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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Geschichte der Entwicklung und Entstehung des Zweiten Weltkriegs hat im Unterschied zum Ersten Weltkrieg viel mit der Gegenwart zu tun. Die unheilvolle Rolle eines deutschen Diktators zwingt gerade die deutsche Politik zu besonderer Sorgfalt. Der nationalsozialistische Diktator Adolf Hitler prüfte, inwieweit die Demokratien erpreßbar seien. Wir wissen aus Goebbel's Tagebuchnotizen, daß er beim Einmarsch in das entmilitarisierte Rheinland befürchtet hat, daß die westlichen Demokratien reagieren könnten. Sie haben es aus Scheu vor einem Konflikt nicht getan und wurden mit zur Ursache des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs.
Auch heute ist es ein Nationalsozialist, der wieder einmal die Welt in Flammen setzen kann. Es ist kein fundamentalistischer Glaubenskrieger. Die sozialistische Baath-Partei hat in ihrer Gesinnung sehr viel mit dem Nationalsozialismus gemein.
Die Verbindungen zur PLO, zur PLNF und auch zur deutschen Rote-Armee-Fraktion, die nach Irak und zur Baath-Partei gingen und gehen, weisen sehr deutlich darauf hin, welche Ziele Saddam Hussein verfolgt. Er hat jetzt gedroht, Terrorkommandos nach Europa zu schicken.
Herr Kollege Zeitler, Sie haben vorhin gefragt, warum im Falle des Tschad und bei ähnlichen Konflikten nicht so gehandelt wurde. Sie vergessen einen gravierenden Unterschied: Das waren innerstaatliche, bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen. Hier haben wir das erste Beispiel, bei dem ein souveräner Staat — Kuwait — vom Nachbarstaat überfallen und annektiert wurde. Der Irak hat keinerlei Ansprüche; er hat die Grenzen zu Kuwait ausdrücklich anerkannt. Es kann sich hier auch nicht um eine Korrektur kolonialer Grenzen handeln. Er bedroht heute Mekka, er droht Israel mit der Ausrottung.
Die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges haben dazu geführt, daß die UNO den Weltfrieden sichern soll. Art. 43 der UNO-Charta fordert dazu auf, dem Sicherheitsrat nach Aufforderung Streitkräfte zur Verfügung zu stellen. Ich bin der Meinung, daß Art. 24 Abs. 2 GG, wo vom System gegenseitiger kollektiver Sicherheit die Rede ist, dies abdecken würde. Eine Verfassungsänderung ist meiner Ansicht nach nicht notwendig.
Ich unterstreiche das, was das SPD-Mitglied, der bekannte Friedensforscher und frühere General, Baudissin gesagt hat, indem er dieses Verhalten hier als Drückebergerei bezeichnet.
Ziel aller Bundesregierungen und vor allem ihrer Außenminister war es in der Vergangenheit immer, die Isolierung oder Singularisierung zu vermeiden. Wenn heute — neben anderen — Spanien, Dänemark, die Niederlande, die, weiß Gott, keine Anhänger einer „schimmernden Wehr" sind, ihren Solidaritätsbeitrag erfüllen, dann ist die Singularisierung der Bundesrepublik Deutschland deutlich geworden.
Ein Teilnehmer der WEU-Konferenz soll laut Süddeutscher Zeitung erklärt haben: „Die größte Enttäuschung sind die Deutschen. Sie wollen positiv klingen, aber sonst nicht viel tun." Diese Selbstisolation hat auch nicht dazu geführt, daß deutsche Geiseln deswegen anders oder besser behandelt werden als die Geiseln anderer Mitgliedsländer der NATO.
Selbst wenn das Argument Verfassungsänderung tragen würde, Herr Kollege Brück, frage ich, warum man — da es das Problem ja schon vor drei Jahren gegeben hat — nicht endlich darangegangen ist, eine solche Verfassungsänderung vorzunehmen. Die Wirklichkeit ist doch die: Man scheut sich vor der Politik; man will keine Verantwortung tragen. Staatsräson ist in vielen Fällen ein Fremdwort geworden. Man finassiert und taktiert. Bitte stellen Sie sich einmal vor: Ein zweiter Holocaust mit dem jüdischen Volk würde
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. August 1990 17479
Dr. Müller
stattfinden, und das Deutsche Volk oder eine Deutsche Regierung schaut stirnrunzelnd, auf die Verfassung verweisend, tatenlos zu.