Rede von
Ingrid
Matthäus-Maier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das ist richtig. Darüber hinaus sollte man, weil nicht alle Zuschauerinnen und Zuschauer von morgens bis jetzt der Debatte gefolgt sind, darauf hinweisen, daß der Bundeskanzler heute morgen in keiner Weise das Wort ergriffen und die Fragen, die drüben und hier gestellt werden, beantwortet hat. Herr Bundeskanzler, ich bedaure das wirklich sehr. Ich glaube, Ihnen wird später selber einfallen, daß das ein großer Fehler war.
Die Fehler und Versäumnisse, die Sie bei der Einführung und Umsetzung der Währungsunion gemacht haben, haben nicht nur zu zusätzlicher Arbeitslosigkeit geführt und kommen die Menschen drüben teuer zu stehen, sondern sie machen die deutsche Einheit für die Menschen in Ost und West auch teurer. Warum?
Sie weisen gerne darauf hin, daß das Desaster in der DDR durch 40 Jahre SED-Mißwirtschaft angerichtet worden ist. Zweifellos ist der Kern des Problems drüben der Übergang von 40 Jahren Kommandowirtschaft zu einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft.
Aber, Herr Bundeskanzler, es gibt Arbeitslosigkeit, die ohne Ihre schweren Fehler bei der Wirtschafts- und Währungsunion so nicht entstanden wäre.
Es gibt Kosten, die ohne Ihre schweren Fehler und Versäumnisse nicht entstanden wären. Übrigens, leider gibt es Versäumnisse, die man nicht korrigieren kann. Indem Sie sich z. B. im letzten Jahr und auch in diesem Jahr geweigert haben, unseren Vorschlag aufzugreifen, im Verteidigungshaushalt 4 Milliarden DM einzusparen
und diese Mittel für den Aufbau der DDR zu verwenden, haben Sie Fehler gemacht mit der Folge, daß Sie diese 4 Milliarden DM nie mehr wiederbringen; sie sind unwiederbringlich weg.
Nun zeigen Sie sich erstaunt über die Löcher im DDR-Haushalt. Dieses Ihr Erstaunen, Herr Bundeskanzler, ist unredlich. Sie sind doch bei der Aufstellung der Haushalte in der DDR voll und ganz beteiligt. Ihre Leute sitzen doch in den entsprechenden Ministerien.
— Tagein, tagaus!
Von daher übrigens fand ich die Angriffe auf Herrn Eppelmann ausgesprochen scheinheilig. Auch ich bin der Ansicht, daß ein großer Teil der Käufe, die Herr Eppelmann noch getätigt hat — von Kalaschnikows bis zu irgendwelchen Booten — äußerst ärgerlich ist und nicht hätte stattfinden dürfen. Aber, Sie sitzen doch mit Ihren Leuten drüben im Verteidigungsministerium, drüben im Finanzministerium.
Sie haben dafür die volle Mitverantwortung. Sagen Sie das hier, und geben Sie das zu!
Im übrigen, nur nebenbei gesagt — dies geht an die Adresse sowohl der FDP als auch der CDU; Herr Scharrenbroich hat das sehr klar ausgedrückt — : Wer Herrn Eppelmann wegen der Käufe kritisiert — ich habe das öffentlich getan —,
der muß bitte auch Herrn Stoltenberg und Herrn Waigel kritisieren, daß sie nicht endlich den Jäger 90 aufgeben; denn auch der ist bestellt.
Da wir gerade beim Einsparen in der DDR sind, meine Damen und Herren: Ich habe hier die „Kieler Nachrichten" vom 7. August vor mir liegen. Darin steht: CDU-Landesverband Mecklenburg/Vorpommern kauft in Heide 50 Chrysler-Fahrzeuge für den bevorstehenden Landtagswahlkampf.
meine Damen und Herren, wir haben von Anfang an die Einziehung des Vermögens der SED/PDS, der Ost-CDU und der anderen Blockparteien gefordert. Sie haben zugesagt, daß Sie sich dafür einsetzen. Daß dies bis heute nicht geschehen ist, zeigt, daß Ihre Aktivitäten in Richtung von Herrn de Maizière wohl außerordentlich gering sind.
17422 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990
Frau Matthäus-Maier
Schon jetzt benutzen Sie das Vermögen, das Sie als Ost-CDU unrechtmäßig erworben haben, um den Startvorteil in der DDR zu nutzen.
Ich sage Ihnen: Welcher Bürger in der Bundesrepublik Deutschland kann verstehen, daß Sie ihm Opfer abverlangen, wenn gleichzeitig Milliarden und Milliarden in den Händen von SED/PDS und Ost-CDU bleiben dürfen? Das ist nicht erlaubt.
Sie versuchen, der Wahrheit zu entkommen, obwohl sie scheibchenweise ans Licht kommt.
Dies geht so weit, daß Sie die Flucht in die vorgezogenen Wahlen antreten
— wollen; danke, Oskar —,
weil Sie hoffen, daß, wenn im Oktober gewählt wird, das ganze Ausmaß der Probleme und der Kosten noch nicht auf dem Tisch des Hauses liegt.
Sie können sich darauf verlassen, meine Damen und Herren: Dieses wird nicht kommen. Die SPD hat definitiv erklärt,
daß wir Ihnen die Mehrheit zu einer Änderung unseres Grundgesetzes aus wahlmanipulativen und parteitaktischen Gründen nicht liefern werden.
Wir brauchen keine überhasteten Wahlen. Was wir brauchen, ist, daß endlich gehandelt wird, um den wirtschaftlichen Aufbau in der DDR nach vorn zu bringen, um den Menschen dort zu helfen. Hier helfen nicht vorgezogene Wahlen, sondern hier hilft nur der schnellstmögliche Beitritt.
Manipulationen am Wahltermin schaffen keinem Arbeitslosen einen Arbeitsplatz.
Die großen Wirtschaftsverbände und auch die Gewerkschaften haben vor wenigen Tagen eindeutig bestätigt: Was wir brauchen, ist der schnelle Beitritt, damit wir dann möglichst schnell Dinge korrigieren können, die Sie falsch gemacht haben,
damit wir uns z. B. eine befriedigende Regelung der
Altschulden vornehmen können, damit wir endlich
eine Investitionsförderung in der DDR erreichen, die es für unsere Unternehmen lohnender macht, in der DDR zu investieren, als in Berlin und im Zonenrand — das ist nämlich heute leider noch der Fall —,
damit wir endlich Hilfen für den Wohnungsbau in Gang setzen, der es interessant macht, die Wohnungen in der DDR zu modernisieren und zu renovieren und damit zugleich neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wir brauchen Handeln jetzt, damit am Kapitalmarkt Klarheit geschaffen wird.
Und zu dieser Klarheit gehört, daß Sie schnellstmöglich einen gesamtdeutschen Haushalt vorlegen. Ein gesamtdeutscher Haushalt muß über folgende Fragen Klarheit verschaffen:
Erstens. Welche Kosten kommen auf uns zu?
Zweitens. Welche Aktivitäten sind im Bereich der Investitionsförderung vorgesehen?
Drittens. Wie hoch wird die Kreditaufnahme sein?
Viertens. Dazu gehört dann auch ein Finanzplan für die nächsten vier Jahre, wie er vom Grundgesetz vorgeschrieben wird.
In diesem Finanzplan müssen insbesondere zwei Dinge stehen:
Erstens. Bundesfinanzminister Waigel spricht immer von 40 Milliarden DM Teilungskosten, die er für die deutsche Einheit zur Verfügung habe. Wenn er mit den 40 Milliarden DM die Menschen auf der Seite der Bundesrepublik Deutschland beruhigt, dann muß in diesem Finanzplan endlich konkret und detailliert gesagt werden, Herr Waigel: Wie sind Ihre Sparvorschläge im Bereich der Teilungskosten von Zonenrand und Berlin?
Zweitens gehört in diesen Finanzplan hinein, daß Sie endgültig und definitiv auf die Steuersenkungen für Unternehmen und Spitzenverdiener in Höhe von 25 Milliarden DM verzichten, die Sie ja planen und versprechen.
Meine Damen und Herren! Während sich die Menschen hier darüber Sorgen machen, wie sie die hochgeschnellten Hypothekenzinsen bezahlen,
während sich die Menschen hier Sorgen machen, an welchen Steuererhöhungen Sie heimlich schon basteln — nach dem Interview vom Sonntagabend, Herr Kanzler, glaubt Ihnen ja kein Mensch mehr — , basteln Sie im Finanzministerium an einer Steuersenkung für Menschen, die im Jahr mehr als 240 000 DM verdienen.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 17423
Frau Matthäus-Maier
Dies ist nicht nur finanziell unsolide, das ist zutiefst ungerecht, meine Damen und Herren!
Herr Waigel, Sie haben heute morgen gesagt, daß, wenn Sie einen gesamtdeutschen Haushalt vorlegen, dieser erst nach der gesamtdeutschen Wahl behandelt und verabschiedet werden kann. Ich warne Sie vor dieser Wählertäuschung.
Es besteht genügend Zeit, zwischen dem Beitritt der DDR, zu dem ja gestern alle Fraktionen in der Volkskammer beschlossen haben, daß er schnellstmöglich erfolgen soll, und der Wahl am 2. Dezember einen Bundeshaushalt, der dann insgesamt als gesamtdeutsch gilt, ordnungsgemäß einzubringen, ordnungsgemäß zu beraten und schließlich zu verabschieden.