Rede von
Dr.
Theodor
Waigel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Kollege Ehrenberg, Sie waren mit Ihren Bemerkungen in den letzten Wochen zur Entwicklung in der DDR sehr viel sachkundiger und auch sachlicher, als Sie es durch diese Äußerung erkennen lassen. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit in den 80er Jahren war darauf zurückzuführen, daß vorher — leider auch unter Ihrer Beteiligung — eine falsche Finanz- und Wirtschaftspolitik betrieben worden ist.
Das ist die Konsequenz gewesen.
Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident des Saarlandes hat erkennen lassen: Er hat keine eigene Konzeption zu den zentralen deutschlandpolitischen
und den damit zusammenhängenden finanzpolitischen Aufgaben. Das Herausziehen von Zitaten aus einer Zettelkastenwirtschaft ersetzt keine eigene Politik.
Allerdings, Herr Ministerpräsident: Sie spielen mit dem Schicksal der Menschen, vor allen Dingen mit demjenigen unserer Mitbürger in der DDR. Sie wollten die Währungsunion verhindern und stellen sich jetzt dagegen, durch frühzeitige gesamtdeutsche Wahlen die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung mit vollem Handlungsspielraum für eine vierjährige Legislaturperiode zu ermöglichen.
Sie haben noch nicht einmal ein Konzept, das aus dem von Ihnen erwarteten wirtschaftlichen Zusammenbruch der DDR wieder herausführt. Ihre finanzpolitische Sprecherin, Frau Matthäus-Maier, hat sich bei Ihrer Rede auch gleich in die dritte oder vierte Reihe gesetzt, weil ja hier die Widersprüche sehr deutlich zutage traten.
Daß Sie, Frau Kollegin, bei meiner Rede wieder nach vorne kommen, wundert mich nicht.
Frau Matthäus-Maier, wie können Sie eigentlich guten Gewissens dem Ministerpräsidenten des Saarlandes Beifall spenden, wenn er Ihnen eine Ohrfeige nach der anderen verpaßt, wie er es heute getan hat? Sie waren doch — wie Graf Lambsdorff richtig festgestellt hat — die erste, die das gefordert hat. Er bezeichnet das als einen schweren Fehler. Sie müßten doch die Konsequenz ziehen und Ihre Aufgaben in der Partei und in der Fraktion zurückgeben.
Warum, Herr Lafontaine, beklagen Sie und Ihre Partei die angeblich zu hohen Kosten der Vereinigung, die drohende öffentliche Überschuldung und angeblich notwendige Steuererhöhungen?
Warum beschuldigen Sie aber gleichzeitig die Bundesregierung, zu wenig für Wachstum und soziale Absicherung in der DDR zu tun? Worin besteht der Beitrag des Saarlandes, um die Kosten gerecht auf Bund und Länder zu verteilen? Ihr Finanzminister wird heute nachmittag einen Beitrag dazu leisten können. Ich bin gespannt, ob er auf der Linie ist, die Sie heute vorgetragen haben.
Meine Damen und Herren, während der Ehrenvorsitzende der SPD, Willy Brandt, die SPD im Wahlkampf in der DDR auf das Ziel der Wiedervereinigung festlegte, betreibt der Kanzlerkandidat Lafontaine im Westen eine Angst- und Neidkampagne, und der Kollege Vogel wird nicht müde, von den ehemaligen Blockparteien Vergangenheitsbewältigung zu verlangen.
Dabei vergißt er gern das gemeinsame Strategie- und Ideologiepapier von SPD und SED.
Herr Gysi beklagt zu Recht die Undankbarkeit und die Lieblosigkeit der SPD, die seine Vorgänger viel ordentlicher und besser behandelt hat als jetzt ihn.
Meine Damen und Herren, wenn Herr Lafontaine in den letzten zwölf Monaten Regierungsverantwortung in Deutschland gehabt hätte,
dann stünden wir jetzt vor einer Finanz- und wirtschaftspolitischen Katastrophe; denn es ist schon unglaublich, daß nicht einmal aus Fehlern gelernt wird. Es gibt doch heute außer Ihnen in der Bundesrepublik niemanden mehr, der es für richtig gehalten hätte, Herrn Modrow oder Herrn Krenz 10 oder 15 Milliarden DM mit auf den Weg zu geben.
Das alles wäre doch längst versickert und hätte überhaupt keinen Beitrag zur Einführung der Sozialen
Marktwirtschaft und zu einer neuen Dynamik gelei-
17396 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990
Bundesminister Dr. Waigel
stet und hätte auch keinen einzigen neuen Arbeitsplatz gebracht.
Sie wollten die Agonie des sozialistischen Systems in die Länge ziehen und damit den Deutschen in Ost und West auf Dauer unübersehbare Kostenbelastungen zumuten. Wäre die Bundesregierung allen finanzpolitischen Forderungen der SPD gefolgt, hätten wir inzwischen dreistellige Milliardenbeträge aufbringen müssen, ohne der DDR auf ihrem schwierigen Weg zur Marktwirtschaft auch nur einen Schritt weiterzuhelfen.