Rede von
Dr.
Herta
Däubler-Gmelin
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf für die Fraktion der Sozialdemokraten erklären: Wir bedauern, daß es heute nacht in der Volkskammer nicht möglich war, den Wahlvertrag zu ratifizieren, daß es nicht möglich war, die notwendige Zweidrittelmehrheit dafür zustande zu bringen.
Auch wir sind der Meinung, Herr Bohl, daß es in Anbetracht dieser Umstände vernünftig ist, unsere zweite und dritte Lesung zum Wahlvertrag und zum Wahlgesetz heute nicht durchzuführen, obwohl wir
— das will ich festhalten — fertig sind, es ist inhaltlich alles klar, die erste Lesung hat stattgefunden.
— Ich sehe schon, auch Sie hätten gerne noch Urlaub; ich auch. — Nochmals, die Beratungen im Bundestag sind abgeschlossen. Gestern haben die Ausschüsse getagt, und wir wissen, was wir wollen.
— Ja, gerne. Ich denke, der Deutsche Bundestag weiß, was er will. Wir Sozialdemokraten wußten das sowieso schon immer.
Wir haben uns sehr gefreut, liebe Kollegen von der Union, daß Sie unsere Forderungen im Wahlrechtsvertrag und in dem Zustimmungsgesetz auf dem Kompromißwege im wesentlichen erfüllt haben.
Meine Damen und Herren, schwierig genug war es ja. Der Streit, den Sie uns in den letzten sechs Wochen aufgezwungen haben, war wirklich nicht sehr sinnvoll. Das wissen mittlerweile alle.
Ich stelle noch einmal fest: Wir von seiten des Bundestages haben unsere Beratungen abgeschlossen. In Anbetracht der Lage und der Unsicherheit in der Volkskammer ist es vernünftig, so zu verfahren, wie Sie, Herr Bohl, das vorschlagen: die zweite und dritte Lesung heute nicht abzuschließen. Aber lassen Sie mich noch dreierlei feststellen.
Erstens. Wir begrüßen Ihre Erklärung, daß Sie zu dem stehen, was inhaltlich zum Wahlrecht für die erste gemeinsame Wahl des Deutschen Bundestages vereinbart worden ist. Wir stehen ebenfalls dazu. Das gilt nicht nur für die bisher umstrittenen Einzelheiten, z. B. Beitritt vor der Wahl, einheitliches Wahlgesetz, Chancengleichheit und Fairneß, sondern das gilt natürlich auch für die Frage des Wahltermins.
Ich wiederhole: Das gilt natürlich auch für den Wahltermin, weil — ich darf das nochmals betonen — in der Wahlrechtsvereinbarung und im Zustimmungsgesetz ganz klar vom 2. Dezember als Wahltermin ausgegangen wird. Darüber sind wir uns einig. Anders machte die Bezugnahme auf Art. 39 im Wahlvertrag überhaupt keinen Sinn. Wir halten daran fest.
Zweitens. Das Bedauern auszudrücken, daß wir heute vernünftig sein müssen und nicht abschließen können, das ist das eine. Aber ich will noch etwas hinzufügen. Ich sage, Sie, Herr Bundeskanzler, tragen ein gerüttelt' Maß an Verantwortung dafür, daß die Unsicherheit in der Volkskammer und in der DDR ein Ausmaß erreicht hat,
daß es nicht möglich war, gestern nacht bzw. heute früh diesen Wahlrechtsvertrag zustande zu bringen. Ich bin ganz sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hätten heute abschließen können, hätte es nicht den Vorschlag von Herrn de Maizière gegeben, den Wahltermin in Zweifel zu ziehen.
Und der, Herr Bundeskanzler, der war doch wohl mit Ihnen abgesprochen!
Drittens. Ich bin sicher, meine Damen und Herren, wir hätten heute abschließen können, wenn Ihre Parteifreunde in der Volkskammer mit ihrem Antrag gestern — den haben sie nicht als Regierung gestellt, ohne die Liberalen und die Sozialdemokraten — nicht für noch mehr Unsicherheit und Chaos gesorgt hätten.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 17381
Frau Dr. Däubler-Gmelin
Ich bedaure das, bin aber ganz sicher, daß auch dieser Antrag Ihrer Parteifreunde in der Volkskammer nicht ganz ohne den Bonner Zügel zustande gekommen ist.
Bleibt zusammenzufassen, meine Damen und Herren: Wir stehen zum Wahlrechtsvertrag. Wir bedauern, daß die Beratungen heute nicht zum Abschluß gebracht werden können, das werden wir am 23. August tun. Wir sehen, daß sich die Unsicherheit in der DDR erhöht und bedauern, daß die Bundesregierung dafür mit Verantwortung trägt.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten uns in Anbetracht der zunehmenden Unsicherheit alle darauf vorbereiten, daß es zu einem schnellen Beitritt kommen wird.
Danke schön.