Rede von
Thomas
Wüppesahl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GRÜNE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Wahlgesetz, das heute gelesen wird, hat zur wesentlichen Zielsetzung den Versuch des Ausschlusses einer einzigen Partei — so ist der aktuelle Stand der Entwicklung seit dem letzten Wochenende — , nämlich der Partei, die sich in ihrem Programm dafür ausspricht, daß „in der DDR der Bruch mit dem administrativ-zentralistischen Sozialismustyps bis zu Ende geführt werden soll", der Partei, die sich für Demokratie als „grundlegendes Ziel" politischen und gesellschaftlichen Handelns als „eigenständigen Wert" und „unverzichtbare Bedingung zur Gesellschaftsgestaltung" ausspricht, der Partei, die sich für die „freie Marktwirtschaft" — das ist auch ein Zitat — als effektivste Form gesellschaftlichen Wirtschaftens ausspricht. Die Rede ist natürlich von der PDS, die als alleiniges Opfer dieses Wahlgesetzes übrigbleiben wird, weil die Bürgerrechtsbewegungen inzwischen bei den GRÜNEN mit all den Nachteilen und Vorteilen, die heute schon beschrieben worden sind, untergeschlupft sind.
Wenn der SPD-Redner davon spricht, daß die Vergünstigungen für die PDS weg müßten, so kann man dazu doch nur feststellen, daß eine Fünfprozenthürde
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990 17375
Wüppesahl
unter demokratischen Gesichtspunkten und unter den besonderen Bedingungen dieser ersten gemeinsamen deutschen Wahl nichts anderes als eine Benachteiligung der kleinen Parteien darstellt.
— Zwischen den Zeilen, Herr Penner, klang tatsächlich das durch, was bei der SPD gedacht wird: Wir wollen nur die Wähler der SED, nicht die PDS als solche.
Die Geschichte der „neuen Demokratie" beginnt also mit dem Versuch, diejenigen, die den Einzug von „Freiheit und D-Mark" — der Kanzler sagte dies in seinem letzten Urlaubsinterview; beides in einem Atemzug, das muß man sich vergegenwärtigen — erst ermöglichten, aus dem ersten gesamtdeutschen Parlament fernzuhalten. Vor dem unverdienten Absinken in die Bedeutungslosigkeit rettete sie einzig und allein die Profilierungssucht bundesdeutscher GRÜNER, die sich nun mit dem revolutionären Bürgerrechtsbewegungen der DDR schmücken.
Dieser Vorgang macht aber gleichzeitig eines deutlich: Die Fünfprozentklausel und die damit den kleinen Parteien angedrohte Einflußlosigkeit führten zum vorschnellen Zusammenschluß mit einer der großen Parteien unter Aufgabe politisch-inhaltlicher Eigenständigkeit. Die Fünfprozentklausel wird die politische Vielfalt, die verschiedenen politischen, historisch bedingten Ansätze auf das altbekannte Parteieneinerlei aus CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNEN reduzieren.
— Herr Bötsch, die GRÜNEN sind längst das Schoßhündchen in dieser Gesellschaft geworden.
Sie werden nicht mehr als der große Angstgegner betrachtet, wie es noch vor fünf, sechs Jahren der Fall war.
Legitimiert werden sollen diese wahlrechtlichen Verfassungsverstöße mit der Fünfprozentklausel, die den Einzug von Splitterparteien in ein Parlament verhindern soll.
Oberster Grundsatz der Verfassung für die Frage, die morgen entschieden werden soll, ist, daß jede Stimme den gleichen politischen Erfolg zeitigen, sich also in der Zusammensetzung des Parlaments niederschlagen müsse. Das bedeutet nichts anderes, als das 0,2 % ein Mandat darstellen. Oder, wenn wir 660 Abgeordnete sind, stellen ca. 0,15 % ein Mandat dar.
Eine Fünfprozenthürde ist keine parlamentstechnische Notwendigkeit. Es war seitens des SPD-Redners genauso peinlich, daß ausgedrückt wurde, die Arbeitsfähigkeit des Parlamentes solle über das Wahlrecht herbeigeführt werden. Ich erinnere mich, daß in dem Organstreitverfahren, das ich betrieben habe, Herr Bötsch, noch davon die Rede war, daß die Arbeitsfähigkeit des Parlamentes über die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hergestellt werden solle. Da wurde natürlich wieder etwas aus dem Sack gelassen, das z. B. im Organstreitverfahren überhaupt nicht zur Rede kommen durfte.
Es ist also keine parlamentstechnische Notwendigkeit, sondern eine politische Strangulierung auf sehr wackeligen verfassungsrechtlichen Grundlagen, wie ein anderer Redner schon ausgeführt hat.
Das Bundesverfassungsgericht definierte Splitterparteien als solche Parteien, die sowohl bundesweit eine äußerst geringe Wählerzustimmung finden als auch nicht über einen regionalen Schwerpunkt verfügen — da kommen Sie, Herr Bötsch, mit Ihrer CSU ja zum Tragen — und obendrein für das Staatsleben eine äußerst geringe Rolle spielen.
Das sind die Kriterien, an denen Sie dieses Gesetz hätten entwickeln sollen! — All das trifft nämlich auf Bündnis 90 und den darin vertretenen Gruppierungen nicht zu, auch nicht auf die PDS und die DSU. Daß dabei die DSU durch das eigens für sie erfundene Huckepackverfahren geschont werden soll, gibt dieser demokratischen Tragödie lediglich ihre komischen Züge.
Ich komme zum Schluß. Die Fünfprozentklausel soll der etablierten Bonner Parteienherrschaft den ungehinderten Zugriff auf die dann ehemalige DDR sichern. Nach der wirtschafts- und währungspolitischen Übernahme der DDR durch den ersten Staatsvertrag folgt nun die politische Annexion, die durch diesen Wahlvertrag über das Wahlgesetz durch den Deutschen Bundestag sanktioniert werden soll.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und kann Sie darauf vorbereiten, daß Sie morgen den zweiten Teil dieser qualitativ hochwertigen Ausführungen zu Ende hören können.