Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir leben in einer ganz außerordentlichen Zeit. Wir erreichen die Einheit unseres Landes, wir freuen uns darüber, insbesondere auch deshalb, weil sie ein wichtiger Beitrag zum europäischen Friedensprozeß ist. Aber wir sind auch der Gefahr ausgesetzt, daß wir vergessen, daß es in unserer Welt nach wie vor Kriege und Krisen gibt. In Europa sind entscheidende Veränderungen eingetreten, Veränderungen, die sich vor drei Jahren noch niemand hätte vorstellen können, aber leider nicht in der ganzen Welt. Das Verhältnis der beiden Weltmächte, der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, hat sich entscheidend verändert. Man redet vertrauensvoll auch über die Beilegung von sogenannten regionalen Konflikten. Die Zeit der Stellvertreterkriege, die die letzten Jahrzehnte entscheidend geprägt haben, bei denen Hunderttausende von Menschen umgekommen sind, scheint Gott sei Dank zu Ende zu sein.
Schon das ist ein Segen für die Menschheit, aber regionale Kriege und Krisen sind nach wie vor gegeben.
In der Nacht von 1. zum 2. August 1990 hat der Irak den Staat Kuwait brutal und gegen alles Völkerrecht überfallen, und er will die Annexion aufrechterhalten. Noch wissen wir nicht einmal, wieviel Tote und Verwundete es gegeben hat. Wir verurteilen diese Aggression gemeinsam mit der großen Mehrheit der Völkerfamilie in der Welt. Saddam Hussein sagt, das sei eine arabische Angelegenheit. Nein, wenn ein Land brutal und völkerrechtswidrig überfallen wird, dann ist das eine Angelegenheit der gesamten Völkergemeinschaft und damit auch unsere.
Der Irak hatte bereits den Krieg gegen den Iran begonnen. Dabei wurde in menschenverachtender Weise Giftgas gegen die Kriegsgegner, aber auch gegen die eigenen Landsleute eingesetzt. Es war ein brutaler Krieg. Jetzt hat Saddam Hussein angedroht, er werde die chemische Waffe auch gegen Israel anwenden.
Einige unserer Zeitungen schreiben, Saddam Hussein sei ein Irrer. Ich warne vor solchen Formulierungen, die die Situation nur verharmlosen. Bei Saddam Hussein ist jede Maßnahme genau überlegt. Er ist ein skrupelloser Machtmensch. Er wollte und will die politischen Strukturen der gesamten Region entscheidend verändert. Er wollte und will die unendlichen Schulden, die der Krieg gegen den Iran hinterlassen hat, durch andere bezahlen lassen. Er will der Führer der arabischen Welt werden. Das ist kein Irrsinn. Das ist brutale, aber wohlüberlegte Realität. Natürlich wurde das militärisch schwache Scheichtum Kuwait von der größten Militärmacht der arabischen Welt überrollt. Präsident Bush schickte Truppen, Kriegsschiffe und Flugzeuge nach Saudi-Arabien zum Schutz des Landes und mit der sicher nicht leichtgefallenen Zustimmung dieses Landes.
Ich habe von diesem Platz aus schon mehrmals amerikanische militärische Maßnahmen kritisieren müssen. Diesmal haben wir es mit einer anderen Situation zu tun. Diesmal haben wir alle Verständnis für die militärischen Maßnahmen der Vereinigten Staaten und der anderen beteiligten Staaten.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. August 1990 17471
Wischnewski
Wir unterstützen sie im Rahmen unserer rechtlichen und praktischen Möglichkeiten.
Gab es Alternativen? — Leider nein. Eine Truppe der Vereinten Nationen wäre leider nicht zeitgerecht zustande gekommen. Eine ausreichende arabische Friedenstruppe kam leider trotz der großen Bemühungen von Präsident Mubarak nicht zustande. Was muß das Ziel der Maßnahmen, insbesondere der Maßnahmen der Vereinten Nationen, zu denen wir uns in vollem Umfange bekennen, und der anderen direkt beteiligten Staaten sein?
Erstens. Die Freilassung und sofortige freie Ausreise aller Ausländer aus Kuwait und aus dem Irak. Saddam Hussein und Tariq Aziz sagen, das seien Gäste seines Landes.
Das ist blanker und zynischer Hohn auf die sprichwörtliche und von mir oft erfahrene Gastfreundschaft der Araber. Das ist eigentlich eine Beleidigung der Araber. Wer gegen seinen Willen festgehalten wird, wer an andere Orte zum Zwecke der Erpressung und anderer Ziele verschleppt wird, der ist Geisel und nicht Gast. Wer Geiseln nimmt, der verstößt nicht nur gegen die Menschenrechte und gegen das Völkerrecht, sondern der schließt sich selbst aus der Völkergemeinschaft aus.
Wir sagen Saddam Hussein in aller Deutlichkeit: Noch ist Zeit zur Umkehr.
Saddam Hussein hat den Vereinigten Staaten Gespräche angeboten. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen: Ich habe keine Bedenken gegen solche Gespräche, aber sie können erst an dem Tage beginnen, an dem der letzte Ausländer Irak und Kuwait auf freiwillige Art und Weise hat verlassen können.
In dieser Stunde wende ich mich an alle arabischen Staaten und an alle Araber: Helfen Sie mit, Menschenrechte und Völkerrecht wiederherzustellen, damit auch nicht der geringste Schatten auf das fällt, was in der ganzen Welt gerühmt wird, nämlich die arabische Gastfreundschaft. Wir verlangen aber auch, daß das Internationale Rote Kreuz sofort die Verhandlungen mit dem Roten Halbmond aufnimmt, um die Freiheit der betroffenen Menschen zu erreichen. Wir verlangen auch — der Außenminister hat das gerade bestätigt —, daß sich der europäisch-arabische Dialog sofort mit dieser Frage beschäftigt. Es darf nichts unversucht bleiben, um den betroffenen Menschen zu helfen.
Zweites Ziel: Alle Truppen des Irak müssen unverzüglich aus Kuwait heraus. Sie müssen abgezogen werden, und zwar ohne Bedingungen.
Drittens. Die Souveränität des Staates Kuwait muß wiederhergestellt werden. Die Annexion ist null und nichtig.
Viertens. Alle Probleme, die zwischen dem Irak und Kuwait bestehen, sollen in Verhandlungen danach geklärt werden. Es ist nicht die Zeit, über Gesellschaftsordnungen in dieser Region zu sprechen. Alle klugen Menschen wissen, daß die Menschen überall in der Welt mehr Demokratie wollen.
Diese vier Ziele müssen erreicht werden, damit der Frieden wiederhergestellt werden kann. Diese Ziele müssen aber auch erreicht werden, damit kein Staat in der Welt auf den Gedanken kommt, einen anderen Staat zu schlucken und zu annektieren.
Was ist unsere Aufgabe? Wir begrüßen es, daß nun Klarheit darüber besteht, daß es keine Bundeswehr am Golf geben wird. Unser Grundgesetz läßt das nicht zu. Wir drücken uns nicht vor schwierigen Entscheidungen. Aber ich sage sehr deutlich: Wenn es um Leben und Tod geht, dann darf es keinerlei Verfassungszweifel geben, dann muß absolute Klarheit darüber bestehen, was geht und was nicht geht.
Wir erklären unsere Bereitschaft, in einem vereinigten Deutschland an einer Prüfung in bezug auf eine Verfassungsänderung mitzuarbeiten, die den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Vereinten Nationen zuläßt.
Wir tun das nicht, weil wir glauben, wir seien jetzt wieder wer. Wir tun das, weil wir bereit sein müssen, in aller Behutsamkeit und in aller Bescheidenheit unseren Beitrag zu leisten, um den Frieden auch außerhalb des Bereichs unseres Bündnisses zu erhalten oder wiederherzustellen.
Aber wir sagen der Bundesregierung und der Koalition auch in aller Deutlichkeit, daß unsere Bereitschaft zur Mitarbeit und damit zur Mitverantwortung bei der Änderung der Verfassung mit ihrer Bereitschaft verbunden sein muß, ihre Rüstungsexportpolitik radikal zu ändern.
Es wäre Wahnsinn, wenn deutsche Soldaten der Gefahr ausgesetzt wären, durch Waffen zu sterben oder verletzt zu werden, die hier in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt worden sind.
Das ist mit uns nicht zu machen. Deutsche Firmen haben Rabda gemacht, und deutsche Firmen sind offensichtlich auch entscheidend an der Errichtung von Produktionsstätten für chemische Waffen und wohl auch für Raketen im Irak beteiligt.
Ich sage hier ausdrücklich, daß das nicht mit Ihrer
Zustimmung erfolgt ist. Aber ich muß auch sagen:
Wenn Sie schwere Verstöße gegen das Waffenem-
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Wischnewski
bargo der Vereinten Nationen in bezug auf Südafrika als Ordnungswidrigkeit behandeln, dann darf sich niemand darüber wundern, wenn kriminelle Elemente glauben, weitergehen zu dürfen, und dann auch chemische Waffen produzieren.
Wer chemische Waffen produziert, der leistet Beihilfe zum Mord und der muß auch so bestraft werden.
Darüber muß hier Einigkeit bestehen.
Die Bundesregierung hat eine zwingend notwendige Verschärfung der entsprechenden Bestimmungen über den Waffenexport vorgelegt. Die Koalition hat die Regierungsvorlage verwässert.
Wir haben für die Wiederherstellung der Regierungsvorlage gekämpft. Wir sind froh, daß heute die Voraussetzungen dafür gegeben sind, mindestens die Regierungsvorlage wiederherzustellen.
Die neue Mehrheit im Bundesrat hat Ihnen ihre Beschlüsse bereits zurückgegeben.
Aber heute gibt es wohl auch im Bundestag eine Mehrheit, die bereit ist, mindestens die ursprüngliche Vorlage wiederherzustellen. Ich begrüße das. Aber ich habe Zweifel, ob das ausreicht. Die Strafen müssen sehr viel deutlicher sein.
Wir haben in der Welt erfahren, was das für unser Ansehen bedeutet.
Unsere Aufgabe besteht darin, die Vereinten Nationen in dieser gefährlichen Krise mit all unserer Kraft zu unterstützen. Der Weltsicherheitsrat hat einstimmig oder mit großer Mehrheit Entscheidungen gefällt, die wir uns alle zu eigen machen. Wir legen Wert darauf, daß alle im Zusammenhang mit diesem Konflikt noch zur Entscheidung anstehenden Maßnahmen im Einvernehmen mit den Vereinten Nationen getroffen werden können.
Wir begrüßen die enge Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit und billigen ausdrücklich — auch wenn es morgen Ärger geben sollte — , daß unsere Botschaft in Kuwait offenbleiben soll. Dies ist wegen der Souveränität des Staates, aber auch, um unseren Landsleuten in dieser schwierigen Situation behilflich zu sein, notwendig.
Ich darf daran erinnern, daß die WEU über die geeigneten Instrumente verfügt, um eine vernünftige Rüstungsexportpolitik zu kontrollieren. Wir sollten sie nutzen.
Wir müssen in dieser Situation mit anderen, auch mit den Erdölstaaten, der Türkei behilflich sein, die durch die Entscheidungen der UNO erhebliche Einnahmeausfälle hat.
Das Königreich Jordanien befindet sich in einer ganz besonders schwierigen Situation. Aus Gründen der politischen Stabilität, aber auch wegen der Ausfälle ist hier Hilfe notwendig. Fast 200 000 Flüchtlinge sind in den letzten Tagen gekommen. Ich gehe davon aus, daß das von der Bundesregierung Beschlossene nur erste Schritte sein können. Das gilt auch für unser Verhältnis zu Ägypten und Syrien.
Unsere Beziehungen zum Iran bedürfen des Ausbaus. Wir sind wegen der Erdbebenkatastrophe um Hilfe gebeten worden, und wir dürfen sie nicht verweigern.
Wir müssen auch daran denken, daß die Aggression Saddam Husseins auch den Palästinensern geschadet hat. Weit mehr als 300 000 Palästinenser hatten in Kuwait Arbeit und Wohnung gefunden.
Ich warne davor, Saddam Hussein nun mit allen Arabern in einen Topf zu werfen. Im Gegenteil: Wir müssen insbesondere mit den arabischen Staaten, die diese Aggression verurteilen und die um die Wiederherstellung des Friedens bemüht sind, die Zusammenarbeit auf allen Gebieten intensivieren. Ich möchte dem Präsidenten Hosni Mubarak für seine mutige Haltung und für seine Bereitschaft, für den Frieden zu wirken, unseren hohen Respekt zum Ausdruck bringen.
Zur Energieversorgung. Es braucht keine Energiekrise zu geben, wenn die übrigen erdölfördernden Länder bereit sind, die Ausfälle auszugleichen. Ich freue mich, daß Saudi-Arabien in dieser Frage schon ein deutliches Wort gesagt hat; das gilt auch für Venezuela und Mexiko.
Wir warnen die Industrie und den Handel in der Petrochemie vor Aggressionsgewinnen. Aggressionsgewinne sind Kriegsgewinne. Kriegsgewinne sind mit Marktwirtschaft nicht in Einklang zu bringen.
Alle militärischen Anstrengungen zur Eindämmung der Aggression dürfen nicht davon abhalten, nach einer politischen Bewältigung der Krise zu suchen. Es geht um eine politische Lösung unter voller Respektierung der zu Beginn genannten Ziele. Für die Vereinten Nationen gibt es bei dem veränderten Ost-West-Verhältnis in enger Zusammenarbeit mit der großen Mehrheit der arabischen Staaten, die für die Souveränität aller Staaten, für die Einhaltung der Menschenrechte und für die strenge Einhaltung des Völkerrechts eintreten, eine Chance für eine politische Lösung. Sie muß genutzt werden.
Wir streiten in diesem Hause oft miteinander. Das muß in diesem Hause auch sein. Wenn es aber darum geht, eine Aggression zurückzuweisen, wenn es darum geht, den Frieden zu retten, und wenn es darum geht, den Menschen zu helfen, denen die Freiheit genommen worden ist, dann sollten wir zusammenstehen und soweit wie möglich zusammenarbeiten. Darum möchte ich das Haus bitten.
Deutscher Bundestag — 11 Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. August 1990 17473
Wischnewski
„Islam" — das ist das Wort für Frieden. Wir wollen Frieden überall in der Welt.
Vielen Dank.