Rede von
Gertrud
Unruh
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GRÜNE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Volksvertreterinnen und Volksvertreter! Der Herr Bundeskanzler hat, so nehme ich an, historisch bedeutend geredet. Es ist ja eine wahnsinnige geschichtliche Dimension, und ich glaube auch, daß es ein Tag der Freude für alle Deutschen ist — in der geschichtlichen Dimension. Auch mich macht es natürlich sehr stolz, diese geschichtliche Dimension — zumal ich ja selbst auch in Breslau gelebt habe — , mit nachvollziehen zu dürfen. Was dann aber der Bruch im Denken ist: Der DDR-Beitritt am 3. Oktober 1990 erfordert selbstverständlich, daß unsere Verfassung mit den Lebenswirklichkeiten hier bei uns in der BRD sofort gleichberechtigt in der DDR in Kraft tritt. Deshalb kann ich es überhaupt nicht verstehen, daß man dann Menschen zweierlei Klassen haben möchte.
Jetzt hat die Friedrich-Ebert-Stiftung — SPD-nahe-stehend — , Gott sei Dank früh genug zum Wahlkampf — Sie alle betreiben ja hier Wahlkampf —,
eine Studie darüber, was sich die alten Menschen
wünschen, herausgebracht. Das sind die alten Menschen in der DDR wie in der BRD: alt ist alt. Sie waren
einmal jung. Sie sind 74 geworden. Wer möchte es nicht so gut haben wie Sie, Herr Stücklen?!
Jetzt ist aber etwas in der BRD passiert: Graf Lambsdorff, Sie sind doch der Umfaller, wenn es um uns Frauen geht, um 218-Strafrecht,
wenn es z. B. um „Tatort"-Bestrafung — das muß man sich einmal vorstellen: „Tatort" wird gesagt — geht. Da überkommt mich als Liberale aber wirklich ein Gruseln, daß Sie so etwas wieder einmal über die Köpfe der FDP-Frauen hinweg durchsetzen. Aber das ist eine ganz andere Dimension.
Die alten Menschen wünschen sich Gesundheit. Also werden wir GRAUEN, hervorgegangen aus dem Senioren-Schutzbund Graue Panther, Reform der Gesundheitsreform fordern. Das ist doch wohl selbstverständlich. Denn: Wer wird zur Kasse gebeten? — Im wesentlichen alte Menschen, die gebrechlich werden.
Ein weiterer Punkt: ausreichendes Alterseinkommen. Hallo SPD, wo ist die Mindestrente? Ja, ihr „C"-Burschen,
wo ist die Mindestrente? Also werden wir, Die GRAUEN, initiiert vom Senioren-Schutzbund Graue Panther, selbstverständlich die Reform der Rentenreform in Angriff nehmen — das steht alles in unserem Programm — und vorab die Einführung der Mindestrente für die Menschen in der BRD und in der DDR fordern, die in diesem unseren herrlichen Staate arm geblieben sind.
Wo ist denn z. B. die „Ehrenrente" für die BRD-Trümmerfrauen, Herr Lafontaine, die arm geblieben sind? Das alles hätte man tun können.
Meine Damen und Herren — ich wende mich im wesentlichen an die „C"-Parteien und die Sozialliberalen, Herr Genscher —,
was haben 40 Jahre Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland gebracht? — Das Neueste vom Neuen: 28,7 Milliarden DM — Sozialhilfeboom! Das ist doch der Punkt, in dem wir Politiker wirklich intensiv aufklärend wirken müssen, damit in einer Zweidrittel-Eindrittel-Gesellschaft kein Haß entsteht. Wir müssen den sozialen Unfrieden in der DDR im Vorfeld auffangen — wir sind ja dann vereinigt — , damit die Rechtsradikalen nicht wieder einen Aufschwung erleben, den sie nicht verdient haben und den sie auch nicht haben werden, wenn wir uns in diesem Hohen Hause in der Verantwortung für Gesamtdeutschland einig sind, daß wir eine andere, eine gleichwertige Sozialpolitik nach unserem Grundgesetz pflichtgemäß betreiben müssen.
Zum Abschluß: „torbi" ist auch ein Kommunist. Haben Sie das vergessen? Das tut Menschen weh, wenn man Parteien absolut einordnet und sie verteufelt, wo es nicht nötig ist. Damit weckt man Gefühle, die auch nicht nötig sind. Wer den Kommunismus total
17460 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. August 1990
Frau Unruh
verteufelt, der verteufelt auch die Sowjetunion. Ich glaube, das sollten wir nicht zulassen. Wir sollten dafür sorgen,
— Halt die Klappe! Ich mache das, was ich will, verehrter SPD-Freund.
Gerade wir Alten wissen, was die Verteufelung von Parteien in sich birgt. Gerade wir Alten lehnen das ab. Deshalb haben wir Alten eine Überpartei mit den jungen Leuten gegründet, die die Reife im Kopf haben, die Sie, SPDler, leider nicht haben.
Danke schön.