Herr Kollege, ich glaube es nicht, und ich hoffe es auch nicht — ich will zugeben, daß ich nicht ganz sicher bin. Aber wenn es so ist, daß in diesem Fall sehr handfeste Interessen und eine eklatante Verletzung der fundamentalsten Regeln des Völkerrechts zusammenkommen, ist es dann nicht der letzte Anlaß, wo man zeigen muß, daß solch eine Verletzung von der Völkergemeinschaft nicht hingenommen wird? Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Ich habe eben im Blick auf den Giftgasgebrauch des Irak schon einmal gesagt, daß die Weltgemeinschaft in der Vergangenheit in vielen Fällen, nicht nur im Falle des Irak, ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden ist. Sie wissen, dafür gibt es viele Gründe. Ein Grund ist die Tatsache, daß der Ost-West-Konflikt das nicht erlaubte. Meine Hoffnung, die nicht grenzenlos ist, die ich aber doch hege, ist, daß die Überwindung des Ost-West-Konflikts eine wirklich aktivere und größere Rolle der Vereinten Nationen zuläßt. Ich nehme an, darin sind wir uns einig.
Meine Damen und Herren, ich bin eben auf die Absicht aller Parteien zu sprechen gekommen, die Verfassung so zu ändern, daß der Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Nato-Vertrags-Gebiets im Rahmen von UN-Aktionen zugelassen wird.
— Zu prüfen, ja. Sie sagen es schon sehr viel vorsichtiger.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. August 1990 17475
Lamers
Es wäre wünschenswert, daß diese Diskussion mit dem notwendigen Ernst und der notwendigen Sachlichkeit geführt würde. Denn dabei geht es um vieles. Es geht im Grunde um unser Selbstverständnis und um die Rolle unseres Landes in der Welt, um seine globale Verantwortung — um das einmal etwas anspruchsvoller auszudrücken. Wovor ich schon heute warnen möchte, ist, zu glauben, daß man sich dabei nur an die unproblematischeren Fälle heranwagen könne, daß wir eine solche Beteiligung der Bundesrepublik ausschließlich im Rahmen von Friedensaktionen der Vereinten Nationen ins Auge fassen könnten. Jedermann weiß, daß Aktionen in diesem Rahmen und Aktionen außerhalb dieses Rahmens rechtlich und auch tatsächlich etwas Unterschiedliches sind. Jedermann weiß aber auch, daß es hier einen Zusammenhang gibt. Ich darf daran erinnern und darf Sie bitten, darüber nachzudenken, daß wir alle, zwar in unterschiedlicher Intensität, aber doch alle, wünschen, daß es eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik und Verteidigungsunion geben sollte. Diese wird es aber nie geben, wenn die Bundesrepublik Deutschland, wenn das wiedervereinigte Deutschland nicht bereit ist, sich auch an anderen Aktionen außerhalb des UN-Rahmens zu beteiligen. Wenn Sie mit Franzosen oder mit Briten, mit Niederländern oder mit Italienern reden, dann werden Sie feststellen: In diesem Punkt gibt es nur eine Meinung. Wir allein sind doch anderer Meinung. Das, meine ich, müßten wir mit ins Auge fassen, wenn wir über solche Pläne, die Verfassung zu ändern, reden.
Die europäische Option muß aufrechterhalten bleiben.