg in die Europäische Gemeinschaft zu öffnen.

    (Bahr [SPD]: Sehr wahr!)

    Es kann nicht genug sein, an Sonn- und Feiertagen und in Staatsakten unsere Dankbarkeit gegenüber den Regierungen und Völkern zum Ausdruck zu bringen, ihnen aber das Eigentliche, was sie brauchen
    — das sind nicht Kredite und Lieferungen, sondern Integration in die westliche Wirtschaft — , zu verwehren. Das ist falsch.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

    — Nein, nein, nun wollen wir das mal nicht verstekken. Der Herr Bundeskanzler hat ausdrücklich eine andere Position noch vor drei Wochen vertreten.

    (Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Da haben Sie nicht richtig zugehört!)

    — Wir können doch noch lesen und hören.

    (Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Manchmal nur das, was man will!)

    — Aber wenn es nicht so ist, ist es ja ein leichtes, es zu sagen. Dann wäre es ja schön. Dann wären wir einig. Das machte die Koalitionsverhandlungen schon wieder einfacher, meine Damen und Herren.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP — Dr. Soell [SPD]: Ein bißchen zu sicher!)

    Von Europa, meine Damen und Herren, das zu einer neuen Form friedlichen Zusammenlebens findet, wird umfassende, weltweite Solidarität mit den wirtschaftlich, ökologisch, sozial und militärisch gefährdeten Regionen dieser Welt erwartet. Nur, sage ich, Frau Vollmer, noch einmal: Sosehr auch wir selbstverständlich dafür sind, allen ökologischen Forderungen so schnell und so umfassend wie möglich gerecht zu werden, eine Voraussetzung brauchen Sie dafür, nämlich leistungsfähige Wirtschaften; sonst sieht es nämlich am Ende so aus wie in der DDR.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Diesen Herausforderungen gerecht zu werden heißt in diesen Tagen nach Auffassung der Freien Demokraten: wir müssen der Sowjetunion im bevorstehenden Winter helfen. Das ist das Drängendste. Aber, meine Damen und Herren, Winterhilfe allein reicht nicht. Die Sowjetunion und unsere östlichen Nachbarn brauchen weitere Hilfe für ihren Weg der Reformen. Für die FDP sage ich — wohlwissend, wie schwierig das ökonomisch alles zu beurteilen ist, und ich kann das hier nur sehr kurz darstellen — zwei Punkte:
    Erstens: Zuwarten reicht nicht. Jawohl, Kredite brauchen Reformen, aber Reformen brauchen auch Kredite.

    (Bahr [SPD]: Ja!)

    Zweitens: Die Stabilität der Sowjetunion ist auch unsere Stabilität.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Bahr [SPD]: Ja!)

    Meine Damen und Herren, das Konzept für die europäische Friedensordnung liegt vor. Die ersten Baumaßnahmen sind begonnen. Es kommt jetzt darauf an, die Dynamik dieses Prozesses aufrechtzuerhalten und möglichst zu beschleunigen. Die Liberalen haben den Auftrag der Präambel des Grundgesetzes stets als konkrete Aufforderung zu politischem Handeln verstanden.
    Lassen Sie mich dies hier heute einmal sagen: Wir sind stolz auf die kontinuierliche außenpolitische Haltung und Linie unserer Partei. Mit Konrad Adenauer und der CDU/CSU haben wir die Aussöhnung nach Westen getragen, heftig bekämpft von der SPD. Mit Willy Brandt und Helmut Schmidt und der SPD haben wir die Ost- und Entspannungspolitik getragen, heftig bekämpft von CDU und CSU. Ich bekunde dem Bundeskanzler ausdrücklich meinen Respekt für die Einsicht, die er heute hier zum KSZE-Prozeß vorgetragen hat. Ich wünschte mir, Herr Bahr, daß von Ihnen eine ähnliche Erklärung — Herr Ehmke hat nichts dergleichen gesagt — und ähnliche Einsichten zum NATO-Doppelbeschluß und seiner Wirkung auch einmal kämen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich sage, Frau Vollmer, ich sehe keinen Anlaß, uns bei der Friedensbewegung zu bedanken; denn sie hätte uns den falschen Weg gewiesen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Unsere Folgerichtigkeit hat zum KSZE-Gipfel nach Paris geführt. Die Freie Demokratische Partei braucht an ihrem außenpolitischen Weg durch die vier Jahrzehnte Bundesrepublik Deutschland nichts zu korrigieren. Die Namen von zwei liberalen Außenministern stehen für diese Politik, erst Walter Scheel, unser späterer Bundespräsident. Sein Name steht unter dem Brief zur deutschen Einheit. Unter dem Schlußdokument der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen steht der Name des Mannes, der seit sechzehn Jahren die Verantwortung für die deutsche Außenpolitik hat. Die FDP sagt Hans-Dietrich Genscher Dank für eine überragende staatsmännische Leistung.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP — Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Erfolg der Konferenz der KSZE-Staaten in Paris erfüllt uns mit Freude. Meine Damen und Herren, die deutsche Einheit ist vollendet. Die Teilung Deutschlands und Europas ist überwunden.

    (Zuruf der Abg. Frau Dr. Sonntag-Wolgast [SPD])

    — Die deutsche Einheit ist vollendet, nicht die Einheitlichkeit, das wissen wir auch. Aber die staatliche Einheit ist vollendet. Warum müssen wir denn immer davon abstreichen? Warum müssen wir diesen Erfolg



    Dr. Graf Lambsdorff
    denn immer kleinschreiben? Das hat doch überhaupt keinen Sinn.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich wiederhole: Die deutsche Einheit ist vollendet. Am 3. Oktober war sie vollendet. Daß da noch viel zu tun bleibt, wissen alle; und ich glaube, wir haben bessere Konzepte als Sie.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Die Teilung Deutschlands und Europas ist überwunden.
    Heute ist die letzte Plenarsitzung dieser Sitzungsperiode. Für die Freien Demokraten sage ich — und jeder Bürger in unserem Lande kann es nachvollziehen und überprüfen — : Es hat seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland keine ertragreichere, keine erfolgreichere Legislaturperiode gegeben. Wir wollen diese Arbeit fortsetzen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)