Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren Kollegen! Auch die GRÜNEN verurteilen selbstverständlich den Überfall auf Kuwait, die Androhung des Einsatzes chemischer Massenvernichtungsmittel gegen die Nachbarstaaten des Irak und vor allem natürlich des Festhalten der Ausländer im Irak als Geiseln. All dies sind Bestandteile einer menschenrechtsverletzenden, menschenrechtsverachtenden und völkerrechtswidrigen Politik des irakischen Regimes unter Saddam Hussein.
17476 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. August 1990
Frau Beer
Allerdings vertreten die GRÜNEN eine dementsprechende Haltung gegenüber der Politik des Irak nicht erst seit dem 2. August dieses Jahres, d. h. seit dem Überfall auf Kuwait. Wenn der Außenminister Genscher sagt: Wehret den Anfängen, dann möchte ich einige Punkte nennen, die heute noch nicht genannt worden sind und die auch unsere Verantwortung aufzeigen.
Seit Jahren betreibt der Irak eine aggressive, menschenverachtende Politik nach innen wie auch nach außen. Im September 1980 löste er den Tankerkrieg gegen den Iran aus. Nicht internationale Verurteilung erfolgte, sondern die militärische Unterstützung durch westeuropäische Staaten, die so, hofften sie, einen Verbündeten gegen den islamischen Fundamentalismus im Iran finden würden.
Seit 20 Jahren werden Hinweise von Menschenrechtsorganisationen auf die zunehmende Barbarei des Baath-Regimes ignoriert. Völkermordverbrechen, Folter und Todesstrafe gegen Regimekritiker, Giftgaseinsätze gegen Iran und das kurdische Volk führten allenfalls zu verbaler Kritik, wenn überhaupt. Wo waren denn die vor zwei Jahren von den GRÜNEN geforderten Sanktionen gegen den Irak, als die Bilder von 5 000 vergifteten Menschen um die Welt gingen,
als 170 000 Menschen aus dem Land fliehen mußten, die heute noch in Flüchtlingslagern leben? Wo ist denn jetzt die Verantwortung, wenn die Türkei immer noch mit Staatsterror gegen diese Flüchtlinge vorgeht und dieser Konflikt in der internationalen Krise Irak/ Kuwait untergegraben wird? Wenn wir wirklich Menschenrechte wiederherstellen wollen, dann heißt das, daß wir weiteren Staatsterror verhindern.
Die bisherige Ignoranz der internationalen Politik und Verantwortung ist ein Zeichen dafür, daß die jetzige, seit dem 2. August vorhandene Empörung nicht ganz glaubwürdig wirkt. Jahrelang haben wir immer wieder auf die militärische Aufrüstung des Irak durch die Bundesrepublik selber hingewiesen. Über 100 bundesdeutsche Firmen haben sich daran eine goldene Nase verdient. Die Beteiligung deutscher Firmen am Aufbau einer Giftgasfabrik wurde durch verantwortliche Politiker verharmlost und verschleiert.
Die Namen der beteiligten Rüstungsfirmen, die erst seit zwei Wochen auf der Anklagebank sitzen, sind doch längst bekannt; vor vier Jahren haben wir sie veröffentlicht. Was ist denn mit Daimler, mit MBB, mit WEB, mit AEG-Telefunken, Philips, IVECO und anderen?
Auch andere westliche wie natürlich auch östliche Staaten — die will ich hier nicht verschweigen — haben sich an der massiven Aufrüstung des Irak beteiligt. Heute richten sich diese Waffen gegen die Staaten selber. Vor diesem Hintergrund erscheinen die in den letzten zwei Wochen hektisch angefangenen Strafverfahren gegen die verantwortlichen Firmen,
die als kriminelle Elemente ohne politische Verantwortung bezeichnet werden, als Verdeckung politischer Verantwortung und nicht als tatsächliche Aufdeckung der Verantwortlichen selber.
Und was geschieht im internationalen Rahmen? Einerseits ergibt sich eine nie dagewesene Übereinstimmung bezüglich eines wirtschaftlichen Embargos gegen den Irak; der UNO-Sicherheitsrat beschließt einstimmig entsprechende Maßnahmen. Dieser Beschluß war eine der zwei Grundvoraussetzungen, den aufkeimenden Konflikt ohne militärische Mittel beizulegen.
Die zweite Grundvoraussetzung wäre es gewesen, daß die Regierungen der westeuropäischen Staaten endlich das Scheitern von 20 Jahren Versagens in der Außenpolitik, 20 Jahren Versagens in der Nahostpolitik zugegeben hätten, um jetzt endlich mit einer neuen Politik der gewaltfreien Auseinandersetzung anzufangen.
Doch statt das Wirken dieses nichtmilitärischen UNO-Embargos abzuwarten, sind es wie schon im Golfkrieg die westlichen Staaten unter der Führung der USA, die meinen, militärisch eingreifen zu müssen. Verschwiegen werden soll so die eigene Mitverantwortung für einen Konflikt, für den zwar der Irak, die irakische Regierung, die eindeutige Verantwortung jetzt trägt — natürlich —, für den aber die Politik und das Versagen der Politik der jetzt militärisch intervenierenden Staaten erst die Voraussetzung geschaffen haben.
Die militärische Intervention der USA verschärft die Konfliktsituation und trägt zur Eskalation bei. Die WEU möchte in den Takt des Säbelrasselns zumindest im Mittelmeer, wenn nicht im Golf selber einstimmen. Die USA hat sich über den UNO-Beschluß hinweggesetzt und beweist damit, daß nach wie vor das alte Denken und die Außenpolitik in Form der Kanonenbootpolitik das beherrschende Element ist.
Die GRÜNEN lehnen jede militärische Intervention ab. Die einzige Chance, in dieser Situation Gewalt nicht mit Gewalt zu beantworten, wäre die strikte Einhaltung des UN-Embargos gegen den Irak gewesen. Wie aber bereits im Golfkrieg werden heute unter dem Vorwand der Sicherung des Friedens im Nahen und Mittleren Osten wirtschaftliche und militärstrategische Interessen durchgesetzt. Der Iran des Schahs wurde gegen die Golfstaaten militärisch aufgerüstet. Im Golfkrieg wurde der Irak gegen den Iran militärisch aufgerüstet. Heute wird Saudi-Arabien gegen den Irak aufgerüstet. Wie wird es morgen sein? Der nächste Konflikt wird so provoziert und steht mit Sicherheit bevor.
An der Todesspirale wird weiter gedreht, immer mehr und neue Massenvernichtungsmittel werden exportiert, verschiedene Staaten des Nahen Ostens werden weiter mit westlichen Waffen vollgepumpt.
Auch in der Bundesrepublik mehren sich jetzt wieder die Stimmen, wie wir auch heute gehört haben, die mit dem Hinweis auf die wirtschaftliche und politische Bedeutung Deutschlands eine Beteiligung an
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Frau Beer
einer militärischen Lösung, wenn auch unter UNO-Flagge, derartiger Konflikte fordern. Da ist dann viel von Solidarität, von Verantwortung und von Dank gerade gegenüber den USA die Rede. Etwas leiser wird unter den Militärstrategen erleichtert darüber gesprochen, daß das Feindbild, gegen das man aufrüsten muß, doch noch im Osten ist, zwar nicht mehr im Osten Europas, aber dafür im Nahen Osten.
Aber gerade die Tatsache, daß die BRD und die DDR erheblich zur Mitaufrüstung und Militarisierung dieses Konfliktes im Nahen Osten beigetragen haben, zeigt, daß das vereinigte Deutschland erst noch unter Beweis zu stellen hat, daß es nicht zu Eskalationen von Konflikten auf der Welt oder gerade in der Dritten Welt beitragen wird.
In unserem Antrag fordern wir deshalb die strikte militärische Enthaltsamkeit der Bundesrepublik in diesem wie auch in zukünftigen Konflikten. Nicht Kosmetik an Außenwirtschaftsgesetz und Kriegswaffenkontrollgesetz ist nötig, sondern das Verbot jeglichen Rüstungsexportes, weil es anders nicht mehr geht. Nicht Schleichwege über Änderungen des Grundgesetzes sind nötig, um die so heiß ersehnte Beteiligung der Bundeswehr an UNO-Truppen zu ermöglichen,
sondern eine Politik der Selbstbeschränkung und der Entmilitarisierung ist gefordert, wenn man jetzt das Wort „Menschenrechte" noch ernsthaft in den Mund nehmen will.
Auf europäischer wie auf internationaler Ebene ist die Bundesregierung gefordert, sich für diplomatische Lösungen der verschiedenen Konflikte im Nahen Osten unter der Schirmherrschaft der UNO einzusetzen, weil nur so die Rechte der Menschen gewährleistet werden können.