Rede von: Unbekanntinfo_outline
Graf Lambsdorff, mir ist nicht entgangen, daß die deutschen Gewerkschaften gegen ihre Behandlung in der Treuhand protestiert haben und daß es deshalb zu einem Rücktritt kam. Ich habe wahrscheinlich in diesem Fall eine bessere Kenntnis der Diskussion in den Gewerkschaften, als Sie sie auf Grund mangelnder Kontakte haben.
Neuntens wollen wir mit Ihnen über die Finanzierung der sozialen Sicherung reden. Sicherlich war es wünschbar, daß die Arbeitslosigkeit möglichst gering bleiben und daß die Kosten beispielsweise für die Krankenversicherung nicht explodieren würden. Aber Sie haben sachliche Lösungen deshalb verbaut, weil Sie jeden, der gesagt hat, die Arbeitslosigkeit könne doch schneller steigen und die Kosten für die Krankenversicherung könnten doch größer werden, als Gegner der deutschen Einheit und als Schwarzmaler diffamiert haben. Lernen Sie jetzt, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen und richtig zu analysieren.
Wir wollen schließlich — ich biete das an — , mit Ihnen über die Finanzierung der Länder und Gemeinden in der DDR reden, die man offensichtlich vergessen hat.
— Ich will Ihnen gerne noch erläutern, Herr Bundesinnenminister, wie es um die Finanzen in den Gemeinden in der DDR und wie es um die Finanzierung der neuen Länder bestellt ist. Sie sind doch bei den Verhandlungen dabei.
— Wenn Sie dabei sind, muß ich mich fragen, was Sie da machen,
wenn Sie nicht wissen, wie es um die Finanzierung der Gemeindehaushalte und um die Finanzierung der Länderhaushalte in der DDR bestellt ist.
Aber dazu bedarf es jetzt endlich dessen, was Sie auch mit dem vorgezogenen Wahltermin zu verweigern versucht haben. Sie müssen offenbaren, was die deutsche Einheit kostet. Unterlassen Sie es, die Wählerinnen und Wähler immer wieder zu vertrösten oder gar zu täuschen. Die deutsche Einheit wird viel teurer, als Sie zu Beginn dieses Jahres die Menschen glauben machen wollten.
Wir sind bereit, mit Ihnen über diese Fragen zu reden, Herr Bundesfinanzminister, wenn das Gespräch anders verläuft als das letzte. Wenn Sie beispielsweise sagen, Sie könnten über die finanziellen Belastungen keine Auskunft geben, weil Sie noch abwarten müßten, wie die Eröffnungsbilanzen und die Ergebnisse des ersten Steuertermins aussähen, dann ist das ja sehr ehrenhaft. Aber wenn Sie dann im gleichen Atemzug dem Finanzminister der DDR vorwerfen, daß er nicht in der Lage sei, die Zahlen zu nennen, ist dies unredlich. Sie sind auch hier dabei ertappt, daß Sie mit zweierlei Münze arbeiten wollen.
Ein Gespräch hat nur Sinn — ich erkläre dies zumindest für die A-Länder — , wenn Sie sich bereit finden, die Kosten der Einheit offenzulegen, und wenn Sie sich bereit finden, uns mit einem gesamten Haushaltsentwurf zu sagen, wie Sie die Entwicklung des nächsten Jahres einschätzen. Ich wiederhole: Wahlen schnell und der Haushaltsentwurf später, das wird es mit den deutschen Sozialdemokraten nicht geben.
Ich fasse zusammen:
Erstens. Sie haben — dies kann ja passieren — die ökonomische und soziale Entwicklung in der DDR falsch eingeschätzt. Ich habe die Erklärungen, die dazu abgegeben worden sind, vorgetragen.
Zweitens. Sie haben sich bis zum heutigen Tage geweigert, die Kosten der deutschen Einheit offenzulegen.
Drittens. Sie haben lange Zeit geglaubt, Sie könnten diesen Prozeß ohne Beteiligung der Opposition — und dies heißt mittlerweile auch: ohne Beteiligung der Mehrheit des Bundesrates — bewerkstelligen.
17394 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990
Ministerpräsident Lafontaine
Wir haben Sie davor gewarnt. Ich erinnere mich noch, wie Sie reagiert haben, als der Vorsitzende der SPD angeboten hat, die ersten Schritte zum Einigungsprozeß gemeinsam in Form eines Runden Tisches auszuhandeln. Sie sind mittlerweile von Ihrer eigenen Politik eingeholt worden.
Deshalb schließe ich mit einem Zitat von Abraham Lincoln: Man kann alle Menschen eine Weile täuschen und einige Menschen die ganze Zeit, aber nicht alle Menschen die ganze Zeit.