Ich hatte diesen Geschäftsordnungsantrag bereits angekündigt.
Meine Damen und Herren! Angesichts der Tatsache, daß der hier zu verhandelnde Gegenstand — ich meine den Wahlvertrag — das Grundgesetz in seiner demokratischen Substanz berührt, was in der Presse, von der „FAZ" bis hin zur „taz", immer wieder herausgestellt worden ist, und nicht, wie so mancher Kollege es herunterspielen möchte, lediglich verfahrenstechnische Aspekte beinhaltet, halte ich die Debattendauer von einer Stunde für unverhältnismäßig und unzumutbar kurz. Es wird sogar weniger als eine Stunde sein, weil bedauerlicherweise im Ältestenrat wieder vereinbart worden ist, zwei so gewichtige Punkte wie die Regierungserklärung des Bundeskanzlers und die zweite und dritte Lesung des Wahlvertrages zusammenzufassen.
Ich stelle daher zwei Geschäftsordnungsanträge: erstens Entkoppelung der jetzt zusammengefaßten Tagesordnungspunkte „Aussprache zur Vorbereitung der Deutschen Einheit" und zweite und dritte Beratung des Wahlrechtsvertrages, wie es bis heute morgen der Sachstand war; zweitens eine zweistündige Debatte in zweiter Lesung des Gesetzentwurfs als Grundlage der ersten gesamtdeutschen Wahl des Deutschen Bundestages.
Ich tue dies in dem Bewußtsein, der Debattenkultur — die in diesem Hause weiß Gott nicht vorzeigbar ist — , einen im Sinne der gegenseitigen Beratung und der Findung des besten Weges positiven Dienst zu erweisen.
Zur Erinnerung: In der Sitzung vom 8. August 1990 stellte der leitende Bundestagspräsident, der Kollege Westphal, fest, daß der Abgeordnete zwar drei oder vier Änderungsanträge einbringen könne, aber keine 34. Heute bringe ich 18 Änderungsanträge ein,
über die bislang, meine Damen und Herren, noch nirgendwo, weder im Ausschuß Deutsche Einheit noch
17438 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. August 1990
Wüppesahl
im Innenausschuß oder in einem anderen Gremium dieses Hauses, debattiert werden konnte. Das muß heute und hier geschehen. Auch deshalb möchte ich, daß zu diesem Tagesordnungspunkt eine Debattendauer von zwei Stunden vorgesehen wird.
Die Äußerung des Präsidenten belegt die Ritualisierung des demokratischen Prozesses in den Köpfen einiger, vor allen Dingen einflußreicher Parlamentarier. Sie belegt den Willen, denjenigen auszuschließen, der gegen das Ritual verstößt und den Parlamentarismus noch als solchen betrachtet. Wie kann man von einer Anzahl von Anträgen als übertrieben sprechen, ohne deren inhaltlichen Bezug zu beachten, wenn man den demokratischen Prozeß als einen Prozeß des Inhaltfindens betrachtet?
Es wird vernachlässigt, daß die Anzahl der Änderungsanträge von der politischen Meinung und von der Qualität des Entwurfes abhängt. Und dieser Entwurf ist skandalös, er ist verfassungsrechtlich nicht haltbar! Man ignoriert einfach, daß ich als einer der beiden Fraktionslosen und als einziger unabhängiger Abgeordneter in diesem Haus neben einem denkbaren Redebeitrag in der ersten Lesung nur in der zweiten Lesung Einfluß auf Gesetze nehmen kann.
Bereits in der ersten Sitzung zur Verabschiedung des ersten Staatsvertrages brachte der präsidierende Kollege Westphal mit Bemerkungen dieser Art, auch noch unter peinlich wirkendem Beifall des Hauses, sein Parlamentsverständnis zum Ausdruck. Doch wohin eine überhastete und vorschnelle parlamentarische Beratung — so sie noch diesen Namen verdient — führen kann, das zeigen die katastrophalen sozialen und wirtschaftlichen Ereignisse infolge der Währungsunion.
Herr Westphal äußerte: Man kann auch alles übertreiben.